Der Klang der Natur im Konzertsaal

Der Klang der Natur im Konzertsaal

Michaela Preiner

Foto: ( ORF musikprotokoll/Martin Gross )

10.

Oktober 2023

Der zweite Abend des musikprotokolls im Rahmen des Steirischen Herbstes 23 widmete sich ganz der Natur. Das Klangforum unter der Dirigentin Lin Liao brachte vier Konzerte in der List-Halle zur Aufführung und wurde anschließend vom Schallfeld Ensemble abgelöst.

Das musikprotokoll präsentierte dem Publikum des Steirischen Herbst pro Abend ein derart dichtes Programm, dass viele Menschen in etwa zur Halbzeit den jeweiligen Aufführungsort verließen. Das mag weniger am nicht vorhandenen Interesse liegen, als vielmehr an einem Overflow an Gehörtem und Gesehenen. Dazu kommt auch, dass die List-Halle, in welcher drei Abende hintereinander bestritten wurden, nur bis 23.15 Uhr mit der Straßenbahn in Richtung Innenstadt befahren wird. Leider blieb auf diese Weise für viele einiges auf der Strecke, was hörenswert gewesen wäre. Wie an diesem Abend die „Aria“ von Beat Furrer, an deren Aufführung wir nicht mehr teilnehmen konnten.

Eröffnet wurde der Abend fulminant mit dem „Piano Concerto“ von Kristine Tjøgersen. Am Klavier in Aktion zu sehen war Ellen Ugelvik, die dieses nicht von den Tasten aus zum Klingen brachte. Vielmehr baute sie nach und nach, während das Orchester spielte, in den Resonanzraum einen Wald von kleinen Bäumen ein, wie man sie von der Staffage von Modelleisenbahnen kennt. Die Komponistin ist von der Kommunikation der Bäume, die unter der Erde unsichtbar vonstattengeht, fasziniert und fand damit eine adäquate Umsetzung der Sichtbarmachung. Neben Klängen sind es vor allem auch Geräusche, wie ein Knistern und Knattern, aber auch ein Rauschen, Windgeräusche oder das Summen von Bienen, die neben repetitiv absteigenden Basslinien, aber auch kleinen Melodieschnipseln zu hören waren. Nachdem der Aufbau des künstlichen Waldes beendet war, kümmerte sich die Performerin um eine Live-Videoaufnahme, die auf den großen Bildschirm hinter dem Orchester projiziert wurde. Die Aufgabe, die sich die Komponistin für dieses Konzert gestellt hatte, der Natur im Konzertsaal eine Stimme zu verleihen, wurde von ihr in diesem Setting tatsächlich hör- und sichtbar umgesetzt.

Madli Marje Gildemann interessiert sich für nachtaktive Vögel und versuchte, sich bei der Observierung in diese Tiere einzufühlen. In ihrer Komposition „Nocturnal Migrants“ erzeugt sie einen Schwebeklang, der an- und abschwillt und in ähnlicher, aber nicht derselben Ausführung wiederholt wird. Ein panisches Zirpen verrät an einer Stelle der Komposition Unheil, genauso wie ein sehr dunkel eingefärbter Part, der im Bass des Klavieres nach den Vogelangstlauten auftaucht. Der Grundtenor wird von einer Aufregung beherrscht, einer permanenten Anspannung, die erst beim Ersterben der Musik am Ende der Komposition nachlässt. Ihre Arbeit beschäftigt sich mit der Anziehungskraft von Licht, welche auf Vögel ausgeübt wird und letztlich fatale Folgen haben kann. Sie selbst beschreibt dies aber auch „als Metapher für die impulsiven und zwanghaften Verhaltensweisen von Menschen…die wenig Ahnung von den Motiven haben, die sie antreiben.“

