Jetzt verlassen wir die Gitterbett-Atmosphäre der Schule

Jetzt verlassen wir die Gitterbett-Atmosphäre der Schule

Der Abschlussjahrgang der Studienrichtung Schauspiel der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien zeigt sein Können im TAG. „Empört euch, ihr Krähwinkler!“ ist eine Gernot Plass-Umschreibung der Komödie „Freiheit in Krähwinkel“ von Johann Nestroy. Plass ließ es sich nicht nehmen, das Stück mit dem Schauspielnachwuchs auch selbst in Szene zu setzen. Als ehemaliger Absolvent der Hochschule hat er sich mit dieser Inszenierung viel vorgenommen. Denn es stehen insgesamt 12 Personen auf der Bühne. „So viel, wie noch nie in einer meiner Produktionen“, wie der Leiter des TAG konstatierte.

Stefanie Darnesa, die in die Rolle des Bürgermeisters schlüpft und Stanislaus Dick, der den Ultra spielt, erzählten kurz vor der Premiere ein wenig über die Zusammenarbeit mit dem TAG, aber auch über ihre Pläne und Hoffnungen.

StefanieDarnesa_c_WilliKubica

Stefanie Darnesa c) Willi Kubica

Das gemeinsame Arbeiten mit Gernot Plass fanden die jungen Leute toll. „Ich fand es spannend, welche Welt er in dem Stück erschaffen hat“, meinte Stefanie Darnesa, “dass in Europa der Kommunismus herrscht und ich das noch bestehende System, den Kapitalismus darstelle. Aber ich habe auch viel nachgelesen und recherchiert. Denn man muss sich schon mit den Dingen auseinandersetzen, um zu verstehen, was da gerade passiert. Die Stücke von Gernot Plass sind so angelegt, dass man sich freut, wenn man etwas wieder erkennt, aber ich glaube, dass es unmöglich ist, als Zuschauer alles auf einmal zu verstehen, was in dem Stück drin ist.“

In der Überschrift „Empört euch, ihr Krähwinkler“, hat Plass auch Stephane Hessel mit seinem Welterfolg zitiert. „Ja, den habe ich gelesen, als er herausgekommen ist und das hat mich und mein Umfeld natürlich beeinflusst“, ergänzt Stanislaus Dick.

Auf die Frage, ob sie in ihrem Beruf politische Einflussnahme ausüben werden können oder ob sie das eventuell den Regisseurinnen und Regisseuren alleine überlassen, kommen sehr reflektierte Antworten.

Darnesa findet es sehr wichtig, dass man mit dem Theater auch etwas sagen will und dass man daran glaubt, dass Theater mehr bewirken kann als die Leute einfach nur zu unterhalten, und weiter: „Was mich, wenn ich ins Theater gehe überhaupt nicht interessiert ist, wenn da Leute oben stehen, die feiern, wie toll sie spielen. Ich will, dass mir was erzählt wird, und wenn es eine politische Relevanz hat, dann auch das.“

Stanislaus Dick (c) Willi Kubica

Stanislaus Dick (c) Willi Kubica

Für Dick ist der Theaterbegriff an sich nicht der, der Unterhaltung, sondern einer, der in Beziehung zu Aktuellem oder zu Grundsätzlichem steht. „Das ist das, was mich am Theater immer schon interessiert hat. Auch, dass man in jahrhundertealten Texten Themen findet, die noch immer sehr aktuell sind.“

Zur Zeit „post TAG“ befragt, erklärt Dick, wie das ehemalige „Kons“ versucht, seine Studierenden auf die Bretter der deutschsprachigen Theaterbühnen zu bringen.

„Unser Studium ist so aufgebaut, dass wir als Ensemble im vierten Jahr auf Intendantenvorsprechreise gehen. Das heißt, wir fahren durch den deutschsprachigen Theaterraum und stellen uns da als Ensemble vor. Das dient dazu, Kontakte zu knüpfen und gesehen zu werden. Einige von unserer Klasse haben schon ein Engagement, andere sind noch auf der Suche. Ich werde ab der nächsten Spielzeit fix im Ensemble in St. Pölten beginnen.“ Darnesa hingegen ist noch auf der Suche nach einer Anstellung.

Warum der Beruf faszinierend ist, wird ganz individuell ausgelegt.

„Ich finde es immer total spannend, verschiedene Welten zu erschaffen und die zu zeigen, auch, dass man Sachen machen darf, die man sonst nicht machen darf und ich wünsche mir, dass das Theater Leute auf ganz viele, verschiedene Arten bewegt. Was ich auch ganz wichtig finde, ist der Kontakt sowohl zu den Spielpartnern als auch zum Publikum. Wir haben einen Beruf, der das fordert und in dem man das auch darf.“ Darnesas Anworten kommen ungefiltert, schnell und wie aus der Pistole geschossen.

Stanislaus Dick: „Ich glaube, ich darf da ganz egoistisch an diese Frage herangehen. Ich erhoffe mir, dass ich damit glücklich werde, dass es mich in meiner Entwicklung bereichert und dass ich mich bestmöglich entfalten kann. Und das sind Fragen, die wir bis jetzt noch gar nicht richtig beantworten konnten. Wir sind in einer Umbruchphase und verlassen die Gitterbett-Atmosphäre der Schule nun tatsächlich für immer und werden jetzt in die harte Realität geschmissen. Ich glaube, dass wir da jetzt mit viel Neugier aber auch Contenance an die Sache herangehen müssen. Die Welt da draußen ist nicht unbedingt eine sehr leichte, vor allem in diesem Beruf. Und was ich mir noch erhoffe, ist Menschen zu berühren. Im Beruf des Schauspielers habe ich immer mehr gesehen als nur eine Marionette des Regisseurs zu sein, die gut sprechen kann. Mir geht es um die Aufgabe, Menschen aus ihrem Alltag in Geschichten hineinzubringen und zu verführen und ihnen gewisse Dinge näher zu bringen. Sei es das, was in einem Stück verhandelt wird, oder sei es das, was in einem selbst brennt. Das ist eine sehr wichtige Aufgabe, die, so glaube ich, kaum jemand in dieser Gesellschaft so erfüllt wie ein Schauspieler oder vielleicht noch ein Lehrer in einer Schule.“

Eine Woche vor der Premiere möchte ich noch gerne wissen, welche Hoffnungen sie mit der Aufführung im TAG verknüpfen: „Den Text können“ antwortet Dick prompt und Darnesa fügt nahtlos hinzu: „Es gibt eine hohe, sprachliche Virtuosität in dem Stück und wir müssen daran arbeiten, dass es einfach läuft. Meine Hoffnung ist, dass es von vorne bis hinten eine runde Sache wird und auch wenn man etwas verpatzt, am Ende die Leute rausgehen und davon nichts gemerkt haben.“

„Das Stück, so wie es geschrieben und aufgebaut ist, ist sehr ungewöhnlich für den normalen Theaterbesucher. Zu irritieren, die Leute auch zu inspirieren aber sie auch wirklich zu erreichen, das ist meine große Hoffnung. Dass wir uns nicht in der Form verlieren, sondern dass diese auch aufgeht und überlebt.“ Dicks Antworten sind – sehr erstaunlich für jemanden, der gerade mit dem Studium am Fertigwerden ist – druckreif.

