Ein Bürohaus wird zur Klangkathedrale

Ein Bürohaus wird zur Klangkathedrale

Die Zentrale der in den letzten Monaten so häufig in der Presse vertretenen Baumaxgruppe der Familie Essl, das Schömerhaus, öffnete am 16. November wieder einmal seine Türen für Fans zeitgenössischer Musik. In Kooperation mit Wien Modern und unter Mitwirkung von Karlheinz Essl jun., der für die musikalische Reihe im Schömerhaus verantwortlich ist, wurde dort „chiaroscuro“ von Manuela Kerer präsentiert. Kerer, die derzeit sowohl an einer rechtswissenschaftlichen Dissertation als auch einer im Fach Psychologie schreibt, nutzte den Raum nicht nur als Kulisse, in der sich die Musikerinnen und Musiker statisch dem Publikum präsentieren. Vielmehr war das Ensemble Platypus unter der Leitung von Jaime Wolfson in ständiger Bewegung. Der Titel „chiaroscuro“ bezeichnet einen Begriff, der ursprünglich in der Kunstgeschichte verwendet wird und das Hell-Dunkel-Spiel in einem Bild bezeichnet. Geschrieben wurde das Werk für das Schömerhaus, in welchem die Komponistin ihre akustischen und optischen Eindrücke des Bauwerkes ebenfalls mitverarbeitete.

Alles ist ständig in Bewegung

Das, was man ansonsten nur von Blasmusikkapellen kennt, die ständige Bewegung während des Musizierens, mutete die Südtirolerin dem Ensemble mit seinen Streichern und Bläsern auch zu. Quer über alle Stockwerke des Hauses verteilt, schleppten sie ihre Instrumente, trippelten oder trampelten auch ohne sie, um ihr Schritte gut hörbar zu machen und wechselten Stockwerke, als wäre es ein Leichtes, dabei auch noch zu spielen und zu singen.

Wolfson musste von mehreren Plätzen aus dirigieren, je nach Sichtbarkeit seines Ensembles, oder er marschierte an gewissen Stellen einfach gleich selbst mit. Musikalisch gesehen reihte Kerer eine ganze Anzahl von Klangphänomenen aneinander und gliederte das Stück durch seine Unisono-Pausen in einzelne Sätze. Gehauchte, stimmlose Geräusche des Chores, kleine Klangfetzten, die wie Madrigalklänge aus fernen Tagen zu uns herüberzuwehen schienen, aber auch volumenstarke Schreie oder langatmige Akkorde, die sich stellenweise im Mikrotonalbereich aneinander rieben und schließlich in Reinheit auflösten, waren von den Sängerinnen und Sängern zu meistern.

Mit der Unterstützung der Bläser und Streicher schuf sie dabei Klangwelten, die ins Gespenstische rückten, aber auch solche, die mit Schmerzensschreien auf die qualvolle Daseinsseite des Menschen verwies. Gewiss, einiges, was da zu hören war und auch die Bewegtheit des Szenarios an sich, kennt man schon länger. John Cage war einer der Vorreiter dieser Musik, die bei ihm aber auch immer aus einem Anteil Improvisationen bestand. Bei Kerer war der Dirigent mit einer Stoppuhr ausgerüstet, die er über sein Handy bediente. Alles an seinem Platz und zu seiner Zeit.

Platons Höhlengleichnis als Ausgangspunkt der Komposition

„chiaroscuro“ basiert auf der Idee von Platons Höhlengleichnis. Tatsächlich aber wirft das Ensemble im Schömerhaus keine Schatten. Höchstens akustische, denn einige Stellen wiederholen sich, wenngleich auch nicht eins zu eins, aber doch wiedererkennbar. Schattiert ist das Werk tatsächlich, erlebt es doch eine Verwandlung von einer zarten, beinahe ätherischen Einleitung bis hin zu einer gewaltigen, die Gehörgänge reizenden Klangsmasse kurz vor Schluss. Unüberhörbar sind sakrale Bezüge, die im nach oben offenen Atrium des Schömerhauses Assoziationen zu einer Kathedrale aufkommen ließen. In starker Erinnerung bleibt der szenische Charakter, für den die Musikerinnen und Musiker teilweise auch versteinerte Mienen aufsetzten. Gerade die Bewegung, durch die ein dreidimensionales Hörerlebnis möglich wurde, wird es schwer machen, das Stück auch auf herkömmlichen Konzertbühnen zu präsentieren.

Mit bewundernswertem Einsatz agierte das junge Ensemble, das trotz aller körperlicher Aktion, die von ihm abverlangt wurde, einfühlsam und präzise zugleich spielte.

Links:

Musik im Schömerhaus
Biographie Manuela Kerer
Homepage von Platypus


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Sieben auf einen Streich

Sieben auf einen Streich

Geplant waren eigentlich acht. Dann wurden es aber nur sieben. Die aber beinahe auf einen Streich. Die Rede ist nicht von der Fliegen-Ausbeute des Tapferen Schneiderleins, der sein Pflaumenmus verteidigen wollte, sondern von den sieben Streichkonzerten, die das Arditti Quartet an insgesamt zwei Abenden hintereinander im Konzerthaus in Wien spielten. Der Komponist der Stücke, Georg Friedrich Haas, hat bisher zwar schon acht verfasst, aber aufgrund einer „zu kurz bemessenen Vorbereitungszeit“ – wie es in der offiziellen Erklärung des Veranstalters, des Festivals Wien Modern, hieß – konnte Letzteres leider nicht erklingen.

