Samudaripen – der vergessene Genozid
06. März 2010
In Deutschland war es der Hungerstreik einer Gruppe um den Sinto Romani Rose im ehemaligen Kz Dachau, der 1980 dafür kämpfte, dass seine Volksgruppe als unter den Nazis verfolgt, anerkannt wurde. Sein Kampf war erfolgreich. 2 Jahre später wurden den Sinti und Roma auf eine Initiative des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt dieses Recht zuerkannt. Obwohl […]
Michaela Preiner
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visuel SAMUDARIPEN

Samudaripen im Pôle-Sud in Straßburg (c) Mustapha EL GUEZOULI

In Deutschland war es der Hungerstreik einer Gruppe um den Sinto Romani Rose im ehemaligen Kz Dachau, der 1980 dafür kämpfte, dass seine Volksgruppe als unter den Nazis verfolgt, anerkannt wurde. Sein Kampf war erfolgreich. 2 Jahre später wurden den Sinti und Roma auf eine Initiative des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt dieses Recht zuerkannt. Obwohl bereits Ende des 18. Jahrhunderts die Mitglieder der Volksgruppen der Sinti und Roma sich im deutschen Sprachraum als solche bezeichneten, wurde auch erst in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die Bezeichnung „Zigeuner“ aus dem alltäglichen Sprachgebrauch verdrängt. In Frankreich ist das Szenario jedoch anders. Bis heute haben die unter dem Sammelbegriff der „Tzigane“ lebenden Roma, Sinti oder Manouches und Gitans – letztere stammen aus dem Süden Frankreichs, Spaniens oder Portugal, keine adäquate Bezeichnung ihrer Abstammung in der Umgangssprache gefunden. Ein Umstand, der im Hexagon, so hat es den Anschein, aber keine Fragestellungen aufwirft. Und Samudaripen, so nennt sich in Frankreich der Genozid an den Tziganes während des Naziregimes, aber nicht einmal dieser Begriff wird einheitlich verwendet, ist weit davon entfernt, von der Regierung überhaupt nur behandelt, geschweige denn anerkannt zu werden. Im elsässischen Straßburg gab es Mitte Februar 2010 eine kleine kulturelle Aufarbeitung dieses tragischen Geschehens. Die Aufführung des Stückes „Samudaripen“ im Pôle-Sud, die Ausstellung von Grafiken am selben Veranstaltungsort von Sebastien Kuntz, sowie der Film „Liberté“ von Tony Gatlif, der sich demselben Thema widmet, bildeten eine Trilogie, die mit unterschiedlichen, künstlerischen Zugängen arbeitete und das dunkle zeithistorische Kapitel ein wenig unter die Lupe nahm.
Während sich das Publikum im Pôle-Sud seine Plätze sucht, spielt eine kleine Band am linken Bühnenrand postiert, Stücke ganz im Stil von Django Reinhardt, dem berühmten französischen Gitarrenvirtuosen, der dem Volk der Manouche angehörte. Eine lockere Einstimmung, die nach dem Verlöschen des Lichts von einer Sekunde auf die andere ins Tragische, Unbeschreibliche, Grauenhafte kippt. Ein Stacheldraht trennt das Geschehen auf der Bühne vom Publikum. Ein Wachturm und Flutlicht – mehr braucht es an Bühnenbild nicht, um sich im Hof eines Konzentrationslagers wiederzufinden. 4 Männer in gestreiften Gefangenenanzügen mit ebensolchen Kappen am Kopf, laufen im Trippelschritt wie unter Kommando im Kreis, stellen sich in Reih und Glied nebeneinander auf und lauschen den Hasstiraden vom Band. Als primitiv und völkergefährdend werden sie bezeichnet, wobei historische Filmaufnahmen Politiker zeigen, die sich in diesen Hasstiraden suhlen. Immer wieder knickt der eine oder andere Mann ein, wie von den erniedrigenden Worten körperlich getroffen. Was nun in der kommenden Stunde gezeigt wird, ist aber nicht zeitgenössisches Tanztheater mit elaborierten Tanzfiguren, sondern Hip-Hop der anspruchsvollsten Art, der oft mit Slam-Rap und Jazz – wie eingangs beschrieben – unterlegt wird. Die Texte erzählen davon, was die Männer verloren haben, wie menschenunwürdig sie behandelt werden und wie sie schließlich auch ihren Tod finden. In zuckenden Bewegungen stirbt einer von ihnen am Boden vor seinen Kameraden, die ihm nicht helfen können. Bei der Essensausgabe stellen sie sich hintereinander in eine Reihe und versuchen immer wieder, sich mit allen Mitteln nach vorne zu drängen. Wenn der Mensch all seiner Würde beraubt wird und um sein Überleben kämpfen muss, wird er zum Tier, das keinen Freund unter seinesgleichen mehr kennt. Mehrfach wird diese Thematik deutlich vor Augen geführt. Ein Aufseher in langem Mantel, der Anweisungen in sein Handy brüllt, beaufsichtigt die Männer während ihrer Zwangsarbeit, die in ihrer schweißtreibenden und anstrengenden Tanzsprache gut nachvollzogen werden kann. Als die Häftlinge beginnen, sich zu kratzen, sodass man meint, sie würden sich die Krätze von der Haut reiben wollen und sich vor Wahnsinn dabei am Boden winden, wünscht man sich, das Grauen nicht länger mit ansehen zu müssen. Und da wird es einem bewusst. Was ist eine Stunde getanzte Qual gegen Monate und Jahre im Konzentrationslager? Nicht einmal die lyrische Passage des Tanzes mit der Gitarre, zu der ein altes, von einer Frau gesungenes Volkslied erklingt, mildert den von Beginn an vorhandenen bitteren Geschmack – und das ist gut so. Denn gerade der getanzte Hip-Hop verleitet leicht, vom Drama des Geschehens abzulenken, würden sich die neuen Schreckensbilder nicht ständig abwechseln. Nur einer der Häftlinge überlebt dieses Inferno, das, wie es der Nachspann auch aufzeigt, wie ein Menetekel nach wie vor im Raum schwebt. Neue Tiraden von rechtspopulistischen Politikern klingen wie jene vor 80 Jahren und sollten bekämpft und im Keim erstickt werden. Yan Gilg, der die künstlerische Leitung über hatte und Mickaël Stoll, der für die Choreografie verantwortlich zeichnet, haben sich dennoch mit dieser Produktion der Companie Memoires Vives auf einen schmalen Grat begeben. Unaussprechliches Grauen in eine künstlerische Form zu gießen, die den Geschmack von Jugendlichen trifft, war beabsichtigt. Das Fernsehen mit seiner Live-Übertragung des Todes hat aber dazu beigetragen, dass viele diesbezüglich abgestumpft wirken. Ich hoffe, mein Eindruck trügt und die Botschaft traf ihre Empfänger tatsächlich tief in ihrem Inneren.

