Raus aus dem Theater, rein ins Auto!

Raus aus dem Theater, rein ins Auto!

Theater im Bahnhof, Hier War Ich Noch Nie – eine Taxichoreografie (Foto: Mathias Voelzke)

Das TIB erarbeitete in Koproduktion mit dem Steirischen Herbst ein ungewöhnliches, aber nicht ganz neues Format.

Ungewöhnliche Aufführungsorte für Theaterproduktionen sind längst keine Neuigkeit mehr. Auch Formate, in der die Interaktion mit dem Ensemble angesagt ist, sind in die Jahre gekommen. Im Steirischen Herbst präsentierte das TIB sein Format „Hier war ich noch nie – eine Taxichoreografie“ und griff dabei auf ein Konzept zurück, das weltweit viele Väter und Mütter hat und beide Parameter erfüllt.

Bereits 2009 wurde von Paul Stein an der Woodbury Universität in Burbank das Format „The car plays“ vorgestellt. Dabei nahm das Publikum für 10 Minuten in einem Auto Platz, um danach in weitere vier auf dem Parkplatz zu wechseln und so innerhalb einer Stunde ein Kaleidoskop an kurzen Dramen serviert zu bekommen. Der nächste dramaturgische Schritt bestand darin, die verwendeten Autos auch tatsächlich fahren zu lassen, wobei es bei diesem Konzept unterschiedliche Zugänge gibt.

2015 zeigte die Schweizer Theatergruppe mercimax ihr Stück „Autoballett“ unter der Patronanz des brut in Wien. Mercimax rief für das Casting Menschen mit einem besonderen Bezug zu ihrem eigenen Auto zum Mitmachen auf und ließ diese anschließend wahlweise ihre Erlebnisse auf Band sprechen und im Auto abspielen oder live erzählen, während sie das Publikum in ihren Autos chauffierten. Heuer gelangte im Mai in Innsbruck die Produktion „Knautschzone – Ein Autostück“ zur Aufführung. Das Theater praesent in Innsbruck agierte darin mit seinem Ensemble hinter den Lenkrädern und erzählte eine zwar fragmentierte, aber dennoch durchgehende Geschichte, über die sich das Publikum anschließend austauschen konnte.

Taxi-Profis wechseln ins Performance-Fach

Das TIB hingegen heuerte Profi-Taxifahrer und -fahrerinnen mit der Bitte an, während Fahrten innerhalb von Graz mit zahlendem Publikum entweder aus ihrem Leben zu erzählen oder ungewöhnliche Orte anzufahren. Alle drei unterschiedlichen Ausgangspositionen haben jedoch das gleiche Ziel: Das Publikum aus dem Theater zu locken und sich auf engstem Raum performativen Settings auszuliefern. Was alle Produktionen noch miteinander verbindet: Man kann sich nicht wirklich sicher sein, ob das Erzählte nur für die jeweilige „Vorstellung“ einstudiert wurde, oder ob das Gesagte aus dem tatsächlichen Lebensbezug der fahrenden Taxi-Schauspieler und -Schauspielerinnen stammt. Was ist Info, was ist Fake? Eine Frage, die uns derzeit wohl rund um den Globus in vielerlei Hinsicht beschäftigt, erfährt hier eine neue Dimension.

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Theater im Bahnhof, Hier War Ich Noch Nie – eine Taxichoreografie (Foto: Mathias Voelzke)

In Graz ging die Reise von der Postgarage, in der der Steirische Herbst seine Herbstbar installiert hat, los. Nach der Zuteilung zu verschiedenen Fahrern, wurde in den Autos Platz genommen. Taxifahrer Werner, an die 60, mit langem Silberhaar, chauffierte meine Gruppe durch den Bezirk Gries und erklärte dabei, wo sich in den 70ern ein versteckter Puff befand, wo es die berüchtigten Bars gab, und dass die Triestersiedlung neben der Karlau (Anm: Gefängnis) als Glasscherbenviertel bekannt war. „Dort, wo durch Auseinandersetzungen Glas zu Bruch ging, dort wo die Wilden zuhause waren, bezeichnete man die Viertel so“, erfuhren wir, seine Kundschaft, von ihm. Aber auch seine Theorie des ungebremsten, wirtschaftlichen Wachstums, ausgelöst durch Nichts-Tun, anhand des Beispiels des ehemaligen, bereits abgerissenen Punk-Hauses an der Ecke Triester- und Straßgangerstraße wurde Werner zu seinem sichtlichen Vergnügen los. Und das Stadtentwicklungsviertel in der Nähe der neuen Moschee, das sich letztlich als städteplanerisch-utopischer Rohrkrepierer erwies, konnte mit ihm ebenfalls vom Taxi aus besichtigt werden.