Dies war aber auch schon der einzige Wermutstropfen, den man in Zusammenhang mit den Darbietungen erwähnen muss. Gewiss, insgesamt sieben Streichkonzerte an zwei aufeinanderfolgenden Abenden ist für so manchen und so manche harter, vielleicht zu harter Tobak. Das zeigte sich auch im nicht voll besetzten Mozart-Saal. Wer aber den Mut dazu aufbrachte und sich alle Stücke anhörte, wurde mit einem Klangwunder belohnt, das in dieser geballten Form schwer wiederholbar sein wird.

Ein Monsterprogramm auch für das Arditti Quartet

Das Arditti-Quartett setzte dabei nicht auf eine chronologische Abfolge. Vielmehr wurde die Reihenfolge 1, 6, 4, 3, 2, 5 und 7 ausgewählt. Als Einsprengsel dazwischen gab es noch das kleine Stück „Lair“ – eine Art Amuse-Gueule für Streicher, welches die Möglichkeit bietet, sich in kompakter und zugleich augenzwinkender Form mit der musikalischen Welt des Komponisten vertraut zu machen. Die Leistung des weltweit so herausragenden Arditti Quartet ist nicht hoch genug zu würdigen. Denn viele der Streichquartette von Haas erfordern eine überaus große Portion an Konzentration. Beinahe permanent sind alle Beteiligten am Spielen, Pausen sind – wenn überhaupt – nur kurze Generalpausen – und in einigen Werken kommen noch zusätzlich elektronische Einspielungen hinzu, die als ergänzender Klangkörper mitberücksichtigt werden müssen.

Die wunderbare Klangwelt des Georg Friedrich Haas

Aufnahme des Kairos Quartett

Das Schöne an der Kombination der Werke war, dass man einen tiefen Einblick in die wunderbaren Klangvorstellungen von Haas erhielt. Schon nach dem zweiten Quartett konnte man bestimmte Muster und Klangphrasen wiedererkennen – um alsbald unversehens aufs Neue überrascht zu werden. Haas ist ein Meister von „Klangschrauben“. Gerne lässt er dabei seine Musik sich sowohl in allerhöchste Höhen emporschwingen als auch in drehenden Bewegungen in die Tiefe absacken. Der sogartigenWirkung, die dabei entsteht, kann man sich nicht entziehen. Ja das stufenlose Auf- und Abgleiten, das zugleich einen schraubartigen Charakter annimmt, macht einen fast schwindlig. Seine Klanggebilde, die zwischen den Polen ätherisch schön bis verletzend-verstörend angesiedelt sind, sind abseits des tonalen und atonalen Systems aufgebaut. Diese ungewohnten musikalischen Hörerlebnisse werden von einer verengten Tonabfolge bis hin zu 12tel Tonabständen erzeugt, Haas verwendet jedoch auch zusätzlich das Spektrum der Obertöne. Ist man mit diesem Klanguniversum nicht vertraut, dauert es eine gewisse Zeit, bis man sich eingehört hat. Sofort sinnlich erfahrbar wird aber an einigen Stellen die ungewöhnliche Instrumentalstimmung, wenn ein gewisses klangliches Flirren einsetzt, das an Schönheit kaum zu überbieten ist. In seltenen Momenten, dafür sind diese aber umso eindrucksvoller, löst der Komponist mikrotonale Strukturen von einer Sekunde auf die nächste auf, um Akkorde auch schon einmal ganz tonal erklingen zu lassen. Auch Unisonostellen, die einem bestimmten Ton gewidmet sind, können wonnigliche Hörgefühle auslösen. Diese changieren dann zwischen höchster Freude und dem Wunsch, so schnell wie möglich abermals eine solche Tonkombination erleben zu können. Im Suchtmilieu nennt man so etwas „anfixen“.

Bewundernswert – trotz aller Gemeinsamkeiten – ist die große kreative Bandbreite mit der Haas an das Medium Streichquartett herangeht. Jedes einzelne von ihnen ist ein neuer, ein andersartiger Entwurf. So manch eines versetzt einen in wahrhaft psychedelische Zustände (Nr. 6 und Nr. 3), andere wiederum erwecken das Gefühl, dass Haas eine ironische Kompositionsfeder ansetzte. Wie in jener Stelle (Nr. 2), in welcher das Cello die vor sich hin zirpenden Geigen ganz harsch zur Räson ruft. Dieses Stück fährt auch an einer anderen Stelle unter die Haut, in welcher ein langes Unisono von vielen kleinen und zarten Arabesken abgelöst wird, die nacheinander alle Instrumente versetzt spielen. Ein Klang wie aus einer längst verlorenen Zeit huscht vorbei und ist doch an keinem direkten Vorbild dingfest zu machen.

