Das Komplizierte einfach erklären

Das Komplizierte einfach erklären

Die Regisseurin Cornelia Rainer erzählte im Vorfeld zur Premiere von „Pünktchen und Anton„, das sie für das Burgtheater inszeniert, warum Frankreich für sie besonders wichtig war. Aber auch über den Unterschied zwischen Jugendtheater und Inszenierungen für Erwachsene. Und warum Kontinuität am Theater für sie besonders wichtig ist.

Sie singt, spielt Bandoneon, hat eine eigene Theatergruppe, schreibt und führt Regie. Und das im Burgtheater in dieser Saison gleich zwei Mal. Cornelia Rainer ist eine Mehrfachbegabung, keine schlechte Voraussetzung, um Theater zu machen.

Mit „Pünktchen und Anton“, das am 7. November Premiere hat, präsentiert die junge Regisseurin eine eigene Bühnenfassung. Erich Kästners Geschichte von zwei Kindern aus unterschiedlichen sozialen Milieus feiert derzeit eine Reminiszenz. Auf die Frage, warum dies denn so sei, antwortet Rainer kurz und bündig: „Solche Phänomene sind zum einen ganz banal zu erklären. Ein Theater fängt damit an und andere folgen dann. Aber es hat sicher auch damit zu tun, dass Erich Kästner mit seiner sozialen Komponente sehr aktuell ist. Es gibt einen sehr schönen Satz, der auch im Stück bei uns vorkommt. Robert, der Einbrecher, sagt: „Wir leben provisorisch, die Krise nimmt kein Ende.“ Und Erich Kästner antwortet darauf: „Das Zeitlose kann nicht zeitgemäßer gesagt werden.“ Für die Fassung, die im Kasino am Schwarzenbergplatz zu sehen sein wird, hat Rainer die Originalfassung ausschließlich mit Kästner-Texten stark bearbeitet. „Im Original gibt es den Zeigefinger und die Nachdenkereien. Diese Stellen habe ich ersetzt durch die Figur von Erich Kästner selbst, der aktiv dabei eingreift. Es ist eine Art Spiel-im-Spiel-Situation dabei herausgekommen. Erich Kästner hat dabei auch die Möglichkeit, das Stück zu kommentieren und weiterzutreiben.“

Die Rollen Pünktchen, Anton und Klepperbein sind mit sieben Kindern mehrfach besetzt. Zusätzlich gibt es noch ein 13köpfiges Kinderorchester, das Musik macht. Sie spielen dafür verschiedene Instrumente, der Kleinste zum Beispiel eine große Tuba. Rainer sucht dabei die Ursprünglichkeit in der, wie sie sich ausdrückt, „scheinbar komplizierten Kunstform“. Dabei möchte sie „das Kunstige auch verlassen, indem man Geräusche nicht einspielt, sondern selbst erzeugt. Dabei konzentriert man sich sehr auf die Schauspieler auf der Bühne.“

Cornelia Rainer hat in Paris Regie und Dramaturgie aber auch Sologesang studiert. „Hat dies Auswirkungen auf Ihre Arbeit gehabt?“, will ich wissen.

„Vieles was ich vom Theater weiß und auch meine Leidenschaft dafür hat mit meiner Ausbildung in Paris zu tun. Ich habe in meiner Zeit in Frankreich neben meinem Studium beim Festival Avignon hospitiert und Regieateliers gemacht und dabei die Erfahrung gemacht, dass die Disziplinen untereinander dort viel offener sind. Theater ist in Frankreich ein fixer Bestandteil der Kultur. Alle gehen ins Theater. Das Aufstehen und auf-die-Straße-Gehen greift in Frankreich auch über auf die Kultur. Frankreich bedeutete für mich ein Stück Freiheit. Es bot mir Möglichkeiten, mich auszuprobieren, ohne Angst zu haben. Ich habe in der Zeit auch meine ersten, kleinen Regiearbeiten gemacht. Unter anderem hatte ich eine wichtige Begegnung, im „Bouffes-du-Nord“, dem Peter Brook-Theater. Da haben wir mit George Banu, der in Frankreich ein wichtiger Theatertheoretiker ist, an einem Workshop mit Peter Brook teilnehmen dürfen. Ich saß in seiner Nähe und habe beobachtet, wie er Notizen gemacht hat. Da habe ich gespürt, was Leidenschaft fürs Theater bedeutet. Da gab`s viel Kraft und auch den Raum für einen gewissen Traum. Diese Zeit war wesentlich für mich.“

Für ihr erstes Kinder- und Jugendprojekt sammelte sie die Ideen während ihres Studienaufenthaltes in Taipeh. Erst viele Jahre später realisierte sie im Dschungel Wien das Stück „I wanna be made“, das auch prompt vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst ausgezeichnet wurde. Mit dem „Märchen vom alten Mann“ und „Johanna“ gelangen ihr gleich noch zwei Prämierungen. „Bisher wurden alle meine Jugendstücke alle ausgezeichnet. Das ist sehr schön. Neben Arbeiten für junges Publikum arbeite ich auch an Stücken für Erwachsene. Für mich ist das kein Ausschluss, sondern eher eine Ergänzung. Der „Lenz“ zum Beispiel, den ich für die Salzburger Festspiele 2012 gemacht habe, entstand nach „Johanna“. Diese Wechsel möchte ich gerne beibehalten, sie inspirieren mich auch.“

„Gibt es einen Unterschied in der Herangehensweise beim Regieführen ob Sie ein Stück für Jugendliche oder für Erwachsene inszenieren?“

„Ich gehe immer vom jeweiligen Stoff aus und schaue, was es dazu braucht. Bei       „I wanna be made“, das sich mit der Ausbildung an der Peking-Oper im Vergleich zu unserem Ausbildungssystem beschäftigt und bei der „Johanna“, die auch am Abend angesetzt wurde, waren viele Erwachsene in den Vorstellungen. Ich denke auch im Kinder- und Jugendtheater die Erwachsenen mit. Das nicht zu tun, ist zu kurz gegriffen. Mich interessiert eine Theaterform, die berührt. Berührung hat zwar etwas mit der eigenen Sprache zu tun, aber nicht unbedingt mit dem Alter.“

Auf die Frage, was man mitbringen muss, um mit Kindern am Theater gut arbeiten zu können, antwortet Rainer: „Sehr viel Geduld. Ich schaue sehr gerne zu und beobachte gerne. Ausdauer zu haben ist ganz wichtig, denn es braucht Zeit, bis das, was ich vermittle, in den Körper hineingeht. Das ist grundsätzlich eine völlig andere Arbeitsweise als mit Schauspielern und doch muss ich sagen, dass ich mit Kindern von der Entwicklung des Stückes her so arbeite, wie ich das auch mit Erwachsenen mache. Mit Kindern kann man keine komplizierten Erklärungen abgeben oder komplizierte Inhalte bauen. Andererseits ist gerade die Direktheit etwas, das hier zum Zug kommt. Eine Direktheit, die uns Erwachsenen oft sehr abgeht.“

Dass sie in dieser Saison an gleich zwei Jugendstücken für die Burg arbeitet, ist eine Herausforderung für sie. „Das Schöne daran ist, dass es zwei völlig verschiedene Stoffe sind, die ganz etwas Anderes benötigen.“ Für „Pünktchen und Anton“ arbeitet Rainer mit sieben Kindern bzw. Jugendlichen, für ihren „Hamlet“ nur mit professionellen Schauspielerinnen und Schauspielern. Es ist schon so etwas wie Rainers Markenzeichen, dass sie alle Stücke, die sie auf die Bühne bringt, auch wenn es dafür fertige dramatische Vorlagen gibt, noch selbst bearbeitet. So auch „Hamlet“. „Es ist der Versuch, Hamlet so zu erzählen, dass es hoffentlich auch von Erwachsenen verstanden wird.“ Rainer lacht und fügt hinzu: „Wir gehen immer davon aus, dass wir alles verstehen. Es ist eine gute Möglichkeit, sich den Stoff auf frische Art und Weise anzuschauen und das Thema durch einfachere Übersetzungen zugänglich zu machen. Das Komplizierte einfach erklären, das ist die Herausforderung dabei.“

Das Schreiben und Dramatisieren eines Stoffes ist für Cornelia Rainer bereits Teil der Inszenierung. Die Bilder und Augenblicke, die sie in ihre Stücke einbaut, hat sie oft schon viel länger im Kopf. Für sie ist es dann ein magischer Moment, wenn sie diese mit der Hilfe der Schauspieler, ganz losgelöst vom ursprünglichen Ausgangserlebnis, auf der Bühne in ein Stück einbauen kann. Rainer hat einen klaren Ausgangspunkt, von dem aus sie die Regiearbeit beginnt, aber alle, die sie kennen, wissen auch, dass sie ein sehr spontaner Mensch ist und ad hoc im Arbeitsprozess justiert und adaptiert.

Die Frage, ob sie anstrebt, einmal fix an einem Haus zu arbeiten kann die junge Kreative noch nicht wirklich beantworten.

