Wir dachten, „es“ käme nie mehr wieder. Wir dachten, „es“ sei Geschichte, die man nie mehr vergessen dürfe. Aber es gibt Menschen, die meinen, wir erlebten eine „Mahnmahlinvasion“ und dass endlich „einmal Ruhe sein müsse“.
Von Wien aus sind es gerade einmal 72 Kilometer bis zur ungarischen Grenze und 243 Kilometer bis nach Budapest. 243 Kilometer bis ins Machtzentrum des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban. Mit seiner Fidesz-Partei hält er eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus. Es war nicht zuletzt seine starke Polemik gegen die Bevölkerungsgruppe der Roma und gegen Juden, die ihm zu diesem Wahlerfolg verholfen hat. Dabei unterstützt wird er von der rechtsradikalen Partei Jobbik, deren Vertreter sich nicht scheuen, wahre Hetzreden gegen besagte Bevölkerungsgruppen anzustimmen. Christoph Marthaler zeigt mit seiner Theaterproduktion „Letzte Tage. Ein Vorabend“, wie sehr die Polemiken der politischen Elite in unserem Nachbarland in fatalster Art und Weise an jene Wortmeldungen erinnern, die am „Vorabend“ zum Ersten Weltkrieg im historischen Sitzungssaal des Parlamentes in Wien zu hören waren. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts avancierte der Antisemitismus zum politischen Spielkapital, das von einflussreichen Köpfen, wie Karl Lueger einer war, bewusst eingesetzt wurde.
Christoph Marthalers „Letzte Tage. Ein Vorabend“ im Parlament in Wien bei den Festwochen. (Photo: Walter Mair)
Kunst kann seinen Finger auf soziale und politische Wunden legen und das nicht nur im Nachhinein. Dort, wo Kunst auf sozio-kulturelle und politische Schieflagen unserer Zeit aufmerksam macht, wird sie zwar besonders angreifbar, zugleich aber auch besonders interessant. Die Wiener Festwochen koproduzierten mit dem Festival d´Automne à Paris, dem Théâtre de la Ville, Paris und der Staatsoper Unter den Linden in Berlin das Stück, das auf historischen Redevorlagen, aber auch Texten von ungarischen Politikern der letzten Monate basiert. Herausgekommen ist eine Marthaler`sche Collage mit starken musikalischen Anteilen, eindrucksvollen Bildern und unter die Haut gehenden Textpassagen. Für die Musik, die zum größten Teil von jüdischen Komponisten stammt, zeichnet Uli Fussenegger vom Klangforum Wien verantwortlich und liefert mit seinen fünf MusikerInnen dabei Qualität vom Allerfeinsten. Dabei reicht der Spannungsbogen von einfachen Wienerliedern bis hin zu einem Choral von Felix Mendelssohn-Bartholdy aus seinem Elias-Oratorium.
Marthaler verschränkt in seiner Arbeit mehrere Zeitebenen. Er greift nicht nur ans Ende des 19.Jahrhunderts zurück und lässt die antisemitische Rede Luegers in ruhigem Fließton verlesen, sondern er macht einen kurzen Stopp in der Jetztzeit. Da hat eine blonde, rechtsgesinnte Politikerin ihren großen Auftritt vor grellbunten Mikrofonen, über welche sie einem Schwarzen zu erklären versucht, dass er aufgrund seiner „gentechnischen Ausstattung“ an zu wenig Selbstbewusstsein leide. Dass er nach einer mit Hall verstärkten Jodeleinlage der Dame couragiert zurückjodelt, wird von seiner Widersacherin nicht einmal mehr wahrgenommen, längst hat sie die Bühne der Politikerpräsentation verlassen. Noch schlimmer jedoch gebärdet sich ein „skythonumerisch-etruskischer Hunne“, so die Rollenbezeichnung jenes Ungarn, der von einem Baugerüst aus eine Schimpftirade gegen die Roma ins Publikum schleudert. Der Publizist Gregor Mayer hat für diesen Text Stellen aus Reden von 6 ungarischen Politikern zusammengestellt, die teilweise derzeit im ungarischen Parlament vertreten sind. Hier muss gesagt werden, dass es Mayer und Marthaler mit dieser Passage in wenigen Minuten gelingt, tiefe Betroffenheit bei einem Teil des Publikums auszulösen. Eine Betroffenheit, die tatsächlich nur das Theater erzeugen kann. Das geschriebene Wort in der Zeitung und auch nicht Berichte in den Nachrichten schaffen eine ähnliche emotionale Anteilnahme. Man weiß, dass man in einer Theaterproduktion sitzt, und findet das Gesagte nur grotesk. Zugleich aber wird einem bewusst, dass diese Polemik Millionen von Menschen beeinflusst und den Boden für Repressalien bereitet, die man sich nicht ausdenken mag. Zigeuner seien Tiere, ist in dieser Schmähdeklamation zu hören, sie seien antisoziale Volkselemente. Und abermals ist es eine leise Stimme, die diese grauenhaften Ansichten verbreitet und dafür von den in den Abgeordnetenrängen sitzenden Männern und Frauen – sind es Menschen aus dem Volk oder sogar VolksvertreterInnen? – gemurmelte Zustimmung erfährt.
