Zum Interviewtermin mit Marc Clémeur geht´s über eine alte, knarrende Holztreppe, hinauf in den ersten Stock eines ehemaligen Militärgebäudes – hinein, in ein großes, helles Büro, mit Blick direkt auf das Opernhaus gegenüber. Die schon als historisch zu bezeichnenden, einfachen Verglasungen mindern unwesentlich den Lärm der futuristischen „Tram“, die im 6-Minuten-Takt vorbei donnert. Marc Clémeur scheint dies nicht zu stören. Er wusste, worauf er sich einließ, als er sich um die Stelle eines Intendanten für die Straßburger Oper bewarb und fand die Herausforderung, ein Haus an der Schnittstelle zweier kultureller Prägungen zu leiten wohl interessanter, als ein schickes Büro mit thermoverglasten Scheiben im Herzen von Frankreich.
Das Opernhaus, die Opéra national du Rhin – oder zu Deutsch – die Rheinoper, trägt seit dieser Saison einen Zusatz: opéra d´europe – also Europaoper, und möchte damit etwas ganz bestimmtes ausdrücken. „Straßburg, ja dieses Haus, liegt direkt an der Grenze zu Deutschland; wenn Sie den Rhein überqueren, befinden Sie sich schon in Kehl“, erklärt der 2007 designierte Opernchef, dessen erste Saison er nun hier verantwortet, die geographische Situation. „In Straßburg treffen sich eigentlich zwei Kulturen, die romanische und die deutsche – so wie zum Beispiel auch in Belgien, meinem Heimatland. Sie überschneiden sich hier und befruchten sich gegenseitig, grenzen aber auch aus – und dem möchte ich entgegenwirken. Mit der Bezeichnung opéra d´europe soll deutlich gemacht werden, dass heute diese Grenze nicht mehr trennt und unser Haus im Herzen Europas angesiedelt ist. Und Glück habe ich auch noch, denn in diesem Hause trifft sich quasi das Beste aus zwei Welten: die deutsche Pünktlichkeit und das französische ‚joie de vivre‘ “. Marc Clémeur, der vor seiner Berufung nach Straßburg beinahe 20 Jahre Intendant der Vlaamse Opera in Antwerpen war, sieht sich also neuen, alten Herausforderungen gegenüber. Und er ist gewieft genug, funktionierende Traditionen zu belassen und nur dort Erneuerungen einzuführen, wo er Verbesserungspotential sieht.
So war er schon kurz nach seinem Amtsantritt sehr erstaunt über zwei Fakten, die für das Opernhaus in Straßburg signifikant sind: Erstens der hohe Prozentsatz an jungem Publikum, 25% sind jünger als 26 Jahre, und die Tatsache, dass es für die Gewinnung von Zusehern aus dem deutschsprachigen Raum noch reichlich Entwicklungspotential gibt. Als nach der Designierung Marc Clémeurs ein ehrfürchtiges Rauschen durch den Blätterwald ging, mit dem mehr gehauchten als offen ausgesprochenen Hinweis, dass sich die bestehende Kulturachse in Deutschland entlang des französischen Einzugsgebietes der neuen Opernkonkurrenz schon zu wehren wüsste, machte Clémeur im Gegenzug ganz diplomatisch einen großen Sprung über die Grenze: „Ich sehe unser Haus nicht in Konkurrenz stehend mit jenen in Baden-Baden oder Karlsruhe, sondern vielmehr als Ergänzung und als erweitertes Angebot für Opernfreunde. Frankreich und Deutschland haben ja sehr unterschiedliche, szenische Aufführungspraxen. Was in Deutschland gerne im sogenannten „Regietheater“ dekonstruiert wird, findet man in Frankreich viel seltener. Hier fungiert der Rhein tatsächlich noch als Grenze – wenn sie so wollen, als ästhetische Grenze. Das bietet aber sowohl dem französischen, als auch dem deutschen Publikum die Möglichkeit, diese beiden Traditionen kennen zu lernen“. Was aber nicht heißt, dass die Inszenierungen unter Marc Clemeur alte Hüte sind.
Ganz im Gegenteil, schon das Repertoire der aktuellen Saison rekrutiert sich zu einem hohen Prozentsatz aus Musikliteratur des 20. Jahrhunderts. Namen wie Giorgio Battistelli, Gustave Charpentier, Richard Strauß, Leos Janáček oder Nino Rota zeigen, was dem Intendanten besonders am Herzen liegt. Was Clémeur mit der unterschiedlichen szenischen Interpretation meint, wird deutlich an der gerade laufenden Produktion von „Louise“, einem sehr selten gespielten Werk von Gustave Charpentier. Die Thematik ist im selben Umfeld angesiedelt wie Puccinis Bohème, die Oper selbst im Jahr 1900 in Paris uraufgeführt – und doch erlebt man in Straßburg eine moderne, zeitgemäße Fassung, die die Problematik von Eltern, die ihr Kind nicht loslassen wollen, plausibel in unsere Zeit transferiert. Ein plakatives, im wahrsten Sinne des Wortes schräges Bühnenbild, deutlich konturierte Personen, die jedoch keinen psychologischen Tiefgang missen lassen, sowie Beleuchtungseffekte, welche die Beschreibung des unschuldigen Kindes oder der vermeintlich verruchten, jungen Frau sehr plakativ in Weiß und Rot unterstützen, sind deutliche Hinweise auf die nach wie vor vorhandene Freude an sinnlichen Inszenierungen in Frankreich. Schon bei Richard III, der zeitgenössischen Oper von Giorgio Battistelli, welche die Intendanz Marc Clémeurs in Straßburg einläutete, konnte diese Lust an der prallen Inszenierung beobachtet werden. Der Regisseur Robert Carsen beeindruckte durch die szenische Umsetzung des Spieles um Macht und Tod, in der viel Blut geschaufelt wurde.
