Erfrorene Herzen

Erfrorene Herzen

Sie heißen Woising, Schönberg, Mölbing, Priel, Loser und Elm. Ganz genauso, wie sechs Berge im Toten Gebirge. Fünf von ihnen leben in einer Psychiatrie, die sechste Person, Josefine Schönberg, kommt dorthin, um ihren Bruder, Raimund Woising zu besuchen.

Thomas Arzt schuf mit „Totes Gebirge“ ein Drama rund um die Befindlichkeit der aktuellen Gesellschaft, die er in einer Psychiatrie ansiedelt. Dabei schaut er hinter die Fassade und erkundet, wie es bei den einzelnen Individuen denn eigentlich zum Zusammenbruch gekommen ist. Das Theater in der Josefstadt brachte das Stück am 21. Jänner zur Uraufführung. Ein Stück, das nicht nur von seinem Text lebt.

Zwischen den einzelnen Szenen sind Lieder eingeschoben, die der Chor, der aus dem Ensemble besteht, singt. Dabei wird er von Zuspielungen der Musicbanda Franui unterstützt. Gstanzln, Landler, und andere volkstümliche Weisen von Markus Kraler und Andreas Schett, unterlegt Arzt mit Dialektpoesie, die er in einem Interview einmal selbst als „Kunstsprache“ bezeichnete. „Dewöd stehtnimma nedlaung“ – gleich in der allerersten Zeile klingt bekannte, österreichische Literatur an. Man kann sich gut vorstellen, dass Johann Nestroy dem jungen Autor beim Schreiben über die Schulter geschaut hat. Der Komet aus seinem Stück „Der böse Geist Lumpazivagabundus“ spielt auch bei Arzt eine große Rolle. Der junge Mann, Nepomuk Elm, ist wie besessen von ihm. An einer unheilbaren Krankheit leidend, warnt er ununterbrochen sein Umfeld vor dem Einschlag um 12 Uhr. Damit meint er die Stunde zum Jahreswechsel, auf den sich alle vorbereiten. Stefan Gorski brilliert in dieser Rolle als rothaariger, meist ans Bett Fixierter, wobei er dies entweder stehend, die Hände an einer Wand haltend, oder direkt am Boden liegend, mimt. Seine Not geht zu Herzen, sein Humor direkt an die Lachmuskeln. In seiner Interpretation eines gepeinigten Kranken wird die Brüchigkeit des Menschseins am deutlichsten spürbar. Sein Wunsch, einmal ein neuer Mensch zu sein, ist für ihn zugleich eine Vorstellung, die ihm erlaubt, zumindest für Augenblicke gedanklich aus seinem tristen Dasein zu flüchten.

Die Leiterin der Anstalt, Theresia Mölbing, muss noch wenige Tage vor Silvester einen Neuzugang verzeichnen. Raimund Woising (Ulrich Reinthaller agiert zwischen apathisch vor sich hinschlurfend und verbal aufbrausend) steht nur mit Wanderschuhen und einer Jogginghose bekleidet vor dem Sanatorium. Ein Eispickel ist alles, was er mit sich führt. Dass er damit zuvor seine biedermeierliche Wohnungseinrichtung kurz und klein geschlagen hat, erfährt man bald. Raimund, ein „schlechter Pädagoge“, wie er sich selbst bezeichnet, wurde als junger Mann von seinem Vater aus der Familie geworfen und musste, um zu überleben, den Lehrberuf ergreifen. Diese Demütigung und dieser Liebesentzug haben Spuren in seiner Seele hinterlassen. Gemeinsam mit seiner Schwester unternahm er einst eine Wanderung im Toten Gebirge, bei der etwas vorgefallen sein muss. Das nimmt zumindest seine Ärztin an. Ob er dabei tatsächlich ein traumatisches Erlebnis davongetragen hat, wird nicht ganz beantwortet. Aber vieles deutet dennoch darauf hin. War es eine unterlassene Hilfeleistung seiner Schwester, die ihn ohne Wasser alleine zurückließ, oder waren es schon instabile Geisteszustände, die man auf einen kommenden Zusammenbruch hindeuten hätte können, die er damals erlebte?

Stephanie Mohr, die „Totes Gebirge“ inszenierte, gibt den Figuren Raum und Zeit, sich zu entwickeln. Vielleicht ein wenig zu viel Zeit, denn man hat zuweilen das Gefühl, dass es nicht wirklich schwierig wäre, die 2 ¾ Stunden (inkl. Pause) um eine halbe zu kürzen. So bekommt man aber die Möglichkeit, in die einzelnen Charaktere tief einzutauchen. Eine zusätzliche Verlangsamung führt sie auch in jene Szenen ein, in welchen einige der Protagonisten wie in Zeitlupe das Geschehen rund um sie begleiten. Wie herausgefallen aus der Zeit wirken diese Figuren, was sie in ihrem eigenen Erleben oftmals ja auch sind.

Emanuel Loser (Roman Schmelzer), manisch-depressiv, kehrt immer wieder nach vereinzelten Ausbruchsversuchen in die Klinik zurück. Sein Denken kreist rund um die soziale Schere und die Unmöglichkeit, das soziale System noch zu retten. Seine Verantwortungslosigkeit im Umgang mit Alkohol bremst er nur an jener Stelle ein, an welcher er Josefine, genannt Finchen, die Schwester von Raimund, kennenlernt. Ihr streut er vergebens Blumen und hat nach der Zurückweisung seiner Angebeteten vor, sich umzubringen. Roman Schmelzer verleiht dem Charakter eine starke körperliche Präsenz. Die Liebesgefühle lösen in ihm einen wahren Höhenrausch aus.

