Ein Muss und ein Traum für alle Modebegeisterten

Ein Muss und ein Traum für alle Modebegeisterten

„Vulgär ? –Fashion Redefined“ ist ein Liebesgeständnis an die Mode und ein Präsent an all diejenigen, die sich gerne mit Mode ausdrücken oder mit ihr experimentieren. In der Ausstellung ist für jeden Geschmack etwas dabei und bucht man eine Führung, gibt es einen zusätzlichen Bonus: Denn dann erfährt man auch interessante Details zu den Entstehungsgeschichten verschiedener Kreationen.

Ein außergewöhnlicher Ausstellungsort

Es ist nicht verwunderlich, dass die Organisatoren für diese Kollektion gerade den Winterpalais als Ausstellungsort ausgewählt haben. Vor ein paar Monaten konnte man noch die Ausstellung im Barbican Center in London bewundern. Hier in Wien passt alles perfekt zusammen, denn die prunkvollen Räume schaffen eine pompöse, feierliche Atmosphäre. Laut Stella Rollig, Generaldirektorin des Belvedere, ist „das barocke Winterpalais der ideale Ort für die Präsentation opulenter Modeschöpfungen durch die Jahrhunderte.“ Die Ausstellungsmacher Judith Clark, eine englische Kuratorin aus London und Adam Philips, Psychoanalytiker und Autor von Bestsellern wie Side Effects (2006) und Unforbidden Pleasures (2015) laden das Publikum zu einem „interdisziplinären Diskurs … zwischen Psychoanalyse und Mode“ ein, um den Terminus „vulgär“ kritisch zu hinterfragen. Der Begriff vulgär hat verschiedene Bedeutungen und was heute als Mainstream betrachtet wird, war vor zweihundert Jahren noch skandalös.

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Vulgär (c) Belvedere, Wien 2017

Im englischsprachigen Raum bezeichnet man „vulgär“ Sachen oder Konzepte, die „gemeinhin verbreitet“ waren. Nach und nach entwickelte sich das Wort zu einer Beleidigung und es ist faszinierend zu sehen, was Menschen vor mehreren Jahrhunderten als abstoßend, vernünftig oder ästhetisch empfunden haben. Informationen geben hierzu die Raumtexte.

Einige Beispiele gefällig? Bürger konnten sich nicht wie der Adel kleiden. In anderen Kulturen werden andere Körperteile als erotisch empfunden als bei uns. In Japan betrachtet man den Nacken einer Frau als etwas sehr Intimes und Sexuelles, auch dem Handgelenk wird eine ähnliche Bedeutung zugeschrieben. Heutzutage haben viele Menschen diese Affinität jedoch verloren.

Kleidung quer durch die Jahrhunderte

Nach und nach wurde Mode auch benutzt, um Grenzen auszuloten. Paris entwickelte sich nach den prunkvollen Zeiten unter Ludwig XIV zur Weltstadt der Mode. Ein Kleidungsstück, das durch und durch aus Gold besteht, gehört zu den ersten Objekten dieser Ausstellung. Danach ist eines von Madame Grès, Gründerin des gleichnamigen Modehauses, ausgestellt. Ein leichtes, weißes Kleid, das an Kunst, Architektur und die Antike denken lässt.

Trends und Mode sind evolutionär. Während der nackte Körper in den Olympischen Spielen vergöttert wurde, gab es auch Zeiten, in denen nur ein Hauch von nackter Haut zu sehen war. Kleidungsstücke passten sich stets an den Zeitgeist der Gesellschaft an. Seit dem Aufkommen von Illustrierten waren Schauspieler perfekte Werbeträger. Ein Umstand, der sich bis heute nicht geändert hat. So werden Schauspieler und Schauspielerinnen gerne als „Gesicht“ eines Parfums ausgewählt, da ihr Aussehen und ihre Ausstrahlung das Image und die Essenz des Parfums verkörpern.

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Vulgär (c) Christian Wind © Belvedere, Wien

Abgesehen davon kann Mode auch als erste Kunstform angesehen werden. Früh schon haben sich Menschen bemalt und mit ihrem Körper etwas dargestellt.
Ein Kleid zu tragen bedeutete und bedeutet auch heute noch, sich Raum und Zeit zu nehmen. Dabei ging es nicht nur um den Auftritt in Gesellschaft an und für sich, sondern um Haltung. Besser gesagt: Geist und Esprit waren sehr wichtig im Adel. Die Art, wie man sich ausdrückte, sagte viel über das Wesen einer Person aus und wer diese Fähigkeiten nicht beherrschte, war nicht weit entfernt davon, sozial unterzugehen.

Große Namen der Haute Couture

In die Kreationen der vielfältigen Kollektion wurden exzentrische, verspielte Elemente eingebracht, die besonderes Augenmerk auf sich ziehen. In diesem Zusammenhang können besonders Alexander McQueen und Pam Hoggs hervorgehoben werden.

Das Kleid von McQueen erinnert an etwas Holistisches, Heiliges, das durch den Halsschmuck noch hervorgehoben wird und Hoggs Entwurf ist so verrückt und doch so schön bunt, dass man hin und her gerissen ist und sich automatisch überlegt, ob man solch ein Teil in der Öffentlichkeit oder vor seinem Partner tatsächlich tragen würde. Die Unterhosen mit den bunten Schleifchen passen zu dem Blumenschmuck auf dem Kopf so gut, dass das ganze Kostüm etwas Avantgardistisches und Provokantes ausstrahlt.

Ein Muss für Modebewusste und Modefreaks. Zu sehen noch bis 25. Juni.

Weitere Infos auf der Seite des Belvedere.

