Es ist ein eiskalter später Winternachmittag. Der Bus des OPS (Philharmonisches Orchester Straßburg) steht vor dem Konzertsaal bereit zur Abfahrt. Rund 35 Musikerinnen sowie Musiker haben sich eingefunden um gemeinsam zu ihrem nächsten Auftritt nach Obernai, einem kleinen Städtchen, eine dreiviertel Autostunde südwestlich von Straßburg, zu fahren. Ich habe großes Glück und darf das Orchester begleiten. Kaum sitze ich im Bus werde ich von Viviane Andolfi, der liebenswürdigen und immer quirligen Pressechefin begrüßt – und – kurzerhand umgesetzt. Neben einen sympathischen, dunkelhaarigen Mann. Es ist Rémy Abraham, einer der Hornisten des OPS. Wir hätten hier gleich die Gelegenheit, uns ein wenig über das neue Projekt von Rémy Abraham zu unterhalten, erklärt Frau Andolfi den schon zuvor von diesem Vorhaben in Kenntnis gesetzten Musiker. Eigentlich wollte ich Rémy Abraham kennenlernen, da er ein interessantes, künstlerisches Projekt begleitet hat. Begleitet ist nicht ganz der richtige Ausdruck, er hat komponiert. Die Musik für das Stück „Casting“ der Bläserformation „OPUS“, das im Februar in Straßburg zur Aufführung gelangte. Und so fange ich sofort mit meiner „hochnotpeinlichen“ Befragung an, denn ich weiß, ich habe maximal 45 Minuten, dann sind wir am Ziel und mein Interviewpartner hat keine Zeit mehr für mich.
Herr Abraham, können Sie mir kurz erklären wer ist OPUS?
Ja gerne. OPUS ist ein Bläserensemble, das aus 4 Musikern besteht, die alle in unserem Orchester arbeiten. Sie haben sich zusammengefunden, um außerhalb des großen Orchesters zusammen Musik zu machen. Vincent Gillig (Trompete), Nicolas Moutier (Posaune), Laurent Larcelet (Posaune) und Micaël Cortone d’Amore (tuba) heißen die vier Musiker.
Und « Casting » ihre neue Produktion, was ist das genau ?
« Casting » ist ihre neue, gemeinsame Live-Show. Es ist bereits die zweite, nach « Carmen », die im vergangenen Jahr ein großer Erfolg war. Das war eine Neuadaption der bekannten Oper von Georges Bizet. Allerdings war das Thema nicht in der Arena, sondern auf dem Fußballplatz angesiedelt. Ich habe da aber kompositorisch versucht, mich natürlich an Bizet anzulehnen. Casting ist etwas ganz anderes. In Casting geht es um die Zeit des Kennenlernens der Musiker, die ja alle beim OPS einmal vorspielen – also casten – mussten. Auch um die Zeit des Davor, als sie sich noch nicht kannten und wie sie schließlich zueinander fanden. Das Vorspielen bei einem Orchester ist ja ein wichtiger und auch aufregender Schritt, das wir hier thematisiert haben .
Wie sind Sie in dieses Unternehmen involviert ?
Ich wurde gebeten, für Casting die Musik zu schreiben. Ich habe das ja auch schon für Carmen gemacht und es macht mir großen Spaß.
Wie lange haben Sie dazu gebraucht ?
Es waren ein paar Monate, ich habe im Spätherbst damit begonnen und dann mit den Musikern gemeinsam an dem Projekt gearbeitet. Bei den Proben ist noch vieles dazugekommen, vieles an Ideen eingeflossen. Ich nehme ja auch Rücksicht auf das, was die vier können und gerne machen. Es ist eigentlich ein lustiges Stück, obwohl es auch Zwischentöne hat und einige nachdenkliche Stellen.
So wie das Leben an sich ja auch.
Ja genau, so wie das Leben. Ich wollte das ganz bewusst machen, nicht nur Klamauk auf die Bühne bringen. Aber es ist auch eine Herausforderung für die Musiker, denn sie spielen in allen möglichen und unmöglichen Posen, in denen sie normalerweise ja nicht spielen. Liegend oder gehend mit viel Aktion auch noch den richtigen Ansatz zu finden, ist nicht leicht. Aber unsere Regisseurin, Cathy Dorn, will das so auf die Bühne bringen. Und so manches, was zuerst unmöglich erschien, funktioniert nach ein paar Mal üben doch !
Wird das Stück außer in Straßburg auch noch woanders zu sehen sein ?
Das wissen wir noch nicht. Das ergibt sich meistens erst nach den ersten Aufführungen. Aber schön wäre es natürlich schon, es auch in anderen Städten zu zeigen.
