Naziterror und die Gerechten unter den Völkern

Naziterror und die Gerechten unter den Völkern

Naziterror und die Gerechten unter den Völkern

Von Michaela Preiner

„Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ (Foto: European Cultural News)
17.
März 2018
Lucia war bei dem Einmarsch der Hitler-Truppen in Österreich 9 Jahre alt. Ihre jüdische Abstammung hätte ihr und ihrer Mutter beinahe das Leben gekostet. Nur mithilfe des besten Freundes ihres Vaters überlebte sie die Zeit der Judenverfolgung in Wien. Reinhold Duschka versteckte die beiden zuerst in seiner Werkstatt und die letzten Monate vor Kriegsende in einem Kohlenkeller-Verschlag eines Wohnhauses, in dem sie nicht einmal miteinander sprechen durften, um nicht entdeckt zu werden.

Angelica war 12, als sie die Gestapo aus dem Gymnasium abholte, weil sie als Jüdin nicht weiter zur Schule gehen durfte. Nach einer Odyssee über Salzburg, das sie mit ihrer Familie Hals über Kopf verlassen musste, nahm sie der beherzte Pfarrer Johann Linsinger in Großarl mit ihren beiden jüngeren Geschwistern und ihren Eltern auf. Er versorgte die Familie Bäumer mit neuen Papieren und beherbergte sie als „ausgebombte Wiener“ bis Kriegsende.

Reinhold Duschka und Johann Linsinger sind zwei Personen von insgesamt 112, die in Österreich den Titel „Gerechte der Erde“ tragen. Einen Titel, der vom israelischen Komitee der internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an nicht jüdische Personen vergeben wird, wenn diese nachgewiesenermaßen jüdischstämmige Menschen während des 2. Weltkrieges vor dem Tod uneigennützig und unter Einsatz ihres eigenen Lebens retteten. Im Volkskundemuseum ist nur bis Ende März dieser Thematik eine Ausstellung mit dem Titel „Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung“ gewidmet.

In ihr werden nicht nur die Gerechten Österreichs aufgezeigt. Auch die übelsten Mörder, die dieses Land in der Nazidiktatur schalten und walten ließ, bekommen Gesicht und Namen. Bis man zu den Biographien der Gerechten gelangt, muss man erst ein Spalier dieser Nazischergen durchschreiten, kann dabei ihre Namen und ihre Funktionen lesen und erfährt, welche Verbrechen sie begingen.

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„Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ (Foto: European Cultural News)

Die Ausstellung beinhaltet auch kleine Objekte, Fotos und persönliche Andenken an jene, die sich mit ihrer Zivilcourage selbst in Lebensgefahr brachten. Sie fordert die Besuchenden aber auch auf, sich unter eine überdimensionale Polizeikappe zu stellen, in der schlagwortartig Gedanken und Wortfetzen aneinandergereiht wurden, die das „Innere eines Kopfes“ wiedergeben, in dem Recht gegen Unrecht imaginär einen Kampf austragen. Ein Propagandafilm, eine Aufnahme von Hitlers Fahrt durch Wien am 14. März 1938 und Plakate, an Litfaßsäulen montiert, geben die Stimmung wieder, die in jenen Jahren, politisch betrieben, das Volk vergiftete und die Menschen zu Mittätern werden ließ. Eine Reihe von Videofilmen lassen Zeitzeugen zu Wort kommen.

Eine besondere, gelungene Ausstellungsarchitektur zeigt von innen heraus hell erleuchtete Würfel in einem abgedunkelten Raum. Auf ihnen sind Fotos und Texte über jene Gerechten angebracht, die sich gegen das Gesetz stellten und ihre Überzeugung von Nächstenliebe tatsächlich lebten. Auf diese Weise treten diese Personen wie Lichtgestalten auf, die im wahrsten Sinne des Wortes hellstes, menschliches Licht in das Dunkel einer Zeit brachten, das durch seine grausamen Taten humanistisch unermesslich finster geworden war.

Um in den Kreis der Gerechten aufgenommen zu werden, müssen mehrere Zeugen eidesstattlich Auskunft über das Verhalten dieser Menschen ablegen, was bis heute schwierig ist. „Von über 20 Mitschülerinnen habe ich nur zwei animieren können, diese eidesstattlichen Erklärungen abzugeben“, erzählte die heute 86-jährige Angelica Bäumer bei einem Podiumsgespräch anlässlich der Ausstellungseröffnung . Das Zögern der anderen oder ihre glatte Ablehnung zeigen, wie tief auch heute noch die Ressentiments gegen die jüdische Bevölkerung angesiedelt ist oder wie sehr ein Sich-Bekennen mit der Angst vor einem sozialen Druck von Andersdenkenden abgelehnt wird.

„Wir brauchen auf unser Land nicht stolz sein“, O-Ton von Michael John, Kurator der Ausstellung. „112 Gerechte in ganz Österreich ist wirklich nicht viel. Die Mehrzahl davon kam aus Wien. Aus Linz und Graz ist überhaupt niemand dabei. Einige stammten aus kleineren Städten, manche auch vom Land.“ So unterschiedlich wie die geographische Verteilung ist, so unterschiedlich ist auch die soziale Struktur der Lebensretter und Lebensretterinnen. Von Intellektuellen bis hin zu Bauersfamilien, von Handwerkern bis hin zu Polizisten, von Schauspielerinnen bis hin zu Fabrikbesitzern spannt sich der Bogen.

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„Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ (Fotos: European Cultural News)

Die Biografien der Gerechten aus Österreich sind darüber hinaus in einem überdimensional großen Folianten, der in der Ausstellung aufliegt, angeführt. Ein Teil dieser Personen wurde für ihre Hilfe verurteilt und noch während der Naziherrschaft ermordet. Wie tief die Trauer auch heute noch in ihren Familien verankert ist, zeigte eine kleine Geste eines Besuchers am Eröffnungsabend. Er legte seine Hand sanft auf das Foto eines Gerechten, der im Buch der Österreicherinnen und Österreicher verewigt wurde und hielt für einige Augenblicke in einem verinnerlichten Gedenken inne.

„Wer einem Menschen das Leben rettet, rettet die ganze Welt“ ist im Eingangstext zur Ausstellung zu lesen. Es ist jener Talmudspruch, der im Ring eingraviert wurde, den Oskar Schindler von den Juden erhalten hatte, die den Nazihorror überlebt hatten.

Um Leben zu retten, braucht es aber Courage. Eine Courage, von der wir Nachgeborenen nicht wissen, ob wir sie zu jener Zeit tatsächlich aufgebracht hätten. Was wir aber machen können, ist, heute gegen jene Ungerechtigkeiten anzukämpfen, die seitens der Gesellschaft und der Politik rund um uns tagtäglich geschehen. Auf die Frage, was denn die heute 86-jährige Angelica Bäumer an ihre Mitmenschen  von ihrer Erfahrung weitergeben möchte, antwortete sie ohne zu zögern: „Helfen Sie den  jungen, männlichen Flüchtlingen, die ihr Land ohne ihre Familien verlassen mussten. Unterstützen sie jene Familien, die alles zurücklassen mussten und nun, ihrer Sprache beraubt, in einem fremden Land wohnen, in dem sie auf die Hilfe der Bevölkerung angewiesen sind.“

Es ist eine Mahnung, die beschämt. Denn eine Gesellschaft wie unsere, die in einem Land lebt, welches 2017 im Ranking der reichsten Länder der Welt Platz 16 einnahm und dessen politische Führung vehement darauf drängt, die Integration in den Schulen zurückzufahren, Flüchtlinge „konzentriert“ zusammenzufassen und ihnen die Mindestsicherung zu kürzen, ist auf dem besten Weg, sich in eine Richtung zu entwickeln, in der Widerstand gegen die Mächtigen und das Eintreten für die Schwächsten der Schwachen wieder zur Courage mutiert.