„Ich bin erst einmal offen für das, was noch auf mich zukommt. Vor allem aber braucht man Menschen, die einen unterstützen, die an einen glauben und einem Vertrauen entgegenbringen. Ich habe das Glück, dass mich Familie und Freunde schon lange begleiten und mich in diesem Sinne unterstützen.“ Für Rainer bedeutet es Glück und auch eine große Chance, wenn man kontinuierlich längere Zeit an einem größeren Haus arbeiten kann. Einfach „weil man aufbauen kann und nicht immer wieder von vorne anfängt.“ Aus diesem Grund hat sie auch ihre eigene Companie gegründet, das „Theater Montagnes Russes“, um mit Leuten zusammenzuarbeiten, die sie gut kennt. „Arbeitsbeziehungen sind ja in gewisser Weise so etwas wie Liebesbeziehungen, weil man sehr viel miteinander teilt und entwickelt.“ Dabei spielen Werte wie Loyalität auch eine große Rolle. Zwar meint Rainer, dass sie immer offen bleiben möchte . „Obwohl, ein Leben ohne Theater kann ich mir im Moment zumindest nicht vorstellen.“

Infos zu „Pünktchen und Anton“ auf der Seite des Burgtheaters.

Tanz kann uns ganz, ganz tief berühren

Tanz kann uns ganz, ganz tief berühren

Das Stück „Körper“ der Choreografin Sasha Waltz erlebt am 15. Oktober 2015 im Tanzquartier in Wien seine Österreich-Premiere. Wir hatten die Gelegenheit, mit der Künstlerin vorab ein Gespräch zu führen. Darin erzählt sie über das Stück selbst, aber auch ihre künstlerische Entwicklung und was den Tanz von anderen Künsten unterscheidet.

Frau Waltz, Ihr Stück „Körper“, das im Tanzquartier im Oktober seine Österreich-Premiere hat, ist so etwas wie ein Dauerbrenner Ihrer Companie, es wird ja seit 15 Jahren getanzt. Wie stehen Sie heute dazu?

Wenn ein Stück heraußen ist, dann wird zu Beginn vielleicht noch nachgearbeitet, aber irgendwann steht es dann. Jetzt wird es aber wieder wegen eines anderen Aspektes für mich interessant. Das Stück heißt ja „Körper“ und es ist eine Untersuchung des menschlichen Körpers, unserer Anatomie aber auch von philosophischen Themen. Dadurch, dass das Stück fast noch seine Originalbesetzung hat, hat es sich mit seinen Tänzern verändert, weil die Tänzer älter geworden sind. Der Reifungs- oder auch Alterungsprozess macht sich ablesbar an den Körpern. Das finde ich eine spannende Entwicklung. Diesen Aspekt, den ich damals noch gar nicht mitgedacht hatte, der ist jetzt neu dazugekommen. Insofern ist es spannend, wie das Stück nun noch einmal eine andere Perspektive einnimmt.

Hat dieses Stück  in den Tänzerinnen und Tänzern über die lange Zeit hinweg auch etwas bewirkt?

Eine Tänzerin hat mir einmal gesagt, dass man sie in der Nacht aufwecken könnte und sie könnte das Stück sofort spielen, so nahe ist ihr das gekommen. Ich denke, dass das Stück eine große Intimität auch in der Gruppe erzeugt hat. Es war das erste Stück, das ich für die Schaubühne gemacht habe und ich habe auch das Ensemble zum ersten Mal dafür zusammengesetzt. Insofern hatte das eine sehr starke Gruppendynamik. Es war auch in meiner Arbeit ein Neuanfang, weil ich bis dahin eher sozial-realistische, theatrale Stücke entwickelt habe, mit naturalistischen Bühnenbildern. Ab diesem Stück wurde es sehr viel abstrakter, sowohl die Bühne als auch die gesamte Konzeption. Die Tänzer sind diesen Weg mit mir mitgegangen. Viele Tänzer, die vorher mit mir in den Stücken waren, sind auch in dieser Gruppe und auch diese Veränderung hat sehr viel bei ihnen ausgelöst. Erstmal waren sie eher kritisch, sind dann aber mit mir in diese neue künstlerische Phase eingetaucht und haben sie mitgetragen. Insofern glaube ich, dass dieses Stück viel bei den Tänzern ausgelöst hat.

Warum glauben Sie, kommt dieses Stück nach wie vor so gut beim Publikum an? Was sind die Haupttopics, die so dermaßen interessant sind?

Ob es gut ankommt, kann ich gar nicht so sagen. Es sind Themen, die nichts Modisches an sich haben. Es sind Themen, mit denen wir uns als Menschen auseinandersetzen: Wie, was und wer sind wir? Es beinhaltet eine Untersuchung der Anatomie, die ich das Körpersystem nenne, oder Untersuchungen des Nervensystems, des Skeletts, aber auch Fragen zu Manipulationen am Körper und Körperkult. Zum Zeitpunkt der Entstehung hatte ich eine Geburt hinter mir. Mein Sohn war drei Jahr alt und ich hatte die ganze Schwangerschaft, die unterschiedlichen Arztbesuche erlebt. Die Gedanken, die man sich dabei  über den Körper macht, über Eingriffe, über pränatale Diagnose oder auch Eingriffe in das genetische Material – das waren und sind nach wie vor Ideen, mit denen wir uns stark befassen. Wenn ich mir überlege, dass es jetzt schon 16-jährige Mädchen sind, die sich Schönheitsoperationen unterziehen, weil sie dem Schönheitsideal nicht entsprechen, das ihnen irgendwo vorgegaukelt wird, dann sind das absolut Themen, mit denen wir uns zutiefst auseinandersetzen müssen.

Sind Sie ein künstlerischer Mensch, der den Körper auch als etwas Plastisches versteht?

Mit „Körper“ habe ich begonnen, sehr skulptural zu arbeiten. Darin gibt es unterschiedliche Konstellationen, in denen ich die Zeit einfriere und die Körper dabei fast das Materielle des Fleisches verlassen. Das kommt vor allem dadurch, dass ich diesen Zeitfaktor auflöse, wenn auch nur für ein paar Sekunden. Aber den Körper unter den Aspekten der Skulptur zu untersuchen, hat mich fasziniert und von da ab immer weiter beschäftigt.

Finden Sie, dass Ihre Werke eine starke Nähe zur bildenden Kunst aufweisen?

Ich habe im ZKM eine Ausstellung gemacht, in der ich genau diese Befragung meiner Arbeit vorgenommen habe. Dabei wurden bestimmte Bilder wie Ikonen aus den Stücken herausgefiltert, die ich als Installationen in den Raum setzte. Da ist mir ganz stark bewusst geworden, dass es sehr, sehr viel bildnerische und installative Elemente in meinen Stücken gibt. Die Frage würde ich auf jeden Fall mit „ja“ beantworten.

Sie haben in Ihrer Arbeit immer wieder neue Wege beschritten, Neues ausgelotet. Ihre letzten Arbeiten sind im Bereich der Oper entstanden. Was hat Sie daran gereizt?

In der Oper habe ich die Möglichkeit, mit dem Orchester, den Sängern, dem Chor zu arbeiten und eine Einheit mit Bühne, Licht und Tanz zu finden. Das war für mich sehr spannend, weil meine Arbeit von Anfang an sehr interdisziplinär war und die Oper das ideale Medium dafür ist. Ich habe die Oper unter dem Aspekt der Choreografie untersucht und nenne das auch choreografische Oper.

Könnten Sie uns Ihren kreativen Prozess ein wenig näher beschreiben? Wenn Sie etwas erarbeitet haben, haken Sie dann die Arbeit ab und suchen Sie neue Herausforderungen, oder werden solche auch an Sie herangetragen?

Abhaken kann man nicht sagen. „Körper“ ist der erste Teil einer Trilogie, danach kamen noch „S“ und „noBody“, weil ich gemerkt habe, wie sich vor mir mit dieser neuen künstlerischen Herangehensweise eine ganze Welt öffnet. Zur Oper kam ich tatsächlich über Anfragen, als ich an der Schaubühne gearbeitet habe und meine Stücke sehr viel großformatiger wurden und ich auch mit großem Ensemble gearbeitet habe. Da wurde ich gefragt, was ich denn gerne machen würde und ich habe mich entschieden, Dido und Aeneas von Purcell zu inszenieren. Das hat mich so fasziniert und es war so eine Bereicherung mit dem Orchester, den Chor und den Sängern zu arbeiten, es war so eine unglaublich schöne Erfahrung, dass ich einfach Lust hatte, da weiterzuarbeiten. Künstlerisch nehme ich die Erfahrungen, die ich vorher gemacht habe, ja mit in eine neue Herausforderung. Ich habe viele Jahre über abwechselnd musikalisch und choreografisch gearbeitet, aber Live-Musik mit Orchestern und Sängern wurde tatsächlich immer stärker. Ich habe dann auch die Form der Zusammenarbeit verändert. Ich habe dann musikalische, choreografische Konzerte gemacht. Nicht mehr Opern, weil es für mich spannend war, die Musik zu choreografieren und mit den Musikern zu arbeiten. Jeder Schritt den man geht, hat Auswirkungen auf das Nächste, was man tut. Das ist ja mit unserem Leben auch so. Wenn wir jemanden kennenlernen, dann öffnet der einem möglicherweise wieder eine neue Tür und so ändert sich, je nachdem welche Entscheidung wir fällen, auch unser Weg. Der Prozess ist eine Mischform zwischen einer persönlichen Entscheidung und dem, was einem von außen vorgeschlagen wird. Aber da wählt man ja auch aus, also insofern ist es immer Entscheidung.