Das Mekka der zeitgenössischen, österreichischen Kunst

Das Mekka der zeitgenössischen, österreichischen Kunst

Alljährlich im Frühling öffnet das Museum Liaunig nun schon seit neun Jahren in Neuhaus in Kärnten seine Türen für Interessierte. Warum aber steht dieses Museum ausgerechnet in dem kleinen Ort, das eine zweisprachige Ortstafel aufweist – Neuhaus / Suha? Herbert W. Liaunig und sein Sohn Peter ließen ein wenig hinter die Kulissen ihrer Sammelleidenschaft blicken.

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Dkfm. Herbert Liaunig (c) Museum Liaunig / Lukas Beck

Herbert W. Liaunig empfängt seine Gäste zur Pressekonferenz anlässlich des Saisonstarts im sonnendurchfluteten Atrium herzlich. Es ist bereits seine 9. Saison, in welcher er Teile seiner über 3.000 Kunstwerke starken Sammlung der Öffentlichkeit zeigt. Zu sammeln begann Liaunig als junger Mann. „Zu Beginn war ich von der École de Paris mit Vertretern wie Pierre SoulagesNicolas de Staël und Serge Poliakoff fasziniert“.

Auf die Frage, wie man denn einen so treffsicheren Kunstgeschmack ausbilden kann, wie er sich in seiner Sammlung widerspiegelt, erklärt der erfolgreiche Unternehmer: „Die richtige Qualität auszusuchen, hat etwas mit Erfahrung zu tun. Das funktioniert bei mir wie beim „musée imaginaire“ von André Malraux – je mehr Bilder ich im Kopf habe und abrufen kann, umso sicherer kann ich auch eine Auswahl treffen. Außerdem hatte ich gute Lehrer.“ Hollegha oder Mikl gehörten unter anderen dazu und nicht zuletzt waren es seine vielen Besuche in der Akademie „in der es viel lustiger war als an der Uni“. Diese frühen Kunsterfahrungen schulten sein Auge. Bald schon war klar, dass die österreichische Nachkriegskunst sein Hauptsammelgebiet sein würde.

Uns ist immer alles passiert

Im Laufe der Jahrzehnte wuchs die Zahl der Kunstwerke so an, dass die Familie darüber nachdenken musste, ein Depot bauen zu lassen.

Eingang Liaunig scharf

Eingangsbereich Museum Liaunig (c) European Cultural News

„Eigentlich ist uns alles immer passiert“, erzählt einer der beiden Söhne, Peter Liaunig, über die Baugeschichte des Museums. Die Familie fand zuerst Schloss Neuhaus, das es galt, von Grund auf zu renovieren. Darin hat sie nicht nur ihren Wohnsitz, sondern öffnete es auch für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen.

Das jetzige Museum befindet sich in Sichtweite. „Dass in Neuhaus ein Museum errichtet wurde, war nicht von Vornherein geplant. Vielmehr sollte eine Halle errichtet werden, die als Lager für die Kunstwerke dienen konnte. Aber der Umstand, dass der Grund, der zur Verfügung stand, prominent über dem Ort liegt und ein Zweckbau in der erforderlichen Größe zu dominierend gewesen wäre, sowie die Idee der Architekten, die Sammlung doch gleich öffentlich zugänglich zu machen, führte schließlich zum jetzigen Bau.“ Dass er bereits unter Denkmalschutz steht, zeigt die herausragende Arbeit des Architektenteams „querkraft“. 2011 außerdem mit dem Österreichischen Museumspreis ausgezeichnet, ist nur die Hauptgalerie mit 160 Metern Länge und 16 Metern Breite sichtbar. Der Rest ist in den Hang hineingebaut.

Ein Anbau, vor zwei Jahren erst fertiggestellt, beherbergt seither alljährlich eine neue Sonderschau unter dem Generaltitel „Alte Freunde“. Präsentiert werden in diesem architektonisch aufregenden Raum mit einem dreieckigen Grundriss Arbeiten von Künstlern, die Herbert W. Liaunig schon seit Jahrzehnten kennt und die er tatsächlich zu seinem Freundeskreis zählt. Ein Novum in dieser Saison: Der rund 400 Personen fassende Raum wird erstmals mit Musik bespielt werden. In der „Sonusiade“, so nennt sich das neu ins Leben gerufene Festival, sind zwei Matineen und zwei Abendkonzertveranstaltungen angesetzt.

Zu hören sein werden das Altenberg Trio aus Wien, das Ketos Quintett aus Linz. Wolfram Berger wird Wolfgang Puschnig und Janez Grogoric – den künstlerischen Leiter des Festivals – mit einer Lesung begleiten. Ein Liedrezital mit Bernarda Fink, Anthony Spiri und Nejc Mikolic eröffnet die erste Konzertsaison.

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Luftaufnahme Museums Liaunig (c) Museum Liaunig

„Es ist unser Testjahr“, mein Herbert Liaunig zu diesem Vorhaben und hat mit den Bildern von Hermann J. Painitz, die den malerischen Rahmen bieten, ein höchst passendes Ambiente gefunden. „Wir möchten, dass in Zukunft Bilder und Musik miteinander korrespondieren und werden sehen, wie das neue Angebot angenommen wird“.

Eine gezielte Sammeltätigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg

Die Sammlungstätigkeit, die aus Leidenschaft begann und nach wie vor aus Leidenschaft betrieben wird, hat sich mit dem Bau des Museums leicht verändert. Nun werden sukzessive Lücken in der Sammlung geschlossen, die durch den besseren Zugang zu den Kunstwerken und den besseren Überblick über dieselben sichtbar wurden. Außerdem legt die Familie Wert auf den Aufbau größerer Werkgruppen, aber kauft auch Werke von Künstlern an, die noch keinen hohen Bekanntheitsgrad vorweisen können.