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„Die Gerechten – Courage ist eine Frage der Entscheidung.“ (Foto: European Cultural News)

Die Ausstellung „Die Gerechten. Courage ist eine Frage der Entscheidung“ läuft nur bis inklusive 31.3. Das Volkskundemuseum hat in dieser Zeit seine Öffnungszeiten verlängert und bietet allen Besuchenden zu dieser Ausstellung einen Gratis-Eintritt an. Ein umfangreiches Vermittlungsprogramm für Schulklassen und Gruppen, sowie öffentliche Führungen ergänzen die Ausstellung.

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Kraft und Vergänglichkeit

Kraft und Vergänglichkeit

Das Untere Belvedere zeigt die Ausstellung „Die Kraft des Alters“. Wörtlich nehmen sollte man den Titel jedoch nicht, denn neben einer ganzen Anzahl von Kunstwerken, die alte Menschen noch in höchster Virilität zeigen, gibt es auch viele, die sich mit der Vergänglichkeit und dem Tod auseinandersetzen.

Eigentlich könnte man die Ausstellung in zwei ganz voneinander getrennten Teilen zeigen. Einen, in welchem Zeichnungen und Gemälde präsentiert werden, die kurz vor und nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden. In ihnen werden alte Männer meist in Portraits mit würdevollen Bärten dargestellt, alte Frauen sind, so sie sozial höher gestellt waren, eingehüllt in feinem Tuch, stoisch sitzend und lesend wiedergegeben. Aber einige Bilder, wie die eindrucksvollen, gezeichneten Selbstportraits von Paula Modersohn-Becker, die sie im vorgerückten Alter schuf, zeigen, dass Alter auch beschwerlich sein kann und oft mit Einsamkeit verbunden ist. Viel von der Kraft des Alters ist in diesem Ausstellungskonvolut, das von der Kuratorin Sabine Fellner, ausgesucht wurde, nicht spürbar.

Erst die Gegenüberstellung von zeitgenössischer Kunst eröffnet jenen Blickwinkel, welcher der Ausstellung ihren Titel gab. Von den 174 Werken von 105 Künstlerinnen und Künstlern stammt der größere Teil von zeitgenössischen Kunstschaffenden. Das Medium Fotografie sticht hier quantitativ besonders hervor, neben Installationen, Zeichnungen und Gemälden gibt es aber auch einige Videos.

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„Die Kraft des Alters“ (Foto: Johannes Stoll, © Belvedere, Wien)

Eines der berührendsten ist eine Kurzfassung des Filmes „Omsch“ von Edgar Honetschläger, das dieser 2013 seiner 101 Jahre alten Nachbarin Pauline Schürz widmete. Darin fing er nicht nur die Lebensumstände in ihrer Wiener Wohnung ein, sondern ließ ihr – bemerkbar in einer ruhigen Kameraführung mit lang andauernden Einstellungen – genügend Raum, ihre Gedanken zu formulieren. Einsamkeit aber auch das Thema Hektik und Zeit werden dabei genauso thematisiert wie die Freude der alten Dame an der Anteilnahme des jungen Künstlers an ihrem Leben. Einziger Wermutstropfen dabei ist die Präsentation im Marmorsaal, der aufgrund seiner hallenden Akustik denkbar ungeeignet für diese intimen, filmischen Momente ist.

Das Thema Alter wird in der Ausstellung in sechs unterschiedlichen Komplexen betrachtet, die sich jedoch nur durch das Lesen der Saaltexte wirklich erschließen. „Ewige Jugend / stolzes Alter“, „Vergänglichkeit“, „Einsamkeit / Verbundenheit“, „neue Freiheit“, „Muße und Erinnerung“.
Wohltuend fällt auf, dass nicht nur die Anzahl der weiblichen Künstlerinnen und der männlichen Künstler sehr ausgewogen ist. Auch in den Darstellungen werden beide Geschlechter behandelt.

Gleich zu Beginn nimmt Alfred Hrdlicka den geschlechtsbedingten Männerwahn ins Visier. In seiner Zeichnung „Der goldene Winkel“ steht das männliche Glied – ganz nach dem stilistischen Vorbild des Vitruvianischen Menschen von Leonardo da Vinci – im Mittelpunkt der Komposition. An der Wand gegenüber beeindrucken Fotos der 1947 geborenen Martha Wilson, in welchen sie mithilfe von Fotos ihr eigenes Altern nicht nur humoristisch, sondern auch extrem gesellschaftskritisch aufzeigt.

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Joyce Tenneson, Christine Lee, 2002 (© Joyce Tenneson)

Wenige Schritte davon entfernt, entdeckt man das Plakatsujet der Ausstellung. Es zeigt Christine Lee im Alter von 67 Jahren, fotografiert von Joyce Tenneson. Das Foto war zugleich Titelbild des Buches „Wise Women“ der Künstlerin, in welchem sie Frauen zwischen 65 und 100 Jahren portraitierte. Die Sepia-Färbung, in welche die Bilder getaucht sind, verknüpft die Wahrnehmung automatisch mit dem Beginn des vorigen Jahrhunderts und gibt somit einen ganz subtilen, zusätzlichen Hinweis, auf das höhere Alter der Fotografierten.

Neben Selbstbildnissen von Max Liebermann und Oskar Kokoschka findet sich auch ein imposantes Foto in Übergröße von Shirin Neshat. Es trägt den Titel „Bahram (Villains) „und stammt aus der Serie The Book of Kings. Neshat, Persona non grata im Iran, bezog sich in dieser Serie auf den Arabischen Frühling und portraitierte darin Männer und Frauen, zum Teil mit Bemalungen, die wie Tattoos wirken.

Die Vielzahl der ausgestellten Objekte erlaubt auch völlig subjektive Ausstellungserlebnisse, wie anhand der hier besprochenen Arbeiten aufgezeigt wird.

Drei Bilder und fünf Fotos des 2011 verstorbenen Roman Opalka zeigen in einem kleinen Nebenraum den höchst persönlichen Zugang des französisch-polnischen Künstlers zum Thema Zeit und Vergänglichkeit. Opalka schuf ein in sich geschlossenes Werk, in dem er über Jahrzehnte Leinwände mit fortlaufenden Zahlenreichen in weißer Farbe beschrieb, die Zahlen beim Malen aussprach, seine Stimme dabei auf Tonband aufnahm und den Hintergrund des neuen Bildes kontinuierlich aufhellte, sodass die Bilder an seinem Lebensende fast ganz weiß sind und die Zahlen darauf nur mehr schwer lesbar erscheinen. Jeden Tag fotografierte sich der Künstler zusätzlich in derselben Position und hielt auch damit sein eigenes Altern fest.

