Am Schlimmsten ist das Schweigenmüssen

Am Schlimmsten ist das Schweigenmüssen

Markus Kupferblum schuf mit „Die Stimmen hinter dem Schleier“ eine berührende Collage aus zeitgenössischen Texten arabischer Frauen, die er jenen des bekannten Lyrikers Hafis im Brick5 gegenüberstellte.

Die Auseinandersetzung mit dem Islam erfolgt in Europa derzeit meist über negative Schlagzeilen. Attentate, von langer Hand vorbereitet und im Namen „Allahs“ verübt, schockierten zu Beginn des Jahres die ganze Welt. Schnell werden auf allen Seiten Positionen bezogen und Statements abgegeben, die Schuldigen gesucht. Dabei wird ganz auf die Geschichte vergessen, die diese Religion prägte. Auf ihre kulturellen Errungenschaften und die Menschen, die diese schufen.

Markus Kupferblum, einer jener Umtriebigen, die sich nie dem Mainstream anbiedern, setzte sich mit dem Thema des Islam und dem darin vertretenen Frauenbild auseinander. Schon eine ganze Zeit lang bevor „Chrarlie Hebdo“ allen ein Begriff wurde. Er recherchierte zeitgenössische Texte von Muslimas, übersetzte sie und stellte sie arabischen Gedichten aus dem 14. Jahrhundert gegenüber.

Gedichten von Hafis, jenem Dichter, der in der arabischsprachigen Welt bis heute eine Ikone ist. „Hafiz nannte man im arabischsprachigen Raum jemanden, der den Koran auswendig konnte; es ist so etwas wie eine Ehrenbezeichnung“, erzählt Kupferblum zu seiner historisch determinierten Figur. Der „Diwan“, eine Zusammenstellung von Gedichten, gilt als das wichtigste Werk von Hafis, auf das sich sogar Goethe mit seinem „West-östlichen Divan“ bezog. „Ich wollte aufzeigen, dass der Islam vor vielen hundert Jahren in der Zeit von Hafis eine viel offenere Religion war. Hafis beschreibt in seinen Gedichten nicht nur die Schönheit der Natur, sondern besingt auch die Liebe, den Wein und die Musikanten. Etwas, das heute unvorstellbar ist“. Die Vergangenheit unter einem heutigen Blickwinkel aufzuarbeiten ist Kupferblums Stärke. Aufzuzeigen, was war, und was aus dem Ruder gelaufen ist, ebenso.

„Die Texte von Zeitgenossinnen zu finden war nicht leicht. An die Frauen, die hinter dem Schleier leben, kommt man nicht heran“, präzisierte der Regisseur die Recherche zu seiner Arbeit in einem Gespräch. So stammen die verwendeten Textstellen allesamt, das kann man ohne Übertreibung behaupten, von Muslimas, die sich in einer privilegierten Position befinden. Als Wissenschaftlerinnen oder Ärztinnen zum Beispiel. Was sie niederschreiben, ist keine behübschende Poesie. Nichts, das man einmal schnell kurz vor dem Einschlafen liest. Es sind Texte, die von Unterdrückung erzählen. Davon, wie schwer es ist, seine Gefühle hinter einem Schleier auszudrücken und davon, wie groß die Angst in einer hierarchischen Gesellschaft ist, in der den Frauen eine freie Ausdrucksmöglichkeit genommen wird.

Und so kommt es in dem höchst poetisch inszenierten Stück der Schlüterwerke, in welchem sich die Frauen allesamt hinter einem schwarzen Bühnenschleier bewegen, auch zu drastischen Aussagen. Wie der Bericht einer in Kairo praktizierenden Ärztin über die durch Beschneidung verstümmelten Frauen aus dem Sudan. „Als die Schauspielerinnen diesen Text zum ersten Mal hörten, haben sie sich zum Teil empathisch vor Schmerzen gewunden“ erzählt der Theatermann, was man ihm sofort glaubt. Denn auch während der Aufführungen kam es immer wieder im Publikum zu entsetzten Gesichtern bis hin zu Reaktionen, die es erforderten, nach dem Stück erst einmal sitzen zu bleiben und tief durchzuatmen.

Die Gedichte von Hafis waren teilweise in Vertonungen von Max Kowalski zu hören. Therese Cafasso begleitete ihre Mitstreiterinnen Ingala Fortagne, Ulla Pilz und Andrea Köhler dabei mit viel Einfühlungsvermögen auf dem Klavier. Keine der Damen war bei den musikalischen Nummern jedoch sichtbar. Verborgen hinter einer Wand konnte man der Musik lauschen, ohne die Interpretinnen dabei zu beobachten. Kowalski war jener Komponist und Jurist, der Arnold Schönberg in den 30er Jahren in einem Rechtsstreit gegen die Frankfurter Oper als Rechtsanwalt vertrat. Schon einmal waren Werke von ihm in einer Kupferbluminszenierung zu hören und es hat den Anschein, als ob der Wiener Theatermacher einer der wenigen Kreativen ist, der sich um die Aufrechterhaltung seines Namens kümmert.
„Für mich ist das Schweigen der Schleier, der wahre Schleier. Wenn eine Frau sich nicht ausdrückt, sich nicht äußert. Die katastrophalste Einschränkung des Menschseins ist, wenn man sich nicht äußern kann“.
Eindringlicher als die Worte einer Soziologin, die 1940 in Fez geboren wurde, kann die Situation von Frauen nicht beschrieben werden, die sich nicht äußern dürfen.

