Pinguine, Raubkatzen und ein Känguru

Pinguine, Raubkatzen und ein Känguru

Pinguine, Raubkatzen und ein Känguru

Von Aurelia Gruber

„An der Arche um Acht“ (Foto: Copyright: Reinhard Werner/Burgtheater)
11.
Jänner 2018

Es gibt weltberühmte Kinderbuchautorinnen und -autoren. Astrid Lindgren ist eine solche, aber auch Erich Kästner fällt einem sofort ein, wenn über dieses Thema gesprochen oder geschrieben wird. In jüngster Zeit muss ein Name im gleichen Atemzug genannt werden: Ulrich Hub.

In Wien werden derzeit gleich zwei Kinder- bzw. Jugendstücke von ihm gespielt. An der Arche um acht ist im Kasino am Schwarzenbergplatz, der Burgtheaterdependance, zu sehen. „Ein Känguru wie du“ wird im Dschungel Wien gespielt. Wer sich informieren möchte, wie großartig aktuelle Stücke für junges Publikum sein können, sollte sich beide Vorstellungen nicht entgehen lassen. Egal ob mit oder ohne Nachwuchsbegleitung. In beiden Stücken werden brisante Themen behandelt.

An der Arche um acht

In „An der Arche um acht“ müssen drei Pinguine vor einer neuerlichen Sintflut, weil Tier und Mensch Gott auf die Nerven geht, in eine Arche fliehen. Nicht nur, dass sie dabei einen von ihnen als blinden Passagier verstecken müssen, es dürfen ja nur immer Pärchen in das Schiff! Sie kommen dabei auch gehörig ins Grübeln, wie das denn nun mit Gott eigentlich so ist: Wo lebt er, hat ihn je jemand gesehen? Ist er eine Erfindung, oder tun die Pinguine gut daran, sich an Gebote zu halten, um am Ende ihres Lebens nicht bestraft zu werden?

Julia Burgers Regie lässt viel Raum nicht nur für Ulrich Hubs sprachliche Finessen, sondern das Publikum darf sich auch über jede Menge Klamauk freuen. Hans Dieter Knebel, Tino Hillebrand und Marta Kizyma watscheln als Pinguine mit entsprechendem Outfit amüsant über Styroporeis und fischen gleich zu Beginn so manchen Unrat aus dem arktischen Meer. (Bühne Claudia Vallant, Kostüme Sabine Ebner) Ihr Versteckspiel im großen Überseekoffer gleicht einer atemberaubenden Farce, bei der kein Lachmuskel unbeansprucht bleibt.

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„An der Arche um Acht“ (Foto: Copyright: Reinhard Werner/Burgtheater)

Brigitta Furgler ist als weiße, schon etwas vergessliche Taube eine Idealbesetzung und Bernhard Moshammer begleitet das Geschehen nicht nur als alter Mann, dem man assoziativ auch göttliche Eigenschaften zuschreiben könnte. Er agiert mit einer Art auditiver Wundertüten-Kiste und sorgt damit für jede Menge Musik. Hubs Kunst liegt darin, nicht nur darin aufzuzeigen, dass es viele unterschiedliche Meinungen zum Thema Gott und Religion gibt. Vielmehr ist es die einfache und zugleich höchst prägnante Sprache, die der Autor verwendet, um auch komplexe, philosophische Gedankengänge zu beschreiben, die fasziniert. Die Tatsache, dass Humor dabei ein tragender Baustein ist, dass es keinerlei erhobenen Zeigefinger gibt, die Pinguine aber auch nicht aus ihrer Eigenverantwortung entlassen werden und Fatalismus letztlich keinen Platz hat, ist dabei ebenso wichtig. Die Dialoge weisen so viele Ebenen auf, dass sie für Kinder und Erwachsene gleichermaßen geeignet sind. Egal, welcher Religion man angehört, oder ob man atheistisch oder agnostisch denkt, die Grundfragen von Ethik und Moral und der Verantwortung für das eigene Tun bleiben letztlich immer dieselben. Auch für die drei Pinguine.

