von Michaela Preiner | Apr 11, 2017 | Kulinarium
Alle, die schon einmal Karotten frisch am Marktstand kauften, kennen das Prozedere. Kurz nach der Auswahl des bevorzugten Bundes macht es meist auf eigenen Wunsch „ratsch“ und das Karottengrün ist ab. Danach landet es in einer Kiste zur Entsorgung oder – im idealeren Fall – bei glücklichen Stallhasen, für welche die zarten Triebe und Blätter eine Delikatesse sind. Zuhause dann erfahren die orange-roten Stangen eine weitere Behandlung: Sie werden geschält und die Schale – weggeworfen. Mit dieser Vorgangsweise soll jetzt Schluss sein! Schon seit Längerem beschäftigt sich der österreichische Spitzenkoch Johann Reisinger mit der totalen Verwertung von Gemüse, Obst, Fisch und Fleisch. Im Falle der Karotten heißt das bei ihm: Das Grün bleibt, bis man zuhause ist, dran und wird zu mannigfaltigen Gerichten verkocht. Die Karottenschalen werden nicht entsorgt, sondern auch verschiedenen, neuen Geschmacksbestimmungen zugeführt. Daraus lässt sich ein wunderbarer Karottenjus kochen, Rückstände davon kommen in getrocknetem Zustand in Süßspeisen und, und, und. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Vom Blatt bis zur Wurzel
„Leaf to root“ nennt sich dieses Prinzip – zu Deutsch: Die komplette Verwertung eines Gemüses von den Blättern bis zur Wurzel. Dass das Hauptstück dazwischen auch verkocht oder anders zubereitet wird, versteht sich von selbst.

Leaf to Root (c) Sylvan Müller, AT Verlag/ www.at-verlag.ch
„Wir haben uns manchmal tatsächlich gefragt, was wir mit dem „Filetstück“ machen“, erzählte Esther Kern schmunzelnd bei einer Kochbuchpräsentation der besonderen Art. Sie ist Co-Autorin von „Leaf to Root“, für das sich Pascal Haag, seines Zeichens der erste Schweizer Veggie-Koch, insgesamt 70 Rezepte einfallen hat lassen. Mit Sylvan Müller, der die Gerichte fotografisch in Szene setzte, bildeten sie ein fulminantes Trio, das sich nicht nur auf die Suche nach Rezepten machte, sondern auch nach Menschen, welche sich dieser Art der Speisezubereitung verpflichtet fühlen. Und kamen dabei auf Johann Reisinger, einem Pionier in Sachen Rundumverwertung von Lebensmitteln. Er nahm sie mit auf seinen Acker in der Süd-Ost-Steiermark und zeigte ihnen, wie man Federkohl erntet und sogar gleich vor Ort zubereitet.

Tischdeko Blatt und Wurzel (c) European Cultural News
Das war für Kern, die auch für die Recherche zu dem Kochbuch zuständig war, ein großer Input. Von dieser „exotischen“ Demonstration nahm sie die Idee mit, dass schier jedes Teil einer Pflanze essbar ist, auch wenn es auf den ersten Blick gar nicht so aussieht und: Sie erfuhr von Reisinger, was das Wort „zuzeln“ bedeutet. Denn den dünnen, aber holzigen Wurzeln des Federkohls kann man genießerisch nur auf diese Weise zu Leibe rücken.
Das Buch vereint neben nachkochbaren Rezepten auch Interviews und Statements von anderen Expertinnen und Experten, die das Thema schon länger beschäftigt. Höchst praktisch: Es weist gleich mehrere, übersichtliche Gliederungen auf. Darin kann man sowohl nach einer bestimmten Gemüseart suchen, aber sich auch von den in den Registern Vor- Haupt- und Nachspeise, Frühstück, Eingemachtes etc. angeführten Gerichten inspirieren lassen.
Verwenden Sie schon Rotkohl- und Brokkolistrünke?
So gibt es zum Beispiel für die schmackhafte Verwertung von Rotkohlstrünken oder jenen von Brokkoli Rezepte. Dass Kartoffelschalen ein leckeres Süppchen ergeben, dürfte für die meisten auch genauso neu sein wie die Tatsache, dass sich auch Kürbistriebe in einem Curry gut machen. Schon beim Schmökern fragt man sich, warum man bis jetzt noch nie auf die Idee gekommen ist, die Wurzeln von Frühlingszwiebeln zu kosten oder die ausgepulten Erbsenschalen einer neuen Verwendung zuzuführen.

