Die Beuys´sche Kunstgleichung Kunst = Kapital aus dem Jahr 1979 erfährt bei der diesjährigen Ausgabe von curated by_vienna eine Neuinterpretation. „Kunst und Kapital“ ist der Übertitel der Veranstaltung, die von insgesamt 20 Galerien in Wien getragen wird. Unter der Federführung von Departure, einer Tochtergesellschaft der Kreativagentur der Stadt Wien.
Das alljährlich stattfindende Galerienfestival, das mittlerweile internationale Beachtung findet, hat hierfür in 20 Galerien insgesamt 23 Kuratoren und Kuratorinnen nach Wien gerufen. Sie wurden mit einem Text des Philosophen Armen Avanessian konfrontiert. Gebürtig aus Wien, derzeit an der Freien Universität in Berlin tätig, schuf er einen theoretischen Überbau mit dem Titel „Tomorrow Today“, der Fragen zu unserem jetzigen und zukünftigen Finanzsystem gerade im Spannungsfeld der Kunst aufwirft. Avanessian wollte damit keine Anleitung für die Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern geben, sondern vielmehr Denkanstöße liefern.
Eine der wohl radikalsten Antworten auf diese Herausforderung fand die Galeristin Ursula Krinzinger. Für die Gestaltung der Schau in den Räumen in der Schottenfeldgasse 45, jener Location, in der meist junge Kunstpositionen präsentiert werden, lud sie Harald Falckenberg ein. Falckenberg, seit über 20 Jahren Kunde der Galerie Krinzinger, ist für seine große Sammlung zeitgenössischer Kunst in Hamburg mit dem Schwerpunkt auf Counter Culture international bekannt. Mit der Öffnung seiner Sammlung für Publikum wechselte er sogar die Fronten vom Käufer zum Kunstvermittler und Ausstellungsmacher. Als Kurator sieht er sich dennoch nicht und so erbat er sich erst eine Bedenkzeit, bevor er der Wiener Galeristin seine Zusage gab.
Ursula Krinzinger und Harald Falckenberg (c) European Cultural News
Das Ergebnis der anschließenden, intensiven Zusammenarbeit zwischen den beiden ist eine invisible Ausstellung mit dem Titel „Verkauf in Nebenräumen“. Ein Projekt, bei welchem der Terminus Ausstellung eine gänzlich neue Bedeutung bekommt. Zu sehen ist in den schönen, hellen Räumen im Hinterhof des Gebäudes Schottenfeldgasse 45 – nichts – außer Beschriftungstafeln mit den Namen von Künstlern und Künstlerinnen, den Titeln von Bildern oder Objekten, Größenangaben und allfälligen anderen Zusatzinformationen, wie man sie von Ausstellungen her kennt.
Auf den ersten Blick ist man verblüfft, denn die Erwartungshaltung, in einer Galerie Objekte zu sehen, wird hier nicht bedient. Was angesichts der leeren Wände nun tun? Was, wenn Erwartetes nicht präsentiert wird? Man greift kurzerhand auf eine altbewährte Kommunikationsschiene zurück, die man sprechen nennt und beginnt Fragen zu stellen. Am Eröffnungstag stand nicht nur die Galeristin Rede und Antwort, sondern auch Harald Falckenberg selbst. Sein Ausgangspunkt für die Schau war Ärger. Ärger darüber, dass es im heutigen Ausstellungsbetrieb fast schon zum guten Ton gehört, Kunstwerke ohne Beschriftung zu präsentieren. „Kunstwerke erklären sich aber nicht von selbst“ – O-Ton Falckenberg, Krinzinger ergänzend: „Für uns, die wir uns nach jedem Fitzelchen Information über ein Kunstwerk sehnen, ist diese Praxis tatsächlich unmöglich.“
Und so kam Falckenberg auf die Idee, den Spieß doch einfach einmal umzudrehen und nur Informationstafeln ohne Kunstwerke auszustellen. So simpel der Gedanke auch scheinen mag, so viele verschiedene Bedeutungsebenen können ihm zugeschlüsselt werden. Zum einen ist die Idee einer Sammlung, die nur in der Vorstellungswelt der Menschen alleine besteht, nicht neu. In seinem Werk „Étant donnés“ versperrte Marcel Duchamp das erste Mal den direkten Blick auf ein Kunstwerk. In größerem Ausmaß erdachte sich André Malraux ein eigenes musée imaginaire, in dem er alle wichtigen Kunstwerke vereinigte und Marcel Broodthaers wiederum rief in seiner Wohnung ein musée d` art Moderne aus, in dem er in unterschiedlichen Sektionen fiktive Ausstellungen gestaltete. Alle drei Genannten haben mit der konzeptuellen Ausstellung von Falckenberg/Krinzinger eines gemeinsam: Sie hinterfragen die Präsenz eines Kunstwerkes, ihre Präsentation und somit den Kontext in dem sie als Kunstwerk erkannt werden und sie stellen darüber hinaus Fragen zu musealen Gepflogenheiten. Letze Fragestellung wird in der Schottenfeldgasse auf den Betrieb einer Galerie heruntergebrochen.
Die dort nicht an der Wand befindlichen Bilder sind dennoch präsent. In einem zu einem Lager umgebauten Nebenraum. Dort kann man sich dann nach Lust und Laune ein bestimmtes Kunstwerk in natura ansehen. Nachdem es aus dem Regal oder einer Kiste geholt und ausgepackt wurde. Maximal drei Interessierte dürfen zur gleichen Zeit diesen Raum betreten. Dies bewahrt jene Intimität, die für gewöhnlich auch herrscht, wenn Kunst tatsächlich gekauft wird.
Im Nebenraum kann man ungestört Kunst genießen , Verkauf in Nebenräumen, curated by_2015, Krinzinger Projekte (c) European Cultural News
Was auf den ersten Blick wie eine völlige Negierung der Kunst erscheint, wird angesichts der Möglichkeit, Bilder exklusiv präsentiert zu bekommen und darüber in kleinstem Kreis sprechen zu können, zum Exklusivereignis. Die Befürchtung, bei dieser Ausstellung keinen Verkauf zu tätigen, teilt die Galeristin nicht. „Ich gehe bei keiner Ausstellung von einer Nullnummer aus“. Angesichts der getroffenen Auswahl ist dies tatsächlich auch höchst unwahrscheinlich. Eine weitere Ebene, die ursächlich mit der Verkaufsstrategie der Galerie Krinzinger zusammenhängt, wird hier ebenfalls sichtbar. Werden doch wichtige Schätze aus dem Lagerbestand kommuniziert, ohne dass dafür eine umständliche Hängung vorgenommen werden musste. Ohne dass ästhetische Abhängigkeiten, Unterstützungen oder gar Ausschlüsse zwischen den einzelnen Kunstwerken an der Wand bedacht werden mussten. „Wir haben jedoch schon darauf geachtet, dass sich jedes einzelne der Kunstwerke in irgendeiner Art und Weise mit dem vorgegebenen Generalthema beschäftigt“. Manfred Wiplinger, bei Krinzinger tätig, weiß genauestens über die Hintergründe der Arbeiten bescheid, hat das Lager im Griff und kann auf Anhieb das gewünschte Kunstwerk aus dem Regal hervorholen, oder eine der Kisten öffnen.