Kurz nach Beginn der Vorstellung durfte man noch über die Rede eines Volksvertreters, angesiedelt 200 Jahre nach den Befreiungen aus den Konzentrationslagern, lachen. Darin feierte er aber nicht diesen Gedenktag, sondern dass der Antisemitismus endlich zum UNESCO Kulturerbe erklärt wurde und die europäische Demokratie zur Unterhaltungsabteilung der chinesischen Wirtschaft avancierte. Er sprach davon, dass es nun einer „neuen Demokratie“ bedürfe, einer, die keine Opposition mehr brauche. Nach der ethnienfeindlichen Tirade des ungarischen Politikers jedoch bleibt einem noch im Nachhinein das Lachen angesichts dieser absurden Zukunftsvision ganz tief im Hals stecken. Marthaler gelingt es, durch seine unterschiedlichen Zeitverschränkungen ein so düsteres Zukunftsbild aufzubauen, dass die bedrohlichen Schatten dieser Zukunft sich wie Blei auf unser Heute legen. Einer seiner Protagonisten spricht von „einem merkwürdigen Zustand, wenn es weder zurück noch vorwärts geht und das Jetzt unerträglich wird“ und charakterisiert damit auf den Punkt gebracht das heutige Lebensgefühl vieler Mitmenschen. Da passt auch jene Passage, in welcher die SchauspielerInnen wortlos entweder alleine oder zu zweit auf den Abgeordnetenplätzen Platz nehmen von der Bildmetapher her gut dazu. Verstörende Gesten schaffen Distanz zu den anderen, Kommunikation bleibt im Austausch von Blicken stecken. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind es ganz unterschiedliche Assoziationsketten, welche die ZuseherInnen während dieser Szene entwickeln. Szenen dieser Art sind es aber gerade, welche das Handlungsgeschehen unterbrechen und ihm einen poetischen Freiraum entgegensetzen.
Das Spiel mit dem Spiel wird in dieser Produktion ebenfalls thematisiert, wenn eine japanische Besuchergruppe durch die Glastüren vom Wandelgang her auf das Publikum blickt und dieses heftig zu fotografieren beginnt. Diese Doppelbödigkeit, bei der das Schauspiel von einem zweiten überlagert wird, zeigt gut auf, wie leicht die Wahrnehmung von Menschen beeinflusst werden kann. Was gerade noch wichtig war, wird durch neue Impulse und Reize völlig verdrängt und wer meint, immer den Überblick über ein Geschehen zu bewahren, erinnere sich an diese Szene.