„Für uns ist nicht der Name entscheidend, sondern ob uns ein Kunstwerk gefällt oder nicht. Es kann auch passieren, dass ich mich erst nach einiger Zeit mit einem Werk anfreunde. Manche Bilder brauchen Zeit, um von mir in ihrer Gänze erkannt zu werden.“ Peter Liaunig hat Verständnis für viele unterschiedliche Kunstrichtungen. „Nur die phantastischen Realisten haben wir nie gesammelt. Aus dem einfachen Grund, weil wir keinen Zugang zu ihnen haben“, ist von ihm zu erfahren. Mit seinem bewusst verwendeten „wir“ meint er immer die gesamte Familie in der „jeder sammelt“.

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Museum Liaunig / Foto: European Cultural News

Ergänzt wird der Bestand durch Vertreter der klassischen Moderne sowie exemplarische Werke internationaler Künstler wie Tony Cragg, Robert Motherwell und Georges Mathieu. „Da wir ja kein öffentliches Museum sind, nehmen wir es mit den uns selbst auferlegten Grenzen nicht so streng und können diese auch ab und zu überschreiten.“ Herbert Liaunig lässt sich von der grundsätzlichen Ankaufs-Ausrichtung aber auch nicht gängeln.

Neben den erwähnten internationalen Künstlern gibt es noch die „kleinen Sammlungen“. So eine Glassammlung mit Stücken zwischen 1500 – 1850, eine Sammlung von Portraitminiaturen und eine Sammlung von afrikanischer Glasperlenkunst, die Peter Liaunig zusammengetragen hat. Auch diese Sammlung ist „passiert“, wie er berichtet. Ein Stück ergab das nächste und heute kann das Publikum das bisherige Ergebnis dieser speziellen Ankaufstätigkeit ebenfalls im Museum betrachten. Selbstverständlich in einem eigenen Raum.

Ungefähr zwei Drittel der Sammlung wurde direkt bei Künstlern erworben, das restliche Drittel von Galerien oder auch verstärkt über Auktionen gekauft. Der Anteil am Onlinekauf nimmt zu.

Das Halbjahresmuseum

Herbert W. Liaunig, erfolgreiche Wirtschaftsboss, unter dessen Holding sich die Firmen Wild, Waagner-Biro sowie Binder&Co befinden, ist auch Miteigentümer der Semper Constantia Privatbank. Ohne diese wirtschaftliche Basis ließe sich das Museum nicht finanzieren. 10.400 zahlende Besucher zählte man in der vergangenen Saison. Anders als in anderen Museen, dauert die jeweilige Saison nur ein halbes Jahr lang, denn im Herbst und Winter ist das Haus geschlossen. „Eigentlich kostet uns jeder Besucher 50 Euro“, erläuterte Peter Liaunig. Wieviel die Familie also in den Erhalt des Museums jährlich steckt, kann somit leicht ausgerechnet werden.

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Museum Liaunig (c) European Cultural News

Dass nicht alles, was gekauft wird, teuer war – darüber freut sich der Sohn des Sammlungsgründers sichtlich. „Im Netz sind manchmal unglaubliche Schnäppchen zu finden“, berichtet er. „Vor allem Grafiken werden dort oft weit unter Wert verkauft. Wenn man sich auskennt, muss man nicht immer viel Geld für Kunst ausgeben“, so die weitere Erläuterung zu seiner eigenen Ankaufspolitik. Zur Erweiterung der Sammlung seines Vaters stehen jährlich 1 Million Euro zur Verfügung. Doch was sich dem Besucher als reines Vergnügen präsentiert, ist zugleich auch eine Herausforderung.

Sammeln ist eine Krankheit

„Natürlich ist so eine Sammlung auch eine Belastung. So alle 2 Wochen, wenn wir in der Familie zusammenkommen, stellen wir uns regelmäßig die Frage, warum wir uns das eigentlich antun. Aber Sammeln ist nicht nur eine Leidenschaft, sondern eine ansteckende Krankheit!“ Dass diese Aussage von Peter Liaunig offensichtlich stimmt, belegt eine kleine Geschichte. „Ich hatte zwei Schulfreunde, die, wenn sie zu uns nach Hause gekommen sind, regelmäßig entsetzt waren, welche Kunst bei uns an den Wänden hing. „Das kann man sich doch nicht ansehen“ usw. waren ihre Kommentare, bis ich einmal sagte: Ihr braucht es ja nicht ansehen, aber wenn ihr mit euren Aussagen nicht aufhört, dann kommt einfach nicht mehr. Und heute sind alle beide selbst Kunstsammler geworden! Ich glaube, alles braucht seine Zeit. Auch das Verstehen von Kunst.“

„Passiert“ ist den Liaunigs auch der Skulpturengarten, der sich über dem Museum selbst befindet. „Es waren rein praktische Gründe, warum dieser Garten entstand, denn die Skulpturen, die hier in der Landschaft gar nicht so imposant wirken, nahmen im Lager selbst viel Platz ein. Nicht nur, dass einige über vier Meter hoch sind – wenn man sie in Kisten lagert, dann kostet das ganz schön Platz.“ Der frei gewordenen Raum, das Skulpturendepot, wurde nun kurzerhand für eine neue Sonderschau genutzt, die Peter Liaunig Wolfgang Ernst widmete. „In 20 oder 30 Jahren werden die Bäume, die wir in diesem Jahr im Skulpturengarten neu gepflanzt haben, sicher schön aussehen.“ Diese Aussage von Herbert Liaunig zeigt überdeutlich, dass sein Denken und Sammeln nicht nur für das Hier und Jetzt gedacht ist, sondern von Dauer sein soll.

