Heut`gehen wir zu Schubert!

Heut`gehen wir zu Schubert!

© Schauspielhaus / Franziska Weisz, Clemens Kerschbaumer, Johanna Rehm

Franziska Weisz, Clemens Kerschbaumer, Johanna Rehm © Schauspielhaus

Manches kann man wörtlich nehmen – wie die Überschrift dieses Artikels. Im 4. Teil von Schuberts Winterreise, derzeit im Schauspielhaus in Wien auf dem Spielplan, marschiert das Publikum im Pulk – wie immer bei dieser Produktion – durch die kalte Winternacht. Dieses Mal jedoch nicht in ein Theater oder in eine Schule sondern in die Severinstraße zu – Frau Schubert. Sie stammt nicht aus der Feder des Autors Thomas Arzt und trägt ihren Namen nur während der Aufführung. Sie wohnt tatsächlich in der Wohnung mit einem klavierbestückten Salon, der gerade groß genug ist, das Publikum und die Schauspieler für kurze Zeit zu beherbergen.

In diesem Ambiente, das wunderbare Assoziationen zu den Schubertiaden erweckte, die der Komponist mit seinen Freunden in einigen bürgerlichen Salons abgehalten hatte, in diesem Ambiente sang und spielten die aus der Theaterserie bereits Bekannten dieses Mal unter der Regie von Rudolf Frey.

Obwohl der Gesundheitszustand Franz Schuberts gleich zu Beginn des Abends als übel charakterisiert worden war, waren es nicht Angst, Mitgefühl, waren es nicht Trauer und Melancholie, welche die Gefühle der Zuseherinnen und Zuseher beherrschten. Nein, es durfte gelacht werden! Spaß und Humor standen hoch im Kurs und erst im Ausklingen der Vorführung schloss sich der Kreis zu Schuberts schwerer Erkrankung.

Franz Grillparzer, Moritz von Schwind, Johann Mayrhofer, Joseph von Spaun, Franz von Schober, Anna Fröhlich, Justine von Bruchmann, Johann Michael Vogel, Johann Senn oder Leopold Kupelwieser – alle waren sie im kleinen Salon zusammengekommen, um miteinander zu lachen, zu politisieren, Schuberts neueste Kompositionen zu hören und sich Gesellschaftsspielen hinzugeben. Die Idee, die Doppelbesetzungen durch kleine Nummerntäfelchen erkenntlich zu machen, deren Personenzuordnung man wiederum auf einer Liste fand, die an die Wand gepinnt worden war, kann als famos bezeichnet werden. Was diesen Abend neben der schon besagten lockeren und heiteren Grundstimmung auszeichnete war der Text des Autors Thomas Arzt, der sich mit der Regie aufs Allerbeste verschränkte. Fiktion und Wirklichkeit, Leben und Theater, das Gestern und das Heute – all das verschwamm ineinander und bezauberte deswegen so ungemein. Das Spiel im Spiel, die Kunst, die bei Schubert nichts anderes als pures Leben war – all das bildete ein so dichtes und zugleich schillerndes Gewebe, dass ein Sezieren des Gesehenen scheitern muss, weil es eines nicht kann: Jene sinnlichen Momente wiederzugeben, die an diesem Abend das theatralische Geschehen so herrlich ergänzten: Die kalte Winternacht, durch die man zuerst marschieren musste, die leicht schneebedeckte Strudelhofstiege, die in raschem Schritt erklommen wurde, die Mittfünfzigerin , welche auf dem Zebrastreifen vom Publikumsgrüppchen überrascht wurde und die ausrief: „Die sind aber nicht von da! Aus unserem Bezirk sind die nicht!“, der knarrende Parkettboden in Frau Schuberts Wohnung, der heiße Tee, der ausgeschenkt wurde, die voluminöse Tenorstimme von Clemens Kerschbaumer, der von Stephen Delaney am Klavier begleitet wurde.

All das, aber wie bereits angeführt, vor allem der Text selbst, der nicht nur Schuberts Befinden und seine Zeit gekonnt einzufangen versuchte, würzten diesen besonderen Abend. „Der Lindenbaum“ – jenes Lied, das mit den Worten „Am Brunnen vor dem Tore“ weltberühmt wurde, erlebte von Arzt eine tiefsinnige Frischzellenkur. Das Träumen von Liebe, ihr Hochgefühl und die Angst der todbringenden Liebe – die Schubert leider jahrelang am eigenen Leib erfuhr, wurde von Johanna Elisabeth Rehm und Franziska Weisz in leicht oberösterreichisch eingefärbtem Sprachduktus vorgeführt. Sebastian Zeleny, Hannes Pendl und die beiden schon genannten Musiker setzten noch ein wenig drauf, indem sie die Damen im selben Dialekt mit Rosen verglichen – bis hin zu jenen, deren Schönheit gerade im Verblühen besonders deutlich wird. Hätte dieser Abend keinerlei weiteren Attraktionen bereit gestellt gehabt – diese eine kurze Textpassage hätte gereicht, ihn für sehenswert zu erklären. Sie zeigte auch, wie sehr Thomas Arzt die Sprache als musikalisches Mittel einzusetzen imstande ist. Es gelang ihm der Hochseilakt, seine sinnliche Sprachmelodie mit Intellektualität zu unterfüttern, die niemals mit der Brechstange, sondern vielmehr mit einem kitzelnden Federchen die Menschen irritierte und damit zugleich begeisterte.

Ein intimer und Sinn-voller Theaterabend mit zusätzlich hohem Vergnügungspotential.

© Schauspielhaus / Franziska Weisz, Clemens Kerschbaumer, Johanna Rehm

Franziska Weisz, Clemens Kerschbaumer, Johanna Rehm © Schauspielhaus

Manches kann man wörtlich nehmen – wie die Überschrift dieses Artikels. Im 4. Teil von Schuberts Winterreise, derzeit im Schauspielhaus in Wien auf dem Spielplan, marschiert das Publikum im Pulk – wie immer bei dieser Produktion – durch die kalte Winternacht. Dieses Mal jedoch nicht in ein Theater oder in eine Schule sondern in die Severinstraße zu – Frau Schubert. Sie stammt nicht aus der Feder des Autors Thomas Arzt und trägt ihren Namen nur während der Aufführung. Sie wohnt tatsächlich in der Wohnung mit einem klavierbestückten Salon, der gerade groß genug ist, das Publikum und die Schauspieler für kurze Zeit zu beherbergen.

In diesem Ambiente, das wunderbare Assoziationen zu den Schubertiaden erweckte, die der Komponist mit seinen Freunden in einigen bürgerlichen Salons abgehalten hatte, in diesem Ambiente sang und spielten die aus der Theaterserie bereits Bekannten dieses Mal unter der Regie von Rudolf Frey.

Obwohl der Gesundheitszustand Franz Schuberts gleich zu Beginn des Abends als übel charakterisiert worden war, waren es nicht Angst, Mitgefühl, waren es nicht Trauer und Melancholie, welche die Gefühle der Zuseherinnen und Zuseher beherrschten. Nein, es durfte gelacht werden! Spaß und Humor standen hoch im Kurs und erst im Ausklingen der Vorführung schloss sich der Kreis zu Schuberts schwerer Erkrankung.

