Mir wäre es lieb, das Stück hätte keine solche Brisanz

Mir wäre es lieb, das Stück hätte keine solche Brisanz

Wien Modern präsentiert gemeinsam mit dem Tanzquartier eine außergewöhnliche Zusammenarbeit. Der Komponist Bernhard Lang und die Tänzerin und Choreografin Silke Grabinger zeigen ihre Gemeinschaftsarbeit Monadologie XVIII „Moving Architecture“.

Die Idee dahinter ist komplex, die Ausführung ebenso. „Im Moment liegen die Nerven noch blank“, erklärte der Komponist wenige Tage vor der Premiere. Das hängt damit zusammen, dass die Anforderung an die Teilnehmenden extrem hoch sind. Nicht nur der Tänzer und die Tänzerin, sondern auch die Musikerinnen und Musiker sind besonders gefordert. Stehen sie doch ebenso im Rampenlicht und bleiben nicht im Bühnengraben verborgen. Eine völlig neue Erfahrung für das Ensemble Phace, das sich dieser Herausforderung stellt.

„Es gibt nicht viele Ensembles für moderne Musik, die dieses komplizierte Stück aufführen würden.“ Bernhard Lang ist realistisch und voll des Lobes für den außergewöhnlichen Klangkörper. Und schwärmt gleichzeitig von der extra aus New York eingeflogenen Sängerin Daisy Press, einer ausgewiesenen Expertin für Avantgarde-Musik. „Sie hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz und wird das Publikum unglaublich treffen“, sagt Lang voraus.

Das Stück wurde bereits in New York zwei Mal aufgeführt. Das hat damit zu tun, dass es einen direkten Bezug zum Austrian Cultural Forum hat. Jenem von Raimund Abraham konzipierten Bau, der 2002 bei seiner Eröffnung ob seiner ungewöhnlichen Form für Furore sorgte. Andreas Stadler, Leiter des ACF bis 2013, hat Lang und Grabinger anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Baus mit einer Gemeinschaftsarbeit betraut.

„Wir haben gesagt: Das probieren wir – und dann haben wir uns in der Zusammenarbeit „gefunden“, erinnert sich Bernhard Lang. Choreografie und Komposition entstanden parallel, eines beeinflusste das andere – eine sehr ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. „Wir wollten nicht zuerst die Komposition machen und danach die Choreografie“, so Grabinger. „Diese Vorgänge sind gleichwertig und gemeinsam passiert. Wir haben uns gefragt, wie es funktionieren kann, dass Bernhard quasi auch eine Choreografie bzw. ich eine Notation mache, die Bernhard in seine Partitur integrieren kann. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Bewegungen auf den Gesten der Musikerinnen und Musikern basieren, die ich von den Proben abgenommen habe. Ich habe mich dabei gefragt: Wie bewegt sich eigentlich ein Musiker, eine Musikerin, wenn sie nichts tun? Es ist interessant, welch lustige, interessante und unterschiedliche Gesten es da gibt. Daraus konnte ich einen eigenen Bewegungskatalog erarbeiten.“

Das ACF hat 22 Stockwerke. Lang hat die Originalpläne von Abraham auf seine Partitur übertragen und zeitlich umgesetzt. Es handelt sich um ein nach oben hin verjüngendes Haus, dessen Stockwerke immer kürzer werden. „Das Stück fängt lang an, die folgenden Teile werden dann immer kürzer. Das bedeutet, dass ich die architektonische Projektion auf mein Stück übertragen habe.“ Auf die Frage, woher denn die Idee dazu kam, erklärt der Komponist: „Die Idee der Umsetzung von architektonischen Proportionen in Musik kommt aus der Renaissance. Guillaume de Failly hat das zum Beispiel verwendet. Er hat eine Motette nach dem Grundriss des Florentiner Doms komponiert. Das hat Bruckner auch gemacht. Man nimmt an, dass die 9. nach den Grundrissen vom Stephansdom gebaut ist.“

 

„Das Haus ist ja hoch und nicht breit und ich habe versucht, in der Choreografie Bewegungen zu verwenden, die nicht in die Breite, sondern in die Höhe verweisen“, ergänzt die Choreografin ihre Vorgehensweise. Musikalisch werden Fragmente von Bob Dylan´s „Like a Rollling Stone“ zu hören sein. „Ich bin ein alter Mann“, kokettiert Lang mit seinem Alter, „ich arbeite immer mit Wiederholungen und Loops. Die ergeben dann einen ganz eigenen Rhythmus und Beat.“ Erst vor wenigen Tagen war bei Wien Modern sein DW16 Songbook I zu hören. Aufgeführt vom Klangforum Wien. Auch in diesem Werk hat sich Lang intensiv mit Popsongs, unter anderen auch von Dylan, beschäftigt. „Das ist so etwas wie eine Reminiszenz an meine Jugend, an die Rockmusik, die ich noch im Kopf hab. Ich wollte Klassik und das Zeitgenössische zusammenbringen.“