Einem so komplex durchdachten Zugang stehen andere gegenüber, die vor allem mit ihrer handwerklichen Präzision auffallen. Ron Mueck, englischer Bildhauer mit deutsch-australischen Wurzeln, arbeitete in den 80er-Jahren als Marionettist für die Sesamstraße und die Muppet Show. Berühmt wurde er durch seine hyperrealistischen, gigantischen Menschenskulpturen. In der Ausstellung ist er mit der Arbeit „Man in a Sheet“ aus dem Jahr 1997 vertreten. Einer kleinen, auf einem hohen Podest sitzenden Männerfigur, die gebeugt, ganz in weißes Tuch gehüllt ist. Nur das Gesicht mit feinen Bartstoppeln vermittelt den Eindruck eines alten Mannes, der sich offenbar in Meditation ganz aus dem Weltgeschehen ausgeklinkt hat. In diesem Werk verkehrt sich völlig jene Intention, die der Künstler mit seinen übergroßen, figürlichen Skulpturen erreicht, denn der kleine, beinahe zerbrechlich wirkende Mensch strahlt auch eine gehörige Portion Hilfsbedürftigkeit aus.

Die deutsche Collagekünstlerin der Body Art, Annegret Soltau (geb. 1946) hat auf beeindruckende Weise in ihrer Arbeit „generativ – Selbst mit Tochter, Mutter und Großmutter“ vier Generationen der weiblichen Linie ihrer Familie festgehalten. Angefangen von ihrer Tochter bis hin zu deren Urgroßmutter, vereinte sie alle nebeneinander, nackt, in stehender Position. Die Oberkörper tauschte sie jedoch in Collagetechnik aus, sodass die älteste Frau den Busen des Urenkelin trägt und umgekehrt. Mit zusätzlichen, grafischen Überarbeitungen, die wie grobe Narben wirken, verstärkt die Künstlerin das Moment des ohnehin sichtbaren, körperlichen Verfalles.

Vom österreichischen Fotografen Harry Weber (1921 – 2007) wird ein kleines, aber umso beeindruckenderes Foto gezeigt. Das „Paar im Altersheim“, in Lainz 1960 aufgenommen, zeigt ein Ehepaar in bodenlangen, gestreiften Morgenmänteln. Die Frau, neben ihrem Mann sitzend, knöpft diesem fürsorglich seinen Mantel zu. Nicht nur, dass die liebevolle Geste in Zusammenhang mit dem Alter der Personen sehr berührt. Es ist auch der Umstand, dass beide offensichtlich „Anstaltskleidung“ tragen. Weiß man um die Geschichte des Fotografen selbst, der als Jude unter den Nazis nach Palästina fliehen musste, 1946 nach Österreich zurückkehrte und für den Spiegel, Stern und den Gruner & Jahr-Verlag arbeitete, erhält dieses Foto eine zusätzliche Bedeutungsebene.

Das große Plus der Ausstellung „Die Kraft des Alters“ besteht nicht darin, ein einziges, bestimmtes Narrativ über den letzten, menschlichen Lebensabschnitt vermitteln zu wollen. Vielmehr beeindrucken die vielen künstlerischen Zugänge und Positionen, die das Altersphänomen von so unterschiedlichen Seiten beleuchten.

„Die Kraft des Alters“ läuft noch bis 4. März im Unteren Belvedere. Weitere Infos auf der Homepage.

Gefangen in der Endlosschleife

Gefangen in der Endlosschleife

Gefangen in der Endlosschleife

Von Michaela Preiner

„L´aringa – Der Hering“ (Foto: Alfredo Barsuglia)
06.
November 2017
Ein kleiner, heller Raum im Dachgeschoß eines Hauses in der Spiegelgasse war Austragungsort einer mit dem Publikum interaktiven „performativen Installation“. Ursula Blickle stellt das kleine Apartment seit einiger Zeit für kuratierte Performances und Ausstellungen zur Verfügung.
Alfredo Barsuglia, in Wien längst kein Unbekannter mehr und durch seinen „Social Pool“ auch bereits international einem großen Publikum im Kunstbetrieb aufgefallen, nutzte die Einladung, seine neueste Arbeit „L´aringa – Der Hering“ dort zu zeigen. Vier Performende – zwei Frauen und zwei Männer – vier Lampen, ausgestattet mit Ein-Aus-Schaltern, ein Rollator und der Nachbau einer Wohnungstüre samt angrenzender Wand, eine Bodenmatte mit einer kleinen Tafel und Kreidestiften, eine Badewanne, halb mit Wasser gefüllt und ein Revolver – das waren die Komponenten mit denen Barsuglia sein Szenario aufbaute.

Zwei Frauen und zwei Männer

Jeder Person waren festgelegte Handlungen und Texte zugedacht, die durch das Publikum mit dem Betätigen der verschiedenen Lichtschalter in Gang gesetzt wurden. Im Laufe der Performance wurden die einzelnen Charaktere erkennbar. Eine junge Frau, die sich an die Kinder- und Jugendzeit in einem schönen Haus erinnert, ihr Vater, ein Sänger, der gelähmt seine Wohnung nicht mehr verlassen kann, eine zweite Frau, die zwei Schüsse aus einer Pistole abgibt und ein Mann, der, obwohl er nicht in Schussrichtung steht – offenbar von den Kugeln getroffen – immer und immer wieder zu Boden sinkt.

Die Versuchsanordnung, auch so könnte man das Geschehen bezeichnen, lebt von der Interaktion des Publikums. Wenn von diesem ein Lichtschalter bedient wird, beginnt auch die Szenerie zu leben, die sich unter diesem Lichtschalter befindet. Wenn alle Lichter ausgeschaltet wurden, bleibt der gesamte Raum einfach dunkel und still. Wären alle Lichtschalter gleichzeitig angeschaltet, dann würde jede Person, die ihr zugedachte Rolle parallel zu den anderen spielen.

Die Grundidee dahinter ist, einen Spiegel unserer Gesellschaft aufzuzeigen, die sich oft nicht bewusst ist, dass eine kleine Handlung eines Einzelnen ungeahnte bis weitreichende Folgen haben kann. Diese Idee wird durch mehrere andere Bedeutungsebenen zusätzlich ergänzt.

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„L´aringa – Der Hering“ (Foto: Alfredo Barsuglia)

Ist das Theater oder Performance oder was?

Barsuglia spielt zugleich auch mit der bewussten, künstlerischen Grenzüberschreitung. Die Performenden agieren als ‚tableaux vivants‘, wenn sie mit ihrer Geschichte am Zug sind, verharren aber in regloser Position, wenn sie unbeleuchtet bleiben. Durch die Zuseherinnen und Zuseher werden sie wie Roboter aus- und eingeschaltet. Schon bald wird deutlich, die ständigen Wiederholungen der Szenen, in kleinen Details dennoch jeweils abgewandelt, erzeugen das Gefühl, sich in einer Endlosschleife zu befinden, beziehungsweise in die psychischen Endlosschleifen von Menschen hineinzublicken, die in ihren Traumata gefangen, sich ständig wiederholen müssen.

Tino Sehgal, der derzeit wohl international bekannteste Performance-Erneuerer, verfolgt in seinen – nur mündlich tradierten Arbeiten – ein ähnliches Konzept. Auch bei ihm wird das Publikum aktiv einbezogen, auch bei ihm gibt es vorweg eine durchdachte Regie, auch bei ihm findet sich das Element der Endlosschleifen.