Leaf to Root, Schupfnudeln, Federkohl (c) Sylvan Müller, AT Verlag/ www.at-verlag.ch
Rund 50 Gemüsesorten werden einzeln vorgestellt und die verwertbaren Teile näher betrachtet. Auf diese Weise muss man nicht erst selbst in die Experimentierphase gehen, sondern kann auch gleich seiner eigenen Kreativität freien Raum lassen, um zu verkochen oder auch roh zu verwenden, was bislang immer achtlos weggeworfen wurde. Das Gros der beschriebenen Gemüsearten wie Sellerie, Spargel oder Erbsen ist allen bekannt. Aber es kommen auch „Exoten“ vor, die nicht alle Tage zu finden sind – weder im Supermarkt, noch auf einem gut sortierten Bauernmarkt, wie der bereits zitierte Federkohl. „Eigentlich sollten alle, die gesund kochen möchten, einen eigenen Garten haben“ – so die Maxime von Johann Reisinger. Zum Glück tut es auch ein Bio-Gemüsebauer des Vertrauens, denn gerade bei der Verwertung von Blättern oder Wurzeln sollte tunlichst auf eine chemische Beilage, die man sonst vielleicht gratis mitgeliefert bekommt, verzichtet werden. Dass Regionales und Saisonales importierter Ware vorzuziehen ist, muss nicht weiter erklärt werden.
Bei der Buchpräsentation im Future Food Studio von Hanni Rützler stand Reisinger gemeinsam mit Haag hinter dem Herd, um Schmankerln und Kostproben anzubieten, die so garantiert noch nicht verkostet wurden. Kredenzt wurden unter anderen Köstlichkeiten eine klare Essenz von der Petersilienwurzel und ein Bulgursalat mit Karottengrün und Chili. Was man bei dieser Präsentation auch lernte: Es macht unglaublich Spaß, den Geschmack dieser bislang völlig negierten Gemüseteile zu entdecken und wer einmal von dieser Idee angefixt ist, kommt eigentlich gar nicht umhin, „Leaf to Root“ in seine eigene Kochbuchsammlung aufzunehmen.
Bio-Weine vom Feinsten
Das Tüpfelchen auf dem i steuerte der junge, steirische Bio-Winzer Gottfried Lamprecht bei. Seine Reben, auf uralten Stiftslagen um Vorau herum kultiviert, hat er erst im letzten Jahrzehnt zusammengetragen. Um die 100 Raritäten sind es bis jetzt, wobei er ungefähr 50 zu einem gemischten Satz verarbeitet, der seinesgleichen sucht. Unglaublich ausgewogen und mit schier unzählbaren Geschmacksnoten versehen, straft dieser Wein all jene Lügen, die glauben, dass eine Bioproduktion keinen Weingenuss hervorbringen kann, der auch allerhöchsten Ansprüchen genügt. Die Hälfte seiner Fässer sind aus Eichenholz aus dem eigenen Wald gemacht. Dafür arbeitet er mit einem der letzten Fassbinder in Österreich zusammen, der in der Südsteiermark zuhause ist. „Mehr Fässer kann ich leider nicht produzieren lassen, denn ich muss ja auch auf die Nachhaltigkeit meines Waldes aufpassen“, erklärte der sympathische Winzer bei der Verkostung seiner Schätze. Einmal im Jahr hält er gemeinsam mit Reisinger ein sogenanntes Pur-Seminar ab. Wobei Pur keine Abkürzung ist, sondern tatsächlich das pure Geschmackserlebnis andeutet, das in Lamprechts altem Weinkeller geboten wird.

Heinz Reitbauer, Johann Reisinger, Esterh Kern, Pascal Haag (c) European Cultural News
Die Präsentation vermittelte neben jeder Menge Geschmack auch noch eine Reihe von Informationen aus der Gastrolandschaft selbst. Heinz Reitbauer vom Steirereck, erst vor wenigen Tagen im Rahmen der „World’s 50 best restaurants – Verleihung“ zum 10.besten Lokal weltweit erkoren, erzählte von seinem Kräutergarten auf dem Dach seines Lokales mitten in Wien. Zwischen 130 und 150 unterschiedliche Kräuter werden dort angebaut, ein Drittel davon landet dann tatsächlich auch auf den Tellern der Gäste. Dass in seinem Lokal der geschmackliche Aspekt bei der Verwendung ungewöhnlicher Gemüseteile im Vordergrund steht und dass es ökologisch nicht zielführend ist, alle Wurzeln von jedem Gemüse aus dem Boden zu entfernen, machte bei seinem Statement deutlich, wie breit und bunt die Meinungspalette zu diesem Thema von den Kochgrößen unserer Zeit ist. Aber auch für ihn – wie für alle anderen – ist der Respekt vor dem Produkt ein hervorstechender Motivator, um möglichst viel davon zu verwerten.