Monadologie XVIII „Moving Architecture“ ist ein Stück über Flucht und Emigration.  „Aktueller kann es gar nicht sein, aber es wäre mir lieb, das Stück hätte keine solche Brisanz!“, alle, die sich mit dem derzeitigen Geschehen im Nahen Osten und Europa beschäftigen, werden diese Lang-Aussage unterstreichen. Im engeren Sinne zeichnet das Werk das Leben von Rose Ausländer anhand ihrer Gedichte nach. Sie musste vor den Nazis von Europa nach Amerika fliehen und hat darin die erste Zeit in der neuen Heimat beschrieben. Das ACF wurde 1942 gegründet und war  während und nach des 2. Weltkrieges Anlaufstelle für viele Menschen aus Europa. „Rose Ausländer ist dem Terrorregime entkommen und hat trotzdem zu einer versöhnten Menschlichkeit gefunden“, Bernhard Lang fasst in einem Satz zusammen, welche Hauptaussage dem so komplexen Werk zugrunde liegt.

Weitere Informationen auf der Seite von Wien Modern oder dem Tanzquartier.

 

 

Die Tinte noch kaum getrocknet

Die Tinte noch kaum getrocknet

Das Arditti Quartet konzertierte im Rahmen von Wien Modern wieder im Konzerthaus. Und hatte Werke im Gepäck, deren Tinte auf dem Papier noch kaum getrocknet war.

Im ersten Teil kamen dabei insgesamt vier Kompositionen zur Aufführung. John Zorn eröffnete mit dem 2014 entstandenen Stück „The Remedy of Fortune“. Es bezieht sich auf einen Machaut-Text aus dem 14. Jahrhundert, in dem die höfische Liebe beschrieben wird. Musikalisch wechselt das Geschehen zwischen Atonalität und melodischen Zwischenstücken und weist an einer Stelle sogar ein kleines Renaissance-Zitat auf. Bis auf wenige Ausnahmen hält sich eine nervöse Grundstimmung. Die Vielfarbigkeit entsteht durch häufige Stimmenwechsel, aber auch den Einsatz von Pizzicato-Stellen und immer wieder kehrenden Akkord- sowie hohen, scharfen Soloklängen in den Geigen.

Liza Lim (c) Ricordi Berlin Mother Tongue

Liza Lim (c) Ricordi Berlin Mother Tongue

Liza Lim schuf mit „The Weaver´s Knot“ (2013) ein Werk, das mit einem torkelnden, fast trunkenen Bratscheneinstieg beginnt. Das Auf- und Abschnarren des Cellos ist ein charakteristisches Hörerlebnis, neben hohen, beinahe schon schmerzhaften, lang angehaltenen Klängen. Aber auch Duette oder kurze Obertoneinsätze in den einzelnen Instrumenten werden hörbar. Die schöne Assoziation, die sich auf eine traditionelle Technik in der Textilindustrie bezieht, in der Fäden effektiv zusammengebunden werden, wird in der Verschränkung der unterschiedlichen Linien des Werkes gut nachvollziehbar.

Lina Tonia (c) Achilleas Menos

Lina Tonia (c) Achilleas Menos

Ennea – das griechische Wort für neun, ist der Titel der Arbeit von Lina Tonia. Das musikalische Material basiert auf der Grundlage der logarithmischen Spirale. So mathematisch es auch angelegt ist, so bietet es abseits von der Theorie doch auch reichlich Klangerfahrung. Ein wilder Einstieg im hohen Register wird erst durch Klänge im Cello geerdet. Dennoch kommt das Ausgangsmaterial in den Bratschen und Geigen nicht zur Ruhe. 2015 entstanden, präsentiert es jede Menge auf- und abwärts steigende Glissandi und einen Pizzicato-Teil, der von einem Dauerton der Bratsche begleitet wird. Erst in der Mitte des Stückes kehrt eine stärkere Ruhe ein, das letzte Wort hat, fast logisch, die Bratsche.

Hilda Paredes , die mit Hacia una bitácora capilar (2014) vertreten war, eröffnete mit Rede und Gegenrede von Geige und Bratsche in rascher Abfolge. Ihr Werk ist dadurch gekennzeichnet, dass sie darin so gut wie nichts auslässt, was die Technik der Streicher hergibt. Immer wieder tauchen kleine Melodien auf, fühlen sich aber vom Cello bedroht. Starke Akzentuierungen einzelner Töne, hintereinander gesetzt, geben dem Werk einen eigenen, ungestümen Charakter.