Peter Scholz verkörpert Anton Priel, der Krankenpfleger und Hausdiener in einem ist. Er versteht sich als rechte Hand der Anstaltsleiterin und ist nicht vor emotionalen Ausbrüchen gefeit. Sein soziales Engagement hat jedoch nichts mit dem Willen zu herrschen zu tun. Getragen vom Gedanken des Helfenwollens, tut er sich mit so mancher Zwangsfixierung seiner Schützlinge schwer. Scholz hat die dankbare Aufgabe, abseits von inneren und äußeren Zwängen, die Menschlichkeit per se darzustellen. In Zwiebellook ausstaffiert, mit einem Werkzeuggürtel um die Mitte, ist er derjenige, der die Welt von seiner praktischen Seite her kennt und dennoch sein Mitgefühl in all den selbst erlebten Wirrnissen nicht verloren hat. Das Loch im Dach, durch das es regnet und schneit, kann er jedoch alleine auch nicht reparieren. Und so bleibt dies in einer schönen Symbolik das erste Anzeichen des Verfalls einer gesicherten Behausung, gesicherter Existenzen, eines gesicherten sozialen Umfelds.

Maria Köstlinger kann sich, zumindest gibt sie dies vor, als Josefine Schönberg, Schwester von Raimund, seinen Zustand nicht erklären. Pragmatikerin durch und durch, brechen ihre Emotion erst in jenem Moment auf, in dem sie von Raimund in einem Gefühlsausbruch mehrfach als „blöde Sau“ bezeichnet wird. Im Lied über das Weinen „Imaugal stehtmas wossa, Imechats rinna lossa“ lässt sie das erste Mal Gefühle zu. Theresia Mölbing hat in ihrem Job als Psychiaterin nicht nur einen Beruf gefunden, in dem sie sich wohlzufühlen scheint. Die Klinik ist zugleich auch ihr Zuhause und die Patienten ihre Familie. Susa Meyer verleiht ihr ein Profil, das zwischen Chefallüren und dem Wunsch nach sozialem Angenommenwerden pendelt. Sie ist es, die den Trupp dazu animiert, Silvester gemeinsam zu feiern unter der lachhaften Prämisse, dass doch alle daran denken sollten, wie gut es ihnen denn ginge. Wenn man dieses Dasein mit Menschen ohne Dach über dem Kopf und nahe dem Verhungern vergleicht, hat sie damit recht.

Das geschickte Bühnenbild von Miriam Busch wechselt zwischen einer großen, mit Schaumstoff ausgespannten Zelle zum kleinen Zimmerchen mit antikem Klavier von Frau Dr. Mölbing bis hin zu einem imaginierten Bergpanorama. Nini von Selzam verleiht dem Ensemble während seiner Chorauftritte Kappen und Hüte und zieht sie dabei warm an. Gefroren wird aber offenkundig in den Seelen der Menschen noch mehr als im kalten Winter. Das Tote Gebirge, das in der Erzählung von Raimund vorkommt, ist zugleich eine Metapher, die auf die Seelenzustände nicht nur der Patienten aufmerksam macht. „Tief drinnen hört man aber doch Wasser rauschen“, meint Raimund an einer Stelle und verweist damit nicht zuletzt auch auf Gefühlsregungen, die trotz der erlittenen psychischen Deformationen, bei allen noch vorhanden sind.

Thomas Arzt ist mit der Sprache aber auch der Anlage seines Stückes tief in der österreichischen Literatur und Kultur verwurzelt. Seine Hinweise auf die Winterreise von Schubert aber auch auf das Weite Land von Arthur Schnitzler machen deutlich, von welchen Inspirationen das Werk getragen ist. Nicht zuletzt ist es der oberösterreichische Dialekt, den Arzt verwendet, der das Stück zu einem österreichischen macht. Die gelungene Taktung zwischen Gesellschaftskritik und humorigen Einsprengseln, sowie die musikalischen Einlagen aus harmonischen Ohrschmeichlern ergeben einen vergnüglichen Theaterabend, der dennoch mit reichlich Diskussionspotential aufwarten kann.

 

Dr. Schiwago winkt aus der Ferne

Dr. Schiwago winkt aus der Ferne

Johnny Breitwieser. Eine Verbrecherballade aus Wien von Thomas Arzt (Text) und Jherek Bischoff (Musik)
Eigentlich hieß er Johann, was in Wien allgemein den Kosenamen „Schani“ nach sich zieht. Aber im 21. Jahrhundert rufen ihn alle Johnny. Den Breitwieser. Den Gauner und Womanizer, dem nicht nur die Frauen zu Füßen liegen. Es ist eine „schlechte Zeit“. Die Menschen haben nichts zu essen, der 1. Weltkrieg „zer-tötete“ und „zer-liebte“ gerade, was ihm unter die Waffen kam und die ersten großen Industrieunternehmen wie die Waffenfabrik Hirtenberger sahnten aus dem Elend der Menschen große Gewinne ab.