Eines steht fest: Auch nur ein flüchtiger Blick in dieses Buch genügt, um beim nächsten Karotten-Einkauf den Gemüsehändler mit folgender Bitte zu verblüffen: „Das Grüne bitte dran lassen!“
„Leaf to Root“ ist eine prall gefüllte Ideen-Schatzkiste, die gänzlich neuartige, ungeahnte Genusserlebnisse verspricht. Das Buch ist im AT-Verlag erschienen, sowohl online als auch in allen gut sortierten Buchhandlungen erhältlich. Es kostet beim Verlag Euro 51,30 und hat stattliche 320 Seiten.
von Michaela Preiner | Mrz 1, 2016 | Kulinarium, Wien kulinarisch
„Noch eine Minute, dann muss der Fisch raus! Raus damit Kevin, raus damit!“ Der große Mann in der schwarzen Kochmontur, der laute Anweisungen gibt, steht hinter einem Anrichtetresen in einer Küche der Hertha Firnbergschulen in Wien. Vor ihm, an und zwischen den Töpfen und Schneidbrettern agiert Kevin Micheli. Er ist gerade dabei, sich für die Europarunde des Bocuse d`or in Budapest zu qualifizieren. Sein Coach, Moses Ceylan, ausgerüstet mit mehreren Eieruhren, die er vor sich aufgebaut hat, lässt ihn keine Sekunde aus den Augen und unterstützt in verbal. Die beiden arbeiten gemeinsam im Einstein in St. Gallen und bilden mit Sebastian Zier an ihrer Seite ein Triumvirat, das auf Sieg aus ist. Zier achtet mit Argusaugen auch auf jeden einzelnen Handgriff von Paul Berberich, dem Commis von Micheli.
Kevin Micheli mit seinem Commis Paul Berberich
Kevin Micheli in Aktion
Stefan Csar in der Ruhe liegt die Kraft
Am zweiten Arbeitsplatz in der Küche werkt Stefan Csar gemeinsam mit seinem Commis Manuel Kollmann. Csar übersiedelte in den letzten Tagen erst von der “Heimatliebe“ in Kitzbühel ins Burgenland, zum Wachter-Wieslers Ratschen in Deutsch-Schützen. Auch er würde gerne nach Budapest reisen, um sich von dort nach Frankreich zu kochen, nach Lyon, wo 2017 im Rahmen des Bocuse d`or der beste Koch der Welt gekürt werden wird. Ruhig und konzentriert arbeitet er, gibt hin und wieder kurze Anweisungen, zeigt zwischendurch Kollmann noch den einen oder anderen Handgriff. Im Gegensatz zu Micheli, der sich für diesen Auftritt ungefähr eine Woche vorbereitet hat, war es bei Csar nur ein einziger Tag. Die Übersiedlung von Tirol ins Burgenland hat Zeit gekostet, seinen Commis hat er erst wenige Tage vor dem Ereignis kennengelernt. Dennoch lässt sich das Ergebnis, das er auf die Teller zaubert, sehen.
Zu einem großen Teil mitverantwortlich, dass der Wettkampf in den Herha Firnberg Schulen stattfinden konnte, ist Johann Reisinger, der dort gemeinsam mit vielen anderen ehemaligen Großen der österreichischen Gastronomieszene unterrichtet. Anerkannter Spezialist auf dem Gebiet von ursprünglichen Lebensmitteln, erarbeitete er mit der Klasse von Günter Plessl an diesem Tag einige Gemüsegerichte, die schon ein wenig in die großen Gerichte der beiden Jung-Köche einstimmen. Helmut Österreicher wiederum kümmert sich an diesem Ausnahmetag mit seiner Jungmann- und –frauschaft um einen Teil der Desserts. Die Qualität der Lehrer ist ausschlaggebend für die Ausbildung der Schülerinnen und Schüler, die hier ihr Handwerkszeug erlernen. Ein Tag wie dieser, ist allerdings etwas ganz Besonderes. Dominik Gfällner und Anna Maria De Oleivera-Zeiser, noch in der Reisinger-Klasse, haben die Ehre, direkt in der Küche der beiden Nominierten dabei zu sein. Die junge Dame unterstützt das Micheli-Team, Gfällner steht Csar zur Seite. Dabei bekommen sie live mit, was es heißt, sich unter die Besten der Besten kochen zu wollen.