Ein Känguru wie du

Im Stück „Ein Känguru wie du“ verfolgt Ulrich Hub ein gänzlich anderes Thema, wenngleich um nichts weniger brisant. Django, ein großes Känguru, fühlt sich im Boxring richtig wohl. Sein Handicap: Es ist schwul und hat keinen Freund. Deswegen lässt es sich darauf ein, mit dem weißen Tiger Pascha und dem schwarzen Panther Lucky in den nahen Zirkus mitzukommen. Die beiden Raubkatzen glauben fälschlicherweise, dass ihr Trainer ebenfalls schwul ist und suchen nach einem geeigneten Partner für ihn, um endlich eine richtige Familie gründen zu können.

Im Vorfeld der Uraufführung gab es einige Turbulenzen, musste doch das Theater in Baden-Baden das Stück vom Spielplan nehmen. Nicht, weil es lautstarken Gegenwind gegeben hätte, sondern weil das Publikum in stillem Protest schlichtweg ausblieb. Dies führte man darauf zurück, dass Elternvertretungen ihre Kinder nicht mit dieser Thematik konfrontieren wollten. In Wien blieb diese Reaktion aus. Vielmehr wissen hier die Verantwortlichen von Publikumsgesprächen zu berichten, in welchen klar wird, dass Kinder weder eine Scheu haben, über dieses Thema zu sprechen, noch dass es in ihrem Lebensalltag keinen Platz hätte. Erzählen sie doch von Verwandten oder erwachsenen Freunden, die es mit dieser sexuellen Ausrichtung schwer haben, oder freuen sich darüber, wenn diese einen Partner fürs Leben fanden.

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Ein Känguru wie du (Foto: ISKRA Foto Max Gruber)

Die Inszenierung von Nika Sommeregger, Gründerin des teater Iskra, bleibt an Ulrich Hubs rasantem Erzähltempo. Da werden Kunststücke vollführt – Sitz!, Platz! Männchen machen! Pfötchen geben! Da flanieren die beiden Raubkatzen arbeitsbefreit am Strand und wundern sich, warum die Menschen in Panik davonlaufen. Da treffen sie auf das boxende Känguru und haben höchsten Erklärungsnotstand, als sie draufkommen, dass es schwul ist und sie selbst jedoch mit jeder Menge Vorurteile behaftet sind. Ganz so, wie auch ihr Trainer, der Zirkusdirektor.

Die Schimpftirade, die er gegen das Känguru loslässt, findet sich so an jedem x-beliebigen Stammtisch landauf und landab. Einfach großartig, wie die Kinder im Publikum sich darüber amüsieren und die Verlogenheit und Angst der Erwachsenen in dieser Suada spielend durchschauen.

Auch der wunderbar verklausulierte Verweis auf die monegassische Prinzessin, die alljährlich einen Pokal für den besten Zirkusauftritt vergibt und damit extra mit dem Moped angeschauscht kommt, macht mehrfach Spaß. Die fantasievollen, zum Teil gehäkelten Kostüme und der Zirkusvorhang mit Mehrfacheinsatz (Ausstattung Peter Ketturkat, Karin Bayerle) reichen völlig aus, um in Gedanken die unterschiedlichen Szenerien zu bereisen.

Die Bedenken Erwachsener, Kinder wären mit dem Stück überfordert, oder das Argument, die darin vorkommenden Ausdrücke wären nicht kindgerecht, gelten nicht. Wer auch nur einmal im Pausenhof einer Volksschule den Kindern aufmerksam zugehört hat, weiß, dass Warmduscher noch eine der harmlosesten Beschimpfungen ist, die dort verwendet werden. Gewiss, es gibt Unterschiede, was die Pausengespräche betrifft, je nach dem sozialen Umfeld der Kinder. Aber zu glauben, das Thema Homosexualität würde vor den Toren der Schulen Halt machen, ist reichlich naiv.