Weitere Informationen auf der Homepage des Museum Liaunig.

 

Zeige mir wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist

Zeige mir wie du wohnst und ich sage dir, wer du bist

Couchgarnitur mit zwei Hockern, Esstisch, Buffet und Barschrank, im Stil der 1920er-Jahre – die typische Einrichtung eines Wiener Wohnzimmers. Die Wohnzimmermöbel der Familie Glück sind ein paar Überbleibsel, die eine leider ebenso typische jüdische Familiengeschichte dokumentieren.

Hoffnung auf Wohlstand, Vertreibung und Ermordung

Hersch Glück und seine Frau Judith Widder kamen um 1900, wie viele andere galizische jüdische Familien, in die Hauptstadt der Habsburgermonarchie, um den ärmlichen Verhältnissen ihrer Heimatstätte Tarnopol/Ternopil und Neutra/Nitra zu entkommen. In Wien eröffnete Hersch Glück eine Kürschnerwerkstätte, die später seine Söhne Erwin und Walter übernehmen sollten. Das gut laufende Geschäft erlaubte den Glücks, sich zuerst in der Leopoldstadt und dann sogar am Fleischmarkt 15 im noblen ersten Bezirk, unter anderem mit der neuen Wohnzimmergarnitur häuslich einzurichten.

Über Frankreich nach New York

Nach dem sogenannten „Anschluss“ wurde der Kürschnerbetrieb „arisiert“ und die Familie saß ein letztes Mal gemeinsam um den blank polierten Esstisch. Erwin gelang die Flucht in die USA. Seine Frau Lily und der achtjährige Sohn Heinrich wollten über Frankreich nach Palästina entkommen. Doch in Nizza wurde Lily 1942 von den Nazis verhaftet, nach Auschwitz deportiert und ermordet. Heinrich kam in einem, von dominikanischen Patern geführten Internat, und später, bei einer französischen Familie unter.

Heinz/Henry Glück (c) Glück family collection

Heinrich/Henry Glück (c) Glück family collection

Unter falscher Identität konnte Heinrich, der sich nun Henry nannte, den Krieg überleben und durch die Vermittlung einer jüdischen Hilfsorganisation 1946 wieder mit seinem Vater vereint werden. Auch das Wohnzimmermobiliar schaffte es über Frankreich nach New York und ins neue Wohnzimmer der Familie Glück. Zuletzt bot ihm Henrys Stiefmutter Herta Kleeblatt in Queens eine Bleibe.

Dass Möbel ins Exil mitgenommen wurden, war kein Einzelfall. Um in der Fremde ein Stück Heimatgefühl zu schaffen, ist es ein naheliegender Gedanke, das Herzstück der ehemaligen Wohnung mitzunehmen. In manchen Fällen war es sogar möglich, durch Kollaboration mit einem Tischler Geheimfächer in die Möbel einzubauen. So konnten unerlaubter Weise Wertgegenstände ins Ausland gebracht werden.

In vielen Fällen jedoch wurden Alltagsgegenstände, Kunstwerke und Wertsachen für schnelles Geld verkauft, um überhaupt eine Flucht zu ermöglichen oder fielen der Enteignung durch die Nazis zum Opfer. Wer weiß, wie viele Möbelstücke in Wien solche Geschichten noch erzählen könnten, weil sie eben nicht mitgenommen werden konnten.

Originale Putztücher aus dem Besitz der Familie Glück (c) European Cultural News

Originale Putztücher aus dem Besitz der Familie Glück (c) European Cultural News

Nicht-Spießig mit Mief

Über den Entwerfer der Möbel kann man nur Vermutungen anstellen. Das tut Kunsthistoriker Christian Witt-Dörring, der auf Möbel des 19. und 20. Jahrhunderts spezialisiert ist, im Ausstellungskatalog. Er schließt von der Beschaffenheit der Möbel nicht nur auf den Designer, sondern auch auf die Besitzer selbst. Die Möbel, die keinem eindeutigen Stil zuzuordnen sind, weisen auf Wohlstand, aber nicht Inszenierungslust hin. Die Eckbank, die für Witt-Dörring der Inbegriff des spießigen Wohnens ist, wird durch die Bibliothek auf der Rückseite wieder „Nicht-Spießig“. So muss das Möbel mitten im Raum platziert werden und darf für sich selbst wirken.

Wohnzimmer Familie Glück (c) David Peters

Wohnzimmer Familie Glück (c) David Peters

Die Schicksale der Familienmitglieder sind an den Möbeln spurlos vorübergegangen. Die hochwertigen Stücke, die durch Henry Glück dem Jüdischen Museum vermacht wurden, strahlen noch immer Gemütlichkeit aus. Sie sind Zeugen einer vergangenen Zeit und materiell gewordene Erinnerung an eine Familie, die durch den Antisemitismus der Nazis daran gehindert wurden, hier noch einmal zusammenzusitzen.

Die Präsentationsfläche auf der die Einrichtungsgegenstände im Museum platziert sind, ist ebenso, wie die Welt der Glücks in die Schieflage gekommen.

Bis 26. März 2017 kann man im Jüdischen Museum in der Dorotheergasse 11 zumindest noch vor den Möbeln sitzen und die Geschichte der Familie Glück kennenlernen.

Weitere Informationen auf der Website des Jüdischen Museum.