Nummer 7 und Nummer 3 – die beiden Sonderfälle

Das Streichquartett Nr. 7 ist wohl eines der sperrigsten. Blockhaft steht es da, lässt durch die Aufstellung der Musiker – so weit wie möglich auf dem Pult voneinander entfernt – im wahrsten Sinne des Wortes viel Raum für den Klang. Die zusätzliche Einspielung von zuvor aufgenommenen Passagen vergrößert das Klangvolumen um ein Vielfaches. Die Idee der Verdichtung wird durch den plötzlichen Beginn eines Zwiegespräches zwischen analogem und digitalem Musizieren unversehens gebrochen, um bald jedoch wieder aufgenommen zu werden. Längere melodische Passagen im Cello und in der Geige erinnern an die Wiener Schule. An einer anderen Stelle wiederum jammern alle Streicher herzzerreißend, während sie sich zugleich von einem drohenden eingespielten Klang offensichtlich in Unterwerfung üben. Hier gibt es nichts Verspieltes mehr, kein Augenzwinkern, nur ein fixes Statement, das auch das Ende, das bei Haas oftmals tröstlich wirkt, nicht versöhnlich ausklingen lässt. Der aufbrausende Wind wird letztlich wesentlich stärker wahrgenommen als der zuvor stimmlose Rhythmus, den die Streicher auf ihren Stegen produzierten. Die Bedrohung von außen hat Oberhand behalten. Ein dunkles, tiefes Stück, das schwierigen Zeiten wie diesen, in welchen wir uns gerade befinden, einen adäquaten musikalischen Ausdruck verleiht.

Wie das Streichquartett Nr. 7 ist auch die Nr. 3 mit dem Titel „In iij. Noct.“ ein Sonderfall, wenngleich kompositorisch ganz anders angelegt. Geboten wurde dieses Werk als „late night“ – Gabe im völlig verdunkelten Berio-Saal. Dieser Publikumsmagnet wurde im analogen „Dolby-Surround-System“ gespielt. Ganz ohne Technik, dafür mit umso mehr klanglicher Raffinesse. Mag man sich nach den ersten Minuten noch gefragt haben, warum denn für dieses Konzert das Licht ausgeschaltet werden musste, wurde man bereits nach kurzer Zeit eines Besseren belehrt. Gerade die Dunkelheit ermöglichte es, den Klang als etwas Subjekthaftes wahrzunehmen, das sich anschleichen kann, aus dem Hinterhalt plötzlich auf einen zuspringt, das über die Köpfe flirrt oder einfach ätherisch schön verhallt. Das kleine Stückchen tonale Musik – ein Gesualdozitat ganz in der Art eines Motettenthemas – schwindelt sich ganz unbeschwert in das letzte Drittel des Stückes, um gleich darauf wieder zu abzutauchen. Imaginäre Schwärme von fliegenden Insekten veranlassen einen, den Kopf einzuziehen, Kaskaden von angetupften Tönen möchte man gerne mit der Taschenlampe einfangen, um deren glitzerndes Perlen zu bewundern. Ein Obertonrauschen wird von Sirenen abgelöst, die Bilder im Kopf wandeln sich beständig. Aus dem Quartett wird akustisch ein großes Orchester und man fühlt sich plötzlich in einem Fahrstuhl, der sich in schwindelerregende, vielleicht sogar unendliche Höhen begibt. Das leise Ausklingen verursacht ein noch viel längeres, stilles Nachhören beim Publikum bis der frenetische Applaus einsetzt. Eine meisterhafte Darbietung, die von den Musikern auswendig gespielt wurde.

Nach-Denken über zeitgenössische Musik

Ist es bei Licht noch möglich, sich während der Musik auch Gedanken über deren Aufbau zu machen, so scheint dies im Dunkel beinahe ausgeschlossen. Mit dieser Erfahrung muss wohl die Aussage von Jean-Dominique Marco, dem Intendanten des Festivals Musica in Strasbourg revidiert werden. Dieser behauptete in einem Interview einmal, dass zeitgenössische Musik mit den Augen gehört und mit den Ohren gesehen werden muss. Wie auch immer man selbst den eigenen Zugang zu zeitgenössischer Musik beurteilen mag – eines ist bei Werken von Georg Friedrich Haas sicher: Man kommt irgendwann fast zwangsläufig an den Punkt, dass die eigenen Hörgewohnheiten radikal hinterfragt werden müssen. Was ist schön? Das klassische Dur-Moll-System, das im Gegensatz zur Haas´schen Kompositionsweise eine unglaubliche Verarmung an Klängen anbietet? Seine Aussage, dass wir mit unserer Sprache ja auch mikrotonal unterwegs sind, bekommt durch die intensive Hörerfahrung aus dem Konzertsaal plötzlich eine sinnlich-erfahrbare Qualität. Beim Nach-Denken über den Haas´schen Musikstil drängt sich auch die Frage auf, warum es so vielen Menschen so schwer fällt, auch nur für die kurze Zeit eines Konzertes auf den herkömmlichen, westlichen Musikkanon zu verzichten und sich auf Neues einzulassen. Hier wird wohl die Prägung, ganz so wie beim Erwerb der Muttersprache, eine entscheidende Rolle spielen. Wenn Werke dazu verleiten, sich über Musik im Allgemeinen Gedanken zu machen, dann kann man sicher sein, dass ihnen eine ganz bestimmte kostbare Qualität innewohnt. Die Streichquartette von Georg Friedrich Haas sind so gesehen vollgepackte Schatzkisten.

Filmmusik ganz ohne Film

Filmmusik ganz ohne Film

Filmmusik ganz ohne Filme. Das bot das Klangforum Wien unter Sylvain Cambreling am Dirigentenpult im Wiener Konzerthaus anlässlich des Festivals Wien Modern am 9. November. In insgesamt sechs unterschiedlichen Formationen trat der Klangkörper auf, denn ebensoviele Stücke standen an jenem Abend auf dem Programm, an welchem auch der Erste Bank-Kompositionspreis 2014 uraufgeführt wurde.

