Raus aus dem Theater, rein ins Auto!

Theater im Bahnhof, Hier War Ich Noch Nie – eine Taxichoreografie (Foto: Mathias Voelzke)

Das TIB erarbeitete in Koproduktion mit dem Steirischen Herbst ein ungewöhnliches, aber nicht ganz neues Format.

Ungewöhnliche Aufführungsorte für Theaterproduktionen sind längst keine Neuigkeit mehr. Auch Formate, in der die Interaktion mit dem Ensemble angesagt ist, sind in die Jahre gekommen. Im Steirischen Herbst präsentierte das TIB sein Format „Hier war ich noch nie – eine Taxichoreografie“ und griff dabei auf ein Konzept zurück, das weltweit viele Väter und Mütter hat und beide Parameter erfüllt.

Bereits 2009 wurde von Paul Stein an der Woodbury Universität in Burbank das Format „The car plays“ vorgestellt. Dabei nahm das Publikum für 10 Minuten in einem Auto Platz, um danach in weitere vier auf dem Parkplatz zu wechseln und so innerhalb einer Stunde ein Kaleidoskop an kurzen Dramen serviert zu bekommen. Der nächste dramaturgische Schritt bestand darin, die verwendeten Autos auch tatsächlich fahren zu lassen, wobei es bei diesem Konzept unterschiedliche Zugänge gibt.

2015 zeigte die Schweizer Theatergruppe mercimax ihr Stück „Autoballett“ unter der Patronanz des brut in Wien. Mercimax rief für das Casting Menschen mit einem besonderen Bezug zu ihrem eigenen Auto zum Mitmachen auf und ließ diese anschließend wahlweise ihre Erlebnisse auf Band sprechen und im Auto abspielen oder live erzählen, während sie das Publikum in ihren Autos chauffierten. Heuer gelangte im Mai in Innsbruck die Produktion „Knautschzone – Ein Autostück“ zur Aufführung. Das Theater praesent in Innsbruck agierte darin mit seinem Ensemble hinter den Lenkrädern und erzählte eine zwar fragmentierte, aber dennoch durchgehende Geschichte, über die sich das Publikum anschließend austauschen konnte.

Taxi-Profis wechseln ins Performance-Fach

Das TIB hingegen heuerte Profi-Taxifahrer und -fahrerinnen mit der Bitte an, während Fahrten innerhalb von Graz mit zahlendem Publikum entweder aus ihrem Leben zu erzählen oder ungewöhnliche Orte anzufahren. Alle drei unterschiedlichen Ausgangspositionen haben jedoch das gleiche Ziel: Das Publikum aus dem Theater zu locken und sich auf engstem Raum performativen Settings auszuliefern. Was alle Produktionen noch miteinander verbindet: Man kann sich nicht wirklich sicher sein, ob das Erzählte nur für die jeweilige „Vorstellung“ einstudiert wurde, oder ob das Gesagte aus dem tatsächlichen Lebensbezug der fahrenden Taxi-Schauspieler und -Schauspielerinnen stammt. Was ist Info, was ist Fake? Eine Frage, die uns derzeit wohl rund um den Globus in vielerlei Hinsicht beschäftigt, erfährt hier eine neue Dimension.

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Theater im Bahnhof, Hier War Ich Noch Nie – eine Taxichoreografie (Foto: Mathias Voelzke)

In Graz ging die Reise von der Postgarage, in der der Steirische Herbst seine Herbstbar installiert hat, los. Nach der Zuteilung zu verschiedenen Fahrern, wurde in den Autos Platz genommen. Taxifahrer Werner, an die 60, mit langem Silberhaar, chauffierte meine Gruppe durch den Bezirk Gries und erklärte dabei, wo sich in den 70ern ein versteckter Puff befand, wo es die berüchtigten Bars gab, und dass die Triestersiedlung neben der Karlau (Anm: Gefängnis) als Glasscherbenviertel bekannt war. „Dort, wo durch Auseinandersetzungen Glas zu Bruch ging, dort wo die Wilden zuhause waren, bezeichnete man die Viertel so“, erfuhren wir, seine Kundschaft, von ihm. Aber auch seine Theorie des ungebremsten, wirtschaftlichen Wachstums, ausgelöst durch Nichts-Tun, anhand des Beispiels des ehemaligen, bereits abgerissenen Punk-Hauses an der Ecke Triester- und Straßgangerstraße wurde Werner zu seinem sichtlichen Vergnügen los. Und das Stadtentwicklungsviertel in der Nähe der neuen Moschee, das sich letztlich als städteplanerisch-utopischer Rohrkrepierer erwies, konnte mit ihm ebenfalls vom Taxi aus besichtigt werden.

Persönlich Erlebtes und Erzählungen von Tausend und einer Nacht

Ich selbst habe zu vielem, was ich von Werner hörte, wie sich herausstellte ganz im Gegensatz zu meinen jüngeren Kolleginnen und Kollegen, einen ganz persönlichen Bezug. Zum Griesviertel, in dem ich 20 Jahre zuhause war und in dem meine Kinder bis zur Pubertät aufwuchsen genauso wie zum Puch-Museum, an dem wir vorbeifuhren, in dem ein altes Puch-Auto meines verstorbenen Mannes steht. Ich kenne noch die berüchtigten Lokale, die heute verschwunden sind und hatte eine Schulkollegin in der Triestersiedlung. Sie wohnte mit ihrer 8-köpfigen Familie im Gemeindebau im vierten Stock auf 60 Quadratmetern. Ich habe die mehrfachen Versuche der Grazer Regierungsverantwortlichen miterlebt, Graz in unterschiedlichen sozio-kulturellen Feldern als Pionierstadt zu positionieren. Als Austragungsort einer Ski-WM (sic!) genauso, wie als Hotspot von internationalen Eishockey-Wettkämpfen, zu welchen wir Gymnasiastinnen per Bus in die Liebenauer Eishalle gekarrt wurden. Das Bemühen, die kreativen Kräfte zu einem höheren Ganzen einzusetzen und das jeweilige Scheitern daran, gehörte zu einem der Inhaltsschwerpunkte von Werner, der sich während der Fahrt als umfassend gebildeter Mensch mit intellektuellen Ansprüchen entpuppte.

Kurze Sound-Einspielungen sollten die „Darbietung“ auflockern, wirkten jedoch eher als Fremdkörper einer Regie, die wohl bei den Fahrten nichts dem Zufall überlassen wollte. Dabei hätte es des Car-crash-Sounds ebenso wenig bedurft wie der vom Band abgespulten Intro, bei der sich Werner dem geneigten Publikum auditiv vorstellte, während er selbst im Freien darauf wartete, danach einzusteigen und mit uns loszufahren. Wie sich herausstellte, hätte Werner diese Vorstellung fehlerfrei mit authentischeren Worten geschafft und wir und er selbst das theatralische Eingangs-Szenario gar nicht gebraucht.

Die jungen Mitfahrenden reagierten auf den Input gänzlich anders als ich, lauschten Werners Geschichten zum Teil wie aus jenen von Tausend und einer Nacht und wären noch gerne länger mitgefahren. Wer Glück hatte, konnte in eine nächste Runde wechseln, ganz nach dem Motto: Neues Spiel, neues Glück und sich danach noch an der Herbstbar mit anderen über das Gehörte und Gesehene austauschen.

Jede Zeit erschafft ihre eigenen, künstlerischen Formate, wobei zu beobachten ist, dass die Hinwendung zum Menschen, der persönliche, kommunikative Austausch wohl deshalb im performativen Bereich im Moment inflationär auftritt, weil dieser in unserem Alltag immer mehr abnimmt und zurückgedrängt wird. Handy und Email, sowie elektronische Informationsdienste verändern unsere Art, miteinander zu kommunizieren fundamental. Da tut es gut, wenn ein Wildfremder in einem Auto zeigt, wie das funktioniert: Das Kommunizieren von Mensch zu Mensch. Das Phänomen der oral history, die das Erzählte in den Mittelpunkt der Geschichtsüberlieferung stellt und dabei größtmögliche Akzeptanz erfährt, bestätigte sich bei diesem Format voll und ganz. Aber es gibt aber auch viel Raum zum Nachdenken, sowohl über den positiven Nutzen als auch die Möglichkeit der Manipulation.

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