Neben den schon genannten Schauspielerinnen verliehen noch Stephanie Schmiderer und Katharina Weinhuber den verschleierten Frauen ihre Stimmen und im Halbdunkel verborgenen Körper. Klaus Haberl als Hafis agierte indessen frei und unbeschwert, nur von Liebesleid geplagt, vor dem Vorhang. Prägnanter hätte man den Freiheitsunterschied aber auch die historische Entwicklung dieser Religion wohl nicht veranschaulichen können.

Das Engagement aller ist umso mehr hervorzuheben, als die Schlüterwerke von Markus Kupferblum beständig eine Inszenierung nach der anderen zur Aufführung zu bringen, ohne dafür jedoch subventioniert zu werden.

Barockes direkt aus dem Dschungel

Barockes direkt aus dem Dschungel

Askese und überbordende Lebenslust. Religiöser Fanatismus und ungläubiges Kopfschütteln darüber. Barockmusik und schräge, zeitgeistige Klänge. All das ist verpackt in der „Dschungeloper“ „San Ignazio“. Gespielt wird sie im Hundsturm unter der Regie von Markus Kupferblum und die Genese des Stückes ist an sich schon lesenswert.

Der umtriebige Regisseur, der mit den „Schlüterwerken“ in den letzten Jahren permanent rührig arbeitete, reiste 2013 in den Dschungel nach Bolivien, um sich dort auf die Spur von Barockopern zu machen. Wer meint, er respektive sie hätte sich hier verlesen, irrt. Tatsächlich wurde Pater Anton Sepp, geboren in Tirol, als junger Jesuitenpater im 17. Jahrhundert nach Südamerika entsandt, um den Eingeborenen vor Ort die damalige zeitgenössische Musik näher zu bringen. Mit ihr gestaltete er kleine Opern, in welchen das Leben von Heiligen erzählt wurde. Diese Opernproduktionen, die sozusagen „im Auftrag des Herrn“ entstanden, gerieten im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit. Bis zu jenem Tag, als der polnische Priester Piotr Nawrot im Archiv in Bolivien auf sie stieß und Markus Kupferblum die Aufführungserlaubnis hierfür erteilte.

Aber Kupferblum wäre nicht er selbst gewesen, hätte er in diesem Fall nicht radikal umgedacht. Und so wurde Originales umgeschrieben, Neues von Renald Deppe dazu komponiert und der Text von niemand Geringerem als Bodo Hell verfasst. Herausgekommen ist ein Opernderivat, eine augenzwinkernde Satire, ein beinahe schon dadaistisches Kleinod mit historischen Wurzeln und jeder Menge ebensolcher Querverweise. Darin wird das Leben des Begründers des Jesuitenordens, des Hl. Ignazius von Loyola nachgezeichnet und mit asketischer Strenge und zerbrechlicher Figur glaubwürdig von Ingala Fortagne dargestellt. Er/sie durchleidet dabei alle geistesinspirierten Höhenflüge, hat aber auch heftig gegen die Verführungskunst der Fleisch gewordenen Dämonin Ulla Pilz zu kämpfen. Ingrid Leibeszeder sorgt als Kostümbildnerin dafür, dass diese, sowie Andrea Köhler und Julia Schranz als knallbunte und flippige Amazonen, teils mit bunten Federn behangen in ihren flippigen Outfits pralle Lebensfreude auf die Bühne bringen. Wunderbar jene Szene, in welcher die Frauen erstmals auf dem Missionar treffen und der weltentsagenden Lebensweise von Ignazius völlig verständnislos gegenüberstehen.

Béla Bufe und Florian Hackspiel wiederum dürfen pantomimisch hervorragend als christliche Boten allerlei Slapstick aufführen und das Publikum mit einer Geschichte unterhalten, in welcher ein Bootsruder zum Symbol von Macht, Freiheit und schließlich auch Entsendung wird. Mit Bernd Lambauer, der als Bruder Franz Xaver von Ignazius wider Willen schließlich nach Indien zur Missionierung entsandt wird und Theres Cafasso, welche die jungfräuliche Mutter Maria als prozessionserprobte China Diabla darstellt, ist das Ensemble der Schlüterwerke komplettiert.