Johann Breitwieser kannte in Wien vor einhundert Jahren jeder. War er doch ein „Gauner mit Herz“  wie man heute sagen würde. Oder zumindest als Projektionsfläche für die arme Masse zu einem solchen hochstilisiert worden. Er starb 1919, ungefähr ein Jahr nach dem er aus dem Gefängnis ausgebrochen war und mit gestohlenem Geld das Leben eines Biedermannes führen wollte. Heute, rund 100 Jahre später, erlebt er seine Auferstehung am Schauspielhaus in Wien. Dafür schuf Thomas Arzt, mehrfach ausgezeichneter Dramatiker und im Haus in der Porzellangasse mit seiner Arbeit gern gesehen, einen dreistündigen Abend. Moritate mit angeschlossenem Schauspiel könnte man diesen kurz skizzieren. Denn nicht allein der Text macht hier die Musik. Für letztere zeichnet der Amerikaner Jherek Bischoff verantwortlich. Mit kesser 50er-Jahre Locke und bunter Blume am Revers saß er am Premierenabend samt Entourage im Publikum. Und genoss sichtlich nicht nur die singenden Schauspielerinnen und Schauspieler, sondern auch das Ensemble Lux. Ein Wiener Streichquartett, spezialisiert auf zeitgenössische Musik, das vom Schlagzeuger Matthias Koch an den Percussioninstrumenten ergänzt wurde. Für wahr ein anderes Klangmedium, als es der junge Komponist sonst bedient. Denn es sind unter anderen Namen wie David Byrne oder Amanda Palmer, für die er sonst Musik schreibt.

Musik als Querverweis

Die Klang-Text-Kombination erinnerte stellenweise stark an die Dreigroschenoper von Brecht und Weill. Vor allem in jenen Nummern, in denen der Chor aus den Ensemblemitgliedern lautstark Propaganda gegen die herrschende Klasse und gegen den alles zerstörenden Krieg betrieb. Zusätzlich steuerte Bischoff so manchen Ohrwurm bei – im Marsch-, Polka-, oder Walzerrhythmus und hielt dabei den Klangraum vage zwischen Tonalem und Atonalem. Und – höchst interessant und vielleicht nur von „älteren Semestern“ erkannt – erklang immer wieder die Melodie von „Dr. Schiwago“. Jenem 65er Jahre Kinomelodram, das ein wahrer Blockbuster war und Millionen von Menschen in die Lichtspielsäle lockte. Die Verbindung liegt auf der Hand. Denn beides – die Geschichte von Breitwieser und jene von Dr. Schiwago spielt zur selben Zeit und vor allem vor dem Hintergrund der großen politischen Umstürze. Wien und Moskau – diese Achse spielte damals auch politisch eine wichtige Rolle. Wie in den „Schwestern“ von Tschechow ist es auch Breitwiesers Bruder, der so gerne „nach Moskau!“ möchte, den Absprung jedoch nicht schafft. So bleibt die Stadt der Revolution ein Traum, der sich in Bischoffs Musik widerspiegelt. Gewiss ist dieses Zitat als auch eine Reverenz an die Unterhaltung im Kino zu sehen, für die der Komponist häufig musikalisch zuständig ist.

Der Regisseur Alexander Charim nahm im Text von Arzt keine Striche vor. In Verbindung mit den vielen Musikeinlagen rückte er so das Spiel um den Mann, dessen früher Tod schon von Anbeginn an feststeht, beinahe in Eposlänge. Dass man dennoch seine Gedanken nicht abschweifen lässt, ist dem Ensemble zu verdanken, das spielt, als wäre das Gestern ein Heute. Dabei mutierte Schödl, Breitwiesers Widersacher und Vertreter der Staatsgewalt, plötzlich selbst zu seinem eigenen Bluthund. Genial, wie Florian von Manteuffel diese Doppelrolle zu spielen vermochte und sich in das Bein von Breitwieser (Martin Vischer) verbiss. Luise, im Programmheft „Das Volk“ betitelt, wird von Nicola Kirsch dargestellt. Charim rückt sie beinahe in die Rolle einer antiken, griechischen Seherin, deren wortgewaltige Gesellschaftsanalyse niemand hören will. „Staad schauend“ ist sie im Diktum von Thomas Arzt, „so staad wie das Land seit Jahrhunderten“, womit sie die eingefrorene Monarchie und ihre unbewegliche Gesellschaft kennzeichnet. Ihre Gegenspielerin Anne – trotzig zornig von Franziska Hackl interpretiert – wandelt sich vom Mädchen aus der Gosse zur Hausherrin, wenn auch nur für kurze Zeit. Greta (Katja Jung) ist jene reiche Witwe, zu der Breitwieser sich alleine schon aufgrund ihrer sozialen Stellung hingezogen fühlt. Ihr gewaltsamer Tod berührt ihn mehr als er seiner Familie zeigen darf. Martin Vischer als gewitzter Gauner, der das Leben über alles liebt und bei seinen Einbrüchen keinerlei Risiko scheut, brilliert an diesem Abend facettenreich. Als Verführer und Widerstandskämpfer, Gefangener und Suchender nach einem besseren Leben kann er alle schauspielerischen Register ziehen. Gideon Maoz als Wenzl, Breitwiesers Freund und schließlich auch sein Verräter, bewegt sich beständig in dessen Schatten, aus dem er so gerne hervortreten möchte, daran aber kläglich scheitern muss. Thiemo Strutzenberger tritt als Carl auf, der seinem Bruder Johnny zur Seite steht, wo er kann. Selbst kein Kind von Traurigkeit, lässt er sich in der Hochblüte seines Lebens auf jegliche noch so wilde Eskapade ein und stöckelt mit kessem Abendkleid, falschen Perlen und Highheels über die Bühne. Als Kriegskrüppel zeigt er einen geläuterten Charakter, in sich gekehrt, mit dicker Brille und dem von keiner falschen Moral geprägten Wissen, einst als „Engelmacher“ zum Wohl der Frauen beigetragen zu haben. Eine gebrochene Existenz, die dies auch in einem Gesangssolo ausdrückt, das er stimmlich nicht bewerkstelligen kann. Der Mut zum Scheitern wird hier überdeutlich.

