Aufklärung oder Blasphemie?

Aufklärung oder Blasphemie?

Aufklärung oder Blasphemie?

Von Michaela Preiner

„The Who and the What“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz)
6.
Juni 2018
Er ist einer der wichtigsten Dramatiker unserer Zeit. Er arbeitet in den USA, seine Werke haben aber aufgrund unserer sozialen Globalisierung Allgemeingültigkeit. Ja sie brennen den westlichen Gesellschaften förmlich unter den Nägeln.

A yad Akhtar wurde 1970 in New York geboren, seine familiären Wurzeln liegen jedoch in Pakistan. Mit „Geächtet“, das in Österreich im Burgtheater und im Schauspielhaus Graz gespielt wurde, erlangte er in seinem Heimatland den Pulitzer Preis und wurde hier mit dem Nestroy-Autorenpreis ausgezeichnet.

Nun präsentierte abermals das Schauspielhaus Graz sein Stück „The Who and the What“ in einem intimen Surrounding – im 3. Stock des Hauses Zwei. Das Publikum sitzt sich auf Rängen gegenüber, die Bühne dazwischen ist in zwei Segmente geteilt. (Bühne Frank Holldack, Kostüme Tanja Kramberger) Ein kleines Wohnzimmer und eine freie Fläche, die meist als „Außenraum“ bespielt wird. Stefan Suske, ehemaliges Ensemblemitglied in Graz wurde für die Rolle von Afzal vom Wiener Volkstheater zurückgeholt. Er verkörpert einen streng gläubigen, verwitweten Taxiunternehmer mit zwei erwachsenen Töchtern, dessen Lebensaufgabe „Geld verdienen und Geld verschenken“ ist. Dieser steht vor der Aufgabe, für seine ältere, Zarina, einen Ehemann zu finden, da Mahwish, die jüngere, gerne ihren Langzeitfreund heiraten möchte. Ganz der muslimischen Tradition verpflichtet, nach der die jüngeren erst heiraten dürfen, wenn die älteren Frauen schon unter der Haube sind, macht er sich auf die Suche im Internet und findet einen geeigneten Kandidaten: Eli. Akhtar stellt zuerst seine Personen vor und verdeutlicht rasch, dass Zarina mit herausragender Intelligenz gesegnet, den Koran hinterfragt und den Propheten Mohammed als Mensch zu begreifen versucht. Den Inhalt des Buches, das sie über ihn schreibt, hält sie wohlweislich vor ihrer Familie geheim. Anhand der Charaktere zeigt der Autor die unterschiedlichen Religionszugänge – nicht nur der Beteiligten auf. Die einzelnen Positionen, die pars pro toto für die muslimische Bevölkerung weltweit angesehen werden können, arbeitet Akhtar nicht nur intelligent, sondern packend und teilweise auch höchst amüsant heraus.
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„The Who and the What“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz)
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„The Who and the What“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz)

Zarina – herausragend gespielt von Henriette Blumenau – lässt weder Dogmen gelten, noch sich mit Interpretationen abspeisen, die dem Patriarchat in die Hände spielen – wie dem Verschleierungsgebot. Ihre Schwester Mahwish, Tamara Semzov, fügt sich in jede Korananweisung bis hin zur körperlichen Ausbeutung, die ihr Verlobter an ihr jahrelang sexuell begeht. Der trockene Kommentar Zarinas dazu: „Ich glaube, niemand hier sollte sich in Sachen Sex vom Propheten beraten lassen“, wird vom Publikum lachend quittiert. Eli, stimmmächtig von Nico Link gespielt, der tatsächlich Zarinas Ehemann wird, versucht als konvertierter Muslim, der als Imam einer muslimischen Gemeinde vorsteht, seiner Frau größtmögliche Freiheiten zu lassen. Er erkennt jedoch den sozialen Sprengstoff, den Zarina in ihrem Buch aufbereitet hat und meldet höchste Bedenken an. Die absolute Zurückweisung und Verachtung des Vaters, das Entsetzen der Schwester über die Blasphemie, die Zarina begangen hat, sind das eine. Eli hingegen schwankt zwischen Zustimmung und Bestärkung seiner Frau und Angst vor Repressionen, die schließlich die gesamte Familie tatsächlich erfahren muss. Der Geist der Aufklärung, den die junge Zarina in sich trägt und der eine Frage nach der anderen in Zusammenhang mit muslimischen Traditionen aufwirft, zerrüttet die Familie und lässt Vater und Schwester in ihren moralischen Grundfesten erbeben. Das Ensemble darf dabei eine permanente, emotionale Hochschaubahn befahren. Wut, Angst, Unverständnis, aber auch tief empfundene Liebe wechseln im Minutentakt. In Streitereien, kleineren und größeren, werden en passant auch Stationen von Mohammeds Leben beleuchtet und diskutiert. Dies ergibt eine Art Schnellsiedekurs in Sachen Koran und macht zugleich Lust, tiefer in die Materie einzutauchen. Jan Stephan Schmieding arbeitet in seiner Regie die einzelnen Charaktere psychologisch nachvollziehbar heraus und zeigt durch die häufige Tuchfühlung der Schwestern und ihrem Vater auch auf, wie schwer es für sie ist, aus tradierten ethisch-moralischen Überlieferungen und einem eng gestrickten Familiengeflecht auszubrechen.

