In der Ausstellung „Tracey Emin / Egon Schiele – Where I want to go“ werden erstmals in Österreich eine große Anzahl von Arbeiten der britischen Künstlerin gezeigt. Intim, aber nie brutal, eröffnet sich Raum für Raum nicht nur die Beziehung von Emin zu Schiele, sondern auch ein scheinbar neues Kunstverständnis der Künstlerin, in dem das persönliche Gespräch mit der Kunstgeschichte einen breiten Raum einnimmt.

Der Auslöser war ein Detox-Kuraufenthalt in Maria Wörth. Besser gesagt das Kennenlernen von Tracey Emin und Miryam Charim an diesem Ort. Künstlerin und Galeristin schwammen offensichtlich auf derselben Wellenlänge. Der Wunsch von Tracey Emin, sich intensiver mit dem Werk von Egon Schiele auseinanderzusetzen, wurde auf Vermittlung von Frau Charim mit der Familie Leopold schließlich in die Tat umgesetzt.

Mehr als zwei Jahre dauerte die Vorbereitung zur Ausstellung „Tracey Emin / Egon Schiele – Where I want to go“, die im Leopoldmuseum bis 14.9. zu sehen ist. Und die wirklich sehenswert ist. Dabei handelt es sich um die erste große Schau der Künstlerin in Österreich, die im Dunstkreis der Young British Artists bekannt wurde. Zu sehen ist jedoch keine rückwärtsgewandte Präsentation von Werken, sondern vielmehr ein Ausblick in eine künstlerische Welt, die sich Emin noch erschließen möchte.

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Tracey Emin mit "Where I want to go" im Lepoldmuseum (Fotos: European Cultural News)

In unglaublich schön gestalteten Räumen hängen und stehen jüngste Werke von ihr, die mit Zeichnungen von Egon Schiele korrespondieren. Wobei von dem zuletzt Genannten nur eine handverlesene Schar von Arbeiten auf Papier zu sehen ist. „Ich wollte viel Platz für die Bilder von Schiele schaffen“, erklärte die Künstlerin bei der Pressekonferenz. Angesichts des Horrors einer Ausstellung in New York, bei der sie sich aufgrund einer dicht gedrängten Hängung und einer sehr niedrigen Raumhöhe wie ein Schnüffelhund vorkam, wollte sie es anders machen. Die Idee, den Arbeiten Raum und Luft zu lassen und sie gezielt und punktuell zu beleuchten, geht voll auf. Es sind vor allem Schieles männliche und weibliche Akte, die Emin eigenen Zeichnungen und Stickereien von Selbstakten gegenüberstellt.

Die faszinierendsten Bilder sind dabei jene, in welchen sie sich nackt auf einem Mann sitzend wiedergibt. Auf den großen Formaten – 200 x 150 cm – sind auf den ersten Blick wuchtige Pinselstriche zu erkennen, die bestimmte Partien der beiden Körper in tiefem Schwarz markieren. Bei näherer Betrachtung erkennt man jedoch, dass es sich nicht um Farbe, sondern um Wolle handelt, die in langgezogenen Stichen aufgestickt wurde. Die Faszination dieser Werke ergibt sich aus der Sicherheit, mit der Emin den Strich der Vorzeichnungen in diesem Überformat setzt, aus der schonungslosen Wiedergabe eines sexuellen Aktes und nicht zuletzt aus der technischen Umsetzung, die brillant ausgeführt ist. Die Unkenntlichmachung der Gesichter verhindert, dass sich die Betrachtenden in einem reinen Voyerismus ergehen und konnotiert das Geschehen auch als ein universal menschliches.

Eine große Vielfalt an Techniken

Beeindruckend ist auch die Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten, die Emin in dieser Show zeigt. „It`s not the way I want to die“ – eine über 8 Meter lange und 3 Meter hohe Holzkonstruktion, die an eine Hochschaubahn anknüpft mit der Emin in einem Traum fuhr und prompt steckenblieb, beherrscht neben einer Neonlichtinstallation den ersten Raum. Im Gegensatz zu „Otto volante“, einer Achterbahn der Gruppe Gelitin aus dem Jahr 2004, ist Emins Werk jedoch nicht befahrbar. Die fragile Bauweise, spitze, herausragende Metallteile und der kleine Ausschnitt einer einzigen Kurve, der gezeigt wird, erlauben keine aktive Benutzung, setzen aber jede Menge Assoziationen frei.