Es ist interessant, dass für die erste Hälfte des Konzertes diese vier Stücke ausgewählt wurden. Ihre Verwandtschaften sind zwar nicht von den kompositorischen Grundideen her gegeben, die Hörergebnisse jedoch reihen sich in ein ganz bestimmtes Bild ein. Man könnte es mit einer zeitgenössischen Reverenz an das Streichkonzert schlechthin subsummieren, in dem es darum geht, die Instrumente mit allen Möglichkeiten ihrer produzierbaren Klangschattierungen aufzuzeigen. Und auch die Kunst der gegenseitigen Stimmen-Abhängigkeit, aber auch Freiheit durchzuexerzieren.

Thomas Kessler stand zum Abschluss auf dem Programm. 8 kleine und 2 große Lautsprecher machten von Anbeginn an klar, dass sich das Klangspektrum vom bis dahin gehörten unterscheiden würde. „Streichquartett mit Live-Elektronik“nennt sich dieses beeindruckende Werk. „Jeder Musiker ist an seinem Platz mit einem eigenen instrumental-elektronischen Setup verbunden, welches ihm erlaubt, die Samples und alle klanglichen und rhythmischen Modulationen selbst zu steuern und zu spielen“ ist im Programmheft über das 2012 komponierte Werk zu lesen. Ganz zu Beginn hört man eine kleine Melodie, verwaschen, wie aus einem alten Radio, eine Melodie die in den 20er Jahren als Unterhaltungsmusik gedient haben mag. Rasch wechselt dieser Eindruck und Klangfetzen wie von symphonischen Orchesterwerken drängen sich nun in den Vordergrund. Bald tritt das Streichquartett mit seiner live-Performance in den Vordergrund, dann wird geloopt, mit Nachhall gearbeitet und Echo eingesetzt. Hier wiederum kommt die Elektronik mit ihren vielen Möglichkeiten zum Zug. Und doch ist es nicht immer leicht zu unterscheiden, wo diese anfängt und aufhört. Schon nach kurzer Zeit schwappt eine wahre Klangmasse in den Raum, mit der mitgespielt, oder darüber gezirpt wird. Einzelne Worte, zuerst leise, dann lauter und von verschiedenen Stimmen eingesprochen, erweitern das Spektrum, wirken manches Mal wie harte Hiebe. An einer Stelle meint man einen Insektenschwarm zu hören, der sich nähert. Wohlklang und Dissonanzen liegen häufig nebeneinander, das Geschehen verlangsamt sich allmählich. So könnte sich also eine Zeitlupe anhören, drängt sich ein Gedanke auf, doch schon schwillt der Klang wieder an. Immer wieder meldet sich das Quartett als reines Streichquartett zu Wort, wird aber bald von der Elektronik wieder eingefangen. Das Ende könnte bunter nicht sein. Laute Glissandi münden in einen Wohlklang. Nach einer kurzen Pause ist jene kleine Melodie wieder hörbar, die schon zu Beginn die Ohren erfreute und das Publikum zu einem hörbaren Schmunzeln veranlasste.

Thomas Kessler, der selbst hinter dem Mischpult saß, hatte allen Grund, sich feiern zu lassen.

Hoch- und Subkultur und eine Reverenz an Pierre Boulez

Hoch- und Subkultur und eine Reverenz an Pierre Boulez

Am 5. November 2015 startete das Festival Wien Modern mit dem Konzert „Pli selon pli“ von Pierre Boulez im großen Saal des Konzerthauses. Hauptakteure waren das RSO unter Cornelius Meister und die Ausnahme-Sopranstin Marisol Montalvo.

Zuvor jedoch hielt die Musikerin, Musikproduzentin und Techno-DJane Susanne Kirchmayr alias Electric Indigo eine Eröffnungsrede respektive Eröffnungsvorlesung.
Sie nahm das diesjährige Motto „Pop Song Voice“  zum Anlass, über den Stand der zeitgenössischen Musikproduktion nachzudenken. Dabei skizzierte sie ein Spannungsfeld zwischen Hoch- und Subkultur, bei dem sie dem Kommerz-Pop zwar einen ökonomischen aber keinen künstlerischen Impetus zuschrieb.
Ihr druckreifes Referat war wohl kalkuliert ausgerichtet für die Ablage in den Annalen aber weniger geeignet, das Publikum mitzureißen. Gespickt mit interessanten Zitaten von Adorno bis Foucault gab sie dabei einen Proof ihres musiktheoretischen Verständnisses. Mehr „Fleisch“ im Sinne von bildhaft ausfabuliertem Anschauungsunterricht in Sachen elektronischer Musik hätte vielleicht auch jene im Publikum neugierig gemacht, die sich bislang kein Stück dieses spannenden Genres angehört haben.

