Ein Interview mit dem Dirigenten Jakub Hrůša anlässlich seines Debuts an der Wiener Staatsoper. In der Regie von Peter Stein hat er mit dem Orchester und den Sängerinnen und Sängern „Věc Makropulos“ von Leos Janáček erarbeitet. Eine Oper, die bislang im Haus am Ring noch nie aufgeführt wurde.
Herr Hrůša, ich hatte vor fünf Jahren die Gelegenheit, mit Ihnen ein Interview zu führen. In diesen Jahren hatten Sie sehr viel Erfolg.
Ja, das hatte ich!
Haben Sie damit gerechnet?
Ich habe mir natürlich gewünscht, dass das passieren würde und ich bin tatsächlich sehr glücklich, dass alles so gekommen ist.
Was war denn das Highlight für Sie?
Das ist gar nicht so einfach zu sagen. Als Highlights würde ich den Kontakt mit Orchestern bezeichnen, mit denen ich mehrfach zusammenarbeiten durfte. Natürlich ist es auch schön, wenn man nur einmal wo hinkommt. Aber noch schöner ist es, wenn man wieder eingeladen wird und eine reguläre Arbeit beginnen kann. Und das passierte mit einigen Institutionen. Da ist das Philharmonia Orchestra in London, in dem ich mich wirklich als Teil der Familie fühle. Das Cleveland Orchestra in den USA, auch dort habe ich das gleiche Gefühl. Dann wurde ich natürlich Teil der Familie der Tschechischen Philharmonie, was genauso schön ist, denn dieses Orchester bewegt sich auf einem wunderbaren Weg qualitativ nach oben. Und dann noch zum Schluss natürlich die Bamberger Symphoniker, denn dort werde ich ab nächstem Jahr der Chefdirigent sein.
Herzliche Gratulation dazu!
Das ist fantastisch! Dann gab es auch noch andere, bedeutende Erfolgsstationen wie jene in der Pariser Oper mit Rusalka, was wirklich sehr schön war. Und letzte Woche war ich beim Concertgebouw Orchester in Amsterdam. Das war auch ein unglaubliches Highlight, das ich wirklich sehr genossen habe. Und jetzt Wien, das darf ich natürlich auch nicht vergessen!
Wie oft haben Sie denn schon mit dem Orchester geprobt?
Bis jetzt 6 Mal.
Dann haben Sie schon ein Gefühl für das Orchester bekommen?
Oh ja. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass das System sehr kompliziert ist. Sie haben nicht jeden Tag dasselbe Orchester vor sich. Das ist komplexer. Ich habe das Gefühl von einer sehr schönen Resonanz, einem schöne Energiefluss und spüre ein unglaubliches Potenzial. Dabei darf man nich vergessen, dass die Oper „Die Sache Makropoulos“ wirklich ganz enorm schwierig ist. Das ist wirklich ein harter Brocken.
Sogar so ein großartiges Orchester wie das Orchester der Wiener Staatsoper, die Wiener Philharmoniker, wie auch jedes andere Orchester auf der Welt hat mit diesem Stück gewisse Schwierigkeiten. Jedes Orchester. Die Musik ist in einer sehr herausfordernden Art geschrieben.
Was genau ist das Schwierige daran?
Es ist einfach unglaublich schwer zu spielen. Es ist sehr komplex, technisch kompliziert, ungewöhnlich, extrem, verrückt. Ich glaube Janáček hat in dieser Oper sehr viel experimentiert. Auch, wie weit er bei seinen Erforschungen in die Randgebiete von orchestraler Kultur gehen konnte. Es gibt zwar nichts was unspielbar ist, aber einige Passagen sind beinahe unspielbar, gehen an die Grenze zu dem, was noch spielbar ist.
Haben die Mitglieder des Orchesters, als sie erfuhren, was auf sie
zukommt vielleicht „Ach du meine Güte“ ausgerufen?
Ich weiß nicht, was sie gesagt haben. Aber ich weiß, dass sie eine unglaubliche Kapazität haben, um jeden einzelnen Teil der Oper noch zu verbessern. Die Qualität steigt beim Arbeiten umgehend an und es ist wirklich bemerkenswert, wie schnell dieser Fortschritt sein kann. Aber die Oper ist lang und es gibt wirklich viele schwierige Stellen. Natürlich muss man da auch geduldig sein, um Schritt für Schritt zum erwünschten Ergebnis zu kommen.
Wie geht es den Sängerinnen und Sängern mit dieser Oper?
Die Gesangspartien sind genauso schwierig, auch ist der Charakter manches Mal nicht gesanglich, sondern erscheint instrumental. Aber ehrlicherweise muss ich sagen, dass alle sehr gut vorbereitet kamen. Alle haben die Arbeit sehr ernst genommen. Für ein oder zwei von ihnen war es rhythmisch auch sehr schwierig, denn es ist richtige
zeitgenössische Musik. Sich das zu merken, mit dem Bühnenauftritt zu verbinden und noch dazu in tschechischer Sprache zu singen, die für niemanden die Muttersprache ist, das ist für mich wirklich bewundernswert. Alle bemühen sich unglaublich, um das Beste daraus zu machen.
Würden Sie sich selbst als Spezialist für tschechische Musik bezeichnen?
Ja, obwohl ich mir selbst nicht dieses Label geben möchte. Ich fühle mich zwar schon so, aber es ist nicht das einzige Gebiet auf dem ich agiere. Zwar bin ich vielleicht tatsächlich ein Experte, was tschechische Komponisten betrifft, das ist ganz natürlich. Aber das ist nicht der größte Teil meiner Aktivitäten.