Franz Grillparzer, Moritz von Schwind, Johann Mayrhofer, Joseph von Spaun, Franz von Schober, Anna Fröhlich, Justine von Bruchmann, Johann Michael Vogel, Johann Senn oder Leopold Kupelwieser – alle waren sie im kleinen Salon zusammengekommen, um miteinander zu lachen, zu politisieren, Schuberts neueste Kompositionen zu hören und sich Gesellschaftsspielen hinzugeben. Die Idee, die Doppelbesetzungen durch kleine Nummerntäfelchen erkenntlich zu machen, deren Personenzuordnung man wiederum auf einer Liste fand, die an die Wand gepinnt worden war, kann als famos bezeichnet werden. Was diesen Abend neben der schon besagten lockeren und heiteren Grundstimmung auszeichnete war der Text des Autors Thomas Arzt, der sich mit der Regie aufs Allerbeste verschränkte. Fiktion und Wirklichkeit, Leben und Theater, das Gestern und das Heute – all das verschwamm ineinander und bezauberte deswegen so ungemein. Das Spiel im Spiel, die Kunst, die bei Schubert nichts anderes als pures Leben war – all das bildete ein so dichtes und zugleich schillerndes Gewebe, dass ein Sezieren des Gesehenen scheitern muss, weil es eines nicht kann: Jene sinnlichen Momente wiederzugeben, die an diesem Abend das theatralische Geschehen so herrlich ergänzten: Die kalte Winternacht, durch die man zuerst marschieren musste, die leicht schneebedeckte Strudelhofstiege, die in raschem Schritt erklommen wurde, die Mittfünfzigerin , welche auf dem Zebrastreifen vom Publikumsgrüppchen überrascht wurde und die ausrief: „Die sind aber nicht von da! Aus unserem Bezirk sind die nicht!“, der knarrende Parkettboden in Frau Schuberts Wohnung, der heiße Tee, der ausgeschenkt wurde, die voluminöse Tenorstimme von Clemens Kerschbaumer, der von Stephen Delaney am Klavier begleitet wurde.

All das, aber wie bereits angeführt, vor allem der Text selbst, der nicht nur Schuberts Befinden und seine Zeit gekonnt einzufangen versuchte, würzten diesen besonderen Abend. „Der Lindenbaum“ – jenes Lied, das mit den Worten „Am Brunnen vor dem Tore“ weltberühmt wurde, erlebte von Arzt eine tiefsinnige Frischzellenkur. Das Träumen von Liebe, ihr Hochgefühl und die Angst der todbringenden Liebe – die Schubert leider jahrelang am eigenen Leib erfuhr, wurde von Johanna Elisabeth Rehm und Franziska Weisz in leicht oberösterreichisch eingefärbtem Sprachduktus vorgeführt. Sebastian Zeleny, Hannes Pendl und die beiden schon genannten Musiker setzten noch ein wenig drauf, indem sie die Damen im selben Dialekt mit Rosen verglichen – bis hin zu jenen, deren Schönheit gerade im Verblühen besonders deutlich wird. Hätte dieser Abend keinerlei weiteren Attraktionen bereit gestellt gehabt – diese eine kurze Textpassage hätte gereicht, ihn für sehenswert zu erklären. Sie zeigte auch, wie sehr Thomas Arzt die Sprache als musikalisches Mittel einzusetzen imstande ist. Es gelang ihm der Hochseilakt, seine sinnliche Sprachmelodie mit Intellektualität zu unterfüttern, die niemals mit der Brechstange, sondern vielmehr mit einem kitzelnden Federchen die Menschen irritierte und damit zugleich begeisterte.

Ein intimer und Sinn-voller Theaterabend mit zusätzlich hohem Vergnügungspotential.

Schubert eine Winterwanderung Teil 3 – Nur Muth!

Schubert eine Winterwanderung Teil 3 – Nur Muth!

Johanna Rehm, Dorottya Lang, Hannes Pendl, Sebastian Zeleny

Johanna Rehm, Dorottya Lang, Hannes Pendl, Sebastian Zeleny © Schauspielhaus

Eiskalt ist die Nacht – so kalt, dass auf der Straße niemand anzutreffen ist. Bei minus 12 Grad bleibt die Wiener Bevölkerung wohlweislich zuhause. Nur ein kleines Häufchen marschiert, begleitet von einigen Laternenträgerinnen und -trägern, von der Porzellangasse in den Park des Palais Liechtenstein. Heißer Tee mit Rum wartet dort auf die kleine Gruppe und mit dem wärmenden Plastikbecher in der Hand lauscht sie dort Schuberts Liebeswirrnissen mit Caroline, der jüngeren Tochter des Grafen Esterhazy. In einem kleinen, von Teelichtern und Laternchen markierten Kreis möchte sie ihn verführen – und schafft es doch nicht, den Standesunterschied zwischen ihnen auch nur annähernd aufzuheben. Prunkvoll erleuchtet ist – aufgrund einer Abendgesellschaft – in dieser Nacht das Liechtenstein´sche Palais und vermittelt nur durch seine Präsenz eine Ahnung dessen, wie groß die Standesdünkel der beiden Beinahe-Liebenden tatsächlich gewesen sein müssen. Zwar ist das Palais ei x-faches größer und pompöser als das ehemalige fürstliche Anwesen der Esterhazys im heutigen Želiezovce, dennoch ist der Ort gut gewählt. Johanna Elisabeth Rehm darf bereits zum dritten Mal in der Schubertreihe des Schauspielhauses das ewig weibliche Prinzip verkörpern und Sebastian Zeleny ihr als Schubert Franzl die Aussichtslosigkeit ihrer Zuneigung klar machen. Aber auch wenn die Szene im herrschaftlichen Naturambiente nicht wirklich lange dauert, sind doch alle Beteiligten wegen der beißenden Kälte froh, als sie sich auflöst und man sich zum nächsten Stopp auf den Weg macht.

Und der befindet sich dann nur wenige Schritte weit weg entfernt – im Studio Molière. Dort gewährt der Regisseur Julian van Daal weitere Einblicke in Schuberts Freundeskreis und zoomt jene Zeit so nah heran, dass man darin so tief eintaucht, als hätte man sie selbst erlebt. Mit dem kleinen Trick, das Publikum auf der Bühne neben die Schauspielerinnen und Schauspielern zu setzen um diese quasi in Griffnähe zu haben. Das kleine Zimmer von Johann Mayrhofer, bei dem Schubert drei Jahre lang untergekommen war, wird markiert durch ein großes, behagliches Bett, einen kleinen Tisch, auf dem ein gewirkter Teppich heimeliges Flair verbreitet, durch ein Klavier, zwei Stehlampen und – ganz wichtig – einem Nachttopf, den Schubert auch brav benutzen darf.

Ganz menschlich, einfach seinem Drang folgend, steht er dem Publikum abgewandt und pinkelt in das historische Utensil. Desillusionierend und doch berührend zugleich wirkt dieser Akt, der mehr Nähe und Verständnis für den Menschen Franz Schubert verbreitet, als dies minutenlange Mono- oder Dialoge zustande brächten.

Doch bleibt dies nicht nur das einzige Bild an diesem Abend, das im Gedächtnis haften bleibt. Auch das Dienstmädchen der Esterhazys berührt emotional tief – Dorottya Lang schlüpft einmal kurz in diese Rolle. Während Schubert die beiden Comtessen im Klavierspiel unterrichtet laufen ihr die Tränen beim Schuheputzen über die Wangen. Emotionen auszulösen, die durch einfache Bilder geweckt werden, darauf versteht sich der junge Regisseur fabelhaft. Ob das verliebte Dienstmädchen, oder die Erinnerung an die Verhaftung des Freundes Johann Senn, der geisterhaft erscheint und aus dem Polizeiprotokoll seiner Verhaftung rezitiert und dabei Johann Mayrhofer (Hannes Pendl) die Kehle zudrückt – immer sind es einfache Gesten, die berühren und spüren lassen, dass Schubert aus Fleisch und Blut bestand und nicht nur aus Noten, die aus seinem Kopf auf Papier gebannt werden mussten.