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„The Who and the What“ (Foto: Lupi Spuma / Schauspielhaus Graz)

Die große Leistung des Autors besteht darin, aufzuzeigen, welche Auswirkungen eine patriarchalisch interpretierte Religionsausübung auf ein Familien- und letztlich auch Sozialgefüge hat. Dass er das nicht mit dem belehrenden Zeigefinger tut, macht das Stück unglaublich attraktiv.

Der Mann, der im Mittelpunkt steht, die Frau, die gebrochen werden muss, all das ist für den Vater in keiner Weise hinterfragenswert. Zugleich wird aber auch das Ringen der jüngeren Generation spürbar, sich gegen diese Tradition zu wehren und sie zumindest ansatzweise zu hinterfragen. Ein Stück mit jeder Menge Diskussionspotential, nicht nur unter muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.

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Mehr als nur ein Halleluja

Mehr als nur ein Halleluja

Foto: Natalie Paloma Photographie

In Mitteleuropa ist es Tradition geworden, Georg Friedrich Händels „Messiah“ in der Fastenzeit aufzuführen. Wenngleich es dafür ganz unterschiedliche Aufführungsmodi gibt. Das Oratorium, 1741 innerhalb von drei Wochen geschrieben, enthält insgesamt 53 musikalische Nummern und ist in drei Teile eingeteilt. Häufig gelangt nur ein Teil zur Aufführung, oder es werden Streichungen von einzelnen musikalischen Teilen vorgenommen.

Das Publikum im ausverkauften Goldenen Saal des Musikvereins kam in einen seltenen Genuss.Der Chorus sine nomine unter der Leitung von Johannes Hiemetsberger wählte die schwierigste und anspruchsvollste Aufführungsvariante. Er führte mit der Instrumentalbegleitung des Ensembles Prisma das Oratorium in seiner vollen Länge auf.

Hiemetsberger hat schon in den letzten Konzerten mit ungewöhnlichen Einfällen Originalität bewiesen. So auch in diesem, nicht nur was die Interpretation aller drei Teile betrifft. Er griff auch in der Besetzung der Solisten und Solistinnen auf eine Vorgehensweise zurück, die zu Zeiten von Händel noch nicht unüblich war. Den Altus besetzte er mit Markus Forster, einem Countertenor. Dieser lieferte mit seinem speziellen Timbre eine weitere Klangschattierung zu den drei anderen Solo-Stimmen bei, was sich als sehr reizvoll erwies.

An seiner Seite glänzte Ursula Langmayr mit einem wunderbar sicheren und voluminösen Sopran. Ihr zartes Tremolo passte außerordentlich gut zu den vielen, kleinen barocken Verzierungen, die ihr Part aufweist. Gernot Heinrich durfte seinen samtweichen Tenor präsentieren, der in schönem Gegensatz zu Matthias Helms kräftigem, virlen Bass erklang.