Konzerte wie aus einem Guss

Gleich eines vorweg, was an dieser Stelle noch nie richtig gewürdigt wurde: Auch an diesem Abend durfte man die Stringenz des Programmes bewundern. Zwar bietet das diesjährige Motto „on screen“, das Schnittstellen zwischen Film und zeitgenössischer Musik aufzeigen soll, einen guten Rahmen für die Konzeptionierung. Dennoch hält auch dieser Fokus noch genug Möglichkeiten parat, ein Kunterbunt an unterschiedlichsten zeitgenössischen Kompositionen aufzuführen. Es ist jedoch ein Charakteristikum des Festivals, dass jedes einzelne angebotene Konzert in sich ein stimmiges Ganzes darstellt. Die Auswahl der Stücke ist so clever angelegt, dass man Vergleiche ziehen kann, Unterschiede hört und in den meisten Fällen auch überrascht wird, wie aktuell so manches Werk ist, das vor 50 oder 60 Jahren geschrieben wurde.

Wolfgang Rihms „Bild (eine Chiffre)“ stand am Anfang des Abends. Es ist ein Auftragswerk, das der deutsche Komponist 1984 zum surrealistischen Stummfilm „Un Chien andalou“ von Luis Buñuel und Salvador Dalí schuf. Der Komponist wollte seine Musik parallel neben dem „bewegten Bild“ als „bewegten Klang“ verstehen und bezeichnete die Arbeit sogar als „Skulptur“. Damit schuf er eine wunderbare Metapher, denn tatsächlich können die Klänge mit ihren scharfen Schnitten, harten Trommelklängen und Trompetenstößen als massives Klang-Objekt wahrgenommen werden, das mit Ecken und Kanten en masse aufwartet.

Im Anschluss daran wurde Morton Feldmans „Untitled Film Music“ (1960/61) gespielt. Kurios dabei ist, dass es nicht klar ist, für welchen Film diese Musik entstand. So bleiben den Zuhörenden nur die Titel der insgesamt elf musikalischen Miniaturen als Anhaltspunkt für eventuelle Assoziationen. Kleine Klangfitzelchen erinnern dabei immer wieder an Melodien aus der Westside Story, ohne diese jedoch eins zu eins zu zitieren. Einen wichtigen Part schrieb Feldman dem Kontrabass zu, der in zum Teil jazzigen, kurzen Passagen das Grundgerüst für das Klanggeschehen bildete. Obwohl die einzelnen Teile extrem kurz sind, ist doch bei einigen von ihnen eine innere Verwandtschaft gut zu erkennen.

Dunkles und Spannendes vom Preisträger

Einer der zwei Höhepunkte des Abends war das preisgekrönte Konzert von Reinhard Fuchs. Geboren 1974, ist er ein wahres Multitalent. Vielfach international ausgezeichnet widmet er sich neben seinem kompositorischem Werk auch dem herausragenden Klangkörper „Phace“, dem er seit 2008 als Geschäftsführer und Künstlerischer Leiter vorsteht. Sein von der Erste Bank prämiertes Stück „Mania“ wurde von ihm heuer komponiert. Dabei ließ er sich vom Streifen „Blue Velvet“ von David Lynch inspirieren. Rasch baut er darin einen dunklen, spannungsgeladenen Raum in dem explosive Entladungen das Publikum zu Beginn immer wieder überraschen. Elektronische Einspielungen erweitern das architektonische Klanggebilde auf geradezu fantastische Art und Weise. Klagende Stimmen der Streicher, schnarrende Geräusche der Percussionisten ergeben ein giftiges Gebräu. Gehetzt, gedrängt und getrieben jagt die Musik dahin, um immer wieder zu einem kurzen Stillstand zu gelangen. Winzige Pausen, in welchen der Atem vor Angst angehalten wird. Dann ein Zittern, Wispern und Beben das schließlich von einem Moment abgelöst wird, der in seiner flirrenden Ruhe zum Albtraum wird. Was kommt als nächstes? Leises Glockengeläut und ein permanenter Basston werden so lange ausgereizt, dass die Spannung körperlich spürbar wird. Ein konvulsivisches Zucken im gesamten Klangkörper, ein flatterndes Geräusch, eine allerletzte Angespanntheit, dann endet der psychopathologische Zustand in einem gänzlich unprosaischen und platten Abfallen der elektronischen Einspielung. So, als würde jene Batterie leer werden, welche das gesamte Werk zuvor mit Strom versorgte.

Höchst interessant, wie im Anschluss Arnold Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene op. 34“ (1929-1930) dagegen sein Alter nicht verleugnen konnte. Nach einem aufwühlenden Intro, das mit einer heftigen Percussionbegleitung beeindruckt, folgt ein ruhigerer Teil mit einem Streicher-Unisono aus dem sich ein bedrohliches Thema schält. Schönbergs Stück folgt keinem realen Film, sondern ist nur mit Untertiteln – Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe – versehen, die Anreize für ein eigenes Kopfkino geben können.