Wie eine Klammer umfasst das Schlussbild den gesamten Abend. Hintereinander, in Reih und Glied, mit leicht gesenkten Köpfen, schreitet das Ensemble zu einem Mendelssohn-Bartholdy Choral die Empore entlang. Mit den Worten „Wer bis an das Ende beharrt wird selig“ erinnert das Grüppchen an jüdische Gefangene in den Konzentrationslagern, wobei gerade die Hoffnung, die in dieser kurzen Zeile noch durchschimmert, längst von den tragischen Geschehnissen überholt wurde. „Wir leben auf Hoffnung“ ließ Heinrich Böll eine seiner Figuren in seiner Erzählung „Der Zug war pünktlich“ sagen – so wie man sagt, „wir leben auf Pump“. Und dennoch ist es gerade das Phänomen Hoffnung, das nicht erlöschen darf, aber auch nur dann legitim ist, wenn neben der Hoffnung Taten unser Sein begleiten, die diese Hoffnung auch rechtfertigen.
Wir dürfen nicht denken, „es“ käme nie mehr wieder. Wir dürfen nicht denken, dass „es“ für alle Menschen Geschichte sei, die man nie mehr vergessen dürfe. Und Menschen, die meinen, wir erlebten eine „Mahnmahlinvasion“ und dass endlich „einmal Ruhe sein müsse“ dürfen nicht mehr widerspruchslos diese Leid missachtenden Allgemeinplätze von sich geben. Marthaler macht uns das an diesem Abend, der nicht der Unterhaltung dient, klar. Das ist nicht nur brillantes Theater, sondern viel mehr; das ist ein politisches Statement von allergrößter Dringlichkeit.
Ce tabou aurait dû être brisé depuis longtemps. « I love you mother » – prononcé de manière inflationniste à l’occasion de la fête des mères – maintient dans le méta-message une image de la mère qui, dans de nombreux cas, n’est qu’une façade.
On ne compte plus les enfants qui ont subi des souffrances physiques ou même psychologiques de la part de leur mère – mais personne n’en parle. Sauf la « grande sauvage » du théâtre contemporain, Angélica Liddell. Dans sa dernière production « Todo el cielo sobre la tierra » (El sindrome de Wendy), elle pousse toutes les mères du trône qu’elles ont occupé à la naissance de leurs enfants et leur crie qu’elles n’ont aucune raison de réclamer un « supplément de dignité » pour elles-mêmes.
Angélica Liddell aux Wiener Festwochen (Photo : Nurith Wagner-Strauss)
Ce qui peut éventuellement paraître un peu théorique dans ces lignes n’est pas du tout de la théorie grise sur la scène du Museumsquartier à Vienne. Au contraire, l’œuvre commandée par les Wiener Festwochen 2013 y est très intense.
Angélica Liddell est connue pour ne pas cacher ses émotions, mais au contraire pour les laisser s’exprimer sur scène. Si elle vomissait dans la rue ou dans un cercle d’amis tout le ras-le-bol qu’elle déverse sur les spectateurs au théâtre, on s’éloignerait d’elle de quelques pas. Mais dans la salle de théâtre, on est assis à une certaine distance, soi-disant en sécurité. Mais la sécurité se limite à l’intégrité physique.
Liddell ne lève la main sur personne – mais elle décoche ses flèches verbales à tous ceux qui peuvent entendre ses furieuses tirades. Personne n’est épargné, car elle fait comprendre qu’elle déteste tout le monde, surtout les foules, et que ce ne sont que les gens extraordinaires, ceux qui sortent du lot, qui l’intéressent. Avec son sens aigu de l’observation, elle retire tout le ciment social des interstices du comportement humain et dévoile sans pitié la misère, la douleur mais surtout la stupidité des masses. L’alcool, les drogues et les pilules – elle déteste ce triumvirat par-dessus tout, car il rend les gens ennuyeux, infiniment ennuyeux.
Dans la partie principale de cette soirée – que Liddell insère habilement dans des images poétiques – elle n’épargne pas seulement les spectateurs avec ses insultes qui ressemblent à des rafales de mitraillette sans fin, mais elle ne se ménage pas non plus du tout. Sa constitution physique lui permet de catapulter son message contre l’amour maternel laid par-dessus le bord de la scène dans une chorégraphie de mouvements grandiose.
A l’exception de quelques minutes où elle s’assoit sur une chaise et boit de l’eau minérale dans une bouteille en plastique pour se réhydrater, elle est en mouvement constant, danse, court, frappe les objets, chante et crie tout ce que sa voix peut produire.