Neben der schönen Stimme Dorottyas Lang, am Klavier von Merdokht Manavi begleitet, ist es gerade diese gestische Sprache, die beeindruckt. Zeleny, der auch aufgrund seiner Statur eine gute Schubertbesetzung darstellt, gelingt das Meisterwerk, das Publikum, das ihn auf Tuchfühlung beobachtet, scheinbar völlig zu vergessen. Eine große Leistung, die in dieser Bühnenanordnung zum Schwersten gehört, was der Beruf einem Schauspieler abfordern kann. Schon wie in den Folgen zuvor färbt der Autor der „Serie“ Thomas Arzt, an diesem Abend gemeinsam mit Julian van Daal, die Sprache Schuberts und seiner Freunde teilweise ins Oberösterreichische. Die kleine Forellen-Elegie, in Mundart vorgetragen, gehört zu den interessantesten Texteinschüben dieses Abends. Die Freiheit, die in Schuberts Zeit durch Metternich mit den Füßen getreten worden war, im Bächlein schwimmen zu sehen und ihren Tod durch den Angler zu betrauern ist mehr als ein gelungener Kunstgriff. Beständig geistert dabei das Forellenlied im Hinterkopf ohne jemals real angestimmt zu werden. Schubert, eine Winterwanderung Teil 3 unter dem Titel „Nur Muth!“ wird seiner Rolle als Bindeglied zwischen den ersten beiden und letzten beiden Aufführungen mehr als gerecht. Die Aufführung zeigt völlig eigenen Charakter und macht Lust auf das noch Kommende. Hoffentlich in weniger klirrender Kälte!

Wir können nur die erreichen, die sich dafür auch interessieren!

Wir können nur die erreichen, die sich dafür auch interessieren!

Matthias Lošek (c) WIEN MODERN/Julia Stix

Matthias Lošek (c) WIEN MODERN/Julia Stix

Interview mit Matthias Lošek, dem Leiter des Festivals Wien Modern im Dezember 2011

Michaela Preiner: Herr Lošek wie viele Saisonen planen Sie voraus?

Matthias Lošek: Vier Saisonen im Moment. Aber es gibt noch keine fertigen Saisonen. Es gibt auch keine komplett fertige Thematik. Es gibt aber schon Themen und dazu auch schon einzelne Projekte, die bis 2014 reichen.

War 2011 das erste Mal, dass Sie international mit einem Themenschwerpunkt aus dem Ausland so groß eingeladen haben?

Wien Modern versteht sich als international agierendes Festival, das auch so wahrgenommen wird. Für mich ist es besonders wichtig, dass dieses Festival international wahrgenommen wird, weil nur dann auch eine nationale Sichtbarkeit gegeben ist. Es ist ja nicht so, dass wir nur internationale Künstler, wie dieses Jahr aus Großbritannien, einladen, die sich natürlich freuen, dann auch gespielt zu werden. Es geht ja auch in die andere Richtung, nämlich dass ein Festival Wien Modern auch eine Plattform für österreichische Komponisten und Ensembles darstellt, sich präsentieren zu können. So ist, nur um ein Beispiel zu nennen, das Klangforum genauso wie wir daran interessiert, zusammen etwas zu machen.

War diese Saison komplett von Ihnen durchkomponiert?

100% war sie von mir geplant, nicht 1 Promille war nicht von mir.

Wann haben Sie mit der Planung angefangen?

Ich habe damit am 2. Oktober 2009 angefangen, genau an dem Tag, als der Anruf kam, dass ich der Erstgereihte nach dem Hearing der letzten drei Kandidaten sei. „Wir bieten Ihnen diesen Job an, Ja oder Nein?“ Nach dem Ja begann das Hirn zu arbeiten. Offizieller Termin war dann der 1. März 2010. Ich musste mir ja auch schon Gedanken über das letzte Jahr machen. Denn mein Vorgänger hatte für 2010 noch kein fertiges Festival hinterlassen.

Wird es beim nächsten Mal wieder einen Schwerpunkt geben, wie in diesem Jahr?

Ja.

Wollen Sie diesen schon verraten?

Nein. Das Einzige was ich schon sagen kann ist, dass es die 25. Saison sein wird.

Also ein Jubiläum.

Es ist die 25. Saison. Der Mensch neigt dazu, solche Zahlen gerne jubilarisch darzustellen. Ob wir das machen und ob das Publikum so sieht, da warten wir mal ab. Aber es ist die 25. Saison, nicht der 25. Geburtstag, der wäre 2013. Wir feiern nicht, aber wir heben die 25. Saison heraus. Weil wir damit auch im Gegensatz zu einem Geburtstag stehen, der ja immer etwas Statisches hat, also Innehalten bedeutet, bei welchem man die dazugehörige Torte anschneidet. Das ist mir zu traditionell zu statisch und auch immer gefährlich, gerade in einer Stadt wie in Wien. Wir sagen 25. Saison, 25. Auflage/Ausgabe des Festivals. Das impliziert für mich etwas mehr Bewegung. Es ist nicht unwichtig darauf aufmerksam zu machen, damit die Leute diese Institution in ihrer ganzen Komplexität noch einmal wahrnehmen und dies nicht unbedingt in einer traditionellen Form, wie man das bei Jubiläen gewohnt ist. Das Festival hat wie jedes Festival die Aufgabe, sich – nicht jährlich neu zu erfinden, das wäre etwas übertrieben – aber sich jährlich neu die Frage zu stellen: Wofür stehen wir und wie füllen wir das?

Sie könnten jetzt also ad hoc keine Antwort geben, wenn ich früge „Wofür stehen Sie?“

Wir haben, um es zeitgemäß auszudrücken unseren Claim: „Das Festival für Musik der Gegenwart“. Diese Gegenwart ist allerdings auch kein zeitlicher Begriff, der ad hoc nur das Jetzt impliziert. Diese Gegenwart impliziert für mich zumindest eine Historie, die Zukunft erscheint mir ein bisschen wie Kaffesudleserei. Historie bedeutet für mich, wenn ich das Werk eines Komponisten programmiere. Dann geschieht ja das, was hier angeboten und komponiert wird, nie ohne Bezug zu einer Vergangenheit. Das bedeutet, er hat Einflüsse und Lehrer gehabt. Wir haben das im diesjährigen Abschlusskonzert gut erklärt, ohne es explizit zu erläutern. Cerha hat den Schwerpunkt gebildet und einer seiner bekanntesten Schüler hat den Schlusspunkt bestritten, nämlich Georg Friedrich Haas. Und das meine ich mit dieser Wechselwirkung zwischen Gegenwart und Historie. Jeder von uns hat den berühmten Rucksack, den er mitschleppt. Und das ist natürlich, so denke ich, bei Kunst an sich immer der Fall. Wir sind kein Uraufführungsfestival. Ich hab es sehr schön gefunden, als Lothar Knessl bei der Eröffnungsrede klar gemacht hat, dass wir nicht Donaueschingen sind. Wir sind nicht das Festival, das neue Trends oder Moden zeigt. Es ist immer noch ein Festival, das in diesen vier Wochen eine Behauptung erfüllen will und auch kann. Wir zeigen, dass neue Musik, Musik der Gegenwart, zeitgenössische Musik, wichtig für ein Land wie Österreich ist, und stellen die Beschäftigung damit und das Angebot auch dementsprechend zur Verfügung.

Würden Sie Wien Modern als wichtigsten Impulsgeber für die zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten in Österreich schlechthin sehen?

Diese Beantwortung fällt mir schwer. Ich glaube, dass es für Ensembles und Komponisten von großer Relevanz ist, mit diesem Festival zu arbeiten.

Es hat ja in dieser Saison Konzerte gegeben, bei denen sich an einem Abend sehr viele Komponistinnen und Komponisten treffen konnten und dies auch taten.

Ich hoffe, dass dies bei jedem Konzert der Fall ist, nicht nur auf dem Podium.

Bekommen Sie auch Rückmeldung von den Damen und Herren, dass dies etwas sei, was sie nicht missen möchten.