Tatsächlich geschieht es häufig, dass Kunden auf Messen jene Kunstwerke am liebsten und raschesten kaufen, welche von den Galeristinnen und Galeristen in den kleinen Räumen abgestellt werden, die sich meist in irgendeiner Ecke des Standes befinden. Und es ist üblich, dass gute Geschäfte nicht coram publico, sondern im stillen Kämmerlein verhandelt und abgeschlossen werden. „Die Auswahl der Künstler hat mir Harald Falckenberg komplett überlassen“. Damit fiel jene Entscheidung an Ursula Krinzinger zurück, die für gewöhnlich für die curated by-Ausstellung von einem Kurator einer Kuratorin übernommen wird. Die Fragen, wer nun hier Kurator, wer Ausstellungsmacher oder –macherin ist, von wem welche Idee genau stammt, sind nicht mehr eindeutig zu beantworten. Es ist symptomatisch, dass sich ausgerechnet zwei Vollprofis, die sich bereits Jahrzehnte ihres Lebens mit Kunst beschäftigen und darin zu big playern aufstiegen, an dieser Nummer großen Spaß haben. Und sie funktioniert tatsächlich auch nur, weil man die Namen und teilweise auch die Werke, die hier nur durch kleine Zettelchen in Statthalterform an der Wand präsent sind, kennt. Von Abramovic bis Beuys, von Jungwirth bis Kosuth, von Spoerri bis Warhol – die Liste der nicht ausgestellten Kunstwerke ist lang und illuster und liest sich wie ein who-is-who der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts. In einer Galerie, die mit ihren Künstlerinnen und Künstlern erst in der Aufbauarbeit steckt, ginge dieses Konzept nicht wirklich auf. Denn es ist gerade das Kopfkino, die Imagination der bekannten Werke vorweg, die einen beträchtlichen Reiz dieser unkonventionellen Präsentation ausmacht. Was wiederum Rückschlüsse auf die feste Verankerung der Galerie im Kunstbetrieb zulässt.
Versteckt, durch einen schmalen Gang erreichbar, gibt es dann doch noch einen kleinen Showroom. Eine Neon-Arbeit des Altmeisters Joseph Kosuth leuchtet hier aus dem Dunkel. Eine Videoinstallation von Eva Schlegel, auf eine drehende Scheibe projiziert, heischt um Aufmerksamkeit und Zenita Komad ist mit einem Paneel vertreten, auf dem mit Bewegungsmeldern verbundene Glöckchen die Eintretenden begrüßen.
Das Konzept von „Verkauf in Nebenräumen“ beschäftigt sich in erster Linie nicht mit künstlerischen Sichtweisen auf die Veränderung der ökonomischen Strukturen im Kulturbetrieb. Vielmehr gelingt es, das Kaufinteresse auf ganz bestimmte Werke zu fokussieren, die sonst ziemlich sicher nicht in dieser Auswahl zusammengefunden hätten. Zugleich kann aber auch das nur interessierte Publikum ohne Kaufabsichten auf Wunsch jenen Vorgang erleben, bei dem am Ende im Bestfall der Austausch Ware gegen Geld steht. Ob nun die einzelnen künstlerischen Positionen, die sich hier friedlich vereint an den Wänden nur ankündigen, tatsächlich auch Bezüge zu Avanessians Fragestellung aufweisen, muss man entweder seiner eigenen Sachkenntnis überlassen, oder auf die Auskünfte der Galeristin und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bauen. Was hier auf den ersten Blick fehlt sind zwar die Bilder, was hier aber in Gang gesetzt wird ist eine Art von Kommunikation, die sich angesichts eines normalen Ausstellungsbetriebes immer seltener einstellt. Interessierte kommen, schauen, gehen. Gefragt wird nicht, der optische Eindruck genügt den meisten. Wer hier aber etwas sehen will, muss fragen und befindet sich damit ad hoc in einem Dialog. Wer nicht fragt, geht erkenntnislos nach Hause.
Die Albertina vereint in der Ausstellung „Drawing now 2015“ 130 Werke von 36 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern. Wer dachte, das Medium der Zeichnung hätte sich überholt, wird hier eines Besseren belehrt.
Gedämpftes Licht, Papierblätter die nur unter Aufbietung aller konservatorischer Regeln dem Publikum präsentiert werden können, eine Aura des Erhabenen und Unantastbaren: All das gibt es in der Ausstellung „Drawing Now 2015“ nicht zu sehen. Die Albertina präsentiert darin vielmehr Arbeiten von insgesamt 36 zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, die von der Kuratorin Elsy Lahner als beispielgebend für das Medium Zeichnung unserer Tage ausgesucht wurden. Und die sind alles andere als museal erhaben, sondern in ihrer Vielfalt und Qualität schlichtweg spannend.
Als Einstimmung werden die Besucherinnen und Besucher mit einer grafischen Intervention von Rainer Prohaska an der Fassade des Museums begrüßt. Grellorange leuchtende Zurrbänder sind quer über die Fassade inklusive des Flugdaches des Museums gespannt und künden im öffentlichen Raum von einem erweiterten Zeichnungsbegriff. In einem Video, das sich auf der Homepage der Albertina findet, spricht der Künstler aufschlussreich über die Entstehungsgeschichte. Der Film ist einer von insgesamt vier, welche die Ausstellung aus unterschiedlichen Perspektiven ergänzen, ein Service, das im internationalen Ausstellungsbetrieb keine Vergleiche scheuen muss.