Bläserformationen, die eine eigene Show aufführen, gibt es nicht wirklich viele. Eine davon ist Mnozil Brass.
Ja klar, das ist ja DIE Formation schlechthin, die jeder kennt. Sie sind sicherlich das bekannteste Bläserensemble und wir kennen ihre Arbeit ganz genau und haben uns ihre Musik auch ganz genau angehört. Aber wir machen dennoch etwas völlig Eigenständiges, das damit nicht vergleichbar ist.
Gibt es schon neue Pläne mit OPUS?
Konkret noch nicht, jetzt muss erst einmal diese Show über die Bühne gehen, dann werden wir weiter sehen.
Unser Gespräch findet auf Französisch statt, was nur deshalb wirklich gut funktioniert, weil Rémy Abraham ein wunderschönes, reines akzentreies Französsich spricht, was meinem Hörverständnis sehr entgegen kommt. Während des Interviews fahren wir vorbei an kleinen elsässischen Orten, die allesamt deutsche Namen tragen. Ostwald, Geispolsheim, Innenheim oder Krautergersheim. Ein Erbe, der wechselhaften Geschichte dieses liebenswerten Landes, das so oft seine Staatszugehörigkeit gewechselt hat.
Wenn Sie im OPS spielen und auch nebenbei komponieren, bleibt Ihnen wahrscheinlich nicht viel Zeit, um noch anderen Hobbys nachzugehen.
Ich leite ja auch noch ein anderes Orchester, etwas außerhalb von Straßburg in einer kleinen Gemeinde.
Was ist das für ein Orchester ?
In diesem Orchester, dem Städtischen Orchester von Gambsheim, spielen Profimusiker und Hobbymusiker gemeinsam. Das ist sehr spannend. Wir erarbeiten im Jahr zwei Aufführungen. Mehr ist nicht machbar, denn wir nehmen ja Rücksicht auf Feiertage und Ferien und nicht alle können immer zu unseren Proben einmal wöchentlich kommen. Da brauchen wir diese Zeit, nur um diese Konzerte gut vorzubereiten. Es ist sehr interessant, denn im Laufe der Jahre hat sich das Verhältnis zwischen den Profimusikern und den Hobbymusikern sehr verändert. Anfangs war es so, dass die Profis etwas verächtlich auf die Laien herabgesehen haben. Aber die Einstellung dieser Musiker, der Berufsmusiker hat sich geändert. Jetzt hingegen sind die Hobbymusiker eher reserviert gegenüber den Profis. Diese Sperren in beide Richtungen spielen sich aber alle nur im Kopf ab und sollten überhaupt nicht vorhanden sein.
Das ist ein interessanter Aspekt, den ich noch nie gehört habe. In meinem Heimatland in Österreich gibt es nur einige wenige Orchester, die diese Mischung aufweisen.
Oh, bei uns im Elsass ist das ganz normal. Wir haben ja insgesamt über 200 solcher Orchester. Jede etwas größere Gemeinde hat ihr eigenes Orchester. Das ist eine ganz spezielle, elsässische Tradition, die in der Zeit der deutschen Regentschaft ihre Wurzeln hat. Außerhalb des Elsass ist diese Dichte an Orchestern in Frankreich nicht anzutreffen.
Das heißt, die Elsässer haben eine starke klassische Musiktradition. Sind eigentlich viele dieser Musiker auch Abonnenten des OPS ?
Nein, leider nicht. Ich weise zwar immer darauf hin, welche Konzerte wir spielen und versuche immer die Leute zu animieren, sich das OPS in Straßburg anzuhören, aber es ist schlichtweg ein Zeitproblem, das die Menschen haben. Sie arbeiten alle und investieren schon Zeit in ihr eigenes Orchester, proben dann auch noch zu Hause, haben Familie. Da ist es schwer, sich dann noch einmal abends wegzueisen und nach Straßburg zu fahren. Leider.
Wir sind in der Zwischenzeit bei leichtem Schneefall in Obernai angekommen. Noch einige wenige Kurven, und der Bus wird neben der Kirche haltmachen, in der das Konzert mit Werken von Mozart und Schubert stattfindet. Ich würde noch gerne mehr Fragen an Rémy Abraham stellen, aber jetzt benötigt er die noch verbliebene Zeit, sich selbst ein wenig vorzubereiten.
Herr Abraham, ich wünsche Ihnen viel Glück und toi, toi, toi, sowohl für das heutige Konzert als auch für « Casting » !
Ich danke Ihnen vielmals!
Eine halbe Stunde später sitze ich in der sehr kühlen Kirche, bewundere die Kältetauglichkeit des Orchesters und höre an diesem Abend in den Konzerten ganz besonders auf das Horn von Rémy Abraham. Was ja weiter nicht verwunderlich ist.
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