« The house of rising sun », dans la version d’Eric Burdon, lui offre une couche musicale adéquate, dont les paroles indiquent que la mère doit empêcher ses enfants de faire des choses qui leur feront du mal plus tard. Inutile de vouloir échapper à cette énergie concentrée d’une performance scénique intense et d’une interprétation de blues pénétrante. La longueur de cette déclaration de colère suffit déjà à ce que le public ne puisse pas s’y soustraire en permanence. Bien au contraire. Les blessures psychologiques décrites par l’artiste ne semblent pas inconnues à beaucoup de gens assis dans les gradins.
Ce n’est pas seulement l’attention tendue et continue, mais surtout des hochements de tête presque imperceptibles qui montrent clairement que beaucoup de gens savent de quelles expériences terribles Liddell parle ici. Et pourtant, elle fait comprendre que les mères ne sont pas seulement des coupables, mais aussi des victimes. Qu’elles ne font que reproduire ce qu’elles ont vécu et qu’une Wendy donne naissance à la suivante, qui donne naissance à la suivante, etc. Et elles transmettent toutes leurs « expériences de merde » – pour reprendre l’expression de Liddell – à la génération suivante. Totalement irréfléchie et donc coupable.
La pièce ne serait pas très adaptée au théâtre si l’auteur, le metteur en scène et l’actrice n’avaient pas ajouté d’autres niveaux. Comme celle où elle explique que les femmes qui choisissent des hommes qu’elles peuvent surtout materner souffrent du soi-disant dilemme de Wendy. « Les gens que j’aime sont tous si petits », dit Liddell pour décrire avec justesse cette relation émotionnelle.
Mais cela a aussi pour conséquence que ces femmes considèrent la fin d’une relation comme catastrophique. Comme si on leur avait arraché la vie qui leur avait été confiée, elles saignent psychologiquement sans fin. Un état émotionnel que Liddell montre dans toutes ses pièces. Une souffrance qui semble la détruire – et pourtant, il y a toujours une nouvelle Liddell et avec cette nouvelle Liddell, une nouvelle représentation.
Sindo Puche et Zhang Qiwen dans la pièce d’Angélica Liddell au festival de Vienne
La petite île de terre qui se trouve au milieu de la scène et qui est recouverte de crocodiles menaçants ne symbolise pas seulement le « Neverland » de Peter Pan, sur lequel les enfants ne grandissent jamais, mais aussi – comme on le comprend à la toute fin de la représentation – l’île de la mort norvégienne Utøya, sur laquelle 69 personnes, dont la plupart étaient des jeunes, ont été abattues par Anders Behring Breivik.
L’artiste attribue à ce dernier le syndrome de Peter Pan, ce désir de ne pas vouloir grandir, et donne ainsi sa propre interprétation de cet horrible meurtre de masse. Outre la propre présence scénique de Liddell, ce sont surtout deux personnes qui, à première vue, sont confrontées au drame psychologique sans aucun rapport. Sindo Puche et Zhang Qiwen, 71 et 72 ans, originaires de Shanghai, font le tour de cette île de l’horreur dans une séquence enchanteresse, l’un après l’autre, au pas de la valse légère.
La femme en robe de soirée jaune, son partenaire en queue de pie, dansent sur la musique de Cho Young Wuk, interprétée par l’ensemble Phace. Le reste de la troupe d’acteurs, trois hommes, une femme et Liddell, se tiennent à leurs côtés sur la scène pour observer la danse en silence. A ce moment-là, chargé d’une grande poésie, tout ce qui a été dit auparavant est oublié. La tristesse et la douleur, la colère et l’impuissance – elles n’ont plus d’importance. Seule la musique de la valse et le couple qui s’y plonge complètement, issu d’une culture lointaine où la valse n’a aucune tradition, enchantent le public.
On comprend alors ce qui maintient Angélica Liddell – et pas seulement elle – en vie. Ce sont des moments comme ceux-là qui permettent de sortir de ce quotidien qui semble insupportable. Qu’il s’agisse d’une danse, d’une immersion dans un livre, d’empathie avec la souffrance d’une personne ou de pensées pour un être cher perdu. Dans tous ces états d’être, nous nous trouvons dans un flow qui nous sort complètement du quotidien et nous rapproche de nous-mêmes comme jamais auparavant.