Der Begriff Zeichnung ist für einige Arbeiten dieser Schau irreführend, da er eine Einschränkung vorgibt, mit der man das Zeichenhafte auf einem Malgrund, meist Papier, assoziiert. In der Basteihalle im Untergeschoß des Museums oszilliert jedoch das grafische Element von der Wand ins Objekthafte (Fritz Panzer, Monika Grzymala, Constantin Luser) oder erfährt in kleinen Filmen eine Animation (David Shrigley, Marc Bauer). Nicht ausgelassen wird ein Blick auf den öffentlichen Bereich, in welchem sich in den letzten Jahrzehnten die Kunst des Graffiti verbreitete. Dan Perjovschi nutzte dafür eine ganze Wand in der Ausstellung selbst, um seine pointierten Reflexionen zum Kunstbetrieb darzulegen; Robin Rhode ist mit einer hoch ästhetischen Fotoarbeit vertreten, in der die Entstehungsgeschichte eines Schwarz-Weiß-Graffitis samt Künstlerpose eingefangen ist.
Mehrfach schon hat Klaus Albrecht Schröder, Leiter des Hauses, darauf hingewiesen, dass eine Aktualisierung des Ausstellungsbetriebes aber auch der Sammlung selbst nur dann zielführen ist, wenn diese die aktuellen Strömungen integrieren. Und das bedeutet schon seit Längerem, auch den Crossover verschiedener Kunstdisziplinen zu berücksichtigen.
Fritz Panzers „Elevator“, sinnfällig in der Verlängerung der tatsächlichen Rolltreppe aufgestellt, ist dafür ebenso ein Beispiel wie die Rauminstallation von Constantin Luser. Der um eine Generation jüngere österreichische Künstler übersetzt das grafische Element ähnlich wie Panzer mit feinen Drähten ins Dreidimensionale, lässt jedoch im Gegensatz zu Panzers geometrisch kodierten Arbeiten der Poesie einen stärkeren Raum. Seine Verknüpfungen von den ätherischen Objekten mit feinen Zeichnungen, die direkt auf der Wand angebracht sind, waren auch in der Kunsthalle in Krems vor wenigen Monaten zu sehen und faszinieren immer wieder aufs Neue.
Auffällig ist, dass sich eine große Anzahl von Arbeiten der Wiedergabe der sichtbaren Realität entziehen oder diese verfremden. So zeigt Tatiana Trouvé in zwei Bildern fantastische Räume, in welchen sich architektonische Innen- und Außenelemente kunstvoll verzahnen. Aleksandra Mir fügt sechs Papierbahnen so aneinander, dass sich das darauf abgebildete, imaginierte Schlafzimmer übers Eck von der Decke bis zum Boden auf zwei Ausstellungswänden erstreckt. Löwen und Fabelwesen beleben die Szenerie, die jedoch keinem Kulturkreis fix zuzuordnen ist. Michaël Borremans kleine Blätter, die er „Sculptural installations for abandoned Airport“ nennt, verbreiten ganz subtil Grauen, evoziert er mit dem Titel und den abgebildeten Fantasien doch Horroszenarien im Kopf. Paul Noble entführt in seinen beiden wandfüllenden Arbeiten ebenfalls in fantastische Welten, die trotz oder wahrscheinlich wegen ihrer strikten Ordnung nicht wirklich zum Verweilen einladen. Amy Cutler treibt das Spiel mit der Fantasie am offensichtlichsten. Ihre bunten Frauengestalten bewegen sich zwischen Märchen, Mythen und Sagen, ohne dass man ihnen fixe Erzählstrategien zuordnen könnte.
Zwei gesellschaftskritische Positionen kommen hingegen von Andrea Bowers und Olga Chernycheva. Erstere isoliert dabei einzelne weibliche Figuren aus Fotografien, die sie akribisch mit feinem Buntstift nachzeichnet. Aufgenommen wurden die Fotos bei verschiedenen Protestaktionen, deren Themen auf den abgebildeten Schildern sichtbar werden. Die Fokussierung auf eine einzelne Person, die auf den weißen Blättern nicht zentral, sondern immer außerhalb des Mitte angeordnet ist, lässt jede Menge Denkraum zu. Eine starke Arbeit, in der dem schnellen und flüchtigen Moment der Fotografie eine Verlangsamung und Dauer entgegengesetzt wird, die den Anliegen der Demonstrantinnen ein starkes Gewicht verleiht. Auf Olga Chernychevas Schwarz-Weiß-Zeichnungen breitet sich jene Armut aus, die im heutigen Russland keine anderen Züge trägt als schon im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Verelendete Menschen in Lumpen verlieren bei ihr jedoch nicht ihre Würde. Die Objekte, mit welchen die Künstlerin die Menschen abbildet, fungieren in ihrer Titelgebung als Schutzschilder; als letztlich fragile, oftmals nur fühlbare Anker, welche sie noch in der Gesellschaft verbleiben lassen. Der kunsthistorische Bogen von der Zeichnung, wie sie auch in den Blättern des Weberaufstandes von Käthe Kollwitz sichtbar wurden, erfährt hier eine zusätzliche Dimension durch die beklemmende Aktualität des Geschehens.
Geometrie und geometrisch erzeugter Illusionismus wird ebenfalls mit mehreren Arbeiten sichtbar. Lotte Lyon führt aufmerksame Besucherinnen und Besucher mit einer blau-rot-geometrischen Treppenspiegelung an der Decke über der Rolltreppe in den Ausstellungsraum; Toba Khedoori lässt auf ein und demselben Blatt aus unterschiedlichen Blickwinkeln in ein Fenster blicken und Silvia Bächli gelingt es, geometrischen Farbstreifen eine eigene Handschrift zu hinterlegen.
„Drawing now“ ist eine jener Ausstellungen, deren Besuch sich in mehrfacher Hinsicht lohnt. In ihr wird einerseits deutlich, wie groß heute die Bandbreite ist, in der sich Künstlerinnen und Künstler zeichnend ausdrücken. Andererseits verdichtet und veranschaulicht sich dort auch jene zeitgeistig weit verbreitete Stimmung, die beabsichtigt, den realen Alltag vergessen zu machen und in Fantasiewelten einzutauchen. Die kluge Auswahl der Arbeiten vereint gekonnt scheinbar Unvereinbares und lässt Arbeiten, die dem herkömmlichen Gattungsbegriff der Zeichnung entsprechen, locker neben solchen existieren, die sogar ins Performative (eine Installation von Nikolaus Gansterer) wechseln. Nicht zuletzt vermitteln gerade auch die großen Formate ein Gefühl davon, dass der Gestus der Zeichnung, egal ob pingelig genau ausgeführt oder eher mit großzügiger Geste angegangen, eine intensive vorherige Auseinandersetzung mit dem Thema und der Technik verlangen. Ein in vielen Bereichen schon tot gesagter Kunstbegriff zeigt sich hier von seiner vitalsten Seite.
