Reisen mit der Musik – Reisen für die Musik – mit dem OPS auf Tournee

Reisen mit der Musik – Reisen für die Musik – mit dem OPS auf Tournee

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Vor dem Abflug des OPS in Enzheim (c) MP

Drei große Busse stehen am Parkplatz vor dem PMC (der Heimat des Philharmonischen Orchesters ) in Straßburg. Es ist ein eiskalter Märznachmittag, viel zu kalt für die Zeit. Ich bin 10 Minuten vor dem verabredeten Zeitpunkt im Bus und grüße, da ich mich in eine der vorderen Reihen gesetzt habe, jeden, der neu in den Bus hinzukommt. Vom Sehen her kenne ich sie alle – die Musikerinnen und Musiker der OPS. Allerdings erkenne ich sie schwer wieder, sind sie doch normalerweise im Konzertsaal nur in ihrer Berufskleidung, im kleinen oder langen Schwarzen der Damen sowie in den Fräcken der Herren anzutreffen.  An diesem kalten Nachmittag jedoch bilden sie eine bunte Truppe eingemummelt in warmes Winteroutfit. Schon allein der Buskonvoi zeigt, dass sich hier ein großes Ensemble auf den Weg macht. Insgesamt sind es 108 Personen, die sich mit der und für die Musik auf die Reise machen,  darunter 4 Journalisten bzw. Journalistinnen, ein Dirigent, ein Pianist, der Direktor des Orchesters,  mit der in der Direktion tätigen Damen und Herren,  sowie fünf Bühnenbetreuern. Wir fliegen zuerst in die slowenische Hauptstadt Maribor. Von dort soll es dann am Samstag nach Zagreb in Kroatien gehen und am Sonntag dann wieder zurück nach Straßburg. Ein straffes Programm mit zwei Konzerten, nicht nur für das OPS,  sondern auch für seinen Chefdirigenten Marc Albrecht und den Solisten Nikolai Tokarev. Er trat noch am Mittwoch mit dem OPS in Straßburg auf – spielte das schwere Klavierkonzert N.1 von Sergej Rachmaninow und wird es noch zweimal in den darauffolgenden Tagen wiederholen.

Wer meint, die Reise sei eben einmal ein kleiner Ausflug zum Luftholen, der irrt. Nicht nur, dass innerhalb von 4 Tagen drei Konzerte zu spielen waren (inklusive des Auftakts in Straßburg), sondern eine Reise mit so vielen Individualisten – und Musikerinnen und Musiker sind meist keine gleich geschalteten Roboter – kann auch ihre Herausforderungen bereithalten. Noch wissen wir nicht, dass die Erste uns knapp bevor steht. Beim Einchecken am Flughafen in Enzheim kommt der Dirigent Marc Albrecht zum Tross, Nikolai Tokarev ist mit Begleitung bereits da und nach einer nochmaligen Rundumbegrüßung geht es durch die Sicherheitskontrolle ab in das gecharterte Flugzeug. Einige der Damen müssen ihre Schuhe ausziehen und durch den Scanner schicken – wegen der Metallteile in den Sohlen – wie wir aufgeklärt werden. Aber wieder gut beschuht, suchen wir alle unsere Plätze in der Maschine. Celli, Geigen, Flöten und andere nicht allzu große Instrumente kommen direkt mit in die Maschine, alles was zum Transportieren auf diese Art und Weise zu unhandlich ist, wird mit dem OPS-eigenen LKW über Land nach Slowenien und Kroatien geschickt. Nachdem wir angeschnallt sind und die Instruktionen der Stewardessen erhalten haben heißt es – warten. Vom Tower kommt kein grünes Licht für den Abflug, dafür jedoch 2 Mann Bodenpersonal. Nachdem sie längere Zeit mit dem Kapitän diskutierten, erkundigte sich Herr Patrick Minard, der Direktor des OPS, bei der Chefstewardess, warum wir nicht in die Lüfte abheben. Eine Schraube an der Außenhaut entspräche nicht den französischen Sicherheitsvorschriften. Entweder sie könne ausgetauscht werden, oder wir müssten das Flugzeug wechseln. Leichte Unruhe kommt auf, aber das erste Konzert in Maribor findet erst am nächsten Tag statt – viel Zeitpuffer also – den wir zum Glück dann doch nicht brauchen. Eine Stunde später ist die Schraube tatsächlich ausgetauscht und los geht es – Richtung Süden.

In Maribor erwartet uns ein kleiner Flughafen. Wir laufen die paar Meter zum Flughafengebäude zu Fuß und wundern uns, dass wir in einem relativ kleinen Raum nur metallene Sitzbänke, aber keine Förderbänder finden. Nur wenige Minuten später wissen wir warum. Ein kleines Wägelchen mit zwei Arbeitern, gekleidet in Blaumännern und Leuchtwesten fahren vor die Glastüre, öffnen sie und – heben jeden einzelnen Koffer schön per Hand auf die von uns falsch interpretierten Sitzbänke. So altmodisch es klingt, so effektiv war die Methode. In null Komma nichts hatte jeder von uns sein Gepäck und weiter ging`s per Bus in unsere Hotels. In Maribor mussten zwei Hotels gebucht werden. Eines für die Streicher – die ja das Hauptkontingent des Orchesters ausmachen – und ein zweites für den Rest. Der Rest, das waren die Bläser, der Harfenist und Schlagwerker und die Journalistentruppe.

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Hotel Habakuk - Herberge für einen Teil der Musiker (c) MP

Das Hotel Habakuk am Fuße des Pachern, in Slowenisch „Pohorje“ bezauberte vom ersten Anblick an. Die direkt dahinter liegenden Skipisten waren um 20 Uhr, als wir das Hotel erreichten, mit Flutlicht hell erleuchtet und an den Reaktionen – vor allem der jungen Herren – bemerkte ich, dass sie nicht damit gerechnet hatten, inmitten eines internationalen Wintersportzentrums zu landen. Für sie stand eines sofort fest: Der freie Samstagvormittag musste genutzt werden – zum Skifahren! Ein Mann, ein Wort – viele Männer – viele Skifahrer, und tatsächlich waren die Pisten des Pohorje am nächsten Vormittag von ungewöhnlichen Besuchern bevölkert, die einen Riesenspaß bei dieser außermusikalischen Betätigung hatten.

Am Nachmittag stieg allerdings die Spannung, denn es waren Informationen durchgedrungen, nach denen die Bühne des Konzertsaals in Maribor zu klein für das Orchester sei. Und tatsächlich. Wenig später, als die eigens mitgereisten Herren der „Regie“ mit dem Aufbau begonnen hatten, stand fest: nicht alle Musikerinnen und Musiker würden am Konzertpodium Platz finden. Und so durften   sich an diesem Abend bei der Suite von Korngold 6 und bei der Symphonie sogar 12 Musiker unter das Publikum mischen und ihre Kolleginnen und Kollegen von einer anderen, als bisher gewohnten Perspektive beobachten.