Stefanie_Darnesa_und_Stanislaus_Dick (c) European Cultural News

Stefanie_Darnesa_und_Stanislaus_Dick (c) European Cultural News

Lampenfieber konnten die beiden nicht ganz ausschließen, denn zwar hat sich in den vier Ausbildungsjahren schon eine gewisse Routine eingeschlichen, die aber bei dieser speziellen Produktion nicht zum Tragen kommt. Vielmehr freuen sie sich auf die Vorstellung. „Das ist immer ein gutes Zeichen für eine Premiere“, so Dick und „mit jedem Durchlauf freuen wir uns mehr, dass es jetzt endlich losgeht und wir das Stück vor Publikum spielen dürfen!“, das letzte Wort hatte in diesem Interview die Dame.

Sich selber bierernst nehmen, das tut niemandem gut.

Sich selber bierernst nehmen, das tut niemandem gut.

Die schallundrauch agency – Kompliment für den tollen Namen! – gibt es in Wien seit 2003. Gegründet wurde sie von Janina Sollmann und Gabriele Wappel, mit der wir ein Gespräch führten. Im Schnitt werden pro Jahr ein bis zwei Produktionen erarbeitet. Zu Beginn war es ein Zwei-Frauen-Unternehmen, in dem Sollmann und Wappel alleine für alles zuständig waren. „Vom Bühnenbild bis zum Kostümeinkauf bei Humana.“ Silvia Auer, die jetzt für Licht und Bühne zuständig ist, kam relativ rasch dazu. Das Team sucht für jede Produktion ein neues Thema, das dann intensiv erarbeitet wird. Die Bandbreite der Themen dabei ist groß. Zwar werden hauptsächlich Stücke für junges Publikum erarbeitet, der Komplex „Sexualität“ wurde aber auch mit einer „Blümchen-Sex-Performance“ im öffentlichen Raum begleitet, die dem erwachsenen Publikum viel Spaß bereitete und mit einem Picknick im Prater endete. Dann wieder waren Wappel und Sollmann „mietbare Engel aus dem Sonderangebot“ oder organisierten eine Publikums- Pyjama-Party, bei der sich „das tollste Publikum, das wir überhaupt je hatten“, für sein Pyjama-Outfit genierte.

Als Kind hatte Gabriele Wappel die Idee, für die Nachbarn Räder zu schlagen. „Die haben mir immer 10 Schilling dafür gegeben, da hab ich kleine Performances gemacht und mir damit mein Taschengeld aufgebessert.“ Auf die Frage, ob sie, die den Eindruck erweckt, ständig in Bewegung zu sein, denn ein unruhiger Geist sei, kommt eine prompte Antwort: „Ja, das war ich schon immer. Stillsitzen in einem Büro, wie ich es kurz einmal probierte, geht überhaupt nicht. Ich brauche das Konkrete und da ist der Tanz schon sehr gut dafür. Mann muss dabei hundertprozentig bei sich sein.“

Schon während ihres Studiums „Pädagogik für zeitgenössischen Tanz“, war ihr klar, dass sie auch selbst aktiv sein wollte. Selbst tanzen, kreativ sein, „etwas erfinden“, wie sie sich ausdrückte. Maßgeblich beeinflusste sie auch der australische Performer Andrew Morrish, der alle seine Perfomances ad hoc vor dem Publikum improvisiert. „Morrish erzählt etwas und bewegt sich dazu und fesselt einen von Anfang bis zum Schluss. Das hat mich enorm beeindruckt.“ In einigen Workshops, die die junge Frau bei ihm belegte, konnte sie lernen, dass er die Menschen so brieft, dass sie Dinge machen, die für sie selbst interessant sind. Etwas, dass ihr bis heute nicht nur wichtig ist, sondern zum zentralen Thema ihrer Arbeit überhaupt wurde.

Die Ausgangsbasis zu einem Stück ist zwar eine Idee, aber wie diese umgesetzt wird, was sich daraus entwickelt, wird erst bei den Proben erarbeitet und letztlich festgelegt. Für das Stück „Gabi hat Glück“, griff Wappel auf ein persönliches Erlebnis zurück, einen Skiunfall, den sie als Jugendliche hatte. Zugleich war der Unfall die „größte Entdeckung“ ihres Lebens, wie sich im Arbeitsprozess herausstellte, denn damit verbunden, wurde ihr die Endlichkeit des Lebens bewusst. Eingepackt war das ernste Thema aber in ganz viel Spaß. Humor scheint eine der Haupteigenschaften des quirligen, schlanken Multitalents zu sein, das auf der Bühne das Publikum regelmäßig zu Lachstürmen hinreißt. „Sich selber bierenst nehmen, das tut niemandem gut!“, ist eine ihrer Maximen.

Im allerneuesten Stück, an dem Wappel gerade arbeitet, geht es um Sucht, Suche und Sehnsucht. „Etwas, das mich sehr interessiert, weil ich selbst lange geraucht habe“. Ohne Interesse und Dahinterstehen geht nichts, denn „wenn man selbst nicht dahintersteht, merkt das Publikum das sofort. Im Kinder- und Jugendbereich ist das noch viel stärker der Fall. Die Kinder und Jugendlichen merken sofort, wenn man ihnen etwas vorspielt und so tut, als wär` man auch jugendlich.“ Bei der Stückentwicklung selbst arbeitet die Crew mit sogenannten „Partnerklassen“ zusammen, geht in die Schulen bzw. Horte, redet mit den Schülerinnen und Schülern, macht Performances und Tanzworkshops mit ihnen. Danach werden die Kids eingeladen, zu einer offenen Probe zu kommen. Dadurch erhalten die Kreativen zu einem frühest möglichen Zeitpunkt schon Feedback. „Einmal hat uns eine Gruppe eine ganze Szene für ein Stück geschenkt, ein anderes Mal bekamen wir Textzeilen für ein Lied.“ In dieser Art formulieren aber nur die älteren Jugendlichen ihre Wünsche für ein Stück, bei den ganz Kleinen geht es darum, ihre Reaktionen einzuschätzen und damit zu interagieren. Vorschulkinder, noch nicht gesellschaftskonform verbildet, können einen aber schon einmal aus dem Tritt bringen. O-Ton Wappel: „Bei „Mim Zug“ singt Sebi (Anm: Sebastian Radon) sein Lied über das Zugfahren. Und da kam einmal ganz laut das Statement von einem Kind aus dem Publikum „Der singt ja lauter Blödsinn!“, in dem Moment denkt man dann: „Das ist jetzt alles nicht wahr!“ Für dieses Stück wurde die „Feldforschung“ bei einem Praterbesuch mit einer Fahrt mit der Lilliputbahn durchgeführt. Hätte das Team Außenstehende dabei informiert, dass ihr Prater-Treiben ein berufsbedingtes ist, hätte es wahrscheinlich nicht viele Menschen gegeben, die ihm das geglaubt hätten.

Wappel macht keinen großen Unterschied bei der Erarbeitung eines Stückes im Hinblick darauf, ob es für Erwachsene oder Jugendliche konzipiert ist. „Vielleicht, weil ich Kinder ernst nehme, aber auch, weil man natürlich die Erwachsenen auch immer mitdenkt. Sie kommen ja auch mit ins Stück. Aber ich glaube, wenn wir die Stücke nur für Erwachsene machen würden, wäre nur die Art des Erzählens vielleicht ein wenig anders. Sarkasmus zum Beispiel versteht man erst ab einem bestimmten Alter, zuvor nimmt man die Aussagen ja für bare Münze. Unsere Stücke sind aber tatsächlich für alle gedacht. Beginnend ab vier oder 10, ohne Limit dann nach oben.“

Der Dschungel Wien ist für die schallundrauch agency, so wie für viele andere freie Gruppen auch, so etwas wie eine Heimat. Wenn Geld keine Rolle spielen würde, dann hätte Wappel aber gerne einen Ort, an dem die Kinder und Jugendlichen die vielen Schichten des Theaters kennenlernen und damit auch arbeiten könnten. Vom Bühnenbild bis hin zu den Werkstätten würde sie alles öffnen. Und sie würde noch stärker mit den Jugendlichen zusammenarbeiten, was derzeit zwar möglich ist, aber aufgrund des Budgets eben immer nur mit einem kleinen Arbeitsfenster ausgestattet wird. Drehbühnen und richtig viele Darsteller, das wäre auch ein Wunschtraum der Theaterfrau. „100 Leute oder mehr, die alle rauchen, für einen Auftritt vor dem Dschungel, das wär was!“ Ein Flashmob würde da vielleicht ohne finanzielle Ausstattung Abhilfe schaffen.

