Aufklärung oder Blasphemie?
Von Michaela Preiner
A yad Akhtar wurde 1970 in New York geboren, seine familiären Wurzeln liegen jedoch in Pakistan. Mit „Geächtet“, das in Österreich im Burgtheater und im Schauspielhaus Graz gespielt wurde, erlangte er in seinem Heimatland den Pulitzer Preis und wurde hier mit dem Nestroy-Autorenpreis ausgezeichnet.
Zarina – herausragend gespielt von Henriette Blumenau – lässt weder Dogmen gelten, noch sich mit Interpretationen abspeisen, die dem Patriarchat in die Hände spielen – wie dem Verschleierungsgebot. Ihre Schwester Mahwish, Tamara Semzov, fügt sich in jede Korananweisung bis hin zur körperlichen Ausbeutung, die ihr Verlobter an ihr jahrelang sexuell begeht. Der trockene Kommentar Zarinas dazu: „Ich glaube, niemand hier sollte sich in Sachen Sex vom Propheten beraten lassen“, wird vom Publikum lachend quittiert. Eli, stimmmächtig von Nico Link gespielt, der tatsächlich Zarinas Ehemann wird, versucht als konvertierter Muslim, der als Imam einer muslimischen Gemeinde vorsteht, seiner Frau größtmögliche Freiheiten zu lassen. Er erkennt jedoch den sozialen Sprengstoff, den Zarina in ihrem Buch aufbereitet hat und meldet höchste Bedenken an. Die absolute Zurückweisung und Verachtung des Vaters, das Entsetzen der Schwester über die Blasphemie, die Zarina begangen hat, sind das eine. Eli hingegen schwankt zwischen Zustimmung und Bestärkung seiner Frau und Angst vor Repressionen, die schließlich die gesamte Familie tatsächlich erfahren muss. Der Geist der Aufklärung, den die junge Zarina in sich trägt und der eine Frage nach der anderen in Zusammenhang mit muslimischen Traditionen aufwirft, zerrüttet die Familie und lässt Vater und Schwester in ihren moralischen Grundfesten erbeben. Das Ensemble darf dabei eine permanente, emotionale Hochschaubahn befahren. Wut, Angst, Unverständnis, aber auch tief empfundene Liebe wechseln im Minutentakt. In Streitereien, kleineren und größeren, werden en passant auch Stationen von Mohammeds Leben beleuchtet und diskutiert. Dies ergibt eine Art Schnellsiedekurs in Sachen Koran und macht zugleich Lust, tiefer in die Materie einzutauchen. Jan Stephan Schmieding arbeitet in seiner Regie die einzelnen Charaktere psychologisch nachvollziehbar heraus und zeigt durch die häufige Tuchfühlung der Schwestern und ihrem Vater auch auf, wie schwer es für sie ist, aus tradierten ethisch-moralischen Überlieferungen und einem eng gestrickten Familiengeflecht auszubrechen.
Die große Leistung des Autors besteht darin, aufzuzeigen, welche Auswirkungen eine patriarchalisch interpretierte Religionsausübung auf ein Familien- und letztlich auch Sozialgefüge hat. Dass er das nicht mit dem belehrenden Zeigefinger tut, macht das Stück unglaublich attraktiv.
Der Mann, der im Mittelpunkt steht, die Frau, die gebrochen werden muss, all das ist für den Vater in keiner Weise hinterfragenswert. Zugleich wird aber auch das Ringen der jüngeren Generation spürbar, sich gegen diese Tradition zu wehren und sie zumindest ansatzweise zu hinterfragen. Ein Stück mit jeder Menge Diskussionspotential, nicht nur unter muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.