„Yes we can`t“ – dieser kryptische Titel des Tanzstückes der Forsythe Company, welches am 4. April im Tanzquartier Wien Premiere hatte, erinnert an Barack Obamas Wahlslogan für seine Präsidentschaftskandidatur. Mit dem klitzekleinen Unterschied, dass er in seinem Slogan keine Verneinung hatte. Und tatsächlich entstand die ursprüngliche Fassung dieses Tanzabends 2008, in jenem Jahr, in dem Obama zum ersten Mal zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden war. William Forsythe, Begründer der renommierten Tanztruppe, hat Obamas starkes Bekenntnis zu einem aktiven Tun, das mit Erfolg gekrönt werden muss, sicherlich inspiriert. Aber ganz im Gegenteil zu seinem berühmten Landsmann hat er sich mit dem Gedanken beschäftigt, was denn eigentlich passiert, wenn man scheitert. Wenn man etwas eben nicht kann.
Insgesamt 18 Tänzerinnen und Tänzer geben sich, begleitet von David Morrow am Klavier, dem langjährigen musikalischen Begleiter der Forsythe Company, ganz dem Scheitern auf der Bühne hin. Einem Scheitern, das in einem kreativen Prozess vielfältig auftreten kann. Dies fängt bei einer viel zu langen Intro an, in welcher alle mehrfach hintereinander vor drei Mikrofone treten, um theatralisch den Ton eines Akkordes zu singen. Mit Inbrunst und so laut wie möglich. In Kostümen, die bewusst auf Schrillheit setzen. Mit Perücken, die so schlecht gemacht sind, dass man auf den ersten Blick den Haarersatz bemerkt. Und gerade, wenn man meint, nun sei das Wildeste überstanden, geht die brachiale Show erst richtig los.
Eine Gruppe von drei Personen beginnt sich mit einem Stück Teppich zu beschäftigen, einer ganz gewöhnlichen, beigen Auslegeware, mit der sie sich in erstaunlicher Vielfalt über lange Strecken des Abends hin beschäftigt. Da wird das Stück Flachware zu unterschiedlichen Kleidungsstücken, verwandelt sich in eine Balalaika, in eine Beinschiene, wird zur Be- und Enthausung oder schlicht zum Eingang einer Höhle. Wer meint, das seien Kindereien, sei aufgerufen, sich auch nur eine Handvoll unterschiedlicher Einsatzmöglichkeiten mit so einem kleinen Stück Teppich, eingebaut in Bewegungsabläufe, einfallen zu lassen. Spätestens bei diesen Gedanken sollte klarwerden, wie groß die Kreativität der Tänzerinnen und Tänzer ist, die dieses Stück gemeinsam mit Forsythe erarbeiteten. Die Schwierigkeit des Publikums bei dieser Aktion ist jedoch, sie ausreichend wahrzunehmen. Denn während die kleine Gruppe sich mit dem lächerlichen Objekt abmüht, herrscht auf der Bühne rund um sie das reinste Chaos. Da wird ganz in Dada-Manier Unverständliches rezitiert und ins Mikrofon gesungen. Wie ein Kasperl auf Drogen heizt Ander Zabala als eine Art Entertainer gemeinsam mit seiner sich wild gebärdenden Partnerin Dana Caspersen die Stimmung an, begleitet von unterschiedlichen Melodien. Einem Potpourri, in dem sich Klassisches mit Allerweltsmusik und Jazz vermischt.
Noch nicht genug des Schauens, treten abwechselnd Einzelne, aber auch Gruppen von Tanzenden auf die Bühne. Eine davon ist mit schwarzen Perücken und Staubwedeln ausgestattet und unterhält mit einer Parodie auf einen asiatischen Tanz. Mit adorablen „Wow“-Rufen werden kurz darauf klassische Tanzeinlagen bewundert, die schon bald von einer Truppe abgelöst werden, die im übertriebenen Afro-Look die 70er Jahre auferstehen lässt. Da streiten sich Sänger und Tänzer ums Mikrofon – wobei der eine permanent in seiner weißen Balletthose klassische Posen einnimmt und der andere beständig versucht, so verrückt wie möglich zu singen. Aus diesem Durcheinander sticht die Nummer eines Bodenakrobaten heraus, der – wie beim Auftritt der Bodenturnerinnen – mit einem langen Band an einem Stab hantiert. Allerdings wickelt sich das Band schon nach kurzer Zeit um eines seiner Beine, sodass er Mühe hat, mit seiner Nummer fortzufahren. Trotz all der Hoppalas, die Riley Watts dabei passieren, zeigt er eine wahnsinnige Performance, von der man weiß, dass gerade seine Missgeschicke die größten Schwierigkeiten in der Choreographie darstellen.