Menschen, die schauspielern, haben oft ein sehr ausgeprägtes starkes Ego. Wie verhält sich eigentlich jenes von Gabriele Wappel?

„Ich hab` ein Ego, zu dem ich eine wechselhafte Beziehung hab, weil ich es manchmal mag und manches Mal weniger“, Wappel lacht über Ihre Aussage. „Aber ich glaube, dass man eigentlich der Sache dienen muss. Das ist nicht immer leicht, vor allem wenn man auf der Bühne etwas spielen muss, das einem nicht leicht fällt, oder wenn man von einer Seite beleuchtet wird, die einem nicht sympathisch ist. Wenn man aber über diese Grenze geht, dann wird´s für die Betrachtenden interessant. Wir machen in jedem Stück mindestens eine Sache, bei der wir uns nicht ganz sicher fühlen. Bei „Mim Zug“ fiel es uns nicht schwer, zum Beispiel mit dem Traktor zu fahren, aber Rollschuhfahren ohne Bremsen, davor hab` ich mich am Anfang schon gefürchtet und gedacht: na ja, ob sich das ausgehen wird? Und tatsächlich bin ich mir auch nicht sicher, ob sich das Bremsen bei jeder Vorstellung immer ausgeht. So etwas ist für mich aber immer wichtig. Oft ist das Nicht-Perfekte auch das Magische. Dazu zu stehen, etwas zu machen, das nicht perfekt ist, obwohl man den Anspruch dazu ja hat, finde ich wichtig. Man möchte ja immer, dass es toll klingt, man gut rüberkommt oder technisch gut tanzt. Aber das geht nicht immer. Dieses Dazustehen eröffnet, wenn man es zugibt, ein eigenes Spannungsfeld. Das Scheitern vor anderen ist für die Jugendlichen ein großes Thema. Aber eigentlich ist es illusionär, weil es niemandem gelingt. Bei Lehrern, Ärzten, Politikern gibt es den Anspruch der Unfehlbarkeit. Aber natürlich machen auch die Fehler. Fehler aber zuzugeben und zu sagen „da hab` ich nicht recht gehabt“, das gelingt aber nicht jedem. Das hat etwas mit seelischem Wachstum zu tun und nichts mit dem tatsächlichen Alter. Nicht nur Jugendliche, sondern auch viele Erwachsene haben damit ein Problem.“

Tatsächlich gab es auch ein Stück mit dem Titel „FLOP – a very bad and long performance“, in dem es übers Scheitern ging. „Dafür bauten wir einen Sündenbock, auf dem das Publikum seine größten Fehler schreiben konnte und der anschließend mit einem großen Ritual in die Wüste geschickt wurde. Dabei haben wir eine Unmenge Geschirr zerbrochen, denn wir versuchten, das am Kopf zu balancieren und gleichzeitig zu tanzen, was nicht möglich war.“

Die nächste Premiere „Giraffen summen“ ist ein Stück für Kinder ab 6 Monaten. „Wenn man klein ist, kommt einem die ganze Welt so groß wie Giraffen vor“, erklärt Wappel den Zugang der schallundrauch agency zu diesem Werk. „Kleine Kinder wollen immer hinauf zu den Großen, wollen hochgehoben werden. Das ist für mich eine Art Giraffensehnsucht.“ Bei dieser Veranstaltung bekommen die Babys nichts vorgespielt, sondern sie können sich selbst im Raum bewegen, herumkrabbeln. Es wird viel gesungen und gesummt. Eine Theatererfahrung, die auch für das Team selbst ganz neu ist, denn für so junges Publikum wurde noch nie gespielt. Janina Sollmann, die mit Gabriele Wappel gemeinsam die schallundrauch agency leitet, führt bei diesem Stück Regie, Wappel hat hier eine beratende Aufgabe und war gleich bei der allerersten Probe die Attraktion für die Kleinen. Vielmehr ihre mitgebrachte Banane, die den Performerinnen und Performern eindeutig die Show stahl. „Was lernt man daraus?, stellt die Performerin sich selbst eine rein rhetorische Frage, um die Antwort gleich nachzuliefern: „Banane weglassen oder einbinden!“ So ist das mit der Stückeentwicklung also.

Ich lebe meinen Traum

Ich lebe meinen Traum

Choy Ka Fai stammt aus Singapur. Seit etwas mehr als einem Jahr lebt er nun in Berlin. Davor war er fünf Jahre in London. Mit seinen Shows, die er mit asiatischen Künstlerinnen und Künstlern zusammenstellt, ist er seit 2010 international unterwegs.
Im Sommer 2015 war er bei Impuls-Tanz mit der Reihe „Soft Machine“ vertreten und kommt nun, im Februar 2016 anlässlich des Kurzfestivals (Trans)Asia Portraits mit XiaoKe x ZiHan aus China hierher zurück. Für Soft Machine bereiste er Japan, China, Indonesien, Indien und Singapur und führte mit über 80 Personen aus dem Tanzbereich Interviews, die er zugleich auch auf Videos aufzeichnete.

In unserem Gespräch erzählte der weltgewandte Kreative über seine bisherige Arbeit.
Er begann ursprünglich mit der Aufzeichnung von Hirnströmen von Choreografen und Tänzern während ihrer beruflichen Tätigkeit. Dieses „digital master memory“ beeinflusst auch heute noch sein Tun. Dabei versucht er, die Verbindung zwischen dem Gehirn und dem Körper im Tanz zu erforschen. Ein weiterer Ansatz dabei ist die Fragestellung, ob es möglich ist, mit digitaler Hilfe Bewegungen so sichtbar und nachvollziehbar zu machen, dass diese auch von anderen Menschen ausgeführt werden können. Wie kam es aber zu dem Großprojekt „Soft machine“?

Ich dachte mir bei einer Veranstaltung in London, die mit dem Titel „asiatischer Tanz“ beworben war, dass Asien ein großer Kontinent ist und genauso wie in Europa jedes Land seine Eigenheiten hat und man nicht generell von nur einem asiatischen Tanzstil sprechen kann. Bei meinen Nachforschungen habe ich bemerkt, dass es nur wenige Informationen zum zeitgenössischen Tanz aus dem asiatischen Raum gab. Deswegen dachte ich mir, dass das jemand machten müsste. So begann meine Arbeit als Forschungsprojekt. 

Choy Ka Fai (c) Joachim Kapuy

Choy Ka Fai (c) Joachim Kapuy

Bei seinem Soft Machine-Projekt nutzte Choi Ka Fai die Gelegenheit, mit einigen interessanten Künstlerinnen und Künstlern eigene Shows zu entwickeln, um diese dann einem internationalen Publikum zu präsentieren.