Ein Bühnenbild zum Hören

Besonders hervorgehoben muss Ivan Bazak werden, der sowohl für die Ausstattung als auch für die Kostüme zuständig war. Er schuf einen zeitlosen Raum mit einem großen, quer über die Bühne verlaufenden Metallgestellt. Das war vertikal mit Plastik- und Metallstäben verstrebt, sodass die Schauspielerinnen und Schauspieler mühelos aufgrund der dehnbaren Seile zwischen Vorder- und Hintergrundgeschehen wechseln konnten. Darüber hinaus diente die Konstruktion auch als akustisches Instrument, das in seinem Einsatz eine einzigartige Soundkulisse bot.
Es ist gar nicht so sehr der historische Stoff, der an diesem Abend begeistert. Obwohl er auch einer gewissen lustvollen voyeuristischen Schau ins Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts gleichkommt. Die absolute Stärke der Inszenierung liegt in der Vereinbarkeit des Textes von Thomas Arzt nicht nur mit einer Musik, die – historisch betrachtet – das wienerische Klanggeschehen der letzten hundert Jahre komprimiert. Vor allem die zeitgeistige Inszenierung von Charim transferiert das Geschehen glaubhaft ins Hier und Jetzt. Die sozialen Spannungen, die Kumulierung des Kapitals und die Verdrängung der nicht wohlhabenden Bevölkerung aus den innerstädtischen Bezirken sind eins zu eins mit dem Geschehen vor hundert Jahren vergleichbar. Erst vor wenigen Monaten gab der Wiener Rapper Ardalan Afshar, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Nazar in einem Interview zu verstehen, dass der erste Wiener Bezirk für ihn und seine Freunde aus Favoriten immer ein Traum war, der für sie unerreichbar schien. Die eleganten Geschäfte, die schönen Häuser, da wollte er einmal hin – und Geld haben für all das, was die Konsumgesellschaft dort in den Schaufenstern bereithält. Nazar hat es geschafft. Im letzten Moment, vor einer kriminellen Karriere, wie er bereitwillig zugab.

Links:

Jherek Bischoff
Thomas Arzt
Alexander Charim
Schauspielhaus Wien

Es braucht mehr Mut zur Sprache, zum Mundaufmachen.

Es braucht mehr Mut zur Sprache, zum Mundaufmachen.

Thomas Arzt

Thomas Arzt (Foto: Schauspielhaus Wien)

Ein Interview mit dem Autor Thomas Arzt.  Aufgenommen wenige Wochen vor der Verleihung seines Preises beim „Stückemarkt“ in Heidelberg, im Mai 2012

Wie lange leben Sie schon in Wien?

Seit 8 Jahren und ich habe mich hier gleich wohlgefühlt. Ich bin am Land aufgewachsen und das Leben in der Stadt bedeutete eine große Änderung. Das Tempo ist ja ein ganz anderes, aber da mein Bruder schon zum Studieren hier lebte, hatte ich gleich sozialen Anschluss. Ich habe sofort das kulturelle Leben zu schätzen begonnen und es war so etwas wie ein „Augen auf, was es so alles gibt“. Wenn man in Schlierbach aufwächst, ist das Kulturangebot ja sehr begrenzt. Man fährt für einen Abend nach Linz und muss dann schauen, dass man mit dem letzten Zug wieder zurückkommt. In Wien plötzlich spontan entscheiden zu können ins Theater zu gehen, oder sich Tanz anzusehen, das war total inspirierend. Ich lebe jetzt im 16. Bezirk, in Ottakring und schätze es, mit welcher Offenheit die Leute in Wien leben. Es gibt auch Engstirniges und Alltagsrassismus und Leute, die man gerne in die Luft schießen würde, aber Wien ist daneben eine sehr lebendige und positive Stadt. Das „grantelnde“ Wien gehört einem Klischee an, das man gerne bedient – das macht man ja ganz charmant.

Haben Sie auch in anderen europäischen Großstädten gelebt?

Ich habe ein Semester in München studiert, da fühlte ich mich nicht wohl. Ich hatte dort keine Kontakte und war viel alleine. Nach München machte ich mit Wien eine ganz andere Erfahrung von der Stadt her. Ich kenne auch Berlin von mehrwöchigen Aufenthalten und mir gefällt es auch. Aber um dort zu leben, empfinde ich es als zu unübersichtlich und zu schnelllebig. Ich kenne viele Leute, die sagen „du musst nach Berlin“ und ich verstehe das auch. Man sitzt zum Beispiel im Grünen zwischen den Straßen, weil der Magistrat die Flächen dafür freigegeben hat. Der öffentliche Raum ist dort nicht so geordnet wie in Wien, man fühlt sich dadurch in gewissem Grad freier und unbeaufsichtigter, aber für mich ist Wien zur Heimat geworden. Deswegen habe ich auch gar nicht den Wunsch, mich in nächster Zeit woanders niederzulassen. Es ist schon so, dass ich immer mehr reise. Das bringt der Beruf mit sich. Ich bin früher selten gereist, aber es passiert jetzt erfreulicherweise, dass ich öfter eingeladen werde. Ich bin im Mai für 10 Tage in Heidelberg beim „Stückemarkt“. Das ist ein Autorenfestival, zu dem ich mit meinem neuen Stück eingeladen wurde. Das wird dort gelesen und man bekommt gleichzeitig die Möglichkeit, dort andere Theaterproduktionen anzusehen.

