Wer spielt – gewinnt!

Wer spielt – gewinnt!

Kharbga: Um dieses Spiel zu spielen, sitzen die Männer direkt am Boden, oder auf flachen Steinen – fast am Boden. Vor ihnen im Staub haben sie helle und dunkle, kleine Kiesel platziert – in Reih und Glied. Abwechselnd hebt einmal der eine, dann wieder der andere Spieler ein Steinchen auf, nimmt eines oder mehrere weg, oder verrückt sie auf einen anderen Platz. Das kennen wir so ähnlich vom Schach. Jenem königlichen Spiel, das sogar Weltmeister hervorbringt. In Tunesien, jenem Land, in dem gerade die ersten demokratischen Wahlen seit Menschengedenken stattfinden, nennt sich das Äquivalentspiel „Kharbga“. Ein Zeitvertreib, bei dem sich die Spieler meist – wie auch in Europa – von Kiebitzen umringt fühlen.

„Kharbga“ jeux de pouvoir – übersetzt – Kharbga, Spiel der Macht – nennt sich ein Tanzabend, der von der tunesisch-französischen Companie Chatha im November im Tanzquartier erstmals in Österreich aufgeführt wurde. Hafiz Dhaou und Aicha M´Barek schufen dafür die Choreografie. Für diese mussten erst einmal einige Tonnen kleine Steine in den Bühnenraum gekarrt werden, auf dem sie zu verschiedenen Haufen zusammengekehrt worden waren. Nach und nach kommen eine Tänzerin und vier Tänzer auf die Bühne. Unter ihnen auch Hafiz Dhaou und Melchior Derouet. Letzterer ist ein außergewöhnliches Bühnen-Multitalent und verdient besondere Beachtung, denn der Mann mit den schlohweißen Haaren ist blind. Das hält ihn aber nicht davon ab, gleichberechtigt auf der Bühne mitzutanzen.

Menschen tanzen gegen eine harte, schmerzende Marterie

Getanzt wird anfänglich in Schritten, die Drehungen um die eigene Achse ergeben, aber die Körper dennoch merklich fortbewegen. Je länger der Abend voranschreitet, umso schneller werden diese Schritte, bis sich schließlich alle – bis auf Derouet – wie rasende Derwische im Raum um die Steinhaufen bewegen. Dabei tanzen sie über Steine, die ein eigenartiges Soundmuster ergeben und schieben diese, so sie ihnen im Weg sind, während ihres Tanzes, geschickt mit den Füßen weg. Die sportlichen Outfits – unterschiedliche T-Shirts in gedeckten Grün-Rottönen und graue Hosen zeigen, dass diese Menschen sich weder ganz oben noch ganz unten in der sozialen Hackordnung befinden. Derouet ist der einzige, der sich auf eine Steinansammlung zurückgezogen hat und in diesem langsam, ganz langsam zu wühlen beginnt. Nach und nach schaufelt er mit seinen Händen allerlei Objekte frei. Die Büste einer weiblichen Puppe zum Beispiel, oder einen ausgebleichten Plastikblumenstrauß. Aber auch eine Pistole. Alles, was er aus dem Schuttberg hervorholt, platziert er mit Bedacht auf demselben und kreiert so eine Gedenkstätte, die einem Grab gleicht. Die Geschichte dazu entsteht durch die Requisiten im Kopf.

Währenddessen beginnen sich die anderen aufeinander zuzubewegen, voneinander Notiz zu nehmen. Auf Tuchfühlung starten sie damit, im Gleichklang zu tanzen, synchrone Bewegungen zu machen. Die Musik und die Sounduntermalung wechselt beständig. Von leiser Hinergrundmusik über das Läuten eines Weckers bis zu aufputschenden Rhythmen ergibt dies eine große Bandbreite, der sich die Tanzenden ausliefern. Denn ab einem bestimmten Punkt ist es ein Ausgeliefertsein, das an Brutalität grenzt. Waren zuerst die Tanzenden auf sich alleine gestellt, isoliert in ihrem Tun, so wird nun klar, dass ein gemeinsames Etwas entsteht. Ein Gefühl, das sich verstärkt, das so etwas wie Zusammenhalt bedeutet. Und irgendwann einmal, beinahe unmerklich, scheint ein Damm gebrochen zu sein, der die Isolation in einer Sturzflut hinweg spült. Er setzt Kräfte frei, die keinen Halt mehr kennen und welche die bis dahin sakrosankten Steinhaufen als attackierbar kennzeichnen. Immer und immer wieder springt Hafiz Dhaou ohne Rücksicht auf seinen Körper auf die Kiesberge. Er lässt sich mit solcher Wucht darauf fallen und bleibt dann eine Zeit regungslos liegen, dass man immer das Schlimmste befürchtet. Aber auch die anderen versuchen, sich gegen die harte Marterie zur Wehr zu setzen. Sich in sie hineinzubohren oder sie zu überspringen. Immer wilder wird der Rhythmus eines arabischen Popsongs, immer stärker lassen sich die Tänzerin und die Tänzer von der Musik aufpeitschen, bis Dahou schließlich Derouet unterhakt. Mit vollem Speed läuft er mit ihm auf das Publikum zu, um knapp vor ihm abzubremsen. Die Brutalität und das Aufbegehren ist nun einer immensen Lebensfreude gewichen. Es wird gesprungen und getanzt und gelaufen, was das Zeug hält. Und es wird das Leben gefeiert.