Sie sind so etwas wie ein Hybrid, arbeiten in unterschiedlichen Bereichen und treten in einigen Shows auch selbst mit auf. Als eine Art Conférencier, aber in der Gruppe mit den Japanern auch im richtigen, körperlichen Nahkampf. Fühlen Sie sich in allen Disziplinen gleich wohl?

Ich habe als Perfomance- Künstler begonnen, kam dann auf die Bühne und habe erst danach Multi-Media-Design studiert. Durch die Körperschwerpunkte in meiner Arbeit bin ich dann aber in die Tanzszene gekommen. Danach rutschte ich langsam in die Rolle eines Direktors. 2004 hatte ich eine Show in der ich performte, Videos machte und von der ich zugleich der Direktor war. Da wurde mir klar, dass ich auf Dauer nicht alles auf einmal machen kann.

Ich habe Videokunst studiert, von daher fühle ich mich im Video und all dem, was damit zusammenhängt, am wohlsten. In mir ist aber auch der starke Wunsch zu performen. Wenn ich mich nicht mit den Videos beschäftigt hätte, oder wenn ich mich nicht mit dem Körper so intensiv auseinandergesetzt hätte, könnte ich das, was ich jetzt mache, gar nicht machen. Das war so etwas wie ein Schneeball-Effekt. Ich habe immer danach gesucht, etwas zu tun, was andere Leute nicht machen.

Wenn man in so unterschiedlichen Bereichen arbeitet, hat man manches Mal Schwierigkeiten, von Profis aus den einzelnen Disziplinen anerkannt zu werden. Wird Ihre Arbeit akzeptiert? Choy Ka Fai lacht und antwortet prompt:

Nein! In Singapur bin ich definitiv nicht akzeptiert. Dort sind meine Shows nie ausverkauft. Aber außerhalb von Singapur ist man, was meine Arbeit betrifft, ganz offen.

Warum ist die Akzeptanz in Singapur nicht gegeben?

Das hat mehrere Gründe. Erstens ist die Geschichte von Singapur in dem Bereich noch sehr jung. Die Performer dort gibt es noch nicht lange, das ist eine kleine Community. Wenn man jetzt etwas Anderes machen möchte, dann wird man nicht sofort akzeptiert. Aber es ist ein guter Boden, um andere Dinge als hier in Europa zu finden, wo man mit Pina Bausch oder Sasha Waltz vertraut ist.

Die Shows, in denen der Künstler mitwirkt, sind zum Teil von sehr harter Körperarbeit geprägt. Blaue Flecken und sogar Verletzungen stehen im Auftritt mit Yuya Tsukahara beinahe an der Tagesordnung. Als er 2010 mit seinem Asien-Projekt begann, bemerkte er, dass niemand für das Publikum zu den verschiedenen Stücken Einführungen abhalten konnte. So entschloss er sich, das selbst zu übernehmen. Er startete anfänglich mit kurzen Demonstrationen und landete schon bald wieder als Performer auf der Bühne. Mitten in den körperlich überaus anstrengenden Aktivitäten.

Warum stehen Sie in einigen Produktionen auch selbst wieder auf der Bühne? Sie müssten als Direktor dieser Shows ja nicht mitmachen!

In der Vorbereitung bemerkte ich, dass ich die halbe Zeit in einer Produktion fast nur gesprochen habe, das war mir viel zu langweilig. Ich werde auch selbst sehr schnell unruhig. Und so begann ich, im japanischen Stück aktiv mitzumachen. Ich dachte mir, das wäre auch eine gute Gelegenheit, einer von ihnen zu werden. Um über diese Gruppe etwas zu erzählen, gibt es gar keine andere Möglichkeit, als das selbst auszuprobieren. Für die Leute aus der Gruppe ist das Verletzungsrisiko nicht so hoch. Sie trainieren ja ständig, sind daran gewöhnt und ihr Immunsystem reagiert anders darauf. Wenn ich mitmache, dann habe ich, wie es in Wien der Fall war, nur drei Tage, mich wieder hineinzufinden. Aber im Moment geht es schon wieder, ich habe mich schon wieder daran gewöhnt. Es spielt noch etwas Anderes eine Rolle: Wenn Tänzer ein Stück machen, nehmen sie sich für gewöhnlich sehr ernst. Ich habe fünf Jahre in London gelebt und den trockenen, britischen Humor kennengelernt. Das ist es, was ich in den Produktionen auch einsetze. Und tatsächlich ist das, was ich hier öffentlich mache, auch das, was fast immer hinter der Bühne passiert, wenn die Choreografen und Tänzer miteinander reden. Ich bringe die Backstage-Gespräche und die Produktionsideen sozusagen in einer kuratierten Fassung auf die Bühne. Der Spaß dabei ist für mich sehr wichtig und den kann ich mit meinen Auftritten mittransportieren.

Im Stück, das ich mit Surjit Nongmeikapam aus Indien gemacht habe, bin ich mehr so etwas wie ein Untersuchender. Es geht mir darin vor allem auch zu zeigen, wie das Stück zustande gekommen ist. Dabei bin ich auch eine Art Produzent der sagt: Probier vielleich mal das, oder das. Und am Ende des Stückes, wenn Surjit zu Musik aus seiner Heimat tanzt, fragen wir das Publikum, ob es das ist, was es sehen will.

Sie haben ja einen schönen Überblick darüber, was weltweit im zeitgenössischen Tanz los ist. Sowohl im westlichen als auch im östlichen. War es schwer, die Show in Europa unterzubringen?

Die Leute waren generell sehr aufgeschlossen und zugleich sehr neugierig auf das Projekt. Jemand hatte zum Beispiel großes Interesse an den 80 Interviews. Andere wiederum kannte ich schon von einer früheren Zusammenarbeit her. Es ist schon ok, wie es aufgenommen wurde, aber auch nicht überwältigend. Wir haben bisher nur 7 oder 8 Stopps. Die meisten wollen Rianto sehen aber ich finde, dass gerade die Gegenüberstellung der indischen und der indonesischen Performance toll ist. Im Februar werde ich eine chinesische Gruppe nach Wien bringen.

Sie müssen einen guten Draht zu den Künstlern haben, wenn sie mit ihnen so intensiv zusammenarbeiten.

Ja, aber ich fühle mich auch als Dokumentar, der ihnen folgt. Die japanische Gruppe hat zum Beispiel auch eine Vorstellung in New York, das heißt, ich fliege dort auch hin. Aber am Beginn unserer Zusammenarbeit sind wir erst einmal nur Freunde. Das geht auch gar nicht anders. Denn im Kreativprozess, der zwei bis drei Jahre dauert, zahle ich ihnen ja überhaupt nichts. Deswegen müssen wir ja auch touren, damit ich diese vorgeleistete Arbeit dann auch an sie zurückzahlen kann.

Was sind denn ihre neuen Projekte?

Wie ich schon sagte, bin ich immer auf der Suche nach etwas Neuem. Im neuen Projekt wird auch die Aufzeichnung der Hirnströme wieder einen wichtigen Part ausmachen. Heute hat man dazu einen leichten Zugang. Man kann das über das Internet abwickeln. Ich kann mich dann in die Aufzeichnung der Tänzer einwählen und mir das an meinem I-Pad ansehen.

Arbeiten Sie mit Wissenschaftlern zusammen?

Nein, aber natürlich arbeite ich mich zuerst in die Materie ein und befrage auch Neuro-Wissenschaftler. Es gibt außer meinem auch andere Projekte, die auf diesem Gebiet gemacht werden. Das sind dann entweder Wissenschaftler oder Künstler. Wenn Wissenschaftler das machen, dann veröffentlichen sie anschließend ein 200 Seiten starkes Werk, das keiner versteht. Wenn Künstler es machen, dann wird es ganz abstrakt. Ich versuche, da ein Mittelding zu finden. Ich benutze die wissenschaftlichen Erkenntnisse, um über Tanz zu sprechen.

