Wie ist es, ein Israeli zu sein?
12. März 2024
Zwei israelische Regisseure machen sich auf der Bühne Gedanken über ein neues Stück genauso wie über ihr Leben in Europa und jenes in Israel an sich. Witzig und tiefgründig, humorvoll und traurig zugleich eroberten sie das Publikum der ‚wortwiege‘ in den Kasematten in Wiener Neustadt.
Elisabeth Ritonja
Foto: (Julia Kampichler)

Pappkartons mit groß darauf vermerkten Datumsangaben, ein Fußball, zwei Sessel und ein Pferd – letzteres ein Requisit aus einem anderen Stück – mehr brauchen Ido Shaked und Hannan Ishay nicht, um ein außergewöhnliches Bühnenfeuerwerk zu zünden.

Die beiden Schauspieler und Regisseure präsentierten beim ‚wortwiege‘-Festival in den Kasematten in Wiener Neustadt unter dem Label ‚Théâtre Majâz‘ ihr neuestes Stück „A Handbook FOR THE ISRAELI THEATRE DIRECTOR IN EUROPE“. Beide stammen aus Israel und verließen ihr Land vor einigen Jahren – Ido Shaked, um in Paris Fuß zu fassen und Hannan Ishay um in Österreich zu studieren und zu arbeiten. Nun lebt er jedoch mit seiner Familie wieder in Tel Aviv und kann aus erster Hand über die Situation vor Ort berichten.

A HANDBOOK FOR THE ISRAELI THEATRE DIRECTOR IN EUROPE (Foto: Julia Kampichler)

A HANDBOOK FOR THE ISRAELI THEATRE DIRECTOR IN EUROPE (Foto: Julia Kampichler)

Entstanden ist die Show, die ganz im Stil einer Doppelconférence geführt wird, aus der Idee, auf der Bühne über Israel und das Geschehen dort zu sprechen, da die beiden Männer auf ihren Reisen immer gefragt werden, was sich dort so abspiele. So nutzten sie den Informationsnotstand, um mit ihrer Sicht auf die Entwicklungen einen Beitrag zum besseren Verstehen der Geschehnisse zu leisten. Und das mit dem Mittel, welches sie am besten beherrschen: dem Theater.

Schon nach wenigen Bühnenaugenblicken wird klar: Ido und Hannan werfen sich ihre Argumentationsbälle, gespickt mit jeder Menge Humor und Seitenhieben in einer derartigen Rasanz zu, dass man froh ob ihres gut verständlichen Englisch ist. Über- oder Untertitel wären in dieser Konstellation vollkommen sinnlos, ihre Konversation ist aber so gut getaktet, dass auch Publikum, das nicht tagtäglich Englisch spricht, keine Schwierigkeiten hat, den beiden zu folgen.

Sie sprechen über Politik genauso wie über Fußball oder Essen, sie sprechen über Israel als Besatzungsmacht genauso wie über die Tatsache, dass sie über vieles nicht sprechen dürfen oder können. Zum Teil, weil es der Staatsraison widerspricht, zum Teil, weil sie selbst nicht wissen, wie mit einer Entwicklung umzugehen ist, deren Gewaltspiralen unausweichlich nach oben getrieben werden.

A HANDBOOK FOR THE ISRAELI THEATRE DIRECTOR IN EUROPE (Foto: Julia Kampichler)

A HANDBOOK FOR THE ISRAELI THEATRE DIRECTOR IN EUROPE (Foto: Julia Kampichler)

So schwierig die Situation in ihrem Heimatland auch ist und man kaum glauben mag, dass ein Abend über Israel pfeffrig gewürzt so inszeniert werden kann, dass dem Publikum höchste Unterhaltung geboten wird, so einleuchtend ist das Unterfangen. Auf die Frage, ob sie sich denn angesichts der derzeitig tobenden Gewaltausbrüche sowohl von israelischer als auch palästinensischer Seite überhaupt in der Lage sähen, ihr Stück in Europa aufzuführen, kommt von beiden ein eindeutiges „Ja! Wie sollen wir denn sonst mit dieser Situation fertig werden, wenn nicht durch Reflexion auf der Bühne!“

Die antisemitische Strömung in Europa wird genauso thematisiert wie das Gefühl, zerrissen zu sein. Zerrissen zwischen dem Luxus im Ausland zu leben, zugleich aber nicht die Möglichkeit zu haben, bei Anti-Regierungsdemos in Israel dabei zu sein. Ido und Hannan sind sich bewusst, dass ihr Unterfangen auf der Bühne in jedem Augenblick zum Scheitern verurteilt sein kann, aber Profis genug, dass dies nicht passiert. Ihr geistreiches Pas de deux fesselt, macht betroffen und lädt gleichzeitig zum Lachen ein und hinterlässt beim Publikum viele Gefühle und noch viel mehr Stoff, um nachzudenken.

„Was wirst du tun? Weggehen? Bleiben?“ fragt Ido seinen Kollegen Hannan am Schluss, der keine schlüssige Antwort darauf weiß. Vielmehr betten sie ihre letzten Überlegungen ein in die großen europäischen Mythen wie jene von Odysseus und Troja, jener Stadt, die in Asche gelegt wurde und verorten damit das Grauen und das Leid, aber auch die Wiederauferstehung aus dem Staub in jene jahrtausendealten Erzählungen, die heute noch genauso Gültigkeit haben wie in der Antike.

Welch wunderbare Referenz auch an die gastgebende „wortwiege“, welche in ihren Festivals ebenfalls immer wieder antike Stoffe aufgreift, um exakt dasselbe zu verdeutlichen. Prädikat: Absolut sehenswert!

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Französisch Englisch

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