Dass gerade Opern aus dem 20. und 21. Jahrhundert ein Wagnis sind, war Marc Clémeur von Beginn an klar, wurde ihm doch von vorneherein schon bedeutet, dass das Straßburger Publikum nicht sehr begeisterungsfähig sei. „Nach den bisher gelaufenen Premieren kann ich das aber überhaupt nicht bestätigen. 15 Minuten stehender Applaus bei der Premiere Richards III und ebenso langer bei Louise sprechen für mich eine ganz andere Sprache“ freut sich der Operndirektor sichtlich. Marc Clémeur setzt aber noch verstärkt auf eine ganz andere Karte, mit der er, wie es schon nach wenigen Wochen aussieht, einen Trumpf in seinen Händen halten dürfte. Nämlich mit der Einführung einer Oper pro Saison für Kinder. „Ich meine hier nicht Jugendliche von 13, 14 oder 15 Jahren, die können schon in eine Oper wie Louise gehen, in der sie ihre eigene Problematik mit der Ablösung vom Elternhaus finden, nein ich meine tatsächlich Oper für Kinder“, präzisiert er sein Vorhaben. Mit „Aladin und die Wunderlampe“ von Nino Rota, im deutschsprachigen Raum schon in Essen, Köln oder Wien aufgeführt, bringt er in Straßburg das Werk als französische Erstaufführung auf die Bühne, sicherlich mit großem Erfolg nicht nur beim Publikum. Ganz Frankreich blickt gebannt nach Straßburg, denn obwohl die Produktion noch gar nicht angelaufen ist, besteht schon jetzt eine derart große Nachfrage nach weiteren Aufführungen, „dass wir derzeit nur dabei sind, einen Termin nach dem anderen zu notieren“.
Angesprochen auf Co-Produktionen meint Clémeur, dass solche nur dann Sinn machen, wenn die Entfernungen zwischen den Opernhäusern auch groß genug wären. Mit Monte Carlo und Marseille gibt es jedoch schon für nächstes Jahr Verträge, was zusätzlichen Reiseaufwand für die gesamte Crew bedeutet; ist sie doch jetzt schon nicht nur in Straßburg, sondern auch in Mulhouse und in Colmar mit Aufführungen vertreten. Dass ein so viriles Opernhaus wie jenes in Straßburg trotz geringen finanziellen Mitteln hohe Qualität bringen kann, liegt vor allem „an der guten Nase des Intendanten“, schmunzelt Clémeur. Dabei unterstützt ihn jedoch ganz offensichtlich seine reiche Erfahrung und vor allem auch die Tatsache, dass er in der Jury zahlreicher Nachwuchsbewerbe sitzt – im vergangenen Jahr waren es acht. Der darin investierte Zeitaufwand lohnt sich allemal, rekrutiert Clémeur doch daraus immer wieder Sängerinnen und Sänger für sein Haus, ohne die damit verbundenen Risiken zu scheuen.
Die Vision, die Clémeur sich für seine Intendanz gesetzt hat, besteht aus der Öffnung seines Hauses einerseits in den Westen – also mit Ausrichtung nach Paris. „Das Geschenk, das Straßburg vor 2 Jahren erhalten hat, war der TGV – in etwas mehr als 2 Stunden sind Sie in Paris, was auch bedeutet, dass wir Publikum von dort anziehen können. Schon jetzt sind unsere Premieren mit den Beginnzeiten am Sonntagnachmittag so gesetzt, dass die wichtigen Kritiker aus Paris am Vormittag an- und am Abend wieder abreisen können – und ich hoffe, dass dies bald auch das Publikum tun wird“.
Andererseits aber liegt Marc Clémeurs Schwerpunkt tatsächlich in der Eroberung des Ostens; im Gegensatz jedoch zu einem kleinen Korsen, der dies auch einmal versuchte, tut Marc Clémeur dies mit Diplomatie und dem Schatz eines lebendigen Opernhauses im Gepäck. Mit Saisonbeginn gibt es eine Neuerung im Hause – alle Aufführungen, egal in welcher Sprache gesungen, werden sowohl in Deutsch als auch Französisch übertitelt. Die Internetseite ist dreisprachig – darunter selbstverständlich auch in Deutsch abrufbar, und wer die Anreise nach Straßburg mit dem eigenen Auto scheut, kann sich bequem vom sogenannten „Rheinopernexpress“ von 6 deutschen Städten aus zur Opernaufführung kutschieren lassen. Marc Clémeur erzählt freigiebig, dass er dieses Konzept von der Oper in Baden-Baden abgeschaut hätte, mit dem Zusatz: „man muss sich von überall das Beste abschauen“.
Auf die abschließende Frage, wie er sich denn in seinem Geschäft eigentlich charakterisieren würde, lacht er laut und antwortet prompt: „Als Bastard! Denn sehen Sie, ich muss einerseits künstlerisches Gespür und ein großes Wissen haben, um ein gutes Programm auf die Beine stellen zu können und andererseits aber auch eine große Portion an Managementqualitäten aufweisen. Ich hatte von Haus aus beides in mir verspürt und wollte diese Kombination immer beruflich umsetzen.“ Das ist Marc Clémeur wohl gelungen – und Straßburg kann ab nun von dieser seltenen, bastardischen Mischung profitieren, inklusive seiner hervorragenden Deutschkenntnisse – die nicht von Nachteil für die „Grenzöffnung“ sein werden.
Weitere Infos: https://www.operanationaldurhin.eu/
Als Österreicherin, seit 4 Jahren an verschiedenen Orten im Ausland lebend, habe ich eine Stadt gefunden, die (fast) alle meine kulturellen Wünsche erfüllt. Und das in einem Ausmaß, welches für mich vorher nicht vorstellbar gewesen war. Ich spreche von Straßburg oder auf französisch Strasbourg, der Hauptstadt des Elsass. Das kulturelle Angebot ist – obwohl die Stadt nicht mehr als 280.000 Einwohner hat (mit dem Umland aber immerhin knapp eine halbe Million!) – riesengroß, und vieles davon ist für die Bevölkerung kostenfrei zu konsumieren. Dies hängt damit zusammen, dass die jetzige Stadtregierung unter ihrem Bürgermeister Roland Ries dafür Sorge trägt, dass Kultur für möglichst viele Menschen frei zugängig ist.