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Probe im Konzertsaal von Maribor (c) MP

Die Probe war sichtlich von Nervosität geprägt, denn der große Klangkörper des OPS ist es nicht gewohnt, in einem Raum zu spielen, in dem nur 6Mal so viele Zuhörerinnen und Zuhörer Platz finden wie Musikerinnen und Musiker. Und eine kurze Probe von einer Stunde, in der inklusive des Solistenauftrittes von Tokarev nur kleine Ausschnitte aus den Werken geübt werden können,  ist nicht dazu geeignet, die Spannung tatsächlich auch abzubauen. Am Abend jedoch zeigte sich, dass Profis am Werk waren. Das von Marc Albrecht sehr clever zusammengestellte Programm wurde so einfühlsam und zugleich intensiv gespielt, dass das Publikum in Maribor die Vorstellung mit Begeisterung akklamierte. Für die meisten dürfte wohl die Suite von Erich Wolfgang Korngold, in der er Shakespeares „Viel Lärm um nichts“ beredt musikalisch illustrierte, sowie seine einzige Symphonie Neuland gewesen sein, Rachmaninows Klavierkonzert und vor allem die Zugabe des Orchesters – Wagners Vorspiel zum dritten Akt von Lohengrin  – jedoch umso bekannter. Mit ihr verwies Marc Albrecht auf seine Erfolge in Bayreuth zwischen 2003 und 2006 wo er als Dirigent des „Fliegenden Holländers“ gefeiert wurde. Eine wunderbare Mischung, vor allem auch wegen der schönen, melodischen und rhythmischen Verschränkungen, die sich aus den Werken heraus hören ließen und bezauberten. Was zuvor an Spannung vorhanden gewesen war, fiel nach dem Konzert von allen schlagartig ab. Nicht nur von den Interpreten. Auch wir von der schreibenden Zunft, wie auch alle anderen, die das Orchester begleiteten, fühlten uns wohl, freuten uns über den wunderbaren Erfolg und wussten: alles was jetzt kommen würde, baute auf einer soliden Basis auf, auf die man mit Stolz und Freude zurückblicken konnte. Dementsprechend ausgelassen war dann nach dem Essen im Hotel – am späten Abend – wie immer bei Orchestermusikern – die Stimmung. So ausgelassen, dass einige am nächsten Morgen während der Fahrt im Bus weiter nach Zagreb, eine zusätzliche Schlafpause einlegen mussten.

Zagreb mit seinen 800.000 Einwohnern bot von Beginn an ein anderes Bild und eine andere Stimmung. Das große Hotel Westin, mitten in der Stadt, hatte Zimmer für die gesamte Truppe und die Konzerthalle ist von ihrer Dimension mit Straßburg vergleichbar. Platz genug dieses Mal für alle und Raum genug für den unvergleichlichen Klang, den das OPS unter Marc Albrechts Stabführung jedes Mal hervorzaubert. Bis zur Probe war nur wenig Zeit, die Stadt zu erkunden.

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Nevenka Fabian-Vidakovic unsere charmante Begleiterin in Zagreb (c) MP

Die Journalisten hatten Glück; eine überaus liebenswürdige Zagreberin, durch Freundschaftsbande mit einer von ihnen verbunden, hatte sich bereit erklärt, eine kleine Stadtführung – im Sauseschritt – mit einem kleinen, anschließend Mahl, zu organisieren. So ging`s kurz nach dem Einchecken weiter, mit der Straßenbahn und zu Fuß, in die Innenstadt, über den Ban-Josip-Jelačić- Platz hin zu dem auf drei Ebenen übereinander liegenden großen Marktplatz, auf dem sich alle Herrlichkeiten des südlichen Dalmatiens, des Gemüsegartens von Zagreb, tummelten. Weiter in die Kathedrale  auf dem Kapitol und schließlich in ein kleines, von jungen Leuten geführtes Restaurant, dem „Mašklin i lata“ (einer Bezeichnung zweier uralter bäuerlicher Werkzeuge), in dem Köstlichkeiten der Adria auf den Tisch kamen. Gerade genug Zeit, um neue Freundschaften zu knüpfen, zu wenig, um noch ein Dessert zu genießen und einen Café zu trinken. Denn – die Musikerinnen und Musiker hatten bereits zu proben begonnen. Da in Zagreb das Programm leicht verändert wurde, wollte niemand dies versäumen und so ging´s weiter – diesesmal im Sauseschritt in die Lisinski-Hall. Marc Albrecht war gebeten worden, für Zagreb die Suite von Korngold gegen ein zeitgenössisches Werk des Zagreber Komponisten Berislav Šipuš auszutauschen, was ein kleines Wagnis war. Viel Zeit für eine Vorbereitung war nicht vorhanden gewesen und das Orchester erhielt noch vor Ort bei der Probe in der Dynamik des Werkes einen letzten Feinschliff. Sehr berührend war es zu beobachten, wie es den schon bei der Probe anwesenden 52jährigen Komponisten vor Aufregung schwer auf seinem Sessel hielt und er sich anschließend sichtlich bewegt beim Orchester für seine Arbeit bedankte.

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Ankündigung des OPS an der Lisinski-Hall in Zagreb (c) MP

Eine kurze Pause von etwas mehr als einer Stunde, von den meisten in der Cafeteria des Konzerthauses verbracht, dann war es Zeit, sich umzuziehen und sich in den Musikerbereich zu begeben. Neuer Abend, neues Konzert, neues Glück. Und es war ihnen hold! Šipuš Werk, nur für Streicher geschrieben, wurde von ihm als 26jähriger komponiert und im Jahr 2002 noch einmal überarbeitet. Es zeigt, welche Klangmöglichkeiten den Streichinstrumenten innewohnen und lässt Dramatik und Lyrik auf engem Raum nebeneinanderstehen. Nach einer flirrenden Anfangsdichte breitet er wie bei einem Kaleidoskop Klangmuster für Klangmuster hintereinander aus und webt so mit Clustern ein Gewirke von unterschiedlichen, hörbaren Farben. Ruf und Echo, Rede und Gegenrede, Gemurmel und laute Akklamationen erinnern an menschliche Seinszustände, in die wir gewollt oder auch ungewollt geworfen sind und mit denen wir uns im Leben auseinandersetzen müssen. Streckenweise spannungsgeladen, dunkel, geheimnisvoll und Nerven vibrierend fügte es sich auch mit den wütenden Bässen in die anderen Stücke des Abends sehr gut ein. Berislav Šipuš zeigte mit der Ausarbeitung eines in den Bratschen breit vorgetragenen Themas, dass er auch die Kunst der Fuge beherrscht – indem er das Thema quer durch alle Streicher laufen und sich verschränken lässt – auch wenn er diesen Teil selbst nur als „quasi eine Fuge“ bezeichnet. Nach dem furios ausgeklungenen Ende galt der Applaus des Publikums nicht nur ihm, der sich bei Marc Albrecht noch einmal coram publico bedankte, sondern in hohem Maße auch den Streichern des OPS, die diese Nagelprobe bravourös bestanden hatten.

Dass Nikolai Tokarev mit seiner brillanten Interpretation von Rachmaninow sowie Marc Albrecht und das OPS mit der Korngoldsymphonie und der Lohengrinzugabe genau richtig lagen, bewies der lang anhaltende Applaus des begeisterten Publikums. Die Schlacht war geschlagen und der Sieg eingefahren. Dass in anderen Ländern andere Sitten herrschen, ist ein alter Bart, aber konfrontiert mit solchen, dann doch immer wieder verblüffend. Beim Verlassen des Konzertsaales noch den Wagner´schen Klängen nachhängend, verpufften diese in Windeseile, denn auf den Gängen vor dem Konzertsaal gab es eine Beschallung der anderen Art. Der samstägliche Abendtanz war ausgerufen, was bedeutete, dass die Klänge einer 6köpfigen Unterhaltungsband die Räumlichkeiten des Musikzentrums erfüllten. Ein größerer Kontrast ist wohl kaum denkbar – den Zagrebern aber scheint es großen Spaß zu machen. Vor allem etwas ältere Semester drehten sich brav beim Gesellschaftstanz im Kreis um zu sehen – und gesehen zu werden und komplettierten so auf ungewöhnliche Weise ihren Konzertabend.

Ein ruhiger Ausklang am nächsten Morgen, bei einem verlängerten Frühstück im Hotel und eine harmonische Heimreise, diesesmal ohne verspäteten Abflug, beendeten die Konzerttour des OPS nach Slowenien und Kroatien. Geblieben sind Eindrücke, übervoll mit Musik und Menschen, die dieselbe Passion teilen. Das OPS hinterließ in Maribor und Zagreb nicht nur eine musikalische Visitenkarte von hoher Qualität in eigener Sache,  sondern fungierte vielmehr als künstlerisches , diplomatisches Korps dieser schönen, europäischen Stadt, die damit im Ausland zeigen kann, dass sie weitaus mehr beherbergt als Europäische Institutionen.

Nikolai Tokarev – Ich möchte nie aufhören Klavier zu spielen!

Nikolai Tokarev – Ich möchte nie aufhören Klavier zu spielen!