Mit „Kreuzigung“ zeigt sie plastische Arbeiten von kleinen Torsi, die sich zart und fragil von der darunterliegenden Plinte absetzen. „There ist nothing left but you“, „I whisper to my past do I have another choice“ oder „Without him she had no mirror“ sind wiederum Skulpturen betitelt, in welchen kleine weibliche Figuren unterschiedliche Verbindungen mit Tieren eingehen. Intime Situationen, die von der Künstlerin mit zarten, eingravierten Prosasprüchen ergänzt werden.

„More solitude“ ist nicht nur der Titel einer Neonarbeit, sondern auch eine Audioinstallation, die von Tracey Emin selbst eingesprochen wurde. Sie erzählt darin in ruhigem Duktus von einer Frau und ihrer Einsamkeit. Der abgedunkelte Raum lädt zum Verweilen und Zuhören ein, so man nicht das Pech hat, dass sich andere Besucherinnen und Besucher lautstark unterhalten.

Die älteste Arbeit, „Those who suffer love“, ein Video aus aneinandergereihten Zeichnungen einer masturbierenden Frau aus dem Jahr 2009, zeigt einmal mehr, wie subtil Emins Strich aufgebaut ist, wenn es darum geht, Intimes offenzulegen. Die blauen Linien, nicht immer durchgezogen, sondern an vielen Stellen durchbrochen, markieren einen liegenden Leib, dessen Bewegungen den Körper weniger lustvoll als vielmehr zerbrechlich erscheinen lassen.

Egon Schiele – die Entdeckung

Das Plattencover zu „Heroes“ von David Bowie aus dem Jahr 1977 brachte Emin auf die Spur von Egon Schiele. „Mein damaliger Freund war Grafiker und erklärte mir, dass Bowie die eingenommene Pose von Schiele übernommen hat. Shil what?, lautete meine Frage, weil ich bis dahin noch nie von ihm gehört hatte“ – O-Ton Emin. Nach und nach jedoch erschloss sie sich durch Bücher nicht nur die Kunst von Egon Schiele, sondern auch von Edward Munch oder Käthe Kollwitz. „Davor kannte ich nur Liechtenstein, Picasso und Warhol“. Diese Künstler jedoch sprachen sie nicht an. Erst der Expressionismus der Genannten, die Suche nach der Natur im Menschen, die Wiedergabe von Gefühlen fanden in ihr einen enormen Widerhall. „Wann immer ich konnte, habe ich mir Werke von Schiele in den unterschiedlichsten Ausstellungen auf der Welt angesehen. Ich wäre sehr neugierig, was er zu dieser Ausstellung sagen würde“.

Es hat den Anschein, als ob die hundert Jahre, die zwischen den Blättern von Schiele und ihren eigenen Werken, die sie in der Begegnung mit diesem schuf, keinerlei Bedeutung hätten. „Schieles Bilder sind nicht erotisch, sondern sie sind die Wiedergabe und das Verständnis des Künstlers zur Natur.“ Und auch sie selbst versteht ihren eigenen Körper als ein Stück Natur, wenngleich auch inmitten einer völlig künstlichen Umwelt, wie sie London eben darstellt.

Körperliche Begegnungen, Einsamkeit, Erinnerungen, Zweifel und Ängste prägen inhaltlich diese Ausstellung in der nichts, aber auch gar nichts an Provokation zu finden ist. Torsi, Akte, kleine Skulpturen, die wie Fingerübungen zu größer Angedachtem aussehen – Emin hat nicht nur Egon Schiele als Inspirtionsquelle zu eigenen Arbeiten entdeckt. Vielmehr schöpft sie aus dem unendlichen Fundus der europäischen Kunstgeschichte, bis zurück in ihre antiken Wurzeln. Auf die Produktion der kommenden Jahre darf man gespannt sein.