Außergewöhnlich war auch die Aufstellung des Cembalos, dessen Corpus in der Mitte der Bühne auf der kleinen, transportablen Orgel auflag. Auf diese Weise kam dieses ausgesprochene Kammerinstrument, das vor allem bei einer großen Chor- und Orchesterbesetzung sonst klanglich oft völlig untergeht, wunderbar zur Geltung. Außerdem konnte Johannes Bogner so an mehreren Stellen im dritten Teil nahtlos vom Cembalo ans Orgelregister wechseln, was für höchst ungewöhnliche Klangmischungen sorgte.

Besonderes Augenmerk legte Hiemetsberger nicht nur auf die präzise Führung seines Chores, der immer wieder aufs Neue beeindruckt. Auch das Ensemble Prisma wurde von ihm unglaublich nuanciert geleitet. Vor allem in der sehr farbig gestalteten Dynamik, die sich an einigen Stellen innerhalb von wenigen Noten ensembleübergreifend exaktest veränderte, beeindruckte der Klangkörper. Gut hörbar war auch der Kontrabass von Alexandra Dienz. Auch dieses Instrument, wenn es nicht von einer herausragenden Qualität ist und auch ebenso gespielt wird, ist leider viel zu selten gut aus einem Klangkörper herauszuhören. Die glasklare, ja beinahe durchsichtige Instrumentalwiedergabe der Partitur und  der perfekt abgestimmte Chor präsentierten die komplexe Musik gut nachvollziehbar. Und dies mit einem intensiven, aber völlig unaufgeregten Dirigat.

Das Konzert am 13. März war eine musikalische Sternstunde, nicht nur für die Sängerinnen, Sänger und Musizierenden an ihren Instrumenten. Das Publikum dankte mit derart langen Ovationen, dass Hiemetsberger zur großen Freude und unerwartet das „Halleluja“ als Zugabe noch einmal singen ließ.

Getanzte Frauenleben

Getanzte Frauenleben

"Tiger Lilien" (Foto: Franzi Kreis)

Wie war das noch, als kleines Mädchen in vielen Verkleidungen durch die Wohnung zu stapfen? Wie fühlte es sich an, das Lebensjahrzehnt, in dem ´“frau“ in den 20ern, den 40ern oder 60ern steckte? Und wie ist es, wenn man 80 ist?

Gibt es etwas, das ein Leben lang gleich bleibt? Gibt es etwas, das vergeht und nicht wieder kommt?
Die Choreografin und Leiterin des Vrum Performing Arts Collective machte sich mit ihren Tänzerinnen – die jüngste ist 9 Jahre alt, die älteste 80 – auf eine Erkundungsreise. In ihr zeigt sich nicht nur, dass Emotionen, Wünsche, Hoffnungen und Erinnerungen so etwas wie ein roter Faden im Leben jeder Frau sind. Es wird auch klar, dass der Spaß am Leben, die Freude am Tanzen ein Leben lang bleiben können. Aber auch die Vergänglichkeit des Körpers ist eines von vielen Themen in diesem Stück.

Mit einer geschickten Choreografie dürfen alle Beteiligten ihr Können altersgemäß ausspielen. Dabei wird die Jüngste gekonnt mit einer langen, wunderbar fließenden Hebe-Nummer unterstützt und die Älteste so wohldosiert in die Gemeinschaftschoreografien eingebunden, dass ihr Auftritt beim Zusehen kein tänzerisches Manko hervorruft. Aber auch Einzelauftritte stellen die Frauen mit ihren individuellen Bewegungsbegabungen in den Mittelpunkt.

Jede Menge Spaß wird dabei auch transportiert, so bei einer Verfolgungsjagd oder einem Versteckspiel, in dem die Tänzerinnen zu Skulpturen erstarren. Und es gibt – man staune – auch eine Szene, in der handfest gerangelt werden darf. Dabei bricht Tropp Frühwald das Klischee vom braven Mädchen und Frauchen gehörig auf und zeigt, dass auch Wehrhaftigkeit im Verhaltensrepertoire von Frauen durchaus Sinn macht.

Ein wandelbares Bühnenbild entführt in eine Wohnung, deren Räume sich ständig verändern und in der es sich auch ausgezeichnet verstecken lässt. (Ausstattung Zdravka Ivandija Kirigin) Darin, dahinter, davor und drumherum tanzen und bewegen sich Adriana Cubides, Maria Farcher, Gat Goodovitch, Milena Leeb, Giordana Pascucci und Emma Wiederhold und machen dabei klar, dass die Bandbreite an unterschiedlichen Arten Frau zu sein nicht nur mit dem Alter, sondern auch mit der Persönlichkeit an sich zusammenhängt. Mit der Party, die am Schluss der Vorführung das Publikum von seinen Plätzen auf die Bühne zieht, gelingt letztlich auch eine individuelle Tanzerfahrung der Zusehenden, die richtig Spaß macht. .