Was unterscheidet Barsuglias Arbeit „L´aringa – Der Hering“, um ein Beispiel von seinen Werken zu nennen – von Sehgals? Es ist zum einen eine offensichtliche, handwerkliche Komponente, die Barsuglia ins Spiel bringt. Ob die mit Holz verbrämte Badewanne oder eine aufgestellte Wand mit Türe – Barsuglia geizt nicht mit Anschauungsmaterial. Auch in seinen temporären Arbeiten in Kunsthallen und Galerien zeigt er jeweils ein höchst professionell gestaltetes „Bühnenbild“, auch wenn sich darin kein Leben mehr abspielt. Der Künstler legt bei vielen seiner Rauminszenierungen selbst Hand an, aber wo er Hilfe benötigt, arbeitet er mit spezialisierten Handwerkern zusammen. Er lerne dabei nicht nur ständig etwas dazu, wie er in einem Interview einmal festhielt, sondern er genieße es auch, dabei aus der Kunstwelt auszutreten und mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nicht aus diesem Genre kommen.

Tanz, Performance, Musik und bildende Kunst

Zum anderen hat er gezeigt, dass er gerne auch im öffentlichen Raum arbeitet und damit auch ein Publikum erreicht, das zeitgenössische Kunst im musealen Umfeld scheut. Diese niederschwellig „konsumierbaren“ Arbeiten wie das „Hotel Publik“ in Innsbruck aus dem Jahr 1913 fungieren wie ein Türöffner zu den kritischen Inhalten seiner Werke, die sich erst nach und nach erschließen.

Zu welcher Kunstgattung sollte man nun eine performative Installation wie „L´aringa – Der Hering“ zählen? Die szenische, durchkomponierte Aufführung liegt nahe beim theatralen Bereich. Mit dem Bariton Stefan Zenkl, der einen Teil der Leidensgeschichte des Vaters singend wiedergibt, wird die Grenze zum Musiktheater überschritten. Mit Alex Deutinger, der in vielerlei Arten, von Kugeln getroffen, zusammensacken darf und Sara Lanner, die den Revolver bedient, weist der Weg in die Tanz- und Performanceszene. Barbara Grahsl wiederum ist Schauspielerin. Allein schon diese Besetzung zeigt, dass es Barsuglia darum geht, viele unterschiedliche Kunstfelder einzubeziehen. Eine Vorgehensweise, die sich vor allem im zeitgenössischen Tanz sehr gut beobachten lässt, in der bildenden Kunst jedoch noch weit weniger anzutreffen ist.

Weit entfernt ist der Künstler auch von jeder Art von Geheimniskrämerei, die den Markt anheizen soll. Sehgal verbietet Foto- und Videoaufnahmen, gibt selten Interviews und will seine Performances in den Institutionen, in welchen sie aufgeführt werden, nicht verschriftlicht wissen. Barsuglia liebt den Kontakt mit dem Publikum. „Am besten funktioniert dieses Stück, wenn die Menschen, gleich wenn sie den Raum betreten, in dem es stattfindet, ein Glas Wein in die Hand bekommen und sich dann ganz frei zwischen den einzelnen Szenen bewegen können“ – O-Ton Barsuglia. Auch, dass gerade das Publikum ein bestimmendes Element ist, von dem der Ausgang der Performance maßgeblich abhängt und sich diese deshalb nicht wirklich vorhersehen lässt, ist bewusst angelegt.

Momente, wie jener, in welchem in der Spiegelgasse während der Performance eine plötzliche Finsternis herrschte und niemand einen Lichtschalter für viele Sekunden bedienen wollte, sind die spannendsten überhaupt. Ad hoc stellen sich dabei wieder neue Fragen: Wie lange ist es einer Gruppe von Menschen möglich, inaktiv zu bleiben? Wird die Stille und Dunkelheit als beklemmend oder inspirierend empfunden? Was bedeutet der Akt des erneuten Licht-Einschaltens in so einer Situation? Ist es die Erlösung, die ein einzelner einer Gemeinschaft angedeihen lassen kann oder vielmehr ein Gewaltakt, den manche, wie in diesem Fall, als zu früh empfinden? „L´aringa – Der Hering“ erwies sich in Wien als offenes Kunstwerk, das trotz aller vorgegebener Regieanweisungen so wandelbar ist, dass es bei jeder neuen Aufführung zu neuen Gedankenkonstellationen anregen kann. Grund genug, sich die Performance bei einer der nächsten Gelegenheiten noch einmal anzusehen und an den Lichtschaltern wieder aktiv zu werden.

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„L´aringa – Der Hering“ (Fotos: Alfredo Barsuglia)

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Die viennacontemporary will mehr

Die viennacontemporary will mehr

Die viennacontemporary will mehr

Von Michaela Preiner

(Foto: European Cultural News)

26.

September 2017

Kunst, Filme, Gespräche – die viennacontemporary 2017 präsentierte nicht nur statische Kunstwerke.

Die Hoffnung der viennacontemporary, die bereits zum 6. Mal stattfand, in diesem Jahr die 30.000er Besucher-Marke zu knacken, ging nur knapp nicht in Erfüllung. Mit 29.767 Kunstinteressierten sind die Veranstalter jedoch auf dem besten Weg, ihr hoch gestecktes Ziel innerhalb der nächsten Jahre zu erreichen.

Das Profil der Messe selbst hat sich bislang nicht geändert, aber gefestigt. Als Dreh- und Angelpunkt zwischen West und Ost zeigte man in Wien alljährlich einen Schwerpunkt mit Kunst aus dem europäischen Osten – ein Drittel der Galerien stammten aus Osteuropa. In diesem Jahr gab es aber auch eine Skandinavien-Schau, die Nordic Highlights, einen Rückblick auf Kunst der 70er Jahre in Ungarn, Focus Hungary, sowie eine Präsentation von jungen, österreichischen Künstlerinnen und Künstlern, die in Soloschauen gezeigt wurden. Nicht zu vergessen auch noch einen Skulpturen-Schwerpunkt. Die einzelnen Themen waren an den Beschriftungsschildern der Galerien mit einem Farbcode versehen und so gut zu finden.

Marketingtechnisch gesehen sind diese Extra-Schauen eine gute Idee, veranlassen diese die Besuchenden doch, sich mit dem farblich gut funktionierenden Leitsystem von Stand zu Stand weiter zu informieren. Ein cineastischer Schwerpunkt sowie eine ganze Reihe von Talks zeigten, dass sich Messeereignisse wie dieses zu virilen Allroundinfo-Veranstaltungen wandeln, die sich nicht mehr nur mit der Ausstellung von Kunst begnügen.

Nach dem Brand am Eingang der Marxerhalle vor nicht ganz zwei Wochen war es nur aufgrund der tatkräftigen Unterstützung vieler Wiener Unternehmen möglich, die Location fristgerecht wieder instand zu setzen. Aksenov bewertete dies als kräftiges Statement für den Standort Wien.

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Christian Falsnaes (Foto: European Cultural News)

Am Stand der PhilippvonRosen Galerie bezog sich Florian Schmidt auf die Anfänge des 20. Jahrhunderts und zeigte eine ganze Reihe von Bildkörpern, die aus gepuzzelten Teilen zusammengesetzt waren. Dabei arbeitet der Künstler wie in einer Endlosschleife. Ein Teilchen ergibt das nächste und das zuletzt übrig gebliebene dient als Ausgangspunkt für ein neues Werk. Von Recycling war in den Collagen vor über 100 Jahren noch nicht die Rede, was Schmidts Arbeiten in diesem Zusammenhang mit einem neuen drive versieht.