Woran arbeiten Sie im Moment?

Ich bereite gerade mein nächstes Jahr vor. Es sind unterschiedliche Projekte, möglicherweise möchte ich etwas mit Film machen, weil das für mich spannend ist und ich das noch nie intensiv untersucht habe. Ich hab zwar auch bei meinen eigenen Stücken Regie geführt, aber wirklich Regie für einen Film habe ich noch nie gemacht. Insofern finde ich das ein spannendes Sujet.

Sind sie ein Mensch, der sich in den verschiedenen Metiers keine Grenzen setzt und auch ohne Scheu darangeht, etwas Neues zu probieren, oder gibt es auch Bauchweh-Momente?

Es gibt natürlich sehr viele Bauchweh-Momente. Wenn man Herausforderungen annimmt, gibt es viele Möglichkeiten, auch viele Konfliktmöglichkeiten. Gerade wenn man in einem anderen, neuen Bereich arbeitet, auch mit vielen Entscheidungsträgern, muss man auch oft Kompromisse eingehen. Das ist alles nicht so leicht. Grenzen finden ist ein absolut essenzielles Thema. Nicht unbedingt künstlerisch, da soll man aus meiner Sicht möglichst frei denken. Aber man muss lernen, sich zu beschränken, weil einfach die Kräfte beschränkt sind. Grenzen ziehen ist ein Thema, mit dem ich mich immer befasse. Nein-Sagen gehört zum Kostbarsten überhaupt. Das muss man auch lernen. Erst mal ist man begeistert und möchte alles machen, aber dann sieht man, dass man auch nur ein Mensch ist mit so und soviel Zeit am Tag.

Was ist für Sie das Interessante am zeitgenössischen Tanz schlechthin? Was ist es, warum Sie sich mit diesem Medium beschäftigen und nicht mit einem anderen?

Der Tanz hat für mich nach wie vor eine Dimension, die den Menschen  über das Wort hinaus erreicht. Er hat etwas, was uns ganz, ganz tief berührt, auch zu unserem Unterbewussten spricht; auch zu dem Geheimnis der Seele spricht. Wir spüren in den Aufführungen, wenn sie gelingen, dass etwas an Erinnerung, an Wahrnehmung, vielleicht auch an Bewusstsein in Gang gesetzt wird . Das kann ich vielleicht vergleichen mit der Musik, denn für mich sind Musik und Tanz wie Bruder und Schwester. Auch in der Musik öffnen wir uns und es ist, als ob die Seele angesprochen wird. Diese Ebene hat der Tanz. Dazu kommt noch die visuelle Ebene, weil der Körper da ist. Tanz kann uns ganz, ganz tief berühren, noch mal anders als bildende Kunst, bei der unsere Sinneswahrnehmungen und unser Intellekt stark stimuliert werden. Das heißt nicht, dass wir nicht im Tanz auch intellektuell gefordert sind. Natürlich, diese Ebene gibt es auch. Ich glaube aber, dass unsere seelische Berührung oder auch unser emotionaler Zugang zum Tanz sich ganz, ganz stark von anderen Künsten unterscheidet.

Links: Homepage Sasha Waltz & Guests

Tanzquartier, Aufführung „Körper“

Ich habe so etwas wie professionelle Kinderaugen

Ich habe so etwas wie professionelle Kinderaugen

Wies Merkx ist eine holländische Choreografin mit einer etwas anderen Aufgabe. Ihre Stücke werden zwar von Erwachsenen getanzt, sind aber für Kinder gedacht. Anlässlich der Premiere von „Kind im Wirbelwind“ im Dschungel Wien führte Michaela Preiner mit ihr ein Gespräch.

Merkx arbeitet seit mehr als 30 Jahren als Choreografin und hat sich keine geringere Aufgabe gestellt, als „Kindern jenen Tanz zu bieten, den sie verdienen.“ Bis vor 2 Jahren leitete sie „De Dansers“ in Utrecht, die sie an die jüngere Generation übergeben hat.

„Meine Hauptarbeit besteht darin, den Tanz für die Kinder mit professionellen Tänzern verständlich zu machen, die Kinder tanzen dabei aber nicht mit. Manches Mal kommen die Kinder danach auf die Bühne oder drücken sich auch später in ihrer eigenen Art und Weise aus. Wir helfen Lehrern auch in der Schule, wenn sich Kinder mit Bewegungen ausdrücken möchten.

Sie haben Ihre eigene Compagnie abgegeben?

„Ja, aber ich bin aber dort gewissermaßen noch präsent, da meine Stücke nach wie vor gespielt werden. Aber ich habe damit nichts mehr zu tun, was mir die Möglichkeit gibt, jetzt mit anderen Compagnien zu arbeiten. Die beiden weiblichen Tänzerinnen, die jetzt in Wien auftreten, sind Tänzerinnen aus meiner alten Compagnie. (Steffi Jöris, Maartje Pasman) Sie waren so gut und so gut ausgebildet, dass sie gebeten wurden, nach Wien zu kommen.“

Dann war das also Ihre Schuld?!

Ja, ich habe sie offenbar zu gut ausgebildet! (Wies Merkx lacht dabei herzlich)

Wie viele Produktionen haben Sie für Kinder gemacht?

Ungefähr 40, wobei 3 davon noch immer aufgeführt werden. Das sind wirklich große Stücke, die ich mit den Leuten erarbeitet habe, die sie jetzt tanzen. Dabei gibt es auch eine Live-Musik. Vor fünf Jahren habe ich angefangen, mit Live-Musikern zu arbeiten. Mit einer Pop-Band und Singer-Songwritern. Das haben wir mit einem aufregenden Tanz für 15 bis 16-Jährige kombiniert. Es gibt aber auch ein Stück für kleinere Kinder mit einer Live-Band. Ein Stück davon wurde für Berlin erarbeitet. Das war eine internationale Produktion. (Anmerkung: Titel – „Roses – einsam.gemeinsam“ wurde mit dem IKARUS Theaterpreis 2013 ausgezeichnet und war in Wien 2014 im Rahmen von Szene Bunte Wähne im WUK zu Gast.)

Wie kommen Sie zu den Ideen für Ihre Stücke?

Jetzt ist das viel leichter, weil ich mich nicht mehr um alles kümmern muss. Jetzt kann ich machen, was ich will. Was mir immer wieder in den Sinn kommt und worüber ich viel nachdenke ist, dass Kinder manches Mal mit etwas überfordert werden. Zum Beispiel fliegen Kinder heutzutage um die ganze Welt oder auch das Thema Flüchtlingskinder. Diese Kinder haben Probleme, die für sie schlicht zu groß sind. Kinder sind sehr stark und sehr flexibel, aber manches Mal ist die Herausforderung übermächtig, damit können sie dann nicht umgehen. Das ist sehr schmerzlich. Als ich darüber nachdachte, hatte ich das Gefühl, dass ich die Thematik ganz leicht in die Körper der Tänzer übersetzen konnte. Für mich formte sich ein Bild, das gut in Tanz übersetzt werden kann. So habe ich mir eine Situation ausgedacht, in welcher der Tänzer seinen Körper nicht mehr komplett kontrollieren kann, nicht mehr Herr seiner Bewegungen ist. Vielmehr sind die Tanzenden bei der Choreografie in Gefahr und müssen einfach darauf vertrauen, dass es schon gut gehen wird, sonst würden sie fallen. Ich habe die Tänzer gebeten, sich ganz der Bewegung hinzugeben, das ist das Material für „Kind im Wirbelwind“.

Wenn ich ein Thema finde, dann weiß ich, dass ich die Übersetzung mit den Körpern von Tänzern durchführen kann. Ich mache es mit Tanz anstelle von Worten, Film oder Fotos. Das Thema, die Übersetzung in den Tanz und viele kleine Bilder, die ich dabei im Kopf habe, wie zum Beispiel Momente, an die ich mich aus der eigenen Kindheit erinnern kann, all das zusammen lässt dann ein Stück entstehen.

Sie sprechen mit Kindern auch über die Stücke. Wie ist Ihre Erfahrung? Verstehen die Kinder immer, was Sie ihnen sagen und zeigen wollen?

Ich spreche nie über das Verstehen. Ich würde niemals fragen: „Habt ihr das verstanden?“ Ich verstehe vieles selbst kaum. Was ich zeigen will, ist oft schmerzhaft, oder auch sehr schön. Es kommen Momente vor in denen man denkt, dass man verloren ist, aber tatsächlich ist dann doch jemand da. Es gibt Augenblicke, die auch für mich ganz schwer zu erklären sind. Von meiner Seite aus sind das sehr gefühlsbetonte und auch assoziative Momente. Da würde ich die Kinder nie fragen, ob sie das verstanden haben. Ich spreche mit ihnen auf einem sehr einfachen Level. Das kann dann sein: „Oh, das muss ja sehr weh tun“, oder auch: „Ich glaube, sie ist zu müde, um hier weiterzumachen.“ Diese Momente, die sich aus der Situation ergeben, sollten für die Kinder ganz klar erkennbar sein. Und das ist mehr als das Fragen nach: „Wer sind sie, wo sind sie, warum sind sie, was ist das für ein Stück?“ Ich präsentiere Situationen, die klar und deutlich sind. Für ein Kind kann eine Situation Angst einflößen, andere wiederum lachen, weil sie es lustig finden. Andere sagen: „Wow, das ist wie ich und mein Fahrrad oder wie ich und meine Mutter oder mein Bruder.“ Jedes Kind hat seine eigenen Assoziationen.