Kurz vor der ersten Aufführungsserie im Dschungel Wien befasste sich auch die Gruppe tanz.coop mit dem Thema Frau und Tanz und brachte dabei ein gänzlich anderes, ästhetisches Produkt auf die Bühne. Ein weiterer Beweis, dass nicht nur Frausein an sich so viele unterschiedliche Möglichkeiten beinhaltet wie es Frauen auf dieser Welt gibt. Das zeigt auch, dass weibliche Kreativität so viele unterschiedliche Outputs hervorbringt, wie es kluge und begabte Frauenköpfe gibt, die dahinter stecken.

Informationen zu weiteren Aufführungen auf der Seite des Dschungel.

Spannende Abenteuer unter Wasser und auf dem Land

Spannende Abenteuer unter Wasser und auf dem Land

In stürmischer See navigierende Schifflein, hoch über der Bühne schwebende Seejungfrauen, ein gefährlicher Riesenkrake mit dicken Fangarmen, ein witziger Kobold, der nichts lieber tut als Bretter putzen – das alles und noch viel mehr gibt es derzeit im Theater der Jugend zu sehen.

Dort wird „Das kleine Meermädchen“ nach der Geschichte von Hans Christian Andersen aufgeführt. Jenes Stück, welches als Vorlage für „Arielle, die Meerjungfrau“ der Disney-Studios diente und daher wahrscheinlich wesentlich mehr Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bekannt sein dürfte als das Kunstmärchen seines Schöpfers aus Dänemark.

In der Regie von Gerald Maria Bauer, der auch das Bühnenbild gestaltete, erlebt das junge Publikum die aufregende Geschichte von Elida, der jüngsten von drei Meerjungfrauen-Schwestern. Von ihrem Vater wohlbehütet, ist es ihr nicht gestattet, an die Oberfläche zu schwimmen oder gar an Land zu gehen. Märchenlogisch richtig, dass sie das Verbot missachtet und schließlich in ein Abenteuer auf Leben und Tod gezogen wird.

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Niklas Doddo als Piet, Christian Strasser als Plemperbier (Foto: Rita Newman)

Piet und Melusine, Cousin und Cousine, die sich nicht wirklich gut riechen können, müssen ihre Sommerferien gemeinsam verbringen und kommen sich dabei gehörig in die Haare. Dass auch noch eine große Portion Eifersucht dazu führt, dass „Sinchen“, wie Piet seine Cousine nennt, eine gefährliche Intrige spinnt, heizt die Spannung des Geschehens noch weiter an. Darin verzahnen sich auf kunstvolle Weise die Geschicke des Meermädchens und der beiden jugendlichen Streithähne.

Gut, dass Plemperbier – Hafenkneipenbesitzer und Seemannsgarnspinner – und ein Klabauter für genügend Witz, Humor und Ausgelassenheit sorgen. Während ihrer Späße und Schnurren hat das Publikum Zeit, sich von den abenteuerlichen Vorkommnissen ein wenig zu erholen.

Wie immer nützt das Theater-der-Jugend-Team die Bühnentechnik in vollstem Umfang und erzeugt so nicht nur illusionistische Bilder, in welchen die Seejungfrauen durch den tiefen Ozean schweben. Auch das „Triefende Bullauge“, die Hafenkneipe von Plemperbier, erscheint und verschwindet wie durch Zauberhand jeweils im richtigen Augenblick. Die opulente, orchestrale Begleit-Musik steht den kläglichen Sangesversuchen des weiblichen Krakenmonsters gegenüber, das als Gegenspielerin zum Meermann darauf aus ist, allen zu schaden, die ihr in die Quere kommen.

„Das kleine Meermädchen“ lässt das Publikum staunen, den Atem anhalten und lachen. Aber es erzählt auch von Mut und Selbstlosigkeit. Mehr kann man von einer Aufführung für Kinder und Jugendliche wohl nicht erwarten.