Dass ausgerechnet das schwule Känguru mit Tatkraft und Führungsqualität schließlich die alles entscheidende Zirkusvorstellung rettet, bei welcher der Zirkusdirektor vor Lampenfieber versagt, entspricht ganz und gar nicht den stereotypen Vorstellungen von homosexuellen Männern. Wie wunderbar, dass Ulrich Hub hier den Charakter der Menschen in den Vordergrund stellt und wissen lässt, dass es schließlich nicht darauf ankommt, ob Mann auf Mann, Frau auf Frau oder wie oder was oder wen überhaupt steht.

 

  • Weitere Infos für „Ein Känguru wie du“ auf der Homepage des Dschungel Wien.
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Gelenkte Ekstase

Gelenkte Ekstase

Gelenkte Ekstase

Von Aurelia Gruber

Oh Magic – Simon Mayer (Foto: Wolfgang Silveri)
15.
November 2017
Die neue Produktion von Simon Mayer trägt den vieldeutigen Titel „Oh Magic“.

Das Brut,  aufgrund von Umbauarbeiten in dieser Saison auf Wanderschaft, eröffnete seine Saison mit Simon Mayers Stück „Oh Magic“ in der Halle E des Museumsquartiers. Im Programmheft war zu lesen, dass der Tänzer, Musiker und Choreograf mit dieser Arbeit ein Gesamtkunstwerk schaffen wollte.

Ein weiterer Hinweis, dass er es einem Schamanen verdanke, nicht mit dem Tanzen aufgehört zu haben, eröffnete einen ganz speziellen Blick auf die Inszenierung. Aus dem Dunkel des Bühnenraums leuchtete zu Beginn nur das kleine Display des Klavieres, das elektronisch gesteuert, eine sanfte Melodie intonierte. Ein kleiner Roboter, mit einem drehbaren Scheinwerfer ausgestattet und ein auf Rollen montiertes, bewegliches, ferngesteuertes Mikrofon waren die beiden anderen Protagonisten der Eingangsszene. Erst nach und nach begann es zu menscheln. Simon Mayer stand mit Clara Frühstück, Patric Redl und Manuel Wagner gemeinsam auf der Bühne, wobei er die Unterscheidung zwischen Tanzenden und Musizierenden bewusst aufhob.

Frühstück, ausgebildet im klassischen Klavierfach erlebte „ihr“ Instrument einmal aus vielerlei ungewohnten Perspektiven: Auf den Tasten stehend, vor dem Instrument liegend, mit den Zehen spielend, im Resonanzraum verschwindend – keine dieser Aktionen dürfte sie bis zu dieser Arbeit vorher schon einmal ausgeführt haben. Manuel Wagner an den Elektronics und der Percussionist Patric Redl schlüpften neben ihren Parts als aktive Musiker auf der Bühne auch in jene von Tänzern und Mayer selbst betätigte sich als Sänger.

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Oh Magic – Simon Mayer (Foto: Wolfgang Silveri)

Das Anfangsszenario, ein Konzert, das in schwarzen Bühnenoutfits absolviert wurde, änderte sich rasch. Nach und nach lösten sich die Performenden aus ihren sozial-determinierten Rollen, um schließlich, eingepeitscht durch die eigene Musik, nackt in tranceartige Zustände zu verfallen. Weihrauchschwaden taten ein Übriges, um auch olfaktorisch die Sinne in einen derartigen Zustand zu versetzen. Das, was Mayer hier aufzeigte, vor allem in den Happenings Mitte des vorigen Jahrhunderts vielfach dekliniert, entdeckt offensichtlich eine junge Generation nun für sich neu: Die Befreiung des eigenen Ichs durch die Versenkung in andere Seinszustände. Anders als in der Generation der 68er sind es keine Drogen, die als Vehikel eingesetzt werden, sondern nur Tanz und  Musik. Auch wenn diese  letztlich in eine ohrenbetäubende Kakophonie ausufert, bietet sie dennoch einen letzten Anker für die Performance selbst. 