Der Maler Franz S. Mrkvicka zeigt eine Auswahl von Bildern seines Zyklus „Wald“ in der sommergalerieZöbing. Ein kühler Tipp für heiße Tage.
Es gibt Menschen, die sind künstlerisch-kreativ. Es gibt andere, die tummeln sich mit großem Vergnügen in der Natur. Franz S. Mrkvicka gehört zu jenen, die beides gerne machen. Der aus Wien stammende Künstler mit seinem Hauptwohnsitz in Passau verbringt viele Monate im Jahr in Zöbing am Kamp. Dort hat er sich nicht nur, wie auch in der Drei-Flüsse-Stadt, ein Atelier eingerichtet in dem er Bilder produziert. Vielmehr hat er einen Raum, der ehemals ein großer Schuppen war, zu einer wunderbar stimmigen Ausstellungsfläche umgestaltet.
Im nun schon 3. Jahr bietet er damit ausgewählten Künstlerinnen und Künstlern dort die Gelegenheit, ihre Arbeiten zu präsentieren. Im Juli genehmigte sich Franz S. Mrkvicka selbst diesen Luxus. Der Künstler, der über Jahre hinweg an unterschiedlichen Zyklen arbeitet, stellte eine wunderbare Schau zusammen, die dem Thema Wald gewidmet ist.
Selbst passionierter Wanderer kennt er, der keinen Führerschein besitzt, ganz besonders die Waldgebiete, die sich von Passau aus in den Osten und Süden erstrecken. Aber selbstverständlich auch den Wienerwald, den er schon als Junge gemeinsam mit Freunden durchstreifte und dort naturkundliche Forschungen an so manchem Getier vornahm. Der Bayrische Wald östlich und der Sauwald, der sich südlich von Passau auch ins Oberösterreichische erstreckt sowie der Wienerwald sind jene Gebiete, die Mrkvicka seit über 10 Jahren auch fotografisch festhält.
Bis auf wenige Blätter sind es Fotos, die den Ausgangspunkt zu einer kreativen Auseinandersetzung mit der Materie Wald darstellen. Egal ob winters oder sommers, im Frühling oder im Herbst – es sind stimmungsvolle Aufnahmen quer durch die Jahreszeiten, die sich weniger dem Panorama, sondern mehr einem intimen Blick auf die Fauna des Waldes widmen. Ein kleiner Weiher, vereiste Granitplatten, ein grün sprudelndes Bächlein dessen Farbgebung, so unnatürlich grell sie auch erscheint, nicht nachträglich verändert wurde. Der Blick auf ein Feld oder in einen Buchenwald, in dem man buchstäblich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. All das ist das Rohmaterial, das von Mrkvicka mit der ihm eigenen künstlerischen Handschrift überarbeitet wurde. Oft sind es nur wenige, kleine Farbtupfer, die ein Bild akzentuieren. Manches Mal vertikale, grüne Striche, parallel gesetzt, welche die Rhythmisierung der Baumstämme verstärken. An anderer Stelle kringelt sich ein sattes, lichtschluckendes, zartes Gelb-Band zwischen einer lichtdurchfluteten Waldeslandschaft.
Die fotografischen Abzüge sind mit reichlich weißem Rand versehen, sodass viele der künstlerischen Eingriffe über die Fotos hinaus wandern. Sie klingen aus im Weiß der papierenen, künstlichen Umgebung. Ein Surrounding, das eine wunderbare Klammer in jene Atelierwelt schafft, in welcher der Künstler Pinsel und Farbe einsetzt, um seine eigenen Naturinterpretationen zu schaffen. Das Mittelstück eines nebelverhangenen Triptychons erweist sich erst auf den zweiten Blick als ein Foto, das links und rechts von demselben Abzug umklammert wird. Der unterschiedliche künstlerische Eingriff auf den äußeren Blättern verschleiert diesen Umstand auf den ersten Blick. Ist es einmal ein absterbender Baumstamm, dem der Künstler vertikal mit Rot noch etwas Lebenssaft verabreicht, sind es im zweiten Fall unregelmäßige, rasch hingeworfene rote Linien, die ein nahes Fällen oder auch Fallen vorhersehen.
Eine Ausnahme bildet jenes Blatt, das drei verschiedene Landschaften untereinander vereint. Die mittlere entbehrt jeglicher fotografischen Grundlage. Sie wirkt wie ein subtiles, artifizielles Echo ihrer beiden Genossen, die zwei Aufnahmen einer schroffen Felswand mit einem sehr hoch angesetzten Horizont zeigen. Hier ein sattes Grün, da ein dunkles Violett – Mrkvicka denkt mit dem Pinsel in der Hand so manches vegetabile Geschehen weiter.
Jedes Blatt ist nicht nur mit Mrkvickas Monogramm, sondern auch mit dem genauen Datum des Fotos und der örtlichen Beschreibung versehen. So gestaltet sich der Blick in die Ausstellung, der Gang von einem verglasten Präsentiertisch zum nächsten, wie eine kleine Wanderung quer durch die verschiedenen Waldlandschaften. Und tatsächlich werden Unterschiede sicht- und auch spürbar. Der sanfte Wienerwald, durchflutet von Licht, ist mit einer Grazie ausgestattet, die dem bayrischen Wald komplett fehlt. Hier zarte Baumstämme, wie in einer Symphonie Ton für Ton bewusst aneinandergereiht, dort urwüchsige Natur, durch die das Gehen, so vermitteln die Bilder den Eindruck, mehr Mühe und Abenteuer bedeutet.
Rot-orange Farbflecken auf einem dichten, in unterschiedlichen Grüntönen changierenden Blättervorhang erinnern an die Blüten einer Kapuzinerkresse. Ein brauner Laubboden, über dem sich helle Birken zu einer Domkuppel vereinigen und durch rote Luftschlieren in ihrem überschießenden Grün in Zaum gehalten werden, kündet von pilzigem Duft. Nicht immer, aber oft kommt der Künstler, der seine Wanderungen mit seiner Frau Eva genießt, mit kleinen kulinarischen Andenken nach Hause.