Blasorchester anlässlich der Musica Eröffnung in Strasbourg
So geschehen zum Beispiel am vergangenen Wochenende, an welchem das Festival Musica, ein Festival für zeitgenössische Musik eröffnet wurde. Dies geschah am Samstagnachmittag mit dem Konzert „Fresco“ für 5 Blasorchester von Luca Francesconi, einem 1956 geborenen Italiener. Dieser ging in seinem Werk der Frage nach, wie man heute Musik aus den heiligen Hallen des Konzerthauses nach außen transportieren könne und schrieb eine Partitur, in welcher er die 5 ausführenden Orchester als „große, musikalische Tiere“ bezeichnet. Jedes Orchester, ausgestattet mit einem Bläser- und Schlagwerkkörper von insgesamt ca. 50 Personen, bewegte sich von jeweils anderen Ausgangspositionen, die ungefähr 500 Meter im Umkreis der Kathedrale lagen, hin zum zentralen Treffpunkt vor der beeindruckenden gotischen Kirche. Die Blasmusikkapellen, rekrutiert aus kleinen Orten des elsässischen Umlandes, spielten ein und das selbe Stück während ihres Ganges zum Münsterplatz immer und immer wieder. Genauer gesagt waren es 5 Landeshymnen, wobei jeder Klangkörper nur eine Hymne intonierte. Man konnte einem Orchester zu Fuß auf seinem Weg zum Zielpunkt folgen und hörte, je näher man diesem Platz kam, auch von ferne die Klangfetzen der anderen Kapellen. dem Platz vor der Kathedrale befanden sich die Zuhörer zwischen den einzelnen Orchestern, die sich sternförmig postiert hatten. Sie hatten sich nach dem Zufallsprinzip an ihren Plätzen eingefunden, teils waren sie unwissend als Passanten dazugekommen, teils hatten sie die Aufführung jedoch auch erwartet, ihr jeweiliger Standplatz ergab sich aber aus der Verschiebung der Menschenmasse, die den Orchestern Platz machen mussten. Nun folgten die Musiker einem jungen Dirigenten, der die 5 Orchester als eine Formation dirigierte. Die klangintensive Musik bewegte sich in Wellen zwischen den einzelnen Kapellen hin und her und schwoll bis zu ihrem Höhepunkt an, ohne jedoch danach abrupt zu enden. Denn die Musiker innen und Musiker begannen, sich spielend zurückzuziehen, indem sie sich ihren eigenen Weg durch die Menschenmenge, weg vom Platz bahnten. Auf diese Weise verklang das Stück auf andere Weise, wie es in der
Auftakt der Musica am Münsterplatz in Straßburg
Anfangsphase zu hören gewesen war. Die Individualität der Musiker und Musikerinnen stand nun im Vordergrund, ganz im Gegensatz zur den zuvor parademäßig aufgeführten Orchesterformationen. Luca Francesconi begeisterte das Publikum mit einem komplexen Werk, das durch seine choreographierte Aufführung durch die Innenstadt, auch ein kulturpolitisches und soziales Statement abgab. Für viele der Musikerinnen und Musiker dürfte das Einstudieren der zeitgenössischen Partitur eine Herausforderung und Neuland gewesen sein – für viele Passanten ein gänzlich neues Hörerlebnis. Das Eintauchen in zeitgenössische Musik, das oft als sperrig und unangenehm bezeichnet wird, gewann hier gänzlich ungezwungenen Charakter mit Klangerlebnissen, welche auch mit der Neugier der Passanten spekulierte. Ein wunderbarer Auftakt, der deutlich machte, dass zeitgenössische Musik keineswegs nur von einer musikalisch gebildeten Elite konsumierbar ist. Es war wunderbar zu sehen, wie sich die Menschen, von den kleinen Kindern bis hin zu Seniorengruppen, die Straßburg offenkundig touristisch erkundeten, neugierig nach den Klangwolken umhörten, lauschten, lachten, klatschten und sich als Teil der Aufführung verstanden. Besser kann Kultur nicht unter ein Publikum gebracht werden! Hier können Sie sich das Konzert ansehen:
Der Sonntag schließlich glänzte mit 18 Konzerten bei freiem Eintritt, die zum großen Teil von Studierenden des Straßburger Konservatoriums gestaltet worden waren. Aber auch bekannte und herausragende Solisten und Ensembles nahmen daran teil, ohne dass das Publikum dafür Karten hätte kaufen müssen. Im Aufführungsgebäude, der „Cité de la musique et de la danse“, das über zahlreiche Konzerträume verfügt, konnte man fast nahtlos nacheinander den ganzen Nachmittag Konzerten zeitgenössischer Musik beiwohnen. Die Palette reichte von Komponisten, die in ihrer Musik Bezüge zu Johann Sebastian Bach aufzeigen, über ein Konzert des Ensemble Ictus, einer belgischen Formation, die mit der Minimalmusik von Tom Johnson auftrat, bis hin zur Jazzformation Spoon, einem Trio, welches sich aus Musikstudenten der Jazzklasse zusammensetzte. Die vollen Räume zeigten, wie groß das öffentliche Interesse an Aufführungen dieser Art ist und das es nicht stimmt, dass zeitgenössische Musik nur schwer an Frau oder Mann gebracht werden kann. Insgesamt nahmen 2300 Menschen an diesem Nachmittag an den Konzerten teil, was keiner weiteren Kommentierung mehr bedarf.