Die ersten Partien des Spieles sind gewonnen

Im arabischen Frühling, in dem das Stück entstanden ist, war ein freies Leben in Tunesien nicht selbstverständlich. So wie es auch heute noch nicht wirklich selbstverständlich ist. Das Spiel um die Macht des Volkes und eine Demokratie kann noch immer verloren werden. Aber die ersten Züge und die ersten Partien gingen an die Tunesier und Tunesierinnen. „Beim Spiel gewinnt immer die Bank“ sagt an einer Stelle Melchior Derouet zum Publikum. Damit hat er Recht. Aber das Spiel um die politische Macht in einem Staat geht nicht zwangsläufig an Machthaber, welche die weiteren Spielzüge alleine entscheiden. Tunesien ist dafür ein Vorzeigebeispiel. Ein Land, in dem ein kleines Pflänzchen wächst. Das der Freiheit und das der Demokratie. Von heute auf morgen wird sich das Lebensgefühl der Tunesier nicht rapide wandeln. Das Gefühl, nicht mehr alleine einer Willkür ausgeliefert zu sein, das Gefühl eine Rechtsstaatlichkeit aufbauen zu können und schließlich auch gemeinsam ausgelassen feiern zu können, das ist schon vorhanden. Wie man in „Kharbga jeux de pouvoir“ fühlen konnte.

-----

Per Mail jeden neuen Artikel erhalten!

Ich entschuldige mich für gar nichts!

Ich entschuldige mich für gar nichts!

„Yes we can`t“ – dieser kryptische Titel des Tanzstückes der Forsythe Company, welches am 4. April im Tanzquartier Wien Premiere hatte, erinnert an Barack Obamas Wahlslogan für seine Präsidentschaftskandidatur. Mit dem klitzekleinen Unterschied, dass er in seinem Slogan keine Verneinung hatte. Und tatsächlich entstand die ursprüngliche Fassung dieses Tanzabends 2008, in jenem Jahr, in dem Obama zum ersten Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden war. William Forsythe, Begründer der renommierten Tanztruppe, hat Obamas starkes Bekenntnis zu einem aktiven Tun, das mit Erfolg gekrönt werden muss, sicherlich inspiriert. Aber ganz im Gegenteil zu seinem berühmten Landsmann hat er sich mit dem Gedanken beschäftigt, was denn eigentlich passiert, wenn man scheitert. Wenn man etwas eben nicht kann.

Insgesamt 18 Tänzerinnen und Tänzer geben sich, begleitet von David Morrow am Klavier, dem langjährigen musikalischen Begleiter der Forsythe Company, ganz dem Scheitern auf der Bühne hin. Einem Scheitern, das in einem kreativen Prozess vielfältig auftreten kann. Dies fängt bei einer viel zu langen Intro an, in welcher alle mehrfach hintereinander vor drei Mikrofone treten, um theatralisch den Ton eines Akkordes zu singen. Mit Inbrunst und so laut wie möglich. In Kostümen, die bewusst auf Schrillheit setzen. Mit Perücken, die so schlecht gemacht sind, dass man auf den ersten Blick den Haarersatz bemerkt. Und gerade, wenn man meint, nun sei das Wildeste überstanden, geht die brachiale Show erst richtig los.

Eine Gruppe von drei Personen beginnt sich mit einem Stück Teppich zu beschäftigen, einer ganz gewöhnlichen, beigen Auslegeware, mit der sie sich in erstaunlicher Vielfalt über lange Strecken des Abends hin beschäftigt. Da wird das Stück Flachware zu unterschiedlichen Kleidungsstücken, verwandelt sich in eine Balalaika, in eine Beinschiene, wird zur Be- und Enthausung oder schlicht zum Eingang einer Höhle. Wer meint, das seien Kindereien, sei aufgerufen, sich auch nur eine Handvoll unterschiedlicher Einsatzmöglichkeiten mit so einem kleinen Stück Teppich, eingebaut in Bewegungsabläufe, einfallen zu lassen. Spätestens bei diesen Gedanken sollte klarwerden, wie groß die Kreativität der Tänzerinnen und Tänzer ist, die dieses Stück gemeinsam mit Forsythe erarbeiteten. Die Schwierigkeit des Publikums bei dieser Aktion ist jedoch, sie ausreichend wahrzunehmen. Denn während die kleine Gruppe sich mit dem lächerlichen Objekt abmüht, herrscht auf der Bühne rund um sie das reinste Chaos. Da wird ganz in Dada-Manier Unverständliches rezitiert und ins Mikrofon gesungen. Wie ein Kasperl auf Drogen heizt Ander Zabala als eine Art Entertainer gemeinsam mit seiner sich wild gebärdenden Partnerin Dana Caspersen die Stimmung an, begleitet von unterschiedlichen Melodien. Einem Potpourri, in dem sich Klassisches mit Allerweltsmusik und Jazz vermischt.