Aber es ist keine reine historische Nacherzählung, die Kupferblum liefert. Das Spannende an dem Abend sind jene Hinweise, die aufzeigen, was eigentlich aus der Entsendung des Bruders Franz Xaver – der historischen Figur Francisco de Gassu y Javier, einem weiteren Ordensmitbegründer, geworden ist. Geboten wird dabei ein neuer Blick auf die Missionierung durch die Jesuiten, die ohne Weiteres mit den Zielen der Kolonialisierung konkurrieren konnte. Zielte letztere auf die Ausbeutung jeglicher Ressourcen, wollten die Jesuiten nicht weniger als die Bekenntnis Abertausender zu ihrem Glauben und damit die Stärkung der römisch-katholischen Kirche. Bodo Hells Sprachduktus mit vereinzelten herrlichen Wortkaskaden und Deppes geschickte Instrumentierung – zu den drei Streichern gesellt sich anstelle eines Cembalos für den Generalbass ein Hackbrett – bieten Verknüpfungen ins Hier und Jetzt, die den melodieösen Barockarien eine zeitgeistige Aura verpassen. Alles in allem ein kurzweiliger Abend mit „geistiger Erbauung“, der jedoch ganz ohne einschläfernde Belehrungen auskommt. Wer Lust auf „schräge“ Opernaufführungen hat wird hier bestens bedient.

Von der Utopie direkt in den Krieg

Von der Utopie direkt in den Krieg

Kriegstreiber und Pazifisten – Menschen beider Gesinnungen treten überall auf der Welt dort auf, wo die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung besteht. Das aktuellste Beispiel dafür ist die Ukraine. Was noch vor wenigen Monaten kein Mensch für möglich gehalten hat, ist grausame Wirklichkeit geworden. Im Osten des Landes herrscht ein „Bruderkrieg“ und es ist noch lange nicht klar, ob dieser Brandherd nicht noch ein größeres Feuer anfachen wird.

v.l.n.r. Ingala Fortange, Andrea Köhler und Julia Schranz in dem Stück Tramp´s Albtraum der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerke)

v.l.n.r. Ingala Fortange, Andrea Köhler und Julia Schranz in dem Stück Tramp´s Albtraum der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerke)

Bertha von Suttner und der Pazifismus

Im Gedenkjahr anlässlich des Ausbruches des Ersten Weltkrieges beschäftigen sich eine ganze Reihe von Produktionen mit den Umständen, die zum Ausbruch des Krieges führten. Aber auch mit jener Frau, die ihr Leben dem Pazifismus widmete – Bertha von Suttner. Nun gibt es eine neue Theateraufführung, in welcher jedoch noch andere Stimmen zu Gehör gebracht werden, die sich für den Frieden einsetzten. Was im ersten Moment vielleicht als historischer Rückblick auf unsere Geschichte erscheinen mag, ist aber leider, wie eingangs aufgezeigt, brandaktuell. Viele der Aussagen, die das Ensemble der Schlüterwerke tätigen, könnten schrecklicherweise aus den letzten Wochen stammen.

„Tramp`s Albtraum“ nennt sich die neue Show unter der Regie von Markus Kupferblum. In ihr wird man dabei für eine Stunde in jene Tage zurückversetzt, in welchen der Erste Weltkrieg bereits in der Luft lag. Die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajevo hatte bereits stattgefunden und in Wien sprachen die Menschen, so schien es, von nichts anderem als von einem bevorstehenden Krieg. 65 Jahre zuvor hatte Victor Hugo auf dem Pazifistenkongress in Paris eine Rede gehalten, in welcher er die Idee eines vereinten Europas ohne Grenzen beschwor. Über hundert Jahre und zwei verheerende Weltkriege sollte es jedoch noch dauern, bis seine Vision Wirklichkeit wurde. Und ob dieses Europa Bestand hat, ist mehr als ungewiss.

Stimmen gegen den Krieg

Victor Hugo, der französische Sozialist und Pazifist Jean Jaurès, der am 31. Juli in Paris ermordet wurde, Bertha von Suttner, der französische Literat Jules Romains – sie alle kommen mit Texten an diesem Abend zu Wort, wenngleich oft nicht in direkter Form. Vielmehr tragen die Charaktere – eine Caféhausbesucherin, ein jüdischer Literat, eine Filmassistentin, ein Ober, eine Schauspielerin und eine als Mann verkleidete Pianistin die einzelnen Texte vor, die in eine kurzweilige Diskussion eingebettet sind. In dieser wird der Kellner mit seiner Aussage, wie denn ein Krieg verhindert werden könne, wenn schon 30 Menschen in einem Caféhaus ganz unterschiedlicher Meinung seien, schlussendlich leider recht behalten.

Ingala Fortange als Pierot in der neuesten Produktion der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerk)

Ingala Fortange als Pierot in der neuesten Produktion der Schlüterwerke (Foto: Schlüterwerk)

Bis jedoch der Ausruf „Jetzt gibt es Krieg“ klar macht, dass Europa sich nun in den Abgrund stürzt, erklingen einige Lieder von Max Kowalski, einem Rechtsanwalt und Komponisten, der vor seiner Deportation nach Buchenwald in Frankfurt lebte. Als einer der wenigen, die noch während des Krieges entlassen wurden, emigrierte er nach London. Es ist Markus Kupferblum zu verdanken, dass Kowalski – als Komponist völlig vergessen – im Herbst mit einer CD rehabilitiert werden wird, die Ingala Fortange und Therese Cafasso einspielen werden. Kowalski hatte, ebenso wie Arnold Schönberg, sich Gedichte aus dem Lyrikband von Albert Giraud ausgesucht und vertont. Ingala Fortange interpretiert sie tief unter die Haut gehend als geltungssüchtiger Vamp aber auch als trauriger Pierrot und wird dabei von Therese Cafasso am Klavier begleitet. Cafasso schlüpft an diesem Abend in die Rolle eines Transkriptors von Chaplin, der seine Melodien nicht alleine zu Papier bringen konnte.