Eine weitere, auffällige Installation war bei Zella van Almsick zu sehen. Kay Walkowiaks hängende Sandsäcke erinnerten sowohl an die Installation von Flatz auf der documenta9 als auch an de Stijl-Künstler wie van Doesburg.

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Kai Walkowiak (Foto: European Cultural News)

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Florian Schmidt (Foto: European Cultural News)

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Christian Falsnaes (Foto: European Cultural News)

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Lucy McKenzie und Lauren Dupont (Foto: European Cultural News)

Ein besonders schönes Objekt zeigte die Galerie Meyer Kainer. „Fireplace and 19 objects“ von Lucy McKenzie und Lauren Dupont verschränkt bildende Kunst mit angewandter auf mannigfache Weise und regt zu vielfachen Diskussionen an.

Mit der großen Anzahl von österreichischen Galerien ermöglicht die viennacontemporary vor allem aber auch einen schönen Überblick über den heimischen Kunstmarkt, bei dem vor allem auch die Internationalität der Künstler auffiel.

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Sprache trifft auf Kunst

Sprache trifft auf Kunst

Sprache trifft auf Kunst

Von Michaela Preiner

Ferdinand Kriwet (Foto: European Cultural News)

20.

September 2017

Curated by_vienna widmet sich in einer kohärenten, galerienübergreifenden Schau dem Thema Bild und Sprache

Für gewöhnlich kann man sie mit einsamen Wanderern und Spaziergängerinnen im Wald vergleichen. Erpicht darauf, dass möglichst wenige sie bei ihrem Streifzug durch das Gehölz stören. Denn eigentlich sind sie dabei auf der Suche nach herausragenden Pilzen, die sie sich von niemandem anderen wegnehmen lassen möchten und auch mit niemandem anderen teilen wollen.

Gemeint ist mit diesem – zugegeben etwas botanischen Vergleich – die Spezies der Galeristinnen und Galeristen, die ganz im Eigeninteresse darauf aus ist, ihre Künstlerinnen und Künstler zumindest regional oder national an sich zu binden. Daraus folgt, dass es, abgesehen bis auf Auftritte mit Tuchfühlung bei Messen, relativ wenig Berührungspunkte untereinander gibt. Die Wiener Wirtschaftsagentur versucht einmal im Jahr die Marschrichtung durch den Wald vorzugeben und begleitet die Wiener Galerienszene dabei auf ihrem gemeinsamen Ausflug. Dabei lanciert sie jeweils ein bestimmtes Motto. „image / reads / text“ lautet das diesjährige, das von insgesamt 21 Galerien aufgenommen wurde. Die Ausstellungen wurden allesamt von Kuratoren und Kuratorinnen gestaltet, die von den Galerien selbst bestimmt wurden.

Für das kunstinteressierte Publikum ist das Format dieses Jahr besonders interessant. Denn kaum ein Thema zuvor wurde so stringent von den Beteiligten aufgegriffen und bietet zugleich eine so enorme Variabilität. Die Untersuchungen der Bedeutung von Sprache in der zeitgenössischen Kunst erzeugen einen großen Bogen von unterschiedlichsten Formaten. Film, Video, Installationen, Performances, klassische Malerei und Grafik sind dabei vertreten. Es gibt keinen Bereich der bildenden Kunst, der nicht präsentiert wird.

Bei einem ersten Rundgang durch sechs Galerien fiel auf, dass die große, thematische Klammer samt und sonders eingehalten wurde.

Uri Arans Kosmos in der Galerie König

In der Galerie Christine König präsentiert Moritz Wesseler, Direktor des Kölner Kunstvereins, den 1977 in Jerusalem geborenen Künstler Uri Aran. Zeichen, Symbole, Wörter, Gesten und Bilder setzt er in neue Sinnzusammenhänge und erfindet dabei noch eine eigene Sprache. In Bronze gegossene, kleine, unterschiedliche Lettern ergänzen Bilder und Videos, so, als ob sie einen allgemein verständlichen Subtext bilden würden, was aber nicht der Fall ist. Ob Buchstaben oder Noten, ob Morsecode oder Alphabet – den Betrachtenden bleibt die Interpretation selbst überlassen. Der in New York lebende Künstler schuf auch einen eigenen Zyklus für die Ausstellung in Wien, den Christine König als Werk „zwischen der Jetztzeit und Böckl“ einordnet. Die Einzelschau zeigt ein höchst vielfältiges Werk, das von grafischen und filmischen Arbeiten bis hin zu skulpturalen und Fotografien so ziemlich alles einschließt, was die zeitgenössische Kunstproduktion derzeit anbietet.

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Uri Aran in der Galerie König (Foto: European Cultural News)

Bei Senn wird`s intellektuell

Gabriele Senn zeigt eine schöne und intelligente Arbeit von Michael Riedel, kuratiert von Sabine Schaschl. In „one and three chairs (Wien)“ bezieht sich Riedel auf die gleichnamige Arbeit von Joseph Kosuth – einem der Großmeister, wenn es um den Einsatz von Sprache in der bildenden Kunst geht. In der Ausstellung, die bereits mehrere Stationen hinter sich hat, verweist der Künstler auf die erste konzeptuelle Arbeit von Kosuth, ohne diese jedoch zu kopieren. Die Erweiterung von Kosuths Werk geschieht durch die Einbeziehung von eingeladenen Personen, die bei einem Talk über Kosuths und Riedels Werk sprechen. Das aufgezeichnete Gespräch wird anschließend transkribiert und auf eine Säule, die im Raum dafür extra aufgebaut wurde, grafisch aufgebracht.

Die Erweiterung von Kosuths statischer Installation durch zusätzliche Interaktionen und der damit hervorgebrachten sprachlichen Ausbildung, ist ein schönes Beispiel für den postmodernen Zugang zu einem bereits als museal anerkannten Kunstwerk. Da es Kuratorinnen und Kuratoren sind, die über die Arbeit sprechen, fügt Riedel auch den Aspekt des Kunstbetriebes per se in sein Werk ein und erweitert dadurch die Hinterfragung der verschiedenen Erscheinungsformen und der sprachlichen Umsetzung eines Objektes durch gesellschaftsrelevante Bezüge.

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Michael Riedl (Fotos: European Cultural News)

Michael Riedel

Ferdinand Kriwet eine DER Entdeckungen – bei Kargl

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Ferdinand Kriwet (Fotos: European Cultural News)

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Johann Rausch (Fotos: European Cultural News)

Eine One-man-Show zeigt auch Georg Kargl Fine Arts. Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle Düsseldorf, macht dabei auf den deutschen Künstler Ferdinand Kriwet (*1942) aufmerksam. Es ist eine breit angelegte Personale, die verschiedene Zyklen quer durch die Schaffensjahrzehnte von Kriwet zeigt. Im Eingangsfenster der Galerie flimmert Kriwets Videoarbeit „Nixon“, die er in einem Studio in New York erarbeitete. Dafür hatte er 20 Fernseher aufgebaut, deren darauf flimmernde Dokumentatione er filmte und zu einem Endlosband zusammenschnitt. Kriwet schuf dabei Pionierarbeit auf dem Gebiet der visuellen Medienkritik, die heute, angesichts der Digitalisierung, kaum mehr vorstellbar ist.

