Straßburg, du Kulturvolle!
23. September 2009
Eröffnung des Festivals Musica Als Österreicherin, seit 4 Jahren an verschiedenen Orten im Ausland lebend, habe ich eine Stadt gefunden, die (fast) alle meine kulturellen Wünsche erfüllt. Und das in einem Ausmaß, welches für mich vorher nicht vorstellbar gewesen war. Ich spreche von Straßburg oder auf französisch Strasbourg, der Hauptstadt des Elsass. Das kulturelle Angebot […]
Michaela Preiner
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Eröffnung des Festivals Musica

Als Österreicherin, seit 4 Jahren an verschiedenen Orten im Ausland lebend, habe ich eine Stadt gefunden, die (fast) alle meine kulturellen Wünsche erfüllt. Und das in einem Ausmaß, welches für mich vorher nicht vorstellbar gewesen war. Ich spreche von Straßburg oder auf französisch Strasbourg, der Hauptstadt des Elsass. Das kulturelle Angebot ist – obwohl die Stadt nicht mehr als 280.000 Einwohner hat (mit dem Umland aber immerhin knapp eine halbe Million!) – riesengroß, und vieles davon ist für die Bevölkerung kostenfrei zu konsumieren. Dies hängt damit zusammen, dass die jetzige Stadtregierung unter ihrem Bürgermeister Roland Ries dafür Sorge trägt, dass Kultur für möglichst viele Menschen frei zugängig ist.

Fresco - Strasbourg

Blasorchester anlässlich der Musica Eröffnung in Strasbourg

So geschehen zum Beispiel am vergangenen Wochenende, an welchem das Festival Musica, ein Festival für zeitgenössische Musik eröffnet wurde. Dies geschah am Samstagnachmittag mit dem Konzert „Fresco“ für 5 Blasorchester von Luca Francesconi, einem 1956 geborenen Italiener. Dieser ging in seinem Werk der Frage nach, wie man heute Musik aus den heiligen Hallen des Konzerthauses nach außen transportieren könne und schrieb eine Partitur, in welcher er die 5 ausführenden Orchester als „große, musikalische Tiere“ bezeichnet. Jedes Orchester, ausgestattet mit einem Bläser- und Schlagwerkkörper von insgesamt ca. 50 Personen, bewegte sich von jeweils anderen Ausgangspositionen, die ungefähr 500 Meter im Umkreis der Kathedrale lagen, hin zum zentralen Treffpunkt vor der beeindruckenden gotischen Kirche. Die Blasmusikkapellen, rekrutiert aus kleinen Orten des elsässischen Umlandes, spielten ein und das selbe Stück während ihres Ganges zum Münsterplatz immer und immer wieder. Genauer gesagt waren es 5 Landeshymnen, wobei jeder Klangkörper nur eine Hymne intonierte. Man konnte einem Orchester zu Fuß auf seinem Weg zum Zielpunkt folgen und hörte, je näher man diesem Platz kam, auch von ferne die Klangfetzen der anderen Kapellen. dem Platz vor der Kathedrale befanden sich die Zuhörer zwischen den einzelnen Orchestern, die sich sternförmig postiert hatten. Sie hatten sich nach dem Zufallsprinzip an ihren Plätzen eingefunden, teils waren sie unwissend als Passanten dazugekommen, teils hatten sie die Aufführung jedoch auch erwartet, ihr jeweiliger Standplatz ergab sich aber aus der Verschiebung der Menschenmasse, die den Orchestern Platz machen mussten. Nun folgten die Musiker einem jungen Dirigenten, der die 5 Orchester als eine Formation dirigierte. Die klangintensive Musik bewegte sich in Wellen zwischen den einzelnen Kapellen hin und her und schwoll bis zu ihrem Höhepunkt an, ohne jedoch danach abrupt zu enden. Denn die Musiker innen und Musiker begannen, sich spielend zurückzuziehen, indem sie sich ihren eigenen Weg durch die Menschenmenge, weg vom Platz bahnten. Auf diese Weise verklang das Stück auf andere Weise, wie es in der

Aiuftakt der Musica am Münsterplatz in Straßburg

Auftakt der Musica am Münsterplatz in Straßburg

Anfangsphase zu hören gewesen war. Die Individualität der Musiker und Musikerinnen stand nun im Vordergrund, ganz im Gegensatz zur den zuvor parademäßig aufgeführten Orchesterformationen. Luca Francesconi begeisterte das Publikum mit einem komplexen Werk, das durch seine choreographierte Aufführung durch die Innenstadt, auch ein kulturpolitisches und soziales Statement abgab. Für viele der Musikerinnen und Musiker dürfte das Einstudieren der zeitgenössischen Partitur eine Herausforderung und Neuland gewesen sein – für viele Passanten ein gänzlich neues Hörerlebnis. Das Eintauchen in zeitgenössische Musik, das oft als sperrig und unangenehm bezeichnet wird, gewann hier gänzlich ungezwungenen Charakter mit Klangerlebnissen, welche auch mit der Neugier der Passanten spekulierte. Ein wunderbarer Auftakt, der deutlich machte, dass zeitgenössische Musik keineswegs nur von einer musikalisch gebildeten Elite konsumierbar ist. Es war wunderbar zu sehen, wie sich die Menschen, von den kleinen Kindern bis hin zu Seniorengruppen, die Straßburg offenkundig touristisch erkundeten, neugierig nach den Klangwolken umhörten, lauschten, lachten, klatschten und sich als Teil der Aufführung verstanden. Besser kann Kultur nicht unter ein Publikum gebracht werden! Hier können Sie sich das Konzert ansehen:

Der Sonntag schließlich glänzte mit 18 Konzerten bei freiem Eintritt, die zum großen Teil von Studierenden des Straßburger Konservatoriums gestaltet worden waren. Aber auch bekannte und herausragende Solisten und Ensembles nahmen daran teil, ohne dass das Publikum dafür Karten hätte kaufen müssen. Im Aufführungsgebäude, der „Cité de la musique et de la danse“, das über zahlreiche Konzerträume verfügt, konnte man fast nahtlos nacheinander den ganzen Nachmittag Konzerten zeitgenössischer Musik beiwohnen. Die Palette reichte von Komponisten, die in ihrer Musik Bezüge zu Johann Sebastian Bach aufzeigen, über ein Konzert des Ensemble Ictus, einer belgischen Formation, die mit der Minimalmusik von Tom Johnson auftrat, bis hin zur Jazzformation Spoon, einem Trio, welches sich aus Musikstudenten der Jazzklasse zusammensetzte. Die vollen Räume zeigten, wie groß das öffentliche Interesse an Aufführungen dieser Art ist und das es nicht stimmt, dass zeitgenössische Musik nur schwer an Frau oder Mann gebracht werden kann. Insgesamt nahmen 2300 Menschen an diesem Nachmittag an den Konzerten teil, was keiner weiteren Kommentierung mehr bedarf.

Die Jazzer der Gruppe Spoon brachte die kleine Cafeterie, in der sie ihr Konzert gaben, zum Kochen. Ihre selbst komponierten Stücke mit freejazzigen Passagen und exakt durchexerzierten, teilweise rhythmisch rasch wechselnden Stellen brüllten und hämmerten, jammerten und pochten, je nachdem wie die Instrumente zum Einsatz gelangten. Herausragend war der junge Bassist Stéphane Clor, der sein Instrument nicht als Begleit- sondern als solistisches Tonwerkzeug versteht und auch so einsetzt. Er zeigte in den 45 Minuten, welcher Klangreichtum aus einer Bassgitarre zu holen ist und führte streckenweise das Ensemble mit Bravour. Zu bewundern waren aber auch der Saxophonist Colin Petit und der Schlagzeuger Anatole Petit, deren körperlicher Einsatz schon beinahe schmerzend am eigenen Leib nachempfunden werden konnte. Ein tolles Konzert, bei welchem vor allem die Aufführungs- und Spielfreude der jungen Musiker, ganz abgesehen von ihrer Musikalität, beeindruckte.

Was die Jazzmusiker an Überfülle boten, glich das Ensemble Ictus mit seiner minimalistischen Musik von Tom Johnson wieder völlig aus. In vier Stücken, begleitet vom Erzähler Jean-Luc Fafchamps, selbst Komponist und Pianist und Ensemblemitglied von Ictus, zeigten die Musiker, dass Musik auch einem rein mathematisch- logischen Kompositionsprinzip folgen kann. Das Umwerfende daran war die den Stücken, durch die kleinen Erzählungen davor, innewohnende Komik, wenn zum Beispiel Johnson erklärt, wie viele Möglichkeiten es gibt, 4 Männer und 4 Frauen an einem Tisch zum Essen zu versammeln. Jedem Mann und jeder Frau wurde ein bestimmter Ton zugeteilt und je nach Sitzordnung, erklangen dann die Töne abwechselnd hintereinander. Ein Riesenspaß, der auch mathematisch unbegabten Menschen zeigte, dass das Spiel mit Zahlen interessant und lustig sein kann. Eine wahrlich tolle Vorführung, die minimalistische Musik einmal von einer anderen, lustvollen Seite zeigte.

Zu hören sind einige der Konzerte, welche durch Arte und france musique aufgezeichnet wurden hier:

Ganz nebenbei sei noch erwähnt, dass am Samstag eine Gratisaufführung einer Musikrevue zu sehen war, die das Leben des Dada-Künstlers Jean Hans Arp unterhaltsam ausschnitthaft nachvollzog. Mehr über diese Vorstellung gibt´s jedoch in einem gesonderten Bericht in den nächsten Tagen.

Aufgrund der Straßburger Kulturpolitik ist es möglich, Kunst auf hohem Niveau zu genießen, ohne dafür ein Sparbuch opfern zu müssen. Ein Beispiel, das in Europa Schule machen sollte!

Weitere Informationen gibt´s auf der Webseite von Musica: https://www.festival-musica.org/edito

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