Welches Stück wird dort gelesen?

„Alpenvorland“ heißt es. Das wird nächste Saison im Landestheater Linz uraufgeführt. Es ist nach „Grillenparz“ das zweite große Stück, das mir sehr am Herzen liegt. In Heidelberg wird es szenisch gelesen und da werden wir dann sehen, was passiert.

Welche Sprache verwenden Sie in diesem neuen Stück? Sie benützen ja Sprache in mehreren Ausformungen, mit einer großen Vielfalt, die auch Mundart miteinschließt und man hat den Eindruck, dass vor allem Ihre eigene Heimat, in der Sie verortet sind, immer wieder in irgendeiner Form in Ihren Stücken und Texten vorkommt.

Ja das stimmt, das bekommt man nicht los, das verfolgt mich.

Verfolgen im Sinne von: Es läuft hinter Ihnen her und Sie möchten das eigentlich gar nicht?

Nein, es ist eigentlich ein ganz ambivalentes Gefühl. Ich fühle mich wohl in Österreich und ich fühle mich dieser Sprache sehr nahe. Ich habe entdeckt, dass gerade diese Sprache für mich eine große Energie ist, von der weg ich erzählen kann. Sie ist eine Reibungsfläche insofern, dass ich schon gemerkt habe, dass, wenn man von Oberösterreich nach Wien kommt und sich an der Universität zu Wort meldet, man sich dabei irgendwie mangelhaft vorkommt, weil man ein gewisses „Standarddeutsch“ nicht flüssig beherrscht. Gewisse Ausdrücke fehlen mir nach wie vor. Vor allem in der gesprochenen Sprache. Da ist das Schreiben für mich eine Möglichkeit, mich noch klarer verständlich zu machen. Das war eher was, was ich nicht gerne so offen gezeigt habe, aber durch die Arbeit mit Theatertexten habe ich gemerkt, dass gerade da sehr viel von mir drin steckt. Ich kann damit einerseits direkter Dinge ansprechen, so wie ich sie sehe und vertrete und gleichzeitig steckt darin eine totale Poesie. Das hat natürlich auch mit Autoren zu tun, die ich immer schon geschätzt habe, die ich gerne lese. Artmann und Jandl zum Beispiel oder Friedrich Achleitner. Sobald man Mundart aufschreibt, wird sie zur Kunstsprache und das macht es spannend. Im aktuellen Stück „Alpenvorland“ ist das auch stark spürbar. Die Figuren sprechen in einer Grammatik, die eigentlich vom Dialekt herkommt und nähern sich – je nach Figurenbiografie – an ein „Standarddeutsch“ an und das reibt sich. Und dann gibt es Chöre, die die Tradition der Heimat widerspiegeln. Die sind wieder an Volkslieder angelehnt, weniger explizit wie ich das bei den „Schubertchören“ oder bei „Grillenparz“ gemacht habe, aber es ist ein Versuch, mit dem Sprachfundus, der da ist, umzugehen. Dabei schaue ich aber auch, wie ich mich davon befreien kann, im Sinne von: Ich baue mir ein ganz neues Leben auf, das nichts damit zu tun hat, wo ich herkomme. Das betrifft jetzt auch genau die Figuren im „Alpenvorland“, die jetzt um die 30 sind, die gerade dabei sind zu heiraten, ein Grundstück zu kaufen, ein Haus zu bauen und feststellen, dass viel von dem, wie sie ihr Leben führen, von ihrer Erziehung und von der Geschichte des Landes herrührt, aus dem sie kommen und das sie geprägt hat. Irgendwann sagt man: Das will ich eigentlich nicht. Und in diesem Zwiespalt der Figuren bewegt sich auch meine Sprache und ich verarbeite in diesem Stück auch Dinge, die mich betreffen. Vom Land in die Stadt zu ziehen, zum Beispiel oder sich zu überlegen, welche Werte habe ich eigentlich, kann ich das in der Stadt realisieren? Und dann auch wieder Anschauungen über Familie oder Beziehungen, die dann doch wieder von Stimmen herkommen, die man glaubte, abgeschüttelt zu haben. Das ist gerade das Thema, das mich interessiert und reizt und das hat auch mit der Sprache zu tun.

Sie bezeichnen den Dialekt, den Sie in Ihren Stücken verwenden, als Kunstsprache?

Ja, doch. Dabei wird ja in einer komprimierten Weise die Sprache beim Schreiben notiert. Ich weiß selbst oft nicht, welche Vokale ich benutze und muss mich aber entscheiden, wie man das notiert. Wie z.B.: Ist der Konsonant ein weicher oder ein harter, ist es ein W oder ein B, ist dieses S schon ein eigenes Wort, dieses Dranhängsel von „hat´s“? Das sind lauter Entscheidungen, die man beim Schriftlichen trifft, die aber das Ganze wegrücken von dem, was der Mund und die Zunge machen. Rein vom Handwerklichen gesehen, ist es etwas Künstliches. Mir war das nie klar, aber ich habe bei alten Texten, in denen es begonnen hat, gemerkt, dass diese eine gewisse Nostalgie bekommen durch die sie eigentlich an Kraft verlieren. Ich habe einmal mit einem Stück ganz im Dialekt zu schreiben begonnen. Dort habe ich die Sprache genauso eingesetzt, wie ich im Alltag spreche und hatte das Gefühl, dass das für mich nicht funktioniert. Erst durch einen Schritt, der das wiederum verfremdet, entsteht ein Freiraum, mit dem ich dann arbeiten kann. Ich hüte mich davor, Alltagssprache 1:1 abzubilden. Ich habe das Gefühl, dass Radio und Film das viel schärfer abbilden können als Theater. Die Form der Alltagssprache ist viel zu frei. Ich brauche eine klare Form.