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Die Jury beim Voting
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Kevin Micheli Hirschkalbsrücken (Foto: ECN)
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Kevin Micheli – Stör
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Stefan Csar – Essenz für den Fischgang
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Stefan Csar – Hirschkalbsrücken
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Stefan Csar – Stör
Konzentration ist oberstes Gebot, auch wenn rundherum mindestens 20 Menschen stehen, die beim Arbeiten zusehen. Journalistinnen und Journalisten genauso wie die Crème de la Crème der österreichischen, gehobenen Gastronomie. Heinz Reitbauer, Sepp Brüggler, Silvio Nickol, Sepp Schellhorn, Rudi Obauer in seiner Funktion als Präsident des National Organizing Committees des Bocuse d’Or , Thomas Göls, Karl Obauer, Simon Taxacher, Thomas Dorfer, Martina Hohenlohe, Philip Rachinger, Martin Klein – sie alle sind nach Wien gekommen, um nach einem strengen Punktesystem den Sieger zu küren.
Die Jury lässt es sich ebenfalls nicht nehmen, den Köchen bei ihren Vorbereitungen zuzusehen und nebenher fachzusimpeln. Wer so ein Gedränge nicht aushält, ist Fehl am Platz. Es ist eine kleine Vorbereitung für das, was im Europafinale und erst recht in Frankreich selbst auf sie wartet. Nicht nur Lebensmittel, Zutaten und kleine Gerätschaften haben sich die Köche nach Wien mitgebracht. Aus St. Gallen ist man gar mit einem ganzen Lieferwagen angereist in den die verschiedensten Küchengeräte eingepackt wurden. Und doch schlägt der Live-Dämon dem gut vorbereiteten Micheli ein kleines Schnippchen. Als er mithilfe einer Edelstahl-Schablone seine Spinatkomposition in Form einer großen See-Alge auftragen will, kommt der Schock. „Die Teller sind leicht uneben!“ Damit hat der junge Mann nicht gerechnet. Nach den ersten beiden Fehlversuchen, unter Zeitdruck wohlgemerkt, hat er dann doch den richtigen Dreh gefunden und produziert bildschöne Fischteller.
Für beide Kandidaten gibt es ein Generalmotto – Stör soll beim Fischgang serviert werden und Hirschkalbsrücken beim Fleischgang. So kann die Jury halbwegs angemessen vergleichen. Wie individuell die Gerichte dann ausfielen, mit wie viel Eleganz und Kreativität sie angerichtet wurden, hatte wirklich große Klasse.
Stör mit Mousse in der Kartoffel, Gurke, Rettich und Avocado nannte sich Csars Fischgang. Stör mit Kaviar, Kräutern, Topinamur und Beurre blanc jener von Micheli. Etwas untertrieben, wenn man sich die ausgefallenen Zubereitungsmethoden der Kreativköche näher ansah.
Hirschkalbsrücken mit Sellerie, Sanddorn, grünem Apfel und Trüffel gab es als Fleischgericht bei Csar. Micheli überzeugte mit seinem Hirschkalbsrücken mit Trüffeln, Gänseleber und ebenfalls Sellerie.
So hektisch die ersten Stunden in der Küche auch verliefen – je näher der Ausgabetermin der Gerichte nahte, umso ruhiger wurde es dort. Nicht nur, dass die Gäste das Beisammensein im festlichen Foyer für einen ausgiebigen Austausch untereinander nutzten. Die Köche selbst hatten den Großteil ihrer Arbeit hinter sich. Das Anrichten zum Schluss ist nur mehr die Kür, die Pflicht ist nur mehr durch einen Arbeitsplatz gekennzeichnet, der noch aufgeräumt werden muss.