Bei meinen vielen Gesprächen erwähnt er eingangs häufig mit wenigen, aber schwärmerischen Worten seine letzten Wanderungen. Es wird nicht viele Menschen geben, die ihre unmittelbare Natur zu Fuß schon derart erkundet haben wie der Künstler. „Die meisten kennen sich in weit entfernten Flugdestinationen gut aus, haben aber keine Ahnung, wie die Landschaft unmittelbar vor ihrer Haustüre aussieht.“ Ein Zitat von Mrkwicka, das man nicht lang auf seine Richtigkeit überprüfen muss. Tief verbunden mit der Natur, hat das Ehepaar vor seinem Zöbinger Ausstellungsraum auch einen kleinen Hausgarten angelegt. Wenige Nutzpflanzen, Kürbisse und Zucchini, einige seltene Kräuter, viel dekorativ Blühendes – das Meiste davon selbst aus Samen gezogen, nichts in Reih und Glied. All das macht klar, dass sich die Natur ihr Recht hier nicht erkämpfen muss. Auch die Landschaft um Zöbing ist in einigen Ausstellungsexponaten festgehalten. Darin beginnt eine Kiesgrubenpfütze farbumflort ihre Schönheit zu präsentieren oder der Boden einer Sandgrube in Obernholz sein allzu blasses Antlitz angesichts des naturgegebenen , frechen Nachbarsgrün mit grauen, schwarzen und roten Farbflecken zu schminken.
Die wunderbare Auswahl an Waldstücken ist noch bis ca. 20. August in der sommergalerieZöbing zu sehen. Um in den Genuss einer persönlichen Präsentation zu kommen, wird um vorherige Kontaktaufnahme gebeten. Schließlich befindet sich der Hausherr so manche Stunde im Hochsommer in einem kühlen Wald.
Mit der Ausstellung des Düsseldorfer Künstlers Christof Hartmann geht die sommergalerieZöbing in ihre 3. Saison. Franz und Eva Mrkvicka zeigen in ihren Ausstellungsräumen Arbeiten auf Papier, auf Stoff aber auch Plastiken. Die Werke stammen aus den letzten 20 Jahren und geben in einer sehr subtilen und ästhetischen Schau einen Einblick in Hartmanns Schaffen.
Ein wenig Verrücktheit gehört dazu, von beiden Seiten. Sowohl was das Galeristenpaar betrifft, als auch den Künstler. Denn die Anreise in den kleinen Ort im Kamptal per Auto dauert immerhin 8 Stunden von Düsseldorf aus. Und keiner der Beteiligten erwartete einen Publikumsansturm, ist Christof Hartmann hierzulande trotz einiger Ausstellungen in Klagenfurt, Graz und Kitzbühel doch nicht wirklich bekannt. Erschwerend kamen noch das Datum und das Wetter hinzu. Zur Eröffnung am 23. Mai, einem Pfingstsamstag, regnete es in Strömen, was tatsächlich einige Interessierte aus Wien davon abhielt, an der Vernissage teilzunehmen. Wie dem auch sei – all jene, die kamen, wurden belohnt. Nicht nur mit den Kunstwerken selbst, sondern auch mit den Erklärungen des Künstlers, der sich allen Fragen persönlich widmete und eloquent Auskunft geben konnte.
Christof Hartmann, ohne Titel (c) European Cultural News
Auf Papier gesetzte, auf den ersten Blick rasch gefertigte Zeichnungen lassen, so wie sie präsentiert wurden, Rückschlüsse auf gewisse, immer wieder kehrende Bewegungsabläufe zu. Bei anderen Blättern erkennt man das Ringen um die größtmögliche Ausgewogenheit in der Komposition, das perfekte Zusammenspiel der verschiedenen Gestaltungselemente. Diffizile Kompositionen, zusammengesetzt aus unterschiedlichen, oft armen Materialen machen einzelne Werke zu etwas „Exquisitem“, wie es eine Dame an dem Abend ausdrückte. Das ist tatsächlich das, was Hartmann im Sinn hat. Mit der eigenen Kreativität und der Ausführung etwas zu schaffen, was künstlerisch Bestand haben kann und kostbar wird. Sein Ideenfundus wird aus vielerlei Quellen gespeist. Europäische aber auch außereuropäische Kunstwerke, die über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende auf uns gekommen sind wecken sein besonderes Interesse. Die Farben, die Formen im Speziellen erfahren dann bei ihm eine Neuauflage in einem völlig anderen Kontext als dem Historischen. Autolacke, verdünnt mit Nitro und Teerfarben ergeben eine ganz spezielle Farbigkeit, eine Farbskala, innerhalb der sich das Oeuvre von Hartmann ausbreitet. Brillanz hier, ein wenig Glitzer da, einiges matt, Licht saugend. „Die Farbe erinnert mich an mein erstes Auto, einen Fiat“ erzählt eine Dame während eines Gespräches und zeigt, wie individuell die Rezeption von Hartmanns Bildern gestaltet werden kann.
Christof Hartmann, ohne Titel (c) European Cultural News
„Ich glaube, dass das, was ich in meine Kunst hineingebe, tatsächlich von vielen Menschen auf seelischer Ebene erfasst wird. Es geht nicht um den vordefinierten Inhalt, sondern viel mehr um die Gefühle, die dabei ausgelöst werden und die sich oft mit dem decken, was ich ausdrücken wollte“. Hartmann ist über jede Äußerung zu seinen Arbeiten erfreut, hört aufmerksam zu und ist begeistert, wenn sich Menschen einer intensiven Auseinandersetzung mit seiner Kunst stellen. „Warum ist in diesem Stoffbild der Streifen nicht gerade eingesetzt?“ möchte jemand wissen. „Weil ich das von Hand genäht habe und nicht nähen kann.“ Eine einfache, lapidare Antwort, mit der so wohl niemand gerechnet hat. Manches Mal sind es einfach gewisse Umstände, die ein bestimmtes Resultat nach sich ziehen.
Die Frage bezog sich auf ein schmales, langes Format in dessen Mitte ein Stoffstreifen eingenäht ist. Schwarze, breite Winkel sind darauf in unregelmäßiger Reihenfolge verteilt, heben sich ab vor einem Blau und einem Grün, das unmerklich ineinander übergeht, ohne jedoch an einem gewissen Punkt seine eigene Autonomie aufzugeben. Eine Stoffbahn, die sich unendlich fortsetzen ließe, würde nicht an einer Seite, an einem Ende die helle Umrahmung enden. Die bunte, eingenähte Bahn macht Anstalten, sich weiter im Raum ausdehnen zu wollen, aber ohne Halt beiderseits, so hat es den Anschein, gibt sie rasch auf. „Es sind Formen, die sich auf afrikanischen Stoffen finden, die ich hier aufgreife“, kommt die künstlerische Erläuterung und knapp danach: „Altgriechisch lernen und einen Nähkurs machen“, will der Düsseldorfer, der neben seinem Kunststudium an der Düsseldorfer Akademie auch Philosophie abschloss. Diese Aussage zeigt, wie breit sein Interessensspektrum angelegt ist. Nicht, dass er die Sprache nicht schon einmal gelernt hätte, aber sowohl seine Sprachkenntnisse als auch seine Nähfertigkeiten findet er unvollkommen. Das eine braucht er, um Philosophisches im Original besser lesen, das andere, um geplante Stoffarbeiten perfekter ausführen zu können. „Dazu brauche ich aber auch noch eine Industrienähmaschine, die dickes Material verarbeiten kann. Ich glaube, das wird ziemlich schwierig werden“. Auch das sind Herausforderungen, von denen man nicht annimmt, dass sie sich einem Künstler stellen.