Aktionen wie diese gibt es am laufenden Band – oder vielmehr auf der meist voll besetzten Bühne, sodass man, wie schon erwähnt, es nicht schafft, all das, was sich da abspielt, tatsächlich auch zu verfolgen. Bis schließlich das verrückte Spiel abrupt ein Ende findet. Was folgt, ist eine elendslange Entschuldigung von einem der Tänzer, mit einem Vater-Abraham-Bart verkleidet, in englischer Sprache, in welcher darauf hingewiesen wird, dass alles, was schiefgehen kann, an diesem Abend bei dieser Performance tatsächlich auch schief gegangen ist. Dass, wie bei einer Maschine, bei der ein Rädchen falsch läuft, die gesamte Maschine ins Stottern kommt, wie eben auch hier an diesem Abend ein kleiner Fehler den nächsten ergeben hätte und dass – wertes Publikum – man noch einmal sich bemühen werde, um nun aber wirklich eine perfekte Performance abzuliefern. Sprach´s – und abermals nahm die Show ihren mittlerweile zweiten Anlauf. Zu einem Geschehen, dass dem Ersten in nichts nachstand. Mit einem Zusatz: Als hätte es das noch gebraucht, erschien ein exaltiertes Penelope Cruz Double, Inma Tomás Rubio, um sich durch nichts und niemandem in ihrem dramatischen Song von Pistolenhelden und Angstzuständen vom Mikrofon vertreiben zu lassen.
Einfach köstlich jene sie begleitende Slapstickeinlage, in welcher einer ihrer Tanzpartner vergeblich versucht, sie zu erschießen. Angefangen vom Versuch mit einer kleinen Pistole arbeitet sich der Mann hoch bis zur schweren Panzergranate, um bei einer richtigen Bombe mit Zündschnur zu enden. Vergebens, Penelope Cruz wird an diesem Abend die Bühne nicht mehr verlassen, egal, wie sehr sie ihre Kollegen und Kolleginnen mit ihrer exaltierten Art auch nervt. Ohne Rücksicht auf Verluste gerät das Geschehen auf der Bühne abermals außer Rand und Band. Bis zu einer abermaligen Entschuldigungslitanei, in der das Publikum nun auch aufgeklärt wird, dass keiner der Artisten wirklich glamourös ist, dass niemand von ihnen 100% geben kann, um nicht am nächsten Tag zu versagen und dass die Angst vor dem Versagen ein ständiger Begleiter ist.
„Was ist, da Thema?“ – diese Frage wird – zurecht – an diesem Abend immer wieder in eines der Mikrofone gesprochen, ohne dass darauf eine Antwort kommt. Und dennoch ist das Thema längst klar. Dieser Abend gehört nicht der Perfektion, nicht jenen minuziös eintrainierten Bewegungsabläufen, die man von der Forsythe Company gewohnt ist. Er ist nicht ausgestattet mit jenen Bildern, die sich durch ungewöhnliche Positionierungen von Tänzerinnen und Tänzern ergeben, die teils im Gleichschritt und in der Synchronisation, teils in einer Melange aus klassischem Ballett und zeitgenössischem Tanz agieren. Es ist ein Abend – für die Tänzerinnen und Tänzer selbst und ein Abend von ihnen. Eine Zur-Schau-Stellung von Möglichkeiten, die in einem geregelten choreographischen Ablauf keinen Platz finden. „Yes we can´t“ ist ein Fest von liebenswerten Verrücktheiten. Eine Orgie von extrovertierten Verhaltensmustern, die zusammen einen wahren, nicht enden wollenden Aufführungsrausch ergeben.