Johann Reisinger – Wurzelküchlein
Helmut Österreicher: Mohnkoch mit Himbeeren (Foto: ECN)
Günther Plessl – Maronisoufflee mit Blutorangensorbet
Helmut Österreicher – Pinienküchlein auf Marillenspiegel und Physalis
Die Entscheidung war denkbar knapp. Rudi Obauer bedauerte, dass es nur einen Sieger geben kann, denn immerhin schafften beide über 700 Punkte. Er sei „wahnsinnsfroh“, dass für diesen Tag alles vorbei ist. Man merkte ihm, aber auch dem Zweiten, Stefan Csar die Erleichterung richtig an. Was für Kevin Micheli und sein Team nun eine weitere Runde mit immenser Vorbereitung bedeutet, für die die Zeit bereits läuft, ist für Stefan Csar nun nur mehr eine Episode in seiner Karriere. Er startet jetzt mit Volldampf an seinem neuen Arbeitsplatz im Südburgenland und wird dort die Gäste vielleicht auch mit jenen Gerichten erfreuen, die er bei der Bocuse d`or Ausscheidung in Wien gekocht hat.
von Michaela Preiner | Jan 25, 2016 | Kulinarium

Die große Markthalle in Budapest (c) Aktron / Wikimedia Commons
Eines der markantesten Gebäude in Budapest ist die große Markthalle (Nagy Vásárcsarnok), offiziell Zentrale Markthalle (Központi Vásárcsarnok) genannt. Sie befindet sich nur wenige Schritte von der Freiheitsbrücke und der Wirtschaftsuniversität entfernt und ist bestens an den öffentlichen Verkehr angebunden. Das muss sie auch sein, denn wer dort hineingeht, um einzukaufen, kommt garantiert mit vielen Schätzen beladen wieder heraus. Mit 10.000 Quadratmetern ist sie eine der größten Markthallen in Europa und nicht nur wegen ihres lukullischen Angebotes sehenswert.
Auch die Architektur ist beeindruckend und ein typisches Beispiel jener Zeit, in der Ungarn und Österreich ein und denselben Herrscher hatten. Der Austausch der Architekten zwischen Wien und Budapest in der Zeit Kaiser Franz Joseph I, der 1867 auch zum König von Ungarn gekrönt wurde, ist noch heute den beiden Stadtbildern anzusehen. Als in Wien die Ringstraße erbaut wurde, erlebte auch Budapest eine Hausse in der innerstädtischen Bebauung. Was nur wenige wissen: 1897 wurden exakt am selben Tag nicht nur die große Markthalle, sondern auch vier weitere in Budapest eröffnet. Das hat nichts mit einem Zufall zu tun, sondern kam aufgrund einer Weisung des Gesundheitsministeriums der Österreich-Ungarischen Monarchie zustande. Es hatte den bis dahin üblichen, offenen Verkauf von Lebensmitteln direkt von Pferdekarren entlang der Andrasy ut – heute der prächtigsten und teuersten Einkaufsstraße Budapests – und jenen entlang der Donau aus Hygienegründen verboten. Für die Aufrechterhaltung der Nahversorgung der Stadt wurden aus diesem Grund zugleich fünf Markthallen geplant und gebaut, die es heute, nach Renovierungen in den 80er Jahren, alle noch gibt.

Teilansicht der großen Markthalle noch mit der Weihnachtsdekoration, aufgenommen Anfang Jänner 2016 (c) European Cultural News
Die große Markthalle, wie auch die kleineren Schwestern und Brüder, basieren auf einer für damalige Zeiten höchst modernen Stahl-Glas-Konstruktion, wenngleich auch von unterschiedlichen Architekten ausgeführt. Der Grundriss der großen Markthalle, geplant von Samuel Petz, gleicht der einer Kathedrale mit einem Lang- und zwei Seitenschiffen. An den Ecken wurden zusätzlich große Türme aufgezogen. Eröffnet wurde sie in Anwesenheit von Franz Josef I. Ein Zeichen, für wie wichtig diese städtebauliche Maßnahme erachtet wurde.
Genug Geschichte. Wer sich heute in die Markthalle begibt, findet ein breit gefächertes Angebot von Waren vor. In der zentralen, ebenerdigen Halle, die nicht geheizt ist und im Winter die Lebensmittel auch ohne Kühlung wunderbar frisch hält, findet sich alles, was Herz und Magen begehren. Dass die Ungarn und Ungarinnen gerne Fleisch essen, fällt sofort auf. Es gibt unzählige Stände, die Frischfleisch verkaufen. Hauptsächlich Schwein, aber auch jede Menge Geflügel. Vom Huhn bis hin zu Ente und Gans ist alles fein säuberlich aufgeschlichtet. Und nicht nur die Gusto-Stückerln.
Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Frische Brat- und Blutwürste und eine gewürzte Fleischfüllung (c) Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Grammeln oder auch Grieben in der Markthalle in Budapest (c) European Cultural News
Sämtliche Innereien, aber auch Schweine- oder Hühnerbeine, unerlässlich für Suppen und Fonds, aber auch Speck in allen Varianten, bis hin zu Grammeln, oder wie man in Deutschland dazu sagt, Grieben und nicht zu vergessen Gänsefett, werden verkauft. Wer gerne Gänsestopfleber isst, findet hier mehrere Stände, die diese Delikatesse nicht nur bereits fertig als Pasteten in Dosen, sondern auch frisch, meist vakuumiert, anbieten.

Gänseleberpastete in der Markthalle in Budapest (c) European Cultural News
Ungarn ist neben Frankreich eines jener Länder, in denen dieses Nahrungssmittel eine lange kulinarische Tradition aufweist, ja mehr noch: Ein nicht unerheblicher Anteil der ungarischen Produktion wird sogar nach Frankreich exportiert. Rindfleisch ist auch zu finden, wenngleich seltener, aber von sehr schöner Qualität. Auffallend ist natürlich die große Palette an unterschiedlichen getrockneten Würsten. Salami in jeder Ausführung, aber, wenngleich nur an wenigen Ständen, auch frische Brat-, Leber- und Blutwürste und ein bereits fertig gewürztes Brät, mit dem man wunderbar Gemüse und Kartoffel füllen kann. Wer sich so etwas kauft, der muss schon in Budapest selbst eine Küche benutzen dürfen oder besitzen, denn diese frischen Würste sind für einen weiten Transport leider ungeeignet. In eine Thermostasche verstaut, ausgestattet mit Cooling-Packs, überstehen diese aber zumindest in der kalten Jahreszeit eine Fahrt bis nach Wien.
Neben Fleisch gibt es eine wunderbare Auswahl an Obst und Gemüse. Wobei die vielen Arten von Paprika, begonnen vom Frische-Angebot, bis hin zu den getrockneten Schoten, im wahrsten Sinn des Wortes ins Auge stechen.
Frische Paprikaschoten (c) Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Getrocknete Paprikaschoten (c) Markthalle Budapest (c) European Cultural News

Parika scharf und frisch (c) Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Ob von der Decke oder den Tischen der Buden hängend, oder auch so aufgebaut, dass man direkt mit der Nase drauf stößt – an rotem, ungarischem Paprika kommt man nicht vorbei. Und kann diesen auch fein pulverisiert in den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen in kleinen Säckchen oder Dosen mitnehmen. Ein unerlässliches Gewürz in der ungarischen Küche, das nicht nur Gulasch oder Pörkölt seinen unvergleichlichen Geschmack verleiht. Auch im Liptauer ist er zu finden. Wer diesen einmal frisch kaufen möchte, der kann dies an einem der großen Stände nahe des Haupteingangs tun.
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Gemüse in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
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Gemüse in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
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Gemüse in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
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Käse in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
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getrocknete Paprika und Gemüse in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
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Gewürze und getrocknete Paprika in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Dort gibt es nicht nur frischen Liptauer, der in kleine Plastikbehälter für die Kundschaft abgepackt wird, sondern auch bröseligen Topfen – unerlässlich für eines der Nationalgerichte –Topfen-Haluschka (túrós csusza). Beim selben Stand gibt es eine wahre Spezialität, die man sich wirklich nicht entgehen lassen sollte, wenn man gerne kocht. In Plastikkübeln stehen dort, fein nebeneinander gereiht, fertiger Powidl, Hagebuttenmark, eingekochte Kirschen und eine Art Marillenröster.

Powidl, einkochte Marillen und Kirschen und Hagebuttenmark (c) European Cultural News
Unerlässlich für Mehlspeisen, wer sich aber die Backarbeit nicht antun möchte, der kreiert daraus köstliche Desserts mit Joghurt, Rahm oder Eis. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Weil wir schon bei den süßen Naschereien angelangt sind: Selbstverständlich gibt es auch hier viel Lokales wie Mohn- oder Nussbeugerl, frisches Germgebäck, bei unserem Besuch im Jänner auch noch jede Menge Kekse, Torten und Kuchen.