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Nikolai Tokarev (c) Uwe Arens

Sie sind gerade auf Tour mit dem OPS und Marc Albrecht. Vor vier Tagen traten Sie in Straßburg auf, gestern in Maribor und heute war Zagreb an der Reihe. Keine Zeit, zwischen den Stationen sich lang vorzubereiten. In einem Interview erklärten Sie einmal, Sie müssten nicht wirklich viel üben, denn das hätten Sie schon hinter sich – jetzt aber dafür alles in Ihren Fingern. Heißt das, dass Sie kein neues Repertoire mehr erarbeiten müssen?

Nein, natürlich nicht. Ich habe damit gemeint, dass ich ja als Kind und Jugendlicher tatsächlich 8 Stunden und mehr am Tag geübt habe – und das täglich. Jetzt aber ist es so, dass die Stücke, die ich auswendig kann, so sitzen, dass ich sie nur auffrischen muss. Ich habe mit ihnen sozusagen viel Gepäck auf dem Rücken, das ich jederzeit aufmachen kann. Und natürlich erarbeite ich mir ständig ein größeres Repertoire, vor allem immer für die nächste Saison.

Sie spielten heute das 1. Konzert für Klavier und Orchester von Rachmaninow, aber Sie spielen auch schon lange den „Gaspard de la nuit“ von Ravel – zwei Stücke, die zum schwierigsten Klavierrepertoire gehören. Warum spielen Sie so jung schon diese schwierigen Werke?

Für mich sind sie nicht schwierig. Ich spiele ja schon sehr lange und es ist für mich ganz natürlich, sie zu spielen. Ich kann alles spielen, was immer ich will und möchte!

Sie haben bis jetzt insgesamt drei CDs aufgenommen. Wie kam das Repertoire dieser Cds zustande, waren es Ihre Wunschstücke, oder jene von Sony, dem Produzenten?

Die erste CD die ich gemacht habe waren meine Wunschstücke, meine Wahl. Die zweite CD die auf den Markt kam, die wir allerdings als dritte aufgenommen haben, kam durch eine Entscheidung von Sony zustande, die ein Konzert in Luzern hörten und dieses Konzert darauf hin live in Rom mitschnitten. Bei der dritten CD wiederum war es eine Mischung aus den Wünschen von Sony und mir.

Haben Sie selbst einen bestimmten Komponisten, den sie bevorzugen, den Sie gerne öfter spielen würden?

Nein, eigentlich nicht. Ich habe viele Komponisten, die ich gerne spiele und ich möchte auch noch sehr viele spielen, die ich bis jetzt nicht bearbeitet habe.

Arbeiten Sie auch mit zeitgenössischen Komponisten zusammen?

Früher habe ich etwas zeitgenössische Musik gespielt, heute aber allerdings eigentlich nur Bearbeitungen von zeitgenössischen Künstlern, die Stücke speziell für mich transkribieren, wie zum Beispiel die Paganinivariationen. Ich arbeite hier mit Alexander Rosenblatt, einem zeitgenössischen Komponisten zusammen, der auch eigene Kompositionen macht. Er ist heute ungefähr 60 Jahre alt und wir werden noch mehr gemeinsam miteinander machen. In ein paar Wochen wird die Transkription im Schottverlag erscheinen – und auf dem Cover wird mein Name stehen! Ich bin sehr stolz darauf.

Im Rachmaninowkonzert müssen Sie extrem konzentriert arbeiten. Wie schaffen Sie es, so konzentriert auf die Bühne zu kommen, haben Sie da eine eigene Technik entwickelt und ist es für Sie da überhaupt möglich, einen Unterschied in der Interpretation verschiedener Orchester wahrzunehmen?

Ich habe, was die Konzentration betrifft, eine große Erfahrung. Ich verwende hier keine spezielle Technik, sondern die Konzentration kommt ganz von alleine. Ich gebe schon so lange Konzerte, dass ich hier ganz automatisch reagiere. Was das Orchester betrifft, so habe ich hier leider noch keine Vergleichsmöglichkeiten. Ich spiele den Rachmaninow mit diesem Orchester zum allerersten Mal.

Das ist sehr interessant!

Was ich sagen kann ist, dass das Orchester extrem gut ist und dass ich gerne mit dem OPS und Marc Albrecht zusammen gearbeitet habe. Heute in Zagreb war es die beste Aufführung, die wir in dieser Serie hatten.

Wie verläuft der kreative Prozess, wenn Sie mit einem Dirigenten das erste Mal arbeiten?

Ich spiele, wie ich es mir vorstelle und wir reden dann anschließend darüber. Ich stelle meine Ideen vor, der Dirigent dann seine. Mit Marc Albrecht hat das sehr gut funktioniert.

Merken Sie vom Publikum her Unterschiede?

Oh ja, sehr große sogar. In manchen Gesellschaften  ist es nicht üblich, laut zu klatschen, wie z.B. in Japan. Wenn dort laut geklatscht wird und Bravo gerufen wird, dann hat man schon etwas ganz Besonderes gemacht.

Sie sind in Japan sehr bekannt, ist Ihnen das dort schon passiert?

Ja, natürlich!

Dann haben Sie einen guten Job abgeliefert!

Ja, ich denke schon. Aber es gibt auch Publikum, das klatscht andauernd und fordert wieder und wieder und wieder Zugaben. Das ist tatsächlich ganz unterschiedlich. Es ist schön, wenn die Leute klatschen, denn auf diese Art geben mir die Leute die Energie zurück, die ich ihnen zuvor mit meinem Spiel gegeben habe.

Was haben Sie für mittelfristige Ziele?

Ich möchte mehr Barockmusik spielen. Ich beschäftige mich mit Scarlatti und auch mit Haydn, weil ich in der kommenden Saison mehr davon spielen werde.

Sie leben jetzt in Moskau und in Düsseldorf.

Ja, in beiden Städten. Ich habe in Düsseldorf mein reguläres Studium bei Barbara Szcepanska an der Robert Schumann Hochschule abgeschlossen, aber ich belege noch spezielle Kurse.

Wie erarbeiten Sie sich ein neues Stück, hören Sie sich Kollegen an?

Nein, überhaupt nicht. Ich erarbeite mir zuerst das Stück alleine, lerne es auswendig, interpretiere es völlig auf meine eigene Art. Dann erst frage ich um Rat bei Professoren, aber auch dann spiele ich auf meine eigene Art und Weise.

Deswegen haben Sie auch einen ganz eigenen Stil entwickelt.

Ja, klar.

Sie spielen mit enorm viel Kraft, präferieren Sie eine bestimmte Klaviermarke?

Ja, ich spiele am liebsten auf Steinway. Ich bin der Meinung, dass andere Klaviere die Stimmung nicht so gut halten, aber das kann auch ganz von den Stimmern im jeweiligen Konzertsaal abhängen.

Sie sollten ihren eigenen Stimmer mit auf Tournee nehmen!

Ja, in Zukunft vielleicht!

Gibt es Orchester oder Dirigenten, mit denen Sie gerne zusammenspielen würden?

Es gibt unglaublich viele gute! Ich reise sehr gerne und möchte am liebsten mit allen einmal zusammenspielen – je mehr, umso besser. Ich möchte nie aufhören zu spielen, denn Musik ist mein Leben, ich hoffe, dass man das auch sieht und spürt, wenn ich spiele. Ich höre ja auch sehr viel Musik, wenn ich unterwegs bin, oder zuhause. Ohne Musik ginge es nicht, könnte ich mir mein Leben gar nicht vorstellen.

Was glauben Sie, was Sie dem Publikum geben?

Musik! Was sonst!