Was machen Sie mit Ihren Asien-Kontakten?

Ich mache eine Website über dieses Projekt, sodass sich alle Leute, die daran teilgenommen haben, nicht nur dort finden, sondern miteinander auch kommunizieren können. Und ich wünsche mir auch, dass wir diese Stücke auch in Asien mehr performen können. Wir sind damit bisher nur in Singapur aufgetreten, weil dort eines der Stücke in Auftrag gegeben wurde.

Glauben Sie, dass ihre Arbeit und diese Performances auf die Leute hier in Europa einen Einfluss ausüben werden?

Ja, da bin ich ganz sicher. Ich glaube, was ich mit den Shows mache, ist grundsätzlich nicht neu. Aber wie ich die Dinge neu zusammenfüge, das ist dann ganz etwas Anderes als das Herkömmliche. Leute sind auch früher schon nach Asien gegangen. Aber sie kamen von Europa aus. Ich bin Asiate und bin nach Asien gegangen und habe schon allein deswegen einen anderen Ausgangspunkt.

Haben Sie eigentlich Träume für die Zukunft?

Träume? Eigentlich lebe ich meinen Traum! Ich habe mich in Berlin eingelebt, habe einen Weg gefunden zu produzieren und werde auch von Singapur sehr freundlich unterstützt. Mein Traum ist es, dass ich das weiter machen kann, was ich jetzt mache.

Weitere Informationen zum Impulstanz-Special (Trans)Asia Portraits auf der Webseite.

Ich bin glücklich, dass alles so gekommen ist

Ich bin glücklich, dass alles so gekommen ist

Ein Interview mit dem Dirigenten Jakub Hrůša anlässlich seines Debuts an der Wiener Staatsoper. In der Regie von Peter Stein hat er mit dem Orchester und den Sängerinnen und Sängern „Věc Makropulos“ von Leos Janáček erarbeitet. Eine Oper, die bislang im Haus am Ring noch nie aufgeführt wurde.

Herr Hrůša, ich hatte vor fünf Jahren die Gelegenheit, mit Ihnen ein Interview zu führen. In diesen Jahren hatten Sie sehr viel Erfolg.

Ja, das hatte ich!

Haben Sie damit gerechnet?

Ich habe mir natürlich gewünscht, dass das passieren würde und ich bin tatsächlich sehr glücklich, dass alles so gekommen ist.

Was war denn das Highlight für Sie?

Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Als Highlights würde ich den Kontakt mit Orchestern bezeichnen, mit denen ich mehrfach zusammenarbeiten durfte. Natürlich ist es auch schön, wenn man nur einmal wo hinkommt. Aber noch schöner ist es, wenn man wieder eingeladen wird und eine reguläre Arbeit beginnen kann. Und das passierte mit einigen Institutionen. Da ist das Philharmonia Orchestra in London, in dem ich mich wirklich als Teil der Familie fühle. Das Cleveland Orchestra in den USA, auch dort habe ich das gleiche Gefühl. Dann wurde ich natürlich Teil der Familie der Tschechischen Philharmonie, was genauso schön ist, denn dieses Orchester bewegt sich auf einem wunderbaren Weg qualitativ nach oben. Und dann noch zum Schluss natürlich die Bamberger Symphoniker, denn dort werde ich ab nächstem Jahr der Chefdirigent sein.

Herzliche Gratulation dazu!

Das ist fantastisch! Dann gab es auch noch andere, bedeutende Erfolgsstationen wie jene in der Pariser Oper mit Rusalka, was wirklich sehr schön war. Und letzte Woche war ich beim Concertgebouw Orchester in Amsterdam. Das war auch ein unglaubliches Highlight, das ich wirklich sehr genossen habe. Und jetzt Wien, das darf ich natürlich auch nicht vergessen!

Wie oft haben Sie denn schon mit dem Orchester geprobt?

Bis jetzt 6 Mal.

Dann haben Sie schon ein Gefühl für das Orchester bekommen?

Oh ja. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass das System sehr kompliziert ist. Sie haben nicht jeden Tag dasselbe Orchester vor sich. Das ist komplexer. Ich habe das Gefühl von einer sehr schönen Resonanz, einem schöne Energiefluss und spüre ein unglaubliches Potenzial. Dabei darf man nich vergessen, dass die Oper „Die Sache Makropoulos“ wirklich ganz enorm schwierig ist. Das ist wirklich ein harter Brocken.
Sogar so ein großartiges Orchester wie das Orchester der Wiener Staatsoper, die Wiener Philharmoniker, wie auch jedes andere Orchester auf der Welt hat mit diesem Stück gewisse Schwierigkeiten. Jedes Orchester. Die Musik ist in einer sehr herausfordernden Art geschrieben.

Was genau ist das Schwierige daran?

Es ist einfach unglaublich schwer zu spielen. Es ist sehr komplex, technisch kompliziert, ungewöhnlich, extrem, verrückt. Ich glaube Janáček hat in dieser Oper sehr viel experimentiert. Auch, wie weit er bei seinen Erforschungen in die Randgebiete von orchestraler Kultur gehen konnte. Es gibt zwar nichts was unspielbar ist, aber einige Passagen sind beinahe unspielbar, gehen an die Grenze zu dem, was noch spielbar ist.

Haben die Mitglieder des Orchesters, als sie erfuhren, was auf sie
zukommt vielleicht „Ach du meine Güte“ ausgerufen?

Ich weiß nicht, was sie gesagt haben. Aber ich weiß, dass sie eine unglaubliche Kapazität haben, um jeden einzelnen Teil der Oper noch zu verbessern. Die Qualität steigt beim Arbeiten umgehend an und es ist wirklich bemerkenswert, wie schnell dieser Fortschritt sein kann. Aber die Oper ist lang und es gibt wirklich viele schwierige Stellen. Natürlich muss man da auch geduldig sein, um Schritt für Schritt zum erwünschten Ergebnis zu kommen.

Wie geht es den Sängerinnen und Sängern mit dieser Oper?

Die Gesangspartien sind genauso schwierig, auch ist der Charakter manches Mal nicht gesanglich, sondern erscheint instrumental. Aber ehrlicherweise muss ich sagen, dass alle sehr gut vorbereitet kamen. Alle haben die Arbeit sehr ernst genommen. Für ein oder zwei von ihnen war es rhythmisch auch sehr schwierig, denn es ist richtige
zeitgenössische Musik. Sich das zu merken, mit dem Bühnenauftritt zu verbinden und noch dazu in tschechischer Sprache zu singen, die für niemanden die Muttersprache ist, das ist für mich wirklich bewundernswert. Alle bemühen sich unglaublich, um das Beste daraus zu machen.

Der Dirigent Jakub Hrůša (c) Petra Klackova

Der Dirigent Jakub Hrůša (c) Petra Klackova

Würden Sie sich selbst als Spezialist für tschechische Musik bezeichnen?

Ja, obwohl ich mir selbst nicht dieses Label geben möchte. Ich fühle mich zwar schon so, aber es ist nicht das einzige Gebiet auf dem ich agiere. Zwar bin ich vielleicht tatsächlich ein Experte, was tschechische Komponisten betrifft, das ist ganz natürlich. Aber das ist nicht der größte Teil meiner Aktivitäten.