Mit „Pli selon pli“ (Portrait de Mallarmé) für Sopran und Orchester von Pierre Boulez stand anschließend ein Klassiker der Moderne auf dem Programm. Einerseits als Reverenz zum 90. Geburtstag des Komponisten, andererseits war dies ein Wunsch des RSO, dem der künstlerische Leiter des Festivals, Matthias Lošek, gerne nachkam. Das Orchester möge „ewig leben“ wünschte er dem herausragenden Klangkörper noch, der sich um die Verbreitung zeitgenössischer Musik große Verdienste erworben hat. Ein kleiner Seitenhieb auf die immer wieder aufflammenden Einsparungsgerüchte, die ein Aus des Orchesters bedeuten würden.

Die Ausnahme-Sopranstin Marisol Montalvo, die erst vor Kurzem im Theater an der Wien in der Rolle der Lulu von Olga Neuwirth brillierte, übernahm dabei den solistischen Part. Aufgebaut auf Gedichte des Symbolisten Mallarmé lässt das 5-sätzige Werk jede Menge Freiraum zur Selbstinterpretation. Ganz im Sinne eines offenen Kunstwerks schafft es Klangräume und damit verbundene Assoziationen, die ganz individuell gedeutet werden können. Mit der Wahl des Werkes setzt sich ein Trend in der Kunstszene fort, der zurzeit verstärkt auf jene Strömungen zurückblickt, die das Surreale und das Absurde in den Vordergrund stellen. Offenbar korreliert dies mit unserem aktuellen gesellschaftlichen Zustand, der durch eine undurchschaubare Komplexität gekennzeichnet ist. Zu Recht betitelte Kirchmayr unter diesem Gesichtspunkt Wien Modern als Wien Postmodern.

Mit einem wilden, unerwarteten Tutti-Einstiegsakkord eröffnet das Stück. Spannungsgeladen und flirrend präsentiert sich der erste Satz in dem Boulez das bestimmende Instrumentarium vorstellt. Ein großer Schlagwerkapparat mit Glocken, Gongs und Vibraphonen, eine Harfe, eine Gitarre und eine Mandoline kommen neben der herkömmlichen Orchesterbelegung zum Einsatz. Marisol Montalvos wunderbarer, geschmeidiger Sopran, den sie mit einer hohen Verständlichkeit ausgestattet hat und ihre bühnenwirksame darstellerische Ausdruckskraft zeigen sich schon in ihrem ersten Einsatz. Das Orchester gibt ihr dazu genügend Raum, bleibt dabei unter Cornelius Meister aber stets gut ausdifferenziert hörbar. Die orchestrale Ausarbeitung nach dem ersten gesungenen Einschub gestattet, die Worte Mallarmés wirken zu lassen.

Mit expressiven Gesten begleitet sie in den darauffolgenden Sätzen ihren Gesang. Auch in den großen Sprüngen bleibt ihre Stimme beherrscht, sauber, rein und lyrisch und kippt dabei kein einziges Mal in einen schreienden Diskant. Damit bringt sie jene unabdingbare stimmliche Voraussetzung mit, die „Pli selon pli“ benötigt, um auch tatsächlich genossen werden zu können. In den dunkel gefärbten orchestralen Klangwelten bietet ihr Sopran einen Anker, der einen wie ein treuer Freund durch unbestimmte und gefährliche Traumwelten begleitet. So verständlich noch der erste Satz ausformuliert ist, so künstlich generiert sich schließlich in der Improvisation III das Textmaterial. Koloraturartige Verzierungen innerhalb der Worte machen diese gänzlich unverständlich und legen einen zusätzlichen Schleier auf die ohnehin schwer dechiffrierbaren Sätze des Poeten. Sich auf das eigene Gefühl einlassen ist hier angesagt wie selten in der Musikgeschichte zuvor. Gerade im vierten Satz ermöglicht der Komponist dem Orchester jede Menge an einzelnen Stimmführungen, die wuderbar von den Flöten und Bässen zumindest auf kurze Strecken beinahe generalbassmäßig unterstützt werden. Das unvorhersehbare Aufblitzen der einzelnen Instrumente über einem beständigen Klangteppich bewirkt eine Art Schwebezustand, der ein Gefühl von bedrängter Ausweglosigkeit vermittelt. Kleine Intermezzi von Geigen und der Mandoline aber auch perlende Vibraphonkaskaden beleben wie aufblitzende Edelsteine die ansonsten bedrängte Szenerie.