Dank Kupferblums Regie wird auch klar, wie sehr die Rolle der Frauen vor dem Ersten Weltkrieg eine gesellschaftlich inferiore gewesen ist. „Komponieren oder Regie führen das können nur Männer“ – und „als Frau hätte ich nie den Job als Pianistin bekommen“ – das sind nur wenige, aber umso charakteristischere Sätze, an denen klar wird, dass Gleichberechtigung zu jener Zeit noch auf keinem Gebiet durchgesetzt war. Aber auch, dass es ausgerechnet der Krieg sein wird, in dem Frauen zum ersten Mal Männerarbeit übernehmen werden, verkündet Julia Schranz als unerschrockene politisch denkende Frau inmitten einer von Männern dominierten Welt. Andrea Köhler als Möchte-Gern-Filmregisseurin gibt ihr schließlich auch die Chance, die Rede Bertha von Suttners zu deklamieren, welche diese bei der Verleihung des Friedens-Nobelpreises 1905 in Kristiania zu Gehör brachte.

Béla Bufe als Kellner in einem Wiener Kaffeehaus am Vorabend des 1. Weltkrieges. (Foto: Schlüterwerke)

Béla Bufe als Kellner in einem Wiener Kaffeehaus am Vorabend des 1. Weltkrieges. (Foto: Schlüterwerke)

Béla Bufe als Ober und Florian Hackspiel, der unter anderen Ausschnitte aus Victor Hugos Rede vorliest, agieren mitten im Publikum und evozieren so den Eindruck, als ob das Geschehen kein Theatrales wäre. Einspielungen von Kriegsereignissen aus dem Ersten Weltkrieg, die über die Videowand laufen, während Fortange Kowalskis Lieder interpretiert, machen deutlich, mit welch hohem Blutzoll die Menschheit jene Unvernunft bezahlen musste, die sich aus nationalistisch motivierten Abschottungen und falsch verstandener Vaterlandsliebe generierte.

Der Krieg ist nach Europa zuürckgekehrt

„Da tobt eine schwere Schlacht, die in ihrem Ausmaß alles übertrifft, was es bisher gab“. Das ist keine Aussage, die das Kriegsgeschehen im Ersten Weltkrieg kommentierte. Vielmehr stammt es von einem Militärvertreter der Ukraine, der damit die Kämpfe nahe der Stadt Krasni Liman beschrieb. Der Albtraum, der sich schon im Balkankrieg erstmals wieder zeigte, ist abermals nach Europa zurückgekehrt. Wo finden sich heute die internationalen Friedensbemühungen?

Weitere Aufführungen von Tramp`s Albtraum sind noch bis 29. Juni, jeweils Donnerstag bis Sonntag, im Souterrain des Café Korb in der Brandstätte 9 zu sehen.

Links:

www.schlüterwerke.at
Rede von Viktor Hugo

Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik

Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik

Markus Kupferblum - Wien

Markus Kupferblum im Interview mit European Cultural News

Markus Kupferblum inszenierte die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann bereits einmal in New York und brachte im Dezember die Koproduktion der Schlüterwerke mit der Opera Moderne New York nach Wien. Neben einem hochrangigen Gesangsensemble agierte das Klangforum Wien und garantierte so höchste musikalische Qualität.

Wir trafen uns einige Tage nach den Aufführungen, die in der Maria-Theresien-Kaserne stattfanden, zum Interview. Der Theatermacher stand noch ganz unter dem Eindruck der ausgebuchten Vorstellungen an diesem außergewöhnlichen Spielort. Neben den Abendvorstellungen waren an einem Vormittag auch 18 Schulklassen eingeladen und er knüpfte gleich zu Beginn unseres Gespräches an seine Eindrücke dieser Vorführung an.

Es herrschte eine irre Stimmung unter den Kindern und Jugendlichen. Der Verteidigungsminister und die Kulturministerin waren bei der Schülervorstellung anwesend, nicht in der ersten Reihe, sondern sie setzten sich mitten unter die Kinder, die für mich fast enttäuschend brav waren. Für viele von ihnen war es ihre erste Oper überhaupt. Für uns war aber nicht nur die Aufführung selbst mit Arbeit verbunden, sondern wir haben in 18 Klassen Vor- und Nachbearbeitungen durchgeführt.

Was hat die Kinder in der Nachbearbeitungsphase denn am meisten interessiert?

