Dass sie sich aber auch auf eine ferne Reise nach Afrika begeben können und dort allerlei Abenteuer erleben, das sieht man nur im Figurentheater Lilarum.
Der Februar steht im Theater in der Göllnergasse im 3. Bezirk ganz im Zeichen von Mausi und Klausi. So heißen die beiden Mäuse, die unfreiwillig ihren Heimatort verlassen müssen. Klausi seinen Bauernhof und Mausi ihr bequemes Mäusedasein in einem kleinen Lebensmittelgeschäft. Als sie der Besitzer des Ladens fangen will, springen sie flugs in eine Konservendose und spülen sich damit vom Klo in den Kanal, bis sie schließlich aufs offene Meer treiben.
Letztlich landen sie in Afrika und lernen, warum man als blinder Passagier gar nicht blind sein muss, was eine Fata Morgana ist und wo die Störche überwintern. Der Klassiker von Hans Escher, der seit 2007 immer wieder Kinder zum Lachen und Staunen bringt, wartet mit einem wunderschönen Bühnenbild auf, in dem man sich im Meer verlieren kann oder Durst bekommt, wenn die beiden Mäuse mit einem Kamel durch die Wüste marschieren. Dass am Schluss noch eine große Flugreise angetreten wird, damit es auch wirklich zu einem Happyend kommt, versteht sich fast von selbst.
Kompositionen von Alexander Kukelka animieren zum Träumen aber auch Mitsingen, was ganz leicht möglich ist. Die CD „Mausi und Klausi fahren nach Afrika“ ist im Shop des Lilarum erhältlich. Zum Vorbereiten, Nachhören oder auch beides.
Lila ist ein österreichisches Mädchen, 11 Jahre alt und so wie alle anderen Mädchen in ihrem Alter in diesem Land auch: Traurig, lustig, aufmüpfig. Der einzige Unterschied – sie hat einen afrikanischen Vater und daher eine dunkle Hautfarbe. Als ihre alleinerziehende Mutter mit ihr von der Großstadt in die Provinz zieht, beginnen ihre Probleme.
„Schwarzweißlila“, das Stück des Autors Volker Schmidt, der zugleich Regie führte, erhielt vor bereits acht Jahren den Berliner Kindertheaterpreis. In seiner Aussage ist es jedoch absolut zeitlos.
Lila, die Hauptfigur, in vielen Facetten von Nancy Mensah-Offei beeindruckend gespielt, leidet nicht nur unter dem Ortswechsel. Ihre Mutter spricht mit ihr nicht über ihren Vater und so sind der Spekulation, wer er denn war, oder was er denn heute mache, Tür und Tor geöffnet. Schon bald lernt sie auf ihrem neuen Weg zu Schule Manfred, einen Automechaniker, kennen, der ihr nach anfänglichen, kleinen Reibereien väterlich zur Seite steht. Sven Kaschte spielt den rot bemützten jungen Mann, der von vielerlei Ängsten geplagt ist, sich aber trotzdem wacker durchs Leben schlägt. Er überzeugt nicht nur in dieser Figur, sondern auch in jener eines schrulligen Kartenverkäufers von der Bahn, der jedoch geistesgegenwärtig Lila davon abhält, alleine mit dem Zug zu fahren. Nicht zuletzt schlüpft er aber auch in die Rolle von Dennis` stressgeplagtem Vater. Jenem Dennis (Josef Mohamed überzeugt als Pubertierender in jeder Szene), der Lilas erster Freund in der neuen Schule wird. Dass sich die beiden zu Beginn als Milchkaffee und Topfen beschimpfen, ist mit kindlicher Neckwut zu erklären.
Thea Hoffmann-Axthelm schuf ein Surrounding aus weißen, übereinander gestapelten Schachteln, auf die zeitweise Live-Aufnahmen von kleinen Kameras projiziert werden. Auf den Schachtelrückseiten sind verschiedene Architekturteile wie Fenster gemalt, aber auch kleine Häuser, die je nach Bedarf neu zusammengruppiert werden.