Die Jazzer der Gruppe Spoon brachte die kleine Cafeterie, in der sie ihr Konzert gaben, zum Kochen. Ihre selbst komponierten Stücke mit freejazzigen Passagen und exakt durchexerzierten, teilweise rhythmisch rasch wechselnden Stellen brüllten und hämmerten, jammerten und pochten, je nachdem wie die Instrumente zum Einsatz gelangten. Herausragend war der junge Bassist Stéphane Clor, der sein Instrument nicht als Begleit- sondern als solistisches Tonwerkzeug versteht und auch so einsetzt. Er zeigte in den 45 Minuten, welcher Klangreichtum aus einer Bassgitarre zu holen ist und führte streckenweise das Ensemble mit Bravour. Zu bewundern waren aber auch der Saxophonist Colin Petit und der Schlagzeuger Anatole Petit, deren körperlicher Einsatz schon beinahe schmerzend am eigenen Leib nachempfunden werden konnte. Ein tolles Konzert, bei welchem vor allem die Aufführungs- und Spielfreude der jungen Musiker, ganz abgesehen von ihrer Musikalität, beeindruckte.
Was die Jazzmusiker an Überfülle boten, glich das Ensemble Ictus mit seiner minimalistischen Musik von Tom Johnson wieder völlig aus. In vier Stücken, begleitet vom Erzähler Jean-Luc Fafchamps, selbst Komponist und Pianist und Ensemblemitglied von Ictus, zeigten die Musiker, dass Musik auch einem rein mathematisch- logischen Kompositionsprinzip folgen kann. Das Umwerfende daran war die den Stücken, durch die kleinen Erzählungen davor, innewohnende Komik, wenn zum Beispiel Johnson erklärt, wie viele Möglichkeiten es gibt, 4 Männer und 4 Frauen an einem Tisch zum Essen zu versammeln. Jedem Mann und jeder Frau wurde ein bestimmter Ton zugeteilt und je nach Sitzordnung, erklangen dann die Töne abwechselnd hintereinander. Ein Riesenspaß, der auch mathematisch unbegabten Menschen zeigte, dass das Spiel mit Zahlen interessant und lustig sein kann. Eine wahrlich tolle Vorführung, die minimalistische Musik einmal von einer anderen, lustvollen Seite zeigte.
Zu hören sind einige der Konzerte, welche durch Arte und france musique aufgezeichnet wurden hier:
Ganz nebenbei sei noch erwähnt, dass am Samstag eine Gratisaufführung einer Musikrevue zu sehen war, die das Leben des Dada-Künstlers Jean Hans Arp unterhaltsam ausschnitthaft nachvollzog. Mehr über diese Vorstellung gibt´s jedoch in einem gesonderten Bericht in den nächsten Tagen.
Aufgrund der Straßburger Kulturpolitik ist es möglich, Kunst auf hohem Niveau zu genießen, ohne dafür ein Sparbuch opfern zu müssen. Ein Beispiel, das in Europa Schule machen sollte!
Gerade habe in der Liberation ein kleines Musikvideo entdeckt, dass mich schließlich auf die hp von Fredo Viola, dem Interpreten, geführt hat und die ich Ihnen unbedingt empfehlen möchte.
Alle, die sich gerne mit Schönklang umgeben, sollten hier einmal nachsehen und nachhören: www.fredoviola.com
Der in New York lebende Künstler ist nicht nur Sänger, sondern hat auch eine Ausbildung als Filmregisseur genossen – was seinen filmischen Kunstwerken, die er selbst mit Musik untermalt, anzusehen ist. Auf der hp, genauer gesagt auf der Seite die dem button fredo viola com folgt, ist dann in der Navigationsleiste ein button mit audio angegeben. Hören Sie dort seine bislang aufgenommenen Nummern und genießen Sie die gut arrangierten Stücke! Eine Mischung aus soft-pop und A-capella- Gruppen aus den 80ern, wie den Flying Pickets oder den Housemartins gibt`s zu hören. Die sparsame Instrumentierung, teilweise synthetisch hinterlegt, verstärkt perfekt die jeweiligen Rhythmen und ohrschmeichelnden Melodien.
Was Fredo Viola darüber hinaus jedoch noch kann, zeigt er in seinen Videos, zu finden unter dem vimeo- button. Bobby Mc. Ferrin mag Pate gestanden sein für einiges, was Fredo Viola dort frank und frei zum besten gibt, wie zum Beispiel bei seiner Improvisation Crater Lake. Besonders beeindruckend finde ich die Session mit Ike Sturm, aufgenommen in einer Kirche. Nicht nur musikalisch vom Feinsten, sondern auch optisch großartig aufgelöst.
Mich begeistert vor allem Fredo Violas immense Freude am Singen. Seine Meditationen, in die er fällt, sobald er sich mit zweiten, dritten, vierten und fünften Stimmen an seine Grundmelodie anschmiegt, kann man auch in seinen Videos gut sehen. Alles, was ein Mensch gerne macht, erweckt bei anderen Bewunderung und Respekt, wahrscheinlich weil es ganz wenige Menschen gibt, die mit Herz und Hirn etwas wirklich gerne machen. Bei Viola ist dies der Fall. Vorweg eine kleine Kostprobe:
Mein musikalischer Instinkt hat mich noch nie getäuscht. Deswegen prophezeie ich diesem Künstler eine große Karriere.
Bewundernswert! Bonne chance, good luck oder alles Gute für die kommende Zeit, Fredo Viola!