Der mit „Grab“ überschriebene letzte Satz bietet das, was man an klanglichen Vorstellungen mit dieser Thematik landläufig verbindet. Leise Glockenschläge und Pauken, Geigen- und Posaunen-Stelen, Vibraphonläufe und Zuckungen in den Streichern und Bläsern. Das unvermeidliche Zusammenballen aller Kräfte und die ständig ansteigende, nervöse Grundstimmung machen klar, dass das Unausweichliche des menschlichen Lebens, der Tod, zur Kenntnis genommen werden muss. Die Posaunen, die dunkle, angsteinflößende Gefühle evozieren, leiten einen musikalischen Strom ein, der unaufhaltsam voran drängt. Ohne die Möglichkeit, sich festzuhalten, erfolgt ein klangliches Getriebenwerden, das durch zupackende Strudel höchst gefährlich erscheint. Zuerst 4, dann 5 Töne einer kleinen Vibraphon-Melodie werden gegen Schluss des Satzes von den Bläsern beantwortet. Schon meint man etwas leichter atmen zu können, da setzt die Stimme im hohen Register unvermittelt ein. Unterstützt vom Horn ist es ein einziger Satz, der noch gesungen werden muss und der mit dem Wort „la mort“ endet. Mit demselben Tutti-Akkord mit dem der erste Satz begann, endet das Stück.

Cornelius Meister bewies großes Feingefühl in seinem Dirigat.  Die Balance zwischen Orchester und Solistin konnte ausgewogener nicht gestaltet werden und die Durchsichtigkeit und Brillanz der Komposition wurde von allen Beteiligten wunderbar herausgearbeitet. Ein gelungener Beginn des Festivals, der auch gebührend vom Publikum gewürdigt wurde.

Verdammt sei der Krieg

Verdammt sei der Krieg

Blutrote Schlachtfelder, fliegende alte Kisten mit waghalsigen Piloten und eine schmachtende Geliebte, die ins Kloster geht, nachdem ihr Liebster im Krieg gefallen ist. Der Film „Maudite soit la guerre“, ein film-muikalisches War Requiem, wie es im Untertitel heißt, kam einen Monat vor Kriegsbeginn im Jahr 1914 in die Kinos. Gedreht wurde der Stummfilm von Alfred Machin, der darin die Sinnlosigkeit und die Kriegsgreuel schonungslos offenbart. Dass sein Werk ein Gegenpol zur geschönten Kriegspropaganda sein würde, mit der Millionen von jungen Männern in den Tod geschickt wurden, konnte der voraussehende Regisseur damals noch nicht wissen.

Die Komponistin Olga Neuwirth kann man schon als Spezialistin für Filmmusik bezeichnen, stammt doch bereits eine ganze Reihe von Vertonungen zu Spiel- Dokumentar- und eigenen Filmen von ihr. Mit der vorliegenden Arbeit, die bei Wien Modern im Gartenbaukino ihre Österreichische Erstaufführung erlebte, schuf Neuwirth jedoch erst die zweite Musik zu einem Stummfilm. „Symphonie Diagonale“ – ein Experimentalfilm aus dem Jahr 1923 – war diesbezüglich ihre erste Probe. Erst vor wenigen Tagen erklang das Werk ebenfalls anlässlich des Festivals im Konzerthaus.

Die Handlung von „Maudite soit la guerre“ – verdammt sei der Krieg –  ist rasch erzählt. Zwei junge Männer aus benachbarten Ländern führt die Leidenschaft für die Fliegerei zusammen. Der eine verliebt sich in Lidia, die Schwester seines Freundes, muss aber das Land verlassen, als der Krieg ausbricht. Wenig später erschießt er nicht wissend den Bruder seiner Verlobten im Kriegswahnsinn und kommt bei dem darauffolgenden Racheakt selbst ums Leben.  Lidia zerbricht am Tod der Männer und geht ins Kloster.

Kolorierte Bilder von Jugendstilinterieurs und alten Flugzeugen

Das Ciné-concert lebt einerseits von den eindrucksvollen Bildern, die zum Teil nachkoloriert wurden. Diese partielle Einfärbung bietet einen ästhetischen Hochgenuss. So erschienen oft nur die handlungstragenden Personen einer Gruppe in Farbe, während die anderen in Schwarz-Weiß zu sehen waren. Aber auch vereinzelte blassrosa Blumendolden, die blassblaue Schürzen der Klosterschwestern oder eine grüne Wiese brachten die ästhetischen Geschmacksnerven zum Kitzeln. Aufregend, fast voyeuristisch ist der Blick 100 Jahre zurück in Wohn- und Büroräume, die noch mit reinsten Jugendstilmöbeln ausstaffiert waren. Interessant war die Vielfalt jener Flugobjekte, die heute allenfalls noch in gut ausgestatteten technischen Museen zu bestaunen sind – wenn überhaupt.