Das junge Publikum reagierte staunend, das ältere durfte in Reminiszenzen an eine unbeschwerte Zeit schwelgen, in der noch alles möglich schien und love and peace eine verheißungsvolle Zukunft vorgaukelten. Einzig der Einsatz der Roboter, die selbst außer Rand und Band gerieten, determinierte Mayers „Oh Magic“ ins Jetzt. Die Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen muss auch heute noch jeder und jede für sich selbst erkämpfen. Und sei es mittels einer Performance wie „Oh magic“ auf einer Bühne. Gerne hätte man mitgetanzt!

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Ein böser Fluch

Ein böser Fluch

Ein böser Fluch

Von Aurelia Gruber

Der Fluch des David Ballinger (Foto: Rita Newman)

23.

Oktober 2017

Lautes Kreischen, ein kollektives „Oooohhh“ und das Seufzen von 230 Kindern – sie bilden eine höchst lebendige Geräuschkulisse zum Stück „Der Fluch des David Ballinger“.

Das Theater der Jugend präsentierte im Theater im Zentrum in der Liliengasse seine neue Produktion. „Der Fluch des David Ballinger“ von Lois Sachar. Darin wird mit viel Humor eine spannende Geschichte von allerlei Hirngespinsten, aufkeimenden Gefühlen der ersten Liebe und gesellschaftlichen Ausgrenzungen erzählt.

Ein Fluch lastet auf David

In der Regie von Gerald Maria Bauer gelingt es dem Ensemble, die Kinder und Jugendlichen im Nu in das Geschehen hineinzuziehen. Durch die direkte Ansprache von Stefan Rosenthal, der in der Rolle des David Ballinger die Sympathien des Publikums im Nu für sich gewinnen kann, fühlen sich die jungen Theaterbegeisterten auch rasch wie Verbündete. Er berichtet ihnen, dass er verflucht sei und nicht wisse, ob denn nicht schon bald auch sein Ende nahen würde.

Step by step führt er sie mit auf seine Reise in ein Abenteuer, bei dem es um Mitmachen in einer Clique, um unbedingtes Dabeisein-Wollen aber auch um Widerstand und den Kampf um das Recht auf die eigene Persönlichkeit geht. Bald schon bereut er, dass er mit falschen Freunden an einer Aktion beteiligt war, bei der Mrs. Bayfield, eine ältere Dame, die es sich im Schaukelstuhl vor ihrem Haus bequem gemacht hatte, zu Schaden kam.

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Der Fluch des David Ballinger (Foto: Rita Newman)

Zeitlupe im Theater

Wie aber herauskommen aus einem Strudel von Angst und Lügen, die David aufbauen musste, um nicht bei seiner Schwester Ricky (Sabrina Rastl) und seiner Flamme Tori (Shirina Granmayeh) wie ein Verlierer dazustehen? Dazu braucht es tapfere Freunde wie die unerschrockene Mo Miller (Julia Edtmeier), die ihren zukünftigen Hund, einen Chihuahua, Killer nennen wird und Larry Clarksdale (Markus Gläser), der vorgibt, ein Meister in Kung-Fu zu sein. Was übrigens zu einer höchst brenzligen Situation führt.

Die Highlights der Inszenierung sind jene Szenen, die in Zeitlupe vorgeführt werden. Da gibt es beim Publikum kein Halten mehr. Als David mit seiner Schwester und seinen Freunden gegen die Gang mit Roger, Randy und Scott kämpfen und so manche Hose fällt, bleibt kein Auge trocken. Nicht zum ersten Mal sind es die Mädchen, die im Theater der Jugend zu wahren Heldinnen avancieren. Dass sie dabei immer ihre Intelligenz einsetzen, ist Ehrensache.

8 TDJ Der Fluch des David Ballinger Feik als Randy Rosenthal als David Sabrina Rupp als Mrs. Gutierrez Rusch als Scott Stoehr als Roger Edtmeier als Maureen 01
11 TDJ Der Fluch des David Ballinger Seraphine Rastl als Mrs. Bayfield 01

Der Fluch des David Ballinger (Fotos: Rita Newman)

3 TDJ Der Fluch des David Ballinger Bernhard Georg Rusch als Scott Florian Feik als Randy Seraphine Rastl als Mrs. Bayfield Rouven Magnus Stoehr als Roger 01
19 TDJ Der Fluch des David Ballinger Florian Feik als Randy Newman Rouven Magnus Stoehr als Roger Delbrook Bernhard Georg Rusch als Scott Simpson 01
„Der Fluch des David Ballinger“ serviert am Ende auch noch eine große Portion Gänsehaut. Ein rasant inszeniertes Stück mit tollen Bildern, die bis auf verschiebbare Wände, sonst wenig Kulisse benötigen, aber Lust auf viel, viel mehr Theater machen.

