Gefangen in der Endlosschleife
Von Michaela Preiner
Zwei Frauen und zwei Männer
Die Versuchsanordnung, auch so könnte man das Geschehen bezeichnen, lebt von der Interaktion des Publikums. Wenn von diesem ein Lichtschalter bedient wird, beginnt auch die Szenerie zu leben, die sich unter diesem Lichtschalter befindet. Wenn alle Lichter ausgeschaltet wurden, bleibt der gesamte Raum einfach dunkel und still. Wären alle Lichtschalter gleichzeitig angeschaltet, dann würde jede Person, die ihr zugedachte Rolle parallel zu den anderen spielen.
Die Grundidee dahinter ist, einen Spiegel unserer Gesellschaft aufzuzeigen, die sich oft nicht bewusst ist, dass eine kleine Handlung eines Einzelnen ungeahnte bis weitreichende Folgen haben kann. Diese Idee wird durch mehrere andere Bedeutungsebenen zusätzlich ergänzt.
Ist das Theater oder Performance oder was?
Tino Sehgal, der derzeit wohl international bekannteste Performance-Erneuerer, verfolgt in seinen – nur mündlich tradierten Arbeiten – ein ähnliches Konzept. Auch bei ihm wird das Publikum aktiv einbezogen, auch bei ihm gibt es vorweg eine durchdachte Regie, auch bei ihm findet sich das Element der Endlosschleifen.
Was unterscheidet Barsuglias Arbeit „L´aringa – Der Hering“, um ein Beispiel von seinen Werken zu nennen – von Sehgals? Es ist zum einen eine offensichtliche, handwerkliche Komponente, die Barsuglia ins Spiel bringt. Ob die mit Holz verbrämte Badewanne oder eine aufgestellte Wand mit Türe – Barsuglia geizt nicht mit Anschauungsmaterial. Auch in seinen temporären Arbeiten in Kunsthallen und Galerien zeigt er jeweils ein höchst professionell gestaltetes „Bühnenbild“, auch wenn sich darin kein Leben mehr abspielt. Der Künstler legt bei vielen seiner Rauminszenierungen selbst Hand an, aber wo er Hilfe benötigt, arbeitet er mit spezialisierten Handwerkern zusammen. Er lerne dabei nicht nur ständig etwas dazu, wie er in einem Interview einmal festhielt, sondern er genieße es auch, dabei aus der Kunstwelt auszutreten und mit Menschen zusammenzuarbeiten, die nicht aus diesem Genre kommen.
Tanz, Performance, Musik und bildende Kunst
Zu welcher Kunstgattung sollte man nun eine performative Installation wie „L´aringa – Der Hering“ zählen? Die szenische, durchkomponierte Aufführung liegt nahe beim theatralen Bereich. Mit dem Bariton Stefan Zenkl, der einen Teil der Leidensgeschichte des Vaters singend wiedergibt, wird die Grenze zum Musiktheater überschritten. Mit Alex Deutinger, der in vielerlei Arten, von Kugeln getroffen, zusammensacken darf und Sara Lanner, die den Revolver bedient, weist der Weg in die Tanz- und Performanceszene. Barbara Grahsl wiederum ist Schauspielerin. Allein schon diese Besetzung zeigt, dass es Barsuglia darum geht, viele unterschiedliche Kunstfelder einzubeziehen. Eine Vorgehensweise, die sich vor allem im zeitgenössischen Tanz sehr gut beobachten lässt, in der bildenden Kunst jedoch noch weit weniger anzutreffen ist.
Weit entfernt ist der Künstler auch von jeder Art von Geheimniskrämerei, die den Markt anheizen soll. Sehgal verbietet Foto- und Videoaufnahmen, gibt selten Interviews und will seine Performances in den Institutionen, in welchen sie aufgeführt werden, nicht verschriftlicht wissen. Barsuglia liebt den Kontakt mit dem Publikum. „Am besten funktioniert dieses Stück, wenn die Menschen, gleich wenn sie den Raum betreten, in dem es stattfindet, ein Glas Wein in die Hand bekommen und sich dann ganz frei zwischen den einzelnen Szenen bewegen können“ – O-Ton Barsuglia. Auch, dass gerade das Publikum ein bestimmendes Element ist, von dem der Ausgang der Performance maßgeblich abhängt und sich diese deshalb nicht wirklich vorhersehen lässt, ist bewusst angelegt.
Momente, wie jener, in welchem in der Spiegelgasse während der Performance eine plötzliche Finsternis herrschte und niemand einen Lichtschalter für viele Sekunden bedienen wollte, sind die spannendsten überhaupt. Ad hoc stellen sich dabei wieder neue Fragen: Wie lange ist es einer Gruppe von Menschen möglich, inaktiv zu bleiben? Wird die Stille und Dunkelheit als beklemmend oder inspirierend empfunden? Was bedeutet der Akt des erneuten Licht-Einschaltens in so einer Situation? Ist es die Erlösung, die ein einzelner einer Gemeinschaft angedeihen lassen kann oder vielmehr ein Gewaltakt, den manche, wie in diesem Fall, als zu früh empfinden? „L´aringa – Der Hering“ erwies sich in Wien als offenes Kunstwerk, das trotz aller vorgegebener Regieanweisungen so wandelbar ist, dass es bei jeder neuen Aufführung zu neuen Gedankenkonstellationen anregen kann. Grund genug, sich die Performance bei einer der nächsten Gelegenheiten noch einmal anzusehen und an den Lichtschaltern wieder aktiv zu werden.
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