Bereits mit 18 Jahren kam der Künstler, der zahlreiche Hörspiele verfasste, mit „Rotor“ zu Ruhm. Einem Roman ohne Handlung, ohne Ende und Anfang, der 1961 im Dumont Schauberg-Verlag herausgegeben wurde. Nach seinem schriftstellerischen Einstand arbeitete Kriwet weiter an seinen Sehbildern, mit denen er das Medium des Buches hinter sich ließ. Für diese Bilder verwendete er in Blei gegossene Lettern als Druckmedium. Die Schwarz-Weiß-Texte, die dabei entstanden, wurden zum Teil bis zur Unlesbarkeit graphisch verarbeitet und für weitere Auflagen vergrößert und verkleinert. Ihnen ist ein eigener Raum in der Ausstellung gewidmet. Die konkrete, optische Poesie, die dort gezeigt wird, ist eines von Kriwets Hauptthemen, das sich quer durch sein Werk verfolgen lässt und auch in einer späteren, bunten Arbeit, den „buttons young glory“, angelehnt an die Pop Art, wieder aufflammt.

Kriwet setzt Zeichen als semantische Informationen auf seine Arbeiten, überfrachtet diese jedoch gerne derart, dass die Informationen selbst kaum mehr oder gar nicht mehr lesbar werden. Ein weiteres Charakteristikum ist das Resampeln, das stetige Wiederaufnehmen und Überarbeiten von Werken, die zum Teil vor Jahrzehnten entstanden.

Die Eroberung des Kunstmarktes blieb Kriwet größtenteils verwehrt, wobei zum einen seine fehlende, akademische Kunstausbildung und zum anderen seine Nähe zu Auftraggebern angeführt wird, für die er im Bereich der angewandten Kunst tätig wurde. So entwickelte er das Leitsystem der Tonhalle Düsseldorf, Glastüren für den Dumont-Verlag oder das CI für die Fleischfabrik Hertha. Damit gelang ihm jedoch eine Erweiterung des Raumes durch Textflächen – eine künstlerische Position, die erst heute richtig gewürdigt werden kann. Wie breit das Spektrum seiner kreativen Ausdrucksfähigkeit ist zeigt auch jene Anekdote, die über einen Konzertauftritt, in dem er als Voract von Frank Zappa agierte, berichtet. Dabei wurde er brachial mit Stangen von der Bühne gejagt, eine Erfahrung, die zu Kriwets schlimmsten gehört und ihm seine kreativen Grenzen aufzeigte.

Die Schau könnte als Anstoß dienen, sich mehr mit jenen Personen zu beschäftigen, die wie Kriwet sich zwar im Kunstbereich durch eine eigene Position auszeichnen, vom Kunstmarkt selbst aber aufgrund ihrer Grenzüberschreitungen wenig goutiert werden.

Johann Rausch, der nicht im Rahmen von curated_by bei Kargl im kleinen Nebenraum ausstellt, gehört auch zu diesem Kreis. Ganz dem Thema image / reads/ text verpflichtet, arbeitet er seit Jahrzehnten tagtäglich neben seinem Beruf als Grafiker an seinen Bildern und Objekten, in welchen er Gehörtes und Gelesenes festhält. Ganz in Gold gehalten, zeigt er ein großes Triptychon, in dem er Kindheit, Jugend und seinen derzeitigen Lebensabschnitt in den für ihn so typischen Lettern visualisiert. „Ich sehe mich als ausführendes Organ der Unwissenheit, das beim Schreiben keine Zeit verspürt“ – O-Ton Rausch. Aus diesem Grund sieht er seine Bilder auch als Zeitmaschinen an, mit welchen er sich jederzeit aus der Echtzeit beamt.

Eine Melange der Mélange bei Unttld Contemporary

Patrick C. Haas und Jonas Schenk bilden das Kuratorenduo „Mélange“, das bei Unttld Contemporary, direkt neben Kargl, eine opulente Schau mit insgesamt sechs künstlerischen Positionen zusammengetragen hat.

Auffallend dabei sind nicht nur die großen Schrifttafeln mit divergierenden Aussagen wie Ja/Nein von Karl Holmqist, sondern eine Arbeit von Raphaela Vogel. Dafür schuf sie ein Video, in dem man sie während einer Autofahrt in einem Cabrio beobachten kann. Montiert wurde der Beamer, der dafür benötigt wird, auf einer altertümlichen, metallenen Waagschale – ein kleiner Hinweis, auf den Aphorismus, Wörter auf die Goldwaage zu legen. Es ist vor allem die Idee der Präsentation des Videos, die dabei beeindruckt und zu einem Markenzeichen der Künstlerin geworden ist. Der Gedanke, die Technik selbst als eine zusätzliche Installation in die Präsentation miteinzubeziehen, ist kreativ und macht Lust, mehr von dieser Künstlerin zu sehen.

karl holmqvist

Karl Holmquist (Foto: European Cultural News)

Raphaela Vogel

Raphaela Vogel (Foto: European Cultural News)

Spannende, südamerikanische Positionen bei Krinzinger Projekte

Drei höchst interessante Künstler sind bei Krinzinger Projekte unter dem Übertitel „Archive in the Infra worlds“ zu sehen. Kuratiert wird die Ausstellung von Gabriela Rangel, Direktorin für bildende Kunst und Chefkuratorin an der Americas Society.

Dabei führt sie eine unsichtbare Spur fort, die in diesem Jahr schon von den Wiener Festwochen gelegt worden war. Darin findet sich die Beschäftigung mit außereuropäischen Kunstproduktionen, die jedoch hoch reflektiert immer auch direkte Verknüpfungen zu Europa zulässt. Laut Rangel geht es dabei um „archivarische Entdeckungen der Unterwelt, der Biopolitik und des grausamen Optimismus“, die dabei ans Tageslicht befördert werden. Und tatsächlich ist vieles, wenn nicht alles, was gezeigt wird, mit einer Geschichte verbunden, in der Gewalt ein Hauptthema spielt.
Erick Meyenberg

Erick Meyenberg (Foto: European Cultural News)

Der Mexikaner Erick Meyenberg verweist in seinem Werk „Aspirantes“, einer Videoarbeit mit einer aufwändigen Sechskanal-Technik, tief in die Vergangenheit von Mexiko und verknüpft diese zugleich mit der Gegenwart. Dafür hat er eine Gruppe von 230 Performern vor einer der bedeutendsten, prähistorischen Ruinenstädte, Teotihuacán, Aufstellung nehmen lassen. Neuen Untersuchungen zufolge, wurden dort während der Aztekenzeit 230 junge Männer gemeuchelt.