Weitere Infos auf der Homepage des Theater der Jugend.

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Neue Generation, neues Glück

Neue Generation, neues Glück

Sterben, geboren werden, sterben, geboren werden. Das Leben auf der Erde ist ein -scheinbar – unendlicher Kreislauf. Einmal in einem Körper gefangen, entkommt man ihm nicht mehr. Der Körper ist das Einzige, das für uns wirklich ist, was wir nicht negieren können. Aber was passiert, wenn wir gestorben sind? Was passierte in den Generationen vor uns? Was wird in den Generationen nach uns passieren?

Die Historie lässt sich rekonstruieren, die Zukunft aber nicht vorhersagen. Und dennoch hält diese beiden Pole eine ununterbrochene Kette des Lebens zusammen, die nur im jeweilig gelebten Augenblick real erfahrbar ist. „Where to be born“ ist die bereits sechste Arbeit des jungen Theaterkollektivs .Evolve Theatre Company. Sie beschäftigt sich mit den menschlichen Vorstellungen rund um Leben und Tod. Dabei geht sie zugleich auch der Frage nach der eigenen Lebensverantwortung nach. Nach dem Warum des Leides und Entbehrungen ganzer Generationen und dem Warum des Überflusses, in den andere hineingeboren werden.

Die Individualität geht nicht verloren

Nach einem Konzept von Barbara Wolfram, Gründerin und künstlerische Direktorin des Kollektivs, erarbeiteten insgesamt neun junge Performerinnen und Performer das Stück, das an drei Abenden als Gastspiel im Schauspielhaus gezeigt wird. Alaa Ghamian, Tarek Ghamian, Elissaveta Grigorova, Sallar Othman, Elena Pichler, Negin Rezaie, Lara Rump, Susanne Siebel, Fabienne Swoboda präsentieren sich dabei als eine höchst sympathische, junge Truppe mit hoher Spielfreude, in der niemand seine Individualität verliert. Ganz im Gegenteil.

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Evolve Where to be born (c) Caspar Thiel

Die Inszenierung, die nur zu Beginn vom gesprochenen Wort lebt, sich danach aber ausschließlich des Transportes von Bildern bedient, die das Ensemble kreieren, lebt von einer klugen Dramaturgie. Diese lässt ein Menschengeschlecht nach dem anderen sterben und wiederaufleben. Dabei finden wir uns in einem Moment auch unversehens in unserer Zeit, in der kurze Nachrichtensequenzen von großen TV-Stationen aus aller Welt, rasch hintereinander geschnitten, auf weiße Leinwände projiziert werden. Diese dienen kurz später als Leichentücher, erleben bald darauf aber auch noch weitere Einsätze. Wie jenen, in welchem die Menschheit erneut zu sich kommt und versucht, nicht kriegerisch, wie es zu Beginn der Fall war, sondern nun in Liebe miteinander auszukommen. Ganz der Darwin-Lehre verpflichtet, kreieren die jungen Performenden auch einen Garten Eden mit Fischen, Blumen, Vögeln und anderem Getier, das lautstark die Erde zu bevölkern beginnt.

Für die einen ein Spiel, für die anderen ein Albtraum

Kurz nach Beginn wird auch klar gemacht, dass wir Menschen zum Teil schon vor unserer Geburt mit einem Schicksal behaftet sind, das wir mit uns mittragen, ob wir wollen oder nicht. Und dass wir unser ganzes Leben nach der ultimativen Liebe unserer Eltern gieren. Was für die einen ein Lebensspiel, ist für die anderen Mühe und Plage, wenn nicht sogar ein Albtraum. Finden die einen liebende Partner, bleiben die anderen alleine.