Aus dem Auge des Zyklons

Aus dem Auge des Zyklons

Man muss ganz nahe an die Wände und Vitrinen der Ausstellungsräume des Volkskundemuseums in Wien gehen. Nur so kann man sehen, was auf den kleinformatigen Schwarz-Weiß-Fotos zu sehen ist, die im Auge des Zyklons geschossen wurden. Im Zweiten Weltkrieg an den verschiedenen Fronten des „Deutschen Reiches“.

Privates Fotomaterial aus dem Zweiten Weltkrieg

Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende wird nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für jene, die die Gnade der späten Geburt erleben durften, privates Fotomaterial interessant. Material, das zum größten Teil von Soldaten der Deutschen Wehrmacht bei ihren Fronteinsätzen von ihnen selbst geschossen wurde. Oder von jenen Fotografen, welche die Einsätze begleiteten und von Berufs wegen fotografieren mussten. Von diesen Fotos gab es auch die Möglichkeit, Abzüge zu bestellen, um sich später einmal an die verschiedenen Ereignisse erinnern zu können.

Soldaten fotografieren während des Besuchs von Hitler und Mussolini in Uman/Ukraine am 28. August 1941;
Archiv Reiner Moneth, Norden

Soldaten fotografieren während des Besuchs von Hitler und Mussolini in Uman/Ukraine am 28. August 1941;
Archiv Reiner Moneth, Norden

„Zu Beginn des Krieges wurden sowohl die Soldaten, als auch die Bevölkerung, die zuhause geblieben war, aufgerufen, zu fotografieren und sich gegenseitig diese fotografischen Eindrücke zu schicken.“ Petra Bopp, Kuratorin der Ausstellung, die schon 1995 eine erste Ausstellung über die Wehrmacht erarbeitete, hat die verschiedenen Stationen der Ausstellung begleitet. Bereits in Oldenburg, München, Frankfurt/Main, Jena, Peine, in Delft und in Graz, den Städten, in welchen die Ausstellung bis jetzt zu sehen war, wurde die Bevölkerung aufgerufen, Fotoalben mit Kriegsfotografien aus dem Zweiten Weltkrieg, als Leihgaben zur Verfügung zu stellen. Diese Alben, aber auch solche aus Museen und Archiven, bilden die Basis der Ausstellung.

Zeitzeugen erzählen Unerwartetes

Mit insgesamt 12 Zeitzeugen, also Männern, die ihre eigenen Alben zur Verfügung stellten, konnte die Ausstellungsmacherin sprechen. Drei Interviews sind im Volkskundemuseum in Videos zu sehen. Dass es dafür viel Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen bedurfte, ist klar. „Manche Familienangehörigen haben mir gesagt, dass wir Dinge erfahren hätten, wovon sie keine Ahnung hatten. Das kommt daher, dass wir von außen kommen und ganz andere Fragen stellen“, ergänzte Bopp bei der Präsentation der Ausstellung.

Zu sehen sind auf den Bildern nicht nur Landstriche, Kulturdenkmäler und Menschen in ihrer Heimat oder solche auf der Flucht. Zu sehen sind die Soldaten selbst, mit Kameraden. Aber auch Gefallene oder Erhängte „Feinde“ oder „Kollaborateure“. Eine Fotoserie, betitelt mit „Die Minenprobe“ beginnt mit einer Frau, die bei der Durchquerung einer Furt im Wasser zu sehen ist. „Die Geschichte dieses Fotos ist sehr interessant. Es kam mir in einem Album unter, ohne jegliche Beschriftung, und da das Album anonym war, konnte ich es nicht zuordnen. Da aber das Motiv ungewöhnlich ist, habe ich es mir gut gemerkt.“ Als Bopp bei einem Sammler das gleiche Foto noch einmal fand und auf Anhieb wiedererkannte, hatte sie Glück. Gab es dazu doch eine „Legende“. Ein gedrucktes Papier, das Fotos mit Nummern und Titel versehen hatte, um den Soldaten die Möglichkeit der Nachbestellung zu geben. Der Titel wiederum gab Aufschluss über eine Kriegsverordnung, nach der enge Stellen, Flüsse, Brücken und andere Überquerung von Kriegsgefangenen und Juden zuerst über- oder durchquert werden mussten, um sicher zu gehen, dass sich keine Minen darin befanden.

Aufruf und Fotografierverbot

Das Foto kann stellvertretend für viele gelten, denn das Geschehen, von einem erhöhten Standpunkt aus fotografiert, zeigt nur unter Kenntnis des Sachverhaltes das wahre Grauen dahinter. Stand am Anfang noch der Wunsch, auch seitens der Parteiführung, den Krieg fotografisch umfassend zu dokumentieren, wurde es mit Fortschreiten des Krieges den Soldaten verboten, zu fotografieren. Ein Verbot, das aber zu spät kam. Längst hatten die Eingerückten auch jene Gräueltaten auf ihre Filme gebannt, welche die Deutsche Armee bei ihrem Einmarsch und Rückzug in die verschiedenen besetzten Länder auch an der Zivilbevölkerung begangen hatten.

Sowjetische Soldatinnen, vermutlich vor einem Verhör. Sowjetunion, ohne Datierung. Album anonym, Archiv Reiner Moneth, Norden

Sowjetische Soldatinnen, vermutlich vor einem Verhör. Sowjetunion, ohne Datierung. Album anonym, Archiv Reiner Moneth, Norden

Die Titel lassen erahnen, wie die Feindpropaganda bis hin zum letzten Mann wirkte. „Flintenweiber“, so despektierlich ist ein Foto betitelt, das weibliche Soldatinnen der Roten Armee zeigt. Nebeneinander, in Reih und Glied an einer Wand stehend, blicken sie entweder zu Boden oder ernst in die Kamera. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass ihnen eine schwere Zeit bevorstand und weiß nicht, ob sie überlebt haben.