Noch nicht genug des Schauens, treten abwechselnd Einzelne, aber auch Gruppen von Tanzenden auf die Bühne. Eine davon ist mit schwarzen Perücken und Staubwedeln ausgestattet und unterhält mit einer Parodie auf einen asiatischen Tanz. Mit adorablen „Wow“-Rufen werden kurz darauf klassische Tanzeinlagen bewundert, die schon bald von einer Truppe abgelöst werden, die im übertriebenen Afro-Look die 70er Jahre auferstehen lässt. Da streiten sich Sänger und Tänzer ums Mikrofon – wobei der eine permanent in seiner weißen Balletthose klassische Posen einnimmt und der andere beständig versucht, so verrückt wie möglich zu singen. Aus diesem Durcheinander sticht die Nummer eines Bodenakrobaten heraus, der – wie beim Auftritt der Bodenturnerinnen – mit einem langen Band an einem Stab hantiert. Allerdings wickelt sich das Band schon nach kurzer Zeit um eines seiner Beine, sodass er Mühe hat, mit seiner Nummer fortzufahren. Trotz all der Hoppalas, die Riley Watts dabei passieren, zeigt er eine wahnsinnige Performance, von der man weiß, dass gerade seine Missgeschicke die größten Schwierigkeiten in der Choreographie darstellen.

Aktionen wie diese gibt es am laufenden Band – oder vielmehr auf der meist voll besetzten Bühne, sodass man, wie schon erwähnt, es nicht schafft, all das, was sich da abspielt, tatsächlich auch zu verfolgen. Bis schließlich das verrückte Spiel abrupt ein Ende findet. Was folgt, ist eine elendslange Entschuldigung von einem der Tänzer, mit einem Vater-Abraham-Bart verkleidet, in englischer Sprache, in welcher darauf hingewiesen wird, dass alles, was schiefgehen kann, an diesem Abend bei dieser Performance tatsächlich auch schief gegangen ist. Dass, wie bei einer Maschine, bei der ein Rädchen falsch läuft, die gesamte Maschine ins Stottern kommt, wie eben auch hier an diesem Abend ein kleiner Fehler den nächsten ergeben hätte und dass – wertes Publikum – man noch einmal sich bemühen werde, um nun aber wirklich eine perfekte Performance abzuliefern. Sprach´s – und abermals nahm die Show ihren mittlerweile zweiten Anlauf. Zu einem Geschehen, dass dem Ersten in nichts nachstand. Mit einem Zusatz: Als hätte es das noch gebraucht, erschien ein exaltiertes Penelope Cruz Double, Inma Tomás Rubio, um sich durch nichts und niemandem in ihrem dramatischen Song von Pistolenhelden und Angstzuständen vom Mikrofon vertreiben zu lassen.

Einfach köstlich jene sie begleitende Slapstickeinlage, in welcher einer ihrer Tanzpartner vergeblich versucht, sie zu erschießen. Angefangen vom Versuch mit einer kleinen Pistole arbeitet sich der Mann hoch bis zur schweren Panzergranate, um bei einer richtigen Bombe mit Zündschnur zu enden. Vergebens, Penelope Cruz wird an diesem Abend die Bühne nicht mehr verlassen, egal, wie sehr sie ihre Kollegen und Kolleginnen mit ihrer exaltierten Art auch nervt. Ohne Rücksicht auf Verluste gerät das Geschehen auf der Bühne abermals außer Rand und Band. Bis zu einer abermaligen Entschuldigungslitanei, in der das Publikum nun auch aufgeklärt wird, dass keiner der Artisten wirklich glamourös ist, dass niemand von ihnen 100% geben kann, um nicht am nächsten Tag zu versagen und dass die Angst vor dem Versagen ein ständiger Begleiter ist.

„Was ist, da Thema?“ – diese Frage wird – zurecht – an diesem Abend immer wieder in eines der Mikrofone gesprochen, ohne dass darauf eine Antwort kommt. Und dennoch ist das Thema längst klar. Dieser Abend gehört nicht der Perfektion, nicht jenen minuziös eintrainierten Bewegungsabläufen, die man von der Forsythe Company gewohnt ist. Er ist nicht ausgestattet mit jenen Bildern, die sich durch ungewöhnliche Positionierungen von Tänzerinnen und Tänzern ergeben, die teils im Gleichschritt und in der Synchronisation, teils in einer Melange aus klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz agieren. Es ist ein Abend – für die Tänzerinnen und Tänzer selbst und ein Abend von ihnen. Eine Zur-Schau-Stellung von Möglichkeiten, die in einem geregelten choreographischen Ablauf keinen Platz finden. „Yes we can´t“ ist ein Fest von liebenswerten Verrücktheiten. Eine Orgie von extrovertierten Verhaltensmustern, die zusammen einen wahren, nicht enden wollenden Aufführungsrausch ergeben.