Olga Neuwirths „Diagonal Symphony“ (2007) hingegen speist sich ganz aus zeitgeistigen Hörgewohnheiten. Geschaffen für einen restaurierten Film von Viking Eggeling aus dem Jahre 1925, der in 8 Minuten nichts anderes als Lichtstreifen, Linien und Diagonalen zeigt, weist das Werk eine strikte Zweiteilung auf. Einem strengen rhythmischen Gerüst, das von einer CD eingespielt wird und im konstanten Viervierteltakt verbleibt, legt Neuwirth einen zweiten Layer darüber. Die Instrumentierung, in welchem im Ensemble neben Streichern, Bläsern, Klavier und Schlagzeug auch eine E-Gitarre zum Einsatz kommt, erzeugt dabei völlig abstrakte Klangflächen. Sie stehen im Gegensatz zum eingespielten Rhythmus, der nicht nur maschinelle sondern an manchen Stellen sogar menschliche Klangcharakteristika aufweist. Der Kraft und Vitalität, die von diesem ausgeht, werden unaufgeregte, neutrale Klanggebilde gegenübergestellt, die den Wunsch erzeugen, den Film, für welchen die Musik geschrieben wurde, tatsächlich gleichzeitig auch mitansehen zu können.

So spannend kann ein einziger Ton sein

Als zweiter Höhepunkt und Abschluss zugleich, der vom Publikum schließlich auch heftig mit Applaus bedacht wurde, gestaltete sich „Quattro Spezi (su una nota sola) für Kammerorchester (1959) von Giancinto Scelsi. Darin zeigt er, wie aufregend und atemberaubend die musikalische Idee sein kann, vier Stücke rund um jeweils eine einzige Note zu bauen. Das Werk fiel insofern aus dem gesteckten Rahmen, als es in keinem Zusammenhang mit einer Filmmusik steht. Dennoch ermöglicht es, eine ganze Reihe von bildlichen Assoziationen hervorzurufen. Und auch, sich selbst beim Hören zu beobachten und eigene Hörgewohnheiten zu hinterfragen. Die vielen verschiedenen Wandlungen, die Scelsi ein und demselben Ton unterwirft, zeugen von einer gewaltigen Kreativität. Und machen zugleich auch deutlich, wie unendlich weit das Feld von zeitgenössischen Kompositionen gespannt werden kann. Wenn ein einzelner Ton in so mannigfacher Art und Weise quer durch den Orchesterapparat wandern kann, wenn er in unterschiedlichen Registern auftaucht, stufenlos sich ein wenig erhebt um gleich darauf wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren, wenn er sich rhythmisch in verschiedenen Farbschattierungen zeigt, dann wird klar, dass das Feld der Komposition ein Unendliches ist. Und dass gute Musik kein Ablaufdatum hat.

Das Klangforum lieferte an diesem Abend mit diesem so schillernden Programm eine gewaltige Leistung ab. Sylvain Cambreling, der nicht nur Ehrenmitglied des Ensembles, sondern auch erster Gastdirigent ist, führte mit sichtbarem Feingefühl und gänzlich ohne große, zerstörende Gesten die unterschiedlich zusammengesetzten Formationen souverän durch den Abend. Großes Kino – wenn auch nur im Kopf.

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Wien Modern
Wien Modern bei European Cultural News

Ein Monster, ein Virtuose und sechs Klaviere

Ein Monster, ein Virtuose und sechs Klaviere

Der Klang bleibt und bleibt und bleibt. Hallt nach in den Ohren, geht nicht aus dem Kopf. Und ist so einzigartig, dass alle Vergleiche einen Hinkefuß bekommen. Wer das Konzert des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg im Wiener Konzerthaus anlässlich von Wien Modern gehört hat wird dieselben Erfahrungen gemacht haben. Denn es kommt im Leben nicht oft vor, dass man eine Komposition hört, die für Orchester und sechs Klaviere geschrieben wurde.

Ein Konzert für sechs! Klaviere und Orchester

Georg Friedrich Haas hat sich nicht gescheut, dieses Kamikazestück zu komponieren. Wohl wissend, dass auch er es in seinem Leben nicht oft hören würde. Zum Glück ist ihm ein Schwerpunkt dieses Festivals gewidmet. „Limited approximations. Konzert für sechs Klaviere im Zwölfteltonabstand und Orchester“ aus dem Jahr 2010 ist eines jener Werke, das jetzt schon in das kollektive Gedächtnis von Liebhaberinnen und Liebhabern der zeitgenössischen Musik eingegangen ist. Auch deswegen bei einem Haas-Schwerpunkt unumgänglich. Aufgrund des großen Umbaues auf der Bühne stand es am Schluss des Abends. Auch, weil danach schnell vieles blass ausgesehen hätte. Denn was Haas hier schuf, ist sowohl für geschulte als auch ungeschulte Ohren ein Fest. Die besondere Stimmung der Klaviere und die Kompositionstechnik, die auf die entstehenden Obertöne eingeht, machen limited approximations zu einer wahren Klangkathedrale. Beim näheren Betrachten seiner architektonischen Strukturen fällt einem das Flirren und Brummen immer wieder auf, das aufgrund der Masse an Resonanzkörpern und der Stimmung im Zwölfteltonabstand entsteht. Sie sind der Raum, in den Haas mannigfaltige Elemente einbaute, die alle an ihrem richtigen Platz stehen. Da enden auf- und absteigende Tonlinien des gesamten Orchesterapparates abrupt im Fortissimo. Da dürfen lang zelebrierte Sequenzen, die mit einer kristallinen Schönheit aufwarten, ganz zart verhallen. Da akzentuieren scharfe Trommelschläge das dichte Klangnetz und hinterlassen dabei auffällige Markierungspunkte. Die Klangkulisse, die dabei entsteht, ist eine Einzigartige. Man sucht Vergleichbares und kann sich nur vorstellen, dass ein ähnliches Ergebnis elektronisch hergestellt werden könnte. Und dennoch ist der Vergleich nicht passend. Zu organisch wirkt das Stück von Haas, zu sehr werden einzelne gewaltige Klangwellen körperlich spürbar. Die metallenen Rahmen und die hölzernen Korpi der Klaviere bilden ein so einzigartiges Klangerlebnis, dass es schwer vorstellbar ist, ein solches ohne Qualitätsverlust rein digital zu erzeugen. Wohl wissend, dass er mit dieser Instrumentierung eine besondere musikalische Erfahrung bietet, hat der Komponist jene Stellen, in welchen die Charakteristik dieses Klangapparates zur Geltung kommt, bis ins Letzte ausgereizt. Und dennoch ist das Werk um keine einzige Minute zu lang. Vielmehr besteht absolute Suchtgefahr.