Bopp erzählte auch, dass es Familien gab, durch die ein Riss ging, als sie erfuhren, dass Fotos aus der Vergangenheit eines Familienmitgliedes – meist eines Vaters oder Großvaters – den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Ein Zeichen, wie brisant das Thema bis heute geblieben ist und wie sehr es noch einer umfassenden Aufarbeitung bedarf, um zumindest die Enkel- und Urenkelgeneration nicht nur aufzuklären, sondern letztendlich diese durch die Aufarbeitung des Materials mit der Vergangenheit ihrer Vorfahren auch zu befrieden.

Neben den schon angesprochenen Motiven gibt es in der Ausstellung aber auch Fotos aus einem Lager in Ägypten und einem aus Russland. Raritäten, denn diese Lager durften nicht fotografiert werden. Die Herkunft vieler Bilder ist ungeklärt. Viele Fotoalben von Sammlern und Archiven können ihren einstigen Besitzern nicht mehr zugeordnet werden. „Bei unserem Projekt stehen auch die Fragen im Vordergrund: Wie ging man mit den Alben in den Familien um? Wie ist der heutige Blick auf dieses Material?“, erläuterte die Kuratorin ihren Forschungsansatz. Dieser kann nur dann befriedigend bearbeitet werden, wenn die Bevölkerung dabei mithilft und Fotos bringt. Der Aufruf, Alben aus Familienbesitz zu bringen und zur Verfügung zu stellen, gilt nun auch für Wien. Das Material, das sich die Ausstellungsmacher erhoffen, soll dann in einer Abschlussausstellung Anfang nächsten Jahres diese Sammlung ergänzen.

Die Ausstellung, die eine Kooperation mit „eyes on“, dem Monat der Fotografie Wien ist, ist noch bis 19.2.2017 im Volkskundemuseum zu sehen.

Weitere Informationen auf der Homepage des Volkskundemuseums oder bei „eyes on“.

21 waagrecht und 15 senkrecht

21 waagrecht und 15 senkrecht

Unausgefüllte Kästchen in einem Kreuzworträtsel waren eine Herausforderung für eine Neunzigährige aus Nürnberg. Dass sie damit völlig unerwartet zum Fast-Medienstar wurde, hatte sie aber nicht geplant. Ihrer Umsicht ist es zu verdanken, dass trotz Interviews bislang weder der vollständige Name noch ein Foto von Frau Hannelore K. im Netz zu finden sind. Jener rüstigen Ex-Zahnärztin, die im Neuen Museum Nürnberg fehlende Suchbegriffe in ein Bild von Arthur Köpcke eintrug. Nicht ahnend, dass sie damit das Kunstwerk beschädigte. Verstand sie doch den Titel des Kreuzworträtsel-Kunstwerkes „insert words“ als Aufforderung, dies auch tatsächlich zu tun.

Immer dann, wenn in den Medien über eine spektakuläre „Kunstvernichtung“ berichtet wird, erhitzen sich die Gemüter. Fühlen sich vor allem jene im Aufwind, die ohnehin schon immer wussten, dass Kunst, die nicht als solche zu erkennen sei, gar keine sein kann. Im Fall von Köpckes Rätselbild liegt die Sache aber anders.

Seit dem Urinal und dem Flaschentrockner von Marcel Duchamp wissen wir, dass nicht nur das Werk alleine bestimmt, ob es der Kunst zuzuordnen ist oder nicht, sondern auch wo und wie es präsentiert wird. Hängt ein Bild – wie in diesem Fall – also in einem Museum an der Wand, kann man davon ausgehen, dass Fachleute es für Kunst erachten. Auch wenn Laien dies oft nicht verstehen können oder auch wollen.

Insofern ist der Akt der alten Dame ein sehr mutiger. Denn Kunst, die im Museum hängt, und das ist wirklich keine Neuigkeit, hat einen gewissen monetären Wert und darf allein schon deswegen nicht beschädigt werden. Andererseits hat die Kunst längst Grenzen überschritten und die Einladung, mit dem Publikum zu interagieren, ist keine Seltenheit mehr. Der Titel des Bildes „insert words“ kann unter diesem Gesichtspunkt ohne Weiteres als direkte Aufforderung verstanden werden, Hand anzulegen und die fehlenden Worte einzutragen. Dafür spricht auch, dass Arthur Köpcke, der bereits 1977 nur 49-jährig verstarb, ein Fluxus-Künstler war. Also jener Kunstrichtung angehörte, für die das Ephemere, das Flüchtige, das Vergängliche in der Kunst ein wesentlicher Bestandteil war.

Der Künstler kann nicht mehr dazu befragt werden, ob nun die Vervollständigung seines Bildes statthaft oder nicht war. Aber eine Ausstellungskritik von Petra Kipphoff in der Zeit aus dem Jahr 1988 könnte dies sogar nahe legen. Der Kunstmarkt an sich hat aber seine Regeln und folgt man diesen, so stellt die Beschriftung des Bildes einen Eingriff von außen dar, der einen Akt darstellt, der nicht vom Künstler gesteuert oder gewünscht war und somit auch nicht ausgeführt werde hätte dürfen.

