Leicht Verdauliches bei Wien Modern

Viele Konzertbesucher, die klassische Musik lieben, meiden zeitgenössische Klänge wie der Teufel das Weihwasser. Das müssen Konzertveranstalter bei der Zusammenstellung eines Konzertes bedenken. Aus diesem Grund wird – wenn überhaupt – Zeitgenössisches meist vor der Pause gespielt, denn würde es im zweiten Teil erklingen, wäre der Konzertsaal meist leer.

Anders war dies beim Konzert des Ensemble Kontrapunkte unter Peter Keuschnig im Musikverein. Anlässlich von Wien Modern präsentierte man dort – getreu dem Festivalschwerpunkt „on screen“ Musik des 20. Jahrhunderts, die zu Filmen komponiert wurde. Bis auf eine Ausnahme: Georg Friedrich Haas steuerte sein Werk Aus.Weg aus dem Jahr 2010 bei. Ulla Pilz, die an diesem Abend eine charmante Conferencière bot, verwies dabei auf ein „Kino im Kopf“, das allenfalls beim Publikum selbst ausgelöst werden könnte. Das Werk wurde deswegen ins Programm aufgenommen, damit auch eingefleischtes Musikvereinspublikum zumindest ein Stück jenes Komponisten zu hören bekommt, der in diesem Jahr beim Festival für zeitgenössische Musik besonders gewürdigt wird.

Ensemble Kontrapunkte Wiener Musikverein

Im Musikverein in Wien war das Ensemble Kontrapunkte zu hören. (Foto: © KulturKontrast, Erwin Sükar)

AUS.WEG aus dem Jahr 2010 erwies sich nicht als typisches Haas-Spätwerk. Vielmehr erklingt es über lange Strecken in einem tonalen Korsett und ist weit von jenen flirrenden und schwirrenden Tonkaskaden entfernt, für die Haas so berühmt ist. Hörbar werden hier dennoch eine Reihe von perlenden, aufsteigenden Tonläufen,, die sich zuerst nur im Klavier zeigen, dann jedoch ein Instrument nach dem anderen erfassen, um schließlich quer durch das gesamte Ensemble zu ziehen. Immer wieder durchbrechen harte, trockene Schläge die Musik, immer wieder tritt für kurze Zeit Stilland im Geschehen ein. Glocken und Gong erweitern das Klangspektrum und eine kleine Melodie wandert schließlich über mehrere Bläser ins Cello. Mit den Nachhall von Glockenschlägen endet das schöne und ruhige Stück, mit dem Haas laut eigener Angabe auf Kompositionstechniken zurückgriff, die er bereits seit Langem überwunden hatte.

Mit Hanns Eislers 1. Suite aus dem Film „Opus III“ wurde ebenfalls ein Werk präsentiert, das völlig eigenständig im Konzertsaal bestehen kann, obwohl es als Filmmusik komponiert wurde. Darin tauchen Klänge eines Banjos auf, dürfen die Trompeten mit ihrem Mau-Mau-Effekt Spaß ins Geschehen bringen und die Tuba scharfe Akzente setzen. Vor allem die Blechbläser sind mit russischen Volksweisen und Marschmusik heftigst beschäftigt, wobei dem Posaunisten Rainer Huß großer Respekt zu zollen ist. Rein, klar und kräftig kam jeder Ton.

Hans Werner Henzes Beitrag „In memoriam: Die Weiße Rose“ aus dem Jahr 1965 war – wie Ulla Pilz es bezeichnete – eine „astreine“ Doppelfuge für 12 Instrumente und eine Verbeugung nicht nur an die Widerstandskämpfer des Naziregimes, sondern auch an Johann Sebastian Bach. Paul Dessaus „Alice und die Flöhe“ war ein wunderbares Beispiel, wie eine ganz bestimmte Instrumentierung von den Disney-Studios – einmal für gut befunden – in weiterer Folge immer wieder und wieder aufgenommen wurde. Die Cartoon-Figuren, für die das Stück geschrieben ist, konnte man sich lebhaft vorstellen. Dessau schrieb eine Musik, die jede einzelne Bewegung illustriert und von der Kritik im Jahr 1928 als „endlich neue Musik im Kino“ hoch gelobt wurde.

Weiter auf dem Programm standen noch Schostakowitsch, Schnittke und Nino Rota, dessen Polken, Walzer und Märsche genauso gut ins Neujahrsprogramm der Philharmoniker passen würden, nur Kundige würden an einigen Stellen erkennen, dass sie nicht im 19. Jahrhundert komponiert wurden.

Ein beschwingter Abend, an dem im Rahmen von Wien Modern Musik des 20. Jahrhunderts dargeboten wurde, die auch für Moderne-Verweigerer hörbar war.

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