Das Interview führte Dr. Michaela Preiner mit Nikolai Tokarev nach seinem Auftritt in Zagreb am 14.3.2010

Samudaripen –  der vergessene Genozid

Samudaripen – der vergessene Genozid

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Samudaripen im Pôle-Sud in Straßburg (c) Mustapha EL GUEZOULI

In Deutschland war es der Hungerstreik einer Gruppe um den Sinto Romani Rose im ehemaligen Kz Dachau, der 1980 dafür kämpfte, dass seine Volksgruppe als unter den Nazis verfolgt, anerkannt wurde. Sein Kampf war erfolgreich. 2 Jahre später wurden den Sinti und Roma auf eine Initiative des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt dieses Recht zuerkannt. Obwohl bereits Ende des 18. Jahrhunderts die Mitglieder der Volksgruppen der Sinti und Roma sich im deutschen Sprachraum als solche bezeichneten, wurde auch erst in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Bezeichnung „Zigeuner“ aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verdrängt. In Frankreich ist das Szenario jedoch anders. Bis heute haben die unter dem Sammelbegriff der „Tzigane“ lebenden Roma, Sinti oder Manouches und Gitans – letztere stammen aus dem Süden Frankreichs, Spaniens oder Portugal, keine adäquate Bezeichnung ihrer Abstammung in der Umgangssprache gefunden. Ein Umstand, der im Hexagon, so hat es den Anschein, aber keine Fragestellungen aufwirft. Und Samudaripen, so nennt sich in Frankreich der Genozid an den Tziganes während des Naziregimes, aber nicht einmal dieser Begriff wird einheitlich verwendet, ist weit davon entfernt, von der Regierung überhaupt nur behandelt, geschweige denn anerkannt zu werden. Im elsässischen Straßburg gab es Mitte Februar 2010 eine kleine kulturelle Aufarbeitung dieses tragischen Geschehens. Die Aufführung des Stückes „Samudaripen“ im Pôle-Sud, die Ausstellung von Grafiken am selben Veranstaltungsort von Sebastien Kuntz, sowie der Film „Liberté“ von Tony Gatlif, der sich demselben Thema widmet, bildeten eine Trilogie, die mit unterschiedlichen, künstlerischen Zugängen arbeitete und das dunkle zeithistorische Kapitel ein wenig unter die Lupe nahm.
Während sich das Publikum im Pôle-Sud seine Plätze sucht, spielt eine kleine Band am linken Bühnenrand postiert, Stücke ganz im Stil von Django Reinhardt, dem berühmten französischen Gitarrenvirtuosen, der dem Volk der Manouche angehörte. Eine lockere Einstimmung, die nach dem Verlöschen des Lichts von einer Sekunde auf die andere ins Tragische, Unbeschreibliche, Grauenhafte kippt. Ein Stacheldraht trennt das Geschehen auf der Bühne vom Publikum. Ein Wachturm und Flutlicht – mehr braucht es an Bühnenbild nicht, um sich im Hof eines Konzentrationslagers wiederzufinden. 4 Männer in gestreiften Gefangenenanzügen mit ebensolchen Kappen am Kopf, laufen im Trippelschritt wie unter Kommando im Kreis, stellen sich in Reih und Glied nebeneinander auf und lauschen den Hasstiraden vom Band. Als primitiv und völkergefährdend werden sie bezeichnet, wobei historische Filmaufnahmen Politiker zeigen, die sich in diesen Hasstiraden suhlen. Immer wieder knickt der eine oder andere Mann ein, wie von den erniedrigenden Worten körperlich getroffen. Was nun in der kommenden Stunde gezeigt wird, ist aber nicht zeitgenössisches Tanztheater mit elaborierten Tanzfiguren, sondern Hip-Hop der anspruchsvollsten Art, der oft mit Slam-Rap und Jazz – wie eingangs beschrieben – unterlegt wird. Die Texte erzählen davon, was die Männer verloren haben, wie menschenunwürdig sie behandelt werden und wie sie schließlich auch ihren Tod finden. In zuckenden Bewegungen stirbt einer von ihnen am Boden vor seinen Kameraden, die ihm nicht helfen können. Bei der Essensausgabe stellen sie sich hintereinander in eine Reihe und versuchen immer wieder, sich mit allen Mitteln nach vorne zu drängen. Wenn der Mensch all seiner Würde beraubt wird und um sein Überleben kämpfen muss, wird er zum Tier, das keinen Freund unter seinesgleichen mehr kennt. Mehrfach wird diese Thematik deutlich vor Augen geführt. Ein Aufseher in langem Mantel, der Anweisungen in sein Handy brüllt, beaufsichtigt die Männer während ihrer Zwangsarbeit, die in ihrer schweißtreibenden und anstrengenden Tanzsprache gut nachvollzogen werden kann. Als die Häftlinge beginnen, sich zu kratzen, sodass man meint, sie würden sich die Krätze von der Haut reiben wollen und sich vor Wahnsinn dabei am Boden winden, wünscht man sich, das Grauen nicht länger mit ansehen zu müssen. Und da wird es einem bewusst. Was ist eine Stunde getanzte Qual gegen Monate und Jahre im Konzentrationslager? Nicht einmal die lyrische Passage des Tanzes mit der Gitarre, zu der ein altes, von einer Frau gesungenes Volkslied erklingt, mildert den von Beginn an vorhandenen bitteren Geschmack – und das ist gut so. Denn gerade der getanzte Hip-Hop verleitet leicht, vom Drama des Geschehens abzulenken, würden sich die neuen Schreckensbilder nicht ständig abwechseln. Nur einer der Häftlinge überlebt dieses Inferno, das, wie es der Nachspann auch aufzeigt, wie ein Menetekel nach wie vor im Raum schwebt. Neue Tiraden von rechtspopulistischen Politikern klingen wie jene vor 80 Jahren und sollten bekämpft und im Keim erstickt werden. Yan Gilg, der die künstlerische Leitung über hatte und Mickaël Stoll, der für die Choreografie verantwortlich zeichnet, haben sich dennoch mit dieser Produktion der Companie Memoires Vives auf einen schmalen Grat begeben. Unaussprechliches Grauen in eine künstlerische Form zu gießen, die den Geschmack von Jugendlichen trifft, war beabsichtigt. Das Fernsehen mit seiner Live-Übertragung des Todes hat aber dazu beigetragen, dass viele diesbezüglich abgestumpft wirken. Ich hoffe, mein Eindruck trügt und die Botschaft traf ihre Empfänger tatsächlich tief in ihrem Inneren.

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Sébastien Kuntz, Samudaripen (c) DR

Die Ausstellung des Künstlers Sebastien Kuntz im Untergeschoss des Pôle-Sud, die zeitgleich mit den Aufführungen präsentiert wurde, zeigte schwarz-weiße aber auch Farblithographien zum Thema. Im Kreis zusammengepferchte, bunte Wagenkolonnen, umgeben von Soldaten mit Waffen, assoziieren die Verfolgung der „Tziganes“ während des Vichy-Regimes und dann unter den Nazis. Seine, einem leichten Strich folgenden Beschreibungen der Vernichtung, atmen den Wind des Vergessens und lassen Unbeschreibliches tatsächlich unbeschrieben. Wie von einem Hurricane werden ganze Pferde- und Wagenkolonnen in die Lüfte emporgehoben, um zu verschwinden aus dem Hier und Jetzt. Es sind keine einzelnen Gesichter, keine einzelnen Persönlichkeiten, die er wiedergibt, sondern die Zusammenballung von Menschen, die sich der Tyrannei ihrer Verfolger nicht erwehren können. So bunt ihre Wagen, so schwarz ist die Übermacht ihrer Feinde. Die Erhebung in die Lüfte ist der einzige Lichtblick, der aber nicht zum Leben, sondern zum Tod führt. Ein Auflösen, das einer Erlösung gleichkommt.

Liberté, der Kinofilm des französischen Filmemachers, Schauspielers, Komponisten und Regisseurs Tony Gatlif, mit algerischen und Sintiwurzeln, entlässt sein Publikum ebenso mit Bildern von Unterdrückung und Inhaftierung. Aber – und darin liegt auch seine Stärke, er vermittelt auch, dass es Menschen gab, die versuchten, gegen den Strom zu schwimmen und den Tziganes zu helfen. Der Tierarzt und Bürgermeister einer kleinen Gemeinde ist mit der Lehrerin, Fräulein Montag, der einzige, der die Courage hat, ein Zeichen zu setzen. Er verkauft das alte Gut seiner Vorfahren gegen den symbolischen Wert von 10 Francs an eine Familie, die bereits ins Lager verfrachtet wurde. Von dort freigelassen, aufgrund der Tatsache eigenen Grund und Boden zu besitzen, gelingt es ihnen dennoch nicht, zwischen den dicken Steinmauern zu leben, da dies nur eine andere Art von Freiheitsberaubung für sie darstellt. In schönen, oftmals beinahe romantisierenden Bildern, aber vor allem mit beeindruckenden schauspielerischen Leistungen, wie jener von James Thierree, der in der Person des verrückten Außenseiters zeigt, was Naturverbundenheit und Freiheit wirklich bedeutet, erzählt Gatlif die bedrückende Geschichte des Genozids anhand einer umherziehenden Sippschaft.