Ja, hier gibt es natürlich ein Feedback, denn in den 4 Wochen hat man eben die Möglichkeit, die Sie soeben geschildert haben. Man hat permanenten Kontakt mit Komponisten, und zwar nicht nur kurz vor dem Konzert, während der Pause oder kurz danach, sondern Stunden danach oder auch manchmal schon Stunden davor. Es kommen nicht nur solche, die in Wien residieren, oder jene aus den Bundesländern, sondern von überall her, es ist ja ein internationales Festival. Es sind andere Veranstalter da und dies ist natürlich ein ungeheurer Meeting- und Melting Pot. Das macht auch die Vielfarbigkeit eines Festivals aus. Das ist ja nicht nur bei Wien Modern so, sondern das sollte bei allen so sein, ob es die Wiener Festwochen sind oder die Salzburger bzw. Bregenzer Festspiele, alle sind immer auch eine Art „Rummelplatz“. In dieser Zeit arbeiten wir aber natürlich gleichzeitig sehr intensiv. Es ist eine Arbeit, die morgens beginnt und spät nachts endet. Für mich ist diese Zeit allerdings als Arbeit schwer wahrzunehmen. Diese Zeit ist sehr anstrengend und sehr intensiv zugleich und stellt auch hohe Ansprüche an die eigene Kondition.

Es gab ja in diesem Jahr einige Dislozierungen. Wie waren Sie denn damit zufrieden, dass nicht nur das Konzerthaus für Wien Modern der einzige Veranstaltungsort war?

Ich war sehr zufrieden damit.

Wurde das vom Publikum auch angenommen?

Wir hatten dieses Jahr, genauso wie letztes Jahr, wieder neue Räume. Es ist ja nicht so, dass wir per se sagen, wir benötigen jedes Jahr 2 oder 3 neue Spielstätten, nur um zu sagen, wir haben neue Spielstätten. Das ergibt sich einfach aus dem Programm heraus. Nehmen wir zum Beispiel Münchhausen. Zuerst standen Wolfgang Mitterer und Münchhausen fest. Dann überlegte man sich natürlich: das geht in eine Art trash-comedy-opera. Das braucht auch Platz, so etwas funktioniert nicht überall. Es braucht einen Ort, der konnotiert ist mit dieser Art von Aussage. Dann war es relativ schnell klar, dass das Rabenhoftheater hier in der Stadt wohl das geeignetste Theater sein würde. Und Gott sei Dank haben das die Betreiber des Rabenhofes auch so gesehen. Und so kam man dann eben zu einer Kooperation. Rabenhof hat perfekt geklappt, das war auch schon ein schöner Moment, als vor ca. einem Jahr erstmals angefragt wurde und man sich traf und beschnuppert hat und es letztlich sehr gut geklappt hat. Die Brunnenpassage dito. Für das nächste Jahr wird es sicher auch wieder interessante und gut gewählte Locations geben. Wir machen uns allerdings nicht auf Suche nach Theatern oder Schauplätzen, die es noch gäbe. Wir sagen nicht: Wir wollen neue Räume entdecken und dann gemeinsam bespielen und fragen uns erst nach dieser Suche, ob wir da etwas haben, was aufgeführt werden kann. Das war in den Nuller-Jahren so die Idee. Die Eroberung der Räume war zu dieser Zeit ein großes Thema und egal was gemacht wurde, es mussten neue Räume erschlossen werden. Unser Konzept ist ein anderes. Wir haben zuerst ein Projekt und machen uns dann Gedanken, welchen Raum dieses verlangt. Ich habe auch immer gesagt, dass ich zum Beispiel ein Streichquartett von Johannes Maria Staud nicht in der Ankerbrotfabrik mache, die ich zwar sehr schätze, aber das wäre dann nur, um den Raum zu präsentieren und ihm einen hippen Mantel umzuhängen. Dem Komponisten und seiner Komposition tue ich damit aber nichts Gutes.

Weil Sie die Brunnenpassage erwähnt haben, das war ja sehr interessant dort. Öffnet sich dort das Festival auch neuem und anderem Publikum?

Natürlich ist das ein Gedanke gewesen, weil es mir schon gut gefällt, wenn man die Öffentlichkeit erreicht. Und da gibt es sicherlich Plätze, die vielleicht mit einer anderen Öffentlichkeit hantieren, wie auch das Rabenhoftheater, das das auch tut. Wenn wir diese Öffentlichkeit erreichen, dann schadet das sicherlich weder dem Festival noch den Institutionen. Diese Wechselwirkung ist natürlich eine Bereicherung. Allerdings müssen wir die Kirche schon im Dorf lassen. Wir können nur die erreichen, die sich dafür auch interessieren, denn wir zwingen ja niemanden, hinzugehen. Die Menschen, die wir erreichen, interessieren sich für das, was wir im Angebot haben. Diese Öffnung und Öffentlichkeit finde ich gut und die tut dem Festival auch gut. Ich hoffe natürlich, dass dies auch in den kommenden Jahren sich weiter so entwickelt.

Bei der Brunnenpassage möchte ich noch hinzufügen, dass es dort ja eine ganz besondere Situation ist. Denn dort, glaube ich, wird nicht nur das Publikum angesprochen, das sich dafür interessiert, denn der Raum ist ja mit seinen Glasfronten in beide Richtungen sehr offen.

Die Menschen interessieren sich ja trotzdem, wenn sie eintreten.

Ja klar, aber sie interessieren sich natürlich nicht a priori für Wien Modern.

Das genau meinte ich ja mit der Öffentlichkeit. Es ist richtig, dass sie vielleicht im ersten Moment gar nicht wissen, dass es eine Veranstaltung von Wien Modern ist. Damit kann ich ganz gut leben, denn das finde ich nicht so schlimm. Denn wenn sie das interessiert und fasziniert, was sie dort erleben, dann wissen sie sehr bald, was das ist. Die Neugierde ist einfach vorhanden, und wenn es uns dann noch gelingt, dass sich diese Neugierde in andere Richtungen fortpflanzt, ist dies das Beste, was passieren kann. Dann führt der Weg fast automatisch irgendwann in die klassischen Räumlichkeiten, wie etwa Konzerthaus oder Musikverein. Wenn dies nicht passiert und sich herausstellt, dass diese Menschen nur das Projekt in der Brunnenpassage gut fanden, dann muss man dies auch akzeptieren.

Das heißt jetzt aber nicht, dass nächstes Jahr automatisch etwas in der Brunnenpassage sein wird.

Nein, das bedeutet nicht, dass nächstes Jahr etwas sein wird oder auch nichts sein wird. Sowohl Brunnenpassage, als auch Rabenhof waren wahnsinnig tolle Produktionen. Die Auslastungszahlen im Rabenhof zum Beispiel sind schlicht sensationell gewesen. Natürlich spräche alles dafür, wieder etwas im Rabenhof zu machen. Nur Mitterer und Rabenhof war eine „aufgelegte“ Geschichte, muss man ganz ehrlich sagen. Manchmal sind die Dinge so einfach, leider zeigt sich das oft erst im Nachhinein.

Das heißt den „Lotto 6er“ können Sie nicht immer für sich reklamieren?

Nein, ich spiele ja nicht einmal privat Lotto. Das ist ganz akribische Arbeit und manchmal ein wenig Glück.

Arbeiten Sie bei der Auswahl der Stücke auch auf die Quote hin?

Nein, natürlich sind die Auslastung und die Zuschauerzahlen wichtig. Jeder der sagt, das ist völlig unwichtig, lügt. Denn nur wenn ich vor- und nachweisen kann, dass das was ich mache auch eine Öffentlichkeit interessiert, dann ist es auch gut. Ich kann ja nicht einfach sagen: „Das, was ich mache ist, gut, es kommt nur niemand, weil alle „Deppen“ sind.“ Ich habe ja auch eine Verpflichtung gegenüber denen, die das zwar nicht üppige Budget zur Verfügung stellen. Sprich der Steuerzahler und die Steuerzahlerin und die Sponsoren haben natürlich auch ein Interesse, dass das Festival eine gewisse Zahl an Zuschauer erreicht.