Andererseits lebt der Film aber auch vom subtilen Neuwirth´schen Soundlayer, der rundum, von der ersten bis zur letzten Minute, überzeugte. Man könnte hier eins zu eins jenen Kritiker zitieren, der zur Filmmusik von Paul Dessau im Jahr 1928 einst jubelte: Endlich neue Musik im Kino! Die Komponistin versteht es, viele kleine musikalische Zitate geschickt zu platzieren, ohne dass diese ein so starkes Gewicht bekämen, dass darunter die Aufmerksamkeit und damit die optische Wahrnehmung leiden würden. Das beginnt schon in den ersten Takten, bei welchen man sich an die herkömmlichen musikalischen Klavieruntermalungen erinnert fühlt, die bei Chaplin oder Buster Keaton-Filmen üblich waren. Schon nach wenigen Tönen wird diese Musik jedoch drastisch verzerrt und verfremdet, obwohl damit eine kleine Familienzusammenkunft illustriert wird, die noch in Friedenszeiten unbekümmert am Esstisch stattfinden darf.

Der Film benötigt nur ganz wenige Untertitel.

Das Gros der Handlung erklärt sich durch das expressive Spiel der Schauspielerinnen und Schauspieler, die jedes auch noch so kleine Gefühl in ihren Gesichtern ausdrücken konnten. Ein Umstand, der sie später, als der Tonfilm aufkam, massenweise arbeitslos machte. Zu lächerlich wirkten dort ihre Mimik und ihre Gesten und nur wenige konnten sich mit der neuen Situation anfreunden und ihren schauspielerischen Ausdruck den neuen Gegebenheiten anpassen. Neuwirth untermalt Gespräche im Wirtshaus, wenn Bier aufgetragen wird, anders, als zwischen der Mutter und ihrer wehklagender Tochter. Wird der einen Szene kräftiges Blech beigemischt, ist die junge Lidia meist mit schmeichelnden Geigenklängen „sprechend“ unterwegs. Spannung wiederum drückt das Ensemble durch ein Flirren im hohen Geigenregister aus, Gespräche, die der Kriegsstrategie dienen, sind mit einer markanten Trompetenmelodie unterlegt. Diese zieht sich durch den ganzen Film. Wenngleich mit Abwandlungen, ist sie jedoch gut wieder erkennbar. Immer dann, wenn es um aktuelles oder erinnertes Kriegsgeschehen geht, wird sie hörbar. Kleine liedhafte Einsprengsel markieren trautes Familienglück – bis hin zur kurzen Wahnvorstellung des sterbenden Bruders, in der er noch einmal seine Familie sieht. Zweimal zitiert Neuwirth mit dem Naturtonklang c’-g’-c’’ den Beginn von Richard Strauss` „Also sprach Zarathustra“ und nach dem Tod der beiden Soldaten erklingt für wenige Augenblicke ein Trauermarsch. Kurz vor Schluss ist fast kürzelhaft Bachs Choralthema „Jesus bleibet meine Freude“ zu hören. Zu jenem Zeitpunkt, als sich Lidia bereits ins Kloster zurückgezogen hat, um dort ihre Ruhe zu finden. Immer dient Neuwirths Musik dazu, das Geschehen auf der Leinwand zu unterstreichen, nie, es zu übertrumpfen. Das Ensemble 2e2m mit dem Dirigenten Pierre Roullier und der Sounddesignerin Christina Bauer waren maßgeblich an dem Erfolg des Abends beteiligt. Die große Bandbreite der Instrumentierung, aber auch Einspielungen von elektronischen Klängen erzeugten ein großes und dichtes musikalisches Netz. Den Schluss lässt die Komponistin mit zarten, eingespielten Klängen verhauchen. Dass das Publikum berührt war, zeigte die lange Stille, die dem Konzert vor dem Applaus folgte.

Links:

Alfred Machin
Olga Neuwirth
Ensemble 2e2m

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Die Auslöschung des Egos

Die Auslöschung des Egos

Normalerweise versucht jeder kreative Mensch seinen ideenreichen Part so solistisch und egozentriert wie möglich darzustellen. Nur ja nicht untergehen in einer Masse von anderen Kreativen ist die gängige Devise. Dieses Gesetz gilt in der Literatur genauso wie im Film oder der Komposition. Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben sich jedoch immer wieder Künstlerkollektive gebildet, die versuchten, aus Vielem ein Ganzes zu machen. Von Dauer war keines davon, der Impact, der von ihnen ausging, war aber oft erstaunlich.

