Ein Bild von einem anderen Persönlichkeitsuniversum. Und doch ist es mir so nah.
Christof Hartmanns Zeichnung, die ich unlängst bei einer Freundin hängen sah, hat es mir angetan. Warum, das weiß ich nicht. Ich weiß nur, falsch, ich spüre nur, dass es so ist. Ist es die große Ausgewogenheit, die Balance, in der sich die einzelnen Formen zueinander befinden? Ist es die Gegenüberstellung jenes Bildabschnittes in der linken Bildhälfte, mit welcher sich dieser mächtig gegen das Blau-Orange im rechten Bildviertel stemmt? Sind es die Formen, die rätselhaft und dennoch dechiffrierbar erscheinen? Auf keine der Fragen habe ich bisher eine Antwort gefunden. Oder anders herum gedacht, alle Fragen könnte ich mit „ja“ beantworten.
Eine Künstlerbiographie
Christof Hartmann, geb. 1959 in Düsseldorf, Studium mit Abschluss an der Kunstakademie in Düsseldorf, Meisterschüler bei Karl Bobek und Examen in Kunst und Philosophie an der Uni Düsseldorf, hat nur wenige Ausstellungen im Laufe seiner Karriere bestritten. Gemessen an den vielen Jahren seiner Kunstproduktion und im Vergleich zu seitenlangen Aufzählungen von im Kunstbusiness verankerten Zeitgenossen.
So wundert es nicht, dass der Name Christof Hartmann am Kunstmarkt nicht präsent ist. Nicht einmal im Internet hat der Künstler bislang einen Auftritt. Seine Öffentlichkeitsverweigerung war eine bewusste. Eine, die von einem Charakter gekennzeichnet ist, der nicht müde wird, sein Werk permanent infrage zu stellen. Die Angst, zu früh in eine Schublade gesteckt zu werden, aus der es kein Entrinnen mehr gibt, war ein Motor der Zurückhaltung. Die Selbstkritik ein anderer.
In größerem öffentlichen Rahmen trat er mit einer Personale im Kunsthaus Göttingen in Erscheinung und bespielte vor wenigen Jahren einen Raum im Lehmbruck-Museum in Duisburg, abgesehen von kleineren Auftritten in Ratingen, Essen, Eller und Meerbusch. In unmittelbarer Nachbarschaft seines Lebensmittelpunktes in Düsseldorf. Zwei schmale Kataloge gibt es von ihm. „Human race“ ist der eine betitelt, „Visionen in Beton“ der andere. Sie zeugen von einem unglaublichen Ideenreichtum. Von einer persönlichen Handschrift, die geführt wird von Tausenden Jahren Kunstgeschichte. Sie zeugen von zu Objekten gefrorenen Gedanken, die um das Thema Mensch-Sein kreisen.
Um die Verortung in Zeit und Raum und die Verhältnisse, die Beziehungen, die im Laufe eines Lebens und darüber hinaus aufgebaut werden. In Österreich war er vor vielen Jahren, ja schon Jahrzehnten in Klagenfurt und in Graz in Galerien präsent, vor Kurzem trat er in einer temporären Galerie in Kitzbühel auf. Die Graz-Verbindung wurde zu einer dauerhaften. Getragen von einer Freundschaft zwischen der Galeristin und dem Künstler, die über Jahrzehnte hinweg aufrecht blieb. Das Interesse am Leben und Arbeiten des jeweils anderen und die gegenseitige Wertschätzung bestimmen diese Verbindung. So gibt es nun mitten in Wien, so etwas wie eine Hartmann-Dependance. Die einstige Galeristin aus Graz, Michaela Preiner, hat sich in Wien niedergelassen und lebt und arbeitet in einem Umfeld, das von Kunst bestimmt wird. Christof Hartmann ist dabei omnipräsent. Ein kleiner Gipskopf ragt aus einem Rokokorahmen aus der Wand, direkt über ihrem Schreibtisch. Eine feine Skulptur, ein Hochzeitsgeschenk, steht hinter ihr auf einem Thonet-Tischchen. Und eine Wand im kombinierten Arbeits- und Wohnzimmer ist ausschließlich seinen Werken gewidmet. Und dort hängt auch sie. Jene Zeichnung, die es mir so angetan hat.
Schau mich an
Nur wer sich ganz nah an das Bild zoomt, seine Augen fokussiert und gewillt ist, es genau zu betrachten, entdeckt etwas Unglaubliches. Das Positiv des Negatives, das Bild im Bild. Die Offenlegung der Täuschung, die sich doch nie verborgen hat. Die tiefschwarze Form, mittig platziert und ihr Gegenüber, der obere Teil des hellblauen Gebildes mit orangefarbenen Einsprengseln und Akzentuierungen – sie sind auf einem eigenen, kleinen Stückchen Papier gezeichnet und gemalt und als Bild im Bild in die Komposition eingefügt. Die zarte, grafische Umkreisung mit einer schmalen Kreide, rund um die blaue Stele, bricht ihre Linie dort, wo der kleine Papierteil auf das größere Blatt geklebt ist. Ein Bruch, der nicht verborgen wird, aber dennoch die Einfassung, das Gehäuse nicht stört.
Die schwarze Form – ein menschliches Derivat oder ist es ein Ufo, bereit zum Abheben, ein brachiales Gefährt mit der Tendenz zum Herrschen? Sie spiegelt sich wie in einem blanken Wasser darunter. Fein schraffiert kommt sie dort leicht vergrößert wieder zum Vorschein, echot ans Land, in die Höhe, ins Jetzt. Und als ob ihr Spiegelbild noch nicht reichte, ist sie auch noch zusätzlich fest verankert. Aber nur im Gedachten, Wässrigen, Vergangenen. Nicht im Präsenten, nicht in jener Form, die ausgestattet ist mit einem Hakenarm, der die Welt um sich einfangen möchte. Sie hat noch zusätzlich einen Anker-Ausleger der links von ihr tief und blockhaft ins weiße, glasklare Wasser ragt. Was ist hier ein Abbild des Realen, was ist Gedachtes, Erfühltes? Was ist Erschautes, ist es ein Raum ohne Zeit? Schafft die Kunst hier einen Raum ohne Zeit?
Leicht, so leicht wie ein farbiger Gedanke, wie ein Geistesblitz der einen erfreut, steht der schwarzen Masse die bunte, leuchtende Gestalt gegenüber. Ihr Spiegelbild ist nicht verwässert, nur leicht vergrößert und verjüngt. Aber sie bildet damit eine viel stärkere Einheit als die Mensch-Raum-Zeit-Maschine, die ihr Gegenüber repräsentiert. Das Hellblau mit kleinen orangen Pünktchen, sogar etwas Weiß, das hier und da durchblitzen darf, fordern zum ständigen Schauen auf. Schau hin – und doch bin ich nicht zu fassen. Mein Bruch, den will ich selbst nicht wahrhaben, deswegen habe ich mich auch ummantelt. Auch wenn ich nicht in einer Blase schwebe, sondern den Gesetzen des Bildes folgend eine gerade Begrenzung zum rechten Bildrand hin aufweise, die an ihrem oberen Teil nicht geschlossen ist, so kommuniziere ich. Unaufhörlich mit meinem Gegenüber im Bild aber auch mit all jenen, die mich von außen betrachten. Vielleicht bin ich nicht mehr als eine leicht vergängliche Luftblase, ein Luftschloss, ein Ein-Gebilde. Aber meine Grazie, meine Schönheit, meine Standhaftigkeit haben etwas Unvergängliches. Etwas, das einmal erspürt, für immer abgespeichert ist. Abrufbar auch in dunklen Zeiten. Ein kleiner Lichtstrahl, eine Tröstung, Hoffnung, aber auch eine Anmaßung. Wie kann ich nur!
Die Vergangenheit ist immer bei uns
Was als unbestimmtes Gefühl zu Beginn des Bildbetrachtens stand, fängt an sich zu konkretisieren. Meine Assoziationen greifen mit ihren Hakenarmen tief in jene Schichten, in welchen Erlebtes und Gefühltes wie in einem Amalgam beständig unter der Erlebensoberfläche gehalten werden. Was lang, lang her ist, kann jedoch plötzlich in Sekunden Präsenz erlangen. Uns verschlingen, niederdrücken aber auch umschmeicheln und mit einem Duft versehen, der nach Freiheit und Kindheit riecht.
Das Böse und das Gute, damals war es Schwarz und Weiß. Grau gab es nicht, wenn überhaupt dann nannte ich es „Dunkelweiß“. Bunt, bunt gab es schon. Das Gute, eigentlich war es bunt. So bunt wie das Hellblau und das Orange in der kleinen Zeichnung. Das Gute war warm, fühlte sich sicher an, war nicht aus der Bahn zu werfen. Und all den Bedrohungen, denen es ausgesetzt war, konnte es entkommen. Und heute? Heute haben das Schwarze, die Hakenarme, die niemand sehen möchte, Einzug gehalten in mein persönliches Universum. Ob verschuldet oder unverschuldet, das macht keinen Unterschied. Das vermischt sich zuweilen. Kippt, tauscht sich gegenseitig aus. Wird weggeschoben und kommt unerbittlich wieder. Und wenn die persönlichen Lebenserinnerungen befriedet scheinen, dann taucht es in jenen emphatischen Empfindungen auf, die mich tagtäglich überschwemmen, wenn ich Nachrichten ansehe.
Wie ein schwarzer Streitwagen, geharnischt, knirschend, krächzend, lärmend, langsam aber beständig vorwärts ratternd hat sich das Böse einen Dauerplatz im Leben erobert. Hat versucht, das Gute sukzessive zu verdrängen. Hat sich einen Dauerparkschein gelöst in jener unwirtlichen Garage, die ich niemals wohnlich einrichten werde können, die ich gar nicht gewillt bin, wohnlich einzurichten. Wie tröstlich, dass es ein Bild gibt, welches diesen verdammten Karren zumindest eine Zeit lang aufhält. Mit einer Leichtigkeit, die aus tiefem Durchatmen gebaut ist, einer kaum merklichen Geste, die dem Biest Einhalt gebietet und einem Schutzmantel, der es umgibt. Es ist jenes bunte Teil, das wie ein lebendig gewordenes Matadorsteinchen seiner Bedrohung entgegenblickt, das mich so anzieht. Mich so beglückt, mich aufrichtet. Zu mir spricht, während es sich wappnet und so tut, als gäbe es nichts, was es verschlingen könnte. Beschützt ist in seiner offenen Blase, aus der es dennoch jederzeit entschlüpfen kann. Nach oben, dort, wo die Ideen noch heller sind, noch bunter und noch unantastbarer. Es bietet frech dem Dunklen die Stirn, lacht es aus, bleibt unerschrocken auf seiner Position und ist doch so schlau, sich für den Fall des Falles einen Notausgang geschaffen zu haben. Damit bleibt es unsterblich.
Angekommen am Ende einer Gedankenkaskade trifft es mich wie ein Blitz. Die Verankerung, die vermeintliche Verankerung des Bösen, ganz links im Bild. Auch sie kommuniziert mit meiner für mich ganz persönlich adaptierten bunten Lebensenergie. Auch sie ist ein Spiegelbild, aber nicht eines, das unter ihr aus den Wassertiefen zu erfühlen ist, sondern eines, das in der Vergangenheit verankert scheint.
André Heller kommt mir ins Ohr. „Mir träumte, ich sei versunken, tief im chinesischen Meer. Versunken nur, nicht ertrunken und Lärm kam von Süden her. Das waren die Insekten, die bauten die Mandelbaumstadt. Worin jedes Lebewesen seine Entsprechung hat. Für Dich gibt es dort eine wie Dich, für mich gibt es einen wie mich. Der gleicht mir in Schicksal und Namen, der hat meinen Ruf und mein Ich.“ So scheint es zu sein. Das Schöne, das Gute, das Bunte, es hat ebenso seine Entsprechung. Es hat ebenso seine Vergangenheit, seine Verankerung, auf die wir kaum einen Zugriff haben. Nur dann, wenn wir sehen, fühlen und denken gleichzeitig, ganz sicher aber wenn wir tagträumen. Dann ist sie erfahrbar in der Tiefe unserer Gefühle, im Innersten unseres Herzens, das weiß, wie es gebaut wurde. Steinchen für Steinchen. Farbfleck für Farbfleck. Bis es zu dem wurde, was es heute ist: Ein Hellblau mit kleinen orangen Pünktchen, sogar etwas Weiß, das hier und da durchblitzen darf.
Kommunikation von Mensch zu Mensch
Christof Hartmanns Kunst schreit nicht. Sie zieht sich aber auch nicht zurück. Sie wartet geduldig auf das, was ihr entgegengebracht wird. Sie wartet auf das Entdecktwerden. Auf das Gehobenwerden; wie ein Schatz, der in einem tiefen, ruhigen See auf seine Hebung wartet. Jedes einzelne seiner Werke, egal ob Zeichnungen, Collagen, Malereien, Skulpturen, jedes einzelne wird seine Entsprechung finden. Wird sein Gegenstück in jenen Menschen finden, die sie sich zu eigen machen werden.
Die sich in ihnen spiegeln werden, sie enträtseln werden oder die ihnen zeitlebens rätselhaft gegenüberstehen werden. Noch muss man sich auf eine Entdeckungsreise begeben, seiner Kunst entgegengehen. Noch schlägt man nicht einfach einen Wikipedia-Eintrag oder eine Homepage auf und verlässt diese nach wenigen Minuten wieder. Gespeist mit einer vermeintlichen Information, die übermorgen wieder vergessen sein wird. Noch ist es der direkte Kontakt über die Österreich-Connection Michaela Preiner, die Auskunft gibt, die vermittelt, die auch nach Düsseldorf direkt einladen kann, den man bemühen muss. Old-fashioned mag man das gewiss nennen. Und doch liegt diese Art der „neuen“ Kommunikation offenbar im Trend.
Der diesjährige Steirische Herbst 2014 hat sich diese Kommunikationsschiene auch auf seine Fahnen geschrieben. Dort wird heuer forciert, nicht digital, sondern von Angesicht zu Angesicht zu kommunizieren, so wie anno dazumal. Mit „I prefer not to . . . share.“ – dem Generalthema des Festivals – verweisen die Festivalmacher auf die mögliche Verweigerung der digitalen Kommunikation. So gesehen war Hartmann in den letzten Jahren ein Trendsetter. Tatsächlich aber ist es das diffizile Spiel mit Materialien in seinen Kunstwerken, das analog erlebt werden muss, weil es sich über den Bildschirm nur unzureichend mitteilt.
Dabei ist eines sicher: Die Mühe wird immer belohnt, denn man lässt sich dabei auf eine besondere Kommunikation ein, einen Austausch mit dem Kunstwerk selbst. Aber man erlebt dabei auch menschliche Begegnungen. Man erfährt viel über Christof Hartmann von seiner österreichischen Botschafterin Michaela Preiner, so wie es meine Erfahrung war. Oder man macht sich direkt auf den Weg nach Düsseldorf, um dort in seinem Atelier und Lager ganz tief in seine Kunst einzutauchen. Was aber das Risiko in sich birgt, etwas zu entdecken, das einen nicht mehr loslässt. Ein Bild oder eine Skulptur von einem anderen Persönlichkeitsuniversum.