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Sébastien Kuntz, Samudaripen (c) DR

Die Ausstellung des Künstlers Sebastien Kuntz im Untergeschoss des Pôle-Sud, die zeitgleich mit den Aufführungen präsentiert wurde, zeigte schwarz-weiße aber auch Farblithographien zum Thema. Im Kreis zusammengepferchte, bunte Wagenkolonnen, umgeben von Soldaten mit Waffen, assoziieren die Verfolgung der „Tziganes“ während des Vichy-Regimes und dann unter den Nazis. Seine, einem leichten Strich folgenden Beschreibungen der Vernichtung, atmen den Wind des Vergessens und lassen Unbeschreibliches tatsächlich unbeschrieben. Wie von einem Hurricane werden ganze Pferde- und Wagenkolonnen in die Lüfte emporgehoben, um zu verschwinden aus dem Hier und Jetzt. Es sind keine einzelnen Gesichter, keine einzelnen Persönlichkeiten, die er wiedergibt, sondern die Zusammenballung von Menschen, die sich der Tyrannei ihrer Verfolger nicht erwehren können. So bunt ihre Wagen, so schwarz ist die Übermacht ihrer Feinde. Die Erhebung in die Lüfte ist der einzige Lichtblick, der aber nicht zum Leben, sondern zum Tod führt. Ein Auflösen, das einer Erlösung gleichkommt.

Liberté, der Kinofilm des französischen Filmemachers, Schauspielers, Komponisten und Regisseurs Tony Gatlif, mit algerischen und Sintiwurzeln, entlässt sein Publikum ebenso mit Bildern von Unterdrückung und Inhaftierung. Aber – und darin liegt auch seine Stärke, er vermittelt auch, dass es Menschen gab, die versuchten, gegen den Strom zu schwimmen und den Tziganes zu helfen. Der Tierarzt und Bürgermeister einer kleinen Gemeinde ist mit der Lehrerin, Fräulein Montag, der einzige, der die Courage hat, ein Zeichen zu setzen. Er verkauft das alte Gut seiner Vorfahren gegen den symbolischen Wert von 10 Francs an eine Familie, die bereits ins Lager verfrachtet wurde. Von dort freigelassen, aufgrund der Tatsache eigenen Grund und Boden zu besitzen, gelingt es ihnen dennoch nicht, zwischen den dicken Steinmauern zu leben, da dies nur eine andere Art von Freiheitsberaubung für sie darstellt. In schönen, oftmals beinahe romantisierenden Bildern, aber vor allem mit beeindruckenden schauspielerischen Leistungen, wie jener von James Thierree, der in der Person des verrückten Außenseiters zeigt, was Naturverbundenheit und Freiheit wirklich bedeutet, erzählt Gatlif die bedrückende Geschichte des Genozids anhand einer umherziehenden Sippschaft.

Was nach all den kulturellen Aufarbeitungen bleibt, ist nicht nur, über Samudaripen etwas erfahren zu haben, sondern vor allem die Erkenntnis, viel zu wenig zu wissen, über die rund 2000 Tziganes, die heute mit mir in Straßburg leben. Vielleicht aber gelingt eine Annäherung im Juli, wenn ihnen ein eigenes Festival hier gewidmet sein wird. Wir werden berichten.

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