Mira Tscherne spielt von fürsorglich bis überfordert Lilas Mutter, die sich lange wehrt, über den Verbleib des Vaters Auskunft zu geben. Aus diesem Grund hat das Mädchen eines Tages die Nase voll und beschließt, sich selbst auf die Suche nach ihm zu machen. Nur welchen Zug nimmt man nach Afrika? Den REX oder den IC? Volker Schmidt schuf einen wunderbar getimten Text, in dem Probleme offen angesprochen werden, zugleich jedoch aber immer auch der nötige Humor beigepackt wird, sodass viel gelacht werden darf.
Schwarzweißlila im Dschungel Wien (c) Ani Antonova
Klarerweise am allermeisten an jener Stelle, an welcher Lilas Mutter im großen Finale dem Vater von Dennis eine Geburtstagstorte ins Gesicht klatscht. Herr Basuro, Asylant aus Ghana, der vorgibt aus Simbabwe zu sein, um in Österreich Aufenthalt zu bekommen, steht daneben und kann sich, so wie das junge Publikum, vor Lachen gar nicht mehr erholen. Er muss, ungewollt und unwissend, auf Lilas Geburtstag ihren Vater mimen. Dass das nicht wirklich gut geht, versteht sich von selbst. Zuvor werden jedoch jede Menge Klischees verhandelt, vor allem wenn Lila über ihren Vater nachdenkt, der in ihrer Fantasie in Afrika ein König mit viel Landbesitz ist. Auch Futurelove Sibanda lässt in seiner Rolle als Flüchtling mit Heimweh ein Afrika-Bild auferstehen, das von Sozialromantik geprägt ist. Die Familie, die sich abends um das offene Feuer versammelt, die Frauen, die Mais stampfen. Schmidt setzt all diese Bilder und Vorurteile – „du läufst wie eine afrikanische Gazelle“ oder „die essen mit den Händen!“ – ganz bewusst ein, und konterkariert vieles davon mit dem ungestümen Wesen seiner Hauptdarstellerin. Da sie nicht auf den Mund gefallen, sondern ganz im Gegenteil auch den Erwachsenen rhetorisch überlegen ist, kontert sie jedes Mal mit einem verbalen Gegenschlag, der es in sich hat. „Das Niveau ist hier nur peripher kartographiert“, lästert sie zum Beispiel an einer Stelle und meint damit, dass alle rund um sie dumm sind. Sehr zur Freude von Dennis, der damit seinem Vater die Intelligenz seiner Freundin wie auf einem Serviertablett präsentiert.
Schwarzweißlila im Dschungel Wien (c) Ani Antonova
Das versöhnliche Ende macht Mut. Nicht nur Lila selbst, sondern allen Kindern und Jugendlichen, die meinen, ihre Familien lägen außerhalb der Norm, die sich in dem Alter so ziemlich alle wünschen. Die Geschichte von Schwarzweißlila ist so wie unser Leben: Weder schwarz noch weiß, sondern vor allem lila! Eine Produktion vollgepackt mit Humor, toller Musik, einem spannenden Thema und vor allem – sympathischen Menschen.
„Ikarus – oder der Traum vom Fliegen“ ist ein Tanztheater für Kinder ab 6 Jahren. Erik Kaiel, in Innsbruck geboren, aber in den USA aufgewachsen und seit einiger Zeit in den Niederlanden beheimatet, schuf dafür nicht nur eine eigene, spannende Geschichte, sondern auch die Choreografie dazu.
Mit Ikarus verbindet man die antike Sage jenes Jungen, der trotz Warnung zu nah an die Sonne flog, weswegen ihm seine mit Wachs zusammengehaltenen Flügel schmolzen und er daraufhin abstürzte. Kaiel verwendet diese Vorlage nur mit einem entfernten Nachhall. Bei ihm geht es viel mehr darum, dass der Mensch in seinem Tun beflügelt werden kann – oder auch behindert.