Eine Begrenzung, Eingrenzung, ein Raster, ein Korsett?

Es muss sich an etwas reiben. Ich verliere auch oft die Lust daran. Es lässt sich vielleicht schwer nachvollziehen, aber ein Dialog, der am Papier steht, ist für mich nicht beliebig. Ich muss ihn anschauen und das Gefühl haben, dass er jetzt seine Form gefunden hat, genau für das, was ich jetzt erzählen möchte. Ich stecke gerade wieder in so etwas drin und bin unzufrieden, weil ich nicht weiß, wie ich das aufs Papier setze. Und wenn ich das gelöst habe, dann lösen sich für mich auch andere Dinge, dann kann ich sehr schnell frei weiter schreiben. Aber manches Mal gibt es eben dieses Formproblem.

Sie arbeiten ja im Moment viel mit dem Schauspielhaus Wien zusammen. Inwieweit sind die Themen hier vorgegeben oder inwieweit haben Sie hier einen Freiraum, in dem Sie schreiben können?

Es gibt ganz pragmatisch gesprochen beides. „Grillenparz“ ist ein Stück, das ich geschrieben habe. Mit der Idee bin ich gekommen, da habe ich sehr viel Unterstützung bekommen. Es war der erste lange Text von mir, der zu einem Stück geworden ist. Wir haben uns dafür zu Textbesprechungen getroffen und haben laut gelesen und geschaut, wie das Gegenüber das versteht. Dabei findet man heraus, wie die Gedanken, die man in den Text hineinschreibt, beim anderen überhaupt ankommen. Dieses Thema, dieses Stück kam von mir. Schubert wiederum war ein ganz klares Projekt vom Schauspielhaus. Da gab es Andockpunkte, bei denen ich gleich gesagt habe, das interessiert mich, da versuche ich mich reinzudenken, das reizt mich, aber die Rahmenbedingungen waren schon stark abgesteckt.

Sie haben für den Zyklus „Schubert, eine Winterwanderung“ eigene „Lieder“ getextet, die sofort die Originaltexte der Schuberlieder evozierten, aber dennoch ganz eigenständig waren. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Ich bin ja mit diesen Liedern aufgewachsen, von denen man meist die erste Zeile kennt und damit meint, das ganze Lied zu kennen. Wenn man dann den Text aber nachliest, dann merkt man erst, welche Lücken man da wirklich hat. Ich habe mir die Texte zu den Liedern nie gemerkt. Man fühlt sich den Schubertliedern immer so nahe, oder besser eigentlich der Tradition, die man mit den Schubertliedern verbindet. Für mich war das eben eine Variation und eine Herausforderung zugleich, ob es möglich ist, die Musikalität der Lieder in den Text schreiben zu können. Ich habe eine große Nähe zu Schubert gespürt – ob der Traurigkeit, die in den Liedern steckt. Und ich habe versucht, den Schmerz einfließen zu lassen, der, wie ich glaube, in den Dialekttexten leicht zu spüren ist. Ich habe immer Lust, mit dieser Art von Sprache umzugehen. Die Motivation kommt aus dem Begreifen des Textes als Musik. Das geht in der Lyrik formal am explizitesten. Auf der einen Seite ist es ein Freischreiben von Schubert und gleichzeitig ein Versuch, ihm in dieser Form ganz nahe zu sein.

Die Musikalität ist nicht nur bei den Schubert-Texten zu spüren. Oft kann man einen gewissen Rhythmus oder auch ein Rhythmusgefühl wahrnehmen, wenn man Ihre Texte liest, die Lust, einen Rhythmus mit einem Text auszudrücken. Spielen Sie ein Instrument oder singen Sie?

Ich habe mich immer geweigert, ein Instrument zu lernen. Ich war, seit ich 13 Jahre alt war, Chorsänger. Ich habe immer heimlich Klavier gespielt. Wir hatten zuhause ein Klavier stehen. Meine Schwester spielt irrsinnig viele Instrumente, aber ich habe immer nur gespielt, wenn keiner da war. Ich wollte nie in den Unterricht gehen, aber ich habe immer gerne gespielt. Ich improvisiere auch heute noch gerne frei – das klingt vielleicht ganz grässlich, aber es ist für mich eine Art Vehikel.

Ein Vehikel wofür?