Aber auch soziale und politische Umstände bestimmen das Leben der Menschheit maßgeblich. Deutlich wird das in Szenen, in welchen rohe Gewalt ein Machtgefüge von oben und unten hervorruft. Die „Choreografie“ folgt zwar einem großen, roten Faden, jedoch bietet sie allen genügend Freiraum, sodass sich die Teilnehmenden in ihrer eigenen Körpersprache auszudrücken können. Das unterscheidet die Inszenierung von vielen, bis ins Letzte durchkomponierten Tanz-Events, in welchen bis zur kleinsten Geste, bis zur kleinsten Bewegung kein Spielraum für einen individuellen Ausdruck bleibt. Und dennoch herrscht auf der Bühne kein Chaos und keine Anarchie.

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Evolve Where to be born (c) Caspar Thiel

Der Geist der Gemeinsamkeit, das Gefühl etwas zu erschaffen, das erschaffen werden muss, schwappt im Laufe der Vorstellung mehrfach ins Publikum. In der großen Erzählung kommt auch ein Demiurg vor, der sich pfeifend von einem zu Grabe gebrachten Menschengeschlecht verabschiedet. Von einem, das „silberne“ Zeiten erleben durfte. Zeiten in welchen geliebt und menschenwürdig gestorben werden konnte. Mit der Idee eines Weltenherrschers, der das Weltgeschehen zumindest überblickt, wird den Menschen die Selbstverantwortung für ihr Tun jedoch nicht genommen.

 

Alleine der Zeitpunkt wann man auf die Welt kommt und wo, bestimmt zu einem großen Teil auch unser Leben auf dieser Welt mit. Das wird in dieser Inszenierung, die zwischen den Kategorien Theater, Tanz und Performance angesiedelt ist, überdeutlich. Die besten, aufregendsten Momente sind jene, in welchen multimedial gearbeitet wird, wie im Falle der „Elternprojektion“ oder der Nachrichtenschwemme. Trotz aller Morbidität, die dem Thema logischerweise innewohnt, transportiert die Inszenierung doch jede Menge an Hoffnung. Auch wenn die Welt Kopf steht und die Menschheit nichts Besseres zu tun hat als sich zu dezimieren: Die Welt weiß sich zu helfen, ist stärker als die Menschheit selbst und imstande, wieder aufs Neue ein Abenteuer mit der Menschheit einzugehen. So die beruhigende Botschaft, auch wenn unsere Generation es vielleicht nicht mehr erlebt.

Weitere Infos auf der Homepage der .Evolve Theatre Company.

 

Sie ist ein herrliches Weib!

Sie ist ein herrliches Weib!

Während das Publikum sich noch seine Plätze sucht, kommt sie auf die Bühne. Lola Blau, ganz in Rot. Rotes Kleid, rote Schuhe und Strümpfe. Damit aber nicht genug. Auch die Bühnenausstattung ist ganz in Rot gehalten: Ein roter Fauteuil und rote Wände decken augenscheinlich etwas zu – den Namen der Protagonistin in dieser One-woman-Revue.
Und tatsächlich hat Lola ihrem Namen „Blau“ allerhand Unerfreuliches zu verdanken. Also weg damit, zumindest für ein gutes Stündchen.

Gemeinsam mit dem aufsässigen Marcelo Cardoso Gama am Klavier und Mathias Krispin Bucher am Kontrabass wird Lola alias Tamara Stern in dieser Zeitspanne das Publikum unterhalten. Ihm von ihrer Geschichte erzählen, die in den 30er Jahren, als sie gerade ihr erstes Engagement am Linzer Stadttheater antreten wollte, seinen Lauf nahm.