Dies zeigt er exemplarisch am Beispiel eines Mädchens, das wohl behütet bei seinen Eltern aufwächst. Maartje Pasman vollführt zu Beginn mit ihren Händen in der Luft geschäftige Tätigkeiten, die man nicht sofort deuten kann. Erst im Laufe der Vorstellung wird klar, dass sie damit ihren Alltag markierte. Die Beschäftigung mit Dingen, die man um sich hat, um die man sich kümmert, einen Tagesablauf, in den man wie selbstverständlich eingebunden ist, das ist es, was sie vorführt. Mit den Eltern am Tisch zu sitzen, aber sich auch alleine die Zeit vertreiben, wenn diese bei der Arbeit sind, wird ebenso gezeigt. Nichts Spektakuläres also, sondern ein Geschehen, das alle Kinder nachvollziehen können.
Ein weißes Ruder, das die junge, zierliche Tänzerin gleich von Beginn an in ihrem ersten Auftritt verwendet, wird im Laufe der Geschichte mehrere Bedeutungsebenen erhalten. Es wird damit jedoch nicht nur gerudert, sondern auch darauf geschlafen oder mit ihm gekämpft. Nicht zuletzt symbolisiert es jene materiellen Dinge, die uns umgeben, die unser vertrautes Umfeld bilden. Mit einem Wort – Besitz. In Kaiels Inszenierung steht das Ruder aber auch als Symbol für alles Vertraute an das wir uns gewöhnt haben und das wir nicht missen möchten.
Steffi Jöris und Rino Indiono tanzen Mutter und Vater, die nach der anfänglichen Harmonie versuchen, aus ihrer beengten Umwelt auszubrechen. Die düstere Licht- und Soundführung dieser Szene macht klar, dass sie sich an einem Ort befinden, der seinen Menschen keine Freiheit lässt. „Ich wollte die Geschichte nicht in ein bestimmtes Land versetzen“, meinte Kaiel bei einem Interview. Die kleine Familie könnte in Nordkorea ebenso zuhause sein wie in Syrien oder einem anderen Land, in dem für die Menschen der Begriff Freiheit abstrakt bleibt. Im Kniestand sitzend, hieven sich Vater, Mutter und Kind mit Schwung immer wieder hoch, scheitern aber ein ums andere Mal, einen festen Stand zu erreichen. Da helfen auch ihre angedeuteten Flügelschläge nichts.
Die Bedrohung nimmt schließlich so große Ausmaße an, dass die Familie gezwungen ist, ihr Heim zu verlassen. In einer langen Passage, während der das Licht heruntergefahren wird und in der sich alle permanent an den Händen halten, werden die drei förmlich durch den Bühnenraum geschleudert. Auf der Flucht sein, das wird hier klar, hat nichts mit Kuscheln zu tun. So werden sie von imaginären Wellen gepeitscht, die ein kleines Boot ins Schleudern bringen, man kann sich aber auch andere Umstände vorstellen, die ihnen in diesem Moment alles abverlangen, um beisammen bleiben zu können.
Der Eintritt in ihr neues Leben ist kein leichter. Das, was die kleine Gruppe in ihrer neuen Heimat erwartet, hat nichts mit einer schlagartigen Verbesserung ihrer Lebensumstände zu tun. Die auf sie einwirkende Gewalt ist zwar gewichen, aber die Hilflosigkeit erfasst nicht nur das Mädchen, sondern auch die Erwachsenen. Es dauert eine lange Strecke mit einem schönen, zeitgenössisch getanzten Pas de deux von Jörris und Indiono, bis sich das Paar endgültig wieder gefunden und Vertrauen in seine gemeinsame Zukunft gefasst hat. Maartje Pasman hingegen sitzt bockig und traurig inmitten eines aus Life-Westen errichteten Schutzwalls. Bis sie wieder glücklich wird, bedarf es ein Weilchen, aber der Schluss in der Geschichte um den Traum vom Fliegen, stimmt richtig versöhnlich.