Was nach all den kulturellen Aufarbeitungen bleibt, ist nicht nur, über Samudaripen etwas erfahren zu haben, sondern vor allem die Erkenntnis, viel zu wenig zu wissen, über die rund 2000 Tziganes, die heute mit mir in Straßburg leben. Vielleicht aber gelingt eine Annäherung im Juli, wenn ihnen ein eigenes Festival hier gewidmet sein wird. Wir werden berichten.

Rémy Abraham – Beruf Hornist – Hobby – Musik

Rémy Abraham – Beruf Hornist – Hobby – Musik

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Rémy Abraham, Hornist des OPS (c) OPS

Es ist ein eiskalter später Winternachmittag. Der Bus des OPS (Philharmonisches Orchester Straßburg) steht vor dem Konzertsaal bereit zur Abfahrt. Rund 35 Musikerinnen sowie Musiker haben sich eingefunden um gemeinsam zu ihrem nächsten Auftritt nach Obernai, einem kleinen Städtchen, eine dreiviertel Autostunde südwestlich von Straßburg, zu fahren. Ich habe großes Glück und darf das Orchester begleiten. Kaum sitze ich im Bus werde ich von Viviane Andolfi, der liebenswürdigen und immer quirligen Pressechefin begrüßt – und – kurzerhand umgesetzt. Neben einen sympathischen, dunkelhaarigen Mann. Es ist Rémy Abraham, einer der Hornisten des OPS. Wir hätten hier gleich die Gelegenheit, uns ein wenig über das neue Projekt von Rémy Abraham zu unterhalten, erklärt Frau Andolfi den schon zuvor von diesem Vorhaben in Kenntnis gesetzten Musiker. Eigentlich wollte ich Rémy Abraham kennenlernen, da er ein interessantes, künstlerisches Projekt begleitet hat. Begleitet ist nicht ganz der richtige Ausdruck, er hat komponiert. Die Musik für das Stück „Casting“ der Bläserformation „OPUS“, das im Februar in Straßburg zur Aufführung gelangte. Und so fange ich sofort mit meiner „hochnotpeinlichen“ Befragung an, denn ich weiß, ich habe maximal 45 Minuten, dann sind wir am Ziel und mein Interviewpartner hat keine Zeit mehr für mich.

Herr Abraham, können Sie mir kurz erklären wer ist OPUS?

Ja gerne. OPUS ist ein Bläserensemble, das aus 4 Musikern besteht, die alle in unserem Orchester arbeiten. Sie haben sich zusammengefunden, um außerhalb des großen Orchesters zusammen Musik zu machen. Vincent Gillig (Trompete), Nicolas Moutier (Posaune), Laurent Larcelet (Posaune) und Micaël Cortone d’Amore (tuba) heißen die vier Musiker.

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OPUS in ihrer Show "Casting" (c) DR

Und « Casting » ihre neue Produktion, was ist das genau ?

« Casting » ist ihre neue, gemeinsame Live-Show. Es ist bereits die zweite, nach « Carmen », die im vergangenen Jahr ein großer Erfolg war. Das war eine Neuadaption der bekannten Oper von Georges Bizet. Allerdings war das Thema nicht in der Arena, sondern auf dem Fußballplatz angesiedelt. Ich habe da aber kompositorisch versucht, mich natürlich an Bizet anzulehnen. Casting ist etwas ganz anderes. In Casting geht es um die Zeit des Kennenlernens der Musiker, die ja alle beim OPS einmal vorspielen – also casten – mussten. Auch um die Zeit des Davor, als sie sich noch nicht kannten und wie sie schließlich zueinander fanden. Das Vorspielen bei einem Orchester ist ja ein wichtiger und auch aufregender Schritt, das wir hier thematisiert haben .

Wie sind Sie in dieses Unternehmen involviert ?

Ich wurde gebeten, für Casting die Musik zu schreiben. Ich habe das ja auch schon für Carmen gemacht und es macht mir großen Spaß.

Wie lange haben Sie dazu gebraucht ?

Es waren ein paar Monate, ich habe im Spätherbst damit begonnen und dann mit den Musikern gemeinsam an dem Projekt gearbeitet. Bei den Proben ist noch vieles dazugekommen, vieles an Ideen eingeflossen. Ich nehme ja auch Rücksicht auf das, was die vier können und gerne machen. Es ist eigentlich ein lustiges Stück, obwohl es auch Zwischentöne hat und einige nachdenkliche Stellen.

So wie das Leben an sich ja auch.

Ja genau, so wie das Leben. Ich wollte das ganz bewusst machen, nicht nur Klamauk auf die Bühne bringen. Aber es ist auch eine Herausforderung für die Musiker, denn sie spielen in allen möglichen und unmöglichen Posen, in denen sie normalerweise ja nicht spielen. Liegend oder gehend mit viel Aktion auch noch den richtigen Ansatz zu finden, ist nicht leicht. Aber unsere Regisseurin, Cathy Dorn, will das so auf die Bühne bringen. Und so manches, was zuerst unmöglich erschien, funktioniert nach ein paar Mal üben doch !

Wird das Stück außer in Straßburg auch noch woanders zu sehen sein ?

Das wissen wir noch nicht. Das ergibt sich meistens erst nach den ersten Aufführungen. Aber schön wäre es natürlich schon, es auch in anderen Städten zu zeigen.

Bläserformationen, die eine eigene Show aufführen, gibt es nicht wirklich viele. Eine davon ist Mnozil Brass.
Ja klar, das ist ja DIE Formation schlechthin, die jeder kennt. Sie sind sicherlich das bekannteste Bläserensemble und wir kennen ihre Arbeit ganz genau und haben uns ihre Musik auch ganz genau angehört. Aber wir machen dennoch etwas völlig Eigenständiges, das damit nicht vergleichbar ist.

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OPUS in ihrer show "Casting" (c) DR

Gibt es schon neue Pläne mit OPUS?

Konkret noch nicht, jetzt muss erst einmal diese Show über die Bühne gehen, dann werden wir weiter sehen.

Unser Gespräch findet auf Französisch statt, was nur deshalb wirklich gut funktioniert, weil Rémy Abraham ein wunderschönes, reines akzentreies Französsich spricht, was meinem Hörverständnis sehr entgegen kommt. Während des Interviews fahren wir vorbei an kleinen elsässischen Orten, die allesamt deutsche Namen tragen. Ostwald, Geispolsheim, Innenheim oder Krautergersheim. Ein Erbe, der wechselhaften Geschichte dieses liebenswerten Landes, das so oft seine Staatszugehörigkeit gewechselt hat.

Wenn Sie im OPS spielen und auch nebenbei komponieren, bleibt Ihnen wahrscheinlich nicht viel Zeit, um noch anderen Hobbys nachzugehen.

Ich leite ja auch noch ein anderes Orchester, etwas außerhalb von Straßburg in einer kleinen Gemeinde.

Was ist das für ein Orchester ?