Cette parenthèse théâtrale n’est pas, comme on pourrait le croire au début, sans lien avec ce qui a été montré avant et après. Même les démonstrations de masturbation de Liddell et le récit de sa préférence pour les pratiques sexuelles « perverses » sont directement liées à sa dénonciation de l’exploitation émotionnelle des enfants par leurs mères, ainsi qu’à ses crises de colère, ses discours de haine et sa profonde douleur d’abandon. Car ce sont justement ces états de flow qui opposent à la tristesse et à la violence, à la douleur et à la souffrance, ce qui équivaut à une libération émotionnelle. Un effacement – au sens figuré – momentané du disque dur des pensées, dans lequel la vie devient supportable. Il n’est pas surprenant que la nihiliste Liddell, qui a en horreur toute promesse de salut, trouve le repos dans ces états émotionnels exceptionnels et que sa recherche puisse prendre des allures de dépendance.
Ceux qui étaient encore réceptifs après ce dense kaléidoscope de vie ont appris à la fin que seule la jeunesse représente pour Liddell un état humain dans lequel la vie atteint son apogée et qui est digne d’admiration. Et c’est donc le jeune et beau Lennart Boyd Schürmann qui a impunément tendu un miroir à la « grande sauvage ». Il était le seul à pouvoir lui jeter à la figure que ce qu’elle faisait était totalement insignifiant, voire choquant pour beaucoup de gens, mais il était aussi le seul à pouvoir apaiser Liddell avec son regard envoûtant, de sorte que la paix finissait par s’installer. Une paix présumée qui ne durera probablement que jusqu’à ce que Wendy, ou Liddell, soit à nouveau abandonnée. Du théâtre pour compatir et pour réfléchir, avec un gain de connaissances et le potentiel d’une amorce de discussion sociale sur le faux sens commun de la sacralisation de la mère.
Amour fou – der Titel verkündet bereits, worum es im Stück des Wiener Maskentheaterensembles Scaramouche geht: Um eine verrückte Liebe.
Scaramouche mit Amour fou im Kosmostheater Wien (Foto: (c)Patricia Weisskirchner)
Abseits der großen Produktionen, welche anlässlich der Wiener Festwochen stattfinden, bietet das KosmosTheater noch bis zum 16.6. eine intime Inszenierung eines 4-Personenstückes an. Darin wird dem Publikum – wie einst in den Komödien von Molière – allzu Menschliches präsentiert, das durch das Gefühl von Liebe bei drei älteren Herren ausgelöst wird.
Die Namen- jedoch keineswegs Charakterlosen, die sich schon nach wenigen Minuten als Pedant, Chaot und Schöngeist zu erkennen geben, werden wie durch die Zauberkraft eines verhexten Teppiches von ihrer neuen Bürokollegin in den Bann gezogen und machen ihr, nach anfänglichen Eingewöhnungsschwierigkeiten, allerhand Avancen. Nur mit größter Mühe und Standhaftigkeit kann sie sich der Drollereien der liebestoll Gewordenen erwehren. Bis sie jedoch zum Schluss das Büro übernimmt, hat sie allerhand Verhaltensweisen ihrer Kollegen zu ertragen, die ihr unerklärlich erscheinen. Schon bald sind sich die ehemaligen, wohlgesonnenen Kollegen spinnefeind und versuchen sich gegenseitig nicht nur bei ihren Annäherungsversuchen zu behindern, sondern scheuen auch nicht davor zurück, handgreiflich zu werden.
Dass das Geschehen ohne gesprochenen Text auskommt, verdankt die Inszenierung den treffenden Masken von Martin Schwanda, der auch für die Idee und stimmige Regie verantwortlich zeichnet. Die drei Bürokollegen, die gemeinsam am Ende jedes Arbeitstages ihre noch zu verbleibenden Tage vor ihrer Pensionierung aus dem Kalender streichen, erleben eine Hochschaubahn der Gefühle. Das Zerplatzen ihrer Liebesträume verkraften sie schließlich gemeinsam und verlassen das Geschehen zwar verändert – aber ohne erkennbare Bitterkeit.