„if left to soar on winds wings” von Karen Power entstand neben dem Live-Part des Klangforums aus aufgezeichneten Sounds, welche die Komponistin rund um den Erdball gesammelt hat. Bevorzugt geht sie an Orte mit wenig Menschen, um aber immer wieder aufs Neue festzustellen, dass es auf der Welt keine Orte mehr gibt, an welchen nicht schon Menschen waren und ihre Spuren hinterlassen haben. Was als Konstanzte überall zu hören ist, ist Wind – wenngleich auch in unterschiedlichen Ausformungen. Dieses Naturphänomen ist es auch, welches gleich zu Beginn ihrer Komposition zu hören ist. Auch in ihrem Werk kommen Zirpgeräusche und Vogelstimmen vor, das bestimmende Element bleibt jedoch der Wind, dem sogar die Funktion eines Generalbasses zugeschrieben werden kann. „Wie viele meiner Werke, so fordert auch „…if left to soar on winds wings…“ jeden Performer und Zuschauer auf, alle Klänge einfach als Musik zu hören, die wir noch nie zuvor gehört haben. Ich bitte uns alle, unsere Ohren zu öffnen und uns wieder mit unserer Umwelt zu verbinden, als etwas, das uns vereint, anstatt uns zu trennen, und unsere Macht und unseren Einfluss auf alles, was uns umgibt, zu überdenken.“ – so Karen Power in ihrem Statement, nachzulesen im Programmheft.

Originell zeigte sich die Aufführung von „Exercises in Estrangement II – L’animal que donc je suis“ von Sandeep Bhagwati.

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„Exercises in Estrangement II – L’animal que donc je suis“ (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Das Ensemble durfte sich dabei auf der Bühne choreografisch bewegen und fand dabei in immer neuen Konstellationen zueinander. Kniend zu Beginn, danach aber schreitend oder sich um die eigene Achse drehend, boten die Musizierenden in ihrem Tun nicht nur Hör- sondern auch Augenfutter. Ausgangsbasis für das Werk war ein Buch von Jacques Derrida, in welchem er den engen Verbindungen zwischen Tier und Mensch nachgeht. Die Musikerinnen und Musiker schlüpften immer wieder in die Rolle verschiedener Tiere und kommunizierten dabei beständig miteinander. Verbunden mit eingespielten Stimmen, deren Text zum Teil bewusst nicht verständlich ist, ergab sich so ein tierisch-menschlich-auditives Geflecht, dessen einzelne Komponenten keinen Schwerpunkt mehr bildeten. Vogelstimmen, Elefantenbrüllen, oder Zikadengezirpe, all das durfte man mithilfe der Umsetzung einzelner Instrumente aber auch aktivem Stimmeinsatz vernehmen.

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Schallfeld Ensemble (Foto: ORF musikprotokoll/Martin Gross)

Im zweiten Teil des Abends wurde vom Schallfeld-Ensemble „My fake plastic love“ von Sehyung Kim, Dune von Carlo Elia Praderio und Katharina Klements „Monde II“ aufgeführt. Das letzte Werk erlebte mit zwei wieder instand gesetzten Mischmaschinen eine Art „historische Aufführungspraxis“, wurden diese beiden doch schon in einer früheren Arbeit von Klement eingesetzt.

Aufgrund großer Ähnlichkeiten, besser gesagt, großer Verwandtschaften in Teilen der Kompositionen, darf man die Programmierung dieser Konzertabfolge als in sich sehr stimmig bezeichnen. Alle waren von immer wiederkehrenden Klangballungen sowie einem entgegen gesetzten Abschwellen gekennzeichnet. Sehyung Kim arbeitet mit unterschiedlichsten Klangfarben der Instrumente und gegen Schluss mit immer enger werdenden Intervallabständen. Praderios Komposition erfuhr man minimalistisch-kontemplativ und dunkel im Gesamteindruck. Klement setzt häufige Glockenklänge im Gegensatz zu den Geräuschen der Mischmaschinen ein. Elektronische Einspielungen erweitern ihren Klangkosmos, der auch durch immer wieder kehrende Passagen charakteristisch ist.

Ein bis zum Bersten gefüllter Konzertabend, der Neues bot, aber auch die Möglichkeit, Vergleiche zwischen einzelnen Kompositionen zu ziehen.

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