Forsythe ist mit dieser Arbeit in jener postdramatischen Bühnenzeit angekommen, in welcher es keine vordefinierten Inhalte mehr gibt, die hierarchisch von einem Choreographen von oben nach unten zu den Tanzenden hin vermittelt werden. Vielmehr sind es die Darstellenden selbst, die sich mit ihrem Können – oder wie an diesem Abend „vermeintlichen“ Nicht-Können – einbringen. Auch die Absenz eines Bühnenbildes und die von der Sicht der Tanzenden sehr subjektiven Entschuldigungstexte verweisen genau auf diese Bühnenpraxis, die seit einigen Jahren merklich stärker wird. Ob eine Produktion, die mit diesen neuen Mechanismen arbeitet, schließlich funktioniert oder nicht hängt – und das ist nicht wirklich verwunderlich – letztendlich dennoch von der Qualität der Tanzenden auf der Bühne ab. Die Mitglieder der Forsythe Company weisen diese Qualität auf – in Hülle und Fülle. Der Erfolg hängt aber auch davon ab, ob sich das Publikum auf diese neue Erfahrung einlassen kann. Herkömmlicherweise bezieht sich ein Tanzabend, oder auch ein Theaterabend immer in irgendeiner Art und Weise auf das Publikum, auf seine Wünsche, seine Hoffnungen und Träume oder auch auf seine Ängste. Wenn diese Referenz gänzlich abhanden kommt, wird es schwer, den Spannungsbogen von der Bühne zum Zuschauerraum zu bilden und ihn auch zu halten. Hinzu kommt die Frage nach der allgemeinen Erwartungshaltung. Diese ständig und immer zu erfüllen ist nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, sondern würde Stillstand in der Evolution des Tanzes darstellen. Deswegen ist ein Abend wie dieser ein Drahtseilakt. Eine Herausforderung, die gerade im Tanzquartier in Wien besonders gut aufgehoben ist. Einem Ort, in dem Experimente zugelassen werden, in dem demokratische Aufführungspraxen kein Neuland mehr sind. Einem Raum, in dem Neues gefördert wird und sich dort entfalten kann.
Wie wenig es doch braucht, um so viel Spannung und Aufmerksamkeit zu erzeugen, dass man im Saal eine Nadel fallen hätte hören können, auch diese Erfahrung hielt der Abend noch bereit. Zu einer einfachen Klaviermelodie durfte man sich an einer klassisch angehauchten Solochoreografie des unglaublich muskulösen Hünen Josh Johnson erfreuen, auf den weiße Papierschnipsel sanft herabregneten. Dieser kleine Ausflug ins emotionale Seidenkissentanztheater, er wirkte, eingebettet in all den Trubel, wie ein kleines getanztes Gebet an längst Vergangenes. Die polternde Penelope Cruz, herabgstiegen von orangen Highheels in schwarze Holzpantoffel – jene unerschrockene Diva, die zuvor erklärt hatte, dass sie sich nicht entschuldigen würde – für gar nichts, denn sie sei ja schließlich Penelope Cruz – ihr war schließlich der letzte Auftritt vorbehalten. Welcome back, neuer Tanzkosmos.
Der Applaus, der sich insofern von anderen Forsythe Abenden unterschied, da er nicht ins Frenetische ausartete, zeigte eine gewisse Verunsicherung im Publikum. Auch, dass viele Menschen nach der Vorführung sich noch im Saal über das Gesehene unterhielten, machte deutlich, dass Forsythes Konzept ziemlichen Diskussionsbedarf bereithält. Die Überlegungen, ob und wenn ja warum und wenn nein warum nicht „Yes we can`t“ gefiel, sollten auch im Hinblick auf jene Strukturen angedacht werden, denen Tanzveranstaltungen per se unterliegen. Die Zementierung von Machtverhältnissen ist ein Beispiel – in diesem ganz speziellen Fall vom Publikum gegenüber den Tanzenden. Der Ausbruch aus dieser Abhängigkeit, einer Abhängigkeit, welche die Kreativen auf der Bühne oftmals zu Zirkuspferden degradiert und in gewisser Weise auf ihr Scheitern angelegt ist, dieser Ausbruch war ein gelungener und radikaler. Man kann gespannt sein, inwieweit diese spezielle Produktion als auslösendes Moment für andere gelten wird, die sich zukünftig ebenfalls intensiver mit den Produktionsbedingungen, den Machtverhältnissen und den ganz persönlichen Befindlichkeiten der Tanzenden auseinandersetzen.