Forsythe ist mit dieser Arbeit in jener postdramatischen Bühnenzeit angekommen, in welcher es keine vordefinierten Inhalte mehr gibt, die hierarchisch von einem Choreographen von oben nach unten zu den Tanzenden hin vermittelt werden. Vielmehr sind es die Darstellenden selbst, die sich mit ihrem Können – oder wie an diesem Abend „vermeintlichen“ Nicht-Können – einbringen. Auch die Absenz eines Bühnenbildes und die von der Sicht der Tanzenden sehr subjektiven Entschuldigungstexte verweisen genau auf diese Bühnenpraxis, die seit einigen Jahren merklich stärker wird. Ob eine Produktion, die mit diesen neuen Mechanismen arbeitet, schließlich funktioniert oder nicht hängt – und das ist nicht wirklich verwunderlich – letztendlich dennoch von der Qualität der Tanzenden auf der Bühne ab. Die Mitglieder der Forsythe Company weisen diese Qualität auf – in Hülle und Fülle. Der Erfolg hängt aber auch davon ab, ob sich das Publikum auf diese neue Erfahrung einlassen kann. Herkömmlicherweise bezieht sich ein Tanzabend, oder auch ein Theaterabend immer in irgendeiner Art und Weise auf das Publikum, auf seine Wünsche, seine Hoffnungen und Träume oder auch auf seine Ängste. Wenn diese Referenz gänzlich abhanden kommt, wird es schwer, den Spannungsbogen von der Bühne zum Zuschauerraum zu bilden und ihn auch zu halten. Hinzu kommt die Frage nach der allgemeinen Erwartungshaltung. Diese ständig und immer zu erfüllen ist nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, sondern würde Stillstand in der Evolution des Tanzes darstellen. Deswegen ist ein Abend wie dieser ein Drahtseilakt. Eine Herausforderung, die gerade im Tanzquartier in Wien besonders gut aufgehoben ist. Einem Ort, in dem Experimente zugelassen werden, in dem demokratische Aufführungspraxen kein Neuland mehr sind. Einem Raum, in dem Neues gefördert wird und sich dort entfalten kann.

Wie wenig es doch braucht, um so viel Spannung und Aufmerksamkeit zu erzeugen, dass man im Saal eine Nadel fallen hätte hören können, auch diese Erfahrung hielt der Abend noch bereit. Zu einer einfachen Klaviermelodie durfte man sich an einer klassisch angehauchten Solochoreografie des unglaublich muskulösen Hünen Josh Johnson erfreuen, auf den weiße Papierschnipsel sanft herabregneten. Dieser kleine Ausflug ins emotionale Seidenkissentanztheater, er wirkte, eingebettet in all den Trubel, wie ein kleines getanztes Gebet an längst Vergangenes. Die polternde Penelope Cruz, herabgstiegen von orangen Highheels in schwarze Holzpantoffel – jene unerschrockene Diva, die zuvor erklärt hatte, dass sie sich nicht entschuldigen würde – für gar nichts, denn sie sei ja schließlich Penelope Cruz – ihr war schließlich der letzte Auftritt vorbehalten. Welcome back, neuer Tanzkosmos.

Der Applaus, der sich insofern von anderen Forsythe Abenden unterschied, da er nicht ins Frenetische ausartete, zeigte eine gewisse Verunsicherung im Publikum. Auch, dass viele Menschen nach der Vorführung sich noch im Saal über das Gesehene unterhielten, machte deutlich, dass Forsythes Konzept ziemlichen Diskussionsbedarf bereithält. Die Überlegungen, ob und wenn ja warum und wenn nein warum nicht „Yes we can`t“ gefiel, sollten auch im Hinblick auf jene Strukturen angedacht werden, denen Tanzveranstaltungen per se unterliegen. Die Zementierung von Machtverhältnissen ist ein Beispiel – in diesem ganz speziellen Fall vom Publikum gegenüber den Tanzenden. Der Ausbruch aus dieser Abhängigkeit, einer Abhängigkeit, welche die Kreativen auf der Bühne oftmals zu Zirkuspferden degradiert und in gewisser Weise auf ihr Scheitern angelegt ist, dieser Ausbruch war ein gelungener und radikaler. Man kann gespannt sein, inwieweit diese spezielle Produktion als auslösendes Moment für andere gelten wird, die sich zukünftig ebenfalls intensiver mit den Produktionsbedingungen, den Machtverhältnissen und den ganz persönlichen Befindlichkeiten der Tanzenden auseinandersetzen.

Links:

Webseite Forsythe Company
Tanzquartier Wien

Schaut, hört und fühlt!

Schaut, hört und fühlt!

Die Batsheva Dance Company war mit Sadeh21 zu Gast im Tanzquartier Wien

Die erste große Produktion dieser Saison des Tanzquartiers in Wien hatte es in sich. Mit gleich 16 TänzerInnen der Batsheva Dance Company aus Israel war fulminantes Tanztheater angesagt. Und das in gleich mehrfacher Bedeutung. Nicht nur die Anzahl der Tänzerinnen und Tänzer war erstaunlich, Quantität alleine macht noch keine gute Performance. Was an diesem Abend aber auch an Qualität mitgeboten wurde, verschlug einem zeitweise den Atem.