In diesem Orchester, dem Städtischen Orchester von Gambsheim, spielen Profimusiker und Hobbymusiker gemeinsam. Das ist sehr spannend. Wir erarbeiten im Jahr zwei Aufführungen. Mehr ist nicht machbar, denn wir nehmen ja Rücksicht auf Feiertage und Ferien und nicht alle können immer zu unseren Proben einmal wöchentlich kommen. Da brauchen wir diese Zeit, nur um diese Konzerte gut vorzubereiten. Es ist sehr interessant, denn im Laufe der Jahre hat sich das Verhältnis zwischen den Profimusikern und den Hobbymusikern sehr verändert. Anfangs war es so, dass die Profis etwas verächtlich auf die Laien herabgesehen haben. Aber die Einstellung dieser Musiker, der Berufsmusiker hat sich geändert. Jetzt hingegen sind die Hobbymusiker eher reserviert gegenüber den Profis. Diese Sperren in beide Richtungen spielen sich aber alle nur im Kopf ab und sollten überhaupt nicht vorhanden sein.

Das ist ein interessanter Aspekt, den ich noch nie gehört habe. In meinem Heimatland in Österreich gibt es nur einige wenige Orchester, die diese Mischung aufweisen.

Oh, bei uns im Elsass ist das ganz normal. Wir haben ja insgesamt über 200 solcher Orchester. Jede etwas größere Gemeinde hat ihr eigenes Orchester. Das ist eine ganz spezielle, elsässische Tradition, die in der Zeit der deutschen Regentschaft ihre Wurzeln hat. Außerhalb des Elsass ist diese Dichte an Orchestern in Frankreich nicht anzutreffen.

Das heißt, die Elsässer haben eine starke klassische Musiktradition. Sind eigentlich viele dieser Musiker auch Abonnenten des OPS ?

Nein, leider nicht. Ich weise zwar immer darauf hin, welche Konzerte wir spielen und versuche immer die Leute zu animieren, sich das OPS in Straßburg anzuhören, aber es ist schlichtweg ein Zeitproblem, das die Menschen haben. Sie arbeiten alle und investieren schon Zeit in ihr eigenes Orchester, proben dann auch noch zu Hause, haben Familie. Da ist es schwer, sich dann noch einmal abends wegzueisen und nach Straßburg zu fahren. Leider.

Wir sind in der Zwischenzeit bei leichtem Schneefall in Obernai angekommen. Noch einige wenige Kurven, und der Bus wird neben der Kirche haltmachen, in der das Konzert mit Werken von Mozart und Schubert stattfindet. Ich würde noch gerne mehr Fragen an Rémy Abraham stellen, aber jetzt benötigt er die noch verbliebene Zeit, sich selbst ein wenig vorzubereiten.

Herr Abraham, ich wünsche Ihnen viel Glück und toi, toi, toi, sowohl für das heutige Konzert als auch für « Casting » !

Ich danke Ihnen vielmals!

Eine halbe Stunde später sitze ich in der sehr kühlen Kirche, bewundere die Kältetauglichkeit des Orchesters und höre an diesem Abend in den Konzerten ganz besonders auf das Horn von Rémy Abraham. Was ja weiter nicht verwunderlich ist.

Die erste „Cookbookfair“ in Paris | La première « Cookbookfair » à Paris

Die erste „Cookbookfair“ in Paris | La première « Cookbookfair » à Paris

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Fröhliche Stimmung auf der Cookbookfair in Paris (C) Tiborphoto.com

Der Wunsch nach einem gesicherten, familiären Umfeld und der Verlust der traditionellen Wiedergabe von Wissen rund um das Kochen, lassen weltweit Menschen in den Buchhandlungen in die Kochbuchregale greifen. Die Cookbookfair trug diesem Trend Rechnung und startete fulminant in ihre erste Auflage.Vom 12. bis 15. Februar 2010 fand die erste internationale Messe rund um Kochbücher im Kulturzentrum Centquatre in Paris statt. Kochbücher  bilden weltweit einen Markt, der expandiert und nicht, wie viele andere in der Krise, rückläufig reagiert. „Wir haben uns Paris ausgesucht, weil es eine der romantischsten Städte der Welt ist. Dass in dieses Datum auch zufällig der Valentinstag fällt, ermöglicht es unseren Besuchern dieses Jahr auch,  hier gleichzeitig ein romantisches Wochenende erleben können“ erklärte Edouard Cointreau. Der Initiator der Messe, der väterlicherseits aus der gleichnamigen Likördynastie und mütterlicherseits von den Familien Frapin und Rémy Martin abstammt, ist auch Gründer des „Gourmand World Cookbook Awards“, der bereits seit 1995 alljährlich vergeben wird. Dieses Mal fand diese Veranstaltung zeitgleich mit der Messe am Eröffnungsabend statt. Edouard Cointreau hat mit seinem Team mit der „Cookbookfair“ aber nicht nur eine Buchmesse initiiert. Vielmehr war es ein groß angelegtes Event für die Sinne, bei dem Spaß, Genuss und Freude nicht zu kurz kommen sollten. Gewiss, das Herzstück bildeten die mehr als 200 Aussteller – Kochbuchverleger aus über 40 Ländern. Begleitend dazu jedoch konnte das Publikum aus einem umfangreichen Vortragsprogramm wählen oder sich bei den Live-Kochshows mit Kochstars aus aller Welt richtig Gusto holen.

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Kochshow mit Sébastien Gaudard und Francoise Bernard (c) Andrea Isker

Wie zum Beispiel bei der zu Herzen gehenden und gleichzeitig lehrreichen Performance von Sébastien Gaudard, der ein leichtes Mousse au chocolat zubereitete. Der lothringische Küchenchef hat gemeinsam mit Françoise Bernard, einer in Frankreich bekannten Kochbuchautorin, ein Buch gestaltet. „Le Meilleur des Desserts“ – zu Deutsch „Die besten Desserts“ in denen er auf die bewährten Rezepte von Frau Bernard zurückgreift, sie aber mit dem modernen Wissen und auch seinem Auge neu interpretiert. Während er das Mousse zubereitete, wurde er von Frau Bernard überrascht, die ihm erklärte, dass Sternanis, das er verwendete, in ihrer Jugend nicht als Gewürz, sondern als Medikament eingesetzt wurde.  Die beiden sind ein schönes Beispiel, wie heute über Kochbücher altes Wissen tradiert und in neuem Gewand präsentiert werden kann. Der „Pentatholon“ – ein von argentinischen Winzern initiierter Weinparcours  – bei dem es ums Kennenlernen, Verkosten und Genießen, ganz ohne falsch verstandene Dünkel geht, war nur einer jener Höhepunkte, bei dem das Publikum mit allen Sinnen verwöhnt wurde. Mehr als 4000 kleine Köstlichkeiten wurden den Besuchern während der Messetage gereicht, die auch die  Möglichkeit hatten, an zahlreichen Fachvorträgen teilzunehmen. „Schon bei der Eröffnung kamen weitaus mehr Besucherinnen und Besucher als wir dachten, sodass einige hundert von ihnen sogar kurz auf den Eintritt warten mussten“, zeigte sich die überraschte Pressechefin sehr zufrieden. Die voll ausgebuchte Messepremiere mit einem Publikumsandrang von über 3000 Besuchern zeigte, dass die Macher der„Cookbookfair“ den Trend rund ums Kochen richtig eingeschätzt haben.

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La joyeuse atmosphère au Cookbookfair à Paris (C) Tiborphoto.com

Dans les librairies du monde entier, les clients potentiels piochent de plus en plus volontiers dans les rayonnages remplis de livres de cuisine. L’envie d’un environnement familial et sécurisant, ainsi que la perte de la transmission du savoir autour de la cuisine par les anciens en sont certainement les raisons principales. La première édition de la « Cookbookfair » tenant compte de cette forte tendance a démarré en trombe. Cette foire articulée autour du livre de cuisine a eu lieu au centre culturel « le 104 » à Paris pour la toute première fois. Contrairement à beaucoup d’autres, le livre de cuisine représente un marché en expansion – même en temps de crise!