Es gibt nicht viele Choreografinnen oder Choreografen, die ausschließlich für Kinder Stücke machen. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich hatte davor eine Compagnie für Erwachsene und dann sagte mir jemand, ich glaube, du kannst was für Kinder machen. Und plötzlich wusste ich, dass das mein eigenes Ding ist, das ich sehr liebe. Zu Beginn war es sehr einfach. Denn ich wusste, wenn ich mich langweile, dann langweilt sich auch ein Kind. Jetzt habe ich so etwas wie professionelle Kinderaugen. Ich fühle schnell, wenn etwas zu kompliziert ist. Ich möchte es einfach, schön und pur. Ich kann die Kinder richtig hinter meinem Rücken spüren, deswegen ist das sehr leicht für mich. Vielleicht sagt das auch etwas über mich selbst aus.

Glauben Sie, dass die Stücke bei den Kindern etwas bewirken, dass sie einen Einfluss auf die Kinder haben?

Heute Nachmittag hatten wir eine Vorstellung, die mein Sohn gemacht hat. Im Hof eines Kinderhauses. Dort sind schwierige Kinder, die keiner haben will. Die sahen das Stück mit den Tänzern und man konnte sehen, wie der Tanz sie beeinflusste und Respekt bei ihnen hervorrief. Das machte sie glücklich, respektvoll und sie hatten den Drang, sich danach auch selbst zu bewegen. Dabei hat sie ein Tänzer in die Höhe gehoben, was sie unglaublich stolz gemacht hat. Sie wollten danach mit ihm auf einem Foto sein. Dabei spürt man, wie positiv das für die Kinder ist. Diese Kinder befinden sich in schwierigen Situationen, haben Gewalt erlebt. Und plötzlich erhebt sich die Situation in der sie sich befinden und sie fühlen Vertrauen, Glück, Bewegung, Freude am Spiel. An diesem Nachmittag habe ich wieder gesehen, dass gute, einfache Bewegungen Kindern viel Positives bringt. Es war ein Hin- und Her zwischen – „ihr wart ein gutes Publikum“ und „nein, wir wollen uns bei euch bedanken.“ Es entsteht eine sehr positive Energie in so einem Fall. Das ist das, was ich bei allen Aufführungen spüre. Wir geben viel Energie, aber wir bekommen diese Energie auch wieder zurück. Die Kinder sind so glücklich, dass sie einen danach förmlich auffressen möchten. Man kann auch sehen, dass Kinder nach einer solchen Aufführung sich regelrecht erleichtert fühlen.

Die Reaktionen von jungem Publikum sind direkter, purer.

Ja, aber auch stark physisch. Nach 20 Jahren in meinem Beruf habe ich beschlossen, rein physisch zu arbeiten. Davor war ich auch an Literatur interessiert, an Gedichten. Auf der Bühne arbeitete ich aber nur mit der physischen Komponente. Wenn man fällt, dann fällt man und das tut weh. Eine Umarmung ist eine Umarmung, weich ist weich und hart ist hart. Ich wollte erforschen, was diese puren Momente wirklich sind, tiefer in sie eintauchen und schauen, was man mit ihnen machen kann.

Wenn Sie ein Stück fertig haben, sind Sie sich sicher, dass es auch funktioniert? Vielleicht allein schon aus Ihrer großen Erfahrung heraus?

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich weiß, wie man es so pur machen kann, dass es zumindest wenigstens echt rüberkommt. Ich glaube zumindest, dass die Kinder mit der Vorstellung mitgehen. Und ich fühle auch, wenn ein Stück für mich sehr aufregend ist. Und da bin ich mir ziemlich sicher, dass auch die Kinder das fühlen. Es gibt auch Dinge in einem Stück, die ich machen will. Dinge, die nicht einfach zu beschreiben sind. Aber in meinem Herzen bin ich doch sicher, dass es funktioniert. Aber sicher sein kann man sich ja nie. Es kann ja auch etwas mit den Tänzern sein. Sie können unsicher sein. Was heute gut ist, kann morgen schon ganz anders sein. Wenn sich die Tänzer nicht gut fühlen, schaut alles ganz anders aus. Dann kann der Zauber weg sein, und alles ist verloren. Das ist Arbeit mit Menschen, das sind keine Maschinen bei denen man auf den Knopf drückt und es kommt immer das selbe raus.

Gab es auch unerwartete Reaktionen bei den Stücken?

Ja, klar. Vor allem viel Positives, auch von Erwachsenen. Manche weinten zum Beispiel.

Denken Sie bei der Erarbeitung einer Choreografie auch daran, dass Erwachsene im Publikum sitzen?

Ja, weil ich weiß, dass die Stücke auch für Erwachsene funktionieren müssen. Auch für die Lehrer in den Schulen zum Beispiel. Ich habe auch erlebt, dass kleine Kinder einschlafen wollten und die Mütter sagten: “ Pssst, ich möchte gerne die Vorstellung sehen!“ Ich mag es, wenn Kinder und Erwachsene gemeinsam bei der Sache sind. Jedes Stück sollte auch für Erwachsene nett sein.

Sie kaufen ja auch die Karten!

Ja genau. Ich mache es aber nicht mit dieser Absicht. Aber ich denke, ein nettes, einfaches Kinderbuch macht auch einer Mutter Freude, wenn sie es vorliest. Da liebt man die Worte, wie sie ausgesucht wurden, die Geschichte, da denkt man, das ist eine Geschichte, die ist für alle von uns. Wenn es pur und einfach geschrieben ist, dann denkt man sich, ja, das ist eigentlich eine Geschichte über uns.

Warum sollte sich das Publikum Ihre Stücke ansehen?

Wenn die Menschen bewegte Körper lieben, wenn sie gerne nahe an der Bewegung sein möchten, wenn sie Körper, Tanz, das Physische, auch das Gemeinsame erleben möchten, wenn sie erleben möchten, dass Menschen einem etwas erzählen, von dem man berührt wird, dann sollten sie kommen. Und wenn die Leute, die das lieben kommen, dann wäre ich auch rundum glücklich.

Link zu „Kind im Wirbelwind“ im Dschungel Wien hier

Ich halte Theater für einen subversiven Raum

Ich halte Theater für einen subversiven Raum

Astrid Griesbach inszenierte jüngst in Wien Schillers Räuber. Für Kinder ab 8, wohlgemerkt! Mit „Nathan der Weise“ bestritt sie zuvor schon eine Inszenierung im Dschungel, die durch Tempo, Witz, Tiefgang und Intelligenz auffiel. Anlässlich ihrer neuesten Arbeit trafen wir uns zu einem Interview.

Die energiegeladene Puppenspielerin, Theatermacherin und Regisseurin hat seit 2009 eine Professur an der Hochschule für Schauspiel „Ernst Busch“in Berlin im Fach Puppentheater und arbeitet oft mit jungen Nachwuchskünstlerinnen und –künstlern zusammen.

Kann man außer in Berlin noch Puppentheater studieren?

Ja, es gibt in Stuttgart eine Abteilung für Figurentheater, das oftmals noch mehr ins Visuelle geht. Dann natürlich Charleville in Frankreich aber auch in Spanien. Also überall da, wo Kaspertheater nicht gleichgesetzt wird mit Kinderkasperl sondern mit Narren. Da sind die Franzosen mit dem guignol oder grand guignol allen sehr voraus.

Wie groß ist denn der Zulauf zu diesem Studium?

Nicht wahnsinnig groß, denn die Meisten wollen Schauspiel, Schauspiel! Was aber total verrückt ist und die letzten Jahre sich abzeichnet, ist, und das ist der ganz große, neue Wechsel: Wir bekommen immer mehr Schauspieler, die sich bewerben. Die fertig sind und von guten Schulen kommen. Die merken, dass sie in dem Theater, wie es jetzt läuft, kein kreativer, sondern nur ein ausführender Teil sind. Bei uns kann man etwas gestalten, da ist so etwas wie in göttlicher Funke dabei. Und ich behaupte ganz kühn, dass es die Administration ist, welche die Schauspieler zwingt, über ihren Beruf nachzudenken.

Warum die Administration?