Es ist kein Leichtes, Sadeh21 zu charakterisieren. So vielfältig sind die Auftritte, so abwechslungsreich die Bilder und so ausdrucksstark einzelne Passagen, dass aus dem facettenreichen Ganzen erst im Nachhinein auch gedanklich ein schlüssiges Konzept gebastelt werden kann. Auf der anderen Seite braucht es gar keine große Gedankenanstrengung, wenn man die Aufführung als etwas nimmt, das mitten aus dem Leben entnommen scheint, ja in vielerlei Hinsicht unser menschliches Leben an sich charakterisiert.

Da treffen Menschen aufeinander, zu zweit, zu dritt oder auch in größeren Gruppen. Sie interagieren miteinander, wie soziale Wesen es eben tun, freuen sich, lieben sich und kämpfen gegeneinander. Da bleiben Menschen wie einsame Inseln ganz auf sich alleine gestellt, während um sie herum eine geschäftige Betriebsamkeit herrscht. Sie jedoch scheinen wie herausgelöst aus all dem Menschentumult. Dieses Gefühl der Einsamkeit in der Masse produzierte Ohad Naharin, langjähriger Choreograf und künstlerischer Leiter der Company nicht nur einmal an diesem Abend. Mit einer speziellen Dramaturgie, die, wie mit Zwischenschnitten eines Filmes, von einem Moment auf den anderen das meist enorme Tempo komplett aus den Bewegungsabläufen nahm und die Tänzerinnen und Tänzer einfrieren oder sich in Slow Motion bewegen ließ, erzeugte er diesen starken Eindruck. Diese unglaublich poetischen Momente zogen sich leitmotivisch durch all die unterschiedlichen Szenen und divergenten musikalischen Elemente.


Dazwischen aber pulsierte das pure Leben, vollgepackt mit lebendigem Tanz der Extraklasse. Gemischt mit akrobatischen Elementen und Figuren aus dem klassischen Ballett präsentierte sich das junge Ensemble von seiner besten Seite. Ohne jegliche Ablenkung von Requisiten nutzte es die Bühne, die in der Tiefe durch eine helle Wand etwas gekürzt war, voll aus. Schon in den ersten Auftritten – Soli – in welchen alle ihre herausragende körperliche Verfassung zeigen konnten – wurde der Bühnenraum von links nach rechts oder auch umgekehrt komplett durchtanzt. Auch die Kostüme lenkten in keiner Weise von der intensiven Körperperformance ab – im Gegenteil. Die knappen Shorts und T-Shirts betonten die durchtrainierten Körper und vermittelten durch ihre gedämpfte farbliche Gestaltung, aus der nur einige wenige kräftige Farbtupfer ins Auge stachen, eine elegante Aura. Aus der fließenden Choreografie, in welcher das Zusammenkommen und das Auseinandergehen der Menschen zu einem sensiblen getanzten Netz geflochten wurde das niemals abriss, gab es immer wieder abseits dieses wogenden Geschehens atemberaubende Szenen. Ob allein oder zu zweit – im Vordergrund dabei stand immer eine extreme Körperlichkeit. Dabei spielten vor allem auch Elemente aus der Bodengymnastik eine wichtige Rolle. Gekonnt – von avantgardistisch bis fast zur kitschigen Schmerzgrenze eingesetzt – unterstützte Maxim Waratt mit seinem Soundtrack die Performance. Eine krachende Geräuschkulisse gleich zu Beginn und ein die Luft zerschneidendes, weibliches Lamento am Ende der Aufführung ließ niemanden im Publikum kalt. Dazwischen gab´s aber auch Klassisches bis hin zur eposhaften Filmmusik aus Mulholland Drive von David Lynch. Ein Druck auf die Tränendrüsen, der seine Wirkung nicht verfehlte.

Die geschlechtergetrennten Auftritte im letzen Teil des Abends, bei welchen jugendliche, unbeschwerte Weiblichkeit einer kumpanenhaften, beinahe schon martialischen Männlichkeit entgegengesetzt wurde, zeigten noch einmal geballt die beeindruckende Homogenität der Truppe. Nach einem starken Bild, in welchem hinter den ausgelassenen, feiernden Mädchen die Männer in schwarzen Frauenkleidern wirbelnd ihr Unwesen trieben, endete die Vorstellung in einem Massenexodus. Ob sich die Tänzerinnen und Tänzer im freien Fall ins Bühnenoff stürzten, um sich zu entleiben, oder ob es sich um Sprünge ins Wasser handelte – beide Interpretationsmöglichkeiten blieben dabei offen. Die anschließende Verweigerung, bei den Ovationen noch einmal auf der Bühne zu erscheinen evozierte letzte, große Gefühle. Ein Abend, der nicht nur tänzerische Höchstleistungen lieferte, sondern bei dem alle, die nicht nur sehen und hören, sondern auch fühlen konnten, mit großen Emotionen beschenkt wurden.

Tänzerinnen und Tänzer:
Stehanie Amurao, William Barry, Ariel Cohen, Omri Drumlevich, Chen-Wei Lee, Eri Nakamura, Ori Moshe Ofri, Shamel Pitts, Oscar Ramos, Nitzan Ressler, Ian Robinson, Or Schraiber, Maayan Sheinfeld, Bobbi Jene Smith, Maya Tamir, Adi Zlatin.