Shirina Granmayeh verliebt sich als Elida in Piet, gespielt von Niklas Doddo. Claudia Waldherr drangsaliert diesen als Melusine und schwebt auch schwerelos als Meerjungfrauen-Schwester, gemeinsam mit Julia Edtmeier, über die Bühne. Rafael Schuchter wird seinen Meerjungfrauen-Töchtern nicht Herr und Sara Livia Krierer bedroht die Unterwasserszenerie als Krakenmonster. Christian Strasser als Plemperbier und Stefan Rosenthal in einer hervorragenden Klabauter-Maske sorgen für jede Menge Lacher, die bei dem zwielichtigen und bedrohlichen Kapitän Boje, gespielt von Hannes Pendl, gar nicht erst aufkommen.

Weitere Termine auf der Homepage des Theater der Jugend.

Zwei Leben, die bis heute nachwirken

Zwei Leben, die bis heute nachwirken

Zwei Leben, die bis heute nachwirken

Von Aurelia Gruber

Anita Zieher und Katrin Grumeth als Marie Jahoda und Käthe Leichter (Foto: © Reinhard Winkler)

15.

Februar 2018

Es ist ein Abend, der zeitweise sprachlos und betroffen macht. Weil die Geschichten, die darin erzählt werden, oder vielmehr die Geschichte Österreichs – so fühlt es sich im Moment zumindest an – drauf und dran ist, eine Wiederholungsschleife einzulegen.

ZZugegeben: Der Einleitungstext mag emotional ein wenig überspitzt formuliert sein. Aber tatsächlich gibt es unglaublich viele Parallelen aus der Arbeitswelt und dem politischen Umgang miteinander, welche die sozialwissenschaftlichen Pionierinnen Käthe Leichter (1895 – 1942) und Marie Jahoda (1907 – 2001) zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Österreich erlebt haben und heute.

Der Text des Stückes „Arbeit, lebensnah – Käthe Leichter und Marie Jahoda“ stammt von Anita Zieher, Erfinderin und Leiterin des Portraittheaters und Sandra Schüddekopf, die auch Regie führte. Er lässt die beiden Wissenschaftlerinnen abwechselnd von einzelnen Passagen ihres Lebens erzählen, wobei die Schauspielerinnen sogar kurzfristig in Männerrollen schlüpfen.

Anita Zieher verkörpert Käthe Leichter, jene promovierte Staatswissenschaftlerin, die, aus jüdischer Familie mit unbeschwertem, finanziellem Hintergrund, sich ganz der Idee der Sozialdemokratie verschrieb. Sie wurde die erste Leiterin des Referates für Frauenfragen an der Arbeiterkammer und gelangte, nachdem sie sich während der Nazi-Zeit im Untergrund für die Revolutionären Sozialisten engagierte, 1940 in das KZ Ravensbrück. 1942 wurde sie bei einer „Versuchsvergasung“ mit ca. 1500 Jüdinnen ermordet.

Marie Jahoda wird von Katrin Grumeth gespielt. Bekannt wurde die Sozialpsychologin, die das „Unsichtbare sichtbar machen wollte“, nicht nur durch ihre Mitwirkung an der Studie über die Arbeitslosen von Marienthal, der ersten dieser Art weltweit. Sie fand auch durch ihre Lehrtätigkeiten und Studien an Universitäten in Großbritannien und New York internationale, fachliche Anerkennung. Im November 1936 wurde sie wegen illegaler Tätigkeiten verhaftet und kam nach acht Monaten unter der Bedingung frei, Österreich zu verlassen. Von da ab lebte sie in Großbritannien und New York in der Emigration.

Es ist ein unglaublich riskantes Unternehmen, das Leben zweier Frauen auf die Bühne zu bringen, die in ihren Fächern erste, wissenschaftliche Standards setzten und keine bekannten Schauspielerinnen oder Sängerinnen waren. Denn wer erinnert sich heute noch an diese beiden streitbaren Österreicherinnen, die für eine gerechtere Gesellschaft eintraten?

