Champ d´action bei Musica

Unter diesem Titel, der zugleich der Name des an diesem Abend agierenden, flämischen Ensembles für zeitgenössische Musik ist, veranstaltete das Festival Musica in Straßburg ein Konzert, das zwei jungen Komponisten gewidmet war.

Raphael Cendo und Mauro Lanza, beide im Jahr 1975 geboren, lieferten je zwei Stücke ihres Könnens ab. Kurz zusammengefasst kann gesagt werden: Es war ein spannender Abend, überaus gut zusammengestellt und ausgewählt mit herausragenden Interpreten und einem Ensemble, welches zeitgenössische Musik so spielt, als ob dies ein Tanz über sechs Autobahnspuren wäre, welcher die vorbeibrausenden Autos gar nicht zur Kenntnis nimmt. Nicht zuletzt hat Arne Deforce, der die Leitung des Champ d´action inne hat, einen großen Anteil an diesem Perfektionismus, der sich so präsentiert, als wären zeitgenössiche Partituren leicht zu spielen.

Von Raphael Cendo hörte man mit „Action directe“ und „Action painting“ zwei wahrlich programmatische Titel. In beiden Stücken arbeitet der gesamte Klangkörper beinahe atemlos, schwillt zu Lautstärken an, die nicht mehr zu überbieten sind und arbeitet häufig mit dem Einsatz von Obertönen. Sabine Uytterhoeven bearbeitete ihre Bassklarinette im Stück „Action directe“ mit gewaltiger Atemresonanz und ließ glaubhaft erkennen, dass die Musik menschliche Emotionen wie aufgestaute Wut, Hass, Hilflosigkeit, Verlassenheit und Entschlossenheit wieder gibt, die bis zum äußersten gehenden können. Ihr Instrument brüllte und scharrte in den Tutti, begann aber im Solopart auch zu wimmern, zu lamentieren und leidend zu singen. Einer fixen, geradlinigen Rhythmik unterwarfen sich sowohl die Soloparts, als auch jene des Zusammenspiels, was die Eindringlichkeit der Musik sehr verstärkte. Immer wieder kehrende, aufsteigende Glissandi verliehen der Komposition ein Raster, an welches sich das Ohr festhing. Der Titel, der Verbindungen mit der gleichnamigen, französischen, linksradikalen Terrorgruppe evoziert, führte auch dazu, dass während des Hörens Bilder des Terrors vor den geistigen Augen des Publikums auftauchten. Auch sein zweites, an diesem Abend vorgestelltes Werk, „Action painting“ erzwang eine wahre innere Bilderflut. Action painting, oder im Französischen auch als Tachismus bezeichnet, benennt eine Kunstrichtung, in welcher die Maler und Malerinnen ihrem Gestus allen Raum verleihen. Ihre Bilder entstehen in kurzen, begrenzten Malaktionen, in welchen sie so spontan wie möglich agieren um dadurch ihre ungefilterte, künstlerische Handschrift zum Ausdruck zu bringen. Momente der Aktion, die zur Raserei ausarten können, wechseln mit solchen der Entspannung und der Überlegung – die Protagonisten nehmen Abstand von ihren Bildern, betrachten diese, um danach wieder an sie heranzutreten und in einem neuen Kraftschub weiterzuarbeiten. Raphael Cendos Musik gab dies mehr als bildhaft wieder. Die Tensionen und die ihnen folgenden Erschöpfungsmomente waren deutlich hörbar, ja die im Verlauf des Stückes länger werdenden, ruhigeren Reflexionsmomente begannen sich zu Augenblicken zu dehnen, die mit Spannung geladen waren. Spannung vor dem nächsten, eruptiven Ausbruch einer Aktion. Ein Stück, das vom Ensemble den intensiven Einsatz aller Beteiligten verlangte, was diesen aber auch voll und ganz gelang.