Im Burgtheater-Heft steht ganz vorne das Ensemble drin. Das ist bei uns in Berlin überhaupt nicht mehr so. Heute kennt niemand mehr die Namen. Das begann in der Tanzszene. Da kennt man wenn`s hoch kommt, noch die Choreografen. Aber den, der auf der Bühne ist, den kennt man nicht mehr. Heute emanzipieren sich Regisseure, aber auch hauptsächlich Intendanten. Der Schauspieler als solcher ist austauschbar geworden. Diese Austauschbarkeit spürt man auch. Warum sollen die denn brennen, wenn sie morgen verbrannt werden können? Die Situation im deutschen Theater definiert sich im Moment nur mehr aus: Preiswerter, billiger, schneller und angepasster, und wenn`s geht: Entertainment, Entertainment. Das Theater steht auf dem Höhepunkt des sich selbst Verbrennens. Das macht sich gerade selbst vom Acker. Die Institution geht vielleicht krachen, aber die Ideen sind immer noch da. Es müssten sich Ensembles bilden, die eine gewisse Spielweise haben und sich dann erst einen Intendanten suchen. Heute ist es genau umgekehrt. Der Intendant wählt aus: Die gefällt, mir die, die auch. Aber sie bleiben, wenn`s hochkommt, überhaupt nur zwei Jahre. Wenn die nicht mehr können, holt man sich die nächsten. Das ist das Menschenverachtendste, was man Leuten, die kreativ arbeiten wollen, antun kann. In Deutschland ist der Schauspieler faktisch ein Sozialhilfeempfänger.

Sie haben viele Jahre Erfahrung im Puppenspiel und im Speziellen auch mit der Situation im ehemaligen Osten und jetzt in Berlin.

Wir haben nun schon 42 Jahre diese Einrichtung in Berlin. Die Gründung erfolgte ja noch zu DDR-Zeiten und die Abteilung Puppenspiel hängt mit dem russischen Kasper, dem Petruschka zusammen. Einem sehr zarten, sehr klugen Wesen, das zum Beispiel an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sehr gegen den Klerus vorgegangen ist. Petruschka hat sich über den Popen sehr lustig gemacht. Man hat ihn nicht von der Bühne verbannt, wie es die Deutschen gerne tun, sondern man hat ihm das scheinbar Wichtigste genommen – nämlich die Sprache. Er durfte auftreten, aber er durfte nicht reden. Er trat auf – und er pfiff! Und das Publikum wusste, was gemeint war. Das ist wirklich ein Narr, eine närrische Figur. Und diese Tradition gab es bei den Russen noch sehr lange und hat auch zur Gründung dieser vielen Puppentheater geführt. In der DDR mussten sie aber doch immer auch zugleich das Kinderpublikum mitabfassen. Als wir dann angefangen haben für Erwachsene zu spielen, war auch die Stasi schnell da. Das war dann wirklich scharf, scharf.

Es gab den berühmten „Jäger des verlorenen Verstandes“. Da hatte der Kasper anstatt einer Pritsche zum Zuhauen die Faust. Die Faust hieß Erich und sobald der Kasper etwas gesagt hat, das nicht konform war, hat er sich selbst gehauen. Das war natürlich der Brüller. Diese Sachen wurden immer im Geheimen gespielt, denn in der Figur saß ein Anarchist. Das ist seltsamerweise nach der Wende komplett verloren gegangen. Es schwappte da ganz schnell diese westdeutsche Figur des Sparkassenkaspers und des Verkehrskaspers über. Das ist das größte Verbrechen überhaupt, dass man so eine Figur Regeln erklären lässt! Wie spare ich oder wie gehe ich über die Straße! Ich denke, wenn der Kasper wirklich erklärt, wie man über die Straße geht, dann sagt er: „Liebe Kinder, ihr braucht dazu zwei Bälle. Den ersten Ball schiebt ihr runter, dann werden die Autos quietschen, aber sie halten an. Euer Ball ist zwar verloren, aber ihr habt ja noch einen zweiten. Den müsst ihr festhalten und dann rennt ihr rüber, aber ganz schnell!“

Der Kasper ist immer närrisch, er ist ein Narr. Er verrückt etwas, erklärt sich für verrückt. Das heißt ja eigentlich, ich ziehe mich aus der Mitte raus, setze mich ganz bewusst an eine andere Stelle und gucke von der Stelle aus auf die Mitte. Dann bin ich ja ver-rückt. Aber in diesem Verrücktsein ist viel Wahres und das fehlt oft im Theater.

War das auch ihr Zugang von Jugend an zum Puppentheater?

Ich bin in so einer wahnsinnigen Theaterstadt geboren – in Meiningen. Ich war ein Zwerg, als ich mit meinen Eltern in Opernaufführungen ging. Hans von Bülow, Max Reger, die großen Orchesterleute, die alle zwischen 1870 und meist 1914 Bewegendes gemacht haben, waren in Meiningen. Theater war auch schon immer das, was mich interessiert hat. Und dann hatte ich auch immer den etwas anderen Blick, ich glaube, ich hatte immer schon eine Meise! Dann kam aber das Puppentheater als große, große Entdeckung dazu und die zweite, große Entdeckung war, dass ich während meines Regiestudiums das große Glück hatte, Castorf im Genick zu sitzen. Der war für mich der Über-Kasper. Er ver-rückte Sachen vor allem in den frühen Phasen am Theater wirklich. Da fühlte ich mich völlig bestätigt. Ich denke halt so, ich sehe es halt so, liebe Welt, komm mit mir klar.

Sie machen auf mich nicht den Eindruck, als hätten sie mit der lieben Welt Probleme.

Es gibt schon Probleme mit der lieben Welt! Deswegen habe ich auch nie die ganz große Karriere gemacht. Aber ich versuche einfach Menschen zu überzeugen, dass so, wie ich ticke, das ganz einfach spannend sein kann, mit mir Theater zu machen. Und das ist besser, als wenn ich in irgendwelchen Institutionen sitzen würde. Da wäre ich vielleicht gefährlich.

Sie beschäftigen sich mit einer Mischform des Theaters in der sowohl Puppen als auch Menschen zum Einsatz kommen. Reizt Sie das ganz besonders?

Ja, das wird man hier auch noch einmal sehen. Mich reizt so etwas wie eine Buffon-Technik. Buffone sind eigentlich die Hüter der Geschichte. Sie sind nur angetreten, um diese Geschichte in der Welt zu lassen. Und man kann sie nur in der Welt lassen, wenn man sie spielt. Das Papier zerfällt, alles zerfällt und irgendwann kann man auch die digitalen Sachen nicht mehr lesen. Man muss sie spielen und wie die guten, alten Nomadengeschichten weitertragen. Jede Geschichte verändert sich durch denjenigen, der sie erzählt, aber auch durch die Zeit, aus der heraus sie erzählt wird. Mein Standort ist hier, im Jetzt, 2015. Ich weiß nicht, wie ich sie vor 100, 30 oder auch letztes Jahr erzählt hätte. Ich kann es nur von heute heraus erzählen und hoffe, dass es jemand anderer dann weiterträgt und von seiner Welt heraus erzählt. Für dieses Erzählen brauche ich diese Mittler, diese Hüter der Geschichte. Das sind natürlich keine Wissenschaftler, sondern auch die saugen sich raus, was für sie wichtig ist.

Wie kann man sich Ihre Regiearbeit vorstellen in Zusammenarbeit mit den Jungen?

Ich beginne immer mit Durchläufen. Wir spielen alles durch, komplett, bis zum Umfallen. Manchmal zum Beispiel für Dreijährige, ganz runtergefahren, um zu sehen, wer hier böse und gut ist. Manchmal machen wir es als nordkoreanische Oper, von der wir alle keine Ahnung haben, was aber besonders toll ist, weil da plötzlich Formen kommen, an die man überhaupt nicht denkt. Man kann den Durchlauf als Mafia-Film machen – wir gehen immer wieder ganz unterschiedlich mit dem Thema um, umspülen es, immer mehr, immer mehr, bis sich herauskristallisiert was uns wichtig ist. Das ist wie ein Sieb, das am Anfang grob ist und bei dem viel durchfällt. Das nächste Sieb ist feiner und irgendwann ist es dünn und es bleiben die wichtigen Fäden drin. Dann gucken wir auf den Text, was im Text für junges Publikum das transportiert, was wir wollen. Wir schauen, wo wir unseren Mund selber aufmachen müssen, wo wir witzigen Nummern haben müssen, um Niedriges und Erhabenes nebeneinander zu haben, damit das Erhabene ein bisschen höher steigt und das Niedrige so richtig schön auf den Boden klatscht. Da geht es darum, einen Unterhaltungswert anzubieten. Irgendwo hinzukommen und eine wissenschaftliche Abhandlung geboten zu bekommen, das ist es nicht. Nein, das Publikum soll Spaß dran haben, Lust und eine Erkenntnis. Und ein Erkenntnisgewinn geht natürlich über einen lustvollen Zugang leichter als über eine Hirnmaschinerie. Ich mache dann die Auswahl und es bleibt bei mir zu sagen: Das bleibt drin. Das häufigste Wort in dieser Phase ist „nein“. Ich bin da ziemlich hart im Aussortieren. Dann fügt es sich, dass die Geschichte anhand von Bildern, anhand von kleinen Geschichten und großen Fäden erzählt wird. Irgendwann schmilzt anhand der vielen gemeinsamen Proben auf der Bühne so etwas wie eine Bande zusammen. Es probt ja nie jemand alleine, wir sind immer alle da. Aber die Auswahl, wie man was setzt, das hat schon mit meinem Blick zu tun.

Konkret, was nun das Stück „Die Räuber“ betrifft – was war hier ihr Eingreifen?