Die Plastiken, die sich in den Ausstellungsraum einfügen als wären sie immer schon dort gewesen, sind allesamt aus Beton gefertigt. Oder aus einem Materialmix geschaffen. Hartmann hat sich, wie bei den genähten oder geklebten Stoffarbeiten eine eigene Technik angeeignet. „Als ich Kindergärtnerinnen zusah, wie sie in Ton kleine Köpfe formten, Punkti, Punkti, Beistrich, Strich und diese dann mit Gips ausgossen, war mir klar, dass ich so etwas auch probieren müsse.“ Mittlerweile hat er dieser simpel klingenden handwerklichen Fähigkeit Finessen hinzugefügt, die man nicht ohne Weiteres imitieren kann. Bei großen Arbeiten fügt er Armierungen hinzu, um „das Fleisch mit Knochen zu versehen, die das Ganze stabilisieren und festhalten“. Ergänzt muss hier werden, dass der Schaffensprozess ohne eine visuelle Überprüfung vonstattengeht. Die Finger sind das ausführende Organ, das die Negativform in den Ton gräbt. Bei großen Plastiken, die zusammengesetzt werden, hat der Künstler dabei keine Sichtkontrolle. Ob das Ergebnis passt, merkt er erst, wenn der Guss freigelegt wurde. Kleinere Plastiken werden aus Gips gegossen, für größere verwendet er einen Beton aus einer für ihn eigens angefertigten Mischung.
In Zöbing werden einige kleine Köpfe, eine Frauenbüste aber auch ein mittelgroßes Relief, bei dem verschiedene Köpfe aus unterschiedlichen Ebenen den Betrachtenden entgegenragen, präsentiert. In Engabrunn, wenige Kilometer entfernt, sind ähnliche Köpfe hoch oben im Kreuzrippengewölbe der dortigen Wehrkirche aus dem Beginn des 16. Jahrhundert angebracht. „Ganz ohne System und ohne, dass es darüber irgendwelche Unterlagen gibt“, klärt Hartmann auf, der dieses Kuriosum erst einen Tag nach Ausstellungsbeginn besichtigte das er zuvor nicht kannte. Es ist ein Beweis, wie stark sein Schaffen mit historischem Material aufgeladen ist, auch wenn er selbst dieses spezielle gar nicht kannte.
Wenn man das Glück hat, die Ausstellung in Ruhe auf sich wirken lassen zu können, dann erschließen sich einem auch die Parallelen zwischen den einzelnen Werkphasen. Aber auch die Weiterentwicklung. Ein kleines Bild, erst vor wenigen Tagen fertiggestellt, macht deutlich, dass die Farbe an Gewicht gewinnt. Das Schwarz mit dem Hartmann einen Du-Umgang pflegt, wird zurückgedrängt zugunsten einer heiteren, hellen Farbskala. Nur mehr das, was grafisch unbedingt hinzugefügt werden muss, findet sich als feine, schwarze Linien, durch die jedoch das Muster der dahinterliegenden bunten Rechtecke kräftig durchscheint. Afrikanische Stoffe sind eine Inspirationsquelle, aber auch Ausgrabungen und Relikte von historischen Fresken. Die Liste ließe sich fortsetzen, Bilder berühmter Künstlerkollegen gehören selbstverständlich genauso dazu. Figürliches ist auf vielen Arbeiten zu erkennen. Manches Mal Köpfe. Die Perspektive spielt oft eine Rolle, wenn auch nicht gleich auf den ersten Blick erkennbar, sondern subtil, im Abgang. Räumliche Anordnungen von Plätzen oder auch Landschaften, deren Horizont noch ein Stück Himmel sichtbar machen, schälen sich allmählich aus den Seherlebnissen heraus. Einmal erkannt, brennen sie sich ein und geben dem Kunstwerk den eigenen, persönlichen Interpretationsansatz.
Ein wenig Verrücktheit gehört dazu, das wird jeder sagen, der in Zöbing am Kamp Kunstwerken von Christof Hartmann begegnet. Aber was wäre das Leben ohne Experimente, die nicht ausschließlich der ökonomischen Verwertbarkeit untergeordnet sind? Persönliche Begegnungen und damit verbundene Eindrücke, ein Erkenntniszuwachs, in welcher Weise auch immer und eine kunst-volle Umgebung sind das sichere Ergebnis solcher Unternehmungen. Welche anderen Gelegenheiten können damit konkurrieren?
Die von der Kuratorin Michaela Preiner ausgewählte Schau ist noch bis inklusive 2. Juni zu sehen.
Im Jüdischen Museum ist eine kleine, feine Schau der Fotos von Erich Lessing zu sehen. Seine Tochter Hannah wählte einen Querschnitt aus seinem Werk. „Lessing zeigt Lessing“ ist der naheliegende Ausstellungstitel.
Golda Meir in Nahaufnahme, Bruno Kreisky in der Hofburg, Adenauer vor dem Eiffelturm und De Gaulle paradierend in Uniform, von oben fotografiert. Nicht zu vergessen das emblematische Foto der Präsentation des Staatsvertrages vom Balkon des Belvedere 1955. Dies alles sind Bilder, die nicht nur in Österreich Furore machten, sondern um die Welt gingen. Ihr Fotograf, Erich Lessing, wurde berühmt dafür. Aber auch für seine Dokumentation des Ungarnaufstandes 1956.Berührendes, Aufwühlendes, Trauriges und Voraussehendes, alles in einem Augenblick aufgenommen und für die Nachwelt erhalten.
Nach diesem historiengestaltenden Ereignis wandte sich Lessing von dieser Art der Dokumentarfotografie ab. Es folgten Aufnahmen wie jenes Konvolut, das an vielen Dienstagen durch Fotosessions im Louvre entstand. Beinahe der gesamte Kunstbestand wurde von ihm dort an den Schließtagen fotografiert. Es war nicht das einzige Museum, dessen Kunstwerke Lessing ablichtete. Seine Liebe zur Kunst schlug sich letztlich in über 60 veröffentlichten Kunstbüchern nieder.