Anita Ziehers Bühnenauftrag in dieser Inszenierung ist klar: Mit der Nachzeichnung der Lebenslinien von Leichter und Jahoda zeigt sie nicht nur ein Stück österreichischer Sozialgeschichte auf. Sie macht auch darauf aufmerksam, wie sehr die Errungenschaften aus den 20er Jahren, als das Rote Wien seine Hochblüte erlebte und das Parlament viele Arbeitnehmerschutzgesetze erstmalig ausformulierte oder verbesserte, im Moment im Begriff sind zu erodieren. Sie vermittelt aber auch, dass der Begriff der eigenen Blase, in der man sich befindet, der meist mit der Verwendung von sozialen Medien einher geht, von Marie Jahoda in Zusammenhang mit einer Kommunikationstheorie ausformuliert worden war.

Mit einem unaufwändigen, aber höchst flexiblen Bühnenbild (Eva Maria Schwenkel) aus unterschiedlich färbigen Kartonkisten schaffen es die beiden Schauspielerinnen, die Szenerien ständig zu verändern. Da werden rote Schachteln zum Sinnbild für den immensen Gemeindebau-Boom der 20er Jahre. Vor und hinter blauen Papp-Kisten spricht Käthe Leichter über die Machtübernahme der Nationalsozialisten. An anderer Stelle schleppt eine „Arbeiterin“, offensichtlich von Rückenschmerzen geplagt, in einer Fabrik Boxen von einer Bühnenseite zur anderen.

Käthe Leichter lag vor allem die Solidarität der Frauen untereinander sehr am Herzen und – weitblickend – die Verbreitung von Frauenthemen in den Medien. In einer wunderbar humorigen Szene zeigt Zieher auf, dass Leichter, einmal für eine Idee entbrannt, diese mit Beharrlichkeit so lange verfolgte, bis sie an ihrem erwünschten Ziel anlangte. Genervt, von der ständigen Bedrängung seiner Kollegin, gibt der Chefredakteur der Zeitschrift „Arbeit und Wirtschaft“ ihrer Bitte schließlich nach, den Frauen eine eigene Kolumne, später sogar eine eigene Frauenbeilage zuzugestehen.

Marie Jahoda befasste sich ebenfalls zeitlebens mit sozialer Ungerechtigkeit und deren Auswirkungen. In einer sehr berührenden Textstelle gibt Grumeth Jahodas Gedanken über die unterschiedliche Wahrnehmung von Misserfolg von Menschen wieder, die in unterschiedlichen Ländern wohnen. Ein Mann, der es im Leben zu nichts gebracht hat, kann in London immer noch der Labour-Party beitreten und seinen Misserfolg als Pech im Leben verbuchen. Einer in Amerika hingegen, der es nur bis zum Liftboy gebracht hat, sieht sich selbst als Versager, so ihre brillante Zusammenfassung unterschiedlicher, sozialer Gegebenheiten und deren Auswirkungen auf die Menschen.

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Anita Zieher und Katrin Grumeth als Marie Jahoda und Käthe Leichter (Fotos: © Reinhard Winkler)

Besonders emotional aufgeladen war der Premierenabend im Theater Akzent durch die Anwesenheit von Franz S. Leichter, einem Sohn von Käthe Leichter, der als Senator in New York politisch tätig war. Als 8-Jähriger erlebte er die Inhaftierung seiner Mutter, hatte aber das Glück, 2 Jahre später mit seinem Vater und seinem Bruder in die USA emigrieren zu können. In ihrer Abschlussszene, die im KZ Ravensbrück spielt, lässt Leichter das Publikum wissen, dass es gerade die letzten vier Jahre in Wien waren, an die sich der nun 88 Jahre alte Herr wohl noch erinnert. An die Spaziergänge in Mauer, wo er damals mit seiner Familie lebte, an das gemeinsame Musizieren seiner Mutter am Klavier mit seinem Vater an der Geige.

„Arbeit, lebensnah – Käthe Leichter und Marie Jahoda“ ist beinahe ein Lehrstück darüber, wie Frauen, die von ihrer Idee vollkommen überzeugt sind, es schaffen, die Gesellschaft ein Stück weit gerechter zu machen. Es ist aber auch eine Mahnung, wachsam zu sein und Strömungen entgegenzutreten, die sich in einem vergifteten, politischen Umfeld so auswachsen können, dass letztlich die Menschlichkeit auf der Strecke bleibt.

Weitere Termine im Theater Drachengasse.

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