Einerseits um den Kopf abzustellen und – das hat jetzt vielleicht etwas Romantisches – den Augenblick auszukosten. Ich habe das selbst eigentlich noch nie genau hinterfragt, aber ich habe das Gefühl, das hat etwas mit dem „Tastengreifen“ zu tun. So wie die Finger auf der Tastatur liegen, von denen ich nicht immer weiß, was sie schreiben und ich im Nachhinein oft schauen muss, ob das, was ich da geschrieben habe überhaupt passt, weil ich so nahe an dem bin, was ich schreibe – so ist das mit den Fingern auch beim Klavierspielen. Ich muss nach so einem Schreibprozess dann wieder vom Sessel weg und mir durchlesen, was ich gemacht habe. Und kann dann erst durch die Distanz das aufbauen, was ich eigentlich will. Ich würde gerne einmal ein Libretto für eine Oper schreiben und weiß eigentlich gar nicht, warum das so ist. Ich habe auch eine Ahnung, welches Thema ich bearbeiten würde. Es würde in einem verwilderten Irrgarten spielen, in dem sich Skulpturen befinden, die das Ideal der Schönheit abbilden. Und es würde sich um Narziss drehen, der aufgrund seiner Schönheit seine Lebendigkeit verloren hat und nicht mehr schön sein will.

Warum ist das Thema Schönheit für sie interessant?

Bei dieser Idee geht es mir um die Abbildung. Ich setze mich gerne mit Fotografie und Film auseinander. Und um den Versuch, Wirklichkeit festzuhalten, und auch um das Aufhalten des Verfalls, indem man eine Skulptur schafft, die einen perfekten Moment symbolisiert. Aber auch damit kann man die Zeit nicht aufhalten.

Kommt bei Ihnen die Motivation zu schreiben aus einer Notwendigkeit heraus oder steht die Reflexion über ein Thema an erster Stelle und der Prozess des Schreibens kommt erst danach?

Der Anlass ist meist ein sehr dringlicher, weil ich über etwas nachdenken muss, dann im Kopf eine Blockade habe und dann darüber schreiben muss. Mir ist es aber oft nicht bewusst, worum es dabei eigentlich geht. Es passiert mir oft, dass, wenn ich Nächte nicht schlafen kann, dass ich mich am nächsten Tag vor den Computer setze und wie ein Wilder losschreibe und dann innerhalb weniger Stunden viel da steht. Dann bin ich zwar total körperlich fertig, aber ich habe dann das erlösende Gefühl, dass Sachen einmal ausgesprochen sind und ich jetzt anfangen kann zu sortieren, was das eigentlich für mich bedeutet. Schreiben ist eine Form von Gegenwartsbewältigung – nicht in allen Fällen, sonst würde ich mir um mich Sorgen machen. Bei den Kernthemen von meinen Stücken aber schon. Kernthemen docken immer an interessante Stoffe an, die ich wiederum reflexiv betrachte.

Das „Wiegenlied“ von Ihnen, das mit den Worten „Schlof siaß schena engl“ beginnt, ist ja trotz seines auf den ersten Blick vielleicht romantischen Inhalts ein unglaubliches Stück voll von Brutalität, in dem es um Kindermissbrauch bzw. Missbrauch an Frauen geht. War das für Sie dringlich, darüber zu schreiben?

Das Gedicht „Schlof siaß schena engl“, das aus dem Stück „Grillenparz“ stammt, war nicht als Thema an sich da, sondern darin geht es um das Verhandeln der Figuren aus dem Stück, wie Heimat angesichts von so viel vorhandener Gewalt eigentlich überhaupt möglich ist. Es gibt ja eine Sehnsucht nach Unschuld, die aber tatsächlich nie möglich ist. In dem Stück geht es um Menschen, die zusammenkommen und nicht wissen, ob sie überhaupt glücklich sein können. Sie versammeln sich an dem Hügel Grillenparz, an dem ich ja aufgewachsen bin, und da war es für mich eine Notwendigkeit, das zu schreiben, ganz gleich, was damit dann passiert, ob es zum Beispiel überhaupt wer liest. Bis zu einem gewissen Grad zumindest, denn danach kommt der Selbstschutz, der mir sagt: Nur für dich so dazusitzen und zu schreiben, das macht dich unglücklich. Insofern muss ich dann schon danach noch einmal aus der Distanz schauen, was ich da eigentlich erzähle und in welcher Weise kann ich mich damit heute auch wirklich verständlich machen. Vielleicht würde ich für mich manche Dinge ganz anders schreiben, was aber dann niemandem anderen etwas bringen würde, und da habe ich dann schon den Anspruch, dass ich jemandem anderen etwas erzähle, dass die Texte nicht für sich stehen. Ich möchte, dass sie zumindest im Privaten etwas bewirken. Dass derjenige, der im Zuschauerraum sitzt, hinausgeht und aus den Texten etwas mitnimmt. Ob Theater gesellschaftlich etwas bewirkt, das weiß ich nicht. Manches Mal denke ich mir „das bringt überhaupt nichts“, aber ich bin ein Idealist. Insofern arbeite ich dennoch und schaue, ob etwas passiert und ob man es als Forum nutzen kann. Theater ist ein sehr exklusives Forum, Sprache auf der Bühne hat etwas sehr Präsentes und Direktes. Ganz anders als ein gedruckter Text. Ich stehe da aber noch ganz am Anfang. Ob ich einmal resignierend sagen werde „eigentlich schreibt man eh nur für sich“, das weiß ich nicht.
Um noch einmal zur Frage zurückzukommen. Ich schreibe ja parallel an mehreren Stücken, zwei sind optimal für mich, bei Dreien fange ich mich schon an, zu verheddern. Es gibt für mich ganz dringende Themen, die in Ansätzen da sind. Das sind manches Mal drei, vier die nichts miteinander zu tun haben. Dann kommt aber ein konkreter Vorschlag von einem Theater und dann habe ich das Gefühl: Jetzt kann ich das alles erzählen. Dann muss ich nur die Konsequenz entwickeln und mir auch sagen: Die Zeit für dieses oder jenes Thema wird kommen. Denn sonst würde ich mit den drei Themen an einem Stück weiterschreiben und an dem Punkt kommen, wo ich sage, das ist jetzt schwächer geworden, als ich es wollte. Und dann kann ich an diesem Punkt nicht fertig schreiben. Dann verwerfe ich es wieder und steige bei einem Thema wieder ein.