„Ich erinnere mich an diese Zeit, in der ich meinen Vater oft in die Museen begleiten durfte. Wir reisten für die Vorbereitung seines Renaissance-Bandes oft nach Italien. Da bekam ich dann vor Ort im Museum weiße Baumwollhandschuhe übergezogen und durfte die eine oder andere kleine Statuette für das Foto zurechtrücken. Heute wäre das überhaupt nicht mehr möglich, ja unvorstellbar.“ Hannah Lessing, 1963 in Wien geboren, erzählt noch bei der Pressekonferenz mit einem Strahlen im Gesicht über diese Zeit. „Unser Vater war oft auf Reisen, aber es waren jedes Mal magische Augenblicke, wenn er nach seiner Ankunft zuhause mit den Negativen, die er aus seiner Hasselblad nahm, in einer großen schwarzen Tasche hantierte.“ Die Erinnerungen von Lessings Tochter kreisen bei der Ausstellungspräsentation klarerweise um diese frühen, prägenden Eindrücke.
1923 geboren, wuchs Erich Lessing als Sohn einer Konzertpianistin und eines Zahnarztes auf. Sein Vater starb, als er 10 Jahre alt war. Zu seiner Bar-Mizwa erhielt er seine erste Kamera. 1939 gelang ihm die Flucht aus Wien nach Palästina. Mutter und Großmutter wurden in Konzentrationslagern ermordet. Mit Aufnahmen von Kindergartenkindern verdiente er sich seinen ersten Lebensunterhalt im Exil, Arbeiten aus dieser Zeit sind jedoch keine erhalten. 1947 kam er auf der Suche nach überlebenden Verwandten und nach seinen Wurzeln nach Wien zurück und lernte hier bald seine Frau Traudl kennen. Als Dokumentarfotograf für die Associated Press war er ständig unterwegs und schuf sich, aufgrund seiner Osteuropakenntnisse, seinen eigenen Wirkungsbereich in diesen geopolitisch wichtigen Ländern.
Neben Fotos aus Ungarn und jenen von Staatsmännern und auch -frauen dieser Zeit ist ein ganzer Raum Landschaftsaufnahmen gewidmet. Sie zeigen Naturbilder vom Golan, den Lessing über alles liebt. Es sind Bilder, die er auch für seine Bibel-Bände aufnahm. Orte also, die wesentlich mehr an Geschichte transportieren als es auf den ersten Blick scheinen mag.
„Es zeichnet meinen Vater aus, dass er sich stets mit den allerneuesten Techniken vertraut machte. Als I-Phone und I-Pad herauskamen, hat er sich die sofort besorgt“, erklärte Hannah Lessing. Dank dieser Technik-Affinität war es auch möglich, das bislang 40.000 Fotos seines Bestandes digitalisiert werden konnten, um nach Bedarf durch das „Erich-Lessing-Kunst- & Kulturarchiv“ rasch zur Verfügung gestellt zu werden. Eine ganz spezielle Serie in der Ausstellung zeigt Lessing aber auch von einer unbekannten Seite. Die Liebe zur Schönheit der Frauen ist darin dokumentiert. Unter anderen in einer wunderbaren Fotostrecke von einer Miss-Wahl in Polen 1956. Nicht nur, dass die Bilder an sich Meisterwerke darstellen. So zeigte der Fotograf, dass der Blick aus einer gänzlich unerwarteten Perspektive auch neue Assoziationen zu diesem Thema zulässt. Wie eine Damenparade von hinten, mit dem Blick vom Podium auf die Menschenmenge davor abgelichtet. Das hat seinen Reiz. Man kann daran auch sehr gut erkennen, wie sehr sich das Schönheitsbild in den letzten 60 Jahren gewandelt hat.
Erich Lessings Foto der polnische Misswahlen 1956 (c) European Cultural News
Hannah Lessing, die mit Danielle Spera, der Leiterin des Jüdischen Museums, befreundet ist, hat seit 2001 unter anderen das Amt der Generalsekretärin des Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus inne. Gegenwärtig koordiniert sie die Arbeiten zur Neugestaltung der österreichischen Ausstellung im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. „Ich habe nur unter der Voraussetzung zugestimmt, diese Ausstellung zu kuratieren, wenn mir mein Vater dabei freie Hand lässt. Das tat er unerwarteterweise ganz nonchalant“. 92-jährige Väter können offenbar sogar noch überraschen. „Ich bin aber schon gespannt, was er selbst zu dieser Auswahl sagen wird.“
Extrahinweis: Im Katalog findet sich neben all den Fotos auch eine wunderbare Geschichte von Michael Köhlmeier. „Ripp vom Winkel. Ein Märchen aus dem Nachkrieg“ ist eine Parabel auf die Erinnerungskultur in Österreich. Einfach und höchst kunstvoll zugleich, poetisch, dramatisch, witzig und weise vom ersten bis zum letzten Satz. Eine gelungenere literarische Korrespondenz zu den Bildern hätte man nicht finden können.
Jüdisches Museum Wien, Judenplatz: Lessing zeigt Lessing 29. April – 6. September 2015
In der Ausstellung „Tracey Emin / Egon Schiele – Where I want to go“ werden erstmals in Österreich eine große Anzahl von Arbeiten der britischen Künstlerin gezeigt. Intim, aber nie brutal, eröffnet sich Raum für Raum nicht nur die Beziehung von Emin zu Schiele, sondern auch ein scheinbar neues Kunstverständnis der Künstlerin, in dem das persönliche Gespräch mit der Kunstgeschichte einen breiten Raum einnimmt.
Der Auslöser war ein Detox-Kuraufenthalt in Maria Wörth. Besser gesagt das Kennenlernen von Tracey Emin und Miryam Charim an diesem Ort. Künstlerin und Galeristin schwammen offensichtlich auf derselben Wellenlänge. Der Wunsch von Tracey Emin, sich intensiver mit dem Werk von Egon Schiele auseinanderzusetzen, wurde auf Vermittlung von Frau Charim mit der Familie Leopold schließlich in die Tat umgesetzt.
Mehr als zwei Jahre dauerte die Vorbereitung zur Ausstellung „Tracey Emin / Egon Schiele – Where I want to go“, die im Leopoldmuseum bis 14.9. zu sehen ist. Und die wirklich sehenswert ist. Dabei handelt es sich um die erste große Schau der Künstlerin in Österreich, die im Dunstkreis der Young British Artists bekannt wurde. Zu sehen ist jedoch keine rückwärtsgewandte Präsentation von Werken, sondern vielmehr ein Ausblick in eine künstlerische Welt, die sich Emin noch erschließen möchte.