Die unberechenbaren Ausbrüche eines Monsters

Der klugen Zusammenstellung des Konzertes verdankte das Publikum auch einige Aha-Erlebnisse. Stand doch zu Beginn Bernhard Ganders …“HUKL“ auf dem Programm. Ein Stück, zu dem ihn der Comicheld „Hulk“ inspirierte, der vielen sowohl aus dem Kino als auch als „Fernsehserienheld“ besser bekannt sein dürfte. Die nervöse Grundstimmung, oft vom Streicherapparat intoniert, wird immer wieder von verschiedenen gewaltigen Ausbrüchen des gesamten Orchesters unterbrochen. Unisono-Partien einzelner Instrumentengruppen aber auch Tutti-Stellen mit zum Teil peitschenden Rhythmen enden von einer Sekunde auf die andere in harten Trommelschlägen – mit einem ähnlichen Effekt, der auch bei Haas hörbar wurde. Ganders …“HUKL“ entstand zwei Jahre später und ist, wie er selbst beschreibt: „Eine Bearbeitung von “khul cuts” (für Tänzer und Streichquartett) ist eine Bearbeitung von “khul” (für Streichquartett) ist eine Bearbeitung der Comicfigur “hulk”.“ Vier Schlagwerker und der intensive Einsatz von Kontrabass und Kontrabassklarinette sorgen dafür, dass die tiefen Klangpartien auch wirklich breit und intensiv ins Ohr gehen. Das klar strukturierte Werk beschreibt anschaulich jene eruptiven Gefühlszustände, die das menschenähnliche Monster in regelmäßigen Abständen heimsuchen. Wem beim Zuhören Zeitgenossen einfielen, die mit cholerischen Ausbrüchen ihre Umgebung nerven, sei geraten, sich bei ähnlichen Anlässen einfach an Ganders Konzert zu erinnern. Es könnte sich dabei ein verblüffender psychologischer Effekt einstellen, der so manchen Wutausbruch erträglich macht.

Ein Schmuckstück einer Ikone

Eingebettet in diese zwei Werke, deren Uraufführung auch vom SWR-Sinfonieorchester in Donaueschingen stattfand, wie der Dirigent François-Xavier Roth erläuterte, kam György Ligetis Konzert für Violine und Orchester zur Aufführung. Renaud Capuçon, Garant für intensive und glasklare Interpretationen, verlieh diesem funkelnden Werk eine Brillanz und Virtuosität, die atemberaubend war. Egal, ob es sich um die furiosen fingerbrecherischen Stellen handelte, die dem Solisten nur wenige Ruhemomente einräumen, oder jene Elegischen, in denen volkstümliche Erzählungen hörbar werden, Capuçon fand immer den richtigen Ausdruck. Die fünf Sätze, die vor Ideenreichtum nur so strotzen, ergaben in der Interpretation von Roth und der Umsetzung von Capuçon ein logisches Ganzes, das eine perfekte Balance zwischen Lyrik, Dramatik und ätherisch schönen Stellen aufweist.

Und noch ein Nachspiel

Als „Zuckerl“ für all jene, die nach diesem Ausnahmekonzert noch nicht genug hatten, präsentierte Marino Formenti mit ganzem Körpereinsatz auf den am Podium stehenden sechs Klavieren Giacinto Scelsis „action music“ aus dem Jahr 1955. Dabei beeindruckten die Cluster, die Formenti durch kräftige Prankenschläge hörbar machte und die rhythmische Impulsivität, mit der er das Stück – von einem Klavier zum anderen wechselnd – vortrug. Auch in Zukunft wird Formenti nach verschiedenen Konzerten mit „Marinos Nachspiel“ dem Publikum die Möglichkeit geben, ganz nah am musikalischen Geschehen zu sein, sich selbst einzubringen und vor allem in persönlichem Austausch mit dem Musiker zu kommen. Eine wunderbare Idee.