Ikarus oder der Traum vom Fliegen im Dschungel Wien (c) Ani Antonova
Nicht nur, dass sich alle wieder in ihrem Gleichgewicht befinden und ihre Beziehungen untereinander wieder aufnehmen können. Es geschieht auch noch ein kleines Wunder: Denn das mit dem Fliegen geht ja dann doch!
„Ikarus – oder der Traum vom Fliegen“ lebt von einer tollen und kurzweiligen Choreografie, in der die Bewegungen den Ausdruck der Sprache übernehmen. Die musikalische – auf den Punkt stimmende – Untermalung, aber auch die richtige Taktung der Szenen und allen voran die Leistung der drei Tanzenden ergeben eine höchst gelungene Vorstellung. Sie bietet nicht nur die Möglichkeit mit Kindern und Jugendlichen über Aufbrüche im Leben zu sprechen. Bei ihr darf man auch tief in den zeitgenössischen Tanz eintauchen. In eine Bewegungsform, mit der man gar nicht früh genug in Berührung kommen kann, um Ängste davor gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Termine für weitere Aufführungen auf der Seite des Dschungel Wien.
Koffer packen ist aufregend. Was soll hinein? Wo geht´s hin? Was bleibt zuhause? Und kann man sich eigentlich selbst einpacken?
Sa und La (Sarah Gaderer und Laura-Lee Röckendorfer) möchten einen großen Koffer packen. Einen, der so groß ist, wie eine ganze Bühne. Denn schließlich haben sie ja jede Menge einzupacken. Angefangen von einem Regenschirm, über einen Katzenkopf bis hin zu einer Sonne und noch viel, viel mehr möchten sie mitnehmen.
Dass dabei rasch ein Gerangel entsteht, versteht sich von selbst. Aber auch, dass sich beide einige sind, den großen, schwarzen Koffer gemeinsam weiterzuschieben. Schließlich ist er so schwer, weil sich darin so viele aufgeblasene Luftballons versteckt haben, aber auch zwei gute Freunde.
„Vidulus, vidulus, füll dich mit Wünschen“ – das können schon die Allerkleinsten im Handumdrehen mitsingen. Nichtwissend, aber zumindest intuitiv erfassend, dass mit Vidulus der Koffer gemeint ist, um den sich in der Produktion „Viduli – ich packe meinen Koffer“ alles dreht. Vidulus bedeutet nichts Anderes als Koffer im Lateinischen – wer hätte gedacht, dass Fremdsprachenlernen so leicht geht!
Das Ensemble nuu, das vor wenigen Monaten erst mit der Produktion „moon awooh“ im Dschungel in Wien zu sehen war, schafft es, mit viel Fantasie, Humor und großem Einfühlungsvermögen für die ganz Kleinen ein Theatererlebnis zu schaffen, bei dem keiner der Zwerge auch nur 1 Minute unruhig am Platz zu wetzen beginnt.
Wenn sich Sa und La puffen und gegenseitig ihre kleinen Brettchen wegnehmen, auf denen sie zuvor mit Klebeband die Dinge aufgeklebt haben, die sie einpacken möchten, dann glucksen und lachen die Kinder, dass es eine wahre Freude ist. Wenn sich La im Repeat-Modus immer wieder wie ein Roboter-Klappmesser zusammenfaltet, dann steigt die Spannung, denn einen lebenden Roboter bekommt man ja nicht alle Tage zu sehen.
Dass man am Ende der Vorstellung sogar noch selbst das Koffereinpack-Spiel üben darf, gibt dem Stück erst die richtige Würze. Ein kleiner Tipp: Nach Vorstellungsbesuch Klebebänder zuhause gut verwahren, sie könnten flugs zum neuen Spielzeug mutieren.