« Nous avons choisi Paris, parce que c’est l’une des villes les plus romantiques du monde. Que la date coïncide avec la Saint Valentin est dû au hasard, mais cela permet à nos visiteurs de passer en même temps un week-end romantique sur place » a déclaré Edouard Cointreau. L’initiateur de cette manifestation fait partie d’une très grande famille de viticulteurs. Du coté du père, il s’agit de la dynastie des spiritueux du même nom, coté mère, ce sont les familles Frapin et Rémy Martin dont il est question. Edouard Cointreau est également à l’origine des « Gourmand World Cookbook Awards », un trophée qui est décerné tous les ans depuis 1995. Cette année, la cérémonie des Cookbook Awards s’est déroulée dans le cadre de la soirée d’inauguration de la « Cookbookfair ». Mais ce n’est pas simplement une foire aux livres de cuisine qu’Edouard Cointreau a initiée avec cet évènement, mais il a conçu avec son équipe plutôt une manifestation autour des sens, à laquelle la joie, le délice et le plaisir avaient toute leur place.

Bien sur, les plus de 200 exposants – éditeurs de livres de cuisine de plus de 40 pays – étaient au centre névralgique de l’évènement. Mais parallèlement à cela, le public pouvait participer à de nombreuses conférences ou alors assister aux démonstrations de grands chefs du monde entier qui faisaient vibrer les papilles.

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Démonstration de Sébastien Gaudard en compagnie de Françoise Bernard (c) Andrea Isker

Un bel exemple en était Sébastien Gaudard, qui a préparé deux mousses au chocolat. Sa prestation était aussi intéressante et instructive que chargée d’émotion et de chaleur humaine. Le chef lorrain a conçu le livre « Le Meilleur des Desserts » en collaboration avec Françoise Bernard, un auteur de livres de cuisine connu et reconnu en France. Dans ce livre, Sébastien Gaudard interprète les recettes traditionnelles de Françoise Bernard à sa propre manière, avec le savoir de nos jours, en regardant le tout avec son œil neuf de jeune chef. En travaillant avec Madame Bernard il a eu la surprise d’apprendre que la badiane, ou l’anis étoilé, qui pour lui n’était qu’une épice comme une autre, a été du temps de la jeunesse de son co-auteur utilisée comme médicament.
Les deux complices ont illustré de façon convaincante, comment les livres de cuisine transmettent le savoir des anciennes générations et de quelle façon les auteurs – grâce aux livres – lui donnent une nouvelle vie.

« Le pentathlon », un parcours du vin, organisé par des viticulteurs argentins, où il s’agissait de faire connaissance, de goûter et d’apprécier sans fausse pudeur, n’était qu’un des nombreux points culminants destinés à stimuler les sens du public.
Pendant ces quelques journées que durait la foire, plus de 4000 petits trésors culinaires étaient proposés à la dégustation.
« A la soirée d’inauguration, le public était beaucoup plus nombreux que prévu, tant et si bien que quelques centaines de visiteuses et visiteurs étaient contraints d’attendre dehors avant de pouvoir accéder aux lieux » constate la chargée des relations de presse, surprise, mais très satisfaite. Cette première édition avec ses plus de 3000 visiteurs était un vrai succès et c’était la preuve aussi, que l’initiateur de la « Cookbookfair » avait vu juste en ce qui concerne les tendances actuelles autour de la cuisine.

Texte traduit de l’allemand par Andrea Isker

Interview mit dem Schauspieler Pierre Meunier – oder die Suche nach dem Rätsel der Schwerkraft

Interview mit dem Schauspieler Pierre Meunier – oder die Suche nach dem Rätsel der Schwerkraft

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Der Schauspieler Pierre Meunier (C) Alain Julien

Der französische Schauspieler Pierre Meunier war in dieser Saison gleich zweimal im TNS (Théâtre National Strasbourg) zu Gast. Mit „Im Herzen der Unordnung“ seinem One-man Stück und „Sexamor“, einer Gemeinschaftsarbeit mit Nadège Prugnard. Er gilt in Frankreich als Ausnahmeerscheinung, vereint er doch die Berufe des Autors, Schauspielers, Regisseurs und Bühnenbildners in einer Person und lässt sich obendrein mit seiner Arbeit in kein gängiges Schema einordnen. Den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn startete er im Nouveau Cirque de Paris und im berühmten Pferdespektakel von Zingaro sowie in der Volière Dromesko. Er war Schauspieler am Théâtre du Radeau, in welchem er mit dem Regisseur Matthias Langhoff zusammenarbeitete. Pierre Meunier ist gleichermaßen vom sprachlichen Ausdrucksreichtum, wie der anschaulichen Präsentation schwieriger wissenschaftlicher Themen fasziniert und unterhält sein Publikum in diesem Spannungsverhältnis.

Herr Meunier, warum sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch?

Mein Vater liebte die deutsche Sprache und hat sie sehr gut gesprochen. Als junger Mann war ich im Sommer öfter in Deutschland, um dort zu arbeiten

In Ihrem Stück „Im Herzen der Unordnung“ verwenden sie eine sehr elaborierte Sprache, die sich im wissenschaftlichen und philosophischen Umfeld befindet. Haben Sie Ihr Stück selbst ins Deutsche übersetzt?

Oh nein, das wäre gar nicht möglich gewesen. Übersetzt hat es Anna Langhoff, die Tochter von Matthias Langhoff, dem Regisseur. Sie lebt in Berlin.

Haben Sie die Übersetzung dann unkritisch übernommen oder gab es noch einen weiteren Arbeitsschritt bis zur endgültigen Fassung?

Nein, ich habe die Übersetzung noch einmal in Paris mit meiner ehemaligen Gymnasiallehrerin, die Deutsche ist, durchgearbeitet. Ich alleine wäre dazu nicht in der Lage gewesen, ich musste dann das Stück nur auswendig lernen. Aber ich habe dabei gelernt, dass vieles, was im Französischen auf den Punkt genau kommt, in meiner Betonung im Deutschen nicht so präzise ist. Gerade die Spannung, die man innerhalb eines ganzen Satzes aufbauen mus, auch durchzuhalten, war für mich enorm schwierig. Im Französischen hingegen kann ich die Spannung direkt zu einem Wort hin aufbauen. Ich glaube, hier kann ich auch noch viel lernen. Für die Aufführung in Straßburg habe ich dann noch hier drei Tage mit Barbara Engelhardt gearbeitet. (Anm: Barbara Engelhardt war von 1996 bis 2001 Redakteurin bei der Zeitschrift Theater der Zeit, seither ist sie freie Autorin und Herausgeberin zahlreicher Publikationen in Deutschland und Frankreich, außerdem Festivalkuratorin in Bobigny/Paris (Le Standard Ideal) und Straßburg (Premières). Sie lebt in Straßburg.

Waren Sie schon einmal mit einer Produktion im deutschsprachigen Raum?

Ja, das war mit meinem Stück „Le tas“ – zu Deutsch „Der Haufen“. Wir traten damit beim Festival in Bochum auf. Es ist ein sehr visuelles Stück, das nur mit 15 Minuten Text insgesamt auskommt. Es dreht sich unter anderem um die Frage des Gewichtes und war dort im Ruhrgebiet in diesem Umfeld mit all diesen sichtbaren, großen Haufen in der Industrielandschaft für die Leute enorm interessant.

Sie beschäftigen sich sehr mit naturwissenschaftlichen Problemen wie zum Beispiel der Schwerkraft.

Ja, es interessiert mich zu wissen, wie das ist und was die Wissenschaft dazu zu sagen hat. Als ich mich das erste Mal in einem wissenschaftlichen Laboratorium meldete, wurde ich nicht gerade freundlich empfangen. Aber ich wollte wissen, was das eigentlich für die Wissenschaftler selbst bedeutet und war direkt in einem Büro des CNRS und sprach dort mit dem Spezialisten Richard Kerner. Im Laufe unserer Unterhaltung begann das Eis zu schmelzen und Kerner wurde immer freundlicher. Heute kommt er zu jeder Premiere von mir. Im Stück „Im Herzen der Unordnung“ beschreibe ich, wie sich die Wissenschafter um eine Röhre scharen, die, gefüllt mit Sand, aus der Waagrechte in die Senkrechte gebracht wird. Der Moment, in dem die Sandkörner zu rutschen beginnen, ist für die Wissenschaft von höchstem Interesse. Und so wie ich es auf der Bühne beschreibe, dass alle dastehen und gebannt diesen Moment erwarten, der auch fotografiert wird und ganz genau vermessen wird, so ist es tatsächlich. Nicht nur in Paris, sondern auf der ganzen Welt. Ich war auch in Chile und konnte dort dasselbe Phänomen beobachten.

