Der tollste Sommer, den es je gab

Der Jugendroman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, der von Robert Koall kurz nach dem Erscheinen des Buches bühnentauglich gemacht wurde, ist nun im Theater im Zentrum zu sehen. Ein Stück, das mittlerweile zu den meist gespielten auf den deutschsprachigen Bühnen gehört. Und das zu Recht.

Sie heißen Maik und Andrej und haben gerade die 4. Klasse des Gymnasiums abgeschlossen. Zu Andrej sagen alle nur Tschick, weil sein Familienname Tschichatschow unaussprechlich ist. Maik hat keinen Spitznamen, denn unauffällige oder langweilige Mitschüler bekommen einfach keinen. Und Maik gehört zu den langweiligen. Denkt er. Maik und Tschick gehen zwar in dieselbe Klasse, haben aber sonst weiter keine Gemeinsamkeiten. Bis zu jenem Tag, an dem die Ferien begannen.

Tschick mit Meo Wulf und Luka Dimic (c) Rita Newman

Tschick mit Meo Wulf und Luka Dimic (c) Rita Newman

 

Thomas Birkmeir schafft es in seiner Inszenierung, das „Roadmovie“ der beiden sich selbst überlassenen Jugendlichen ohne Umbauten, nur mit cleverem Einsatz von Requisiten, Licht und Ton trotz der artifiziellen Bühnenumgebung höchst glaubhaft durchzuziehen. Da genügen zwei Campingstühle, um einen Lada zu imaginieren, ein Fauteuil reicht als Sinnbild für ein gutbürgerliches Wohnzimmer. In rotes Licht wird die Bühne dann getaucht, wenn Maik und Tschick mit ihrem gestohlenen Auto einen Unfall bauen und ganz zum Schluss kommt man sich, dank einer herrlichen Projektion, vor, als würde man sich mit Maik und seiner Mutter schwerelos unter Wasser im Familienswimmingpool bewegen.

Szenefotos / Theater im Zentrum, 1010 Wien

Szenefotos / Theater im Zentrum, 1010 Wien

Bis dahin geschieht aber jede Menge. Die beiden Jungs, die nichts Anderes erleben wollen als einen Urlaub, so wie alle anderen auch, büchsen von zuhause aus und fahren ohne Landkarte quer durch Deutschland in Richtung Wallachei. Denn dort hat Tschick einen Opa mit nur einem Goldzahn. Dabei werden sie dicke Freunde und erleben Abenteuer um Abenteuer. Birkmeier taktet die einzelnen Szenen wie aus der Gebrauchsanleitung (die es leider nicht gibt!) für Dauerbrenner-Komödien. Lacher – und die nicht zu knapp – an den richtigen Stellen, ein wenig Melancholie, aber auch Spannung ergeben eine wunderbare Melange, die den Abend wie im Flug vergehen lässt.

Dabei hilft ihm nicht nur die tolle Vorgabe von Herrndorf, jenem Autor, der 2013 erst 49jährig an einem Gehirntumor verstarb. Die Presse war damals voll mit seiner Todesnachricht, denn Herrndorf hatte ein Jahr lang im Netz seinen Leidensweg dokumentiert. Sein Buch verkaufte sich weit über 1 Million Mal, nicht zuletzt wegen der unprätentiösen Sprache, die Herrndorf darin verwendete. Birkmaier kann auch auf ein großartiges Ensemble zurückgreifen – mit zwei jungen Schauspielern, denen man nicht müde wird zuzusehen. Meo Wulf spielt den wohlstandsverwahrlosten aber nachdenklichen Maik und tut dies im Erzählmodus, dem Publikum zugewandt. Luka Dimic an seiner Seite schlüpft in die Rolle von Tschick. Mit so unglaublich großem, komödiantischem Talent, dass es ein wahres Fest ist, ihm zuzusehen. Die beiden ergänzen sich auch durch ihre verwendeten Idiome ideal. Wulf, Hamburger, der derzeit im 4. Jahrgang am Max Reinhardt Seminar studiert, glänzt mit feinem Bundesdeutsch, während sich Dimic, geboren in Sarajewo, mit der harten Aussprache des Deutschen, wie sie russischstämmige Einwanderer pflegen, überhaupt nicht schwer tut. Eine mit Bedacht ausgewählte, sehr gelungene Besetzung.

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Vor allem jene Szenen, in welchen die beiden auf Reisebekanntschaften der besonderen Art stoßen, sind reine Lachnummern. Da werden sie zu Beginn von einer Ökofamilie zum Essen eingeladen, um nur ja nicht im verpönten Supermarkt einkaufen zu müssen. Ein dementer Kriegsveteran nimmt sie kurzerhand in Geiselhaft und eine überdrehte Sprachtherapeutin beschert Tschick ausgerechnet bei einer Erste-Hilfe-Leistung ein gebrochenes Bein. Felicitas Franz gibt der jungen Pennerin Isa vielfältigste Konturen und nimmt mit ihrer ungestümen und frechen Art das Publikum im Handumdrehen für sich ein. Uwe Achilles spielt nicht nur den Kotzbrocken-Vater von Maik, sondern auch Horst Fricke, jenen schießwütigen Alten, der sich mit seinen amputierten Beinen auf einem Wägelchen fortbewegt, das er durch händisches Antauchen in Bewegung bringt. Pia Baresch glänzt in der Mutterrolle von Maik als ständig betrunkene Frau, die aber ihr Herz am rechten Fleck hat und in immer kürzeren Abständen in eine als „Schönheitsklinik“ titulierte Entzugsanstalt gebracht werden muss. Als Sprachtherapeutin überfällt sie, mit dicken Fettpolstern ausgestattet, den faszinierten Tschick und liefert dabei eine komödiantische Glanznummer ab.

Die berührende und humorige Geschichte der beiden Jugendlichen an der Schwelle zum Erwachsenwerden funktioniert nicht zuletzt deshalb so gut, weil sie realistisch aufgebaut auch einen Schluss anbietet, der zwar vieles offen lässt, das Leben aber doch von einer Seite zeigt, die wunderschön ist. „Ich glaube, das war der tollste Sommer“ sind die Schlussworte von Maik. Nach dem, was man gesehen hat, hat er sicher hundertprozentig recht.

Empfehlung: Ein Stück, an dem nicht nur Jugendliche großen Spaß haben werden. Wenn möglich also Karten gleich für die ganze Familie besorgen!

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