Mit den beiden Werken „Erba nera che cresci segno nero tu vivi“ und „Aschenblume“ des italienischen Komponisten Mauro Lanzo standen zwei Stücke auf dem Programm, die jenen von Cenda nicht gerade entgegengesetzt gegenüberstehen, jedoch eine andere kompositorische Handschrift aufweisen und Cendas Werke an diesem Abend komplementär ergänzten – oder wenn man möchte, so kann man dies auch umgekehrt sehen. Im ersten Werk „Erba nera“ brillierte die Sopranistin Donatienne Michel-Dansac, indem sie mit ihrer lyrischen Stimme über der elektronisch eingespielten Glockenbegleitung, die teilweise rein rhythmische Passagen übernahm, eine arabeske Linie legte. Das Stück ist so angelegt, dass die Sängerin die Einsätze der sound-files nach ihren Fermaten mitbestimmen kann, was zugleich bedeutet, dass ein gewisser Handlungsspielraum für jede neue Aufführung gegeben ist. Was sich zu Beginn als einfache, fast kindliche Melodie präsentierte, in welcher die Sängerin der Silbenfolge des Textes anmutig Ausdruck verlieh, entwickelte sich zu einem komplexen Klangteppich, der mehrere Brüche aufwieß. Der Schluss, in welchem nach einer langen Fermate in hoher Lage gesungen, sich die elektronische Begleitung langsam entfernt, kann nur als schöner Zauber beschrieben werden. Ein Moment, der den Saal in Atem und Rührung zu halten schien. Das zweite Werk von Mauro Lanza, „Aschenblume“ wird sich garantiert als Dauerbrenner in den Konzertsälen der Welt festsetzen. Selten gibt es Stücke, die neben ihrer Schönheit auch eine so nachvollziehbare, kompositorische Klarheit besitzen, wie dieses. In der ersten Hälfte des Stückes treten zwei kurze Themen – jedoch mit unterschiedlichen Schlüssen – wie in Reimform – hintereinander in unterschiedlicher Abfolge immer wieder auf. Eine wesentliche Rolle übernimmt hier das Klavier, welches perlt und hüpft und auf weite Strecken die Durchsichtigkeit der Komposition ausmacht. Ihm gegenüber steht ein ausdrucksstarker Streicher- und Percussionblock, welcher nach ungefähr der Hälfte des Stückes die Oberhand gewinnt. Zu Ende hin entwickelt sich die Musik ins Fortissimo für alle Instrumente – was an diesem Abend wie ein sich schließender Kreis zum ersten, erklungenen Werk von Cendo aufgefasst werden konnte. Mauro Lanza schuf ein einzigartiges Stück, welches – was selten in der zeitgenössischen Musik ist- den originären Charakter der Instrumente beläßt, und dennoch zukunftsweisende klangliche Momente schafft, die an Schönheit nicht mehr zu überbieten sind.

Weitere Infos zum Festival unter: https://festival-musica.org

Philharmonisches Orchester Freiburg beim Festival Musica

Philharmonisches Orchester Freiburg beim Festival Musica

Im Rahmen des Festivals Musica gastierte das Philharmonische Orchester Freiburg unter der Leitung von Fabrice Bollon mit drei Werken zeitgenössischer Komponisten in Straßburg. Das Programm enthielt die Stücke Dead City Radio. Audiodrome aus dem Jahre 2003 vom nur 41jährig verstorbenen Komponisten Fausto Romitelli, sowie „Im Lichte – Musik für 2 Klaviere und Orchester“ des jungen Österreichers Johannes Maria Staud. Zum Abschluss wurde Bernard Cavannas „Karl Koop Konzert“ aus dem Jahre 2008 präsentiert, welches er seinem Großvater widmete. Der Abend zeigte klar und deutlich, dass die drei Komponisten trotz aller unterschiedlichen Zugänge zu ihren Themen eine Formensprache gefunden haben, welche die Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren Bann zog. Und weiters, dass sie alle drei gewillt waren, erzählerische Momente in ihre Musik einfließen zu lassen.

Fausto Romitellis schuf mit seinem Stück, das sich mit der Übertragung von Informationen in einem bestimmten Kanal beschäftigt, eine symphonische Arbeit, in der er ein bekanntes Thema von Richard Strauß´ Alpensymphonie zu Anfang offen legt. Dieses wird im Verlaufe des Stückes verkürzt, überlagert, unterbrochen und mit Einsprängseln unterschiedlicher Percussionsinstrumente versehen, so lange, bis nichts mehr davon übrig geblieben ist, nur mehr eine von fern erklingende Reminiszenz in den Schlusstakten. Romitelli gelang es wunderbar, Interferenzen hörbar zu machen und es fiel nicht schwer, seine Botschaft zu verstehen die da heißt: Das Medium bestimmt die Information. Ein Thema, dass heute mehr denn je aktuell ist. Dass Romitelli eine Information „über den Äther“ sendet, die eine musikalische ist, liegt fast auf der Hand, dennoch gilt die Verfremdung und Zerstückelung bis zur Unkenntlichkeit auch für jede andere Informationsart.