Ganz knifflig wird es aber, wenn man sich den angeblichen finanziellen Schaden genau anschaut. Das Museum kolportierte eine Summe von einigen Hundert Euro. Eine Restauratorin könne das Bild mit dieser Summe wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzen, wurde an die Öffentlichkeit kommuniziert. Bedenkt man aber, dass dieser Fauxpas medial rund um die Welt ging, ja sich in unglaublicher Geschwindigkeit über die Sozialen Medien noch zusätzlich verbreitete, so darf man mit Fug und Recht behaupten, dass gerade dieses Bild durch diese Aktion einen beträchtlichen Wertzuwachs erhalten hat. Es gelingt selten, einen verstorbenen Künstler oder eine Künstlerin des 20. Jahrhunderts, die nicht durch eine große Retrospektive gewürdigt werden, mit einem Schlag innerhalb und außerhalb des eigenen Landes so bekannt zu machen. Wenn so ein Coup dennoch klappt, dann nur unter beträchtlichem finanziellem und zeitlichem Einsatz. Dafür geht dies aber auch immer mit einem Wertzuwachs der Werke einher. Ich muss keine große Prophetin sein, um das auch in diesem Falle zu prognostizieren. Dazu kommt noch, dass die Zeit des Fluxus im Moment, ganz unabhängig von diesem Ereignis, ohnehin vermehrt in den Fokus der Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker gerät. Das hat etwas mit der Tatsache zu tun, dass zeitgenössische Kunst meist erst im Abstand von mehreren Jahrzehnten wissenschaftlich gewürdigt und aufgearbeitet wird.

Dass Köpcke ein Fluxuskünstler war, wissen jetzt auch Menschen, die bislang von Fluxus noch nie etwas gehört haben. Und wer weiß, vielleicht findet sich nun auch rascher jemand, um das gesamte Werk von Arthur Köpcke näher zu untersuchen und zu veröffentlichen. Auch das würde sich wiederum auf den Marktpreis positiv auswirken. Der Leihgeber des Bildes, der ehemalige Galerist René Block sieht die Angelegenheit nicht nur gelassen, sondern realistisch. In einem Interview mit der Zeitschrift Monopol äußerte er sich folgendermaßen: „Und etwas Gutes hat der Fall: Noch nie wurde so viel über Arthur Köpcke geschrieben.“

Von diesem Standpunkt aus gesehen folgte für ihn auf den ersten Schreck eine Wohltat. Denn ohne den munteren Bekritzelungs-Eingriff würden auch heute nur Eingeweihte das Kreuzworträtsel-Bild von Arthur Koepcke kennen.

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Kunst-Geschichten aus China mitten in Wien

Kunst-Geschichten aus China mitten in Wien

Wien ist seit wenigen Tagen bis November um eine Attraktion reicher. Ai Weiwei bespielt nicht nur den Garten und das barocke Bassin des Oberen Belvedere sowie den Treppenaufgang der ehemaligen Sommerresidenz von Prinz Eugen. Auch im 21er Haus ist eine im wahrsten Sinn des Wortes raumfüllende Installation von ihm zu sehen. Der chinesische Künstler, der sich in den letzten Jahrzehnten am internationalen Kunsthimmel zu einem Fixstern entwickelte und mit seinem Unternehmen „Fake Studio“ rund um den Globus architektonische Aufträge realisiert, verwirklichte diese erste größere Schau in Österreich in einem Rekordtempo. Innerhalb eines halben Jahres wurde in Zusammenarbeit mit dem Belvedere und dem 21er Haus eine in den öffentlichen Raum übergreifende Ausstellung auf die Beine gestellt, die einen großen künstlerischen Bogen vom Gestern ins Heute spannt.

Ai Weiwei, der von 1981 bis 1993 in New York lebte und dort studierte, wurde in seiner Heimat wegen systemkritischen Verhaltens verfolgt und 2011 ohne Anklage mehrere Monate an einem unbekannten Ort inhaftiert. Danach wurde ihm bis 2015 der Pass entzogen. In dieser Zeit entschloss sich die Berliner Akademie der Künste ihn als Gastprofessor aufzunehmen. Seit Ai Weiwei wieder reisen darf, kommt er dieser Berufung nach. Vertreibung und die damit einhergehenden Erniedrigungen und Repressalien erlitt auch der Vater der Künstlers. Als Kulturfeind wurde dem Schriftsteller Arbeitsverbot auferlegt und er musste mit seiner Familie in die Verbannung in die Mandschurei umsiedeln. Dislozierungen sind ein integraler Bestandteil im Leben von Ai Weiwei und seiner Familie und es ist nicht verwunderlich, dass er sich diesem so schmerzlichen Phänomen in den Werken, die nun erstmals in Wien gezeigt werden, auseinandersetzt.

Ai Weiwei, F Lotus, 2016 © Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien

Ai Weiwei, F Lotus, 2016 ©Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien


Die wohl spektakulärste Installation, die Ai Weiwei einem der brennendsten Themen unserer Tage widmete, nennt sich „F Lotus“. In ihr verwendete er 1005 gebrauchte Rettungswesten, die er in das barocke Bassin des Oberen Belvedere-Gartens montieren ließ. Jeweils fünf Westen sind dabei auf einer schwimmenden Kunststoffunterlage so miteinander verbunden, dass sie eine stilisierte Lotusblüte ergeben. Sie verweisen einerseits direkt auf das derzeitige Drama, das sich im Herzen Europas abspielt. Andererseits transportieren sie die Metapher der Lotusblüte, die für absolute Reinheit steht. Die Gesamtmontage der Schwimmwesten ergibt ein großes, kalligrafisch wiedergegebenes F. Das Zeichen, das der Künstler auch für sein in Peking und Berlin befindliches Unternehmen verwendet. „Fake“ wird im Chinesischen wie das englische Wort „fuck“ ausgesprochen und gibt der Installation zugleich mit anderen Assoziationen wie „freedom“ eine enorme Vielschichtigkeit.