Links:

Tanzquartier
Batsheva

Ein Abend der Gegensätze

Ein Abend der Gegensätze

Menschen haben unterschiedliche Motivationen, warum sie in eine Tanzveranstaltung gehen. Manche bewundern die Ästhetik der Körper, manche möchten in Gegenwelten eintauchen, andere wiederum berauschen sich an poetischen Bildern oder Tönen. Besonders BesucherInnen des klassischen Balletts äußern diese Erwartungshaltungen häufig. Das Publikum von zeitgenössischen Tanzveranstaltungen wiederum erweitert oftmals seinen Anspruch und erwartet meist noch einen weiteren Informationsgehalt, der sich in irgendeiner Art und Weise auf das soziale Gefüge unserer Zeit bezieht. Freitag den 15. und Samstag den 16. März trat ein international Bekannter der Tanzszene im Tanzquartier in Wien auf und erfüllte wohl alle Ansprüche. Saburo Teshigawara präsentierte mit der Gruppe Karas eine Neuauflage seines 1991 uraufgeführten Stückes und machte wieder einmal klar, warum er ein internationaler Star geworden ist.

Saburo Teshigawara im Tanzquartier Wien

Saburo Teshigawara im Tanzquartier Wien – © Jun Ishikawa, Akihito Abe, Laurent Ziegler

Der Titel seines Abends – so erfährt man aus dem Programmheft – DAH-DAH-SKO-DAH-DAH greift lautmalerisch den Klang der jahrhundertealten Tradition der Kenbai-Taiko-Trommeln auf – das Pochen des Herzens und die Geräusche des Windes. Und tatsächlich beginnt die Aufführung im finsteren Saal, in welchem man nur ein wildes Brausen von einem Sturm hört, der einen frösteln lässt. Von Weitem vermeint man ein rhythmisches Klatschen zu vernehmen, als das Windgeräusch jedoch abebbt und die Bühne in ein partielles, weißes Licht getaucht wird, erkennt man, dass es sich nicht um Klatschgeräusche handelt, sondern dass eine Tänzerin steppt. Ihr regungsloser Oberkörper und ihre schlaff herabhängenden Arme stehen ganz im Kontrast zu ihren rastlosen Beinen, die eine unendlich lange Abfolge von teilweise schwierigen Rhythmusänderungen replizieren. Ihr Part ist erst beendet, als der Scheinwerfer, der auf sie gerichtet ist, erlischt und zwei weitere Tänzerinnen erfasst, die nun im Gleichklang ebenfalls eine unendlich scheinende Steppkaskade absolvieren. Gleichklang und Wiederholungen sind immer wieder vorkommende Momente an diesem Abend, bilden so etwas wie ein Korsett. Dieses wird nur selten durchbrochen. Dann zum Beispiel, wenn der Meister selbst auf der Bühne tanzt. Seine Tanzschritte scheinen unerschöpflich, wenngleich auch ein ihm ganz eigenes Bewegungsvokabular erkennbar wird. Die Arme bekommen bei Teshigawara einen ganz eigenen Stellenwert. Neben gefühlsbetonten, aus einer Verinnerlichung herrührenden Bewegungen sind es vor allem jene Kreis- oder Kurbelmomente, in denen diese Extremitäten wie kräftige Rotoren links und rechts des Rumpfes agieren. In einer Szene steigert der Choreograph diesen Eindruck ins Extreme. Durch eine ausgeklügelte Lichtregie, die, wie auch die Ausstattung und die Kostüme selbst seiner eigenen Kreativität entstammen, erhalten die Hände der Tänzerinnen einen fluoreszierenden Charakter und scheinen beinahe abgelöst vom Rest des Körpers zu agieren. Es sind Momente wie diese, welche man in sich aufsaugt, um diese Eindrücke dauerhaft in seinem Gedächtnis abzuspeichern, aber auch gänzlich andere. So z.Beispiel jene, in welchen Teshigawara auf einem großen Thron sitzend auf die Bühne geschoben wird. Ihm zur Seite ein überlebensgroßes katzenartiges Tier, das sich seines Amtes und seiner Würde bewusst zu sein scheint. Während Teshigawara seine Lippen zum auf Band vorgesprochenen surrealen Text bewegt, vollziehen 2 schwarz Gekleidete, an ihren Mützen als dem Militär Zuzuordnende, immer wieder kehrende synchron ausgeführte Bewegungen durch. Ihre Handschuhe – einer in Rot und einer in Weiß gehalten, markieren so etwas wie Leuchtpunkte auf der Bühne. Etwas in den Hintergrund gerückt ist eine Frau erkennbar, die 2 lange Stöcke hinter ihrem Körper hält und diese langsam bewegt. Was man sieht und was man hört, fügt sich zu einer Einheit, deren Inhalt jedoch trotz all der visuellen Informationen im Dunkeln bleibt. Es tauchen lang zurück iegende Erinnerungen an eine Zeit auf, in der einem selbst Märchen und Sagen von den Erwachsenen vorgelesen worden waren, die man aber aufgrund ihrer Komplexität und des kindlichen Alters in keiner Weise noch erfassen konnte. Ganz ähnlich sitzt nun das Publikum im Saal und folgt einer Erzählung, die nicht einmal ansatzweise wiedergegeben werden kann.