Clemens Gadenstätter, Malte Giesen, Neele Hülcker und Benjamin Schweitzer komponieren. Gemeinsam mit den Filmschaffenden Ruth Anderwald+Leonhard Grond, Astrid S. Klein, Daniel Kötter und Lillevan schufen sie einen prallen künstlerischen Abend. „Gebrauchsanweisungen (Audiovisuelle Dialoge)“ war dieser etwas sperrig betitelt, was aber das Publikum in keiner Weise abschreckte. Der große Raum des Semperdepots war zum Bersten voll, als dieses „Kollektivspektakel“ uraufgeführt wurde.

Eine ungeheure Aufgabe für das Ensemble ascolta

Für das Ensemble ascolta unter dem fulminant agierenden Dirigenten Enno Poppe war dies eine beinahe schon sportliche Herausforderung. Denn es galt nicht nur Instrumente zu spielen, sondern elektronische Geräte zu bedienen, Taschenlampen in genauem Rhythmus aus- und einzuschalten, Stroboskopblitze zu aktivieren, Spiegelflächen zu drehen und Feuerzeuge an- und auszuknipsen. Die Idee dahinter basiert auf einem spielerischen Umgang mit fixen Regeln. Diese einzuhalten, oder sich dagegen auch aufzulehnen und seinen eigenen kreativen Output zu weiterer Bearbeitung freizugeben, dazu waren alle Beteiligten aufgerufen. So kam es zu verschiedenen Videoarbeiten, die untereinander noch sehr gut zu unterscheiden waren. Eine surrealistische Darstellung von grünen Glasscherben, die in einer Wiese steckten, Marillen und Kirschen in unterschiedlich appetitlichen Zuständen, der nächtliche Gang über einen Weg, der in die Natur führt, eine breite Steintreppe, auf der allerlei Menschen Vergnügen finden oder sehr abstrakt geschnittene Szenen hauptsächlich in Schwarz-Weiß, die stark an Man Rays Avantgardefilme erinnern, all dies konnte man noch mit verschiedenen künstlerischen Handschriften verbinden.

Bei der Musik hatte man da schon größere Schwierigkeiten. Das resultiert aber hauptsächlich daraus, dass alle Komponistinnen und Komponisten mit demselben Klangkörper auskommen mussten. Eine Einengung der künstlerischen Bewegungsfreiheit, die jedoch dazu führte, dass der Abend musikalisch sehr homogen wahrgenommen werden konnte. Gewiss, es gab besinnliche Stellen und solche, in denen klangtechnisch „die Sau rausgelassen wurde“. Gewiss, man konnte sich teilweise über ironische Klangzitate – wie z.B. dem Schnarchen eines Mannes – köstlich amüsieren oder verblüfft auf einen dirigierten Lichtrhythmus reagieren. Dennoch passten die einzelnen Elemente wunderbar zusammen und wüsste man nicht um die vielen Urheberinnen und Urheber, man hätte die Komposition auch einer einzigen Person zugetraut.

Assoziationen ja, aber wenn, dann nur ganz persönliche

Schon bald war klar, dass rationale Erklärungen hier weder den visuellen noch den auditiven Part erhellen würden. Zu abstrakt war das, was gezeigt wurde, zu asynchron verlief dazu die Musik. Tatsächlich besteht die Möglichkeit, die einzelnen Videos und auch Kompositionen in einer anderen als der gezeigten Reihenfolge aufzuführen und damit eine andere sinnliche Erfahrung hervorzurufen. So blieb einzig und allein der Weg, sich den vielen Eindrücken ohne Hemmung auszuliefern und eigene Assoziationsketten in Schwung zu bringen. Gleichzeitig konnte man jedoch, so man das Glück hatte in den vorderen Reihen zu sitzen, dem Ensemble bei seiner Arbeit zusehen. Konzentriert bis zur letzten Minute lieferten die Herren ein Feuerwerk an exakten instrumentalen Einsätzen und stimmlichen Ergänzungen ab. Dabei unterstütze sie Enno Poppe, der mit der Musik verschmolzen schien und gleichfalls den ein- oder anderen Lichteffekt mitbedienen musste. Kleine Randbemerkung: Der Klangkörper kommt, ungewöhnlich in der heutigen Orchesterlandschaft, ganz ohne Frauen aus.

Das Ergebnis war ein spannungsgeladener, temporeicher Abend, an dem sich Klangexperimente an bereits besser bekannte Hörerlebnisse reihten. Der Eindruck, in einer dadaistischen Vorstellung der 20er Jahre zu sitzen wurde einzig und allein durch wesentlich kühnere klangliche Begleitumstände nicht bestätigt. Dada ja, aber nicht eines der 20er Jahre des 20. sondern des 21. Jahrhunderts. Weit sind wir davon ja nicht mehr entfernt.