Rund um das Bassin ließ Ai Weiwei 12 Bronzen aufstellen. Sie sind eine persönliche Nachempfindung jener Köpfe, die einst im Garten des kaiserlichen Sommerpalasts Yuanming Yuan in Peking standen. Im 18. Jahrhundert erbaut, waren sie Teil einer Wasseruhr mit Menschenkörpern und Tierköpfen, die als Zeitmesser alle zwei Stunden Wasser spien. Nach der Verwüstung durch französische und britische Truppen und der Plünderung des Areals gelangten die Köpfe auf den internationalen Kunstmarkt. Bis auf fünf Stück befinden sich alle wieder in China. Den „Circle of Animals/Zodiac Heads“ hat Ai Weiwei bewusst auf Totem-ähnliche Pfeiler gestellt, um so die Assoziation der barbarischen Zerstörung dieses Kulturgutes zumindest mitschwingen zu lassen. In Wien mutieren sie gerade zu einer unglaublichen, touristische Attraktion.

Mit vielen, wenn nicht sogar allen seiner Arbeiten gelingt ihm die ideelle Transformierung von altem Kulturgut seiner Heimat in die Jetztzeit. Das Anstoßen zum Nachdenken und Informieren über kulturhistorische sowie gesellschaftliche Inhalte, über Philosophie, Moral und Ideologie ist für ihn Teil seiner Arbeit. „Art is a language of communication“ ist ein Zitat von ihm, mit dem er kurz sein Kunstverständnis beschreibt.

Ai Weiwei, Wang Family Ancestral Hall, 2015 © Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien

Ai Weiwei, Wang Family Ancestral Hall, 2015 ©Ai Weiwei Studio, Foto:©Belvedere, Wien


Die gesamte Schau trägt den Titel „translocation – transformation“ und präsentiert, erstmals außerhalb Chinas, im 21er Haus die „Wang Family Ancestral Hall“. Es ist eine Ahnenhalle aus der Zeit der späten Ming-Dynastie, ein hölzernes Relikt, das aus 1300 Einzelteilen besteht und in die große Ausstellungshalle mittig eingebaut wurde. Die Familie Wang, bedeutende Teehändler, wurde in der Kulturrevolution vertrieben. Das Relikt der Dynastie wurde in schon halb verfallenem Zustand vom Künstler angekauft und durch seine Verpflanzung in einen Raum, welcher der Kunst gewidmet ist, in einen neuen, spannenden Bezug gesetzt. Dass das 21er Haus selbst nach seinem ursprünglichen Gebrauch als Präsentationsgebäude Österreichs während der Weltausstellung 1958 in Brüssel nicht nur abgebaut und an einem neuen Ort wieder aufgebaut wurde, sondern auch einer neuen Bestimmung zugeführt wurde, zieht eine weitere Interpretationsebene in diese Installation ein. Einige bunt eingefärbte, architektonische Elemente unter dem Dach der Ahnenhalle zeigen einen aktuellen künstlerischen Eingriff Ai Weiweis auf. Es sind Teile, die im Original nicht mehr vorhanden waren und erinnern in ihrer Farbgebung, einem grellen Rosarot, Grün und Gelb an jene bunte Fassung antiker Statuen, die erst im 20. Jahrhundert entdeckt wurden. Die bunten Nachbildungen wollen sich einerseits gar nicht harmonisch in die historische Holzsubstanz einfügen, spannen aber andererseits wieder einen großen Bogen ins Heute.

Ai Weiwei, Teahouse, 2009 © Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien Gepresster "Pu-Erh" Tee;

Ai Weiwei, Teahouse, 2009
© Ai Weiwei Studio, Foto: © Belvedere, Wien
Gepresster „Pu-Erh“ Tee;


Umgeben ist das beinahe 500 Jahre alte architektonische Gebilde von einer aus 2 kleinen Teehäusern bestehenden weiteren Boden-Installation, die auf getrockneten Teeblättern steht. Die Häuser selbst bestehen aus sogenannten Pu-Erh-Teeziegeln und stehen ihrerseits nicht nur in direktem Bezug zur Ahnenhalle der Teehändler, sondern auch zu einem Porzellanteppich vor der Ahnenhalle. Dieser besteht aus 2,5 Tonnen porzellanener Schnäbel von antiken Teekannen. Die weißen bis leicht hellbeigen Bruchstücke erwecken in ihrer Anordnung Assoziationen zu kleinen Knochenteilen. Damit wirkt die Arbeit wie ein subtiler Hinweis, eine Metapher auf das Absterben einer jahrhundertelangen Tradition.

Mit weißen, drachenähnlichen Schwebefiguren im Treppenhaus des Oberen Belvedere verweist Ai Weiwei auf den Shanhaijing, einem „Klassiker der Berge und Meere“, der ältesten überlieferten Sammlung der chinesischen Mythologie. Gefertigt aus Bambusstäben und mit Seide beklebt, erscheinen diese ephemeren Skulpturen wie Geistergestalten aus einer längst vergangenen Zeit, die sich bemüßigt fühlen, die Kunstwerke ihres Schöpfers in Wien schützend zu begleiten. So könnte man sich zumindest eine eigene Assoziationskette zu den gezeigten Arbeiten schaffen.

Ein eigener Blog begleitet die Ausstellung und zeigt interessante Videos, in welchen Ai Weiwei selbst zu Wort kommt. Das umfangreiche Rahmenprogramm ist auf der Homepage des 21er Hauses zu finden.

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