Was ist der größte Teil Ihrer Arbeit?

Es gibt eigentlich keinen größten Teil. Es gibt keinen Fokus, kein Label, kein spezielles Fach, keine Bestimmung. Ich versuche aber bewusst, die tschechische Musik nicht überhand nehmen zu lassen. Es ist nicht gut, wenn man Kontakt mit dem internationalen Repertoire verliert. Zugleich aber möchte ich den Kontakt mit dem tschechischen Repertoire auch nicht verlieren. Ich versuche, da eine Balance zu finden und ich glaube, dass das auch ausgeglichen ist. Ich mache großartige Sachen im Bereich der tschechischen Musik aber zugleich auch jener von anderen Nationen.

Bei unserem letzten Gespräch erzählten Sie, dass Sie sowohl Opern als auch Konzerte gleich gerne dirigieren würden.

Ja, das stimmt.

Gilt das für Sie auch jetzt noch oder präferieren Sie mittlerweile etwas?

Ich glaube, das werde ich nie tun. Die Möglichkeit, beides zu machen, ist sehr gesund. Bei der Oper stellt man den Fokus anders ein. Zwar lebt man auch mit den Details, aber in einer anderen Art und Weise als man das in der Vorbereitung zu einem Konzert macht. Bei einem Konzert kann man eine ganze lange Weile mit einer Seite der Partitur zubringen, sich darauf fokussieren und immer wieder und wieder proben. Natürlich nicht unbegrenzt. Es gibt natürlich ein Zeitlimit, physische Zeit ist nicht unbegrenzt vorhanden. Aber man kann sich mit Details beschäftigen, was im System eines Opernhauses normalerweise nicht möglich ist. Obwohl es auch da Ausnahmen gibt. In Glyndebourne zum Beispiel arbeitet man mit dem Orchester und den Sängern sehr genau bis ins Detail. Andererseits lernt man bei der Oper auf größere Zusammenhänge zu achten. Man lernt, wie man diesen Zusammenhänge Sinn, Architektur und eine Richtung gibt.

Haben Sie den Eindruck, dass das Philharmonische Orchester einen ganz
bestimmten Klang hat?

Ja, definitiv. Das hängt auch mit den Instrumenten zusammen. Es ist wirklich unglaublich, wie viel Volumen dieses Orchester ganz ohne Druck erzeugen kann. Außerdem ist die Akustik des Hauses sehr schön. Das hat etwas Besonderes.

Im Orchester gibt es ja sehr viele sehr teure Instrumente.

Ja klar, aber die Instrumente würden nichts bedeuten, wenn sie nicht in der Hand von wunderbaren Spielern wären. Aber natürlich sind sie auch ein Teil des Ergebnisses.

Es ist Ihre erste Zusammenarbeit mit Peter Stein. Wie geht es Ihnen damit?

Ich fühle mich sehr wohl. Er ist ein richtiger Partner. Man spürt, dass er eine richtige Autorität ist, dass er natürlich auch sehr genaue Vorstellungen hat. Aber diese Vorstellungen haben nichts Künstliches an sich. Diese Ideen sind stark, weil er sie in einer autoritären Hilfestellung dem Kunstwerk zukommen lässt. Natürlich sind sie auch ganz persönlich. Eine andere Person würde andere Meinungen und Vorstellungen haben, das ist ja logisch. Sie sind subjektiv, wir sind alle subjektiv.
Er hat eine unglaubliche Erfahrung und hat schon so viel gemacht. Und er hat wunderbar mit dem Team gearbeitet. Er ist gegenüber der Musik sehr feinfühlig, auch gegenüber der Arbeit an der Musik. Und er geht mit der Partitur und dem Libretto sehr gewissenhaft um. Es war für mich eine der glücklichsten Gemeinschaftsarbeiten.

Haben Sie weitere Einladungen in größere Häuser in nächster Zeit?

Ja, nicht nur in eine. Es schaut so aus, als ob sich die Opernwelt für mich gerade noch stärker öffnen würde als bisher. Ich bin im Moment tatsächlich in einer schwierigen Situation, da ich Angebote ablehnen muss. Es gibt einige Überschneidungen von Einladungen, und mit blutendem Herzen kann ich mich nur für jeweils eine entscheiden. Auch weil ich nicht von einem Ort an den anderen hetzen möchte. Einige Dirigenten machen das, aber ich möchte gerne lang genug bleiben können, um Teil des Teams zu werden. Manche kommen zum spätest möglichen Zeitpunk und arbeiten dann womöglich noch ohne dass sie zuvor Kontakt mit den Sängern hatten. Aber das mache ich nicht. Deswegen muss ich auswählen. Das ist nicht immer leicht. Manches Mal ist es ein bestimmtes Stück, dem man den Vorzug gibt. Manches Mal hat es mit dem Ort selbst zu tun, wenn er sehr prestigeträchtig ist. Manches Mal entscheidet man sich, weil die Partner, der Direktor oder die Sänger wunderbar sind. Die Entscheidung ist manches Mal eine richtig schwierige Aufgabe. Aber natürlich auch eine schöne Aufgabe! Das ist viel besser, als wenn man sich zwischen zwei Varianten Freizeit entscheiden muss, weil man keine Arbeit hat. Aber ich kann mich nicht beschweren.

Ich hoffe, dass wir uns in fünf Jahren wieder treffen!

Ja, spätestens!

Ich verstehe gar nicht, wo der Staub herkommt, von dem alle sprechen.

Ich verstehe gar nicht, wo der Staub herkommt, von dem alle sprechen.

Calle Fuhr, neuer Regieassistent am Volkstheater, stellt am 24. November seine eigene Arbeit „Von den Beinen zu kurz“ vor. In einem Interview erzählte er nicht nur über das Stück, sondern seine ersten Eindrücke vom Wiener Publikum und seinem Begriff von Werktreue.

Das Volkstheater hat seit dieser Saison mit Anna Badora nicht nur eine neue Direktorin und ein neues Ensemble. Auch Calle Fuhr arbeitet in seiner Funktion als Regieassistent das erste Mal an diesem Haus.

Fuhr hat seine Arbeit in Wien im August aufgenommen, dennoch hatte er außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit noch kaum Gelegenheit, ein Feeling für die Stadt zu entwickeln. Auf die Unterschiede zu Berlin angesprochen, in dem er vorher lebte, sagt Fuhr: „Ich habe das Gefühl, dass hier das Theater einen ganz anderen Stellenwert hat als in Deutschland, bzw. in Berlin. Obwohl die Stadt viel größer als Wien ist, gehen doch weniger Leute ins Theater.“ Später erzählt er noch: „Wir hatten Nora³ vorher schon in Düsseldorf gespielt. Dort wurden die beiden hinzugefügten Jelinek-Texte zwar nicht abgelehnt, aber skeptisch aufgenommen. Hier mussten wir uns dafür nicht rechtfertigen, sondern die Leute fühlten sich eingeladen, sich damit auseinanderzusetzen.“

Die Gegenfrage, ob das nicht auch vielleicht damit zusammenhängen könnte, dass Jelinek eine österreichische Schriftstellerin sei, meinte Fuhr: „Das mag schon sein, aber es ist ja ein ganz eigenwilliges Konzept, Ibsen und Jelinek in einem Stück zu vereinen, das aber in Wien sehr gut aufgenommen wurde. Das macht natürlich gerade am Beginn unserer Arbeit hier Spaß.“

Die erste Welle mit den vielen, kurz hintereinander getakteten Premieren, ist gerade abgeebbt. Nun geht es daran, kontinuierlich an den gesteckten Zielen weiter zu arbeiten. Eines davon ist, das Volx-Margareten stärker in den Publikumsfokus zu rücken.