Viele haben gefragt, warum gesungen wird und nicht gesprochen. Ich habe versucht, ihnen das anhand ihrer eigenen Erfahrungen zu erklären und die Gegenfrage gestellt, wann sie selbst denn singen würden. Da haben sie rasch verstanden, dass sie ihre Gefühle mit dem Gesang stimmiger ausdrücken können, als mit reiner Sprache. Eine weitere häufig gestellte Frage war, ob der Kaiser absichtlich mit einem Schwarzen besetzt wurde. Ja natürlich habe ich das absichtlich gemacht. Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik. Nur mit politisch unkorrekter Kunst kann man Lösungskompetenz für soziale Probleme aufzeigen, nur so kann man auch den Leuten Mut machen, zu jenen Menschen zu werden, die sie selbst eigentlich sein könnten. Die Politik kann die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben schaffen, aber erst die Kunst kann den richtigen Ansporn dazu bringen. Bei den Kursen habe ich mit den Kindern in einer Gruppe das Problem der Ausgrenzung thematisiert. Also das Thema, das in der Oper behandelt wird. Sie haben in der eigenen Gruppe ein rothaariges Mädchen ausgesucht, das sie dazu auserkoren hatten, von der Gruppe ausgegrenzt zu werden. Ein zweites Mädchen war türkischstämmig, aber im Gegensatz zur Rothaarigen, die alles über sich ergehen ließ, hat dieses ihre Freundinnen aktiviert, die ihr beigestanden sind, sich vor sie hingestellt haben und aktiv gegen die Ausgrenzung aufgetreten sind. Ich habe das rothaarige Mädchen ermuntert, sich zu wehren, was sie dann auch getan hat. Das sind Erfahrungen, die können die Kinder auch später in ihrem Leben einsetzen, wenn es nötig ist.

Wie sind sie zur Besetzung des Kaisers durch Vince Vincent gekommen?

Er hat bei einer Audition, die wir in N.Y. veranstaltet haben, überzeugt. Er kannte die Rolle und war schon zuvor dafür besetzt worden, wollte aber nur in der ihm bekannten, nämlich letzten Fassung von Viktor Ullmann singen. Ich aber wollte die ursprüngliche Fassung, nämlich die erste und radikalste auf die Bühne bringen. Die meisten Regisseure glauben, dass die letzte Fassung, wie sonst allgemein üblich, die vom Komponisten autorisierte ist. In diesem Fall war das aber aufgrund der Umstände anders. Ullmann hat die Oper mit seinem Librettisten Peter Kien im KZ in Theresienstadt geschrieben und dann drei Mal entschärft, aus jeder Fassung mehr Sprengstoff herausgenommen. Sie hofften ja, dass sie die Oper im Lager aufführen durften, und scheiterten jedoch bis zum Schluss an der Zensur. Aus diesem Grund ist also die erste und nicht die letzte Fassung jene, welche die meiste Brisanz innehat. Als Vince diese Argumentation hörte, hat er zugestimmt und jetzt ist es so, dass er nur mehr diese Fassung singen möchte.

Wie kam es zur Aufführung in einer Kaserne?

Aus der Not heraus, denn ich habe in Wien keinen Raum gefunden, der passend, leistbar und verfügbar gewesen wäre. Eigentlich war die Adaptierung eines Gebäudes des Heeres für kulturelle Zwecke eine juristische Pionierarbeit, das hat vorher noch niemand gemacht. Nachdem die anfängliche Skepsis verflogen war, haben beide Seiten alles getan, um das Projekt möglich zu machen. Vom Justizminister abwärts bis zum Militärkommandanten für Wien habe ich nur Positives erlebt. Ich hatte das Glück, dass mir Oberst Klug von der Infrastrukturabteilung bei der Unternehmung sehr geholfen hat und enorm kooperativ war. Nicht nur, dass es sich um ein sensibles Gelände handelt, auch die Halle selbst steht unter Denkmalschutz, was bedeutete, eine Menge von Genehmigungen einzuholen. Wir mussten auch die komplette Infrastruktur, die für die Aufführung einer Oper notwendig ist, dazumieten, die dann auch abgenommen werden musste. Das war dann schließlich auch teuer und zeitintensiv. So mussten wir, um den Boden der Halle zu schonen, allein 900 m² Teppichboden verlegen. Es war aber nicht nur Neuland für das Bundesheer, auch ich habe einen ganz neuen Blick auf die Institution gewonnen. Viele Soldaten haben uns vor Ort geholfen und ich habe erlebt, dass auch Freigänger der Jugendstrafanstalt in der Kaserne einen Arbeitsdienst verrichten. Das finde ich sehr gut, denn sie werden dafür bezahlt, üben eine sinnvolle Tätigkeit aus und sind dabei in die Gemeinschaft voll integriert. Mir war das vorher überhaupt nicht bewusst, dass das Bundesheer eine so wichtige soziale Aufgabe übernimmt.

Wie haben die Künstlerinnen und Künstler diese spezielle Umgebung empfunden?