Noch ein kleiner Tipp für Feinspitze: Wer genau schaut, der findet an einigen Ständen russischen Kaviar. Nicht nur die üblichen Varianten sind zu finden, sondern auch der viel mildere, weil weniger gesalzene Malossol findet seine Abnehmer – zu Preisen, von denen man westlich von Ungarn nur träumen kann. Ein wohl martkhistorisches Überbleibsel aus Zeiten, in denen der Kommunismus vom Ural bis zur Donau die besser betuchtere Bevölkerung mit diesem Luxus versorgte.
Im Souterrain befindet sich seit Kurzem eine Aldi-Filiale, einige Stände mit einer weiteren Spezialität: Eingelegtem Gemüse, das kunstvoll geschichtet, die Kundschaft aus seinen Gläsern anlacht.

Eingelegtes Gemüse in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Kochlöffel in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Kühlschrank-Magnete in der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
Die Fischstände sollte man morgens besuchen, am Nachmittag haben alle, bis auf zwei, schon geschlossen. Und wer Lust hat, kauft sich zur Erinnerung noch ein kleines Mitbringsel für die Küche. Kleine Gulaschkessel, zum Anrichten auf dem Tisch, oder hölzerne Kochlöffel mit Smiley-Branding erinnern auch noch nach Jahren an den Besuch der Markthalle.
Im ersten Stock, in einem schmalen Gang, der rund um die Markthalle verläuft und einen guten Ausblick auf die Stände darunter bietet, werden neben kitschigen, touristisch ausgelegten Handwerksprodukten auch schöne Stickerein und Lederwaren angeboten. Wer suchet, der findet, ist hier die Devise. Wir fanden Gefallen

Perlenbestickte Armbänder aus der Markthalle Budapest (c) European Cultural News
an perlenbestickten Haarreifen und Armbändern, die eine der Frauen vor Ort stickte. Wen nach all den zur Schau gestellten Köstlichkeiten der Hunger überkommt, der kann im ersten Stock auch an einigen der Ständen warme Mahlzeiten erwerben. Haute cuisine wird hier nicht angeboten, wer das erwartet, ist hier fehl am Platz. Was hier gekocht wird, ist mit ungarischer Hausmannskost gut umschrieben. Pörkölt – zu deutsch Gulasch, Gulyas – zu deutsch Gulaschsuppe, Kohlrouladen in unterschiedlichen Varianten und vor allem jede nur erdenkliche Art von gebratenen Würsten mit verschiedenen Beilagen, aber auch süß gefüllte Palatschinken. Schön, dass sich Döner und Pizza hier noch nicht ausbreiten konnten. Muße darf man sich bei der Konsumation allerdings nicht erwarten. Der Andrang ist riesig, der Gang mit den schmalen Tischen und hohen barhocker-ähnlichen Stühlen selbst schmal, aber wenn man keine Platzangst hat, dann darf man sich die Gerichte mitten im Trubel der vielen Touristen, hier auch schmecken lassen.
Wer die große Markthalle in Budapest öfter besucht, der kennt bald auch die Gesichter der Verkäuferinnen und Verkäufer. Eine hohe Fluktuation gibt es hier nicht wirklich. Schließlich sind viele Stände auch schon seit Jahrzehnten in Familienbesitz. Auch wenn es in einigen Artikeln im Internet heißt, dass das Angebot dieser Markthalle überteuert sei und auf Touristen ausgerichtet: Unser Eindruck, aus der Sicht von kulinarisch interessierten Menschen und Viel-Kochern ist der einer großen und qualitativ sehr guten Auswahl, zu Preisen, die unter dem österreichischen Niveau liegen. Und last, but not least: Wo sonst als auf Märkten und in Markthallen kann man mittlerweile Lebensmittel in jeder erdenklichen Maß- und Gewichtseinheit noch offen erwerben?
Fazit: Sehens- verkostens- und kaufenswert!
Wer mehr über die Markthallen von Budapest erfahren will, findet hier einen sehr informativen Artikel auf Englisch, der nicht nur die Geschichte, sondern auch die heutige Nutzung der fünf Hallen sehr gut beschreibt.
Hier finden sich, ebenfalls auf Englisch, Videos, Termine und das Angebot einer 4-stündigen Führung und Verkostung in der großen Markthalle.
Hier ein Artikel über die Kaffeehäuser in Budapest: Kaffehäuser in Budapest: Ein Wintermärchen