„Für uns ist das keine ausgelagerte Spielstätte, sondern vielmehr das kleine Haus des Volkstheaters. Wir möchten, dass das Publikum merkt, dass es die Schauspielerinnen und Schauspieler, die man im großen Haus aus einer Distanz von 50 Metern sieht, im Volx direkt vor seiner Nase hat. Das ist etwas so Wichtiges und Schönes in der Theaterwelt, dass wir sehr hoffen, das sich das gut etabliert.“

Eine der Hauptaufgaben als Regieassistent ist die Produktionsbetreuung. Das bedeutet, die rechte Hand für den Regisseur oder die Regisseurin zu sein und zwischen den Schauspielenden und Regieführenden zu vermitteln. Dann ist es auch die Vermittlung zwischen der Regie und dem Haus selbst, die Fuhr bewerkstelligen muss. Nach den Premieren kümmert er sich um die Abendspielleitung. Das bedeutet, er achtet darauf, dass der künstlerische Wert der Vorstellungen eingehalten wird. Das geschieht durch Gespräche und Kritik nach den Vorstellungen, aber auch bei einem Treffen zum Café.

„Oft werden ja auch neue Sachen ausprobiert, dafür muss ich den Kontakt zum Regisseur oder zur Regisseurin aufnehmen oder die Schauspielerinnen und Schauspieler möchten einfach nur eine Rückmeldung wie das eine oder andere angekommen ist. Bei dieser Arbeit lernt man, wie man mit Schauspielerinnen und Schauspielern spricht. Sie kommen gerade von der Bühne, haben noch einen hohen Adrenalinspiegel, sind noch erschöpft. Mir macht das Spaß herauszufinden, wie man da kommunizieren muss, die Leute reagieren ja unterschiedlich.“

Calle Fuhr (c) European Cultural News

Calle Fuhr (c) European Cultural News

Neben diesen Aufgaben ist Calle Fuhr gerade dabei, ein eigenes Stück zu erarbeiten. Stefanie Reinsperger und Bettina Ernst spielen in „Von den Beinen zu kurz“ Mutter und Tochter. Es ist ein noch sehr junges Stück von Katja Brunner, das Fuhr sich hier vorgenommen hat.

„Vor drei, vier Jahren gab es im Zeitmagazin einen spannenden Artikel von Heike Faller. Sie hat dafür einen Pädophilen bei seiner Therapie begleitet. In Berlin wurde vor einigen Jahren ein Programm aufgezogen, das sich „Kein Täter werden“ nennt. Dort können sich Menschen melden, die pädophile Neigungen haben und sich helfen lassen möchten. Dieses Thema war für mich bis zu diesem Artikel immer nur schwarz-weiß besetzt. Aber er hat mir die Augen geöffnet, dass die Menschen, die das nicht ausleben wollen, darunter leiden. Da wurden für mich Werte auf einmal so umgedreht, dass ich das nie erwartet hätte.“

Bei seinem Umzug nach Wien ist Fuhr der Zeitungsartikel wieder in die Hände gefallen und es war rasch klar, dass er sich mit diesem Thema auseinandersetzen wollte.

„Der Text hinterfragt wer ist Opfer, wer Täter bzw. Täterin? Dabei wird nicht in schwarz-weiß eingeordnet, sondern in tausend verschiedene Richtungen differenziert.“ In der Inszenierung wird der „offensichtliche Täter“, wie Fuhr ihn nennt, ganz außen vorgelassen. Vielmehr werden die Rollen der Tochter und Mutter als Opfer, Täterin oder Unschuldige hinterfragt. Bei dem Gespräch der beiden treffen die verschiedenen Perspektiven und Verantwortungen aufeinander.

„Sie arbeiten mit sehr tollen Schauspielerinnen zusammen, wie geht es Ihnen dabei?“

O-Ton Fuhr: „Auf der einen Seite wird mir dadurch schon so vieles so leicht gemacht, dass ich mir denke: Oh Gott, du müsstest doch eigentlich viel mehr Probleme haben damit du mehr lernst! Auf der anderen Seite ist das natürlich wunderbar, denn wir haben nur zweieinhalb Wochen Zeit, einen einstündigen Abend auf die Beine zu stellen.“ Reinsperger und Ernst haben den Text intensiv schon selbst erarbeitet und machen von sich aus dem Jungregisseur Vorschläge, was ihm extrem entgegenkommt. In seinem Regieverständnis ist es ihm wichtig, kollektiv an einem Text zu arbeiten.

„Was finden Sie am Beruf eines Regisseurs so spannend?“

„Zum einen kann ich mit Menschen in einen Austausch treten. Dann bringt es das Theater zustande, Zusammenhänge zu schaffen, über die man sonst nicht spricht. Es schafft, dass sich Leute in einem inhaltlichen Rahmen öffnen können, wie sonst nirgends. Gleichzeitig glaube ich, dass ich es schaffen kann, dass sich zwei oder mehrere Menschen auf der Bühne begegnen können. Das vermisse ich in der Theaterwelt derzeit total. Bei Dušan Pařízek da sehe ich das manchmal, da denke ich mir: Da kannst du davon was lernen. Ansonsten sehe ich, dass Ideen auf der Bühne verwirklicht werden. Man versucht, Stücke zu entstauben, wobei ich gar nicht verstehe wo der Staub her kommt, von dem alle sprechen.“

„Das heißt, sie kritisieren Regietheater in dem sich ein Regisseur mit seinen eigenen Ideen verwirklichen will?“

„Ja genau, das kritisiere ich ganz klar.“

„Ist Werktreue für Sie dann ein wichtiger Punkt?“

„Es ist die Frage, was Werktreue heißt. Werktreue wird oft so verstanden, dass man die Idee des Autors verwirklichen soll. Ich weiß nicht, was die Idee des Autors ist, aber wenn ich einen Text ernst nehme, mich mit ihm auseinandersetze und diesen Text auf die Bühne bringe, so wie er ist, halte ich das für Werktreue. Dazu gehört auch, dass ich Sachen verstellen darf, Sachen streichen darf. Das heißt nicht, alles genauso zu spielen, wie es da steht. Nur wenn man z.B. Faust I und II ungestrichen auf die Bühne bringt, ist das für mich noch kein Grund, ins Theater zu gehen. Werktreue bedeutet für mich ernst zu nehmen, was da ist, die Figuren ernst zu nehmen und nicht, zu versuchen, sich in einem ironisierenden Selbstgefallen zu zeigen. Zu zeigen, wie cool man ist und wie uncool Theater eigentlich ist, das interessiert mich gar nicht! Beim Zuschauen interessiert mich: Was ist da drin, was steckt von mir da drin, was kann ich von mir da reinsetzen? Wenn ich Leute auf der Bühne sehe, die auf der Bühne etwas investieren, das interessiert mich. Ich will nicht, dass sie nur zeigen, was sie alles draufhaben, welches Timing sie haben. Fähigkeiten am Theater interessieren mich überhaupt nicht, sondern Ehrlichkeit. Das ist es, worum es gehen muss.“

„Denken Sie an das Publikum bei Ihren Regiearbeiten?“

„Ich mache nichts, um zu gefallen, aber ich mache auch nichts, um nicht zu gefallen. Ich glaube, dass sich unser ehrlicher Austausch, den wir gerade bei „Von den Beinen zu kurz“ erleben, aufs Publikum übertragen wird.“

Fuhr möchte sich jene Portion von Naivität bewahren, die es ihm ermöglicht, dass er bei der Arbeit an einem Stück als Repräsentant des Publikums gelten kann. Wenn es z.B. darum geht, das Tempo einer Inszenierung herunterzufahren, weil das Stück sonst schlichtweg nicht verstanden wird.