Was ist ein Mädchen, wie sieht es aus, woran erkennt man ein Mädchen, was isst es gerne und wovon träumt es?
Fragen über Fragen, die sich derzeit das Publikum im Dschungel stellen kann. In „Mirjam & Myriam“ oder: Sieh dich vor, im Traum eines kleinen Mädchens gefangen zu sein darf nicht nur zugeschaut, sondern auch nachgedacht werden.
Der Text und die Regie stammen von Katharina Kummer, die per Chat viele Interviews zum Thema Mädchen geführt hat. Myriam Rossbach und Mirjam Schollmeyer geben den vielen Mädchengesichtern Ausdruck und verschleiern dabei mehr, als dass sie klar machen. Darin liegt die Stärke dieser Produktion, die vieles anreißt, aber nichts determiniert. Außer: Dass es so viele Vorstellungen von Mädchen gibt, wie es Träume gibt.
In diesen kommen Prinzessinnen genauso vor wie Diktatorinnen, Kämpferinnen wie verträumte Wesen. Wer nun real und wer nun der Traum ist, bleibt offen. Ob es schön ist ein Mädchen zu sein, oder eher beschwerlich, auch das darf man sich aussuchen.
Wer im Theater nicht auf eine bestimmte Geschichte fixiert sein möchte, der wird Spaß daran haben, sich mit dem Mädchenflow treiben zu lassen. Und auch als Erwachsener darf man dabei noch einmal in jene Gefühlswelt eintauchen, in der es große Schlösser und bedrohliche Monster gab, die sich im Schlaf über einen beugten. Einzige Voraussetzung für diesen Kulturgenuss: Kopf abschalten und einfach treiben lassen!
Der Jugendroman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, der von Robert Koall kurz nach dem Erscheinen des Buches bühnentauglich gemacht wurde, ist nun im Theater im Zentrum zu sehen. Ein Stück, das mittlerweile zu den meist gespielten auf den deutschsprachigen Bühnen gehört. Und das zu Recht.
Sie heißen Maik und Andrej und haben gerade die 4. Klasse des Gymnasiums abgeschlossen. Zu Andrej sagen alle nur Tschick, weil sein Familienname Tschichatschow unaussprechlich ist. Maik hat keinen Spitznamen, denn unauffällige oder langweilige Mitschüler bekommen einfach keinen. Und Maik gehört zu den langweiligen. Denkt er. Maik und Tschick gehen zwar in dieselbe Klasse, haben aber sonst weiter keine Gemeinsamkeiten. Bis zu jenem Tag, an dem die Ferien begannen.
Tschick mit Meo Wulf und Luka Dimic (c) Rita Newman
Thomas Birkmeir schafft es in seiner Inszenierung, das „Roadmovie“ der beiden sich selbst überlassenen Jugendlichen ohne Umbauten, nur mit cleverem Einsatz von Requisiten, Licht und Ton trotz der artifiziellen Bühnenumgebung höchst glaubhaft durchzuziehen. Da genügen zwei Campingstühle, um einen Lada zu imaginieren, ein Fauteuil reicht als Sinnbild für ein gutbürgerliches Wohnzimmer. In rotes Licht wird die Bühne dann getaucht, wenn Maik und Tschick mit ihrem gestohlenen Auto einen Unfall bauen und ganz zum Schluss kommt man sich, dank einer herrlichen Projektion, vor, als würde man sich mit Maik und seiner Mutter schwerelos unter Wasser im Familienswimmingpool bewegen.
Szenefotos / Theater im Zentrum, 1010 Wien
Bis dahin geschieht aber jede Menge. Die beiden Jungs, die nichts Anderes erleben wollen als einen Urlaub, so wie alle anderen auch, büchsen von zuhause aus und fahren ohne Landkarte quer durch Deutschland in Richtung Wallachei. Denn dort hat Tschick einen Opa mit nur einem Goldzahn. Dabei werden sie dicke Freunde und erleben Abenteuer um Abenteuer. Birkmeier taktet die einzelnen Szenen wie aus der Gebrauchsanleitung (die es leider nicht gibt!) für Dauerbrenner-Komödien. Lacher – und die nicht zu knapp – an den richtigen Stellen, ein wenig Melancholie, aber auch Spannung ergeben eine wunderbare Melange, die den Abend wie im Flug vergehen lässt.