Das Feeling für die Künstlerinnen und Künstler war schlichtweg der Hammer. Sie haben abseits des Geschehens auf der Bühne, das im KZ Theresienstadt geschrieben worden war, am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn man sich in einem hochbewachten Gelände aufhält und unter ständiger Kontrolle steht. Nicht nur, dass eine Zutrittskontrolle für jeden Einzelnen notwendig war, es wurde vor der Premiere etwa auch eine Hundestaffel des Mienensuchdienstes eingesetzt, da sich der Bundespräsident angekündigt hatte. Das Arbeiten in einer Kaserne mit all den rundherum notwendigen Sicherheitsvorkehrungen war ein direktes, einschneidendes Erlebnis für alle – auch für das Publikum.

Sie sind dafür bekannt, den Finger auf die sozialen und politischen Wunden unserer Zeit zu legen.

Unsere Arbeit ist nicht nur wichtig, sondern sie ist sogar notwendig. Wer behauptet, dass Kunstförderung Luxus sei, verkennt die künstlerische Arbeit, die dazu dient, den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten. Ich kenne Diktaturen in anderen Ländern und habe ihre Mechanismen am eigenen Leib erfahren. Ich will nicht, dass dasselbe hier bei uns auch passiert. In meiner Arbeit geht es um das Thema Ausgrenzung und damit, was mit den Ausgegrenzten passiert. Im Nationalsozialismus waren es die Sinti, Roma und Juden und man kann sagen, dass die Ausgrenzung schon mit einem Judenwitz beginnt. Heute muss man sich fragen, warum derzeit eine so heftige negative Imagewerbung gegen Türken gemacht wird, wenn man nicht vorhat, irgendwann gegen sie einen Krieg zu beginnen.

Sie glauben tatsächlich, dass Hetze gegen türkischstämmige MitbürgerInnen in einen Krieg münden kann?

Schauen, Sie – genauso ungläubig und blauäugig, wie Sie mich das jetzt fragen, genauso ungläubig waren auch die Menschen im Dritten Reich – bis es nicht mehr gelang, das Regime an der Verfolgung der Juden zu hindern. Das Schlimme an der derzeitigen Verfolgung der Sinti und Roma ist, dass diese im Gegensatz zu den Juden, keine Lobby haben. Anders als bei den Juden haben sie keine Leute die in wichtigen sozialen Positionen sitzen. Die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Wir müssten unser Verhalten als Bringschuld für die Minderheiten sehen und diese als Bereicherung unserer Gesellschaft und nicht als Bedrohung erkennen.

Sie arbeiten über diese Oper hinaus ansonsten mit einem eigenen Ensemble und firmieren unter dem Label „Schlüterwerke“. Wie kamen Sie zu den Künstlerinnen und Künstlern?

Nachdem ich für meine Projekte keine mehrjährige Förderung von der Stadt Wien erhalten hatte, für die ich schon oft eingereicht hatte, war ich sehr deprimiert. Da hat mir Thomas Haffner vom Brick 5 seine Hilfe angeboten, in seinem Gebäude in der Fünfhausgasse proben und spielen zu dürfen. Daraufhin habe ich ein Inserat geschaltet „Suche nach Leuten für ein experimentelles Musiktheaterensemble…. man wird aber damit nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten können.“ Das wurde deshalb nicht unter „Jobs“, sondern unter „Sonstiges“ veröffentlicht. Normalerweise melden sich ca. 300-400 Leute innerhalb einer Woche für ein Casting an wenn ich Leute suche, diesmal waren es ganze 12. Und die waren alle ganz speziell. Ich bin sehr dankbar, mit diesem Ensemble arbeiten zu können; das sind Béla Bufe, Ingala Fortagne, Florian Hackspiel, Andrea Köhler, Ulla Pilz und Julia Schranz auf der Bühne und dann noch all jene, die hinter der Bühne mitwirken. Beim „Kaiser von Atlantis“ waren das meine Assitentin Heike Sunder Plaßmann, Johanna Jonasch, die die Vermittlung mit den Schulen betreut hat oder Martina Theissl. Ich bin sehr glücklich über diese Leute die allesamt hervorragend sind. Es ist eine Gnade und Freude, mit ihnen zu arbeiten und zu sehen, dass sie sich auf den Wahnsinn einlassen, ohne Gagen zu spielen. Das heißt so viel, dass wir durch die Kulturpolitik in einen „Amateurismus“ gezwungen werden, da wir ja auch alle nebenher Geld verdienen müssen. Genau damit liefern wir aber der Kulturpolitik Argumente, uns abzustellen, denn irgendwann einmal werden wir womöglich die Qualität nicht mehr halten können. Gefördert werden hauptsächlich große Institutionen, weil diese nicht gefährlich werden können. Ein Kulturtanker ist behäbig und die Entscheidungsstruktur funktioniert so langsam, dass sie kaum Kanten entwickeln kann. Die feigsten Kulturpolitiker geben den größten Organisationen das meiste Geld – das kann man als mathematische Formel auffassen und anhand des jährlichen Kulturberichts überprüfen. Das Neue wird in Österreich konsequent be- und verhindert.

Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?

Ja, ich arbeite an einer Oper, die im 17. Jahrhundert von einem Guarani Indianer in einer Jesuiten Mission in Bolivien geschrieben wurde und den Titel „San Ignacio“ trägt. Mit dem Komponisten Renald Deppe und dem Dichter Bodo Hell bearbeiten wir dieses Werk und nennen es dann „San Ignacio – eine Dschungeloper“. Ich bin wie immer auf der Suche nach einem geeigneten Aufführungsort und könnte mir das Jesuitentheater in der Wollzeile sehr gut vorstellen. Zumal es hier auch eine schöne Querverbindung gibt, wurde doch Glucks Orpheus und Eurydike in diesem Saal uraufgeführt. Ob sich das allerdings realisieren lässt, ist noch nicht sicher. Ich glaube die Dinge immer erst bei der Premierenfeier. Was ich mich schon gefreut habe auf Sachen! Und kaum hab ich es ausgesprochen, war´s auch schon weg!

Schon in die Realität umgesetzt wurde jedoch Kupferblums literarische Arbeit mit dem Titel „Die Geburt der Neugier aus dem Geist der Revolution“. Das Buch behandelt die Entstehung der Commedia dell`Arte und zeigt ihre große Aktualität für die dramaturgische Umsetzung unserer heutigen Lebensgeschichten. Es ist im Dezember im Facultas-Verlag erschienen und wird am 12. Jänner 2014 im Theatermuseum dem Publikum präsentiert.

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Der Tod dankt ab

Der Tod dankt ab

Es ist kalt an diesem Abend. Am Kaserneneingang, der geöffnet ist, steht ein junger Soldat, die Hände an seinem umgehängten Gewehr und begrüßt die Menschen, die das Gelände betreten. Dunkel ist es schon und doch kann man die großen, flachen Gebäude wahrnehmen, die sich rechts und links des weitläufigen Exerzierplatzes erstrecken. Für die Soldatinnen und Soldaten, die hier Dienst tun, und die höheren Chargen mag dieses Surrounding alltäglich sein. Für die Opernbesucherinnen und -besucher, die in dieser Nacht in die Sporthalle der Maria Theresien Kaserne in Wien strömen ganz und gar nicht. Im Wissen, dass man den „Kaiser von Atlantis“ sehen wird, eine Kurzoper von Viktor Ullmann, die dieser 1943 im Lager Theresienstadt schrieb, kommen gerade bei diesem kurzen Fußmarsch über das Kasernengelände besondere Gefühle auf. Die schrecklichen Erlebnisse all jener Menschen, die während der Nazizeit in Konzentrationslager deportiert wurden, erhalten plötzlich eine selbst gefühlte Komponente – obwohl an diesem Ort und an diesem Abend niemand bedroht wird. Auch wenn diese Emotion hauptsächlich von einer unbestimmten Sentimentalität gespeist wird, ist sie doch real und bewirkt, dass die Gedanken einer wahren Flut von Impressionen ausgeliefert werden, die man nicht verdrängen kann. Markus Kupferblums Inszenierung beginnt weit vor dem ersten gespielten Ton.

Die Inszenierung der Oper hat der Theatermacher aus New York nach Wien geholt. Dort wurde sie 2012 von der Modern Opera produziert. Der Aufführungsort in Wien hat mit dieser Oper, die Kupferblum als eines der zentralen sogenannten „entarteten Werke“ bezeichnet, Premiere, wurde doch die Sporthalle noch nie für eine kulturelle öffentliche Veranstaltung genutzt. Die Kaserne selbst, deren Baubeginn noch unter der Dollfußära stand, beherbergte unter den Nazis das SS-Panzergrenadier-Regiment „Der Führer“. Ein geschichtsträchtiger Ort also, dem es schon längst anstand, durch eine Veranstaltung wie dieser Opernaufführung auf sich aufmerksam zu machen.