Teshigawaras Choreographie überrascht und verblüfft jedoch noch mehrmals. Abrupte Licht- und Szenenwechsel sind nicht dazu angetan, eine Geschichte mit einem durchgehenden Erzählstrang wiederzugeben. Vielmehr sind es hintereinander gesetzte kurze Szenen, die oftmals, so hat es zumindest lange Zeit den Anschein, nicht wirklich etwas miteinander zu tun haben. Dabei wechseln sich Soli mit Partien ab, in welchen alle Beteiligten auf der Bühne agieren. Die Geräuschkulisse changiert zwischen lautem, ultrahartem Beat über die Einspielung einer leicht verstimmten Brassband bis hin zu leisem Windpfeifen. Immer wieder fallen die uniformen Kostüme auf. Einfache Hosen und Shirts oder Hemden, jedoch immer für alle TänzerInnen in den gleichen Schnitten und Farben gehalten. Hier gibt es nur eine große Ausnahme, nämlich jene Szene, in der drei Menschen mit Blasmusikinstrumenten die Bühne überqueren. Sie spielen die Trompete, Posaune und das Horn so falsch, dass dies schon wieder eine Kunst ist, und agieren dabei in ganz unterschiedlichen Gewändern. Im Gegensatz zu allen anderen Kostümen sind diese nicht asiatisch schlicht ausgeführt, sondern geben alltägliche Bekleidungsstücke von Menschen in einer westlichen Großstadt wider wie zum Beispiel ein hellgrauer Staubmantel und ein darüber getragener schwarzer Hut. Mit diesem kleinen unerwarteten Szenenwechsel gelingt dem Japaner nicht nur das Aufzeigen von individuellen lustbetonten Lebensentwürfen einer Gesellschaft. Vielmehr verstärkt er noch die asiatische Uniformität, die bei ihm über weite Strecken von einer scheinbar rastlosen und menschenunwürdigen Arbeitshetze begleitet ist. Ein Entrinnen daraus gibt es nur durch körperlichen Zusammenbruch. Und tatsächlich sind es ungezählte Male, bei welchen den TänzerInnen scheinbar die Kraft abhandenkommt, und sie leblos auf den Boden fallen, um nach kurzer Regenerationsphase wieder aufzustehen und sich wieder in die nächste rasante Bewegungsarbeit einzugliedern.

So unterschiedlich die einzelnen Auftritte auch sind – die zu Beginn gezeigten Steppschritte kommen, wie schon erwähnt, als Konstante immer wieder und rhythmisieren so das vielfältige Geschehen an diesem Abend. So spielen Überraschung und Wiederholung in dieser Produktion als Gegensatzpaar eine ebenso große Rolle wie das Uniforme und das Individuelle. Poesie und Drill treten genauso nebeneinander zutage wie infernalischer Lärm oder einzig das Atemgeräusch von Saburo Teshigawara während eines Soloauftrittes. Die Lust an der Körperbewegung und die Plage, den Körper bewegen zu müssen – auch diesen beiden antipodischen Haltungen wird breiter Raum eingeräumt. Was jedoch auffällt, ist, dass sich in dieser Choreographie die soziale Interaktion auf ein Minimum beschränkt. Der Mensch agiert beinahe immer für sich alleine, auch wenn er in einer Gruppe auftritt und ihren Gesetzen folgt. Ein Austausch mit dem Gegenüber findet so gut wie gar nicht statt. Die Fokussierung auf das Ich steht im Vordergrund und lässt schließlich auch am Ende des Stückes im Geräusch des aufkommenden Windes ein Frösteln zurück. Der Kreis hat sich geschlossen und zurück bleiben nichts als ganz persönlich interpretierbare Bilder und deren Erinnerungen.

DAH-DAH-SKO-DAH-DAH aus dem Jahr 1992

Liebespoesie ohne Worte

Liebespoesie ohne Worte

Raimund Hoghe & Takshi Ueno

Raimund Hoghe & Takshi Ueno „Pas de Deux“ im Tanzquartier in Wien (c) Rosa-Frank.com

Eine minimalistische Bühne ohne jede Kulisse und ohne Videoproduktion. Nur der nackte Bühnenboden und schwarze, ihn einfassende Wände. Mehr braucht es nicht für das neue Stück von Raimund Hoghe. Oder doch: dazu kommen noch jede Menge Ohrenschmeichler quer durch die Musikgeschichte von Bach bis  Edith Piaf, die den Abend in einen ganz besonderen, samtigen Gefühlszustand packen. „Pas de Deux“ – in diesem Titel ist das 2stündige Geschehen tatsächlich komprimiert, und beschreibt in aller Kürze dieses Tanzstück für zwei Personen. Wobei „Tanz“ bei Raimund Hoghe eine individuelle Interpretation erfährt. Der charismatische Deutsche, der durch eine Verkrümmung der Wirbelsäule alles andere als ein tänzerisches Schönheitsideal verkörpert und sein Partner, der junge, athletische Takashi Ueno zeigen darin in einer auf ein Minimum reduzierten Choreografie, was eine Liebesbeziehung zweier Menschen bei diesen bewirken kann. Wo sie Freiräume bietet, wo Begrenzungen bestehen und auch, wo von ihr nichts als Erinnerungen bleiben.