Mit einer Atemübung, die von allen Teilnehmern auf eine Tonspur zusammengefasst wurde, verweist der Künstler auf den „lost breath“, das letzte Atmen der Delinquenten, das er mit seiner Intervention aus der Vergangenheit ins Heute transferiert. Es ist aber bei Weitem nicht nur die Historie, die Meyenberg hier beschwört. Die hochkant gestellte Drohnenkamera, die das Geschehen überflog, zeigt die Männer vor der „pyramid oft he moon“ in einer Riefenstahl-ähnlichen Aufstellung. Von oben nach unten gleitet dabei der Blick, um das Göttliche des Himmels mit dem menschlichen auf der Erde sichtbar zu verbinden und wieder in eine Einheit zusammenzufassen. Die co-partizipative Performance musste ohne Schnitt in 45 Sekunden abgedreht werden, die schließlich zu einem Endlos-Loop zusammengefügt wurde. Meyenberg verweist mit seiner Arbeit an das quer durch die Geschichte sich ziehende Phänomen in Mexiko, Menschen zu töten und verschwinden zu lassen. Er möchte damit auch an die vielen Menschen in Mexiko erinnern, die in der jüngsten Vergangenheit verschwunden sind, wie zuletzt 43 entführte und ermordete Studenten, deren Körper bis jetzt aber nicht aufgefunden wurden. Das vielschichte Werk, in dem der Künstler auch mit der überlieferten Idee aufräumt, dass Teotihuacán ein friedlicher Ort war, steht einem weiteren gegenüber, das dagegen wie ein historisches Leichtgewicht erscheint. In einer Reihe von Bildern, in welchen mexikanische Fußballer während ihres Spieleinsatzes zu sehen sind, hat Meyenberg diese auf schwarzen Hintergrund gesetzt und die einzelnen Fotos zu einer barocken Assemblage an zwei Wänden zusammengefügt.

Es ist das Aufeinandertreffen von männlichen Körpern in der Öffentlichkeit, das sich sonst nur höchst geregelt zeigen darf, das den Künstler dabei reizt. Dabei setzt er dem non-contact zwischen Männern im öffentlichen Raum dem body-contact der Spieler gegenüber, die auf seinen Bildinterventionen förmlich zu tanzen beginnen. „Wir dachten, dass man der barocken Stadt Wien, in der Rubens stark vertreten ist, mit dieser Arbeit eine Hommage entgegenbringt“, so die Erklärung der Kuratorin, die auch für die Auswahl des Duos Nascimento/Lovera verantwortlich ist.

Nascimento / Lovera (Juan Nascimento und Daniela Lovera`s, beide aus Caracas) beschäftigt sich in ganz spezieller Art und Weise mit der Fort- oder besser Neuschreibung der Geschichte ihres Landes Venezuela. In der Arbeit „Resistencia“ nehmen sie direkt Bezug zum derzeit höchst fragwürdigen Präsidialsystem, das sich zunehmend als diktatorisches Regime erweist. Ein Video zeigt die Aufnahme zweier Orchester aus dem Jahr 2013, die in einen Wettstreit gegeneinander angetreten sind. Dabei begegneten sich das Orchester der Peruanischen Luftstreitkraft und das José Maria Arguedas Orchestra, das mit Instrumenten aus den Anden bestückt ist. Basierend auf einem dramatischen Text von Jean Paul Sartre – Les mains sales oder Die schmutzigen Hände – spielen sie verschiedene populäre und symbolisch aufgeladene, musikalische Themen simultan. Der Clash der unterschiedlichen ideologischen Infrastrukturen bleibt dabei nicht aus und wird schmerzhaft hörbar.
Archivo nacional

Juan Nascimento und Daniela Lovera (Foto: European Cultural News)

Die zweite Werkserie zeigt Aufnahmen von architektonischen Ausformungen quer durch die Jahrhunderte und über den Globus verteilt, die Nascimento/Lovera in Bezug zu Naturgebilden ihrer Heimat setzen. Die Schwarz-Weiß-Aufnahmen formieren sich zu einem neuen Atlas einer alternativen Geschichtsschreibung und wurden zum größten Teil aus dem Internet generiert. Auffallend ist dabei eine Ästhetik, das in den einzelnen Serien ähnliche architektonische Formen miteinander in Bezug setzt und höchst willkürlich voneinander ableitet. Doch nicht nur die formalen Ähnlichkeiten werden von dem Duo angesprochen. Auch die Geschichten der einzelnen Bauwerke sind mit einem roten Faden verbunden. Ein Entwurf des russischen Konstruktivisten El Lissitzky steht neben einem formal ähnlichen Bauabschnitt einer nicht vollendeten Zugstrecke in Venezuela, die von der Kuratorin bei der Vorstellung des Werkes als ein Monument der Korruption bezeichnet wurde. Ein sowjetisches Bauwerk ist neben dem jenem des Justizministeriums in Mexico platziert, das wiederum in Bezug zu einem Entwurf für ein Museum moderner Kunst steht, das in Caracas jedoch nicht gebaut wurde. Diese Arbeit verdeutlicht zugleich, dass jegliche Geschichtstradierung ein Narrativ darstellt, das mit der jeweiligen Machtposition einhergeht.

Die Präsentation bei Krinzinger Projekte erweitert den Blick auf die südamerikanische Kunstproduktion weit abseits von folkloristischen Genesen. Zugleich weist sie aber einen direkten Geschichtsbezug auf, der sich nicht nur auf Südamerika beschränkt. Vielmehr verspürt man eine heftige Wechselwirkung, ausgehend von der europäischen Kolonisierung bis zur Übernahme europäischer, politischer Strukturen des 20. Jahrhunderts in Mexiko und Venezuela. Die Schau ist nicht nur aufgrund der Komplexität der ausgestellten Werke höchst empfehlenswert. Sie gibt auch jede Menge Anstöße, mehr über die aktuelle, südamerikanische Kunstlandschaft zu erfahren und sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Für eine Galerie, deren Hauptmotivation darin besteht, die Kunstwerke zu vermarkten, extrem mutig und höchst gelungen!

Frauenpower im Raum mit Licht

Salome Schmuki

Salome Schmuki (Foto: European Cultural News)

melanie ender

Melanie Ender (Foto: European Cultural News)

Die Kuratorin Sabine Folie setzt im „Raum mit Licht“ bis auf Arbeiten von Dominik Steiger ganz auf Frauenpower. Gleich im Eingangsbereich zeigt sie „Type, please“ von Salome Schmuki. Ein Video ergänzt große, auf die Wand aufgebrachte Zeichensysteme, in welchen die Künstlerin ihr neues Alphabet – „Double Keys“ – präsentiert. Aus jeweils zwei noch lesbaren Buchstaben kreiert sie einen neuen, der von den Betrachtenden erst mit eigenen Deutungen aufgeladen werden muss.

Melanie Ender besticht mit ihren Rauminstallationen „to open closed forms“, in welchen sie ihre Idee vermitteln möchte, ihre eigene Arbeit als unvollendeten und stets offenen Prozess zu begreifen, der sich anhand ihrer Objekte verdeutlicht. Am klarsten zum Ausdruck kommt dies in jenem Werk, in dem die Künstlerin mit Faltungen arbeitet, die sie jederzeit wieder verändern kann. Damit entzieht sie das Werk einem statischen Kunstbegriff, welcher abseits des performativen Geschehens unter anderen auch im Bereich von kinetischen Modellen zu finden ist.

Andrea van der Straeten hingegen macht in zwei Videos auf das Phänomen der Gebärdensprache aufmerksam. Für die Filme wurden zwei Gebärdensprachlerinnen gebeten, über sich selbst zu erzählen und zum Teil auch Texte von Wittgenstein und van der Straeten selbst wiederzugeben. Obwohl die deutsche Gebärdensprache, die beide verwenden, so wie alle anderen Gebärdensprachen auch, codiert ist, fällt der individuelle Zugang und die einzigartige Umsetzung auf. Die körperliche Ausdrucksweise differiert extrem und setzt damit das „Gesagte“ in jeweils einzigartige, weil höchst persönliche Referenzsysteme.