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Heute Abend: Lola Blau im Off-Theater (c) Günter Macho

Der Plot stammt aus der Feder des geistreichen Georg Kreisler, der darin zusätzlich einen Ohrwurm an den anderen reihte und dabei wie nebenbei seinen eigenen Lebenslauf erzählte. Er wurde 16-jährig aus der Neustiftgasse – einen Steinwurf vom Off-Theater entfernt, mit seiner Familie vertrieben. Lola Blau ist – der Name verrät es schon – auch jüdisch und so bricht das Unheil herein, das nach Hitlers Machtergreifung zwischen 5,7 und 6 Millionen jüdischen Mitmenschen das Leben gekostet hat. Lola Blau – gleich vorweg – überlebte. Sonst könnte sie auch ihre Geschichte nicht erzählen.

Und sie könnte nicht über ihre Liebe zum Theater berichten. Nicht über ihren Freund, auf den sie vergeblich nach ihrer erzwungenen Ausreise am Bahnhof in Zürich wartete. Nicht über ihre Zeit in Amerika, in der sie in einem nicht gerade hochrangigen Etablissement ihre Kunden mit anzüglichen Liedern unterhielt. Tamara Stern tut dies mit allergrößter Verve, mit Herzblut und ist zugleich mit einer hohen Musikalität ausgestattet. Vielleicht ist ihr diese Rolle deswegen so auf den Leib geschneidert, weil sie selbst Jüdin ist und ihre Familie unter den Nazis bis auf wenige Überlebende, ermordet wurde.

Vielleicht ist es aber auch ihre Liebe zum Revue-Genre an sich, wie sie in einem aufschlussreichen Interview Auskunft gab. Egal ob die Spekulationen stimmen oder nicht, in dieser, von Ernst Kurt Weigel adaptierten Inszenierung, die sie zuvor 7 Saisonen lang in Bregenz am Landestheater vor ausverkauften Häusern spielte, ist sie nicht nur eine Vollblutschauspielerin, sondern auch eine Vollblutsängerin. Und man darf ihre Leistung getrost mit dem Titel eines der Chansons beschreiben, das sie singt: Sie ist ein herrliches Weib, sie ist ein göttliches Weib! Wie sie königlich in ihrem kessen Kleid mit ausladendem Petticoat über die Bühne schreitet, wie sie zusammenzuckt, als ihr ein- ums andere Mal Post zugestellt wird, von der sie nur Ungemach zu erwarten hat, wie sie ihren Beruf als Dame exaltiert ins rechte Licht rückt oder auf Hebräisch auf die schriftliche Anweisung im Textbuch reagiert, ein eigenes Lied einzufügen – all das macht beim Zuschauen einfach nur Freude.

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Heute Abend: Lola Blau im Off-Theater (c) Günter Macho

Gelungen ist auch die musikalische Umsetzung, in der – um nur ein anschauliches Beispiel zu nennen – eine schräge Donauwalzer-Interpretation und Rosenkavaliersthemen erklingen, als Lola sich nach Kriegsende wieder entschließt, nach Wien zurückzukehren. Es ist die einzige Szene, in der die sonst so starke Frau wie ein kleines Häufchen Elend in ihrem Sessel hockt. Betrunken, von den Ereignissen förmlich überrollt und unsicher, was ihre Zukunft in jenem Land betrifft, das sie so schlecht behandelt hat.

Das Geniale an „Heute Abend: Lola Blau“, wie der Originaltitel heißt, ist nicht nur die Umsetzung von Tamara Stern. Es ist auch Georg Kreislers Genie, mit dem er in subversivster Art und Weise die größten Schrecklichkeiten, die ein Leben in Verfolgung mit sich bringt, höchst amüsant über den Bühnenrand schwappen ließ. Und so darf man sich freuen und lachen, zugleich aber auch traurig und zutiefst beschämt sein. Die Aktualität des Stückes in unserer Zeit, in der antisemitische Beschimpfungen wieder salonfähig werden und Flüchtlingsheime brennen, sollte uns dabei an unterster Stelle bewusst sein. Wenn wir im Moment schon sonst nichts gegen diese Verfinsterung am humanistischen Himmel in Europa unternehmen.

Unsere Empfehlung: Für die Termine im Mai gibt es noch Karten – also rasch buchen! Homepage des Off-Theater.

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