Für mich grenzt es an ein Wunder. Wir werden uns um kurz vor acht mit dem Internet verbinden, um dann Punkt 20 Uhr die Live-Übertragung aus dem Berliner Konzertsaal zu genießen. Wir werden uns wie ganz normale Abonnenten fühlen, mit dem einzigen Unterschied, dass wir während des Konzertes unsere Füße hoch lagern können. Danach werden wir uns unterhalten, wie denn die Aufführung gewesen sei. Ob Bernard Haitink Mahler nach unserer Facon interpretieren ließ und ob die Dame, die links hinter dem Orchester ihren Aboplatz hat, auch diese Mal wieder in Rot gekleidet war. Dieses kleine Detail haben wir bereits beim Abrufen jener Konzerte wiedererkannt, welche in der Saison 2008/09 schon aufgenommen worden waren, aber erst im Jänner im Internet freigeschaltet wurden. So kennen wir nun auch schon, nach drei bereits gesehenen Konzerten, den jungen Konzertmeister, Guy Braunstein; jenen dunkelhaarigen Mann, dessen Mähne unbändigbar erscheint. Wir erkennen die Querflötistin mit den glatten, hochgesteckten Haaren wieder, und wir haben uns vertraut gemacht mit dem Konzertsaal selbst. Aber heute Abend wird es doch noch einmal anders sein. Denn es ist etwas anderes, ob man eine Aufführung quasi aus der Konserve mitverfolgt, oder ob das Husten des Publikums, die Bewegungen des Dirigenten und die gespielte Musik zeitgleich mit unserer Betrachtung vor dem Bildschirm stattfindet. Eine Zeitgleichheit, an die wir uns zwar längst im Fernsehen gewöhnt haben, die uns von Konzerten her jedoch noch fremd ist. Gewiss, es gab sie schon, Konzerte, die live im Fernsehen übertragen wurden. Vorreiter war hier der ORF mit der alljährlichen Übertragung seines Neujahrskonzertes aus dem großen Wiener Musikvereinssaal. Gewiss, es gab bisher nicht nur ein Konzert oder eine Oper, die man live am Bildschirm miterleben konnte. Aber im Internet ist es tatsächlich ein Novum. Noch dazu, wo man um 89 Euro ein komplettes Saisonabonnement kaufen kann. Drei Jahre dauerten die Vorbereitungen zu diesem Unterfangen, kräftig unterstützt durch die Deutsche Bank, die, trotz Kreditkrise, mit geholfen hat, das musikalische Baby aus der Taufe zu heben.
Wir werden kurz vor Konzertbeginn auf der Internetseite der Berliner Philharmoniker, auf welcher das Konzert übertragen wird, und die all jenen zur Verfügung steht, die dafür eine „Eintrittskarte“ bezahlt haben, die Beschreibung des Konzertes im Programmheft ansehen und wenn es dann beginnt, dann werden wir uns zurücklehnen und zuhören. So, wie wir es auch täten, wenn wir in Berlin wären, direkt vor Ort, im Konzertsaal.
Dass dieses Wunder möglich wurde, verdanken die Berliner Philharmoniker dem Solocellisten Olaf Manninger. Er hatte vor drei Jahren die Idee zur Ausstrahlung der Konzerte seines Orchesters im Internet. Er suchte nach einer Möglichkeit, all jene Menschen an den Konzerten teil haben zu lassen, die sich keine Karten kaufen können, weil die Konzerte schlichtweg schon Monate im Vorhinein ausgebucht sind. Alle Konzerte, welche die Berliner Philharmoniker spielen, egal ob in Berlin oder auf Tour im Ausland, über 90 in einem Jahr, sind bis zu dreifach überbucht und so gibt es wesentlich mehr Menschen, welche ein Konzert gerne sehen wollen, dies aber nicht können, also solche, denen es tatsächlich gelingt, eine Karte zu ergattern. Nun könnte sich dies alles ändern. Denn nun kann jede und jeder, vorausgesetzt sie oder er hat zuhause das technische Equipment und ist im Besitz eines gültigen Abonnements, die Konzerte am Abend ihrer Aufführung live zuhause am Bildschirm des Computers, miterleben. Technikversierte können das Kabel auch an den Fernseher anstecken, oder die Boxen der Stereoanlage zuschalten. In diesem Fall ist nicht nur ein größeres Bild, sondern auch ein brillanter Ton garantiert.
Die Berliner Philharmoniker erweisen mir und allen anderen Musikbegeisterten eine Referenz, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Ihr Angebot kommt in einer Zeit, die mehr als je zuvor dafür geeignet erscheint. Die Anschlussdichte an das Internet betrug nach einer Studie der ARD und des ZDF über die Internetverbreitung 2008 in Deutschland 62,7%, in Österreich liegen die Zahlen sogar noch höher. Demnach gibt es kaum mehr Haushalte, die nicht mit mindestens einem Computer am weltweiten Netz hängen. Aber auch andere Parameter lassen die Aktivität unter günstigen Voraussetzungen erscheinen: die allgemeine Finanzkrise ist bereits in Kreisen zu spüren, die bisher über den Preis einer Konzertkarte nicht einmal im Ansatz nachdenken mußten und – so zeigen die Umsatzsteigerungen bestimmter Lebensmittel und Konsumgüter, sowie der Umsatzrückgang einer gewissen Gastronomiesparte – es wird wieder chic, in seinen eigenen vier Wänden zu bleiben und es sich dort gemütlich zu machen, Freunde einzuladen und gemeinsam zu Essen. Ob sich auch Konzertabende als neue, kleine gesellschaftliche Ereignisse in den eigenen vier Wänden etablieren werden, das ist noch nicht vorauszusehen. Die Möglichkeit dazu ist nun aber gegeben.