Wie ist es für Sie, wenn eines Ihrer Stücke im Schauspielhaus Wien oder auch woanders auf die Bühne kommt und Sie sehen, was damit geschieht? Ist das ein Stück weit eine „Kindesweglegung“ oder kommt für Sie noch einmal etwas zu Ihrem Text hinzu, vielleicht etwas Positives? Oder gibt es da auch Reibungsmomente?

Meistens ist das ein sehr positives Erlebnis, weil ich das Gefühl habe, dass die Leute gezwungen sind, sich mit dem auseinanderzusetzen, was ich geschrieben habe. Und sie haben sich Gedanken gemacht, warum sie es so machen, wie sie es machen. Manches Mal fühle ich mich nicht verstanden, oder ich habe das Gefühl, dass nicht genug Zeit war, mich zu fragen oder sich selbst Gedanken darüber zu machen. Dann wird etwas gespielt oder der Raum so gemacht, dass ich das Gefühl habe, dass das jetzt eigentlich verliert – eigentlich hätte ich da gerne etwas anderes gehabt. Ich habe ja ehrlich gesagt diesbezüglich noch nicht so viele Erfahrungen. „Grillenparz“ wurde inszeniert und „Schubert“, und ich habe für die Serie „Kreisky, wer sonst?“ 2 Abende geschrieben – das sind meine Erfahrungen, die überwiegend positiv waren. Aber es gibt durchaus Punkte, bei denen ich das Gefühl habe, dass es eine Tendenz von neuerem Theater gibt, die meinen Texten nicht unbedingt zuträglich ist.

Welche Tendenz meinen Sie?

Einen Regiezugriff, der versucht, ganz andere Dinge anzureißen, obwohl der Text das gar nicht will.

Waren Sie überrascht, dass sie so schnell auf Ihre Arbeit so ein starkes Echo bekamen?

Ja.

War das für Sie Belastung oder nur Glück?

Nein, das war keine Belastung. Es ist ein gutes Gefühl und ein Ansporn. Ich vermute schon, dass ich eine Außenreferenz brauche, denn sonst würde es dabei bleiben, dass ich die Texte nur für mich rausschreibe. Vielleicht würde ich sogar aufhören.

Was würden Sie dann machen?

Das weiß ich nicht. Aber ich hatte ja nie vor, das so zu machen. Geschrieben habe ich schon lange. Ich habe Theaterwissenschaft studiert und 2008 erzählten mir Studenten, dass das Schauspielhaus eine neue Intendanz hat und sie zeigten mir das Programmheft. Und ich fand darin die Ausschreibung des Autorenförderprogrammes „Stück für Stück“. Ich habe kurz darüber nachgedacht, etwas hinzuschicken und meine Freundin sagte zu mir: „Suder nicht herum, sondern schick was hin!“ Dass das aufgegangen ist, darüber bin ich heute noch erstaunt und sehr froh drüber, weil ich weiß, dass sehr viele liebe Kollegen von mir total hart arbeiten und es ein großes Geschenk ist, dass es bei mir so schnell gegangen ist. Alleine deswegen arbeite ich einfach total hart.

Fühlen Sie sich dadurch auch stärker verpflichtet, da Sie jetzt ja auch wahrgenommen werden?

Das ist ein Gedanke, den mag ich nicht so. Klar ist es so, dass Leute etwas erwarten und sich fragen: Was schreibt er jetzt? Es gibt ja viele junge Autoren, die etwas schreiben und dann auch plötzlich wieder aus der Wahrnehmung verschwinden. Ich bin da nicht blauäugig und versuche, einen eigenständigen Weg einzuschlagen. Schreiben ist etwas Lebenslanges, Langfristiges und man braucht Sitzfleisch und Geduld, und wenn es einmal nicht klappt, dann braucht einen das nicht kümmern. Es ist aber für mich doch eine Verpflichtung, weil ich hoffe, dass sich die Gesellschaft vielleicht doch verändern lässt, und ich will da meinen Beitrag zu einer Welt, die in vielen Dingen nicht so läuft, wie ich es gerne hätte, zur Veränderung einbringen.

Was ist das Wichtigste, was Sie verändern wollten. Was läuft in Ihren Augen ganz falsch?

Es braucht mehr Mut, dass man nachdenkt und dass man nach dem Denken auch Handlungen setzt. Man soll sich nicht einreden lassen, dass Strukturen, die gegeben sind, nicht veränderbar sind. Und es braucht mehr Mut zur Sprache, zum Mundaufmachen.

Haben Sie das in der Schule schon gemacht?

Nein, ich bin im Schreiben viel mutiger als im Handeln und das ist ein Dilemma von mir. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen umso intensiver, um das zu kompensieren. Oder dadurch auch einen Mut zum Handeln zu gewinnen. Ich war unauffällig und schüchtern, wahrscheinlich in vielen Dingen jetzt auch noch. Es ist eine totale Chance, so eine exklusive Aufmerksamkeit zu bekommen, bei der ich plötzlich auch das Gefühl habe, da hört dir wirklich wer zu. Deswegen schreibe ich jetzt.

Das Interview führte Michaela Preiner

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