Dabei hilft ihm nicht nur die tolle Vorgabe von Herrndorf, jenem Autor, der 2013 erst 49jährig an einem Gehirntumor verstarb. Die Presse war damals voll mit seiner Todesnachricht, denn Herrndorf hatte ein Jahr lang im Netz seinen Leidensweg dokumentiert. Sein Buch verkaufte sich weit über 1 Million Mal, nicht zuletzt wegen der unprätentiösen Sprache, die Herrndorf darin verwendete. Birkmaier kann auch auf ein großartiges Ensemble zurückgreifen – mit zwei jungen Schauspielern, denen man nicht müde wird zuzusehen. Meo Wulf spielt den wohlstandsverwahrlosten aber nachdenklichen Maik und tut dies im Erzählmodus, dem Publikum zugewandt. Luka Dimic an seiner Seite schlüpft in die Rolle von Tschick. Mit so unglaublich großem, komödiantischem Talent, dass es ein wahres Fest ist, ihm zuzusehen. Die beiden ergänzen sich auch durch ihre verwendeten Idiome ideal. Wulf, Hamburger, der derzeit im 4. Jahrgang am Max Reinhardt Seminar studiert, glänzt mit feinem Bundesdeutsch, während sich Dimic, geboren in Sarajewo, mit der harten Aussprache des Deutschen, wie sie russischstämmige Einwanderer pflegen, überhaupt nicht schwer tut. Eine mit Bedacht ausgewählte, sehr gelungene Besetzung.
Vor allem jene Szenen, in welchen die beiden auf Reisebekanntschaften der besonderen Art stoßen, sind reine Lachnummern. Da werden sie zu Beginn von einer Ökofamilie zum Essen eingeladen, um nur ja nicht im verpönten Supermarkt einkaufen zu müssen. Ein dementer Kriegsveteran nimmt sie kurzerhand in Geiselhaft und eine überdrehte Sprachtherapeutin beschert Tschick ausgerechnet bei einer Erste-Hilfe-Leistung ein gebrochenes Bein. Felicitas Franz gibt der jungen Pennerin Isa vielfältigste Konturen und nimmt mit ihrer ungestümen und frechen Art das Publikum im Handumdrehen für sich ein. Uwe Achilles spielt nicht nur den Kotzbrocken-Vater von Maik, sondern auch Horst Fricke, jenen schießwütigen Alten, der sich mit seinen amputierten Beinen auf einem Wägelchen fortbewegt, das er durch händisches Antauchen in Bewegung bringt. Pia Baresch glänzt in der Mutterrolle von Maik als ständig betrunkene Frau, die aber ihr Herz am rechten Fleck hat und in immer kürzeren Abständen in eine als „Schönheitsklinik“ titulierte Entzugsanstalt gebracht werden muss. Als Sprachtherapeutin überfällt sie, mit dicken Fettpolstern ausgestattet, den faszinierten Tschick und liefert dabei eine komödiantische Glanznummer ab.
Die berührende und humorige Geschichte der beiden Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsenwerden funktioniert nicht zuletzt deshalb so gut, weil sie realistisch aufgebaut auch einen Schluss anbietet, der zwar vieles offen lässt, das Leben aber doch von einer Seite zeigt, die wunderschön ist. „Ich glaube, das war der tollste Sommer“ sind die Schlussworte von Maik. Nach dem, was man gesehen hat, hat er sicher hundertprozentig recht.
Empfehlung: Ein Stück, an dem nicht nur Jugendliche großen Spaß haben werden. Wenn möglich also Karten gleich für die ganze Familie besorgen!