Wann begannen Sie eigentlich selbst, Stücke zu schreiben?

Das war 1990, als ich noch mit der Volière Dromesko zusammenarbeitete. Es war ein Spektakel mit 500 Vögeln und vielen Pferden. Ich verkörperte dort einen gewissen Leopold von Fliegenstein, der gegen die Schwerkraft kämpft. In diesem Zusammenhang habe ich mich zum ersten Mal mit diesem Thema beschäftigt und dachte mir, dass ich hier zur Basis dieses Problems vordringen müsse, um es überhaupt zu verstehen. Ich behandle dieses Thema seither in unterschiedlichen Variationen und es ist bis heute mein Thema geblieben. Im Sommer habe ich übrigens vor einen Film über Leopold von Fliegenstein zu machen mit dem Titel „fiction“.

Sie sind Schriftsteller, Schauspieler, Regisseur – in welchem Beruf fühlen Sie sich eigentlich am meisten zuhause?

Im Moment ist für mich alles gleich wichtig. Für mich ist das Erzählen auf der Bühne wichtig, aber auch das Erfinden der Requisiten, die ich verwende. Es spielt alles zusammen. Wenn ich etwas schreibe, dann fällt mir unter Umständen ein System ein, das besser ist als Worte. Ein Bild auf der Bühne, eine Maschine, die das, was ich sagen will besser ausdrücken kann als Worte es können. Aber umgekehrt fallen mir, wenn ich mich mit Maschinen beschäftige, auch oft Wörter ein, Texte, die ich dann verwende. Das ist ein kreativer Prozess der in beide Richtungen hin funktioniert und mir einen Zugang zu meinem Inneren anbietet. Ich brauche diese Arbeit. Sie gibt mir Kraft, Kraft auch, weiter zu leben. Für mich ist es auch der Grund, mit anderen diese Erfahrungen zu teilen, andere über das Theater oder den Film daran teilhaben zu lassen.

Reagiert das Publikum in Deutschland anders auf Ihre Stücke als jenes in Frankreich?

Oh ja, sehr stark. In Frankreich ist das Publikum extrem kopforientiert. Die Leute fragen sich sofort, was ist das?, welche Art von Theater ist das?, in welche Lade kann ich das stecken?, was will uns das sagen?, was ist die Idee?. Erst danach versuchen die Menschen zu urteilen. Das ist sehr schwierig, aber es ist eben dieser ganz spezielle, französische Geist. In Deutschland erlebe ich einen viel organischeren Zugang. Als wir in Bochum waren, habe ich nach der Aufführung mit den Leuten gesprochen, das hat mich sehr berührt. Sie hatten einen ganz anderen, viel ursprünglicheren Zugang mit stärkeren Emotionen. Auch in Chile habe ich das so erlebt. Die Leute dort waren ganz offen und neugierig und die Dimension des „Haufens“ war dort auch noch politisch zu sehen, also ganz anders als in Frankreich.

Wünschen Sie sich etwas von ihrem Publikum, möchten Sie etwas bewirken?

Ich wünsche mir, wie im Stück „Der Haufen“ z.B., dass das Publikum, wenn es aus dem Stück geht, einen Steinhaufen vielleicht ganz anders wahrnimmt und sieht als zuvor. Ich gebe den Menschen mit meinem Stück die Möglichkeit, einen Steinhaufen – oder auch die Welt – anders zu sehen, als sie dies zuvor getan haben. Meine Stücke öffnen die Menschen zu ihrem eigenen inneren Reichtum, das fühlen sie auch. Ich glaube es ist so, als ob sie plötzlich einen Durst empfinden, der in ihnen vorhanden war, aber ganz verschüttet, ganz zugedeckt. An so einem Abend beginnen sie, ihn wieder zu spüren.

Sie spielen gerade das Stück Sexamor, das ja aus einer Zusammenarbeit mit Nadège Prugnard entstanden ist.

Ja, das stimmt. Jeder von uns hat seinen eigenen Text eingebracht. Der Anfang, die Szene mit einem Kapitän, stammt von Nadège, der Rest ist von mir. Es ist aber gänzlich anders als das Stück „Im Herzen der Unordnung“, das auch in dieser Saison in Straßburg aufgeführt wurde. Es erzählt über die Schwierigkeit des Zusammenkommens von Mann und Frau aufgrund der großen Unterschiede der Geschlechter. Mann und Frau sind ja etwas ganz anderes. Es zeigt eine Serie von Versuchen der Annäherung aufgrund der Verschiedenheit. Heute ist die Tendenz sehr stark, dass das Fremde als eine Art Bedrohung gesehen wird. Es besteht aber natürlich eine enorme Anziehung, ein enormer Wunsch sich zu treffen, aber dennoch gehen Beziehungen auch immer wieder auseinander. Es gibt nichts Selbstverständliches in einer Beziehung. In Straßburg wurde das Stück sehr gut aufgenommen. Das Publikum hier ist immer voller Aufmerksamkeit und auch sehr offen.

Was bedeutet für Sie Theater überhaupt?

Theater ist heute der letzte Platz, wo man mit anderen zusammen Zeit hat, zu träumen und zu überlegen. Wo man den Atem hören kann und den Herzschlag spüren kann. Im Theater gibt es nicht diese Einsamkeit, die vor dem Bildschirm entsteht, der Informationen ohne Tiefe übermittelt. Heute triumphiert das Oberflächliche, gerade deshalb ist das Theater heute so wichtig. Es ist so leicht, im Internet zu einem Thema Zugang zu bekommen. Aber der Weg des Fragens ist enorm wichtig. Sich selbst Fragen zu stellen. Die Gefahr ist extrem präsent, dass heute alles für uns gedacht wird. Es ist durch das Internet eine Hierarchie der Antworten entstanden. Kein Mensch klickt sich, wenn er eine Frage gestellt hat, zum Treffer 130 weiter. Wir erleben heute eine falsche, vermeintliche Freiheit. Für mich z. B. ist die ganz persönliche physische Überprüfung der Masse wichtig. Das geht aber nicht im Bildschirm. Schon die kleinen Kinder sind in der Schule damit konfrontiert und der Bildschirm beherrscht die Menschen auf ganz animalische Art und Weise. Wenn Sie in ein Café gehen oder in ein Restaurant und dort ist ein Bildschirm montiert, dann sehen sie, wie sich alle in diese Richtung drehen und ganz gebannt dort hinsehen. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch, dass sich im Internet Widerstand formiert und etabliert. Auch ein wesentlich leichterer Zugang zu Büchern ist festzustellen. Ich bin aber dagegen, dass man sich zum Sklaven des Internet macht.

Arbeiten Sie bereits an neuen Projekten?

Ja ich möchte etwas über die Sprache machen. Über den Kampf der Wörter mit den Gedanken, die wir im Kopf haben. Darüber, wie die Stimme sich einbringt, über die Schwierigkeit des Artikulierens und über alle Töne, die man erzeugen kann, genauso wie jene, die wir nicht gelernt haben. Ich denke darüber nach, wie mach sich hörbar macht, aber auch was es mit der Stille auf sich hat. Wenn ich schreibe, dann tauchen auch gleichzeitig Ideen auf oder auch einzelne Wörter, die mich dann mehr und mehr beherrschen.
Sie haben ja schon viel darüber nachgedacht, ist also das nächste Stück schon fertig?
Nein, ganz und gar nicht. Ich bin erst mitten in den Überlegungen und auch Recherchen.

Möchten Sie den Leserinnen und Lesern dieses Interviews auch noch etwas ganz Persönliches sagen?

Gehen Sie nicht auf die andere Seite der Straße, wenn Ihnen ein Fremder entgegen kommt, sondern riskieren Sie, ihn kennenzulernen!

Ich danke Ihnen herzlich für das Gespräch und wünsche Ihnen viel Erfolg für die kommenden Unternehmungen!