Wie viel waren es denn heuer?

Es waren 19.300 Zuschauer.

Waren Sie damit zufrieden?

Es waren mehr als in den letzten Jahren.

Das heißt, Sie können sehr zufrieden sein.

Dafür bin ich noch zu jung, um sehr zufrieden zu sein. Die Latte hängt natürlich damit sehr hoch. Nur lässt sich natürlich nicht voraussagen, dass wir nächstes Jahr 19.400 oder 20.000 Zuschauer haben werden. Es hängt ja auch immer von den Kapazitäten der Locations ab. Diese Quote ist also mehr als relativ zu sehen. Die Zahlen haben natürlich eine Bedeutung und werden in der Öffentlichkeit häufig stärker wahrgenommen als die künstlerische Seite. Bei unserer Presseaussendung zum Ende des Festivals haben wir natürlich die Zahlen präsentiert und auch einiges zur künstlerischen Ausrichtung geschrieben. Sie können mir glauben, meist wurden nur die Zahlen in den Medien publiziert und ganz, ganz selten auch etwas zum Künstlerischen.

Bekommen Sie denn auch vom Publikum in irgendeiner Art und Weise eine Rückmeldung?

Ja, unser Publikum ist Gott sei Dank eines, welches nicht schüchtern ist. Nachdem man offensichtlich in der Zwischenzeit auch weiß, dass mein Gesicht dasjenige ist, das dies alles zu verantworten hat, bekomme ich sehr unmittelbar und direkt die Rückmeldungen und da sind nicht immer nur nette Worte dabei. Es ist natürlich auch schön, wenn man gelobt wird für die Arbeit. Wie es mir am Buffet im Konzerthaus passiert ist, wo ein Mann mir nicht nur guten Appetit wünschte, sondern sich auch für das schöne Programm bedankte. Das tut natürlich gut. Aber auch die kritischen Anmerkungen sind wichtig, sie zeigen ja auch, dass das Publikum sich mit dem Programm auseinandersetzt und auch, dass das Festival sowohl angekommen ist, als auch aufgenommen wurde, aber nicht nur als rein traditionelle und institutionelle Sache angesehen wird, sondern eben als lebendiger Organismus und das soll es ja auch sein.

Ist Ihre Arbeit bei Wien Modern so, wie Sie sich das vorgestellt haben?

Ich habe sieben Jahre bei den Bregenzer Festspielen gearbeitet und dort eine Schiene betreut, aufgebaut und geleitet und weiß heute noch nicht, ob eine Saison so war, wie ich mir das vorgestellt habe. Das kann ich so nicht beantworten. Es gab Momente heuer, bei denen ich an mir und an den Reaktionen der Öffentlichkeit merkte, dass es jetzt offensichtlich ganz gut aufgegangen ist. Das allerdings für einen Gesamtzeitraum von 4 Wochen mit 70 Veranstaltungen zu sagen, das kann ich nicht und ich glaube, dass dies auch nie möglich ist. Denn was würde ich dann machen, wenn das komplett aufgegangen wäre? Dann würde ich wahrscheinlich kein nächstes Jahr mehr machen wollen.

Ist der Stachel im Fleisch das, was sie motiviert weiterzumachen?

Der Antrieb ist jedes Jahr anders. Ich kann nicht sagen, wir haben es heuer so gemacht, nächstes Jahr machen wir es anders oder besser. Natürlich ziehen wir unsere Erfahrungen daraus, aber das hat weniger mit programmatischen Aspekten zu tun. Es geht dabei mehr um organisatorische Erkenntnisse. Nur weil zum Beispiel ein Wolfgang Mitterer dieses Jahr gut funktioniert hat, bedeutet das nicht, dass wir krampfhaft überlegen, wie wir im Programm nächstes Jahr wieder einen Mitterer unterkriegen. Das geht ja gar nicht und wäre auch sehr fad. Wenn wir an 2012 denken wissen wir, das wird ein komplett anderes Festival.

Gab es Überraschungen in diesem Jahr?

Bei der Pressekonferenz habe ich deutlich gemacht, dass gerade die fünf performativen Veranstaltungen für uns und auch für mich persönlich einen Schwerpunkt bilden. Und dass wir gerade bei diesen Veranstaltungen einen so großen Zuspruch seitens des Publikums hatten, war schon überraschend. Mir war schon klar, dass das eine interessante Geschichte darstellt, auch fürs Publikum, nicht nur für die Komponisten und Beteiligten. Dass wir dabei aber über 90% Auslastung hatten, das hat mich doch überrascht. Dass trotz aller Unkenrufe bezüglich des Abschlusskonzertes – da meinten ja viele, dass nach der Pause der Saal halbleer sei – das Haus auch nach der Pause noch voll war, hat mich natürlich befriedigt und das macht mich auch stolz aufs Publikum.

Gäbe es etwas mit dem sich Ihr Publikum ködern ließe?

Mein Publikum lässt sich nicht ködern. Ich will es auch nicht ködern.

Anders gefragt: Warum sollte man zu den Konzerten von Wien Modern gehen?

Ich bin ja kein Marketingmann und kann das nicht so ausformulieren. Der Grund ist für mich ganz einfach. Was Österreich auszeichnet, ist seine Musik und die verschiedensten Kunstformen. Die dürfen aber nicht nur historisch gewandet sein, die müssen auch aus dem Jetzt kommen. Ich habe es dieses Jahr häufiger gesagt: „Das ist der Rohstoff dieses Landes.“ Und diesen Rohstoff wertzuschätzen, dafür steht Wien Modern.

Ich bedanke mich und freue mich auf das Festival 2012.

Kein einziger lehnte sich auf

Kein einziger lehnte sich auf

Who is next? (c)Matjaz Kenda

Die neue Produktion von Janez Janša zu besprechen macht nur dann Sinn, wenn man zulässt, anstelle der alleinigen Reproduktion des Gesehenen auch jene Assoziationen und Reflexionen zu beschreiben, die während und nach der Vorstellung aufkamen.

„Who is next?“ lautete der Titel des Abends, den der Performance- und Konzeptkünstler exemplarisch für das Geschehen nicht nur auf der Bühne einsetzte. Exemplarisch deshalb, weil hinter der einfachen Frage wer wohl der Nächste sei, ein viel größeres Gedankenkonstrukt steckt, wie das auch bei den einzelnen dargebotenen Szenen der Fall war. Janez Janša wurde 1970 als Davide Grassi in Italien geboren und nahm zugleich mit Žiga Kariž sowie Emil Hrvatin, zwei Künstlerkollegen, im Jahr 2007 offiziell seinen jetzigen Namen an. Namensträger sind nun nicht nur die drei bereits Erwähnten, sondern auch Sloweniens Ministerpräsident, der übrigens am Tag vor der Österreichpremiere im Tanzquartier zum zweiten Mal in seinem Amt bestätigt worden war.

Der Politiker, dem ein hohes Aggressionspotential gegenüber der Opposition sowie völlige Humorlosigkeit im Umgang mit Kritik an seiner Person nachgesagt wird, findet sich seit der Zeit, als er plötzlich 3 Namensvettern bekam, nicht nur in Zusammenhang mit politischen Aktivitäten in der Öffentlichkeit wieder, sondern auch im zeitgenössischen Kunstkontext. Denn wann auch immer „Janez Janša“ nun Kunst produziert und diese öffentlich macht, erscheint sie in den Medien – und im Internet.