Johannes Maria Staud    Foto:© Helmut Wiederin

Johannes Maria Staud Foto: ©Helmut Wiederin

Mit der Aufführung des Werkes „Im Lichte“ gelang eine französische Premiere. Der Österreicher Johannes Maria Staud verwendet die Sprache der Musik stärker als seine an diesem Abend vertretenen Kollegen dazu, sie auch rückbezüglich, das bedeutet im Hinblick auf Musikhistorie zu untersuchen, abzuwandeln und neu aufzustellen. Der Begriff der Postmoderne ist hier nicht fehl am Platz, wenngleich seine Arbeit als eigenständiges, nicht rückwärtsgewandtes Werk Bestand hat. Der Part der beiden Klaviere, die nach Staud, wie ein einziges klingen sollen, ist beeindruckend geschrieben und die großen Wellenbewegungen, die das Stück beinhaltet, tragen die Zuhörerinnen und Zuhörer in einem Strom bis zum Schluss. Ein Strom zwar, der sich durch Strudel kennzeichnet und manches Mal statt eines vermeintlichen Vorwärtskommen ein Zurückschwappen erzwingt, durch einen allgemeinen, größeren Vorwärtsdrang sich jedoch immer wieder in seinem fortführenden Lauf bestätigt. Die Klavierparts wurden von Tamara Stefanovich und Florent Boffard ideal ausgeführt, verstanden sie sich offensichtlich ganz im Sinne des Komponisten als ein einziger Klangkörper, was große Präzision und ein noch größeres Einfühlungsvermögen voraussetzt.

Den Abschluss des Abends bildete das Konzert für Akkordeon und Orchester von Bernard Cavanna, das den Untertitel Comedie populaire, sociale et realiste nicht zu Unrecht trägt. Geschrieben als Erinnerung an seinen Großvater, der in der englischen Gefangenschaft während des ersten

Bernard Cavanna  (c) Pierre Gafner

Bernard Cavanna (c) Pierre Gafner

Weltkrieges vom roten Kreuz ein Akkordeon erhielt, widmete der Komponist das Werk dem Akkordeonisten Pascal Contet, der den Solopart auch bei dieser Aufführung übernahm. Stärker als bei den beiden zuvor erklungenen Werken trennt Cavanna die Sätze voneinander, ohne jedoch tatsächlich diese abgeschlossen zu präsentieren. Der lange rasende, das Akkordeon voll auslotende und in Anspruch nehmende erste Satz kippt schließlich beinahe unvermutet innerhalb weniger Takte in den zweiten, der von Ruhe getragen ist. Er erlaubt, die zuvor entstandene Atemlosigkeit zu bannen und Luft zu holen. Die ersten Takte des dritten Satzes „Galop pompier“ genannt, verursachen unwillkürlich einen Heiterkeitsausbruch beim Publikum, wenn der 2/4 Takt Johann Strauß´sche Tanzmusik imitiert. Das überaus kurze Finale lässt noch einmal mit Nachklängen der aufsteigenden Melodiewirbel des Beginns des Stückes aufhorchen. Ihr hier jedoch nur mehr zarter Nachhall markiert das Ballende. Cavanna hat mit diesem Stück eine wunderbare Hymne auf seinen Großvater geschaffen, der sich und seine Familie in der allgemeinen Arbeitslosigkeit der 30er Jahre mit dem Akkordeonspiel auf Bällen ernährte.

Der Dirigent Fabrice Bollon leitete ein motiviertes, auf Transparenz bedachtes Philharmonisches Orchester Freiburg und bestätigte sich dadurch als ausgezeichneter Orchesterleiter für Stücke zeitgenössischer Musik.

Straßburg, du Kulturvolle!

Straßburg, du Kulturvolle!

Eröffnung des Festivals Musica

Als Österreicherin, seit 4 Jahren an verschiedenen Orten im Ausland lebend, habe ich eine Stadt gefunden, die (fast) alle meine kulturellen Wünsche erfüllt. Und das in einem Ausmaß, welches für mich vorher nicht vorstellbar gewesen war. Ich spreche von Straßburg oder auf französisch Strasbourg, der Hauptstadt des Elsass. Das kulturelle Angebot ist – obwohl die Stadt nicht mehr als 280.000 Einwohner hat (mit dem Umland aber immerhin knapp eine halbe Million!) – riesengroß, und vieles davon ist für die Bevölkerung kostenfrei zu konsumieren. Dies hängt damit zusammen, dass die jetzige Stadtregierung unter ihrem Bürgermeister Roland Ries dafür Sorge trägt, dass Kultur für möglichst viele Menschen frei zugängig ist.