Persönlich Erlebtes und Erzählungen von Tausend und einer Nacht

Ich selbst habe zu vielem, was ich von Werner hörte, wie sich herausstellte ganz im Gegensatz zu meinen jüngeren Kolleginnen und Kollegen, einen ganz persönlichen Bezug. Zum Griesviertel, in dem ich 20 Jahre zuhause war und in dem meine Kinder bis zur Pubertät aufwuchsen genauso wie zum Puch-Museum, an dem wir vorbeifuhren, in dem ein altes Puch-Auto meines verstorbenen Mannes steht. Ich kenne noch die berüchtigten Lokale, die heute verschwunden sind und hatte eine Schulkollegin in der Triestersiedlung. Sie wohnte mit ihrer 8-köpfigen Familie im Gemeindebau im vierten Stock auf 60 Quadratmetern. Ich habe die mehrfachen Versuche der Grazer Regierungsverantwortlichen miterlebt, Graz in unterschiedlichen sozio-kulturellen Feldern als Pionierstadt zu positionieren. Als Austragungsort einer Ski-WM (sic!) genauso, wie als Hotspot von internationalen Eishockey-Wettkämpfen, zu welchen wir Gymnasiastinnen per Bus in die Liebenauer Eishalle gekarrt wurden. Das Bemühen, die kreativen Kräfte zu einem höheren Ganzen einzusetzen und das jeweilige Scheitern daran, gehörte zu einem der Inhaltsschwerpunkte von Werner, der sich während der Fahrt als umfassend gebildeter Mensch mit intellektuellen Ansprüchen entpuppte.

Kurze Sound-Einspielungen sollten die „Darbietung“ auflockern, wirkten jedoch eher als Fremdkörper einer Regie, die wohl bei den Fahrten nichts dem Zufall überlassen wollte. Dabei hätte es des Car-crash-Sounds ebenso wenig bedurft wie der vom Band abgespulten Intro, bei der sich Werner dem geneigten Publikum auditiv vorstellte, während er selbst im Freien darauf wartete, danach einzusteigen und mit uns loszufahren. Wie sich herausstellte, hätte Werner diese Vorstellung fehlerfrei mit authentischeren Worten geschafft und wir und er selbst das theatralische Eingangs-Szenario gar nicht gebraucht.

Die jungen Mitfahrenden reagierten auf den Input gänzlich anders als ich, lauschten Werners Geschichten zum Teil wie aus jenen von Tausend und einer Nacht und wären noch gerne länger mitgefahren. Wer Glück hatte, konnte in eine nächste Runde wechseln, ganz nach dem Motto: Neues Spiel, neues Glück und sich danach noch an der Herbstbar mit anderen über das Gehörte und Gesehene austauschen.

Jede Zeit erschafft ihre eigenen, künstlerischen Formate, wobei zu beobachten ist, dass die Hinwendung zum Menschen, der persönliche, kommunikative Austausch wohl deshalb im performativen Bereich im Moment inflationär auftritt, weil dieser in unserem Alltag immer mehr abnimmt und zurückgedrängt wird. Handy und Email, sowie elektronische Informationsdienste verändern unsere Art, miteinander zu kommunizieren fundamental. Da tut es gut, wenn ein Wildfremder in einem Auto zeigt, wie das funktioniert: Das Kommunizieren von Mensch zu Mensch. Das Phänomen der oral history, die das Erzählte in den Mittelpunkt der Geschichtsüberlieferung stellt und dabei größtmögliche Akzeptanz erfährt, bestätigte sich bei diesem Format voll und ganz. Aber es gibt aber auch viel Raum zum Nachdenken, sowohl über den positiven Nutzen als auch die Möglichkeit der Manipulation.

Seelenstriptease hinterm Konferenzpult

Seelenstriptease hinterm Konferenzpult

Iran Conference - Steirischer Herbst (Foto: Jasper Kettner)

Ivyn Vyrypaevs „Iran Conference“ beim Steirischen Herbst

Der Steirische Herbst widmet sich in diesem Jahr ganz explizit politischen Themen und griff dabei in einer seiner ersten Produktionen ein aktuelles Thema auf.

Die Aula der Karl Franzens Universität bot für „The Iran Conference (2018)“ von Ivan Vyrypaev (Text und Regie) ein ideales Setting. Der in Russland geborene Schauspieler, Regisseur und Dramatiker lebt heute in Polen. Die Ausgangslage der Theaterproduktion: Eine Konferenz, die in Kopenhagen stattfindet und sich dem Thema Iran widmet. Das Publikum schlüpft dabei in die Rolle der Konferenzbeobachtenden und wird Zeuge nicht nur unterschiedlicher Zugänge zum Thema Islam versus westliche Gesellschaftsideologien. Vielmehr kommt es vor allem in der zweiten Hälfte der Aufführung zu Selbstoffenbarungen, die mit dem Terminus Seelenstriptease gut umrissen sind.

Insgesamt 8 Expertinnen bzw. Experten aus Dänemark stehen einer Literatur-Preisträgerin aus dem Iran gegenüber und rühren kräftig in jenen philosophisch-wissenschaftlichen Aktualitätsdiskursen, die sich mit den Fragen nach der Wahrnehmung, Menschenrechten und – zentral in dem Stück – auch nach der Frage über Gott beschäftigen. Es ist nicht die politische Lage, die in dieser „Konferenz“ angesprochen wird. Vielmehr stehen ganz persönliche Einstellungen zu den angesprochenen Themen zur Debatte und rufen – unerwartet – heftige Reaktionen aus den Reihen der Diskutierenden hervor. Der Moderator hat dabei alle Hände voll zu tun, dass die Gesprächsebene nicht unter die verbale Gürtellinie rutscht und gefällt sich zuweilen sehr in seiner eigenen Rolle am Podium.

Eine verkürzte Kategorisierung der Menschenrechte wird ebenso diskutiert wie die Reibepunkte einer toleranten Integration muslimischer Mitbürgerinnen und -bürger. Persönliche Schicksalsschläge werden ebenso angesprochen wie private Animositäten. Der Erkenntnisgewinn dieser Produktion lässt sich, trotz intellektuellem Vortrags-Sprech, kurz und bündig zusammenfassen: Wir alle bewegen uns in unserer Wahrnehmungs-Matrix mit unseren eigenen genetisch- und sozial determinierten Wahrnehmungsbrillen, die wir nur schwer gewillt sind abzunehmen.

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Iran Conference – Steirischer Herbst (Foto: Jasper Kettner)

Dass Stück, das im Laufe der Vorstellung an Fahrt und damit zugleich an Aufmerksamkeitsspanne seitens des Publikums zunahm, überraschte mit einem verblüffenden Schluss. Die herzzerreißende Ansprache der jungen, iranischen Autorin kippte in jenem Moment, als sie erklärte, ihre Selbstaufgabe, die sie zuvor lang und breit beschrieben hatte, hätte gar nichts mit ihrer Liebe zu einem Ehemann zu tun. Mit einer Liebe also, von der man annahm, dass diese ganz der Idee einer patriarchalischen Gesellschaft verpflichtet, dazu führt, die Frau zu veranlassen, ihr eigenes Sein und ihre eigenen Bedürfnisse zum Wohl des Mannes und der Familie in den Hintergrund zu stellen.

Mit dieser Volte machte Vyrypaev einmal mehr klar, wie groß das Unverständnis zwischen dem christlich geprägten Normenkanon ist, der seit der Aufklärung, und verstärkt durch liberale Wirtschaftsideen, permanent korrodiert und jenen gesellschaftlichen Ideen, die im Iran nicht nur von einem religiös-muslimischen Wertesystem, sondern in großem Maße von männlich dominierten Machtstrukturen bestimmt wird.

Interessant dabei, noch als Sidestep-Bemerkung, dass der Regieansatz bei diesem Theaterstück sehr klassisch über die Bühnenrampe kam und das Publikum von den Schauspielerinnen und Schauspielern, die ihrem vorgefertigten Text verpflichtet waren,  fein säuberlich trennte.

Vyrypaev schafft es mit seinem Stück, die  persönlichen Positionen, die de facto hinter allen Teilnehmenden an einer Konferenz stecken, aber immer von Rollenerwartungen zugedeckt werden, zu offenbaren. Durch diesen Blickwinkel eröffnet er eine ganze Reihe von neuen Zugängen, die beim Publikum solcher Veranstaltungen stärker in den Fokus treten  und damit auch hinterfragt werden können. Dies ganz abgesehen von den offenen Bruchlinien der angesprochenen Gesellschaftsformen, die er damit einmal mehr offen zur Schau stellte.

Auf der Bühne agierten höchst authentisch: Krzysztof Kumor als Philipp Rasmussen, Juliusz Chrząstowski als Daniel Christensen, Richard Berkeley als Oliver Larsen, Philipp Mogilnitskiy als Magnus Tomsen, Agata Buzek als Astrid Petersen, Magdalena Górska als Emma Schmidt-Poulsen, Mariusz Zaniewski als Gustav Jensen, Redbad Klynstra-Komarnicki als Father Augustine, Patrycja Soliman als Shirin Shirazi

Ein Bild, das die Seele zum Klingen bringt

Ein Bild, das die Seele zum Klingen bringt

Ein Bild von einem anderen Persönlichkeitsuniversum. Und doch ist es mir so nah.

Christof Hartmanns Zeichnung, die ich unlängst bei einer Freundin hängen sah, hat es mir angetan. Warum, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, falsch, ich spüre nur, dass es so ist. Ist es die große Ausgewogenheit, die Balance, in der sich die einzelnen Formen zueinander befinden? Ist es die Gegenüberstellung jenes Bildabschnittes in der linken Bildhälfte, mit welcher sich dieser mächtig gegen das Blau-Orange im rechten Bildviertel stemmt? Sind es die Formen, die rätselhaft und dennoch dechiffrierbar erscheinen? Auf keine der Fragen habe ich bisher eine Antwort gefunden. Oder anders herum gedacht, alle Fragen könnte ich mit „ja“ beantworten.

Eine Künstlerbiographie

Christof Hartmann, geb. 1959 in Düsseldorf, Studium mit Abschluss an der Kunstakademie in Düsseldorf, Meisterschüler bei Karl Bobek und Examen in Kunst und Philosophie an der Uni Düsseldorf, hat nur wenige Ausstellungen im Laufe seiner Karriere bestritten. Gemessen an den vielen Jahren seiner Kunstproduktion und im Vergleich zu seitenlangen Aufzählungen von im Kunstbusiness verankerten Zeitgenossen.

So wundert es nicht, dass der Name Christof Hartmann am Kunstmarkt nicht präsent ist. Nicht einmal im Internet hat der Künstler bislang einen Auftritt. Seine Öffentlichkeitsverweigerung war eine bewusste. Eine, die von einem Charakter gekennzeichnet ist, der nicht müde wird, sein Werk permanent infrage zu stellen. Die Angst, zu früh in eine Schublade gesteckt zu werden, aus der es kein Entrinnen mehr gibt, war ein Motor der Zurückhaltung. Die Selbstkritik ein anderer.

In größerem öffentlichen Rahmen trat er mit einer Personale im Kunsthaus Göttingen in Erscheinung und bespielte vor wenigen Jahren einen Raum im Lehmbruck-Museum in Duisburg, abgesehen von kleineren Auftritten in Ratingen, Essen, Eller und Meerbusch. In unmittelbarer Nachbarschaft seines Lebensmittelpunktes in Düsseldorf. Zwei schmale Kataloge gibt es von ihm. „Human race“ ist der eine betitelt, „Visionen in Beton“ der andere. Sie zeugen von einem unglaublichen Ideenreichtum. Von einer persönlichen Handschrift, die geführt wird von Tausenden Jahren Kunstgeschichte. Sie zeugen von zu Objekten gefrorenen Gedanken, die um das Thema Mensch-Sein kreisen.

Um die Verortung in Zeit und Raum und die Verhältnisse, die Beziehungen, die im Laufe eines Lebens und darüber hinaus aufgebaut werden. In Österreich war er vor vielen Jahren, ja schon Jahrzehnten in Klagenfurt und in Graz in Galerien präsent, vor Kurzem trat er in einer temporären Galerie in Kitzbühel auf. Die Graz-Verbindung wurde zu einer dauerhaften. Getragen von einer Freundschaft zwischen der Galeristin und dem Künstler, die über Jahrzehnte hinweg aufrecht blieb. Das Interesse am Leben und Arbeiten des jeweils anderen und die gegenseitige Wertschätzung bestimmen diese Verbindung. So gibt es nun mitten in Wien, so etwas wie eine Hartmann-Dependance. Die einstige Galeristin aus Graz, Michaela Preiner, hat sich in Wien niedergelassen und lebt und arbeitet in einem Umfeld, das von Kunst bestimmt wird. Christof Hartmann ist dabei omnipräsent. Ein kleiner Gipskopf ragt aus einem Rokokorahmen aus der Wand, direkt über ihrem Schreibtisch. Eine feine Skulptur, ein Hochzeitsgeschenk, steht hinter ihr auf einem Thonet-Tischchen. Und eine Wand im kombinierten Arbeits- und Wohnzimmer ist ausschließlich seinen Werken gewidmet. Und dort hängt auch sie. Jene Zeichnung, die es mir so angetan hat.

Schau mich an

Nur wer sich ganz nah an das Bild zoomt, seine Augen fokussiert und gewillt ist, es genau zu betrachten, entdeckt etwas Unglaubliches. Das Positiv des Negatives, das Bild im Bild. Die Offenlegung der Täuschung, die sich doch nie verborgen hat. Die tiefschwarze Form, mittig platziert und ihr Gegenüber, der obere Teil des hellblauen Gebildes mit orangefarbenen Einsprengseln und Akzentuierungen – sie sind auf einem eigenen, kleinen Stückchen Papier gezeichnet und gemalt und als Bild im Bild in die Komposition eingefügt. Die zarte, grafische Umkreisung mit einer schmalen Kreide, rund um die blaue Stele, bricht ihre Linie dort, wo der kleine Papierteil auf das größere Blatt geklebt ist. Ein Bruch, der nicht verborgen wird, aber dennoch die Einfassung, das Gehäuse nicht stört.

Die schwarze Form – ein menschliches Derivat oder ist es ein Ufo, bereit zum Abheben, ein brachiales Gefährt mit der Tendenz zum Herrschen? Sie spiegelt sich wie in einem blanken Wasser darunter. Fein schraffiert kommt sie dort leicht vergrößert wieder zum Vorschein, echot ans Land, in die Höhe, ins Jetzt. Und als ob ihr Spiegelbild noch nicht reichte, ist sie auch noch zusätzlich fest verankert. Aber nur im Gedachten, Wässrigen, Vergangenen. Nicht im Präsenten, nicht in jener Form, die ausgestattet ist mit einem Hakenarm, der die Welt um sich einfangen möchte. Sie hat noch zusätzlich einen Anker-Ausleger der links von ihr tief und blockhaft ins weiße, glasklare Wasser ragt. Was ist hier ein Abbild des Realen, was ist Gedachtes, Erfühltes? Was ist Erschautes, ist es ein Raum ohne Zeit? Schafft die Kunst hier einen Raum ohne Zeit?

Leicht, so leicht wie ein farbiger Gedanke, wie ein Geistesblitz der einen erfreut, steht der schwarzen Masse die bunte, leuchtende Gestalt gegenüber. Ihr Spiegelbild ist nicht verwässert, nur leicht vergrößert und verjüngt. Aber sie bildet damit eine viel stärkere Einheit als die Mensch-Raum-Zeit-Maschine, die ihr Gegenüber repräsentiert. Das Hellblau mit kleinen orangen Pünktchen, sogar etwas Weiß, das hier und da durchblitzen darf, fordern zum ständigen Schauen auf. Schau hin – und doch bin ich nicht zu fassen. Mein Bruch, den will ich selbst nicht wahrhaben, deswegen habe ich mich auch ummantelt. Auch wenn ich nicht in einer Blase schwebe, sondern den Gesetzen des Bildes folgend eine gerade Begrenzung zum rechten Bildrand hin aufweise, die an ihrem oberen Teil nicht geschlossen ist, so kommuniziere ich. Unaufhörlich mit meinem Gegenüber im Bild aber auch mit all jenen, die mich von außen betrachten. Vielleicht bin ich nicht mehr als eine leicht vergängliche Luftblase, ein Luftschloss, ein Ein-Gebilde. Aber meine Grazie, meine Schönheit, meine Standhaftigkeit haben etwas Unvergängliches. Etwas, das einmal erspürt, für immer abgespeichert ist. Abrufbar auch in dunklen Zeiten. Ein kleiner Lichtstrahl, eine Tröstung, Hoffnung, aber auch eine Anmaßung. Wie kann ich nur!

Die Vergangenheit ist immer bei uns

Was als unbestimmtes Gefühl zu Beginn des Bildbetrachtens stand, fängt an sich zu konkretisieren. Meine Assoziationen greifen mit ihren Hakenarmen tief in jene Schichten, in welchen Erlebtes und Gefühltes wie in einem Amalgam beständig unter der Erlebensoberfläche gehalten werden. Was lang, lang her ist, kann jedoch plötzlich in Sekunden Präsenz erlangen. Uns verschlingen, niederdrücken aber auch umschmeicheln und mit einem Duft versehen, der nach Freiheit und Kindheit riecht.

Das Böse und das Gute, damals war es Schwarz und Weiß. Grau gab es nicht, wenn überhaupt dann nannte ich es „Dunkelweiß“. Bunt, bunt gab es schon. Das Gute, eigentlich war es bunt. So bunt wie das Hellblau und das Orange in der kleinen Zeichnung. Das Gute war warm, fühlte sich sicher an, war nicht aus der Bahn zu werfen. Und all den Bedrohungen, denen es ausgesetzt war, konnte es entkommen. Und heute? Heute haben das Schwarze, die Hakenarme, die niemand sehen möchte, Einzug gehalten in mein persönliches Universum. Ob verschuldet oder unverschuldet, das macht keinen Unterschied. Das vermischt sich zuweilen. Kippt, tauscht sich gegenseitig aus. Wird weggeschoben und kommt unerbittlich wieder. Und wenn die persönlichen Lebenserinnerungen befriedet scheinen, dann taucht es in jenen emphatischen Empfindungen auf, die mich tagtäglich überschwemmen, wenn ich Nachrichten ansehe.

Wie ein schwarzer Streitwagen, geharnischt, knirschend, krächzend, lärmend, langsam aber beständig vorwärts ratternd hat sich das Böse einen Dauerplatz im Leben erobert. Hat versucht, das Gute sukzessive zu verdrängen. Hat sich einen Dauerparkschein gelöst in jener unwirtlichen Garage, die ich niemals wohnlich einrichten werde können, die ich gar nicht gewillt bin, wohnlich einzurichten. Wie tröstlich, dass es ein Bild gibt, welches diesen verdammten Karren zumindest eine Zeit lang aufhält. Mit einer Leichtigkeit, die aus tiefem Durchatmen gebaut ist, einer kaum merklichen Geste, die dem Biest Einhalt gebietet und einem Schutzmantel, der es umgibt. Es ist jenes bunte Teil, das wie ein lebendig gewordenes Matadorsteinchen seiner Bedrohung entgegenblickt, das mich so anzieht. Mich so beglückt, mich aufrichtet. Zu mir spricht, während es sich wappnet und so tut, als gäbe es nichts, was es verschlingen könnte. Beschützt ist in seiner offenen Blase, aus der es dennoch jederzeit entschlüpfen kann. Nach oben, dort, wo die Ideen noch heller sind, noch bunter und noch unantastbarer. Es bietet frech dem Dunklen die Stirn, lacht es aus, bleibt unerschrocken auf seiner Position und ist doch so schlau, sich für den Fall des Falles einen Notausgang geschaffen zu haben. Damit bleibt es unsterblich.

Angekommen am Ende einer Gedankenkaskade trifft es mich wie ein Blitz. Die Verankerung, die vermeintliche Verankerung des Bösen, ganz links im Bild. Auch sie kommuniziert mit meiner für mich ganz persönlich adaptierten bunten Lebensenergie. Auch sie ist ein Spiegelbild, aber nicht eines, das unter ihr aus den Wassertiefen zu erfühlen ist, sondern eines, das in der Vergangenheit verankert scheint.

André Heller kommt mir ins Ohr. „Mir träumte, ich sei versunken, tief im chinesischen Meer. Versunken nur, nicht ertrunken und Lärm kam von Süden her. Das waren die Insekten, die bauten die Mandelbaumstadt. Worin jedes Lebewesen seine Entsprechung hat. Für Dich gibt es dort eine wie Dich, für mich gibt es einen wie mich. Der gleicht mir in Schicksal und Namen, der hat meinen Ruf und mein Ich.“ So scheint es zu sein. Das Schöne, das Gute, das Bunte, es hat ebenso seine Entsprechung. Es hat ebenso seine Vergangenheit, seine Verankerung, auf die wir kaum einen Zugriff haben. Nur dann, wenn wir sehen, fühlen und denken gleichzeitig, ganz sicher aber wenn wir tagträumen. Dann ist sie erfahrbar in der Tiefe unserer Gefühle, im Innersten unseres Herzens, das weiß, wie es gebaut wurde. Steinchen für Steinchen. Farbfleck für Farbfleck. Bis es zu dem wurde, was es heute ist: Ein Hellblau mit kleinen orangen Pünktchen, sogar etwas Weiß, das hier und da durchblitzen darf.

Kommunikation von Mensch zu Mensch

Christof Hartmanns Kunst schreit nicht. Sie zieht sich aber auch nicht zurück. Sie wartet geduldig auf das, was ihr entgegengebracht wird. Sie wartet auf das Entdecktwerden. Auf das Gehobenwerden; wie ein Schatz, der in einem tiefen, ruhigen See auf seine Hebung wartet. Jedes einzelne seiner Werke, egal ob Zeichnungen, Collagen, Malereien, Skulpturen, jedes einzelne wird seine Entsprechung finden. Wird sein Gegenstück in jenen Menschen finden, die sie sich zu eigen machen werden.

Die sich in ihnen spiegeln werden, sie enträtseln werden oder die ihnen zeitlebens rätselhaft gegenüberstehen werden. Noch muss man sich auf eine Entdeckungsreise begeben, seiner Kunst entgegengehen. Noch schlägt man nicht einfach einen Wikipedia-Eintrag oder eine Homepage auf und verlässt diese nach wenigen Minuten wieder. Gespeist mit einer vermeintlichen Information, die übermorgen wieder vergessen sein wird. Noch ist es der direkte Kontakt über die Österreich-Connection Michaela Preiner, die Auskunft gibt, die vermittelt, die auch nach Düsseldorf direkt einladen kann, den man bemühen muss. Old-fashioned mag man das gewiss nennen. Und doch liegt diese Art der „neuen“ Kommunikation offenbar im Trend.

Der diesjährige Steirische Herbst 2014 hat sich diese Kommunikationsschiene auch auf seine Fahnen geschrieben. Dort wird heuer forciert, nicht digital, sondern von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren, so wie anno dazumal. Mit „I prefer not to . . . share.“ – dem Generalthema des Festivals – verweisen die Festivalmacher auf die mögliche Verweigerung der digitalen Kommunikation. So gesehen war Hartmann in den letzten Jahren ein Trendsetter. Tatsächlich aber ist es das diffizile Spiel mit Materialien in seinen Kunstwerken, das analog erlebt werden muss, weil es sich über den Bildschirm nur unzureichend mitteilt.

Dabei ist eines sicher: Die Mühe wird immer belohnt, denn man lässt sich dabei auf eine besondere Kommunikation ein, einen Austausch mit dem Kunstwerk selbst. Aber man erlebt dabei auch menschliche Begegnungen. Man erfährt viel über Christof Hartmann von seiner österreichischen Botschafterin Michaela Preiner, so wie es meine Erfahrung war. Oder man macht sich direkt auf den Weg nach Düsseldorf, um dort in seinem Atelier und Lager ganz tief in seine Kunst einzutauchen. Was aber das Risiko in sich birgt, etwas zu entdecken, das einen nicht mehr loslässt. Ein Bild oder eine Skulptur von einem anderen Persönlichkeitsuniversum.

Masse ist Macht

Masse ist Macht

Der Saal des Semperdepots ist nur schwach erleuchtet. 12 niedrige Podeste, hinter denen jeweils elektronisch präparierte Pianos stehen, rhythmisieren den Raum. Das Publikum findet an diesem Abend keine Sitzplätze vor, sondern bewegt sich nach Lust und Laune im Raum. „Freie Platzwahl“ ist somit wörtlich zu nehmen. „Maschinenhalle #1“, so der Titel der Veranstaltung, tut ihrem Namen alle Ehre. Wer sitzt schon im Theatersessel in einer Maschinenhalle! Nachdem die 12 Tänzerinnen und Tänzer ihre Plätze auf je einem Podest eingenommen haben, markieren wenige harte Klavierakkorde den Beginn der Vorstellung. So, als wollten sie sich einzeln präsentieren, beginnt das Ensemble nacheinander auf den Kupferplatten, die auf den Podesten liegen und mit den Pianinos verkabelt sind, mit seinen Schrittkombinationen. Und jeder dieser Schritte löst Klavierklänge aus. Oder tanzen sie zu der elektronisch gesteuerten Musik?

Maschinenhalle #1 Tanz (c) Franz Zotter

Maschinenhalle #1 (c) Franz Zotter

Christine Gaigg (Choreografie), Bernhard Lang (Musik), Winfried Ritsch (Technik) und Philipp Harnoncourt (Licht) zeichnen für diese Produktion verantwortlich. Im Vorjahr als Auftragswerk vom Steirischen Herbst entstanden, produziert das Werk an diesem Abend in Wien neben der Performance selbst eine Flut von Gedanken. Egal, welchem Rhythmus sich die Agierenden gerade hingeben, ob langsam, beschaulich oder stakkatomäßig in einer atemlosen Hetze, das Publikum gruppiert sich ballungsartig um diejenigen, die gerade dabei sind aktiv zu sein. Kegelscheinwerfer erleuchten die ProtagonistInnen abwechselnd und sorgen so zusätzlich für den Publikumsfluss im Raum, der den Lichtreizen folgt. Getanzt wird zu Klängen, die zuvor in die Musikmaschinen eingespeist wurde, ohne Rücksicht auf die anderen TänzerInnen im Raum. Jede und jeder agiert für sich und dennoch ähnelt sich ihre Choreografie. Auf Bildschirmen wird angezeigt, wie oft eine bestimmte Bewegung wiederholt werden muss und es wird einem bei den angezeigten Zahlen schwindelig. Wenn von 300 auf 0 heruntergezählt wird, dann weiß nicht nur die Company, dass jetzt harte Arbeit auf sie zukommt. Maschinengleich wiederholen die Akteurinnen und Akteure ein bestimmtes Bewegungsmuster bis endlich – man empfindet es beinahe als Erlösung – zwei von ihnen menschliche Regungen zeigen. Sie sacken in sich zusammen, fallen dramatisch auf den Boden, um im selben Moment jedoch wieder emporzuschnellen, um sofort wieder und wieder zusammenzufallen und wieder und wieder aufzustehen. Selbst der Erschöpfungszustand gerät zur replizierbaren Aktion ohne Erlösungsgnade.

Die Poesie der Musik in den langsameren Passagen steht im harten Kontrast zu jenen Teilen, in denen die Taktzahl so erhöht wird, dass das Unisono-Stampfen der Tänzerinnen und Tänzer nicht nur Produktionsassoziationen zulässt, sondern schon fast martialisch wirkt. Und doch kann man den Menschen eine gewisse Lust an ihrem Tun nicht absprechen. Es ist offenkundig schön, produktiv zu sein, sich einzubringen in ein größeres Ganzes, sein Bestes zu geben, bis zum Umfallen. Viele aus dem Publikum mag dabei wohl ein mulmiges Gefühl beschlichen haben, zu sehr sind Parallelen zur heutigen Arbeitswelt offenkundig, die von den meisten als Hamsterrad empfunden wird, in dem man zu funktionieren hat.

Der Kunstkniff, das Publikum als Teil des Geschehens einzubinden, quasi als Beobachter, wenn nicht sogar als Überwacher der „Menschmaschinen“, funktioniert. Es erhält die Möglichkeit, sich als Teil des Geschehens zu fühlen und dennoch hat es die Chance, dabei zu reflektieren. Über die eigene Rolle in dieser Vorstellung, aber noch mehr über die eigene Rolle im Arbeitsprozess, in den es eingespannt ist. Die kleine, begrenzte Aktionsfläche, auf der jeweils getanzt wird, lässt keinen großen Spielraum für Individualität zu. Umsomehr wird jede einzelne Bewegung, die von den am Nachbarpodest Tanzenden abweicht, schon als kleine Sensation gewertet. Die Macht der Gruppe wird nur dort spürbar, wo alle zugleich im selben Schrittrhythmus agieren. In diesen Momenten generiert die Masse zur Macht, obwohl es nur 12 Menschen sind, die diese Masse bilden. Masse und Macht sind nicht im Sinne Canettis zu verstehen, sondern, obwohl das Lustprinzip auch hier eine gewisse Rolle spielt, eher in der Macht der Produktion durch und für die Massen.

Ein Abend, der neben den körperlich extrem anstrengenden und dadurch bewunderungswürdigen Repetitionen reichlich Gelegenheit bot, über unsere eigene Rolle in der Produktionsgesellschaft aber auch über die derzeitige Pervertierung von Konsum und dessen Auswirkungen auf das Individuum nachzudenken.