Die hier aufgezeigten Beispiele machen deutlich, dass es curated_by in seiner neuen Ausgabe bestens gelungen ist, die Vielfalt künstlerischer Ansätze und Ausdrucksweisen zu einem bestimmten Thema beeindruckend aufzuzeigen. Die Kohärenz, mit der die Kuratorinnen und Kuratoren die verschiedenen künstlerischen Positionen aufzeigen, rückt die diesjährige Galeriensession in die Nähe eines ortsübergreifenden, beinahe schon musealen Statements. Höchst empfehlenswert!

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Ein Schmetterling namens Jan Fabre

Ein Schmetterling namens Jan Fabre

Meine Kunst ist wie der Körper eines Schmetterlings.“ Der belgische Künstler Jan Fabre hat für seine spartenübergreifende Kunstproduktion eine schöne Metapher gefunden.

Im Leopoldmuseum ist seit 7. Juli 2017 „Stigmata. Actions & Performances 1976 – 2016″- eine große Überblicks-Schau über einen Teilaspekt der künstlerischen Arbeit der letzten 40 Jahre von Jan Fabre zu sehen. Ergänzt wird die Schau mit Zitaten des Künstlers, sodass sich die Präsentation zu einem Erinnerungs- und Gedächtnisprotokoll zusammenfügt. Was die Besuchenden mitbringen sollten: Zeit. Denn es gibt nicht nur jede Menge Objekte zu sehen, sondern auch eine große Anzahl von Videos. In ihnen sind einige von Fabres Performances festgehalten, in welchen sich der Künstler meist über seine eigene, körperliche Schmerzgrenze hinaus verausgabte.

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Jan Fabre Stigmata im Leopoldmuseum (c) European Cultural News

Jede Performance in einer neuen Rolle

Egal ob in einer Ritterrüstung gegen sich selbst kämpfend, ob im Lyoner Velodrom auf einem Fahrrad nach einem persönlichen Rekord strampelnd, egal ob gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Ilya Kabakov als Fliege verkleidet auf einem Hochhaus wuselnd oder als scheinbar Irrer, der öffentliche Objekte in den Straßen seiner geliebten Stadt Antwerpen küsst, Fabre lotete bei seinen Aktionen auch stets seine eigenen physischen und psychischen Grenzen aus. Und auch, wie die Gesellschaft darauf reagierte. Resümee: Höchst unterschiedlich. Von Unverständnis bis hin zu offener Aggressivität reicht hier die Palette. Vorauszusehen waren bzw. sind die Reaktionen nie.

Das vor allem, weil Fabre nicht bewusst provoziert. Er überlegt sich im Voraus eine Inszenierung – ganz wie im theatralen Bereich, in dem er seit den frühen 80er-Jahren eine fixe Größe ist. Diese führt er durch und stößt, auch wenn er im öffentlichen Raum kein Publikum direkt miteinbezieht, dennoch an die soziale Schmerzgrenze vieler Menschen.

Humor mit Interpretationsspielräumen

Fabre, dessen Aktionen zum Teil als eine spielerisch, theatrale Abwandlung von Performances der Wiener Aktionisten anmuten, arbeitet aber auch mit viel Humor. Das wird vor allem in seinen jüngeren Arbeiten spürbar. 2016 radelte er eine Stunde lang in Anzug und Krawatte in einem Lyoner Velodrom, um sich vom Publikum anfeuern zu lassen. Radlegende Eddy Merckx gratulierte dem völlig ausgepowerten Fabre im Anschluss an das Ereignis mit dem Hinweis, dass dieser sein Ziel, das er sich gesetzt hatte, tatsächlich auch erreicht hatte. Und das in der letzten Minute sogar noch qualmend, mit einer Zigarette im Mund.

Die Performance, die sich locker-flockig und scherzhaft anhört, weist gleich mehrere Interpretationsebenen auf und kann als Prototyp für Fabres hoch komplexe künstlerische Interventionen angesehen werden. Es ist nicht nur das Aufzeigen der Absurdität von Veranstaltungen wie den Radrennläufen über Stunden im Kreis, das hier in dem Video klar hervortritt. Vielmehr macht Fabre in der einen Stunde und mit seiner anschließenden körperlichen Verfasstheit klar, was Rennen über viele Stunden, ja sogar ganze Tage hindurch, für die Athleten tatsächlich bedeuten. Wie nebenbei zeigt er auch auf, dass panem et circenses vom Publikum heute mehr denn je dankbar aufgenommen wird, egal wie skurril die dargeboteten Aktionen auch immer sein mögen. Auch andere Interpretationszugänge sind möglich, ganz abgesehen von einer der Hauptmotivationen des Künstlers, sich immer und immer wieder an seine eigenen Leistungsgrenzen zu treiben um danach wie neugeboren das Leben wieder spüren zu können.

Fabre bei Impulstanz

Vom 18. – 21. Juli wird bei Impulstanz, das diese Ausstellung gemeinsam mit dem Leopoldmusuem ausrichtete, Fabres neue Arbeit Belgian Rules / Belgium Rules zu sehen sein. Sein Ensemble wird darin mit einem folkloristischen Outfit ausstaffiert, das er einer karnevalesken Situation aus seinem Heimatland Belgien entlehnt. Die Künstlerinnen und Künstler gehen dabei genauso wie Fabre selbst, an ihre physischen Grenzen. Am Eröffnungstag von Impulstanz, dem 13. Juli, wird Fabre im Leopoldmuseum selbst eine neue Performance abhalten. „I am a mistake – a new Solo-Performance“ ist ihr Titel und stellt darin Fragen nach dem Wesen der Kunst und seiner Seele.“

Der Kunstmarkt hat sich auch die Performance einverleibt

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Jan Fabre Stigmata im Leopoldmuseum (c) European Cultural News

Im Jahr 1982 schrieb Fabre: „Performance steht abseits aller Kunstmarkt-Regeln. Kein Galerist oder Sammler kann sie kaufen“. Diese Aussage hat längst keine Gültigkeit mehr. Einmal im Museumsolymp angekommen, werden die Künstlerinnen und Künstler heute sehr wohl für ihre Arbeit dort dotiert. Sammler können nicht nur Videomitschnitte kaufen, sondern – Tino Sehgal – hat es vorgezeigt, auch die Rechte an einer ausschließlich mündlich dokumentierten Performance. Willkommen im Turbokapitalismus, der sich selbst den ursprünglich monetär-freien Raum der Performance erobert hat! Fabre selbst klettert auch stetig das internationale Kunstranking nach oben und befindet sich derzeit auf Platz 183. Die jetzige Ausstellung in Wien wird ihn mit Sicherheit ein paar weitere Rangpunkte nach oben katapultieren.

„Mein Körper, das sind die Performances, einer meiner Schmetterlingsflügel ist die Bildende Kunst, der andere die Arbeiten für das Theater“, charakterisierte Fabre sein künstlerisches Selbstverständnis bei der Ausstellungseröffnung. Mit „Stigmata“, zuvor bereits in Rom, Antwerpen und Lyon gezeigt, „I am a mistake“ und Belgian Rules / Belgium Rules hat das Wiener Publikum im Juli und August reichlich Gelegenheit, sich den Schmetterling Jan Fabre genau anzusehen und sein eigenes Universum zu erkunden.

Weitere Infos auf der Seite des Leopoldmuseums sowie bei Impulstanz.

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