Ein weiterer, wahrscheinlich noch gar nicht allzu bewusster Nebeneffekt ergibt sich für Menschen wie mich, die sich aufgrund ihrer ständig wechselnden Wohnsitze als moderne Nomaden bezeichnen. Denn kaum ist man in einem Ort angelangt und hat sich richtig eingelebt, geht es schon weiter an den nächsten Arbeitsplatz. So kann ich aus Erfahrung berichten, dass mir bisher nie die Zeit geblieben war, mir irgendwo ein Konzertabo zu kaufen, ist es doch auch so, dass man meistens mehrere Jahre darauf warten muss. Zumindest war das in meiner Heimatstadt Graz der Fall. Ich war beiden dort tätigen Orchestern sehr verbunden, habe mir von Jugend an ein großes Repertoire klassischer, aber auch moderner Musik durch das Hören der Konzerte im Stefaniensaal in Graz aneigenen können und war, ab meiner ersten Übersiedelung in eine neue Stadt, von dieser Kultur so gut wie abgeschnitten. Aber bereits nach drei Archivkonzerten mit den Berliner Philharmonikern, die ich gesehen habe, tritt das Phänomen ein, dass sie mir als jenes Orchester erscheinen, welchem ich im Moment am meisten verbunden bin, und dies, obwohl ich sie nie live in Berlin im Konzertsaal erlebt habe, sondern nur bei mir zuhause am Schirm, derzeit in Straßburg. Durch das Archiv, welches alle Konzerte bereit hält, welche die Berliner Philharmoniker in dieser Saison absolvierten, kann jederzeit eine Wiederholung eines bestimmten Abends vorgenommen werden. Wir sind nun in der Lage, uns Unbekanntes öfter anzuhören und uns anzueignen. Wir haben die Möglichkeit, Dirigentenstudien durchzuführen, wie sie im Konzertsaal direkt gar nicht machbar sind. Eine modernste Kamera- und Schnittechnik bietet uns Bilder und Nahaufnahmen von Dirigenten und Musikern, die uns tiefer eindringen lassen in das jeweilige Wesen der Musik, denn auch die optische Teilhabe vermittelt Eindrücke, die das Gehörte zusätzlich verstärken.
Die Übertragung der Konzerte im Internet zeigt auch einmal mehr, dass dieses ein demokratisches Medium ersten Ranges ist. Der Zugang zu erstklassigen Musikaufführungen ist nicht mehr nur ein Privileg weniger. Jede und jeder kann es sich ab sofort ins Haus holen und teilhaben an jener musikalischen Welt, ohne die für mich Leben gar nicht denkbar ist.
Die letzten Monate brachten große Umbrüche, weltweit, aber auch im Kleinen – wie in meinem eigenen Leben. Die Börse crashte und crasht ins Unferlose, der Kunstmarkt jedoch zeigt einen gegenläufigen Trend. Wie zum Hohn führte Damien Hirst genau an jenem Montag, an dem die Börse das erste Mal zum Tiefflug ansetzte, vor, dass seine Kunst neue Verkaufsrekorde brechen konnte. Bei Sotheby´s in London wurden an diesem Montag und am darauffolgenden Tag Werke von ihm in Höhe von 140 Millionen Euro versteigert. Offenbar gilt, was immer galt – nämlich eine relative Parallelität zwischen dem Kunst- und dem Aktienmarkt – zumindest im Moment gerade nicht mehr. Ein gutes Zeichen für all jene, die einen Teil ihres Vermögens in Bilder, Skulpturen, Fotografien, Installationen oder Antiquitäten gesteckt haben. Gewiß, eine Sicherheit kann zum heutigen Zeitpunkt niemand geben, dass ein etwaiger Verkauf dieser Werke kurz- und mittelfristig auch den erwünschten Erlös bringt. Aber etwas haben Antiquitäten und Kunst dem Börsenmarkt voraus. Man kann sie ständig sehen, befühlen, bewundern, sich an ihnen freuen, ganz unabhängig, wie hoch ihr aktueller Marktwert jeweils ist. Und dass gute Qualität keinem Preisverfall anheimfällt, hat sich schon überall herumgesprochen. Deswegen gelingt es auch guten Händlern oder einzelnen Künstlern, wie z.B. Hirst, der auf der Klaviatur der Kunstmarktes zu spielen weiß wie kaum ein anderer, hohe Preise für ihre Werke zu erzielen.
Besonders froh bin ich in Zeiten wie diesen über meinen Beruf, der zugleich meine Berufung ist. Kunst zu begutachten und zu kommentieren – ob öffenlich in Form von Artikeln, oder ganz privat in Form von Begutachtungs- und Inventarisierungsaufträgen – scheint zeitlos zu sein. Kunst ist einfach da und bedarf der Vermittlung und Pflege. Egal, was die Weltwirtschaft treibt, ob Existenzen vernichtet werden oder auf der anderen Seite enormes Kapital angehäuft wird. Kunst ist präsent, wechselt allenfalls seinen Besitzer oder seine Besitzerin.
Heute nehme ich mir einmal die Freiheit, meinen Kunstbegriff radikal zu erweitern. Es soll nicht die Rede sein von Bildern oder Skulpturen, nicht von Architektur oder Bühnenaufführungen. Heute möchte ich einige Impressionen und Reflexionen über etwas anbieten, dass viele von uns tagtäglich, zumindest jedoch einmal pro Woche tun: Einkaufen. Wobei ich mich auf das Beschaffen von Lebensmitteln beschränken möchte. Das allein, will man es zur hohen Schule bringen, schon eine Kunst darstellt.
Ab in den Supermarkt, rein in die Einkaufswägen. Dabei noch munter mit den Verpackungen herumgeschmissen und zuhause dann lieblos liegengelassen, sorgfältiger weggestapelt oder gleich geöffnet und verzehrt – so sieht heutzutage die durchschnittliche Beschäftigung mit den Produkten aus, die uns unsere Lebenskraft und unseren Lebenssaft geben sollen.
Ist Ihnen dieser lieblose Umgang noch nie wirklich aufgefallen? Wenn nicht, dann beobachten Sie entweder sich selbst oder Ihre Mitmenschen im Supermarktkaufwahn. Zwar gibt es verschiedene Einkaufstypen – jene, die gezielt losmarschieren um das einzukaufen, was sie vorher schon auf einem Zettel niedergeschrieben haben oder sich im Kopf memorierten, oder jene, die nach Lust und Laune in die Regale greifen. Es gibt Menschen, die sich prinzipiell an den Sonderangeboten entlanghanteln und andere wieder, die in rauhen Mengen ihre Lieblingsprodukte kaufen – immer und immer wieder. Aber seltener kommt jene Spezies vor, die Päckchen aus Regalen holen, das Kleingedruckte aufmerksam lesen und – das Produkt dann wieder in das Regal zurückstellen.