Fresco - Strasbourg

Blasorchester anlässlich der Musica Eröffnung in Strasbourg

So geschehen zum Beispiel am vergangenen Wochenende, an welchem das Festival Musica, ein Festival für zeitgenössische Musik eröffnet wurde. Dies geschah am Samstagnachmittag mit dem Konzert „Fresco“ für 5 Blasorchester von Luca Francesconi, einem 1956 geborenen Italiener. Dieser ging in seinem Werk der Frage nach, wie man heute Musik aus den heiligen Hallen des Konzerthauses nach außen transportieren könne und schrieb eine Partitur, in welcher er die 5 ausführenden Orchester als „große, musikalische Tiere“ bezeichnet. Jedes Orchester, ausgestattet mit einem Bläser- und Schlagwerkkörper von insgesamt ca. 50 Personen, bewegte sich von jeweils anderen Ausgangspositionen, die ungefähr 500 Meter im Umkreis der Kathedrale lagen, hin zum zentralen Treffpunkt vor der beeindruckenden gotischen Kirche. Die Blasmusikkapellen, rekrutiert aus kleinen Orten des elsässischen Umlandes, spielten ein und das selbe Stück während ihres Ganges zum Münsterplatz immer und immer wieder. Genauer gesagt waren es 5 Landeshymnen, wobei jeder Klangkörper nur eine Hymne intonierte. Man konnte einem Orchester zu Fuß auf seinem Weg zum Zielpunkt folgen und hörte, je näher man diesem Platz kam, auch von ferne die Klangfetzen der anderen Kapellen. dem Platz vor der Kathedrale befanden sich die Zuhörer zwischen den einzelnen Orchestern, die sich sternförmig postiert hatten. Sie hatten sich nach dem Zufallsprinzip an ihren Plätzen eingefunden, teils waren sie unwissend als Passanten dazugekommen, teils hatten sie die Aufführung jedoch auch erwartet, ihr jeweiliger Standplatz ergab sich aber aus der Verschiebung der Menschenmasse, die den Orchestern Platz machen mussten. Nun folgten die Musiker einem jungen Dirigenten, der die 5 Orchester als eine Formation dirigierte. Die klangintensive Musik bewegte sich in Wellen zwischen den einzelnen Kapellen hin und her und schwoll bis zu ihrem Höhepunkt an, ohne jedoch danach abrupt zu enden. Denn die Musiker innen und Musiker begannen, sich spielend zurückzuziehen, indem sie sich ihren eigenen Weg durch die Menschenmenge, weg vom Platz bahnten. Auf diese Weise verklang das Stück auf andere Weise, wie es in der

Aiuftakt der Musica am Münsterplatz in Straßburg

Auftakt der Musica am Münsterplatz in Straßburg

Anfangsphase zu hören gewesen war. Die Individualität der Musiker und Musikerinnen stand nun im Vordergrund, ganz im Gegensatz zur den zuvor parademäßig aufgeführten Orchesterformationen. Luca Francesconi begeisterte das Publikum mit einem komplexen Werk, das durch seine choreographierte Aufführung durch die Innenstadt, auch ein kulturpolitisches und soziales Statement abgab. Für viele der Musikerinnen und Musiker dürfte das Einstudieren der zeitgenössischen Partitur eine Herausforderung und Neuland gewesen sein – für viele Passanten ein gänzlich neues Hörerlebnis. Das Eintauchen in zeitgenössische Musik, das oft als sperrig und unangenehm bezeichnet wird, gewann hier gänzlich ungezwungenen Charakter mit Klangerlebnissen, welche auch mit der Neugier der Passanten spekulierte. Ein wunderbarer Auftakt, der deutlich machte, dass zeitgenössische Musik keineswegs nur von einer musikalisch gebildeten Elite konsumierbar ist. Es war wunderbar zu sehen, wie sich die Menschen, von den kleinen Kindern bis hin zu Seniorengruppen, die Straßburg offenkundig touristisch erkundeten, neugierig nach den Klangwolken umhörten, lauschten, lachten, klatschten und sich als Teil der Aufführung verstanden. Besser kann Kultur nicht unter ein Publikum gebracht werden! Hier können Sie sich das Konzert ansehen:

Der Sonntag schließlich glänzte mit 18 Konzerten bei freiem Eintritt, die zum großen Teil von Studierenden des Straßburger Konservatoriums gestaltet worden waren. Aber auch bekannte und herausragende Solisten und Ensembles nahmen daran teil, ohne dass das Publikum dafür Karten hätte kaufen müssen. Im Aufführungsgebäude, der „Cité de la musique et de la danse“, das über zahlreiche Konzerträume verfügt, konnte man fast nahtlos nacheinander den ganzen Nachmittag Konzerten zeitgenössischer Musik beiwohnen. Die Palette reichte von Komponisten, die in ihrer Musik Bezüge zu Johann Sebastian Bach aufzeigen, über ein Konzert des Ensemble Ictus, einer belgischen Formation, die mit der Minimalmusik von Tom Johnson auftrat, bis hin zur Jazzformation Spoon, einem Trio, welches sich aus Musikstudenten der Jazzklasse zusammensetzte. Die vollen Räume zeigten, wie groß das öffentliche Interesse an Aufführungen dieser Art ist und das es nicht stimmt, dass zeitgenössische Musik nur schwer an Frau oder Mann gebracht werden kann. Insgesamt nahmen 2300 Menschen an diesem Nachmittag an den Konzerten teil, was keiner weiteren Kommentierung mehr bedarf.

Die Jazzer der Gruppe Spoon brachte die kleine Cafeterie, in der sie ihr Konzert gaben, zum Kochen. Ihre selbst komponierten Stücke mit freejazzigen Passagen und exakt durchexerzierten, teilweise rhythmisch rasch wechselnden Stellen brüllten und hämmerten, jammerten und pochten, je nachdem wie die Instrumente zum Einsatz gelangten. Herausragend war der junge Bassist Stéphane Clor, der sein Instrument nicht als Begleit- sondern als solistisches Tonwerkzeug versteht und auch so einsetzt. Er zeigte in den 45 Minuten, welcher Klangreichtum aus einer Bassgitarre zu holen ist und führte streckenweise das Ensemble mit Bravour. Zu bewundern waren aber auch der Saxophonist Colin Petit und der Schlagzeuger Anatole Petit, deren körperlicher Einsatz schon beinahe schmerzend am eigenen Leib nachempfunden werden konnte. Ein tolles Konzert, bei welchem vor allem die Aufführungs- und Spielfreude der jungen Musiker, ganz abgesehen von ihrer Musikalität, beeindruckte.

Was die Jazzmusiker an Überfülle boten, glich das Ensemble Ictus mit seiner minimalistischen Musik von Tom Johnson wieder völlig aus. In vier Stücken, begleitet vom Erzähler Jean-Luc Fafchamps, selbst Komponist und Pianist und Ensemblemitglied von Ictus, zeigten die Musiker, dass Musik auch einem rein mathematisch- logischen Kompositionsprinzip folgen kann. Das Umwerfende daran war die den Stücken, durch die kleinen Erzählungen davor, innewohnende Komik, wenn zum Beispiel Johnson erklärt, wie viele Möglichkeiten es gibt, 4 Männer und 4 Frauen an einem Tisch zum Essen zu versammeln. Jedem Mann und jeder Frau wurde ein bestimmter Ton zugeteilt und je nach Sitzordnung, erklangen dann die Töne abwechselnd hintereinander. Ein Riesenspaß, der auch mathematisch unbegabten Menschen zeigte, dass das Spiel mit Zahlen interessant und lustig sein kann. Eine wahrlich tolle Vorführung, die minimalistische Musik einmal von einer anderen, lustvollen Seite zeigte.

Zu hören sind einige der Konzerte, welche durch Arte und france musique aufgezeichnet wurden hier:

Ganz nebenbei sei noch erwähnt, dass am Samstag eine Gratisaufführung einer Musikrevue zu sehen war, die das Leben des Dada-Künstlers Jean Hans Arp unterhaltsam ausschnitthaft nachvollzog. Mehr über diese Vorstellung gibt´s jedoch in einem gesonderten Bericht in den nächsten Tagen.

Aufgrund der Straßburger Kulturpolitik ist es möglich, Kunst auf hohem Niveau zu genießen, ohne dafür ein Sparbuch opfern zu müssen. Ein Beispiel, das in Europa Schule machen sollte!

Weitere Informationen gibt´s auf der Webseite von Musica: https://www.festival-musica.org/edito

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