Das Publikum wird Zeuge, wie die drei bis dahin ruhigen Herren aufgrund ihrer hormonellen Liebesstöße einen zweiten Frühling erleben in welchem zwar ihr Herz weit, der Verstand aber ganz klein wird. Und so darf man über die Verwandlung des Gesundheitsschlapfenträgers in einen Nike-Konsumenten lachen, sich auf die Schenkel klopfen, wenn der Western-Freak davon träumt, mit seiner jungen Frau über die Prairie zu voltigieren und der akkurate Schreibmaschinenschreiber beim Anblick seiner Kollegin außer Rand und Band gerät und in erotische Träume eintaucht.
Die nonverbale Kommunikation wird durch die Musik von Klaus Karlbauer unterstützt, der alle Register zieht, um das seelische Geschehen der Beteiligten adäquat akustisch zu verdeutlichen. Ein wenig Commedia dell´arte, ein wenig Pantomime, gewürzt mit einer Prise Slapstick – das ist das Erfolgsrezept dieser Inszenierung. Die unter den Masken Agierenden – Florentina Kubizek, Anne Wiederhold, Peter Bocek sowie Martin Schwanda zeichnen für einen Theaterabend verantwortlich, in dem aufmerksames Zusehen gefordert ist. Eine wohltuende Theaterentschleunigung, die ohne aufsehenerregende technische Hilfsmittel auskommt – und dennoch bestens funktioniert.
Dass die junge Frau am Ende aufgrund ihres fachlichen Wissens und der Beherrschung eines Computers gleich alle drei Kollegen ersetzt, kann als wohltuender Fingerzeig gewertet werden. Als Hinweis, dass Frauen in ihrem Arbeitsumfeld nicht als Auslöserinnen hormoneller Entgleisungen angesehen, sondern als Menschen geschätzt werden möchten, die ihren Beruf aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten ausüben.
Michèle Rohrbach in Ver/Spielt (Foto: (c) barbara pálffy)
Die neueste Produktion von DIELAEMMER im Off-Theater in der Kirchengasse aufgeführt, vereint Gestalten quer durch die Geschichte, die ihr Sein im Spannungsfeld von Gehorsam und Auflehnung, von Zwang und freiwilliger Unterjochung verspürten und bis ins Letzte auch auslebten. Faust, Antigone und Eichmann bilden jenes Dreigestirn, in welchem sich die Themen der freien Lebensentwürfe im Gegensatz zu den vorgegebenen der Gesellschaft gut verhandeln lassen.
Felicitas Lukas, als weiblicher Geist, der Großes will und dabei keine Einschränkungen akzeptiert, verkörpert auch die entfesselte Marktwirtschaft, in welcher der Profit oberstes Gebot ist. Und übermittelt dabei auch, dass es offenbar tatsächlich Geister sind, die einmal losgelassen, nicht mehr zu bändigen sind. Michèle Rohrbach in der Rolle der Antigone, aber auch mit kurzen Textausschnitten aus den Verhörprotokollen von Sophie Scholl versehen, stülpt ihr Innerstes nach außen, verbrennt selbst in ihrem Hass vor jeglicher Reglementierung und gräbt mit ihrer Prinzipientreue tiefer und tiefer ihr eigenes Grab. Karl Wenninger schließlich verkörpert den Nazi-Teufel Eichmann, der sein Tun bis zuletzt rechtfertigt und seine perfekte Tötungsmaschinerie wie ein präzises Uhrwerk aufzog.
Den Dreien zur Seite gestellt ist der Chor, der im Auftritt des Milgram-Experimentes sowohl den Widerstand als auch die Mitläuferschaft von Menschen wiedergibt, die anderen Leid zufügen sollen.