Davonlaufen hilft nicht

Davonlaufen hilft nicht

„Heute werden sie lauter alte Musik hören“. Diese Anmoderation sprach kein Geringerer als der Komponist Georg Friedrich Haas anlässlich des Konzertes des Klangforum Wien im Rahmen von Wien Modern. Womit die Bezeichnung „alte Musik“ auch schon wieder relativiert werden kann. Nichts Barockes oder noch Älteres war damit gemeint, sondern Stücke von Haas, die er vor vielen Jahren komponiert hatte. „Ich stehe vor so viel eigener Vergangenheit“ machte er dem Publikum noch klar, bevor er daran ging, das erste Stück zu präsentieren – flow and friction, eine kleine Studie für Sechzehnteltonklavier zu vier Händen aus dem Jahr 2001. Haas, der sich mit Obertönen und Mikrotonalität intensiv auseinandersetzt, erklärte dem Publikum den Aufbau des Sechzehnteltonklavieres, eines von weltweit insgesamt fünf, wie man erfahren durfte. Tatsächlich wurde zu Beginn des vorigen Jahrhunderts der Klavierbauer Sauter mit dem Bau eines solchen Klavieres beauftragt, dem noch wenige weitere folgen sollten. Sie werden ausschließlich für mikrotonale Kompositionen verwendet und müssen – je nach Konzert – ihre Reise zum jeweiligen Aufführungsort von Spaichingen in Deutschland aus antreten. Ihr Tonumfang umfasst eine einzige Oktave, aufgrund der Einteilung in Sechzehnteltöne erweitert sich jedoch die Klaviatur um ein paar Tasten. Das bedeutet: Eine längere Klaviatur, die ein viel kleineres Tonspektrum wiedergibt. Florian Müller und Joonas Ahonen, die beiden Pianisten, mussten sich beständig ihren Raum am Klavier erobern. Dabei kam es zu vielen Über- und Untergriffen auf der Tastatur. Das Klangerlebnis, das Haas dabei bot, war ein sehr ungewöhnliches. Von Beginn an meinte man ein völlig verstimmtes Instrument zu hören. Je weiter die Komposition jedoch voranschritt, umso stärker konnte man ein Flirren und Vibrieren wahrnehmen. Die sich ständig unmerklich verändernden ab- und ansteigenden Tonabfolgen kippten ab einem gewissen Punkt in ein harmonisches Gefüge, das einen wahren Glücksturm an Gefühlen auslöste.

Davonlaufen hilft nicht

Mit de terrae fine aus dem selben Jahr setzte der Komponist seine Erfahrungen mit der Mikrotonalität fort. Und bannte sie in ein Solostück für Violine, das Gunde Jäch-Micko spannend und ätherisch schön zugleich spielte. Die persönliche Geschichte von Haas, die hinter diesen Kompositionen steckt, erklärt ihren pessimistischen Grundton. Der Komponist verließ 2000 aufgrund der politischen Situation sein Heimatland Österreich und zog nach Irland. Dort verbrachte er nur ein Jahr, in dem er erkennen musste, dass man „in Österreich zumindest noch den Mund aufmachen kann. In einem fremden Land, wo man Gast ist, ist einem selbst das verwehrt.“ In „de terrae fine“ versuchte er, die Sprache als etwas wiederzugeben, das auch rein melodisch empfunden werden kann. So wie Neugeborene, die den Sinn der Worte noch nicht verstehen, sie aber sehr wohl wahrnehmen. Abermals war das dissonante Dreiviertel-Intervall, dem Haas in mehreren Kompositionen seine Aufmerksamkeit widmet, sowie lang ausgespielte Obertöne, mehrfach hörbar. Emotional schwankte das Stück zwischen Aggressivität und Passivität. Technisch höchst anspruchsvoll meisterte die Solistin sowohl die kraftvollen Passagen als auch jene, in den Zartgefühl angesagt war.

Nächtliches im dunklen Raum

In „wie ein Nachtstück“ für drei Akkordeons von 1990 setzte Haas eine serielle Kompositionstechnik ein. Geschrieben wurde es auf Anregung von Georg Schulz, einem wahren österreichischen Urgestein des Akkordeonspiels. Gemeinsam mit Heidrun Savic und Krassimir Sterev intonierten sie das Stück im völlig abgedunkelten Konzertsaal. Einzig die kleinen Spots für die Musizierenden konnten als kleiner Lichtschein wahrgenommen werden. Im Saal verteilt – Savic war die einzige, die auf der Bühne Platz genommen hatte – verzauberten sie das Publikum mit einem eingangs hauchzarten Klangraum, der sich zusehends in ein sakrales Gebäude – mit orgelähnlicher Akkustik – verwandelte.

Mathematische Schönheit ist etwas Trügerisches

„—Schatten—durch unausdenkliche Wälder“ diesen poetischen Titel trug das letzte Stück des Abends. Dank der Einführung von Haas erfuhr man, dass er zu jener Zeit – 1992 – als das Stück entstand, ganz der Idee verfallen war, dass sich mathematische Prozesse in einer klanglichen Schönheit abbilden ließen. „Wie viele andere Religionen in meinem Leben habe ich auch diese irgendwann einmal fallen lassen müssen“ fügte der Komponist abschließend hinzu. Das dreisätzige Werk ist so aufgebaut, dass der zweite Satz halb so lang wie der erste Satz ist und der dritte wiederum halb so lang wie der zweite. Mit einem Zitat eines kleinen Werkes von Richard Stein, dem Erfinder der Vierteltonnotation, welches im zweiten Satz vorkommt, erwies Haas diesem sonst so wenig erfolgreichen Komponisten seine Referenz. Das Werk, das für zwei Klaviere und zwei SchlagzeugerInnen ausgelegt ist verfällt nach einem überaus zarten Beginn in ein bedrohliches, von Pauken durchdungenes Szenario, das mit Obertönen angereichert ist. Noch eruptiver gestaltete sich der zweite Satz, bei dem zu Beginn nach langen Obertönen harte Trommelschläge und ein beständiges Scharrgeräusch mit der Begleitung des blechernen Beckens wenig Raum für Entspannung bietet. Erst als das Stein´sche Musikzitat aufzutauchen beginnt, setzt eine harmonische Grundstimmung ein. Mit einem Klopfen und Knacken, das immer dichter wird, je länger der letzte Satz andauert, beendet Haas seine Komposition. Die tickende Zeit, die sonst unhörbar alles begleitet, was wir tun, wird in dieser kurzen Passage zur beständigen Bedrohung.