Leicht Verdauliches bei Wien Modern

Leicht Verdauliches bei Wien Modern

Viele Konzertbesucher, die klassische Musik lieben, meiden zeitgenössische Klänge wie der Teufel das Weihwasser. Das müssen Konzertveranstalter bei der Zusammenstellung eines Konzertes bedenken. Aus diesem Grund wird – wenn überhaupt – Zeitgenössisches meist vor der Pause gespielt, denn würde es im zweiten Teil erklingen, wäre der Konzertsaal meist leer.

Anders war dies beim Konzert des Ensemble Kontrapunkte unter Peter Keuschnig im Musikverein. Anlässlich von Wien Modern präsentierte man dort – getreu dem Festivalschwerpunkt „on screen“ Musik des 20. Jahrhunderts, die zu Filmen komponiert wurde. Bis auf eine Ausnahme: Georg Friedrich Haas steuerte sein Werk Aus.Weg aus dem Jahr 2010 bei. Ulla Pilz, die an diesem Abend eine charmante Conferencière bot, verwies dabei auf ein „Kino im Kopf“, das allenfalls beim Publikum selbst ausgelöst werden könnte. Das Werk wurde deswegen ins Programm aufgenommen, damit auch eingefleischtes Musikvereinspublikum zumindest ein Stück jenes Komponisten zu hören bekommt, der in diesem Jahr beim Festival für zeitgenössische Musik besonders gewürdigt wird.

Ensemble Kontrapunkte Wiener Musikverein

Im Musikverein in Wien war das Ensemble Kontrapunkte zu hören. (Foto: © KulturKontrast, Erwin Sükar)

AUS.WEG aus dem Jahr 2010 erwies sich nicht als typisches Haas-Spätwerk. Vielmehr erklingt es über lange Strecken in einem tonalen Korsett und ist weit von jenen flirrenden und schwirrenden Tonkaskaden entfernt, für die Haas so berühmt ist. Hörbar werden hier dennoch eine Reihe von perlenden, aufsteigenden Tonläufen,, die sich zuerst nur im Klavier zeigen, dann jedoch ein Instrument nach dem anderen erfassen, um schließlich quer durch das gesamte Ensemble zu ziehen. Immer wieder durchbrechen harte, trockene Schläge die Musik, immer wieder tritt für kurze Zeit Stilland im Geschehen ein. Glocken und Gong erweitern das Klangspektrum und eine kleine Melodie wandert schließlich über mehrere Bläser ins Cello. Mit den Nachhall von Glockenschlägen endet das schöne und ruhige Stück, mit dem Haas laut eigener Angabe auf Kompositionstechniken zurückgriff, die er bereits seit Langem überwunden hatte.

Mit Hanns Eislers 1. Suite aus dem Film „Opus III“ wurde ebenfalls ein Werk präsentiert, das völlig eigenständig im Konzertsaal bestehen kann, obwohl es als Filmmusik komponiert wurde. Darin tauchen Klänge eines Banjos auf, dürfen die Trompeten mit ihrem Mau-Mau-Effekt Spaß ins Geschehen bringen und die Tuba scharfe Akzente setzen. Vor allem die Blechbläser sind mit russischen Volksweisen und Marschmusik heftigst beschäftigt, wobei dem Posaunisten Rainer Huß großer Respekt zu zollen ist. Rein, klar und kräftig kam jeder Ton.

Hans Werner Henzes Beitrag „In memoriam: Die Weiße Rose“ aus dem Jahr 1965 war – wie Ulla Pilz es bezeichnete – eine „astreine“ Doppelfuge für 12 Instrumente und eine Verbeugung nicht nur an die Widerstandskämpfer des Naziregimes, sondern auch an Johann Sebastian Bach. Paul Dessaus „Alice und die Flöhe“ war ein wunderbares Beispiel, wie eine ganz bestimmte Instrumentierung von den Disney-Studios – einmal für gut befunden – in weiterer Folge immer wieder und wieder aufgenommen wurde. Die Cartoon-Figuren, für die das Stück geschrieben ist, konnte man sich lebhaft vorstellen. Dessau schrieb eine Musik, die jede einzelne Bewegung illustriert und von der Kritik im Jahr 1928 als „endlich neue Musik im Kino“ hoch gelobt wurde.

Weiter auf dem Programm standen noch Schostakowitsch, Schnittke und Nino Rota, dessen Polken, Walzer und Märsche genauso gut ins Neujahrsprogramm der Philharmoniker passen würden, nur Kundige würden an einigen Stellen erkennen, dass sie nicht im 19. Jahrhundert komponiert wurden.

Ein beschwingter Abend, an dem im Rahmen von Wien Modern Musik des 20. Jahrhunderts dargeboten wurde, die auch für Moderne-Verweigerer hörbar war.

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