Es ist an diesem Abend nicht nur die Idee, die beschriebenen Themen als ewig menschliche darzustellen, die eine gute Basis bildet. Vielmehr ist es auch der Hinweis, dass es ganz bestimmte Situationen gibt, in denen alle Alarmglocken schrillen sollten, wenn es heißt, sich einer bewussten Manipulation entgegenzusetzen. „Du darfst nicht, das ist Ihnen nicht erlaubt, du hast keine Wahl“ wären Sätze, die nur Gehirnbesitzer nicht in Wallung bringen sollten. Gehirnbenützer hingegen sind dazu aufgerufen zu hinterfragen und gegebenenfalls Widerstand zu leisten. In welcher Form – das bleibt dem Individuum selbst überlassen.
Das Spiel in der Inszenierung von Alex. Riener, im nüchternen Raum zwischen dem an zwei Seiten platzierten Publikum und seinen offenen, laufenden Kostümwechseln, wird unterstützt durch die Musik von Wolfgang Frisch (Sofa Surfers) bleibt nicht im abstrakten Geschehen, sondern wendet sich zu Recht zum Schluss auch ans Publikum mit der Gewissensfrage, wie es um die eigene Entscheidung aussieht.
Spritzig und beklemmend zugleich – eine gelungene Gänsehautmischung.
Das Serapionsensemble im Odeon Wien (Foto: N. Albert)
Wer sich Augen- und Ohrenfutter und Balsam für die Seele gönnen möchte, dem sei angeraten, rasch Karten für das Serapions Ensemble im Odeon zu besorgen. Dort wird noch bis 26. Mai die jüngste Inszenierung von Ulrike Kaufmann und Erwin Piplitzs gezeigt. Unter dem völlig offenen Titel „Voilà“ verbirgt sich grandioses Welttheater zum Staunen, Lachen und Weinen.
Als Ausgangsbasis dient unter anderen eine persische Erzählung über die Suche nach dem phantastischen Vogelkönig Simurg. Darin machen sich die Menschen auf die Suche – die schlussendlich immer eine Suche nach sich selbst, dem Göttlichen in sich ist. Ein Märchen oder vielmehr eine Parabel, die von der Musik, dem Tanz, aber auch von den Verwandlungen auf der Bühne lebt, von den großartigen Bildern, den berührenden Gesten und vielen kleinen Aktionen, die emblematisch von großem Theater künden.
Ob asiatische Trommelwirbel, spanische Volkslieder, ob ein italienischer Walzer oder Ederlezi in der Version von Goran Bregovic – egal welcher Erdteil die Musik beisteuert, sie bildet das Grundgerüst, an dem entlang sich das Bühnengeschehen entfaltet. Dem Menschentreiben zur Seite gestellt ist die Gestalt eines Demiurgen, der aber nicht ins Geschehen selbst eingreift, sondern – wie auch in den unterschiedlichen Quellen seines Auftretens selbst – indifferent das Treiben der Menschen begleitet.
Freude und Angst, Gemeinsamkeit und Einsamkeit – der Aufbau und die Zerstörung unserer Welt – alles darf an diesem Theaterabend an uns vorbeiziehen. Die Errungenschaften der Kultur – in einem wunderschönen Tanz mit langen, weißen Fahnen, der Geist und die Verwendung desselben durch den Menschen steht neben einem männlichen Vogeltrio, das mit gekonnten Tierstimmenimitationen das Publikum in die Tiefe eines belebten Urwaldes entführt.
Bewundernswert sind bei dieser Aufführung auch die Kostüme – spannend wandlungsfähig könnten sie auch auf jedem internationalen Laufsteg für Prêt-à-porter-Mode reüssieren.
„Voilá“ – in dem babylonisches Stimmengewirr neben nonverbalen bildhaften Welterklärungsmodellen stehen verzaubert und entführt eineinhalb Stunden in eine Welt, die unsere ist, die wir aber viel zu selten in dieser Vielfalt und Schönheit wahrnehmen. In eine Welt, die wir aus unseren Ideen heraus speisen und die wir durch Gemeinsamkeit – wie an diesem Abend vorgezeigt – noch ganz anders gestalten könnten.
Hier ein kleiner Eindruck was einem bei Voilá erwartet: