Ferdinand Schmalz erhielt 2013 den Retzhofer Dramapreis, wurde 2014 bei der Kritiker-Umfrage von „Theater heute“ zum Nachwuchsautor gekürt und wird in diesem Jahr abermals eine Uraufführung eines seiner Stücke erleben. Geboren in Graz, studiert er Philosophie und Theaterwissenschaften in Wien und freute sich über die Aufführung von „am beispiel der butter“ im Vestibül des Burgtheaters. Grund genug für ein Interview, für das wir uns in der Kantine des Burgtheaters trafen.
Wie fühlen Sie sich denn gerade? Befinden Sie sich in einer Hochstimmung?
Danke, sehr gut. Das war ein gutes Jahr, 2014.
Haben Sie sich beim Einreichen Ihrer Stücke Chancen ausgerechnet?
Es ist lustig. Ein Freund von mir sagte mir vor Kurzem, dass ich, als ich das Stück „am beispiel der butter“ beim Retzhofer Dramapreis eingereicht habe, gesagt habe: „Ich probiere es und wenn ich den Preis nicht bekomme, dann stehe ich wenigstens mit einem fertigen Stück da. Vielleicht kann ich das dann jemandem anderen anbieten.“ Ich habe mich selbst an diese Aussage aber gar nicht mehr erinnert. Dass alles so gut gelaufen ist, da ist auch immer Glück dabei. Es war das Jahr, in dem in Leipzig die Intendanz gewechselt wurde und das Stück dort uraufgeführt wurde. Das hat schon die Aufmerksamkeit auf das Stück gezogen. Und auch, dass es für Mühlheim nominiert war. Auch dass es Herr Missbach (Anm: Dramaturg am Burgtheater) gelesen und gut gefunden hat, war natürlich auch von Vorteil.
Sie sind ja auch abseits des Schreibens sehr theateraffin, haben als Komparse am Burgtheater gearbeitet aber auch Regieassistenz am Schauspielhaus und in Düsseldorf gemacht und anderes mehr.
Ja, schon. Auf jeden Fall.
Ist das von Vorteil im Sinne von Einblick haben, was muss ich machen, an wen muss ich mich wenden?
Ja und nein würde ich fast sagen. Leute, die ganz von der Literatur kommen, die mit dem Theaterbetrieb noch nichts zu tun hatten, fordern das Theater ganz anders heraus, weil sie gar nicht wissen, wie die Mechanismen funktionieren.
Inwiefern fordern sie?
Sie denken nicht in Konventionen. Denken auch nicht immer gleich die Umsetzung mit. Das ist auch ein Vorteil. Andererseits, wenn man weiß, wie Theater funktioniert, hat das auch seine Vorteile. Die Gefahr dabei ist nur, dass man betriebsblind wird. Man muss sich, auch wenn man viel mit Theater zu tun hat, immer wieder herausfordern, muss neu denken. Das Theater wächst auch immer mit den Herausforderungen. Die muss man stellen und nicht immer auch das Gefühl haben, etwas bedienen zu müssen.
Sie bedienen sich eines Pseudonyms, warum eigentlich?
Ein guter Freund von mir, Valentin Aigner, der bei Gunter Damisch Druckgrafik studiert hat, hat mich mal als Walross karikiert. Unter die kleine Skizze hat er „Schmalz“ hingeschrieben. Weil ich es in meiner Küche aufgehängt habe, ist es dann ein Spitzname im Freundeskreis geworden. Also der Name war schon lang vor dem Stück „am beispiel der butter“ da. Aber es hat schon was mit der deftigen Sprache in meinen Texten zu tun. Grundsätzlich interessiert mich an einem Pseudonym das Spiel mit der Autorenidentität. Wenn man als Autor auftritt, merkt man schnell, dass eine Geschichte gefordert wird, die zu den Texten passt. Was prägt einen? Was hat einen zum Schreiben gebracht? Wer ist man wirklich? Ich glaube, dass wir in jedem Kontext, in dem wir auftreten, Figuren von uns selbst spielen, mal weniger, mal mehr fiktive Geschichten von uns erfinden, sei es in der eigenen Familie, im Freundeskreis oder bei öffentlichen Auftritten, doch es bleibt immer ein unerzählbarer Rest von uns. Das Autorenpseudonym soll auf ironische Weise unterstreichen, dass es nur wieder eine weitere Figur von vielen ist, die man in seinem Leben spielt.
Die Stücke, die sie veröffentlicht haben, haben von ihrer Titelgebung her eine Affinität zu Lebensmitteln. Wie ist das zustande gekommen?
Die Titelidee für die Butter kam daher, dass ich gefunden habe, dass sich an den Lebensmitteln gesellschaftliche Entwicklungen zeigen. Man kann so etwas wie gesellschaftliche Entwicklungen erschmecken. Das hat mich interessiert. Was für jeden haptisch erfahrbar ist, muss man nicht in eine riesige Theorie packen, sondern man kann sagen: Die Butter schmeckt nicht mehr wie früher. Das hat schon eine Aussage, dass sich in den Produktionsbedingungen etwas verändert hat oder dass sich weiter darüber hinaus auch gesellschaftlich etwas verändert. Das war die Idee. Dosenfleisch klingt nur vom Titel her, als würde es noch einmal stark um Lebensmittel gehen. Dort ist es aber auf einer Metaebene angesiedelt. Darin geht es um drei Figuren, die vom Unfall angezogen sind, bei dem es um Blech und Unfallopfer – also Dosenfleisch – geht. Aber es spielt natürlich auch mit dem Lebensmittel. Was bedeutet es, Lebensmittel zu konservieren, was bedeutet es, Leben überhaupt zu konservieren? Wie viel Leben steckt noch in unseren Lebensmitteln? Auch das kann man sich einmal fragen. Und dann denke ich auch, dass Essen und Sprache auch sehr viel miteinander zu tun haben. Aus der Öffnung, in die wir unser Essen hineinstopfen, reden wir auch. Da könnte man sich ja auch einmal fragen, warum wir nicht aus der Nase reden oder aus den Ohren, oder nur mit den Händen. (lacht) Das liegt alles nah beieindander. Das Kauen, Worte zerkauen, Sprache und Essen zerkauen, hängt auch zusammen.
Essen Sie selbst gern?
Ja!
Welchen Zugang haben Sie selbst zu Lebensmitteln?
Ich versuche immer auch, so gut wie möglich, die Massenproduktionen zu umgehen. Wenn ich in die Steiermark nach Hause fahre, komme ich meist mit einem riesigen Sack Essen wieder zurück. Ich kenne dort die Produzenten direkt, kaufe auch beim Bauern direkt das Fleisch.
Sie sind in Admont zuhause. Sind Sie dort auch ins Stifsgymnasium gegangen?
Ja, genau. Ich hab dort auch im Schulspiel die ersten Theatererfahrungen gemacht.
War das für Sie förderlich oder hinderlich?
Das war förderlich. Ich hatte eine gute Deutschprofessorin, die leider letztes Jahr verstorben ist. Sie hat uns wach gemacht für sehr viele Dinge. Hat uns auch Bücher vor der Zeit gegeben. Andere haben gesagt: „Nein, das kann der noch nicht lesen“, aber sie meinte, „das ist genau das Richtige für dich“. Mit ihr hatten wir eine Schulspielgruppe. Dann gab es einen tragischen Schülerselbstmord. Wir hatten uns vorher entschieden, dass wir Wedekinds „Frühlingserwachen“ machen wollten. Dann stand das zur Debatte, ob wir das wirklich machen können. Es war aber eine gute Aufarbeitung. Da habe ich das erste Mal kapiert, was Theater kann und welches Potential es in so einem gesellschaftlichen Rahmen hat. Es war dort viel unaufgearbeitet. Viele Leute haben nur gewusst, dass es einen Selbstmord gegeben hat, sich aber nicht damit auseinandergesetzt. Während der Probenzeit hat sich dann auch noch ein dreizehnjähriger Schüler umgebracht. Das war schlimm. (schweigt einige Sekunden)
Stand für Sie schon früh fest, dass sie Schriftsteller werden wollten?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe eine Fachbereichsarbeit geschrieben zum Thema „Das radikale Volksstück in der 68er Generation“ – hab mich mit Peter Turrini und Wolfgang Bauer beschäftigt. Aus dem heraus habe ich Lust gehabt, mich theoretisch mit dem Theater zu beschäftigen. Ich hatte Lust zu erfahren, was Theater eigentlich ist, wie es funktioniert. Aus dem Impetus heraus habe ich angefangen, Theaterwissenschaft zu studieren. Ich bin aber draufgekommen, dass ich mit dieser Motivation einer Minderheit angehöre. Sehr viele Leute wollen Regisseure werden und schaffen die Aufnahmeprüfung nicht und finden sich dann in der Theaterwissenschaft. Oder Schauspieler, oder Filmemacher. Es heißt ja Theater-, Film- und Medienwissenschaften. Und ich war einer der Wenigen, der richtig an Theorie interessiert war.
Haben Sie abgeschlossen oder studieren Sie noch?
Ich musste das aufschieben und jetzt läuft der Diplomlehrgang aus. Ich war schon kurz vor dem Diplom, was ein bissl ärgerlich ist und den Master muss ich mir jetzt auch aufheben.
Abgesehen vom Zeitaufwand – fanden Sie das Studium förderlich oder hinderlich fürs Schreiben?
Es war schon förderlich, finde ich. Ich habe aber auch meine Schwierigkeiten mit dem Studium gehabt. Aber das hängt damit zusammen, dass ich immer selber gerne entscheide, in welche Richtung meine Lektüre weitergeht. Man hat thematische Vorgaben und bei mir war das oft so, dass, wenn ich ein Buch gelesen habe, es für mich logisch war, etwas anderes weiterzulesen als das Vorgeschlagene. Da gab´s dann aber z.B. den Rahmen Griechische Tragödie, mit der ich mich auch sehr gerne auseinandersetze, aber manchmal ist es für mich dann wichtiger, nicht im thematischen Rahmen zu bleiben, sondern etwas Anderes weiterzulesen. An sich hat das aber meine Phantasie auch angespornt.
Sie verwendeten für das Stück im Schauspielhaus „Die Agonie des Friedens“ und für „am beispiel der butter“ zwei unterschiedliche Sprachmodelle. Ist die Lust und Freude am Experimentieren mit der Sprache für Sie auch ein wesentliches Element, um zu schreiben?
Ja, das finde ich schon. Ich suche immer nach unterschiedlichen Formen, je nachdem, was ich behandle. Einerseits ist immer der Versuch da, eine größere Dichte und Konzentration oder Intensitäten zu schaffen, was auch immer über Rhythmisierungen funktioniert. Durch einen Umbau des Satzbaues schaffe ich Irritationen. Das sind kleine Störfaktoren für den Schauspieler oder Sprecher, die die Konzentration steigern. Das ist für mich eine Suche, die nie aufhört.
Wie kommen Sie zu Ihren Themen?
Das ist unterschiedlich. Ich arbeite derzeit an einem neuen Stück. Dafür erzählte mir im Zug ein Typ von einem „Herzerlfresser“, der in der Nähe von Kindberg sein Unwesen getrieben hat. So etwas trage ich dann ewig lang mit mir herum und hab es im Hinterkopf. Dann merkt man, wenn einem etwas länger nicht in Ruhe lässt, dass das eigentlich ganz gut wäre, etwas drüber zu schreiben.
Das sind dann eher exogene Faktoren.
Ja, genau. Bei der Butter war es so, dass ich mit einem Freund eine Installation machen wollte. Bevor ich zu schreiben begonnen habe, arbeitete ich in einem Künstlerkollektiv, in dem wir Installationen, die wir auch mit Texten bespielt haben, machten. Da wollten wir damals selbst ein Butterdenkmal bauen. Wir haben das bei einer Off-space-Galerie in Wien eingereicht. Aber die waren nicht wirklich begeistert, 20 Kilo Butter in der Galerie über ein Monat stehen zu haben, die dann ranzig wird. Dann habe ich das wieder fallen lassen später aber wieder aufgegriffen. Es sind Themen, an denen ich schon dran war und zu denen ich später wieder zurückkomme. Es braucht oft ein, zwei Anläufe dass ein Stück draus wird.
Ihre Stücke sind mit sozialkritischen Komponenten versehen.
Ja, das sind oft Sachen, die mich beschäftigen und nicht in Ruhe lassen. Zum Beispiel die soziale Gerechtigkeitsvorstellung von Hans in „am beispiel der butter“ und seine Erfahrungen mit einem Souverän. Dorfsouveräne, das habe ich selbst am eigenen Leib miterlebt. Da gibt es Landfürsten, die über den Dingen stehen. Dass das auch mit einer größeren gesellschaftlichen Ordnung zu tun hat, finde ich ganz spannend zu verfolgen. Auch das noch einmal höher zu heben und zu fragen: Wie ist unsere Gesellschaft eigentlich aufgebaut, dass es das gibt?, finde ich spannend.
Es gibt ein Videointerview mit Ihnen, da fahren Sie mit einem Einkaufswagen durch einen Supermarkt. Darin sagten Sie, dass das, was in einer Kleinstadt passiert, auf die Gesellschaft im Allgemeinen umgelegt werden kann.
Auf jeden Fall. Ich wollte auch schon einmal ein Stück in Kaindorf spielen lassen, weil ich finde, dass das einen so guten Namen hat. Man könnte es ja auch mit „e-i“ lesen. Kein-Dorf. Mich interessieren eben Modelle. Manche sagen, wenn man zu modellhaft denkt, dann vereinfacht das alles. Aber die Vereinfachung finde ich auch ganz gut, weil sie wie eine Lupe funktioniert. Man kann dann schon genauer hinschauen, wie Mechanismen funktionieren. Gerade das lässt sich im Kleinen ganz gut erforschen. Das Theater ist für das modellhaft Beispielhafte oft ganz gut, weil es selbst auch einen Laborrahmen darstellt.
Wie geht es Ihnen damit, wenn Sie ein Stück in einer Art Kindesweglegung an einen Regisseur oder eine Regisseurin übergeben. Haben Sie damit ein Problem?
Grundsätzlich nicht. Ich sehe das vielleicht etwas lockerer als andere Kollegen. Weil ich mir auch denke, dass der Text ein gewisses Gerüst ist, das einmal steif, einmal weniger steif ist. Dann muss das erst mit Leben und Fleisch gefüllt werden. Eine ziemlich arge Erfahrung als Autor ist, dass man zuhause in seinem Kämmerlein sitzt und dann muss die Idee durch dieses Nadelöhr der Schrift. Man sitzt zuhause und hat eine Welt vor sich. Dann muss das auf Schwarz-Weiß ins Zweidimensionale herunter gebrochen werden, um dann wieder eine Riesenwelt zu schaffen. Das macht das aber auch wieder wahnsinnig spannend. Da muss man auch gewisse Tricks finden, wie man etwas in anderen Leuten auslöst. Man versucht ja auch, durch den Sprachgebrauch eine gewisse Körperlichkeit auf die Bühne zu bringen. Eine Körperlichkeit in ein absolut unkörperliches Medium hineinzuschreiben, ist auch eine lustvolle Aufgabe. Wenn unabgesprochen viel Fremdtext mit hineingenommen wird, ohne Autorenabsprache, was mir noch nicht passiert ist, dann verstehe ich, wenn Verbote herausgegeben werden, oder wenn man sagt: Gut, aber da bitte nicht mehr meinen Namen drüberschreiben.
In Amerika gibt es viel stärkere Regeln und härtere Gesetze, die den Autoren erlauben, viel stärker einzugreifen.
An sich finde ich es gut, dass es noch einmal einen Interpretationsspielraum für die Regie gibt und dass sie damit eine neue Perspektive auf den Stoff werfen. Ich kann mir schwer vorstellen, meine eigenen Texte zu inszenieren. Vielleicht muss ich mich da einmal widerrufen. Aber die Angst, die ich da hätte, ist, dass ich mich selbst dem Text gegenüber nicht fremd genug machen könnte. Gerade dass ein Text auch ein Geheimnis hat, ist auch wichtig für die Umsetzung. Manche Regisseure legen dann noch einmal einen ganz anderen Rahmen drüber und dann kommt noch eine Dimension dazu. Das macht das noch spannender.
Ist das für Sie dann wie ein Aha-Effekt?
Schon, auch, auf jeden Fall. Das war so beim Retzhofer Dramapreis. Der wird ja mit Workshops begleitet und das Eigenartige oder das Gute dort ist auch, dass man mit einem Text hinkommt und die anderen den Text lesen. Man darf nicht mitlesen, es wird einem selbst vorgelesen. Und dann diskutieren die anderen drüber und man darf nichts dazu sagen. Da ist man radikal aus dem eigenen Werk rausgeworfen und dabei ist es spannend zu sehen, was da überhaupt erst ankommt. Da muss man erst einmal umgehen lernen wie explizit man gewisse Sachen machen muss und auch wie wenig wahrgenommen wird. Oder manches, das man selbst nur als Detail erachtete, wird wieder von anderen als riesig wahrgenommen. Ich habe gerade ein Buch mit dem Titel „Schnelles Denken, langsames Denken“ von Daniel Kahnemann gelesen. Es geht darum, wie Aufmerksamkeit funktioniert. Ich hab das auch im Zuge eines Schreibworkshops gelesen, weil es ja auch darum geht, dass man ja nur immer zwei Stunden Zeit hat. Und in diesen zwei Stunden muss man das Publikum maximal bei Aufmerksamkeit halten. Der Autor sagt, dass es grundsätzlich ein schnelles und ein langsames Denken gibt. Das schnelle Denken ist das reflexhafte Denken, bei dem man sofort in eingefahrenen Spuren ist. Dass man aber das langsame Denken zum Beispiel für komplexe, mathematische Funktionen braucht. Und da fällt dann eine gewisse Aufmerksamkeit weg. Er hat Versuche gemacht, dass er Leuten gesagt hat, sie müssen beim Basketballspielen zählen, wie oft der Ball wechselt. Und währenddessen ging einer mit einem Gorillakostüm über das Spielfeld. Das haben die Leute aber gar nicht wahrgenommen.
Beim Rezensieren von Stücken funktioniert das genauso. Ich weiß von mir, dass ich einen sofortigen Reflex habe, aber dass ich dann gerne auch einmal eine Nacht darüber schlafe. Dann kommen auch andere Assoziationen – wie zum Beispiel bei Ihrem Stück, das Sie für das Schauspielhaus geschrieben haben und das ja viele Anspielungen verschiedener Art enthält. Werden Sie eigentlich beim Stückeschreiben bleiben? Es gibt ja auch andere Texte von Ihnen.
Ich würde auch gerne ein bisschen Prosa schreiben, aber zur Zeit tun sich Möglichkeiten auf, die will man natürlich auch nutzen.
Sie erleben ja gerade einen richtigen Hype.
Ja, aber irgendwie hoffe ich auch, dass ich einmal Zeit habe, einen Roman zu schreiben.
Was ist für Sie die größere Königsdisziplin, der Roman oder das Theaterstück?
Schwer zu sagen, weil das so unterschiedliche Medien sind. Man kann auch nicht sagen, dass der Roman mehr Zeit braucht. Manche schreiben einen Roman in einem halben Jahr und es wird super. Aber ich glaube, wenn man sich eingehender mit einem Thema befasst, dann sind zwei, drei Jahre keine unrealistische Zeit. Man kann aber ganz anders erzählen, weil es nicht nur so diese komprimierte Zeit ist, die man im Theater zur Verfügung hat. Nach zwei Stunden ist ja auch die Aufmerksamkeit vom Zuschauer schon ein bisschen weg. Ich kann da fast keine Wertung machen.
Sie sind, so wie ich Sie gerade erlebe, ein sehr kommunikativer Mensch. Das Schreiben ist ja etwas Einsames. Finden Sie für sich eine schöne Balance?
Es geht. Ich glaube, es war früher noch viel schlimmer. Diese Schreibkammer, die abgeschottete, oder der Hölderlinturm, das ist nicht mehr ganz aktuell. Auch die Dramatiker haben früher ein Stück erst fertig geschrieben und sind dann zu den Theatern gegangen. Heute ist man viel mehr in Arbeitskontexten mit eingebunden, wenn man das will. Es gibt schon auch da wieder eine Bandbreite von Arbeitsweisen, aber ich bin z.B. mehrmals in der Woche in Gesprächen mit Dramaturgen, teilweise mit Schauspielern, die auch Ideen haben, dann mit der Lektorin, die Feedback gibt. So einsam, wie man sich das so romantisch vorstellt, ist es nicht mehr. Es gibt auch die Tendenz zu kollektiven Schreibmethoden. Das würde ich auch gerne mehr machen. Gerade im Internet gibt es jetzt neue Werkzeuge wie zum Beispiel das Google Docs, das von vielen Kollegen genutzt wird. Dabei hat man ein Dokument, auf das verschiedene Leute Administratorenrechte haben. Da kann man auch ein wenig changieren. Man kann jemanden einsetzen, der nur Kommentarfunktion hat oder Leute, die mitschreiben können. Dabei entwickeln sich ganz andere Arbeitsmethoden, die ich sehr spannend finde. Da würde ich eigentlich gerne mehr ausprobieren. Da schreibt man dann wirklich im Kollektiv. Mir wurde erzählt, dass man, während man einen Satz hineinschreibt, diesen z. B. jemand anderer, der auf der anderen Seite der Erde sitzt, gleich darauf wieder löscht. Der tippt den raus und überschreibt ihn wieder. Das ist eine ganz neue Arbeitsweise, die auch spannend ist.
Was ist in der nächsten Zeit geplant? Sowohl was das Schreiben angeht, aber auch die Umsetzung im Theater? 2015 kommt „Dosenfleisch“.
Ja, die Autorentheatertage haben das ausgeschrieben und es wurden drei Autoren ausgewählt. Wien, Zürich und Berlin bringen dann jeweils einen dieser Texte. Dosenfleisch wird wahrscheinlich in Wien am Burgtheater gemacht werden. Die Uraufführung ist während des Festivals in Berlin, und dann geht es nach Wien. Ich schreibe außerdem an einem neuen Stück, das „der Herzerlfresser“ heißen wird.
Ja, darüber haben Sie schon kurz erzählt. Die Steiermark ist für Menschenfresser offenbar ein guter Boden. Ich erinnere mich an einen Fleischhauer in Graz, bei dem vor ca. 30 Jahren zwei Briefträger verschwanden. Man fand Teile von ihnen in seinen Kühlanlagen, andere dürfte er verwurstet haben.
Grauslich und ich hab gehört, das jetzt auch wieder dieser Haarabschneider unterwegs ist.
Das ist ja auch etwas ganz Eigenartiges. Das Aneignen von etwas Originärem, Körperlichem von jemand anderem, vielleicht auch noch das Horten bedeutet ja eine extreme Machtausübung, die aber trotzdem ganz subtil bleibt.
Ich habe mich gerade in den Kannibalismus eingelesen. Das geschieht auch oft aus dem Wunsch und aus der Angst heraus, die Teile am sichersten Ort zu verwahren, den es gibt. Dabei gibt es auch Rituale, bei denen man die bösen Geister bannen möchte, indem man die Stücke auch zu seinem Eigenen macht.
Ich habe aber dennoch den Eindruck, dass es in ihren Arbeiten nicht am Einzelschicksal hängen bleibt. Sondern es geht ja zugleich immer ums Hinschauen, was sich in der Gesellschaft tut. Wir sind ja gerade noch unter dem Eindruck der Attentate die in Paris passiert sind. Glauben Sie, dass unsere Demokratien bestehen werden oder sehen Sie Gefahr in Verzug?
Ich glaube, dass wir gerade an einem Entscheidungspunkt sind, an dem alles offen ist. Es ist noch nicht alle Hoffnung verloren, aber ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Leute an gewissen Punkten wieder Selbstvertrauen bekommen. Das hängt ganz stark mit Solidarität zusammen. Das hängt ganz stark damit zusammen, dass man nicht nur alles vom Individuum aus denkt, weil das ein wahnsinnig großes Problem wird, das auch systemimmanente Folgen hat. Das reicht schon in so viele Bereiche der Gesellschaft. Die Lebensmittelindustrie, die ich aufgegriffen habe, ist ja nur ein Teilbereich. Ich habe mich in letzter Zeit viel mit Einkaufszentren und Gewerbeparks beschäftigt. Daran merkt man, dass die Strukturen so ausgerichtet sind, dass wir nur als Einzelwesen dort existieren dürfen. Nur als Individuum uns wahrnehmen dürfen. Diese Räume, in denen man sich eigentlich begegnen kann, wo auch eine öffentliche Meinung entstehen kann, dieser öffentliche Raum wird nach meinem Gefühl knapper. Da braucht es in nächster Zeit ein starkes Bewusstsein, dass das sehr wichtig ist, auch dass Probleme nur gemeinsam gelöst werden können. Gerade wenn wir über Migrationsfragen sprechen. Ich finde, das wird sofort auf eine Angstschiene gebracht, die aber auch wieder vereinzelt. Nach dem Motto – alles wird unsicher und man muss vor den „kriminellen Migranten“ sein Eigentum schützen. Dabei wird viel zu wenig auch von politischer Seite hingewiesen, dass das ein Problem ist, das wir gemeinsam lösen müssen. Das kann nicht durch irgendwelche Gesetze geregelt werden. Sondern da muss jeder irgendwie mithelfen und sich auch gegenüber den Leuten, die zu uns kommen, aus schlimmsten Verhältnissen, aus Kriegsgebieten kommen, solidarisch zeigen. Es gibt viele Probleme, auch den Umweltschutz, die man nur wieder über eine starke Gemeinschaft wird lösen können. Da braucht es, glaube ich, Grundkenntnisse darüber wie man miteinander umgeht, die verloren gegangen sind.
Elisabeth Bakambamba Tambwe wurde in Kinshasa geboren und kam als Kind mit ihren Eltern nach Frankreich. Sie studierte Bildende Kunst, arbeitete im Objektbereich und wechselte ihr Metier, weil sie das Publikum in ihre Räume und Installationen miteinbeziehen wollte. Im Tanzquartier präsentierte die Choreografin und Tänzerin im Jänner ihr neuestes Werk „Symposium“. Eine Arbeit, in der die Zusehenden mit einer Reihe von unterschiedlichen Szenen konfrontiert werden, die teils zum Mitmachen, aber vor allem zum Mitdenken anregen. Das Gespräch fand einen Tag nach dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo statt.
Die Künstlerin bedankt sich zu Beginn unseres Treffens dafür, dass wir das Interview in Französisch aufnehmen. Und unversehens beginnt das Gespräch, ohne konkrete Fragestellung, mit vollem Tempo. Französisch sei zwar nicht ihre Muttersprache, aber sie musste die Sprache rasch lernen, um sich zu integrieren, beginnt die Choreografin ihre Erläuterungen.
„Man spricht in Frankreich zwar von Integration, aber eigentlich ist das eher eine Assimilierung denn eine Integration. Man muss sich vom System richtiggehend „verdauen“ lassen. Es geht dabei darum, dass man in der Masse verschwindet und so auch besser kontrollierbar wird. Es ist viel mehr so, dass man versucht, die vorhandenen Unterschiede zu nivellieren. Wo bleibt aber da die „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?“ Mich irritiert, dass Frankreich die Unterschiede der einzelnen Völkergruppen nicht wahrnimmt, denn das ist ja der eigentliche Reichtum einer Gesellschaft. Das Ausland blickt auf Frankreich und sagt, wie toll dass doch ist, wie viele unterschiedliche Ethnien dort leben und wie gut das funktioniert. In Wahrheit gibt es diese pluralistische Gesellschaft aber gar nicht, weil die Integration gar nicht stattfindet. Was jetzt in der Gesellschaft passiert, ist auch charakteristisch. Es gab früher organisierte Bewegungen, die hauptsächlich arabischen Ursprungs waren. Heute gibt es viele kleine Gruppierungen, die nach und nach ins Leben gerufen werden und sogar faschistische Organisationen schwarzafrikanischen Ursprungs. Das gab es früher nicht. Das ist eigentlich der Ausdruck der Unzufriedenheit, die immer größer wird. Die Leute haben einfach genug und die Menschen wollen auf diese Weise ihre Unzufriedenheit äußern. Sie sagen jetzt: Wir haben unsere Rolle, unser Ausgesperrtsein wohl verstanden, aber was können wir jetzt machen? Um weiter zu kommen, werden gewisse Klischees einfach beibehalten. Man ist jetzt in einer ganz absurden Situation. Denken Sie an die Menschen, die wir jetzt gerade verloren haben, das ist ganz unglaublich. Cabut, Wolinski, alle diese Leute. Das waren Menschen, die haben meine Jugend begleitet. Sie sind immer gegen den Extremismus aufgetreten, gegen die Front Nationale, gegen den Islam und nun sind sie getötet worden. Das ist schrecklich.
Das hat auch mich als Journalistin extrem getroffen, betroffen gemacht.
Seit dem Krieg in Algerien gab es keine vergleichbare Situation. Ich verstehe nicht, wie es so weit kommen konnte. Hier wiederholt sich die Geschichte. Man kennt die Konsequenzen, aber die Menschen sind wie Schafe, die immer dasselbe machen, sie haben aus der Geschichte nichts gelernt. Das ist eine Kritik an Europa, aber eine ganz spezielle an Frankreich. Ich schaue ja auch, was in Afrika los ist. Der Kongo hat Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Der Kolonialismus und die Diktatur haben sich auf das Denken der Menschen ausgewirkt. Man muss erst einmal wieder den Geist entkolonialisieren, bevor man die Körper in eine Autonomie entlassen kann. Erst muss der Geist die Freiheit suchen, dann ist man erst fähig, sich seinen eigenen Freiraum zu schaffen. Man spricht jetzt oft vom afrikanischen Kommunitarismus. Aber tatsächlich herrscht ein unglaublicher Individualismus. Die Leute haben unglaublich Angst, dass es ihnen an etwas fehlt. Man kümmert sich reflexartig zuerst einmal um seine eigene Familie. Und wenn was überbleibt, dann schaut man weiter.
Sie haben in Ihren Arbeiten immer politische Momente. Sie haben auf der Bühne bei „Symposion“ eine Riesenschlange gezeigt, die ein schwarzes Tier verschlang und dabei einen Teil eines Textes von Sarkozy lesen lassen, der wirklich ganz unglaublich ist und den ich vorher nicht kannte. So etwas ist für mich ein explizit politisches Zeichen.
Ich weiß nicht, ob das wirklich der richtige Begriff ist. Ich selbst fühle mich nicht politisch. Mein Gefühl bringt mich dazu nachzudenken, wie es um die Beziehung zu den anderen Menschen steht. Ich sehe, dass die Angst vor dem anderen wächst und dass diese Angst über die Grenzen der Hautfarbe hinausgeht. Eine Angst vor dem anderen, der anders ist als man selbst. Diese Angst wird von den Medien noch kultiviert. Aber eigentlich müsste man gerade den Reichtum dieser Unterschiede erkennen. Gerade diese Unterschiede erlauben eine Dynamik und eine Vielfalt und bedeuten einen Zugewinn. Wenn man einmal zu einer Integration kommt und diese Unterschiede zulässt, dann kann man eine Gemeinschaft bilden. Wenn man aber den anderen dazu zwingt, im selben Rhythmus zu funktionieren wie man selbst, dann reduziert man die Kapazität des anderen einfach und macht sie zunichte. Dann hat man eine Art von Marionette vor sich. Das funktioniert einfach nicht. Es ist wichtig, dem anderen Freiraum zu geben, seinem Rhythmus auch Freiraum zu geben. Ich glaube, das ist wichtig.
Man hat dein Eindruck, dass Sie Ihren Tänzerinnen und Tänzern tatsächlich einen eigenen Rhythmus und eine große Freiheit zugestehen. Kann man das mit der Arbeit vergleichen, die auch Robyn Orlin pflegt, mit der Sie ja auch zusammengearbeitet haben?
Elisabeth Tambwe im Stück „In a world of butterflies it takes balls to be a caterpillar … some thougts of falling …“ (Foto: Thomas Lachambre)
Das ist etwas anderes. Ich werde Ihnen erzählen, wie ich arbeite und wie ich mit Robyn zusammenarbeite. Ich habe eine klare Struktur im Kopf, die es gilt zu destrukturieren, neu zu artikulieren, um eine andere zu rekonstruieren. Ich glaube, dass es nicht nur eine Art und Weise gibt ein Stück zu sehen und zu interpretieren. Normalerweise sind alle Rituale dazu da, eine Performance zu kreieren. Ich versuche aber eine Modifikation. Ich versuche alle Schubladen wegzulassen. Natürlich sprechen wir in Symposium von Freiheit. Aber das heißt nicht, dass man machen kann, was man will. Wenn das so wäre, dann käme diese Freiheit nicht zustande. Es ist ein richtiges Ballett der Körper, das hier kreiert wurde, das ist auch die Schwierigkeit des Stückes. Eigentlich wollten wir bei jenem Stadium beginnen, das sich vor der Show ereignet, vor dem großen Moment. Vor diesem großen Moment passieren Fehler. Wenn man dem Publikum zu Beginn schon die Plätze zuweist, dann funktioniert das nicht. Deshalb kann es sich zu Beginn mit den Performern auf der Bühne kreuzen. Auf der einen Seite arbeitet einer in einem Kostüm, auf der anderen Seite kommt einer im Trainingsanzug, ein Techniker marschiert über die Bühne, überprüft etwas. Es war wichtig, dass die Techniker nicht zu Performern werden, sondern dass sie tatsächlich Techniker bleiben sollten, welche verschiedene Elemente während der Show wieder an ihren Platz bringen. Das war wichtig, deswegen haben wir mit ihnen nicht gespielt. Zusammen haben die Performenden überlegt, haben wir verschiedene Improvisationen ausprobiert, die dann festgehalten, sie bereinigt, je nachdem, was ich in der Szene zeigen wollte.
Bei Robyn ist das anders. Sie gibt ihren Tänzern viel mehr Freiheit, da wird einem richtig schwindlig dabei. Robyn hat eine Idee und arbeitet viel mit den einzelnen Personen. Es gibt dann eine Diskussion, die dann auch auf der Bühne präsent ist. Zum Schluss findet sie einen goldenen Mittelweg, der dann im Endeffekt präsentiert wird. Man hat bei ihr das Gefühl, als ob das Stück das zur Aufführung kommt, von uns wäre. Wenn ich für Robyn performe, performe ich nicht für sie. Es ist dann auch meine Arbeit. Sie sagt: Ich gebe dir die Freiheit – was machst du daraus? Robyn möchte immer, dass man Stellung bezieht. Und es geht bei ihr auch immer um eine Rangordnung. Vielleicht hängt das mit Robyns Geschichte in Südafrika zusammen. Robyn gibt die Freiheit, sagt aber auch: Passt auf, das kann euch auch von innen heraus verschlingen. Einige Tänzer, die mit ihr gearbeitet haben, haben ein überdimensioniertes Ego gehabt und haben gedacht, sie wären der Ursprung von allem gewesen. Aber man muss aufpassen. Zwischen der Position des Tänzers und des Choreografen gibt es einen Unterschied. Als Tänzer bringt man Elemente auf die Bühne mit. Obwohl man aber Ideen mit auf die Bühne bringt und miteinander diskutiert, bleibt man trotz allem ein Instrument. Es kann aber auch eine Beziehung zum Choreografen geben, die von Anfang an klar ist, bei der man als Co-Autor mitarbeitet. Je besser man seine eigene Position versteht, umso mehr Freiheit hat man, glaube ich. Wenn das nicht der Fall ist, kommt es sehr schnell zu Frustrationen. Und das spürt man schnell im Werk selbst.
Robyn hat mir die Möglichkeit gegeben, die afrikanische Materie auf eine andere Art und Weise zu sehen und das mit meinen Erfahrungen in der europäischen Kultur zu verbinden und darzustellen. Robyn kommt aus Südafrika, wo es eine starke ethnische Durchmischung gibt und ich hatte bei ihr die Möglichkeit zu sehen, wie man auch mit schwarzem Humor etwas zum Ausdruck bringen kann. Für mich war das sehr wichtig, weil das manches Mal auch erlaubt, über schwierige und schmerzhafte Themen zu sprechen, aber auf einer anderen Ebene, auf der man die Nachricht dann übermittelt.
Was sind das für Themen?
Die Negierung an sich, das Verstecken. Aber auch die Negierung Afrikas. Die Rede von Sarkozy, die ich in meinem letzten Stück zum Teil zitiere, ist etwas, was man so gar nicht zeigen kann. Das war für mich die obszönste Art und Weise, über Afrika zu sprechen. Darin werden nur Klischees aufrechterhalten und die Idee des Fortschritts komplett begraben. (Anm: Sarkozy hielt 2007 in Dakar eine Rede, gespickt mit kolonialistischem Gedankengut des 19. Jhdts., die in Afrika großes Entsetzen auslöste) Ich glaube, dahinter steht der Wille, den anderen gar nicht richtig anzusehen und ihn nicht zu achten. Auf diese Art und Weise kommt man zu dieser Sprache. Wie kann man sagen, dass es schade ist, dass Afrika nicht in die Geschichte eingegangen ist? Wie kann man 2007 so etwas sagen! Obwohl Frankreich eine Geschichte mit vielen afrikanischen Ländern hatte. Afrika war während der beiden Weltkriege präsent, in großen, historischen Momenten. Afrika hatte Teil an großen Veränderungen, an der Revolution. Viele afrikanische Wissenschaftler haben auch an Forschungen teilgenommen. Wenn man so spricht, wie Sarkozy es tat, annulliert man diese Teilhabe und macht sie mit ein paar Wörtern zunichte. Was bedeutet das für die jetzige Generation? Sie wird einfach entwertet. Die ganze Pluralität wird negiert und eine Hierarchie wieder aufgebaut, in der Afrika nur einen Platz ganz weit unten einnimmt. Wenn man so etwas hört, dann haben die Menschen Mühe, ein Selbstwertgefühl zu kreieren. Das macht Angst. Deshalb sind die Leute auch unzufrieden. Viele leben in Frankreich und Europa und haben dort ihren Alltag. Sie sind glücklich darüber und leben wie die anderen auch. Das Bild, das aber weitergegeben wird von Afrika und den Afrikanern, zum Beispiel im Kino, ist nie wertsteigernd, sondern ganz im Gegenteil. Man kultiviert das Bild von einem kindlichen und naiven schwarzen Körper. Man nimmt dem Afrikaner jede Art von Gedanken und reduziert ihn auf einen Körper. Einen Körper, den man manipulieren kann. Und man projiziert auf ihn, was man projizieren will. Seine eigene Angst, seine Wahnvorstellungen und so weiter.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie in Österreich freier sind?
Was die Freiheit in Österreich betrifft, diese Frage bringt mich jetzt aus dem Gleichgewicht. Als ich nach Österreich kam, habe ich die Leute als sehr kalt und distanziert empfunden. Ich habe sehr schnell verstanden, dass es hier eigentlich um eine totale Unkenntnis des anderen geht. Österreich hatte ja keine Kolonien, aber es gibt hier andererseits auch nicht dieses Schubladendenken. Europa möchte heute aber im übertragenen Sinne lauter Schubladen bauen. Alles organisiert bekommen. Ich wurde in Österreich als Künstlerin wahrgenommen und nicht als Afrikanerin. Ich bin aber etwas verwirrt, wenn ich hier auf afrikanische Themen reduziert werde. Ich glaube aber, dass meine Arbeit darüber hinaus geht. Mir geht es darum, wie man ein Volumen in den Raum setzt. Meine Arbeit hat etwas Skulpturales. Es geht um die Beziehung zueinander, die unterschiedlichen Standpunkte. Nicht um die Beziehung von Schwarz und Weiß, sondern ich möchte über dieses Bild hinausgehen, es ersetzen. Ich frage mich, warum es sofort um eine soziale Fragestellung geht, wenn ein schwarzer Körper auf die Bühne kommt. Die Leute können da offenbar nicht über ihren Tellerrand hinaussehen. Hinter meinen Arbeiten steckt aber ein künstlerisches Programm. Ich kreiere das Stück, bringe meine Geschichte ein, manipuliere die Körper. Von Anfang an inkludiere ich das Publikum, aber auf eine aktive Art und Weise.
Ist es schwer, mit dem Publikum zu arbeiten?
Nein, die Schwierigkeit steckt nur am Beginn. Wenn man glaubt, mit dem Publikum gemeinsam etwas entdecken und kreieren zu können, stellt man fest, dass das nur ein Phantasma ist. Man hat zu Beginn ja keine Liebesbeziehung zum Publikum. Man braucht ein wenig Zeit, man muss sich gegenseitig beschnuppern.
Hängt die Reaktion nur vom Publikum ab, kann diese auch unterschiedlich ausfallen?
Das hängt auch von uns ab. Am ersten Abend lief der Beginn eher ruhig und schüchtern ab. Am zweiten Tag war man schon unbefangener. Auch weil man einiges vom ersten Tag verstanden hat und gewusst hat, dass man einiges ändern kann. Das sind oft nur ganz kleine Dinge.
Sie haben Bildende Kunst studiert. Wie sind Sie zum Tanz gekommen, wann haben Sie sich entschieden als Choreografin zu arbeiten?
Ich habe mich immer mit dem Volumen und dem Raum beschäftigt. Ich habe viel mit der Idee gearbeitet, wie man einen Raum organisch darstellen kann. Wie man ein Volumen schaffen kann, das den Raum ausfüllt. Bis in jede kleinste Ecke. Meine Arbeit zielt darauf ab, die ideale Form zu finden, um den Raum absolut auszufüllen. Ich kreierte als bildende Künstlerin Volumen, die man verändern konnte. Mobile Skulpturen, die jedes Mal auf verschiedene Art und Weise artikuliert wurden. Ich wollte die Decke und den Fußboden miteinander in Verbindung bringen. Und ich wollte das Publikum, die Zusehenden, zum Tanzen bringen. Ich wollte, dass sie z.B. etwas ganz Kleines ansehen, dass sie die Augen zumachen, auf allen Vieren marschieren. Ich hatte eine konische Form gebaut, die innen dunkel war, in die man hineingehen konnte. Das war eine Arbeit, die sich sehr auf den jeweils anderen konzentrierte. Nach und nach wollte ich mich selbst mit einbringen, wollte, dass die Zusehenden tanzen. Ich habe Kurse genommen, um selbst mehr zu tanzen. Ich habe zuerst mit klassischem Tanz begonnen, da ich meinte, dass der klassische Tanz eine sehr wichtige Stellung hätte. Als ich aber in dem Kurs war, hat man mir zu verstehen gegeben, dass ich dort komplett fehl am Platz sei. Ich entsprach niveaumäßig überhaupt nicht und für Anfänger gab es keinen Kurs. Dann kam ich zum Modern Jazz. Das hat mir überhaupt nicht gefallen, die Absicht, die dahinter stand gefiel mir nicht.
Sie waren auf der Suche.
Ja, ich wollte mich einfach bewegen, sehen, was zum Beispiel mit der Hand passiert, mit dem Körper arbeiten, ihn modulieren. Und eines Tages habe ich mit einem super Schlagzeuger gesprochen, der afrikanische Percussionsinstrumente spielte und der in einer afro-kubanischen Band arbeitete. Er hat mir vorgeschlagen, mir den afrikanischen Tanz anzusehen. Das war in Belgien, da waren viele Leute. Und es war super, außer dass ich komplett steif war. Ich stand wie ein Stock immer auf den Zehenspitzen und hatte meine Füße nie wirklich am Boden. Ich, die ich mit klassischem Tanz nichts am Hut habe! Das war so eigenartig, dass die Menschen, die da waren, mich angestarrt haben, wenn ich mit ein oder zwei anderen getanzt habe. Sie meinten, das sei ja gar nicht möglich, dass sich eine Afrikanerin nicht bewegen könne. Das war eine richtige Blamage und ich habe mich geschämt. Aber ich beschloss, dort zu bleiben und den Kurs fertig zu machen und es war mir egal, ob ich mich dabei lächerlich machte. Es war sehr, sehr schwer. Aber ich habe es geschafft. Ich habe verschiedene Ateliers gestartet, mit Kindern, mit Jugendlichen. Ich war mit einer Truppe in Belgien unterwegs, dann in Italien und nach und nach begannen die Leute mit mir zu arbeiten weil sie mit mir als Person arbeiten wollten. Sicher auch weil ich groß bin, Afrikanerin etc. etc. So kam ich immer mehr in den zeitgenössischen Tanz. Aber mich hat nicht so sehr die Handschrift des zeitgenössischen Tanzes interessiert. Mich hat mehr interessiert, wie der Körper funktioniert. Wie man ihn deartikulieren kann. Ich wusste, dass ich auf diese Art und Weise eine eigene Handschrift kreieren konnte. Wenn ich mir eine Schule angeeignet hätte, dann hätte ich mich selbst verloren. Ich konnte aber etwas aus der plastischen Kunst einbringen.
Der Körper und der Raum sind für Sie das Wesentliche schlechthin.
Ja, der Körper ist wesentlich, weil er viel zum Ausdruck bringt. Man spricht sehr viel von dem, was man nicht sagt und was man zu verstecken, zu verschleiern oder zu umgehen versucht. Aber in Wirklichkeit bringt der Körper immer auch das zum Ausdruck, was man verstecken möchte. Auf irgendeine Art und Weise kommt das immer zum Ausdruck. Manchmal auch auf eine perverse Art und Weise. Wenn man so sehr versucht, etwas zu verstecken, kann es manchmal sogar ganz pervers zum Ausdruck, an die Oberfläche kommen. Das ist so, als ob der Körper leck wäre und das zu Versteckende durchschwitzt. Oder man hat die Entscheidung getroffen, sich selbst im Spiegel anzusehen und sich die Frage zu stellen, wer man eigentlich selbst ist. Das ist der schwierigste Moment überhaupt. Vor allem, wenn man dreißig vierzig Jahre lang das vermieden hat. Wenn man diese Entscheidung trifft, alles offen legen möchte, wenn man ein neues Leben beginnen will, das ist dann der schwierigste Moment. Aber wenn dann alles rauskommt, dann ist das wie eine totale Befreiung des Körpers. Obwohl das der schwierigste Moment ist, setze ich das fast mit einem Orgasmus gleich. Man kann das auf unterschiedliche Art rauswerfen und losbringen. Manchmal ist das richtig Scheiße, manchmal ist es wie ein negatives Gepäck, das man mit sich trägt. Eine Last unserer Eltern oder der Geschichte, ein negatives Erbe. Manchmal muss man dieses Gepäck einfach aufmachen und ausleeren. Wenn man das schon macht, dann ist es gut, dass man dieses Gewicht positiv nützt, und einen Sockel draus macht. Scheiße zu Gold machen, könnte man sagen. Schließlich ist das ja auch seine eigene Vergangenheit, die man da öffnet und auf die man schaut. Aber erst auf diesem Sockel kann man sich selbst richtig aufbauen. Was man darauf aufbaut, das erhebt sich dann auch im übertragenen Sinn des Wortes. Weil sich das auf emotioneller Ebene erhebt. Weil man dann einen philosophischen Bezug zum Leben bekommt.
Was sind Ihre neuen Projekte?
Ich hoffe, dass das Stück auf Tournee gehen kann. Noch ist nichts sicher. Ich warte auf die Bestätigungen. Wenn nicht, dann arbeite ich einfach weiter. Ich arbeite an einem Theaterstück, in einem Tanzraum, füge alle Elemente hinzu, die ich liebe. Ob das Musik ist, oder der Körper, der in Bewegung ist und dann geht es auch wieder um Strukturen. Wie schaut man auf ein Stück? Diese Idee, die ich auch in Symposium hatte, möchte ich hier noch erweitern. Auch im neuen Stück möchte ich die Pluralität der Performer wieder zeigen. Es geht immer darum, dass man in sich selbst, um sich selbst und mit sich selbst arbeitet. Ich werde mich mit Themen beschäftigen, die mich seit Jahren nicht in Ruhe lassen und die mich verfolgen, so wie zum Beispiel die Skulptur. Und eine Arbeit mit Robyn ist auch geplant.
Haben sie das Gefühl, dass das Publikum mit Symposion Schwierigkeiten des Verstehens hat?
Adriana Cubides in Elisabeth B. Tambwes Stück „Symposion“ (Foto: Christopher Ohmeyer)
Man kann in dem Stück viel sehen. Als ich das Stück zusammengesetzt habe wollte ich eine Erzählung verhindern, ich wollte es dem Publikum auch nicht bequem machen. Ich wollte keine Frustration bereiten, vielmehr eine Stimmung kreieren, in der Fragen entstehen können. Es ist vergleichbar mit dem Prinzip der Masturbation. Ich versuche das mit den Sesseln zu zeigen. Man versucht, an einen gewissen Punkt zu gelangen, man weiß, dass wird dann ganz toll sein, aber man erreicht das nicht wirklich. Man muss eine Szene nach der anderen sehen, um dann zum Schlusspunkt gelangen zu können. Wenn ich die einzelnen Szenen weiterentwickelt hätte, dann hätte ich vielleicht fünf Stücke bekommen. Für jede Szene ein Stück. So war das Timing so ausgelegt, dass es gerade ausreichte, um eine Frage stellen zu können. Die Dramaturgie entwickelt sich rund um die Idee. Es geht zuerst darum, den Raum zur Fragestellung zu öffnen. Den andern einzuladen, versuchen, ihn hinzusetzen. Alle Personen müssen eingeführt werden. Wie in einem Filmdurchlauf. Alle gehen vorbei, als ob sie gecastet würden. Und schließlich landet man bei der Sarkozy Rede. Einer Rede, die so obszön ist, dass das ja überhaupt gar nicht geht. So etwas kann man nicht sagen. Das Publikum könnte erwarten, dass man nun die Idee dahinter weiterentwickelt. Aber das kann ich nicht. Das Prinzip ist, dass die Szenen nacheinander einfach weiterlaufen. Es geht nicht darum, das Publikum zu beruhigen und ihm Sicherheit zu geben, aber in den einzelnen Szenen arbeite ich sehr stark mit Emotionen und Gefühlen. Ästhetisch habe ich mich an die 80er Jahre angelehnt. Die Musik war sehr sinnlich und emotional aufgeladen und auch die Jungen heute hören wieder diese Musik. Sie erzählt manches Mal von Verzweiflung und einiges darin ist ja wirklich auch sehr roh. Dann gibt es auch tänzerische Elemente des Modern Jazz, der vom Ursprung her auf dem afrikanischen Tanz basiert. Ich wollte von den Tänzern das herausholen, was ihnen im zeitgenössischen Tanz amputiert wurde. Ich möchte all das in das Stück bringen, das versteckt ist, all das, was keiner wissen will. Das Publikum, das einmal in seinem Sessel sitzt, möchte gleich die Show haben. Aber ich gebe die Pornohefte aus, um zu zeigen, die kannst du dir einstweilen einmal ansehen, denn wir sind eigentlich noch nicht so weit. Man kommt ja auch nicht gleich zu einem Orgasmus. Das muss sich entwickeln. Man masturbiert ein wenig usw. bis sich alles nach und nach entwickelt. Ich habe zwei Jahre an dem Stück gearbeitet. Deswegen hat es verschiedene Schichten. Es hat für mich auch etwas mit dem Kunstmarkt an sich zu tun. Heute haben die Leute unglaubliche Angst, ein Risiko einzugehen. Am besten ist es, wenn die Stücke ein gewisses Format haben. Auch wenn Stücke unkonventionell beginnen, muss im Verlauf irgendwann der große Knall kommen. Dann muss der Choreograf zeigen, war er wirklich kann. Immer muss man einen Beweis abliefern, aber ich habe nichts zu beweisen, überhaupt nichts. Das war glaube ich nicht so klar. Ich habe eine Freundin gefragt, ob ich Bilder projizieren soll. Bilder von schwarzen Wissenschaftlern, von Aristokraten, von Schwarzen, die im Mittelalter durch Europa gereist sind. Weil die Referenzen, die immer wieder kommen, Klischees über Afrika sind, Afrika zur Zeit der Kolonisation und der Sklaverei beschreiben. Die Leute wissen gar nicht, dass es zuvor schwarze Aristokraten gab, dass es Komponisten gab. Es gab vor Mozart z.B. Chevalier St. George, einen Schwarzen, der komponierte. Warum nannte man Mozart nicht „den weißen Chevalier St. George?“ Mozart und er kannten sich, weil er der Lehrer von Marie Antoinette war und ein Revolutionär. Solche Bilder wollte ich eigentlich projizieren. Aber die Antwort meiner Freundin war kategorisch: Elisabeth, du hast ja nichts zu beweisen. Warum möchtest du beweisen, dass die Schwarzen auch Franzosen sind? Aber so denke ich. Mein Denken ist einfach vielfältig. Ich denke nicht stromlinienförmig. Ich bin nicht nur Choreografin und Tänzerin. Ich habe Kinder. Während ich koche, schreibe ich meine Projekte. Mein Mann möchte gleichzeitig, dass ich das und das mache. Dann habe ich meine Familie im Kongo, um die ich mich kümmere. Wir sind einfach komplett vielfältig angelegt. Warum sollen wir das zurückhalten und unterdrücken? Nur weil es dann komplex wird und schwerer verständlich? Und weil die Komplexität schlecht zu verkaufen ist? Ja, vielleicht ist das Stück ein wenig schwierig, aber gleichzeitig auch toll für jene, die mit ihrem Gehirn nicht masturbieren, die sich auf die Szenen einlassen können und ihre Gefühle zulassen können.
Würden Sie sich als Philosophin bezeichnen, die sich Gedanken rund um den Tanz macht?
Oh, nein, nein! Ich denke viel, weil ich etwas mache. Wenn man nichts macht, muss man auch nichts denken. Etwas zu machen bedeutet für mich nicht nur, Dingen einen Platz zuweisen. Man macht etwas, wenn man die Notwendigkeit dafür spürt. Wenn man diese Notwendigkeit nicht sieht, dann wird es auf der Bühne leer. Ganz leer. Aber über die Leere zu sprechen kann wiederum auch viel bedeuten. Es gibt Menschen, die das können. Andere scheitern dran, weil es zu geschwätzig wird.
Möchten Sie den Leserinnen und Lesern gerne etwas mitteilen?
Da bin ich jetzt überfragt, muss kurz nachdenken. Ja, wenn ich an die Pornographie denke, dann frage ich mich, warum es möglich ist, pornographische Zeitschriften, mit einem für mich unglaublich gewalttätigen Inhalt, einfach überall auf der Straße zu kaufen. Warum aber darf man das nicht öffentlich machen, nicht darüber diskutieren? Warum dürfen wir das nicht überall affichieren, wenn es dabei doch um die Ausbeutung von Menschen geht? Das ist ein Beispiel für eine Negation, ein Zudecken. Meine Kinder sind Afro-Europäer, die hier aufwachsen und hier die afrikanische Seite nicht um sich haben. Aber diesen Teil von ihnen zu negieren und zu unterdrücken, würde bedeuten, ihn zu verleugnen. Damit macht man sie aber noch verwundbarer. Das wären ja dann ganz verlorene Kinder. Viele Kinder, die Eltern aus unterschiedlichen Kulturen haben, haben es schwer, ihren Platz zu finden. Aber eigentlich müsste man zwischen diesen beiden Polen spielen können. Sie sind weder das eine, noch das andere – aber das, was sie sind, hat eine unglaubliche Kraft. Wenn man diese Schwarz-Weiß-Mischung so auffasst, dass ein Teil stark und der andere Teil schwach ist, dann stimmt das nicht. Aus diesem Grund ist die positive Vorstellung wichtig, ist es wichtig, welche Bilder man vermittelt.
Im Frühjahr wird der Thalhof in Reichenau an der Rax – nach einer umfassenden Renovierung – dem Publikum vorgestellt. Das Label „wort.spiele“, das die kommenden künstlerischen Aktivitäten umreißt, macht deutlich, dass Literatur im Zentrum des Geschehens stehen wir. Das Duo Anna Maria Krassnigg und Christian Mair wollen den Ort mit seiner bedeutsamen, literarisch-historischen Vergangenheit neu beleben. Anna Maria Krassnigg erläutert im Gespräch wie es dazu kam und welche Pläne für das ehemalige Nobelhotel vorliegen.
Thalhof Reichenau Werbung.
Wir befinden uns an einem besonderen Ort, dem Thalhof in Reichenau, der sich gerade in der Umbauphase befindet. Können Sie kurz erklären, was es mit diesem Haus oder präziser formuliert dem Häuserensemble auf sich hat?
Hotelrechnung vom Thalhof in Reichenau
Der Thalhof hat eine besondere Geschichte, die vielfältig und bunt ist. Das Haus steht seit etwa 1670/80 und war ursprünglich ein bäuerliches Gebäude. Aufgrund der Findigkeit, Intelligenz und Strebsamkeit der Besitzer und aufgrund seiner absurd schönen Lage hat er es geschafft, sich als einer der ersten touristischen Hotspots des Landes zu mausern. Ein junges Paar (Anm: Josef und Ursula Rath) hat das Gebäude, das zu einem erklecklichen Teil halb verfallen und halb ausgehöhlt war, gekauft und von unten nach oben – sozusagen von der Wurzel des Gebäudes aus – reanimiert und renoviert. Von den beiden kam dann der wunderschöne Satz: „Was gäbe es Traurigeres, als hier nur zu wohnen“. Liebenswürdigerweise kam ich dann ins Spiel. Sie haben mich schlicht und ergreifend gefragt, ob mich dieser „spinöse“ Ort interessieren würde. Ich habe mich mit Händen und Füßen gewehrt, aber es ging nicht, sich gegen diesen Ort zu wehren.
Grillparzer, Nestroy, Schnitzler sind Namen, die ursächlich mit diesem Ort verbunden sind. Was wird man in Zukunft hier präsentiert bekommen?
Die Antwort hören Sie hier:
Und die Referenzen ins Hier und Jetzt?
Wir werden mit Autoren wie Menasse, Schindel, mit jungen Autorinnen und Autoren wie Nino Haratischwili, Mario Wurmitzer zusammenarbeiten – um die Allerjüngsten zu nennen. Wir werden selbstverständlich mit der Schule der Dichtkunst, mit dem Reinhardt Seminar, mit der Filmakademie arbeiten. Das wird soweit gehen, dass es hier nach der Vollrenovierung dieses schönen, opulenten Gesamtensembles „residences“ für Autorinnen und Autoren geben wird. Das heißt, es soll hier nicht nur dramatische Literatur erlebt werden, sondern auch wieder neu entstehen.
Explizit noch einmal nachgefragt. Was ist für Sie das Aktuelle am Theater. Oder warum plädieren Sie dafür, warum sollten sich die Menschen aktuelle Produktionen ansehen – ich verwende den Begriff des Off-Theaters, wie immer man den auslegen möchte. Was ist es, was an diesen Spielorten, die mit kleinerem Etat ausgestattet sind, derzeit tatsächlich brennt?
Die Antwort können Sie hier hören:
Sie werden an diesem Ort mit ihrem bewährten Ensemble zusammenarbeiten, mit dem Sie schon seit vielen Jahren zusammenarbeiten. Wie schaut es jetzt aber konkret wirklich finanziell aus? Inwieweit können Sie überhaupt über das erste Jahr hinaus vorausplanen und was können wir im ersten Jahr jetzt erwarten?
Das Programm, das wir hier zeigen wollen, wird ja nicht oder nicht vorwiegend ein Sommerspielprogramm sein, sondern wir wollen den Genius loci in dieser Form nützen, dass wir den Ort dem Publikum zu allen Jahreszeiten zugänglich machen, zu bestimmten, kuratierten Festivalzeiten. Wir sind gerade dabei zu sehen, ob der Bund, Österreich, das Bundesministerium für Kunst hier auch andockt. Wir sind in Gesprächen mit verschiedenen – ich kann es nicht anders sagen – Mäzenen, also Menschen, die wiederum den Geist dieses Ortes und die Möglichkeit einer solchen Zusammenkunft, wie sie hier gewährleistet werden kann, schätzen und fördern wollen. Und die Aufgabe dieses ersten Jahres wird permanent – und das ist wiederum die Schwierigkeit an solchen Projekten neben der künstlerischen sein, dafür, ich möchte nicht sagen zu kämpfen, zu werben, zu verführen und zu bitten, dass ein solcher Ort möglich ist und hochkarätig möglich ist. Und das sag ich auch ganz offen, da stehen wir am Anfang. Wir stehen an einem Anfang, der sich sehen lassen kann, dank der Unterstützung des Landes, sonst würden wir das auch nicht tun, das wäre unprofessionell, aber um über den Anfang hinauszuwachsen, wird es viele Komplizen brauchen.
Wann soll es jetzt eigentlich konkret losgehen? Gibt´s schon einen fixen Fahrplan?
Ja, es gibt einen Spielplan für die erste Spielzeit, der Ende Jänner, Anfang Februar rauskommen wird. Es wird, so wie es jetzt aussieht, Ende April eine große Eröffnung geben. Eröffnung heißt, das Türen und Tore geöffnet werden sich anzusehen, was hier einfach mit dem Gebäude bereits passiert ist und auf eine sehr sinnliche Weise vorzustellen, was das Gebäude füllen soll. Und danach wird es eine Sommerspielzeit geben. Das Motto der ersten Spielzeit ist „Die Residenz des Flüchtigen“. Das hat sehr, sehr viel damit zu tun, dass man ins Bewusstsein rückt, was dieser Ort überhaupt war und ist. Und dazu gibt es zeitgenössische und auch Thalhofliteratur, die wir beschnuppern werden.
Eine Abschlussfrage. Was wäre eigentlich Ihr Wunschpublikum? Ich weiß, angesiedelt zwischen Wien und Triest!
Zwischen Wien und Triest gefällt mir schon sehr gut, muss ich sagen, wissend um die Utopie, die das bedeutet und es auch immer bedeutet hat, hier. Sonst kann ich nicht umhin, mit dem Spruch zu antworten, dem man mir zum Teil schnippisch, zum Teil belächelnd angekreidet hat, als ich den Salon5 eröffnet habe – da habe ich auch diese Frage bekommen und ich habe gesagt. Von der Palmersverkäuferin zum Architekten. Also das Kenner- oder Kennerinnenpublikum an sich ist nicht das, was wir vorwiegend herziehen wollen oder müssen. Selbstverständlich freuen wir uns über jeden, der literaturbegeistert ist, der theaterbegeistert ist. Aber uns ist jeder Mensch willkommen, der Lust hat, sich über das, was der Alltag uns möglich macht, hinaus Erlebnisse zu haben, geistige Erträge zu sammeln, Lust zu haben, in Diskussionen zu geraten und sich einfach „anzusaufen“ mit spannender Dramatik.
Michael Griesmayr ist ein Stadtentwickler. In Österreich einer von der raren Sorte. Er sitzt nicht hinter einem Schreibtisch in einem Amt, sondern residiert in seinen eigenen vier Wänden. Im alten Backsteinhaus in seinem Viertel Zwei. Einem in den letzten Jahren neu entstandenen Viertel zwischen Trabrennbahn und Wirtschaftsuni im zweiten Bezirk. In Kürze kommt es zum Startschuss für die nächste Ausbauphase rund um die Trabrennbahn. Seine Leidenschaft sind Bäume und Kunst. In einem Interview erzählte er, warum er sich dafür interessiert.
Seit wann sammeln Sie?
Ich begann vor ca. 15 Jahren damit. Bis dahin lebte ich in einer Posterwelt. Ein Freund von mir begann zuerst zu sammeln. Das habe ich zwei, drei Jahre beobachtet. Begonnen habe ich mit Pop Art und hab mir aus dieser Kunstrichtung die Marilyn von Andy Warhol gekauft. Damals war mein erstes großes Büroprojekt verkauft und der Kunstankauf so etwas wie ein Geschenk an mich selbst.
Ich habe ein Haus, ein Auto, ich brauche nicht mehr. So begann ich zu sammeln. Haring, Warhol, Rauschenberg waren meine ersten Ankäufe. Das erweiterte sich immer mehr. Nach weiteren zwei, drei Jahren habe ich mich intensiver mit der Kunst beschäftigt. Ich maße mir aber nicht an, mich in der Kunst wirklich auszukennen. Dafür habe ich Susanna Hoffmann-Ostenhof und Gabi Senn an meiner Seite. Ich suche meist nicht selbst, sondern werde stark von Frau Hoffmann-Ostenhof beraten, die mir Vorschläge macht und mit Ideen kommt. Wenn mir etwas gefällt, dann kaufe ich das dann auch. Mein allerletzter Ankauf war ein Werk von Cosima von Bonin, das gerade im Mumok zu sehen ist. Eine Laterne mit einer Zigarette – das Werk nennt sich „smoker“. Das kommt vor das Bürohaus als „Begleitung“ all jener Mitarbeiter, die zum Rauchen ins Freie gehen. Bei den Skulpturen habe ich eine Vorliebe für Henry Moore. Aber das ist unerschwinglich.
Wie kam es überhaupt zur Idee des Skulpturenparks im Viertel Zwei?
Hier gibt es genügend Platz und obendrein kann ich die Kunst auch jeden Tag sehen. Von diesem Projekt profitieren alle davon. Das Viertel Zwei wird so mit seiner Architektur und den Skulpturen zu einer Art Gesamtkunstwerk. Obwohl die Kunst leise ist und im Hintergrund bleibt, ist sie doch ein identitätsstiftendes Element.
Wie waren die Reaktionen nach der Aufstellung?
Es gab keinerlei negative Reaktionen, es wurde auch bisher noch nichts beschädigt. Begonnen habe ich ja mit der Initiative der Säulen der Wiener Linien. Wir befinden uns hier ja genau zwischen zwei U-Bahnstationen und ich mochte die nackten Säulen nie. In Zusammenarbeit mit der KÖR (Kunst im öffentlichen Raum) und den Wiener Linien entstand hier das einzige Private-Public-Kunstprojekt. Dabei bestand eine gewisse Angst, dass die Graffiti, die darauf angebracht wurden, zum Überschmieren anreizen. Aber bis jetzt ist nichts dergleichen geschehen. Wir haben auf dem Gelände aber auch Securityleute, die in unregelmäßigen Abständen hier durchgehen.
Wie haben Sie die Auswahl der Objekte getroffen?
Barbara Mungenasts Form besaß ich schon in einem kleinen Format. Ich habe sie gebeten, die einmal in groß anzufertigen. Marko Lulic kannte ich von Frau Senn, zu Hans Weigand habe ich eine persönliche Beziehung, seine Arbeit habe ich sehr rasch gekauft. Tom Burr war eigentlich ein Leihobjekt, das ich aber nicht zurückgeben wollte und der Hase von Stephanie Taylor ist für hier mit Hilfe von Gabi Senn und ihrer Künstlerinnenauswahl konzipiert worden. Meine Liebe zur Kunst kann ich mit der Positionierung im Außenraum mit anderen teilen.
Sind die Mitarbeiter hier im Haus eingebunden?
Anfangs sahen sie es als Hobby „vom Michael“. In der Zwischenzeit wird der Sammelleidenschaft eine gewisse Wertschätzung entgegengebracht. Ich frage aber auch, ob die Mitarbeiter mit einzelnen Stücken „können“. Zusätzlich gibt es auch noch die Bestätigung „von außen“ – also von Kunden, die zu uns kommen. Vom Vorarlberger Designer Sagmeister, der in New York lebt, gibt es den Ausspruch „beauty is function“. Das leben wir hier im Viertel Zwei. Wir umgeben uns hier mit schönen Dingen, mit Bäumen, geschwungenen Bänken. Kunst ist für mich auch ein Zeichen von Schönheit. Damit lebe ich gerne.
Woher bekommen Sie Ihren Input zum Kunstkaufen?
Ich fahre in der Zwischenzeit gerne auf Kunstmessen. Da bekommt man einen schönen Überblick, was sich so abspielt. Dabei nehme ich mir vor Ort jemanden, der mir erklärt, wohin sich der Kunstmarkt entwickelt. Beim Kauf ab einer gewissen Größenordnung lasse ich mich immer beraten. Da schauen wir dann, ob der Künstler gehandelt wird oder nicht, ob er sich in Versteigerungen befunden hat. Ich gehe aber auch gerne in große Ausstellungen. Wenn ich in Paris bin, dann gehe ins Musée d´Orsay. Die Impressionisten, die dort zu sehen sind, haben für mich eine enorme Ausstrahlungskraft. Da bekomme ich eine richtige Gänsehaut, wenn ich sie sehe.
Warum sammeln Sie Kunst und nicht etwas anders?
Kunst kann ich anschauen, wenn ich sie gekauft habe und außerdem ist damit relativ wenig Aufwand verbunden, was die Wartung betrifft. Es ist schön und interessant zugleich. Einige der Künstler kenne ich persönlich, ich mag zum Beispiel Weigand und Scheibl sehr und habe deswegen Werke von ihnen. Bonin habe ich gekauft, ohne lange mit ihr vorher gesprochen zu haben. Bei mir zuhause gibt es nur Kunst, die auch meiner Frau gefällt. Ich habe z.B. einen Förg, den sie auch sehr liebt. Was mir noch fehlt, was ich gerne hätte, ist eine Lassnig.
Viele Sammler kommen an einen Punkt, der für sie rein räumlich oft das Ende des Sammelns bedeutet.
Ich werde nie einen Engpass beim Sammeln von Skulpturen haben. Es gibt genügend Platz hier und auf den Hügeln, das Projekt entwickelt sich hier mit der Kunst weiter. Für mich ist Kunstkaufen auch so etwas, wie mich selbst beschenken. Das ist meine derzeitige Hauptmotivation. Ich bin ein logisch denkender Typ, der davon ausgeht, dass es immer einen Weg für eine Problemlösung gibt und ich beschäftige mich nicht mit jenen, die nicht funktionieren. Wenn mir ein Projekt gelungen ist und ich einen Vertrag abgeschlossen habe, dann kann ich mich dafür mit einem Kunstkauf selbst belohnen. Der Außenraum im Viertel Zwei macht mir großen Spaß. Ich fliege demnächst wieder nach Hamburg, um dort Bäume dafür auszusuchen. Das ist ein unglaublicher Luxus. ich kann mir dabei einen Tag lang nur Bäume ansehen. Für mich bedeutet diese Bepflanzung, die von Anfang an auf schon hohe Bäume angelegt war, auch eine hohe emotionale Bindung. Bei diesen Käufen suche ich alles selbst aus.
Bei unserem neuen Projekt kommt das erste Mal mit Farbe Kunst direkt ans Gebäude. Derzeit sind wir noch in der Findungsphase was die Farben anlangt. Aber wir wollen dieses Mal mit Kunst etwas Außergewöhnliches machen. Es ist ein Zusammenspiel von Design, Architektur und einer hohen Energieeffizienz. Die Kunst gehört für mich dazu, ist eine Facette, die das alles abrundet.
Verändert sich im Laufe der Zeit ihre Beziehung zu gewissen Werken?
Es gibt für mich gewisse Bilder, die haben eine „ewige“ Ausstrahlung wie z.B. die Monroe. Andere wieder sind schön, aber nicht aufregend wie zum Beispiel einige Werke der Pop Art. Ich besitze zum Beispiel einen Haring, der schön ist, aber mich nicht mehr wirklich interessiert. Zu „wilde“ Dinge besitze ich auch nicht. Die Arbeit von Bonin ist für mich zum Beispiel schon ein „verrücktes Ding“. Im neuen Projekt werden wir einen Hotspot für junge Künstler einrichten. Startups für kreative junge Menschen fördern. Wir sind aber noch am Überlegen, wie wir das angehen. Da brauchen wir jemanden, der sich ausschließlich darum kümmert und der sich auskennt. Ich will auch gute Leute da drin haben. Die Idee ist, dass wir Räume ohne Miete zur Verfügung stellen, damit die Jungen eine Chance bekommen, etwas zu entwickeln. Das macht mir selbst großen Spaß.
Das, womit ich mein Geld verdiene, hat eine ganz klare Struktur. Aber wir können hier schöne Dinge machen und darauf bin ich auch stolz. Das Viertel Zwei ist ein architektonisches Juwel, eine neue Art der Stadtentwicklung geworden. Und dabei sind alle wichtig, die daran teilhaben. Es war geplant, dass Unternehmen „Patenschaften“ für Kunstwerke übernehmen. Kunst muss dafür im Budget vorhanden sein. Das ist bei vielen Unternehmen aber nicht der Fall. Hier muss man einfach Geduld haben.
Möchten Sie mit Ihren Aktivitäten ihrer Nachwelt etwas hinterlassen?
Es ist noch nicht meine Motivation, etwas zu hinterlassen. Daran denke ich noch gar nicht. Aber ich möchte gerne etwas schaffen, das man angreifen kann. Das ist etwas Schönes.
Es gibt Kunstsammler, die aus Geltungssucht sammeln, solche, welche die renditenreiche Investition anspornt und wieder andere, die einen gänzlich anderen Zugang zu diesem Thema haben. Alois Bernsteiner ist es zu verdanken, dass im Kunstraum Bernsteiner in der Schiffamtsgasse 11 im zweiten Bezirk seit 2010 jährlich vier bis fünf Künstlerinnen und Künstler ihre Arbeiten präsentieren können.
Studenten und Guernica von Picasso
Ursprünglich wollte der heute 64-Jährige Rennfahrer werden, musste diesen Traum nach einem schweren Unfall jedoch aufgeben. „Es war nach heutiger Sicht ein Glück, dass ich so lange im Krankenhaus war. Ich war damals 37 Jahre alt und hatte während meiner Genesung viel Zeit zum Nachdenken. Da lernt man auch genügsam sein und sich auf Sachen zu konzentrieren, die wichtig sind. Mit Kunst habe ich mich schon sehr früh auseinandergesetzt. Ich bin schon als junger Mann kreuz und quer mit Autostopp durch Europa zur Kunst gefahren. Ich war in Paris, in Madrid oder Amsterdam. Wenn ich von Museen oder Ausstellungen hörte, die mich interessierten, habe ich mich kurzerhand auf den Weg gemacht.“ Den Beginn seiner Leidenschaft für zeitgenössische Kunst kann Bernsteiner im Nachhinein jedoch in der Begegnung mit einem einzigen Bild festmachen: „Guernica“ von Picasso. Das hätte bei ihm eine Initialzündung ausgelöst. Das richtige Gespür für gute junge Kunst, das hat Bernsteiner von Künstlerinnen und Künstlern übernommen. „Ich höre immer gut zu, wenn sie sich untereinander unterhalten. Und auch heute noch frage ich manche nach ihrer Meinung. Da möchte ich von ihnen wissen, ob das Werk eines Künstlers oder einer Künstlerin Qualität hat oder ob es nichts als Larifari ist.“ Dass er mit seinem heutigen, elaborierten Kunstgeschmack einer kleinen Elite angehört, ist ihm voll bewusst. „Kunst ist so elitär geworden, dass heute 80% der Menschen nichts mit zeitgenössischer Kunst anfangen können. Ich hatte das Glück, dass ich das, was man in der Schule über Kunst lernt, rasch abschütteln konnte. Viele meinen ja nach wie vor, dass Zeichnen ein Ersatz für die Fotografie sein sollte. Das ist der größte Blödsinn.“ Alfred Hrdilicka, dem er als junger Mann „nicht nur einmal nachts hilfreich unter die Arme gegriffen hat”, aber vor allem die jungen Kunststudentinnen und Architekturstudenten, die er kennenlernte und denen er mit seinen handwerklichen Fähigkeiten ein menschenwürdiges Wohnen ermöglichte, beeinflussten seinen Kunstgeschmack von Beginn an. Heute zählen wichtige Vertreterinnen und Vertreter der zeitgenössischen österreichischen Kunstszene zu seinen Freundinnen und Freunden. Kogler, Schlegel, Wagner, Stangl oder Sandbichler, Bohatsch und Kogler sind Namen, die Bernsteiner nur so aus dem Ärmel schüttelt. Was sich so imposant anhört, hat dennoch bescheiden begonnen.
„Leute werden oft gefragt, was sie mit viel Geld tun würden. Ich würde Chancen schaffen. Ich würde dafür sorgen, dass Kreative das ausprobieren, was in ihrem Kopf ist.“
Tausche handwerkliches Geschick gegen Kunst
Ich kann warmes Wasser verlegen, du machst Bilder – lass uns tauschen. Das ist eine einfache Gleichung, die sich heute in einer Sammlung niederschlägt, welche „noch nicht vierstellig” ist. „In meinen jungen Jahren litt ich vor lauter Arbeitsaufträgen permanent unter Schlafentzug, heute muss ich wegen meiner Behinderung, den Unfallspätfolgen, ruhiger treten.“ Was der gelernte Installateur als „ruhiger Treten“ bezeichnet, ist für so manch anderen ein Fulltime-Job. Sein Kunsteinsatz ist jedoch nicht vergleichbar mit jenen von Galeristinnen und Galeristen. „Ich verkaufe keine Kunst, ich bin kein Galerist, ich biete nur die Möglichkeit, Neues hier zu zeigen.“ Das Engagement, in seinem Kunstraum vor allem raumfüllende Installationen zu präsentieren, ist mehr als erstaunlich. „Galerien möchten meist Kunst ausstellen, die sich als „Flachware“ möglichst gut verkauft. Das interessiert mich aber überhaupt nicht.“ Schon von Beginn seiner Ausstellungstätigkeit an, der nun mehr als 20 Jahre zurückliegt, bot er einer, maximal zwei Personen pro Ausstellung großzügig Raum, um darin deren künstlerische Vorstellungen umzusetzen, unabhängig vom alles bestimmenden Kunstmarkt. Es fing mit Ausstellungen in seinem Haus im 11. Bezirk an, danach wechselte er in seine neu gebaute Halle ebenso in Simmering. Der letzte Coup ist nun der Kunstraum Bernsteiner, eine von ihm unglaublich behutsam und zugleich spannend revitalisierte Location, die eine Herausforderung für die Ausstellenden bedeutet.
Kunst kann man nicht ausschließlich in Zahlen bewerten
„Der größte Reiz bei Ausstellungen ist für mich das Verfolgen des Entstehens des Projektes. Zu sehen, wie sich eine Idee konkretisiert und der Raum dabei jedes Mal anders genutzt wird. Ich bin von der ersten Idee bis zur Ausführung eingebunden, das ist es, was für mich richtig interessant ist.“ Bernsteiner ist ein „Macher“, einer, der den Künstlerinnen und Künstlern hilfreich zur Seite steht, aber auch einer, der von ihnen verlangt, selbst Hand mit anzulegen. Seine eigene Sammlung ist gut dokumentiert und elektronisch erfasst, wenngleich Bernsteiner selbst „mit Computer gar nichts am Hut hat.“ Im Dezember 2013 erhielt er für sein Engagement eine Anerkennung bei der Maecenas-Verleihung. „Auf die Frage, wie hoch denn mein jährliches Kunstbudget sei, zitierte ich meine Frau, die sagte, dass wir mit unserem Budget bereits im Jahr 2054 angelangt sind. Heute definiert sich alles über Zahlen, aber in der Kunst kann man vieles nicht mit dem reinen Geldwert ausdrücken. Arbeit zum Beispiel zählt nie als Geld.“ Und Arbeit macht jede einzelne Ausstellung mehr als genug. Nicht nur, dass Bernsteiner den Raum zur Verfügung stellt, er sorgt auch für PR und ermöglicht den Kreativen auch so manchen Sonderwunsch. Da werden schon einmal der Boden und die Wände in einer anderen Farbe gestrichen oder eine Wand eingezogen, wenn notwendig. „Ich bin Unternehmer. Man muss was angreifen, dass was draus wird.“ Das gilt im Installations- und Baugewerbe genauso wie in der Kunst. „Leute werden oft gefragt, was sie mit viel Geld tun würden. Ich würde Chancen schaffen. Ich würde dafür sorgen, dass Kreative das ausprobieren, was in ihrem Kopf ist.“ Es ist interessant, gerade das von einem Mann wie Alois Bernsteiner zu hören, der ja schon seit mehr als 2 Jahrzehnten im Kunstbereich nichts anderes macht.
Die Zukunft einer großen Sammlung
Auf die Zukunft seiner Sammlung angesprochen, reagiert der Kunstmäzen gelassen. „Mir ist es egal, was mit meiner Sammlung einmal geschieht. Ich möchte da niemandem etwas dreinreden. Und außerdem muss man bedenken, dass ich nicht systematisch gesammelt habe, eher aus dem Bauch heraus. Darüber hinaus hat sich im Laufe der Zeit mein Geschmack auch verändert.“ Überraschend nach dieser Aussage war dann jedoch die Feststellung auf die Frage, welche Bilder denn seine Lieblingsstücke wären: „90 Prozent! Aber verkauft wird davon nix! Meine Bilder sind für mich wie Tagebücher. Ich erinnere mich bei jedem Einzelnen, wie ich dazu kam, an die Geschichte drumherum.“ Dass er aber überhaupt eine derart große Kunstsammlung aufbauen konnte und seiner Leidenschaft auch in seinen diversen Kunstprojekten frönen durfte, das verdanke er seiner Familie, die „ein Lottosechser in seinem Leben“ gewesen sei. „Wir haben sogar einmal einen Familienrat einberufen, als es um den Ankauf eines Bildes ging. Entweder das Bild oder ein Urlaub, das galt es zu entscheiden und die Entscheidung fiel 3:0 – meine Frau, meine Tochter und ich – für das Bild.“ Leicht unwirsch wird Bernsteiner nur dann, wenn er auf das Thema der Kulturförderung zu sprechen kommt. Auf finanzielle Versprechungen, die nicht eingehalten wurden, auf einen bürokratischen Dschungel, den er hasst. „Bürokratische Hemmnisse sind etwas Schreckliches“ und „die Kunstförderung ist keine Kunstunterstützung, sondern die kleinen Summen, die dabei vergeben werden, sind so etwas wie Eselskarotten, die man den Leuten vor die Nase hängt und ihnen ab und zu einmal eine gibt, damit sie den Mund nicht aufmachen.“ Das darf einer sagen, der zwar nach eigener Aussage „stets weiß, was er in der Tasche hat“ aber zugleich auch „nie rechnet, was eine Ausstellung tatsächlich kostet.“
Alois Bernsteiner ist ein Mann der Tat mit einer Riesenportion Interesse an der Kunstproduktion. In Zeiten wie diesen und einer Stadt wie Wien wurde er so etwas wie ein feststehender Leuchtturm für viele, die ohne ihn nicht die Möglichkeit bekommen hätten, ihre künstlerischen Pläne in die Tat umzusetzen. Mit seinem Kunstraum ist es ihm gelungen, dem finanziellen Diktat, welches die Kunst auf vielen Ebenen tatsächlich zum Schweigen bringt, zumindest vordergründig ein Schnippchen zu schlagen. Und dass noch einiges von ihm zu erwarten ist, erklärt sich schon aus seiner lapidaren Feststellung, dass „ich für das, was noch in meinem Schädel ist, eigentlich fünf Leben brauchten würde.“
Anlässlich der Aufführung von „Drei Mal Verstand zu verkaufen“ im Hundsturm in der Reihe „Die Besten aus dem Osten“ des Volkstheaters trat Andrea Grill mit einer kurzen Einführung in das Stück vor das Publikum. Ermächtigt dazu war sie aufgrund der Übersetzung des Textes vom Albanischen ins Deutsche. Anlass genug, um sich mit der vielseitig Begabten, die auch als promovierte Biologin arbeitet, zu treffen und Fragen zu ihrem Albanienbezug aber auch ihrer Arbeit als Autorin zu stellen.
Schön, dass es uns gelungen ist, zwischen ihren vielen Reisen einen Termin für dieses Gespräch zu finden.
Ich nehme mir immer vor weniger unterwegs zu sein, aber das gelingt mir leider doch selten.
Sie treten als Biologin, Übersetzerin und Autorin in unterschiedlichen Arbeitsdisziplinen an. Wo liegt denn eigentlich Ihr Hauptinteresse?
Eindeutig beim Schreiben. Und das war auch schon immer so. Ich habe schon als Kind geschrieben. Allerdings würde mir die Biologie fehlen, wenn ich sie nicht hätte. Freiwillig würde ich mich davon nicht trennen. Die Arbeitsverhältnisse sind dort aber genauso prekär wie in der Kunst. Ich habe immer Forschungsprojekte gehabt und muss immer wieder neue Projekte einreichen, wenn ich weiter forschen will. Allerdings habe ich das Gefühl, in der Wissenschaft wird objektiver beurteilt als z.B. bei Literaturpreisen oder -stipendien. Und man bekommt die Projekte für eine längere Zeit.
Ich habe Sie zum ersten Mal anlässlich der Aufführung des Stückes „Tri mendje ne ankand“ des albanischen Autors Ferdinand Hysi kennengelernt. Dabei erzählten Sie, dass es nur ungefähr 8 Millionen Menschen gibt, die Albanisch sprechen. Wie kamen Sie dazu, vom Albanischen ins Deutsche zu übersetzen?
Das war eigentlich ein Zufall. Ich habe mit 16 Jahren angefangen, Albanisch zu lernen. Ich hatte Freunde, die als Flüchtlinge nach Österreich gekommen waren. Als Schülerin durfte ich dann mit ihnen in den Ferien nach Albanien mitfahren. Das war sehr aufregend für mich. Die Öffnung von Albanien war noch nicht lange her, vom Land wusste man wenig. Mein Vater besaß allerdings ein Buch darüber. Das erweckte in mir eine Neugier und Faszination. Ich hatte außerdem immer schon ein Faible für den Mittelmeerraum. Ich bin im Salzkammergut aufgewachsen, und dachte mir als Kind immer, woanders müsse es sicher besser sein, wärmer, interessanter, freundlicher, fröhlicher. Die Reise nach Albanien war dann ein einschneidendes Erlebnis für mich. Es war zu Beginn der 90er Jahre und ich hatte das Gefühl, etwas bewegen zu können, gemeinsam mit allen jungen Albanern, die sich nach der Diktatur ein besseres Leben wünschten – 17 war ja ein ideales Alter dafür. Heute gehört diese Erfahrung zu meinem Leben, ich wüsste nicht, wie sich das ohne diese Reise entwickelt hätte. In Albanien machte ich auch meine ersten Bekanntschaften mit Schriftstellern. Leute, die ich heute übersetze, mit denen bin ich „aufgewachsen“. Wie z.B. Albana Shala. Ich habe einen Lyrikband von ihr ins Holländische übersetzt. Wir hatten uns gut angefreundet, sie zog dann nach Holland, und als ich für meine Doktorarbeit auch dorthin zog, hat sich die Freundschaft vertieft.
Es gibt in Österreich wahrscheinlich wenige, die Literatur aus dem Albanischen ins Deutsche übersetzen?
Ja, das stimmt. Ich habe einiges fürs Volkstheater übersetzt. Grundsätzlich übersetzte ich nur dann, wenn die Stücke tatsächlich aufgeführt werden. In Albanien gibt es mittlerweile viele Menschen, die schreiben und die übersetzt werden wollen. Ich mache das aber nur, wenn die Übersetzung auch wirklich veröffentlicht wird oder das Stück aufgeführt.
Gibt es etwas, das Sie gerne übersetzen würden und bisher – aus welchen Gründen auch immer – noch nicht übersetzen konnten?
Ja, es gibt den Autor Visar Zhiti, den möchte ich sehr gerne übersetzen, allerdings findet sich bis jetzt leider kein Verlag. Er wird als Prototyp eines albanischen Gefängnisliteraten angesehen, was aber nur teilweise stimmt. Er verwendet aber diese Typisierung auch selbst als Strategie. Ich finde, dass das seinem Werk in gewisser Hinsicht etwas wegnimmt. Ingeborg Bachmann wird auch immer in der Opferrolle gegenüber ihrer Männern gesehen. Das finde ich schade, denn das war ja nur ein kleiner Teil von ihr. Visar ist ein hochbegabter Lyriker, der einen schönen Roman geschrieben hat.
Ich habe selbst vor erst kurzer Zeit bei einer Ausstellungseröffnung im Nationalmuseum in Tirana erlebt, dass die Künstler dort besonders aufmerksam jedes einzelne Bild eines jungen Künstlers betrachteten und mit ihm dann darüber sprachen. So, als wäre die dort gezeigte Abstraktion für sie noch überhaupt nicht gang und gäbe. Ist die albanische Literatur nach Ihrer Einschätzung schon im Hier und Jetzt des westlichen Literaturbetriebes angekommen?
In irgendeiner Art und Weise ist Albanien tatsächlich hängen geblieben. Warum das so ist, weiß ich nicht. Die von Ihnen beschriebene Begeisterung ist auch in der Literatur da. Einer meiner Romane, Tränenlachen, wurde ins Albanische übersetzt, und als er in Tirana präsentiert wurde, hat das unglaubliches Aufsehen erregt. Das Fernsehen war da und das Buch war zwei Tage lang in aller Munde. Bei uns schert das niemanden, wenn ein neuer Roman erscheint. Dort aber kamen alle bekannten Schriftsteller zur Präsentation. Wobei man sagen muss, dass es in Albanien tatsächlich nur wenige Schriftsteller gibt, die vom Schreiben leben. Die meisten haben auch einen zweiten Beruf. Vielleicht ist deshalb die Leidenschaft fürs Literarische, für Lesungen, umso größer. Manche leben auch vom Geld ihrer Kinder, die das aus dem Ausland schicken.
Ist es für Sie beim Übersetzen hilfreich, dass Sie selbst literarisch tätig sind?
Ja, auf alle Fälle. Man lernt dabei auch viel fürs eigene Schreiben. Der Inhalt beim Übersetzen ist ja schon da. Man könnte das mit dem Klettern vergleichen, wo die Griffe bei den viel begangenen Routen ja auch schon vorhanden sind. Da geht es dann darum, wie gut man diese nutzt, wie sportlich man an die Sache herangeht. Beim eigenen Schreiben muss man auch noch den eigenen Berg erfinden.
Sind bei Ihnen Lyrik und Prosa gleichberechtigt oder gibt es Präferenzen?
Eigentlich sind sie gleichberechtigt. Früher habe ich mich gar nicht so damit beschäftigt, welche literarische Form ich verwenden möchte. Ich achte beim Schreiben selbst nicht wirklich auf die Form, das Erzählen steht im Vordergrund. Wobei ich gleichzeitig hinzufügen möchte, dass Inhalt und Form ganz untrennbar miteinander verbunden sind. Man zieht ja auch zum Schifahren einen Schianzug an und keinen Bikini.
Sie haben einige Theaterstücke übersetzt. Schreiben Sie selbst auch welche?
Ich habe erst letztes Jahr eines geschrieben. Das wird heuer am 14. Juni in der Montessorischule in Grödig in Salzburg von einer Theatergruppe aufgeführt. Darin geht es um einen jungen Wissenschafter, der einen part-time-Job hat.
Steht da Autobiographisches dahinter?
Nein, nicht wirklich, er ist auch ein ganz anderer Typ als ich. Es spielt aber in einem Milieu, das normalerweise im Theater nicht vorkommt. Ich habe das Stück auch schon großen Bühnen angeboten aber ganz unterschiedliche Gründe kommuniziert bekommen, warum es nicht aufzuführen ist. Der eine war, dass die Leute das nicht sehen wollten, der andere, dass zu viele Personen daran beteiligt seien, wieder andere erklärten mir, es seien zu wenig Personen. Es gibt immer Gründe, um abzusagen. Für die Schulaufführung habe ich ein paar Sachen vom Urtext geändert. Da wollten viele Leute mitspielen also hab ich noch einige Sätze zum Ursprungstext dazugeschrieben, den Text in gewisser Weise für die Schüler adaptiert. Jetzt hat ein Verlag Interesse, es als Buch herauszubringen. Da wird es wieder ein bisschen geändert werden. Ich habe früher schon einmal ein Hörspiel geschrieben. Jetzt wollte ich einmal ein Theaterstück versuchen. Da ist die Schule für mich so etwas wie ein Versuchsfeld. um auszuprobieren, wie es funktioniert.
Wie kann man sich eigentlich einen Arbeitstag von Ihnen vorstellen?
Ich arbeite an einem Tag oft an mehreren Dingen. Mit der Zeit hat sich herauskristallisiert, dass meine produktivsten Zeiten zwischen 10 und 2 Uhr sowohl am Vormittag als auch in der Nacht sind. Es ist ja bekannt, dass viele Autoren in der Nacht schreiben, nicht nur, weil es da so schön ruhig ist. Man hat nicht das Gefühl, etwas zu versäumen.
Welche Themen sind Ihnen beim Schreiben wichtig, was möchten Sie gerne unbedingt kommunizieren?
Die Themen kommen aus der eigenen Lebensgeschichte. Ein Grundthema ist das Überwinden von Grenzen oder: wie beeinflusst einen der Ort an dem man geboren ist? Man wünscht sich als Künstler und als Mensch, dass jeder frei ist. Aber das ist nicht so. Das hängt nur mit Glück und Zufall zusammen. Ich suche immer danach, wie das denn gehen könnte, frei zu sein. Eines der konkreten Probleme sind die Nationalstaaten. Meine Generation hat den Fall des Eisernen Vorhanges erlebt. Deswegen bin ich der Meinung, dass uns dieses Thema interessieren sollte. Ein anderes Thema ist, wie Menschen miteinander umgehen. Eigentlich möchten sich Menschen so gerne verstehen. Aber trotz unserer komplexen Sprache und obwohl wir den ganzen Tag reden funktioniert das oft nicht. Ich habe in meinen Texten oft Tiere und sogar Pflanzen als Protagonisten, Wesen, die nicht reden können.
Das hängt mit Ihren Erfahrungen als Biologin zusammen.
Ja, da überschneiden sich meine Interessen. Die Literatur ist ebenfalls eine Möglichkeit, wissenschaftliche Erkenntnisse auszudrücken oder über sie nachzudenken. Die technischen Entwicklungen in der Biologie gehen so rasant, dass ich sogar als Wissenschafterin Mühe habe, mit den neuesten Erkenntnissen Schritt zu halten. Die Suche nach der Wahrheit, die in der Forschung oben anstehen sollte, ist oft gar nicht mehr möglich. Heute muss für jedes Projekt vorrangig Geld eingetrieben werden und Geldeintreiben und die Suche nach Wahrheit widersprechen sich eigentlich.
Gibt es etwas, das sie gefragt werden wollen oder etwas, das sie noch nie gefragt wurden?
Das ist eine gute Frage – komisch, dass ich darauf nicht sofort eine Antwort habe. Doch, Musik vielleicht! Ich liebe Musik, in den letzten Jahren vor allem klassische. Die Klaviertrios von Haydn beispielsweise die ich sehr häufig höre.
Können Sie beim Schreiben auch Musik hören?
Ja, wenn ich die Musik schon kenne, wie eben die genannten Klaviertrios. Mit neun CDs kommt man eigentlich gut durch den Tag. Ich könnte keine Opern oder etwas Aufwühlendes hören. Haydn kenne ich gut, der versetzt mich in eine angenehme Stimmung.
Gibt es eigentlich Momente, in denen Sie nicht schreiben können?
Wenn ich mit Leuten zusammen bin. Das finde ich übrigens schade.
Ist ihr Schreibprozess ein fließender oder eher ein oftmalig korrigierender?
Ich korrigiere sehr häufig, schreibe selten etwas in einem Zug herunter. Beim Korrigieren geht es dann besonders um die Form. Bei meinen ersten Skizzen bin ich damit beschäftigt herauszufinden, was ich überhaupt schreiben will. Für mich bedeutet Schreiben zugleich Nachdenken. Ich kann mich nicht einfach hinsetzen und „nur nachdenken“. Ich weiß zu Beginn nicht, wie sich ein Roman entwickeln wird. Ich habe eigentlich nur ein Grundthema und kenne die Atmosphäre, in der die Geschichte beginnt. Ich glaube, ich hätte gar keine Lust mehr zu schreiben, wenn ich schon von Beginn an wissen würde, wie das alles ausgeht.
Ist Schreiben bei Ihnen so etwas wie eine Entdeckungsreise im eigenen Kopf?
Ja. Das Ergebnis ist im besten Sinn manches Mal überraschend. Ich bin mir auch nicht sicher, woher die Einfälle wirklich kommen. Beim Analysieren komme ich mir dann wie ein Fremder gegenüber dem eigenen Text vor. Bei manchem verstehe ich, wie ich darauf kam. Anderes hat wieder etwas Unerklärliches, fast Metaphysisches. Auf alle Fälle ist das, was ich schreibe, gescheiter als das, was ich rede. Diese Erfahrung habe ich auch im Gespräch mit anderen Schriftstellern gemacht. Wenn ich jemanden treffe, dessen Werk ich richtig verehre, kommt es oft vor, dass wir uns dann im direkten Gespräch wenig zu sagen haben, auch wenn ich ihre Bücher so liebe.
Gibt es für Sie so etwas wie den idealen Leser, die ideale Leserin?
Es ist ja so, dass sich der Leser ins Buch miteinbringt. Das habe ich z.B. auch bei Borges gelesen. Man soll den Leser nicht unterschätzen. Je besser der Leser, umso besser ist das Buch! Vielleicht wird es in Zukunft sogar so sein, dass man sich um den Leser reißt. Das wäre ein Science-fiction-Stoff. Ich höre oft: „Um Gottes willen, wer soll denn das alles lesen?“ Vor allem auch von Literaturprofis.
Gibt es ein literarisches Zukunftsprojekt?
Ja, es ist ein Roman, an dem ich seit Jahren schreibe. Ich möchte im Laufe dieses Jahres damit fertig werden. In diesem Roman mache ich erstmals das, was jeder von mir erwartet. Ich verarbeite darin das, was ich als Biologin weiß.
Bevorzugen Sie selbst eines Ihrer bisher veröffentlichten Bücher?
Ja, meinen letzten Lyrikband, „Safari, innere Wildnis“. Er ist momentan das wichtigste Buch für mich.