Ich hab zum Beispiel für die Bügelbretter am Anfang gesorgt. Die sehen einfach gut aus, wenn die so rumstehen. Aber wir behaupten dann in dem Stück einfach, dass sie den alten Frauen unterm Bügeln von den Räubern gestohlen wurden. Wir hatten ganz zu Beginn die Idee, dass das, was wir hier sehen, so etwas wie ein explodiertes Kinderzimmer ist. Daher auch die verschiedenen Figuren. Dann auch die Hybride, die hier zu sehen sind. Wie jener bei dem Beine ohne Haare zu sehen sind, richtig pubertär schon, der Rest ist aber noch Teddykörper. Oder andere Figuren bei denen man sieht, dass da gerade etwas passiert aber man kann`s noch nicht greifen. Es ist aber etwas im Umbruch aber irgendwie möchte man doch noch den großen Kuschelbären. Franz und Karl sehen in ihren Masken auch ganz verwachsen aus. Maske, Material und Zeichenhaftigkeit interessieren mich sehr. Und dann auch das Thema der Aufmerksamkeit. Ich gebe den Bügelbrettern eine bestimmte Aufmerksamkeit. Meine Aufmerksamkeit ist vielleicht das Wertvollste was ich besitze. Dadurch, dass ich einem Objekt meine Aufmerksamkeit gebe und einen Raum und einen Rahmen dazu schaffe, bekommt es eine besondere Wertigkeit. Wie diese alten Bügelbretter, die wir in einem ganz alten Lager gefunden haben und die einmal in den 50er Jahren in einem großen Bügel-Kombinat im Einsatz waren. Wir brauchen nicht immer etwas Neues, es ist ja alles da, wir müssen es nur sehen.

In Ihren Stücken ist nicht nur aufgrund des Kasperls oder Buffons immer ein historischer Bezug spürbar.

Ja, die Geschichten wandeln sich natürlich, aber wenn wir sie verlieren, dann wird es schwierig. Das Theater ist ein wunderschönes Medium mit dem man sie mitnimmt. Vielleicht gibt es nur sieben große Geschichten auf dieser Erde, in tausenden von Variationen. Aber diese großen Geschichten müssen wir immer wieder mittragen. Das ist für mich der Atem des Theaters. Wenn das Theater diesen Atem verliert und nur noch einen modischen Zeitausschnitt, ein gekästeltes „Jetzt“ wiedergibt, dann ist mir das zu wenig. Zuwenig für dieses großartige Ereignis „Theater“, das Generationen von Menschen nicht losgelassen hat. Es ist mir zu wenig, es nur nach einem Marktwert zu bewerten und als Event zu benutzen. Es ist kein Event! Unterhaltung ja, aber kein Event.

Hatten Sie schon von jungen Menschen Rückmeldungen, nachdem diese Ihre Stücke gesehen hatten?

Ja, ich hatte eine Rückmeldung von einer jungen Frau, die hat inzwischen schon fertig studiert, die sagte: „Als ich Ihren Lear gesehen habe, habe ich aufgehört, Sprachwissenschaften zu studieren und angefangen mit Puppentheater.“ Mit Christine Müller, so ist ihr Name, habe ich dann den Tell gemacht. Ja, solche Rückmeldungen gibt es mehrere, das freut mich natürlich sehr.

Ihre Stücke haben viele Ebenen, bieten etwas für die Kleinen, aber auch für die Erwachsenen an.

Ja, das ist eines meiner Hauptanliegen. Ich bin gegen die Ghettoisierung von Theater. Ich mag „Kindertheater“ nicht, weil man dabei denkt, dass man speziell für die kleinen Kinder Theater machen muss. Quatsch. Man muss für alle Theater machen. Man muss für die Familie Theater machen, damit man gemeinsam dahingehen kann. Es gibt keine Kinderwelt. Wir leben alle in einer Welt. Das regt mich immer so auf! Martin Linzer, der leider kürzlich verstorbene, sehr, sehr tolle Kritiker von „Theater der Zeit“ hat einmal geschrieben: „Das ist perfektes Kindertheater für Erwachsene“. Das ist das, was mir wirklich am Herzen liegt. Früher ging man mit allen ins Theater. Ich ging mit meinen Eltern in irgendwelche Opern von denen ich nichts verstanden hab außer dass es toll war, dass es tolle Musik war. Und ich erinnere mich, dass meine Mutter draußen immer die Schuhe gewechselt hat, weil sie sagte, in so einen Tempel kann sie nicht mit Straßenschuhen gehen. Diese Achtung vor dem Theater war super. Wir sind uns da heute gar nicht bewusst, was wir da von unseren Altvorderen so mitbekommen haben. Sie haben uns etwas hinterlassen, das wir einfach schnöde als „alt“ abtun. Alt im Sinne von: Das ist nicht mehr hip, nicht mehr in. Aber das Theater ist einer der wenigen Räume in denen man gemeinsam eineinhalb Stunden lang etwas erleben kann. Man darf nicht rumzappen, darf nichts machen, man muss sich einlassen auf die Ideen, die da vorne so eine Handvoll Leute haben. Das ist subversiv. Ich halte Theater in dieser Zeit für einen subversiven Raum. Wenn das mehr Künstler kapieren würden, dann würde das auch für das Publikum wieder spannender werden. Theater ist Sinnbild und nicht Abbild von Realität.

Sie haben für das Theater, das Sie in Frankfurt an der Oder gründeten den Namen „Theater des Lachens“ gewählt. Wie kam es dazu?

Die Stadt lag ja an der willkürlich gezogenen Grenze zu Polen. Da gab es keinen Austausch, überhaupt nicht. Kein gemeinsames Wachsen wie zum Beispiel im Saarland. Und wir haben uns dann gedacht, was ist das Geringste, was uns dennoch miteinander verbindet. Und das ist das Lachen. Das hat am Anfang sehr, sehr gut funktioniert. Da saßen auch polnische Kinder drin, die sich gekringelt haben. Genau das wollten wir. Lachen ist nicht nur das Verbindende, sondern Lachen hat auch noch etwas Anderes. Wenn man lacht, kann man nichts Anderes machen. Wenn man richtig lacht, ist der Körper geteilt. Das Zwerchfell hat uns im Griff. Man kann nicht laufen, man kann nicht an was Anderes denken. Man steht da, ist wie ein Krüppelchen, kann keinen Schritt machen. Ich finde das super. Das ist eine Auszeit des Hirns. Wenn man über etwas lachen kann, dann kann man es auch verarbeiten und damit umgehen. Und das finde ich etwas Grandioses.

Eine Abschlussfrage.
Warum sollen Menschen denn ins Theater gehen?

Weil es der spannendste Ort außerhalb ihrer Realität ist, eine eigene Realität zu erleben.

Keine Angst vor Kitsch

Keine Angst vor Kitsch

Interview mit Simon Mayer nach seinem Auftritt im Brut mit „Sons of Sissy“

Wart ihr überrascht, dass das neue Stück beim Publikum so gut angekommen ist?

Es hat einen Tag vor der Premiere einen Moment gegeben, da hab ich gewusst: Jetzt wird`s. Dass wir dann bei der Premiere 6 Mal für den Applaus rauskommen mussten, damit hab ich nicht gerechnet.

Es sind ja nicht alle, die mitgemacht haben, ausgebildete Tänzer.

Nein, Matteo Haitzmann ist Volksmusiker, macht auch Experimentelles und studiert seit diesem Jahr an der Bildenden „Performancekunst“. Mit Patrick Redl und Manuel Wagner war ich schon in der Ballettschule beim Staatsopernballett. Sie sind beide, wie ich auch, Musikanten. Wir unterscheiden aber mittlerweile klar zwischen den professionellen Musikern, die das auch studiert haben, und uns Musikanten.

Was war der Ausgangspunkt für die Produktion?

Das, was wir als Basismaterial hernehmen, ist nichts Volkstümliches, sondern es ist Volkstanz und Volksmusik. Für Mattheo käme es einer Rufschädigung gleich wenn man sagen würde, dass er volkstümliche Musik macht. Das ist ja etwas anderes.

Im Stück kam viel von der Instrumentalisierung der Volksmusik und des Volkstanzes durch die Nazis durch.

Ja, das stimmt, das war auch unsere Intention. Als Werkzeug, damit die Transformation zustande kommt vom Basismaterial über das kurzfristige Entfremden und dann Lösen von dem Altballast, nehme ich das Ritual her. Gewisse energetische oder spirituelle Werkzeuge, um dies auf einer tieferen Ebene zu lösen. Es ist vergleichbar mit einer Person, die zum Energetiker geht. In dem Fall tragen wir den Volkstanz quasi zum Energetiker und bringen das Anliegen vor: „Ich bin der Volkstanz oder die Volksmusik, kannst du mir nicht helfen, mit ein paar Prozessen einiges zu lösen? Etwas lösen, was ich in der Vergangenheit an Traumen durchgemacht habe.“ Es gibt im Volkstanz und in der Volksmusik so viele schöne Elemente, die den Leuten so viel Freude machen und auch heilend sind. Je mehr man in die Geschichte des Volkstanzes zurückgeht, umso mehr kommt von der rituellen Idee und der heilsamen Aspekte zum Vorschein.

Wolltet ihr durch das Stück den Volkstanz in einen anderen Status überführen?