„Der Kaiser von Atlantis“ oder in seinem Untertitel “Der Tod dankt ab“ sollte in Theresienstadt mit einer Besetzung von dortigen Inhaftierten zur Aufführung gelangen, wozu es allerdings nie kam. Obwohl Ullmann mit seinem Librettisten Peter Kien die Oper mehrfach überarbeitete, waren die Anspielungen auf das Hitler-Regime zu deutlich. Die Beteiligten wurden kurz nach Fertigstellung der letzten Fassung in andere Lager wie Auschwitz deportiert, wo sie – bis auf wenige Überlebende – den Tod fanden. Jenen mächtigen Gesellen, den Ullmann und Klien in ihrem Werk eine Erlöserfunktion zudachten. In ihrer Oper ist er nicht der, der gefürchtet werden muss, sondern der, der die Menschen von ihrem Leid erlöst. Die Grausamkeit hingegen wird vom „Kaiser von Overall“ personifiziert – eine direkte Anspielung auf Hitler, die – und das macht die Zeitlosigkeit dieses Werkes aus – auf alle menschenverachtenden Diktatoren übertragen werden kann. Besetzt ist diese Rolle in Wien mit dem herausragenden, furios-grandiosen Vince Vincent, der nicht nur stimmlich brilliert, sondern vor allem schauspielerisch mit seinen todbringenden, funkelnden Augen alle Facetten eines grausamen Machtmenschen zeigt. Dass er die absolute Idealbesetzung für diese Rolle ist, kann auch daran erkannt werden, dass er nicht nur in dieser Produktion den Kaiser singt. Sein Gegenspieler, der Tod, wird von Joseph Beutel gesungen, dessen klarer und verständlicher Bassbariton in dieser Interpretation weniger Furcht als Mitleid evoziert. Die Inszenierung lebt einerseits von den großartigen stimmlichen Leistungen aller – wobei Gan-ya Ben-gur Akselrod als junges Mädchen „Bubikopf“ besonders hervorgehoben werden muss. Zu Recht gewann sie in diesem Jahr den Hilde Zadek Wettbewerb. Das Theater an der Wien beherbergt mit dieser jungen Sängerin seit Kurzem einen wahren Schatz in seinem Ensemble. Andererseits ist es die Regie, gekoppelt mit äußerst klugen, effektvollen und Augenfutter bietenden Kostümen (Angela Huff), die beeindruckt. Ohne aufwändige Bühneninstallationen, nur mit wenigen Requisiten wie einem übergroßem Stuhl für den Kaiser, dessen Beine in der Luft baumeln müssen, wenn er darauf sitzt, einem Rahmen, aus dem Elspeth Davis als willfähriges Sprachrohr des Kaisers die Menschheit mit seinen Direktiven versorgt und einem überdimensionierten Goldprunkrahmen, der in der letzten Szene die Sängerinnen und Sänger hervorhebt, braucht es kaum mehr um das Spiel über Macht und Tod plausibel erklärbar zu machen.

Trotz seiner immanenten Tragik oder vielleicht gerade wegen ihr gelang Ullmann eine herausragende Musikinterpretation. Selbst Schüler von Schönberg, der das Werk nicht sonderlich schätzte, griff er dabei tief in den Fundus der Musikgeschichte um Zitate von Haydn, Richard Strauss, Mahler, Dvorak oder Reichardt aufs Feinste in seine eigene musikalische Sprache einzubauen. Eigentlich ist die Stunde zu kurz, um von diesem musikalischen Genuss genug zu bekommen, was vor allem auch an der herausragenden Interpretation des Klangforum Wien liegt, das von Rossen Gergov geleitet wird. Die feine Untermalung der Todes-Arien mit dem Cembalo unterstreicht seinen Hinweis, dass seine Arbeit in den historischen Kriegen nicht mit jener zu vergleichen ist, in der Maschinen das Kriegshandwerk dominieren. Die besondere musikalische Sprache, in welcher sich der Kaiser ausdrückt, kann am besten durch das Attribut „erhaben“ gekennzeichnet werden. Die Liebesbekundungen von Bubikopf und dem Soldaten (James Baumgardner mit schlankem Tenor) und die gemeinsame Schlussarie wiederum sind in hörbarer tonaler Schönheit verfasst, die dennoch keinen letztgültigen Trost spenden können. Zu sehr verweist der Kaiser in seinen letzten Äußerungen auf die Ewigkeit der kommenden Kriege. Kelvin Chan als vermeintlich unbeteiligter Lautsprecher, der jedoch unter dem Despoten plötzlich selbst in Bedrängnis gerät und Brian Downen als Harlekin, der das pralle lustvolle Leben nicht mehr lebenswert findet – vervollkommnen ebenso aufs Perfekteste das bemerkenswerte Ensemble.

Die Kälte, die im Laufe des Abends spürbar wurde, war nicht als sinnliche Publikumserfahrung eingebaut, sondern der schweren Heizbarkeit der Halle geschuldet. Rudolf Gelbard, einer der letzten Überlebenden von Theresienstadt, machte am Premierenabend in seiner Einführung deutlich, dass es die Aufgabe der Überlebenden sei, die Verbrechen, unter denen sie gelitten haben, nicht vergessen zu lassen. Das ist aber nur die eine Seite, unter der die Produktion „Der Kaiser von Atlantis“ heute betrachtet werden kann. Die andere ist die unausgesprochene Mahnung an unsere Generationen achtsam zu sein, sowie das Sichtbarmachen von Machtmechanismen die auch heute wieder wie eh und je funktionieren, um Menschen auszugrenzen und ihnen für den eigenen vermeintlichen Vorteil Leid zuzufügen. Bedenkt man die starken nationalistischen Strömungen, die derzeit weltweit wieder großen Zulauf finden, kann man ob der Weitsicht von Ullmann und Kien erschrecken. Sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges doch erst 68 Jahre vergangen. Eine Zeit, in der offenbar viele vergessen haben, dass Hass und Terror nur dasselbe gebiert – ein friedliches Miteinander politisch heute aber anders aussehen müsste.

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