Das sind jene, die entweder eine Lebensmittelallergie ihr Eigen nennen dürfen oder die noch gesund bewusst auf der Suche nach Inhaltsstoffen sind, die sie lieber nicht zu sich nehmen möchten. Dazu gehöre ich. Und darüber bin ich sehr froh. Allerdings hat diese Eigenschaft einen kleinen Haken: ist man damit nämlich ausgestattet, vermeidet man im Laufe der Zeit immer mehr den Gang in die großen Konsumtempel. Denn, obwohl die Regale prall gefüllt sind und die Ladeflächen ständig größer werden, schrumpft das Angebot an gesunden, naturbelassenen Lebens-Mitteln immer mehr.
Wer glaubt, dass er sich mit einem Fruchtjoghurt einer der gängigen Marken aus dem Kühlregal einen gesunden Gefallen tut, dem sei angeraten, nur einmal bei diesen kleinen, vermeintlichen Leckereien auf die Inhaltsstoffe zu achten. Ganz zu schweigen von jenen Produkten, die als Fertiggerichte – egal ob im Kühlregal oder getrocknet und auf Wasserzugabe wartend – angeboten werden. Das laute Verlesen der Zutaten führt garantiert zu einigen Zungenbrechern, ob der chemisch langen Bezeichnungen einiger Inhaltsstoffe. Probieren Sie es ruhig selbst einmal.
Ehrlich gesagt, ich esse nichts, was ich nicht halbwegs aussprechen kann und wovon ich nicht weiß, was es überhaupt ist. Gerichte mit Nummern, wie jene, die Farbstoffe angeben, esse ich schon gar nicht und das Wort naturidentisch ist eines der größten Bluffwörter der letzten Jahre, das mir schon eine leichte Gastritis verursacht, wenn ich nur daran denke. Leider – oder Gott sei Dank – habe ich kein Chemiestudium absolviert und bin deswegen nicht in der Lage, mir jene Inhaltsstoffe zu erklären, die auf einem Päckchen Suppe angegeben sind, von so komplexen Mahlzeiten wie asiatischen oder südamerikanischen Leckerbissen einmal ganz abgesehen. Obwohl viele Menschen aufgeklärt sind und darüber Bescheid wissen, dass sich ohne chemische Zusätze Lebensmittel nun einmal nur bedingt halten, schalten die meisten bei deren Beschaffung jedoch offensichtlich ihren Verstand aus. Nach dem Motto – schnell, schnell rein und wieder raus – sowohl in den Supermarkt, als auch in den Magen – nehmen sie zu sich, was sie lieber nicht zu sich nehmen sollten.
Aber hier gibt es offenkundige Parallelen, was das Lebensmitteleinkaufen und den Kunstkonsum betreffen. Je mundgerechter präsentiert, je mehr beworben, umso erfolgreicher. Auf den Inhalt schauen oder diesen gar hinterfragen, ist für die meisten von uns pure Zeitverschwendung. Dass man sich mit solchen Konsumgewohnheiten aber auch um die herrlichsten Genüsse im Leben bringt, ist nur den Wenigsten bekannt. Wenn ich Kunst richtig verstehen möchte, dann genügt es nicht, sich der Sache oberflächlich zu nähern, sie zu konsumieren und wieder zu vergessen. „Kennertum“ ist hier gefragt, und das ist nur zu erreichen, wenn ich tatsächlich auch viel „kenne“. Erst durch die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema wird es mir möglich, Zusammenhänge zu erkennen und Verlgeiche zu stellen. Wie schön das Gefühl ist, im Laufe der Jahre immer tiefer in diese Kennerschaft einzutauchen, versteht nur, wer sich selbst auch einem bestimmten Thema lebenslang verschrieben hat. Egal ob in der Kunst oder in einer anderen Thematik. Kein Meister ist vom Himmel gefallen, und das gilt sowohl beim Einkauf und auch dem anschließenden Kochen, als auch in der Kunst.
Einkaufen, nach hoher Schule, bedeutet für mich, sich bewusst machen, was mir und meiner Familie gut tut, was die Jahreszeit gerade hergibt und was regionale Lebensmittelhändler und -erzeuger gerade anbieten. Nicht, welches Sonderangebot von den Lebensmittelriesen unter die Menschheit gebracht werden soll oder welche vermeintlichen diätischen Musts in Form von gesunden Produkten mit Vitamin- und Ballastzusatzstoffen mir in den Regalen und zuvor in der Printwerbung offeriert werden. Vergleichbar ist dies auch mit einem sinnvollen Kunstgenuss. Dazu zähle ich nicht den Gang ins Kino zur Vorführung eines Hollywoodschinkens, dessen Produktionskosten eingespielt werden müssen oder der Besuch eines „Musicals“, welches über Jahre hinweg auf großen Bühnen einem großen Publikum vor Augen und Ohren gebracht wird. Gewiss, auch das kann ab und zu erbaulich wirken, aber es käme wohl niemandem in den Sinn, sich danach als „Kenner“ der Materie zu titulieren. Das Angebot an Kunst ist heute jedoch – vergleichbar mit den Produkten auf dem Gebiet der Lebensmittel – so groß geworden, dass schon eine gehörige Portion Selektismus notwendig ist, um sich das herauszusuchen, womit man sich wirklich beschäftigen möchte. Genauso, wie es notwendig ist, eine Selektion von Kunstgenuss vorzunehmen, ohne restlos überfordert und übersättigt zu werden, ist es notwendig, sich bewusst zu machen, was man eigentlich isst und was einem gut tut und was nicht.