Die Aktion der Namensänderungen der drei Künstler erregte in Slowenien heftiges Aufsehen und Grassi – alias Janša – gilt nicht nur seit dieser Zeit über das Land hinaus als Enfant terrible in der Kunstszene. Und das wohl nicht zu Unrecht, denn seine Positionen sind nicht nur gegen sich selbst von Radikalität geprägt, sondern auch gegenüber seinem Publikum. Er verlangt nicht nur, dass es ihm auf seiner Reise durch unsere postmoderne Kapitalismusgesellschaft folgt, sondern noch viel mehr. Er verlangt, dass es selbst aktiv wird, und stellt sich dabei ganz wie nebenbei an die Seite von Stéphane Hessel. Allein mit dem Unterschied, dass Janez Janšas Aufruf zum Widerstand gegen das Establishment mit einer großen Portion Gewalt unterfüttert ist.

Das multimediale Ereignis – oder die Performance, wie der Künstler den Abend selbst nennt – beginnt mit der eindringlichen Aufforderung sich vorzustellen, wie es wäre, ein richtiges menschliches Schwein aufzulauern und so lange mit einer Brechstange auf dieses einzuschlagen, bis es geschunden am Boden liegt. Menschen, die sich dieses Szenario nicht wirklich vorstellen können, gibt er Peter Pan oder Pippi Langstrumpf an die Seite, um sich zumindest mit diesen Kämpfern für Recht und Freiheit solidarisieren zu können. Die kurz vor Vorstellungsbeginn auf den Bühnenboden aufgeschriebenen Namen des Publikums werden bald nicht nur mit Füßen getreten, sondern durch die Hinterteile von den Performern – insgesamt 3 Männer und 3 Frauen – teilweise weggewischt. Ein drastisches Bild, das auch durch die groteske „Choreographie“ dieser Aktion nicht gemildert wird.

Im Laufe des Abends folgten jedoch noch andere Themenkomplexe – wie z.B. die oftmalige Änderung des Passes aufgrund der unterschiedlichen Wohnorte von Jelena Rusjan quer durch die heutigen autonomen Länder des ehemaligen Jugoslawiens – grotesk durch einen kurzen, eingespielten Film beleuchtet; oder die Frage, ab wann man im Kulturbetrieb zu den ganz Großen gehört. Diese wurde ziemlich ernüchternd, wenngleich auch ganz simpel dargestellt. Dafür wurden 3 Kulturmacher gebeten, vor laufender Kamera so viele Künstlerinnen und Künstler wie nur möglich aus ihrem jeweiligen Spezialgebiet zu nennen. Schon nach wenigen Aufzählungen, nach wenigen Minuten, waren sie alle an ihrer Leistungsgrenze des Erinnerns angekommen. Der dadurch transportiere Eindruck, dass alleine schon das menschliche Aufnahmevermögen daran scheitert, wollte es unbegrenzt Namen aufzählen, machte klar, dass eine demokratische Verteilung der Kulturschaffenden in der Aufmerksamkeitsgunst des Publikums nicht mehr als ein Wunschtraum ist.

Die mehr oder weniger lose Reihenfolge unterschiedlicher Themenkreise wurde jäh unterbrochen. Ein wahres Anklagefeuerwerk prasselte auf die Zuseherinnen und Zuseher ein, im welchem Ungerechtigkeiten am laufenden Band aufgezählt und ihnen nichts anderes als Gewaltlosigkeit entgegengesetzt wurde. Ohne Unterlass wurden Gräueltaten aufgezählt, die sich von psychischen hin zu physischen Gewalttaten steigerten. Ganz nach dem Motto: Der Kluge gibt solange nach, bis er der Dumme ist. Doch auch das Sprichwort in dem veranschaulicht wird, dass ein einziger Tropfen ein Fass zum Überlaufen bringt, kam im Anschluss zu seinem Recht. Denn nach all den Erniedrigungen, gegen die es keine adäquate Reaktion gab, um weiteres Übel endlich aufzuhalten, verwandelte sich die Bühne in ein Schlachtfeld. Zu Heavymetal-Klängen veranstalteten die Protagonistinnen und Protagonisten so etwas wie eine Revolution im Wasserglas, bei der mit Gegenständen herumgeworfen und Klopapierrollen sinnbildhaft als Explosionsmaterial eingesetzt wurden. Nun war der Damm gebrochen. Niemand mehr sicher vor dem nächsten Geschehen. Und doch blieb das Publikum in Wien ziemlich distanziert, denn niemand ließ sich darauf ein, von den Agitationsparolen, die gegen die Sitzreihen gebrüllt wurden, mitgerissen zu werden.

Das anschließende bzw. abschließende laute Zahlenzählen – von etwas über 300 beständig abwärts – wurde nach einigen Minuten schließlich von einem Teil des Publikums als Ende des Stückes erkannt und akklamiert. Und tatsächlich kam das Ensemble auf die Bühne um sich zu verbeugen – während einer von ihnen weiter mit dem Zählen beschäftigt war. Wer meinte, jetzt nach Hause gehen zu müssen – trug einen wahrlich anderen Schluss mit sich als all jene, die noch eine Zeitlang sitzen blieben.

Denn die nicht enden wollende Zählorgie machte plötzlich klar, dass es sich hierbei um ein Kräftemessen handelte. Um ein Kräftemessen mit dem verbliebenen Publikum. Ein Kräftemessen, das aber, immer zugunsten der Schauspieltruppe ausgehen würde – das wurde klar, nachdem einzelne Mitglieder begannen, sich nach ermüdenden Zählminuten abzuwechseln. Das Wiener Publikum blieb – das sollte hier ehrenhalber erwähnt werden – sehr standhaft und verabschiedete sich erst, nachdem der dritte Schauspieler bei der Zahl 1000 angekommen war.

Die Aussage dieser letzten Aktion war mehr als klar. Hier hatte also eine kleine, mächtige Gruppe gegenüber der großen, anonymen ihren Sieg davon getragen. Eine unter die Haut gehende Metapher, denkt man dabei an reelle politische Machtstrukturen. Obwohl es nicht schwer gewesen wäre, diesem Treiben mit einer simplen Gegenaktion ein Ende zu setzen, war an diesem Abend niemand aus dem Publikum dazu in der Lage.

Und so stellt sich die Frage: Wer von uns, die wir an diesem Abend an diesem Spektakel teilgenommen haben, wer von uns ist in der Lage, im „real life“ einer machttrunkenen Autorität etwas entgegenzusetzen, wenn wir es schon nicht an diesem Abend taten? Die Hoffnung besteht dennoch, denn die Motivation sich gegen Ungerechtigkeiten in einer demokratischen Struktur aufzulehnen ist ja hoffentlich doch eine andere, als dem Bühnen-Janez Janša die Stirn bieten zu wollen.

Eine Produktion, deren Nachhaltigkeit darin besteht, dass sie durch ihren multidimensionalen Kunstansatz zum Denken auffordert und nicht im Angebot des reinen Kulturkonsums stecken bleibt.

Janez Janša wird sicherlich noch oft in die Schlagzeilen kommen!

Schubert – Eine Winterwanderung in 5 Folgen con da capo

Schubert – Eine Winterwanderung in 5 Folgen con da capo

Pilot: Der Doppelgänger

Schön ist sie wahrlich, die so oft besungene Müllerin aus Schuberts Liederzyklus. Unbefangen tritt sie vor den Vorhang und präsentiert mit einer Gurke und einem Rettich ein kleines Kasperltheater. Franziska Weisz, von der Regisseurin Carina Riedl ans Schauspielhaus Wien geholt, verkörpert an diesem Abend nicht nur das Objekt der Liebesbegierde, sondern auch eine Conferoncière, die durch ihre Fragen wie nebenbei den Handlungsstrang der Aufführung vorantreibt.