 (Foto: Anna Hein)

(Foto: Anna Hein)

Ja, aber wir sind im Moment noch nicht ganz dort. Wir sind noch am Austesten, auf der Bühne haben wir noch nicht die Freiheit, die wir dazu auch brauchen. Jetzt schauen wir zum Beispiel gerade darauf, welches Publikum lacht wann. In Wien lacht man mehr, in Zürich zum Beispiel weniger. Jetzt war einmal Premiere, Zürich, Mannheim und Dornbirn folgen schon fix.

Das Thema ist ja eines, das auf den deutschsprachigen Raum zutrifft. Würde das auch in anderen Ländern vom Verstehen her funktionieren?

Mittlerweile weiß ich, dass es auch dort funktioniert. SunBengSitting, das Stück davor, in dem es um eine ähnliche Thematik geht, war schon in Europa auf Tournee. Ich hab total gute und interessante Reaktionen darauf gehabt. Egal ob in Norwegen, Deutschland oder Slowenien. Überall gibt es Bilder, die die Leute im Kopf haben. Auch wenn es nur die Referenz von „sound of music“ ist. Je nachdem mit welcher Referenz man an das Stück geht, liest man es anders. Mit „sound of music“ liest man es anders als wenn man sagen kann: Ja, ich kenne die ganze Nazivergangenheit. Aber auch „sound of music“ gehört einmal aufgelöst. Ich habe den Film jetzt vor ein paar Wochen einmal gesehen und mir gedacht: Ja, eigentlich ist das eine ähnliche Transformation. Auch da ist die Nazigeschichte drinnen und es ist Kitsch. Aber ich denke mir: Keine Angst vor Kitsch!

Was ist deine Hauptmotivation, dass du immer wieder auf das Thema Heimat und Volkstanz und Volksmusik zurückkommst?

Antwort hier hören:

 

Ihr werdet dann in einigen Passagen auch frei, geht weg vom herkömmlichen Formenkanon.

Ja, das mag vielleicht auch aussehen als würden wir uns über den Volkstanz lustig machen. Aber das macht der Volkstanz an sich ja auch schon. In der Volkstanzgruppe erfinden wir immer wieder neue Formen in denen wir uns auch über andere Tänze lustig machen. Interessant ist ja auch, dass es Elemente gibt wie zum Beispiel einen Sprung, den hab ich bei Ultima Vez gesehen. Und dann komm ich in die Volkstanzgruppe und dort machen die den gleichen Sprung. Das finde ich sehr interessant. Ich höre auch immer wieder, dass wir uns über Volkstanz lustig machen würden, aber nicht von den Kollegen aus der Volkstanzgruppe selbst. Als sie bei der letzten Produktion zugeschaut haben, haben sie gesagt: Wow, so haben wir das ja eigentlich noch gar nie gesehen. Und das freut mich total, denn das ist genau das, was ich will. Etwas von einer anderen Perspektive aus auch zu hinterfragen. Viele von ihnen wissen auch gar nicht, dass das auch mit der Nazivergangenheit was zu tun hat.

Ist die Zeit für eine Aufarbeitung ideal oder notwendig?

Ja, mir kommt vor, dass nun endlich einmal der Abstand zu der Zeit da ist. Es kommen viele junge Volksmusikgruppen die schöne Musik machen und das nicht mit allem möglichem anderen vermischen. Genauso ist es mit dem Volkstanzen. Das interessiert wieder mehr Leute. Es gibt einen „organic dancefloor“ in Wien, die solche Sachen machen. Die jüngere Generation kann das jetzt aus einem anderen Blickwinkel sehen. Es so nehmen, wie es vielleicht ursprünglich auch gemeint war. Dass es aus einer gewissen Lebensfreude heraus gemacht wird. Für mich hat es auf einer tieferen Ebene auch eine total heilsame Wirkung. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde vieles vom Tanz niedergeschrieben und die Leute haben das dann gelernt. Das wird dann irgendwann einmal problematisch, weil es dann nur mehr um die Form geht. Dann gibt es auf einmal Schuhplattelwettbewerbe, die nennen sich dann sogar Gaupreisplatteln.

Wie definierst du den Begriff von Heimat?

Im Sinne von zu sich selbst kommen, aber eher ritual- und meditationsbezogen. Grad wenn man viel unterwegs ist, muss man die Heimat in sich finden und nicht woanders.

Simon Mayer tanzt SunBengSitting

Simon Mayer „SunBengSitting“ (Foto: Anna Hein)

Das Thema des Nackt-Tanzens beschäftigt dich ja auch immer.

Ja, vor allem dann, wenn es um Uniformität geht. Einerseits sind wir dabei uniform und gehen in etwas Militärisches hinein, andererseits sind vier nackte Körper auch wieder individuell. Jeder hat seinen eigenen Körperbau, seine eigene Physis. Es ist nicht nur das Befreien von den Trachten und der Altlast, sondern auch das Befreien von gewissen Bildern, die man um das Thema hat.

Gibt es schon Pläne für ein neues Stück?

Ja, ich möchte gern mit dem Material aus SunBengSitting und Sons of Sissy etwas für viele Leute machen. Für eine große Gruppe. Eine Art Volkstanzmassenritual. Und dann gibt es noch Ideen, aber nichts Konkretes für ein- oder zwei Bühnenstücke.

Zeitgenössischer Tanz, das klingt so hochtrabend!

Zeitgenössischer Tanz, das klingt so hochtrabend!

Interview mit Yvonne Birghan van Kruyssen,  Intendantin des Festival Szene Bunte Wähne

Wie lange sind Sie schon beim Festival Szene Bunte Wähne?

Seit Jänner 2012.

Das ist jetzt Ihre dritte Saison die Sie programmiert haben. Wird das Tanzfestival Szene bunte Wähne außer in Wien noch an einem anderen Ort gezeigt?

Nein, das ist wirklich nur für Wien. Unseren Hauptsitzt haben wir in Horn im Waldviertel und machen dort unsere Arbeit. Wir machen dort Projekte an Schulen, Vermittlungsprogramme und haben jährlich ein Art performing Programm. Begründet wurde dies vor nun schon 25 Jahren durch Stephan Rabl. Der großartige Gedanke dahinter war dass man internationales Theater für junges Publikum für das Landpublikum zugänglich macht. Für die Kinder und Jugend vor Ort. Dass man eben nicht nur einmal im Jahr nach Wien fährt, um ins Theater der Jugend zu gehen, sondern dass man wirklich das Angebot vor Ort nutzen kann. Ich komme ja aus Deutschland und ich muss sagen, ein Festival für zeitgenössischen Tanz in dieser Art ist ja wirklich irre. In Deutschland fängt man damit gerade jetzt erst an. Wir sind dort sehr gut vernetzt. Wir machen zum Beispiel jetzt Projekte mit dem Fußballklub oder wir haben in der Region zwei Theaterschulen laufen. Dort geben wir Theaterunterricht und arbeiten wir mit Schülern. Wir arbeiten mit dem Niederösterreichischen Architekturverband.

Ihr Tanzfestival hat ja jedes Jahr ein eigenes, übergeordnetes Thema.

Genau, dieses Mal ist es ja der „Traum vom Fliegen“. Im letzten Jahr war es „Das Meer in mir“, im nächsten Jahr werden es „Grenzgebiete“ sein. Wir befinden uns in Horn ja an der Grenze. Und Tanz als Kunstform ist ja auch eine Art Grenzgebiet. Das möchten wir gerne öffnen und immer wieder neu hinterfragen. Im Sommer haben wir eine Märchenakademie. Da werden Kinder Märchen erforschen, die auch zu diesem Thema bearbeitet werden.

Sind Sie selbst viel unterwegs, um sich viel anzusehen, oder kommt vieles auch auf Sie zu, weil das Festival ja bekannt ist.

Es gibt viele Gruppen die ich aus meiner früheren Arbeit kenne und die ich auch begleite. Da schaue ich, was es Neues gibt, was ist interessant bei ihnen, wie entwickeln sich die Gruppen. Aber ich schaue auch viel, fahre viel zu Premieren und schaue, was in verschiedenen Ländern gerade aktuell ist. Aber ich bekomme auch viel zugeschickt und dann fahre ich auch los und schaue mir das eine oder andere an, wenn es mich interessiert.

Sie sind schon eine ganze Zeit in diesem Metier tätig, waren es ja auch schon vor dem Festival. Haben sich die Inhalte der Aufführungen in den letzten Jahren verändert?

Es gibt immer aktuell politische Geschichten, die werden auch immer wieder neu bearbeitet oder mit neuen Gesichtsweisen versehen. Ich bin seit 15 Jahren im Kinder- und Jugendtheater und kann sagen, dass sich der zeitgenössische Tanz rasant weiterentwickelt. Das ist schön zu sehen, dass das auch hier in Österreich so ist. Wir können hier auf dem Tanzfestival fünf österreichische Produktionen präsentieren, insgesamt sind es 12. Dasselbe machen wir dann im Herbst genauso. Wir geben internationalen Gästen einen Fokus auf die nationalen Produktionen und zeigen damit, wie sie sich entwickelt. Und sie entwickelt sich sehr gut. Auch nicht zuletzt durch das Haus hier, an dem viel an Grundarbeit geleistet wird. Auch was Herr Rabl mit seinem eigenen Ensemble an zeitgenössischem Tanz hier entwickelt ist zeigens- und sehenswert.