Dabei sind es gerade jene Momente, in welchen das Geschehen beinahe zum Erliegen kommt, die unter die Haut gehen. Momente der kleinen Gesten – wie etwa jene, in welchen die beiden hintereinander nur einen Arm heben und senken und dabei einzig ihre Hände sprechen lassen. Oder jene, in welchen sie abwechselnd den Kopf auf die Brust des anderen legen – ein Ausdruck, in dem die Suche nach dem anderen aber auch die Hingabe an diesen und die absolute Vertrautheit deutlich wird. So einfache Bewegungen wie diese sind es, die den Abend ereignisreich erscheinen lassen, weil sie absolute Aufmerksamkeit vom Publikum einfordern. Aufmerksamkeit auf das Wesentliche, auf die Gefühle der Tänzer, die sich aber rasch unweigerlich im eigenen emotionalen Erfahrungsschatz widerspiegeln.

Wie auch jenes Gefühl der euphorischen Verliebtheit – in der man Bäume ausreißen könnte oder Luftsprünge machen. So wie es Takashi Ueno tatsächlich vorzeigt. Begleitet nur von kleinen, aufmunternden Hand- und Kopfbewegungen seines Partners, umkreist er diesen im schnellen Laufschritt und macht dabei immer wieder meisterhafte Sprünge, in deren Posen er in der Luft für Bruchteile von Sekunden zu gefrieren scheint. Dieses scheinbare Außerkraftsetzen der Naturgesetze ist nur in jenem Rausch erlebbar, den man absolute Verliebtheit nennt und alle, die dies in ihrem Leben erfahren durften, können sich an diese außergewöhnlichen Emotionen ihr Leben lang erinnern. Meisterlich, wie Hoghe dies mit seiner Choreografie aus den Tiefen des Gefühlsschatzes der ZuseherInnen hervorholen kann.

Dem Choreografen und Tänzer geht es aber nicht um die einseitige Darstellung einer Beziehung zwischen zwei Männern. Vielmehr schlüpfen diese in verschiedene Rollen – auch von Frauen unterschiedlichen Alters und überschreiten auch kulturelle Grenzen. Ihre Schuhe – japanische Getas – verweisen über lange Strecken zwar auf eine asiatische, genauer gesagt japanische Determination – nicht von ungefähr, aufgrund Takashi Uenos Abstammung. Im Epilog, der gekonnt als solcher nach einer Abschlussszene das Publikum noch einmal überrascht, agieren sie jedoch mit goldenen und roten Schärpen als kirchliche Würdenträger und schließen damit den Kreis der menschlichen Emotionen einmal rund um den Erdball. Liebe ist universell und – zumindest bei Hoghe – letzendlich auch geheiligt. Wenn diese noch dazu mit Ritualen einen äußerlich sichtbaren Ausdruck erfahren, wird Liebe in eine Transzendenz eingeschrieben, die extrem berührt.

Selbst wenn von ihr nichts mehr bleibt als die Erinnerung, die Raimund Hoghe als Tanzvideo in seinen Aktenkoffer steckt und wegträgt, oder die Takashi Ueno in athletischen Sitzfiguren mit großer Wehmut zum Ausdruck bringt, selbst dann, wirkt sie in den Menschen weiter. Nicht nur in deren Gedanken, sondern auch in deren körperlichem Ausdruck. Sosehr sich Hoghe und Ueno in ihrem Pas de deux ausleben – bis hin zu einer wunderbaren Passage, in welcher der junge Japaner seinen um so viele Jahre älteren Gefährten in vielen klassischen Hebefiguren schweben lässt – neben all dieser privaten Befindlichkeit fehlt in diesem Stück auch ein gesellschaftspolitischer Ansatz nicht. Den kurzen Texten zu den atomaren Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts, angefangen von den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki bis hin zu den Supergaus in Tschernobyl und Fukushima, folgt eine Passage, in welcher der um einiges kleinere Hoghe seinen körperlich wesentlich stabileren Partner Schritt für Schritt in gewundenen, langen Bahnen über die Bühne führt. Das Dasein für einen anderen, die Hilfe, ausgedrückt in einer körperlichen Unterstützung wird dann zu einem Thema, wenn die Gesellschaft überfordert ist und versagt. Glücklich, wer in solchen Momenten oder gar Zeiten jemanden an seiner Seite weiß. Dass Raimund Hoghe in diesem Stück auch Luca Giacomo Schulte, seinen langjährigen Kompagnon und künstlerischen Berater bedenkt, indem er ihn kurz mit zwei blutroten Blumensträußen auftreten lässt, die er den Tänzern überreicht, passt in dieses Liebes- und Freundschaftsverständnis.

Ein Abend, der berührt und zugleich die Sensibilität dafür wieder weckt, sein Gegenüber in seinem körperlichen Ausdruck feinfühliger wahrzunehmen und seine eigenen partnerschaftlichen Körpermuster zu entdecken.

Pin It on Pinterest