 

Schubert am Schauspielhaus in Wien (c)Schauspielhaus Wien

v.l.n.r Erwin Belakowitsch, Johanna Rehm, Hannes Pendl, Sebastian Zeleny, Franziska Weisz (c)Schauspielhaus Wien

Die in rosarot und hellgrün gestrichenen Bretterwände, ganz im heimeligen Streifenmuster gehalten, verbreiten Biedermeierfeeling. Die lose verteilten Säcke verweisen unverkennbar auf den Liedzyklus der „Schönen Müllerin“ und am Klavier sitzt ein junger Pianist der scheu dem Publikum zugewandt erklärt „Man hat mir gesagt, ich sei Schubert“. Die Lacher er hat prompt auf seiner Seite – und deren kommen noch mehr, so wie auch jene Momente, in welchem die Tragik des Lebens zu Schuberts Zeiten einem wahrlich im Halse stecken bleibt. Stephen Delaney, der als Schubert Klavier spielen darf, bleibt aber nicht allein in seiner Rolle. Ganz doppelgängermäßig oder wie Richard David Precht, Deutschlands derzeitiger Kuschelphilosoph zum Angreifen, einen seiner jüngsten Bestseller betitelte „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“, gesellen sich zu Delaney noch Hannes Pendl, Johanna Elisabeth Rehm und Sebastian Zeleny. Und alle dürfen sich rühmen, in diesem Stück „den Schubert“ zu spielen.

Was auf den ersten Blick kompliziert klingt, ist es ganz und gar nicht. Die kleine, allseits bekannte, runde, Schubert´sche Nickelbrille wandert kurzerhand von einem zum anderen um zu verdeutlichen, wer von ihnen nun gerade welche Schubert´sche Befindlichkeit oder Idee zum Besten gibt. Mit diesem kleinen Regietrick wird bald klar: Schubert gibt oder gab es – zumindest in der Rezeption, aber wahrscheinlich auch in seiner Person vereinigt – viele. Verängstigt als Kind, das viele Geschwister sterben gesehen hat und in der Vertonung des Erlkönigs später einmal eine ganz persönliche Betroffenheit verspürt haben muss; erniedrigt vom Vater, der in ihm die Nachfolge seiner Schulmeisterei sah; als Außenseiter, der sich nirgends beheimatet fühlt; als Glücksuchender, der meint, man habe ihm posthum alles Glück aus seinem Leben gestrichen; als vermeintlich Homosexueller oder bis über beide Ohren in ein Mädchen Verliebter; als Unterhaltungs-Schani, der überall dort spielte, wo er hingerufen wurde; die Rollen sind wahrlich so vielfältig, dass die Aufteilung auf mehrere Personen auf der Hand liegt.

Dass die Umsetzung der Idee so meisterhaft gelingt, liegt aber – wie sollte es auch anders sein – an den spielenden Personen. Und wie sie spielen! Hannes Pendl und Sebastian Zeleny sprühen nur so vor Spielfreude und reißen das Publikum in ihrem Energiefluss unaufhaltsam mit. Johanna Elisabeth Rehm verkörpert im Gegensatz dazu schon optisch vielmehr die Zerbrechlichkeit des jungen Komponisten und Erwin Belakowitsch kehrt in dieser Rolle zurück nach Wien, wo er seine Ausbildung als Bariton absolvierte. Dass er gemeinsam mit Stephen Delaney „Die schöne Müllerin“ als CD eingespielt hat, war wohl der Grund ihrer beider Verwendung bei dieser Produktion, wobei hinzugefügt werden MUSS: Liederabende sah und hörte ich schon viele, aber ich entdeckte noch bei keinem Sänger eine derart komödiantische Ader wie bei Belakowitsch. Sein Mienenspiel ist seiner Stimme ebenbürtig, die geschmeidig und klar, zärtlich und schlank all jene Emotionen transportieren kann, die Schuberts Liedern eingeschrieben sind. Fast möchte man ihn als singenden Schauspieler rühmen und nicht als schauspielenden Sänger. Eine meisterliche Besetzung!

Neben den Schauspielerinnen und Schauspielern ist es aber vor allem Carina Riedls Geschick, scheinbar mühelos zu transportieren, was in hunderten von Geschichtsbüchern nicht möglich ist: Die Ängste und Freuden einer Zeit, die gebeutelt war von Unterdrückung, Krieg und Hunger, in der die Menschen aber wie in jeder anderen Zeit auch, sich nach Freude und Glück sehnten. Ganz nah schiebt sie das Publikum ans emotionale Geschehen und schafft dabei noch das Kunststück, Schuberts Genie als unerklärlich stehen zu lassen, wenn nach der beeindruckenden Leiderfahrung der Geschwister Tod ein Teil des Impromptu Nr. 3 in G-Dur Opusnummer 90 erklingt. Unweigerlich stellt sie damit etwas zur Debatte, das heute gerne allenthalben totgeredet wird: Das Genie eines Künstlers und gibt dabei eine große Denksportaufgabe mit auf den Weg.

Noch einmal ist Carina Riedl mit der Regie anlässlich dieses Schubertzyklus betraut. Nämlich am 19.1. und man darf schon mehr als gespannt sein, ob sie die mit „Morgengruß“ übertitelte Vorstellung als Fortsetzung, oder Bruch zu ihrem „Doppelgänger“ anlegt.

Weitere Informationen zum Schubert-Zyklus im Schauspielhaus Wien: Schauspielhaus Wien – Schubert-Zyklus

Monty Python reloaded – oder: gestorben heißt noch lange nicht tot

Monty Python reloaded – oder: gestorben heißt noch lange nicht tot

norton.commander.productions mit „X Gebote“ im WUK

X Gebote - norton.commander.productions im WUK in Wien

X Gebote - norton.commander.productions im WUK in Wien (c) norton.commander.productions

Wenn man alt wird, verwandelt man sich wieder zum Kind. Man beschäftigt sich mit Kinderspielen und trägt Windelhosen und vergisst, was einem das Leben einst bedeutete. Man kehrt zurück in jene Zeit, in der das Spiel einzige Lebensaufgabe und einziger Lebenssinn war – und wenn diese auch nur darin bestanden Gummi-Tierchen aufzublasen. Genau diese Vorstellung visualisiert das erste Bild von „X Gebote“, einer Produktion der norton.commander.productions, die derzeit auf einer kleinen Tour in Deutschland und Österreich zu sehen ist.

Zu Beginn des Geschehens sind 4 Männer, einzig mit Geriatriewindeln bekleidet, auf der Bühne damit beschäftigt, sich eine Spielwelt zu erschaffen, in der es von aufblasbaren Plastiktierchen nur so wimmelt. Bis es aber soweit ist, müssen einige Hürden überwunden werden. Zuallerst jene des eigenen, begrenzten Atemvolumens.
Kläglich mühen sie sich an 4 kleinen, grünen Luftwürstchen ab – weit ist es also nicht her mit Gottes Odem – bis schließlich – der technischen Evolution sei Dank – vier Kompressoren angeworfen werden dürfen. Diese pumpen in kurzer Zeit rasch genügend CO2 in die bunte, artifizielle Tierschar, in der es sich offenbar lustiger leben lässt als zuvor.

Der Titel „X Gebote“ und die Vorankündigung , dass es sich an diesem Abend um die Aufarbeitung und Neufassung von 3 Geboten, der allseits bekannten 10 christlichen, geht, lassen jedoch beim Publikum nicht wirklich Humor aufkommen. Da muss doch noch ein tieferer Sinn hinter dem Ganzen stecken? Warum nur komme ich nicht dahinter? Dies oder so Ähnliches mag sich bei der oder dem ein oder anderen im Kopf abgespielt haben, denn, obwohl die Absurdität des Geschehens über lange Strecken nicht zu überbieten ist, entkommt nur wenigen im Publikum ein leises Kichern. Welcher Lust-Hemmschuh kann sozial erwünschtes Verhalten doch sein! Diejenigen aber, die sich auch abseits eines Theaterabends einlassen auf das Spiel das da heißt, „Nimm die Realität nicht ernst, sie holt dich ja doch ein“, kommen an diesem Abend voll auf ihre Kosten.

Die Erkenntnis, von der wir alle wissen, dass sie ein Abkömmling jenes Baumes ist, dessen Früchte Adam und Eva untersagt waren zu essen, folgt rasch. Beigesteuert von der Projektion des Gemäldes „Paradies“ von Lucas Cranach dem Älteren aus dem Jahr 1530. Aufgemerkt in der Fassung der Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in welchem – ganz im Gegensatz zu jenem Bild im KHM in Wien – eine Unzahl an Getier kreucht und fleucht. Ganz so wie auf der Bühne. Hirsche, Rehe, Löwen und Schafe, Pferde und – Flamingos – sind dort wie da zu sehen – wobei – das mit den Flamingos, das ist eine künstlerische Freiheit, die sich das Ensemble nimmt, wohl in der Ermangelung jener Reiher, die Cranach auf seinem Gemälde verewigte. Aber um eine detailgetreue Darstellung geht es ja wahrlich nicht. Vielmehr wohl darum zu zeigen, auf welchem Mythos unser westlicher Wertekanon aufgebaut ist und welche Bilder dazu beitrugen, unsere Vorstellung vom Paradies und vom „Goldenen Zeitalter“ zu formen. Schwupps – schon hält uns Ikonographie und Ikonologie in trauter Umarmung. Wohlig in sie eingekuschelt, umso mehr wenn man kunsthistorisch ein wenig verbildet ist, darf man sich einlassen auf ein Ratespiel. Ein Ratespiel, in welchem man gegen die Dramaturgie antritt und brav Punkte sammeln darf. Eine Pose gedeutet, eine Requisite erkannt, ein versteckter Hinweis in kulturgeschichtlichen Kontext gebracht – und schon hat man 100 Punkte erspielt. Schade und zu dumm nur, dass die nebenan Sitzenden vom persönlichen Bildungsniveau gar nichts mitbekommen! Schön, dass uns dabei die eingefrorenen Posen der Protagonisten Adam und Eva samt Engel mit Schwert und listiger Schlange auf die Sprünge helfen. Und das alles im „Theater ohne Worte“ – oder ist dies nicht unter dem Begriff Performance längst bekannt?

Egal, kaum glaubt man das „Spiel“ verstanden zu haben, wechselt das Geschehen von der Bühne auf die dahinter angebrachte Leinwand und weicht dem Medium Film.
Gott Vater erscheint nun als ein in weiße Ausgehuniform gekleideter, ergrauter Oberst (Hermann Beyer) – oder ist er gar General?, der alle Hände voll zu tun hat, seine unorganisierte Truppe auf Linie zu bringen. Brüllend müht er sich ab, ihr die Richtlinien und Gesetze der christlichen Dogmen einzubläuen und dies mit all jenen militärischen Finessen, die da wären: Erniedrigen, demütigen und schinden. Anfangs laufen Matthäus, Jakobus, Bartholomäus, Simon, Philippus und Judas noch brav im Ertüchtigungsschritt hintereinander durch das leere Parkhaus, fröhlich eine Kinder-Gotteslobpreisung singend, auf dass sie sich einstimmen mögen in das, was sie schließlich in die Welt hinaustragen sollen. Wobei die Fronten hier schon aufbrechen, denn Jakobus – (Angie Reed mit aufgeklebtem Bart) wird kurzerhand von ihrem „Herrn“ zu Maria Magdalena umtituliert, was widerwillig zur Kenntnis genommen wird. Womit Gott Vater aber nicht gerechnet hat ist, dass rund 2000 Jahre nach der Ideenimplementierung des christlichen Glaubens die Menschheit sich doch erdreistet, gegen ihn uns seine vermeintliche Wahrheit aufzumucken. Irm Hermann, in der Rolle der gestrengen Psychotherapeutin wird zur Geburtshelferin jenes freien Denkens, welches gegen den „allmächtigen Vater“ revoltiert. Und doch ist es zum Schluss sie, die allen die Frage stellt „wird er euch nicht abgehen?“ Und schon ist sie geschehen jene Todsünde, die da heißt: Du sollst nicht töten. Denn schon hat er sich in Luft aufgelöst, jener Gott, der sich selbst gar nicht vorstellen konnte, jemals getötet zu werden. Die Erleichterung von seiner Knechtschaft wird nur durch die Absenz dessen getrübt, was einst dazu diente, alle Mühe und Plage auf dieser Welt im Hinblick auf eine bessere himmlische Zukunft zu ertragen – und sei es auch nur für wenige Momente im betroffenen Gesichtsausdruck der Therapeutin.

Soweit, so gut – das erste der drei an diesem Abend thematisierten Gebote wurde abgehandelt. Was kommt jetzt?„Du sollst keinen anderen Gott neben mir haben“ und „Du sollst nicht stehlen“ – wird in den zweiten Teil nach der Pause verlegt. Und da ganz pragmatisch und doch lustvoll zugleich behandelt. Pragmatisch, weil es keiner weiteren Erklärungen bedarf außer eines einzigen Songs, der weltweit zu den Ikonen der Popgeschichte gehört: John Lennons „Imagine“ und lustvoll, weil er in einer ganzen Reihe von Neuinterpretationen zu Gehör gebracht wird. Nun zeigen Angie Reed und die männlichen Interpreten, was musikalisch in ihnen steckt. Ganz wie weiland Otto Waalkes gehen sie daran, mit immer demselben Text eine musikalische Stilrichtung nach der anderen abzuhandeln. Vom Choral über ein Blockflötenseptett, vom Sing-a-Song-Writer- über eine Heavy-Metal-Version wird nichts ausgelassen, was die Menschen auf unserem Globus derzeit musikalisch beglückt. Und immer ist es der groß gewachsene Nikolaus Woernle, auch er ganz in weiß gewandet, der den Ton angibt. Ihm sind sie alle ergeben, blicken auf zu ihrem Idol und machen klar, dass er nun drauf und dran ist jenen zu ersetzen, den man doch erst kurz zuvor für tot erklärte. So schnell wechselt der Thron im Götterhimmel und so rasch haben wir damit gleichzeitig ein weiteres Gebot gebrochen. Dagegen nimmt sich das Gebot nicht zu stehlen gar nicht mehr so tragisch aus, hat es doch längst mit „Copy & paste“ nicht nur in das Musikbusiness Einzug gehalten, sondern kann auch, wie Karl Theodor zu Guttenberg und andere gezeigt haben, zu wissenschaftlichen Weihen führen. Wie schön ist es aber doch, wieder an etwas zu glauben! An eine vereinte Welt, in der es keinen Himmel aber auch keine Hölle gibt, die aber zumindest noch einen Anführer hat. Auch wenn der mehrmals erschossen wird. Macht nichts, im nächsten Moment steht er wieder da – bewundernswert wie eh und je.

Was die zehn Gebote selbst betrifft ist festzustellen: Noch können wir auf diese offensichtlich nicht verzichten, ob Gott sich nun verabschiedet hat oder nicht. Das ist es wohl, was Harriet Maria und Peter Meining, verantwortlich für Regie, Buch, Bühne und Film uns vermitteln möchten. Ganz subtil mit ihrem spielerischen und multimedialen Ansatzes, dem „Gott sei Dank“ der Holzhammer fehlt.

In weiteren Rollen: Otmar Wagner, Gregor Biermann, Ole Wulfers, Mark Boombastik, Jörn Burmester, Nikolaus Woernle sowie das Kind Noel Lode.
Das 11. Gebot steht jedenfalls fest: Du sollst „X Gebote“ Teil 2 ansehen.

Pin It on Pinterest