Mein Nachbar betreibt einen kleinen Lebensmittelladen mit einer kleinen Auswahl an Bioobst und Gemüse, einer größeren Auswahl an Weißgebäck und einer noch größeren Auswahl an griechischen Vorspeisen. Er hat 7 Tage von 9.30 bis 21:30 geöffnet und arbeitet, abwechselnd mit seinem Sohn, im Zweischichtbetrieb. Wie herrlich, am Sonntag für einen ungeplanten Brunch rasch kleine Köstlichkeiten von ihm zu holen, abends noch schnell eine Schachtel Eier und Milch, oder was immer gerade im Haushalt ausgegangen ist. Bewusst lasse ich das eine oder andere im Supermarkt, so der mich überhaupt zu Gesicht bekommt, liegen, um meinen Nachbarn durch einen Einkauf zu unterstützen. Denn wenn ich es nicht mache, und viele andere auch nicht, dann wird es ihn bald nicht mehr geben – und mit der Schließung seines kleinen Ladens würde auch ein riesiges Stück Lebensqualität wegfallen.
Samstags geht es auf den Wochenmarkt, auf einen von zweien in meiner Stadt. Auf den wesentlich kleineren, überschaubareren, da er nur regionale und Bioprodukte anbietet. Vielmehr nicht „er“ sondern die Erzeuger derselben, direkt ab Hof, sozusagen. Es ist schön zu sehen, wie sich ein altes 68er-Kollektiv mit der Produktion von Vollkornbrot offensichtlich große Mühe gibt und den ultimativen Erfolg dennoch mit seiner Schaf- und Ziegenkäseproduktion einfährt. Es ist schön zu sehen, wie Äpfel im Laufe einer Saison immer kleiner und schrumpliger werden, sind sie doch nicht chemisch behandelt und gelagert, sondern dürfen ruhig ihrem natürlichen Ende entgegenwelken. Es tut gut mitzubekommen, wie die Menschen, die kleine Anbauflächen betreiben, von ihren Produkten leben können, stolz auf diese sind und fröhlich ihre Stammkundschaft begrüßen, sich nach dem Befinden erkundigen oder einfach über das Wetter herziehen, das ohnehin nie passt.
Die so angebotenen Produkte sind Lebens-mittel im wahrsten Sinne des Wortes. Sie ermöglichen das Leben jener, die sich um deren Anbau und Produktion kümmern und sie spenden Leben jenen, welche sie verzehren. Es stimmt schlichtweg nicht, dass sich Menschen mit einem kleinen Portemonnaie diese Produkte nicht leisten könnten. Auch mein Portemonnaie ist nicht prall gefüllt, aber ich laufe zu Fuß einkaufen, mit meinem kleinen Einkaufswagen, den ich hinter mir herziehe und brauche so weder Auto noch dazugehöriges Benzin. Ich kaufe nur soviel ein, wie mein Mann und ich, oder gegebenenfalls unser Besuch, innerhalb der nächsten Tage verzehren können, und ich verarbeite alle Lebensmittel in meiner Küche selbst, und, schenke ich den Bekochten Glauben, das auch sehr gut. Ich brauche für meinen Mann und mich am Tag im Schnitt 10 Euro für Lebensmittel und bestreite damit Frühstück, Mittag- und Abendessen. (Feiertage ausgenommen, da gönnen wir uns öfter teurere Produkte) Was ich hier nicht einrechne, ist die Zeit der Lebensmittelbeschaffung und jene des Kochens. Aber das machen die anderen auch nicht.
Mittlerweilen ist es schon so weit gekommen, dass die nächste Generation, also meine Kinder und meine Nichten und Neffen uns liebend gerne besuchen, alleine wegen des frisch gekochten Essens. Das freut mich zwar riesig, lässt aber auch Rückschlüsse zu, was sie sonst tagtäglich zu sich nehmen. Da ich der Meinung bin, dass Erwachsene und ältere Menschen Vorbild für die Jugend sein sollten, nehme ich auch alle immer zu meinen Einkaufstouren mit. Zu Fuß, oder mit der Straßenbahn, versteht sich. Tratsche mit den Händlerinnen und Händlern, frage nach bestimmten Zutaten die ich nicht sehe, die man mir aber fast immer gerne besorgt, verändere ad hoc den Kochplan für die kommenden Tage, wenn es etwas Frisches gibt, das gerade im Überfluss angeboten wird, oder auch etwas ganz Besonderes, dass nur alle heiligen Zeiten einmal den Weg zum Verkaufsstand findet, und freue mich dann zuhause über die Maßen, all die frischen Lebensmittel auszupacken, noch einmal zu begutachten und je nach Anforderung dann zu verstauen. Dass meine jungen Begleiterinnen und Begleiter sich das eine oder andere aussuchen und mitnehmen dürfen, das sie verlockend anlacht, versteht sich von selbst. Ich kann Ihnen meine Freude an diesem Geschehen ja nur dann vermitteln, wenn sie selbst auch Freude daran haben.
Es ist zur Kunst geworden, das bewusste Einkaufen. So wie es eine Kunst ist, Gerichte auf das Köstlichste zuzubereiten. So wie es eine Kunst ist, Achtung vor der Arbeit all jener zu haben, die sich mit der Produktion beschäftigen. Es ist zur Kunst geworden, mit dem kleinen Lebensmittelhändler von Nebenan einen kurzen Tratsch zu halten, so wie es zur Kunst geworden ist, bewusst auf eine supergünstige Großpackung Karotten zu verzichten und lieber nur zwei Stück beim Biohändler einzukaufen, die zwar teurer sind, dafür aber im Kühlschrank auch nicht vergammeln, ob der Übermenge. Es ist eine Kunst, Vielfalt auf den Tisch zu bringen und sich und den Seinen damit eine Freude zu bereiten. Und Kunst tut mir immer gut – egal in welcher Form und ich glaube, nicht nur mir.