Was ist der größte Teil Ihrer Arbeit?
Es gibt eigentlich keinen größten Teil. Es gibt keinen Fokus, kein Label, kein spezielles Fach, keine Bestimmung. Ich versuche aber bewusst, die tschechische Musik nicht überhand nehmen zu lassen. Es ist nicht gut, wenn man Kontakt mit dem internationalen Repertoire verliert. Zugleich aber möchte ich den Kontakt mit dem tschechischen Repertoire auch nicht verlieren. Ich versuche, da eine Balance zu finden und ich glaube, dass das auch ausgeglichen ist. Ich mache großartige Sachen im Bereich der tschechischen Musik aber zugleich auch jener von anderen Nationen.
Bei unserem letzten Gespräch erzählten Sie, dass Sie sowohl Opern als auch Konzerte gleich gerne dirigieren würden.
Ja, das stimmt.
Gilt das für Sie auch jetzt noch oder präferieren Sie mittlerweile etwas?
Ich glaube, das werde ich nie tun. Die Möglichkeit, beides zu machen, ist sehr gesund. Bei der Oper stellt man den Fokus anders ein. Zwar lebt man auch mit den Details, aber in einer anderen Art und Weise als man das in der Vorbereitung zu einem Konzert macht. Bei einem Konzert kann man eine ganze lange Weile mit einer Seite der Partitur zubringen, sich darauf fokussieren und immer wieder und wieder proben. Natürlich nicht unbegrenzt. Es gibt natürlich ein Zeitlimit, physische Zeit ist nicht unbegrenzt vorhanden. Aber man kann sich mit Details beschäftigen, was im System eines Opernhauses normalerweise nicht möglich ist. Obwohl es auch da Ausnahmen gibt. In Glyndebourne zum Beispiel arbeitet man mit dem Orchester und den Sängern sehr genau bis ins Detail. Andererseits lernt man bei der Oper auf größere Zusammenhänge zu achten. Man lernt, wie man diesen Zusammenhänge Sinn, Architektur und eine Richtung gibt.
Haben Sie den Eindruck, dass das Philharmonische Orchester einen ganz
bestimmten Klang hat?
Ja, definitiv. Das hängt auch mit den Instrumenten zusammen. Es ist wirklich unglaublich, wie viel Volumen dieses Orchester ganz ohne Druck erzeugen kann. Außerdem ist die Akustik des Hauses sehr schön. Das hat etwas Besonderes.
Im Orchester gibt es ja sehr viele sehr teure Instrumente.
Ja klar, aber die Instrumente würden nichts bedeuten, wenn sie nicht in der Hand von wunderbaren Spielern wären. Aber natürlich sind sie auch ein Teil des Ergebnisses.
Es ist Ihre erste Zusammenarbeit mit Peter Stein. Wie geht es Ihnen damit?
Ich fühle mich sehr wohl. Er ist ein richtiger Partner. Man spürt, dass er eine richtige Autorität ist, dass er natürlich auch sehr genaue Vorstellungen hat. Aber diese Vorstellungen haben nichts Künstliches an sich. Diese Ideen sind stark, weil er sie in einer autoritären Hilfestellung dem Kunstwerk zukommen lässt. Natürlich sind sie auch ganz persönlich. Eine andere Person würde andere Meinungen und Vorstellungen haben, das ist ja logisch. Sie sind subjektiv, wir sind alle subjektiv.
Er hat eine unglaubliche Erfahrung und hat schon so viel gemacht. Und er hat wunderbar mit dem Team gearbeitet. Er ist gegenüber der Musik sehr feinfühlig, auch gegenüber der Arbeit an der Musik. Und er geht mit der Partitur und dem Libretto sehr gewissenhaft um. Es war für mich eine der glücklichsten Gemeinschaftsarbeiten.
Haben Sie weitere Einladungen in größere Häuser in nächster Zeit?
Ja, nicht nur in eine. Es schaut so aus, als ob sich die Opernwelt für mich gerade noch stärker öffnen würde als bisher. Ich bin im Moment tatsächlich in einer schwierigen Situation, da ich Angebote ablehnen muss. Es gibt einige Überschneidungen von Einladungen, und mit blutendem Herzen kann ich mich nur für jeweils eine entscheiden. Auch weil ich nicht von einem Ort an den anderen hetzen möchte. Einige Dirigenten machen das, aber ich möchte gerne lang genug bleiben können, um Teil des Teams zu werden. Manche kommen zum spätest möglichen Zeitpunk und arbeiten dann womöglich noch ohne dass sie zuvor Kontakt mit den Sängern hatten. Aber das mache ich nicht. Deswegen muss ich auswählen. Das ist nicht immer leicht. Manches Mal ist es ein bestimmtes Stück, dem man den Vorzug gibt. Manches Mal hat es mit dem Ort selbst zu tun, wenn er sehr prestigeträchtig ist. Manches Mal entscheidet man sich, weil die Partner, der Direktor oder die Sänger wunderbar sind. Die Entscheidung ist manches Mal eine richtig schwierige Aufgabe. Aber natürlich auch eine schöne Aufgabe! Das ist viel besser, als wenn man sich zwischen zwei Varianten Freizeit entscheiden muss, weil man keine Arbeit hat. Aber ich kann mich nicht beschweren.
Ich hoffe, dass wir uns in fünf Jahren wieder treffen!
Ja, spätestens!