Tracey Emin mit "Where I want to go" im Lepoldmuseum (Fotos: European Cultural News)
In unglaublich schön gestalteten Räumen hängen und stehen jüngste Werke von ihr, die mit Zeichnungen von Egon Schiele korrespondieren. Wobei von dem zuletzt Genannten nur eine handverlesene Schar von Arbeiten auf Papier zu sehen ist. „Ich wollte viel Platz für die Bilder von Schiele schaffen“, erklärte die Künstlerin bei der Pressekonferenz. Angesichts des Horrors einer Ausstellung in New York, bei der sie sich aufgrund einer dicht gedrängten Hängung und einer sehr niedrigen Raumhöhe wie ein Schnüffelhund vorkam, wollte sie es anders machen. Die Idee, den Arbeiten Raum und Luft zu lassen und sie gezielt und punktuell zu beleuchten, geht voll auf. Es sind vor allem Schieles männliche und weibliche Akte, die Emin eigenen Zeichnungen und Stickereien von Selbstakten gegenüberstellt.
Die faszinierendsten Bilder sind dabei jene, in welchen sie sich nackt auf einem Mann sitzend wiedergibt. Auf den großen Formaten – 200 x 150 cm – sind auf den ersten Blick wuchtige Pinselstriche zu erkennen, die bestimmte Partien der beiden Körper in tiefem Schwarz markieren. Bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch, dass es sich nicht um Farbe, sondern um Wolle handelt, die in langgezogenen Stichen aufgestickt wurde. Die Faszination dieser Werke ergibt sich aus der Sicherheit, mit der Emin den Strich der Vorzeichnungen in diesem Überformat setzt, aus der schonungslosen Wiedergabe eines sexuellen Aktes und nicht zuletzt aus der technischen Umsetzung, die brillant ausgeführt ist. Die Unkenntlichmachung der Gesichter verhindert, dass sich die Betrachtenden in einem reinen Voyerismus ergehen und konnotiert das Geschehen auch als ein universal menschliches.
Eine große Vielfalt an Techniken
Beeindruckend ist auch die Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, die Emin in dieser Show zeigt. „It`s not the way I want to die“ – eine über 8 Meter lange und 3 Meter hohe Holzkonstruktion, die an eine Hochschaubahn anknüpft mit der Emin in einem Traum fuhr und prompt steckenblieb, beherrscht neben einer Neonlichtinstallation den ersten Raum. Im Gegensatz zu „Otto volante“, einer Achterbahn der Gruppe Gelitin aus dem Jahr 2004, ist Emins Werk jedoch nicht befahrbar. Die fragile Bauweise, spitze, herausragende Metallteile und der kleine Ausschnitt einer einzigen Kurve, der gezeigt wird, erlauben keine aktive Benutzung, setzen aber jede Menge Assoziationen frei.
Mit „Kreuzigung“ zeigt sie plastische Arbeiten von kleinen Torsi, die sich zart und fragil von der darunterliegenden Plinte absetzen. „There ist nothing left but you“, „I whisper to my past do I have another choice“ oder „Without him she had no mirror“ sind wiederum Skulpturen betitelt, in welchen kleine weibliche Figuren unterschiedliche Verbindungen mit Tieren eingehen. Intime Situationen, die von der Künstlerin mit zarten, eingravierten Prosasprüchen ergänzt werden.
„More solitude“ ist nicht nur der Titel einer Neonarbeit, sondern auch eine Audioinstallation, die von Tracey Emin selbst eingesprochen wurde. Sie erzählt darin in ruhigem Duktus von einer Frau und ihrer Einsamkeit. Der abgedunkelte Raum lädt zum Verweilen und Zuhören ein, so man nicht das Pech hat, dass sich andere Besucherinnen und Besucher lautstark unterhalten.
Die älteste Arbeit, „Those who suffer love“, ein Video aus aneinandergereihten Zeichnungen einer masturbierenden Frau aus dem Jahr 2009, zeigt einmal mehr, wie subtil Emins Strich aufgebaut ist, wenn es darum geht, Intimes offenzulegen. Die blauen Linien, nicht immer durchgezogen, sondern an vielen Stellen durchbrochen, markieren einen liegenden Leib, dessen Bewegungen den Körper weniger lustvoll als vielmehr zerbrechlich erscheinen lassen.
Egon Schiele – die Entdeckung
Das Plattencover zu „Heroes“ von David Bowie aus dem Jahr 1977 brachte Emin auf die Spur von Egon Schiele. „Mein damaliger Freund war Grafiker und erklärte mir, dass Bowie die eingenommene Pose von Schiele übernommen hat. Shil what?, lautete meine Frage, weil ich bis dahin noch nie von ihm gehört hatte“ – O-Ton Emin. Nach und nach jedoch erschloss sie sich durch Bücher nicht nur die Kunst von Egon Schiele, sondern auch von Edward Munch oder Käthe Kollwitz. „Davor kannte ich nur Liechtenstein, Picasso und Warhol“. Diese Künstler jedoch sprachen sie nicht an. Erst der Expressionismus der Genannten, die Suche nach der Natur im Menschen, die Wiedergabe von Gefühlen fanden in ihr einen enormen Widerhall. „Wann immer ich konnte, habe ich mir Werke von Schiele in den unterschiedlichsten Ausstellungen auf der Welt angesehen. Ich wäre sehr neugierig, was er zu dieser Ausstellung sagen würde“.
Es hat den Anschein, als ob die hundert Jahre, die zwischen den Blättern von Schiele und ihren eigenen Werken, die sie in der Begegnung mit diesem schuf, keinerlei Bedeutung hätten. „Schieles Bilder sind nicht erotisch, sondern sie sind die Wiedergabe und das Verständnis des Künstlers zur Natur.“ Und auch sie selbst versteht ihren eigenen Körper als ein Stück Natur, wenngleich auch inmitten einer völlig künstlichen Umwelt, wie sie London eben darstellt.
Körperliche Begegnungen, Einsamkeit, Erinnerungen, Zweifel und Ängste prägen inhaltlich diese Ausstellung in der nichts, aber auch gar nichts an Provokation zu finden ist. Torsi, Akte, kleine Skulpturen, die wie Fingerübungen zu größer Angedachtem aussehen – Emin hat nicht nur Egon Schiele als Inspirtionsquelle zu eigenen Arbeiten entdeckt. Vielmehr schöpft sie aus dem unendlichen Fundus der europäischen Kunstgeschichte, bis zurück in ihre antiken Wurzeln. Auf die Produktion der kommenden Jahre darf man gespannt sein.