Gibt es Unterschiede bei der Publikumsreaktion von Kindern und Jugendlichen was Tanz oder Theateraufführrungen betrifft?

Die Zugänge sind ähnlich offen. Man hat ja so eine Angst vor zeitgenössischem Tanz, das klingt schon so hochtrabend. Aber dieses Grundbedürfnis eines Kindes sich zu bewegen und die Bewegung zu sehen wie die Bewegung wieder zurückkommt, das ist einfach da. Ich glaube, dass wir daran arbeiten müssen, den Erwachsenen die Angst davor nehmen müssen in eine Tanzvorstellung zu gehen. Das ist bei Familienvorstellungen oder Vorstellungen für ganz Kleine gar nicht so das Problem. Aber wenn wir so ab 9+ denken, dann wird`s schon schwierig.

Die Entscheidungsträger, ob sie gehen oder nicht sind ja die Erwachsenen.

Genau. Bei den Kleinkindern ist das noch etwas anderes. Da geht man viel schneller als bei den Größeren. Das heißt dann, das interessiert die gar nicht, aber das stimmt nicht. Wir haben das gesehen bei „Nicht zu stoppen“ – das hat sie voll interessiert. Was die Jungs da auf der Bühne gemacht haben war so rasant. Das nehmen die dann auch so auf und zwar pur. Auch weil das ein Teil ihres Bewegungsalltags ist. Das wird oft unterschätzt.

Haben Sie auch direkte Rückmeldungen von Kindern oder Jugendlichen, die nach einer Vorstellung Lust bekommen haben auch so etwas zu machen?

Unsere Tanzvermittler kommen auch aus Tanzschulen oder Institutionen, die sich mit Tanz befassen. Die gehen ja direkt in die Schulen. Ja, es gibt diesen Zulauf, aber wie lange das dann anhält, ist etwas anderes.

Wechselt die Szene von den Choreografinnen und Choreografen sehr schnell oder gibt es einen Kern, der sich immer wieder mit Kinder- und Jugendtanz beschäftigt?

Es gibt tatsächlich welche, die sich nur damit befassen, aber es kommen auch immer wieder neue nach. Natürlich hat man auch immer Gruppen, die man immer wieder einlädt, weil sie so gut sind mit jungem Publikum und sich auch trauen, mit ihm etwas zu machen. So wie zum Beispiel die Eröffnungsproduktion „Tramway, Trott und Tiefkühlfisch“ von Nevski Prospekt mit Yves Duil??, der ja einen großen Namen hat in der Szene für junges Publikum. Und es ist immer wieder schön zu sehen, in welchen Konstellationen sie neue Sachen erarbeiten. Es war sehr schwer zu verkaufen. Denn war wir als Erwachsene kennen, diesen Trott, den wir jeden Tag immer wieder aufs Selbe erleben, projizieren wir ja eigentlich immer nur auf uns. Die Kids haben aber auch dasselbe Problem. Und die hatten so einen krassen Zugang zu diesem Stück, das war unglaublich. Wie sie sich gefreut haben, als plötzlich so ein Störelement in diesen Alltagstrott kam. Aber dadurch dass wir ja an zwei Schulen arbeiten, erfahren wir auch von den Kindern, die ihren Tagesablauf erzählen, der immer wieder derselbe ist und dass sie sich total freuen, wenn sie bei uns sind und mit uns spielen. Da merkt man dann auch, wenn die in gewisser Weise manchmal austicken. Weil es ihren Alltagsstress und Trott komplett durchkreuzt.

Ist es für Sie schwer, aus einer großen Fülle letztendlich nur eine kleine Schar an Produktionen zu präsentieren? Ich nehem an, dass der Hauptgrund ein budgetärer für die Auswahl ist.

Ja, in erster Linie ist das eine finanzielle Geschichte und: Ja, es ist schwierig. Man muss ja manches Mal auch „bedienen“. Man kann ja auch nicht sagen: Ich bringe jetzt nur das Beste vom Besten, das wäre natürlich großartig. Es ist zwar alles gut, was wir zeigen, dass ist ja nicht die Frage. Aber ich muss auch schauen, dass sich Produktionen für Altersgruppen, die einfach kommen, auch gut verkaufen lassen. Da muss ich auch manches Mal einen Kompromiss eingehen.

Welche Altersgruppe ist bei dem Festival am stärksten vertreten?

Das ist sehr gut aufgeteilt. Ich könnte aber viel mehr für die Allerkleinsten spielen. Das geht eigentlich automatisch. Damit hadere ich aber auch noch immer ein bisschen.

Warum?

Ein, zwei Produktionen finde ich in Ordnung. Aber ich möchte auch immer gerne Geschichten präsentieren und neue Formen zeigen. Wenn man zu viel für Kleine programmiert dann stimmt die Balance nicht mehr.

Gefällt Ihnen das Umfeld in dem Sie arbeiten, macht Ihnen das Spaß? Haben Sie für sich das gefunden, was Sie gerne machen?

Ja, voll! Das war mein Traum und ist mein Traum.

Wünschen Sie sich etwas für die nächste Zukunft?

Dass wir weiter arbeiten können und dass wir uns entwickeln können. Manchmal wünsche ich mir ein bisschen mehr Zeit. Wir sind drei Leute und wir drei wuchten die gesamte Geschichte. Diese zwei Festivals im Jahr plus unsere Projekte und Produktionen. Wir selbst produzieren nicht, aber wie co-produzieren . Wie zum Beispiel vor zwei Jahren mit einer holländischen Tanzkompanie und einer Berliner Theaterkompanie. (roses???), die wir im letzten Jahr gespielt haben. Und damit haben wir viel in Bewegung gesetzt, was zeitgenössischen Tanz für Kinder und Jugendliche in Deutschland betrifft. Wir haben auch Preise gewonnen usw. weil es eine besondere Form der Zusammenarbeit war und eine spezielle Form der Präsentation. Das ist wirklich viel. Wir haben im Mai eine große Produktion und im Juni eine große Produktion, alles mit Schülern. Das ist dann schon irgendwann ein wenig „fffhui“. Dann haben wir das große Festival im Waldviertel. Wir werden ja 25 Jahre alt. Da gibt es Feiern und viele Extra-Geschichten.

Wie sieht es denn mit der Finanzierung aus? Ist die stabil? Brauchen Sie mehr oder sagen Sie wir sind froh, dass wir das haben.

Wir mussten einen neuen Antrag stellen und haben eine Vierjahresförderung, die niedriger ist als vorher, aber ich bin sehr froh, dass wir sie bekommen haben. Es ist nicht viel, finde ich, für das, was ich eigentlich auferlegt leisten soll, weil die Häuser in denen wir spielen ja auch bezahlt werden wollen. Wir spielen ja auch hier nicht frei, sondern wir müssen das hier alles frei finanzieren. Ein bisschen mehr wäre schon schön? 2017 läuft die Förderung aus. Meine erste Amtshandlung war, den Antrag zu schreiben. Aber wir haben das Geld dann bekommen. Ich musste mich entscheiden, ob ich mit der Reduzierung auskomme oder mit der Unsicherheit, dass ich jedes Jahr neu beantragen muss. Ich habe mich für die Sicherheit der vier Jahre entschieden. Wir sind heuer in der großartigen Situation, dass uns drei Botschaften unterstützen. Das gab es bisher noch nicht. Das ist das erste Mal, dass auch die Botschaften an uns herangetreten sind.

Welche Botschaften sind das?

Luxemburg, die flämische und die holländische Repräsentanz. Ich habe selten so schöne Gespräche gehabt, das ist etwas ganz Seltenes. Und ich habe auch für das Herbstfestival Botschaften, die uns angerufen haben.

Woher kommt das Interesse von dieser Seite?

Wir hatten letztes Jahr im Herbst einen Dänemark-Schwerpunkt und die Dänische Botschaft war so begeistert, dass sie uns in diesem Jahr das selbe Geld noch einmal zur Verfügung stellen. Wir hatten eine tolle Eröffnung, den Menschen hat es voll getaugt. Es waren so viele Leute aus dem Waldviertel da.

Wie geht´s Ihnen persönlich im Waldviertel?

Sehr gut! Ich liebe es.

Ist Ihnen dort nicht zu viel Wald und zu viel Viertel?

Am Anfang schon. Ich bin ja direkt aus Berlin nach Horn gezogen. Die erste Woche war ein bisschen schwierig, die zweite auch noch, weil es  dort so ruhig ist, dass ich gar nicht schlafen konnte. Dann habe ich aber einfach tolle Menschen kennengelernt. Und ich bin dort jetzt ein Teil der Stadt. Das ist einfach ein ganz, ganz tolles Gefühl. Ich habe das gerade erlebt, dass jemand zu mir gesagt hat: Du, wir haben Dir das noch nicht gesagt, aber Du gehörst zu uns. Das ist etwas ganz Schönes, weil man weiß, dass man etwas in den drei Jahren richtig gemacht hat.

Das heißt, sie haben auch vor, zu bleiben.

Ja, auf jeden Fall. Ich bleibe da.

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