Georg Friedrich Haas, dem dieser Abend zur Gänze gewidmet war, konnte sich hier nicht nur als ein Komponist präsentieren, der mit einer großen Lust am Experimentieren ausstaffiert ist. Vielmehr wurde bei seinen Ausführungen auch ein Mensch sichtbar, der beständig gewillt ist, in seinem Leben dazuzulernen, Fehler zu erkennen, aber Gelungenes auch mit Enthusiasmus zu verteidigen.

Links: Wien Modern

Zeitgenössisches mit Wiedererkennungswert

Zeitgenössisches mit Wiedererkennungswert

Mit einem fulminanten Konzertabend im großen Saal des Konzerthauses wurde das diesjährige Festival Wien Modern eröffnet. Dabei kamen drei Werke zur Aufführung, die untereinander gewisse Parallelen aufweisen. Mit Cornelius Meister am Pult agierte das ORF Radio-Symphonieorchester Wien mit Verstärkung des Klanforum Wien wie gewohnt präzise in vollem Klangrausch.

Den Beginn machte Bernhard Lang mit seiner „Monadologie XXIII „…for Stanley K.“ Ein Stück für großes Orchester, das als Auftragswerk des RSO 2013 komponiert wurde. Es geht auf die filmische Vorlage von Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ zurück und verarbeitet darin Musikschnipsel von Johann und Richard Strauß aber auch György Ligeti, Stücke also, die auch in Kubricks Film vorkommen. Ganz unerwartet ertönen gleich zu Beginn die ersten Noten von „Also sprach Zarathustra“ ohne jedoch das Thema des Sonnenaufgangs ganz auszuspielen. Gleich darauf erfolgt eine wilde Wiederholungsminiatur und eine musikalische Hetzjagd in welcher mehrfach ein Alarmsignal zu hören ist. Das selbe passiert mit den Klängen von Johann Strauß und Ligeti, die immer nur kurz angerissen erklingen, um dann furios verwandelt zu werden. Die schräge Umdeutung der bekannten Kompositionen baut sich bis zum Ende des Stückes immer weiter auf und bricht nach wenigen „Zarathustra“-Noten abrupt ab. Ein Stück voll Charme und Witz, das vor allem von der Wiedererkennungs-Idee und dem „Vorausahnen“ weiterer musikalisch-wörtlicher Zitate lebt.

Mit Gérard Griseys „Transitoires aus „Les Espaces Acoustiques Nr. 5“ wurde dem Publikum ein Werk aus dem Jahr 1981 präsentiert. Die Aufhebung von Rhythmen zugunsten langer Klangpassagen hat seinen Gegenpol in der Dynamik. Von einem leisen Grundrauschen entwickelt sich das Stück bis hin zu einem Fortissimo von dem die Bläser sich nach und nach wieder in eine leisere Stimmung perlen lassen. Der Einsatz einer Windmaschine, aber auch Klänge eines in den Mittelpunkt gerückten Kontrabasses, der Ertönen von Glocken, Trompeten mit ihrem Mau-Mau-Effekt und zarte, schwingende Passagen die das gesamte Orchesters erfassen bilden einen überaus farbenprächtigen Klangteppich. Der Schluss, in dem die Solobratsche nach einem transzendenten Abschnitt mit kurzen Wiederholungen schließlich förmlich verhauchen darf, bietet einen extra magischen Moment, der noch lange anhält.

Zum Abschluss erklang das „concerto grosso Nr.2“ von Georg Friedrich Haas das, wie schon im Titel erkennbar, kompositorische Anleihen in der Klassik nimmt. Der überaus intensive Text, der sich dazu im Wien Modern Katalog befindet, macht jede analysierende Kritik hier völlig überflüssig. Was bleibt, ist, jenen Eindruck zu beschreiben, den das Stück im Klanggedächtnis hinterlässt. Haas schafft eine intelligente Komposition, die für die Musikerinnen und Musiker alleine schon aufgrund der diffizilen Stimmung eine besondere Herausforderung darstellen. Die langen Klangpassagen ergeben einen ruhigen Fluss, der ab und zu mit unerwarteten Klangerlebnissen aufwartet. Eingebettet in die zu Beginn und am Schluss vernehmbaren Celloklänge schafft das Orchester eine Stimmung, die in ihren besten Abschnitten einen Schwebezustand hervorrufen. Auf die kommenden Haas-Kompositionen, die in diesem Jahr schwerpunktmäßig zu hören sein werden, darf man schon gespannt sein.