„Natürlich machen wir Theater für die Leute, für das Publikum, wir wollen damit ja auch etwas hinaustragen.“

„Warum soll das Publikum zu Ihrer Inszenierung in die Rote Bar des Volkstheater kommen?“

Ich glaube, dass wir einen Abend schaffen, in dem sich jeder ganz kritisch hinterfragen kann. Vor allem in seiner privaten Geschichte, in seinem Familienhintergrund. Wir reduzieren das Stück nicht auf das Thema Kindesmissbrauch, sondern wir erweitern es auf das Thema Verantwortung. Wann habe ich Verantwortung, wann bin ich schuldig. Wann muss ich reagieren, wann muss ich etwas tun. Das ist ein Thema, das sich auf jeden Bereich im Leben übertragen lässt. Wenn die Leute aus dem Theater gehen, dann können sie sich die Fragen stellen, was sie tun, was sie tun sollen oder anders machen sollen. Alle Leute, die Lust haben, sich darauf einzulassen, sind herzlich eingeladen vorbeizuschauen.“

Weitere Infos über die Aufführung auf der Homepage vom Volkstheater.

Mir wäre es lieb, das Stück hätte keine solche Brisanz

Mir wäre es lieb, das Stück hätte keine solche Brisanz

Wien Modern präsentiert gemeinsam mit dem Tanzquartier eine außergewöhnliche Zusammenarbeit. Der Komponist Bernhard Lang und die Tänzerin und Choreografin Silke Grabinger zeigen ihre Gemeinschaftsarbeit Monadologie XVIII „Moving Architecture“.

Die Idee dahinter ist komplex, die Ausführung ebenso. „Im Moment liegen die Nerven noch blank“, erklärte der Komponist wenige Tage vor der Premiere. Das hängt damit zusammen, dass die Anforderung an die Teilnehmenden extrem hoch sind. Nicht nur der Tänzer und die Tänzerin, sondern auch die Musikerinnen und Musiker sind besonders gefordert. Stehen sie doch ebenso im Rampenlicht und bleiben nicht im Bühnengraben verborgen. Eine völlig neue Erfahrung für das Ensemble Phace, das sich dieser Herausforderung stellt.

„Es gibt nicht viele Ensembles für moderne Musik, die dieses komplizierte Stück aufführen würden.“ Bernhard Lang ist realistisch und voll des Lobes für den außergewöhnlichen Klangkörper. Und schwärmt gleichzeitig von der extra aus New York eingeflogenen Sängerin Daisy Press, einer ausgewiesenen Expertin für Avantgarde-Musik. „Sie hat eine unglaubliche Bühnenpräsenz und wird das Publikum unglaublich treffen“, sagt Lang voraus.

Das Stück wurde bereits in New York zwei Mal aufgeführt. Das hat damit zu tun, dass es einen direkten Bezug zum Austrian Cultural Forum hat. Jenem von Raimund Abraham konzipierten Bau, der 2002 bei seiner Eröffnung ob seiner ungewöhnlichen Form für Furore sorgte. Andreas Stadler, Leiter des ACF bis 2013, hat Lang und Grabinger anlässlich des 10-jährigen Jubiläums des Baus mit einer Gemeinschaftsarbeit betraut.

„Wir haben gesagt: Das probieren wir – und dann haben wir uns in der Zusammenarbeit „gefunden“, erinnert sich Bernhard Lang. Choreografie und Komposition entstanden parallel, eines beeinflusste das andere – eine sehr ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. „Wir wollten nicht zuerst die Komposition machen und danach die Choreografie“, so Grabinger. „Diese Vorgänge sind gleichwertig und gemeinsam passiert. Wir haben uns gefragt, wie es funktionieren kann, dass Bernhard quasi auch eine Choreografie bzw. ich eine Notation mache, die Bernhard in seine Partitur integrieren kann. Ein wichtiger Punkt ist, dass die Bewegungen auf den Gesten der Musikerinnen und Musikern basieren, die ich von den Proben abgenommen habe. Ich habe mich dabei gefragt: Wie bewegt sich eigentlich ein Musiker, eine Musikerin, wenn sie nichts tun? Es ist interessant, welch lustige, interessante und unterschiedliche Gesten es da gibt. Daraus konnte ich einen eigenen Bewegungskatalog erarbeiten.“

Das ACF hat 22 Stockwerke. Lang hat die Originalpläne von Abraham auf seine Partitur übertragen und zeitlich umgesetzt. Es handelt sich um ein nach oben hin verjüngendes Haus, dessen Stockwerke immer kürzer werden. „Das Stück fängt lang an, die folgenden Teile werden dann immer kürzer. Das bedeutet, dass ich die architektonische Projektion auf mein Stück übertragen habe.“ Auf die Frage, woher denn die Idee dazu kam, erklärt der Komponist: „Die Idee der Umsetzung von architektonischen Proportionen in Musik kommt aus der Renaissance. Guillaume de Failly hat das zum Beispiel verwendet. Er hat eine Motette nach dem Grundriss des Florentiner Doms komponiert. Das hat Bruckner auch gemacht. Man nimmt an, dass die 9. nach den Grundrissen vom Stephansdom gebaut ist.“

 

„Das Haus ist ja hoch und nicht breit und ich habe versucht, in der Choreografie Bewegungen zu verwenden, die nicht in die Breite, sondern in die Höhe verweisen“, ergänzt die Choreografin ihre Vorgehensweise. Musikalisch werden Fragmente von Bob Dylan´s „Like a Rollling Stone“ zu hören sein. „Ich bin ein alter Mann“, kokettiert Lang mit seinem Alter, „ich arbeite immer mit Wiederholungen und Loops. Die ergeben dann einen ganz eigenen Rhythmus und Beat.“ Erst vor wenigen Tagen war bei Wien Modern sein DW16 Songbook I zu hören. Aufgeführt vom Klangforum Wien. Auch in diesem Werk hat sich Lang intensiv mit Popsongs, unter anderen auch von Dylan, beschäftigt. „Das ist so etwas wie eine Reminiszenz an meine Jugend, an die Rockmusik, die ich noch im Kopf hab. Ich wollte Klassik und das Zeitgenössische zusammenbringen.“

Monadologie XVIII „Moving Architecture“ ist ein Stück über Flucht und Emigration.  „Aktueller kann es gar nicht sein, aber es wäre mir lieb, das Stück hätte keine solche Brisanz!“, alle, die sich mit dem derzeitigen Geschehen im Nahen Osten und Europa beschäftigen, werden diese Lang-Aussage unterstreichen. Im engeren Sinne zeichnet das Werk das Leben von Rose Ausländer anhand ihrer Gedichte nach. Sie musste vor den Nazis von Europa nach Amerika fliehen und hat darin die erste Zeit in der neuen Heimat beschrieben. Das ACF wurde 1942 gegründet und war  während und nach des 2. Weltkrieges Anlaufstelle für viele Menschen aus Europa. „Rose Ausländer ist dem Terrorregime entkommen und hat trotzdem zu einer versöhnten Menschlichkeit gefunden“, Bernhard Lang fasst in einem Satz zusammen, welche Hauptaussage dem so komplexen Werk zugrunde liegt.

Weitere Informationen auf der Seite von Wien Modern oder dem Tanzquartier.

 

 

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