Herr Böer, Sie dirigierten in den letzten Jahren an vielen großen Häusern, hauptsächlich Opern. Wie kam es eigentlich zu dieser Ausrichtung?
Ihre Frage spiegelt zunächst einmal sehr anschaulich wider, wie ich als Dirigent von der Öffentlichkeit subjektiv wahrgenommen werde. Dass ich „hauptsächlich“ Opern dirigiere, stimmt insofern, als sich einer Opernproduktion in der Regel sechs bis zwölf Vorstellungen desselben Stückes anschließen, und sich somit ein quantitatives Übergewicht einstellt. In der Tat stehen im Kalenderjahr 2010 mit „Tiefland“, „Matrimonio“, „Un giorno di regno“, Albert Herring“, Les contes d’Hoffmann“ und „Figaro“ sechs Opern insgesamt acht Sinfoniekonzerten mit unterschiedlichen Programmen (Rimsky-Korsakoff, Dvorak, Brahms, Henze, Schubert, Rudin, Glanert, Strauss u.a.) gegenüber, die natürlich nur ein bis zweimal gespielt werden.
Über dieses Gleichgewicht bin ich sehr froh – denn so sehr ich ein „Opernmensch“ bin, hungert und dürstet es mich bisweilen doch gewaltig nach der von außermusikalischen Belangen ungetrübten und intensiven Beschäftigung mit der großen sinfonischen Literatur.
Wie war der Beginn Ihrer Karriere?
Im Grunde gibt es ja zwei gängige Möglichkeiten, die erste Sprosse der Dirigentenkarriereleiter zu erklimmen. Die eine ist, sich einem der renommierten Dirigentenwettbewerbe zu stellen (die ja in der Regel von Sinfonieorchestern ausgeschrieben werden), und als Preisträger ein Sinfoniekonzert zu dirigieren. Mit etwas Glück schließt sich eine Wiedereinladung, eine Beschäftigung als Assistent oder aber auch bereits ein Engagement als Gastdirigent für weitere Konzerte an. Damit zeichnet sich ein Weg zunächst in das sinfonische Repertoire ab. Der andere, von mir eingeschlagene Weg war der, den man landläufig als klassische Kapellmeisterlaufbahn bezeichnet, und der seinen Anfang eben in der Oper nimmt, sofern man gut genug Klavierspielen kann.
Abgesehen davon, dass ich schon als Kind von Oper begeistert war, ist mir während meines Musikstudiums klar geworden, dass viele wesentliche Aspekte des Dirigentenberufs in einer Hochschule weder lehr- noch lernbar sind. Glücklicherweise kamen meine beiden wichtigsten Lehrern, Günther Wich und Peter Falk, dieser Auffassung grundsätzlich entgegen und bereiteten alle ihre Klavier spielenden Studenten auf Probespiele bei Agenturen und Opernhäusern vor, wohl wissend, dass man als Korrepetitor, von der Soloprobe angefangen, über die szenischen Proben, die „Tastendienste“ im Orchester und das Dirigieren hinter der Bühne bis hin zur einen oder anderen Vorstellung, die man dirigieren darf, einen unschätzbar wertvollen Überblick über das Opernrepertoire einerseits, und die zwischenmenschlichen, psychologischen Herausforderungen im Umgang mit Dirigenten und Solisten andererseits, sozusagen „spielend“ erhält.
Gleich nach meinem Studienende 1996 bekam ich eine Stelle als Solorepetitor an der Oper Frankfurt/Main und war im Anschluss daran, von 1999 bis 2001, Solorepetitor mit Dirigierverpflichtung an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf/Duisburg. Obwohl mir damals im Vertrag lediglich zwei Vorstellungen „Hänsel und Gretel“ zugesichert worden waren, durfte ich schon in der ersten Spielzeit 30 Abende dirigieren – darunter Kuriositäten wie die Operette „Meine Schwester und ich“, natürlich „Myfair Lady“ und „Der Vetter aus Dingsda“, aber immerhin auch Händels „Alcina“ und „Zar und Zimmermann“. Alle Stücke zum ersten Mal und natürlich ohne eine einzige Orchesterprobe gehabt zu haben! Eine harte und gute Schule im Hinblick auf Dirigiertechnik und die Unmissverständlichkeit meiner Zeichengebung. Wenn ich ein Tempo nicht gleich „erwischt“ hatte oder ein Übergang gar zu arg „knirschte“, dann wusste ich: Das wirst Du wohl bei der nächsten Vorstellung anders lösen müssen! Seit dieser Zeit habe ich mir angewöhnt, möglichst oft Videoaufzeichnungen der Orchestergrabenkamera machen zu lassen, um nach Proben oder Vorstellungen besser mit mir selbst ins Gericht gehen zu können.
Höhepunkt meiner Assistentenzeit war sicherlich die intensive Zusammenarbeit mit Antonio Pappano, dem ich noch während meiner Frankfurter Korrepetitorenzeit vorspielte, und der mich daraufhin als Assistenten nach Bayreuth holte, für eine Neuproduktion des „Lohengrin“. Im Laufe der folgenden Jahre habe ich dann bei Produktionen in Brüssel und London assistiert- Opernhäuser, an die ich Jahre später als Dirigent zurückkommen durfte. Antonio Pappano bewundere ich zutiefst – als Mensch und Musiker – und kann nicht mit Worten sagen, wie viel Ermutigung und Bestätigung ich ihm verdanke. Neben allem, was ich von ihm über Musik und das Musizieren, den großen Bogen und das innere Drama gelernt habe, habe ich eines gelernt, was für mich unmittelbar mit dem Beruf des Dirigierens zusammengehört: „To be generous!“
Als ich schließlich im Januar 2002 als Kapellmeister an die Oper Frankfurt zurückkehrte, fand ich eine – im Vergleich zu meiner Korrepetitorenzeit – völlig veränderte Situation vor: Bernd Loebe war gerade im Begriff, die Intendanz anzutreten und seit Beginn seiner Amtszeit befindet sich das Haus bis heute in voller Fahrt auf Erfolgskurs. Dass ich nun, nachdem ich seit zwei Jahren freiberuflich arbeite, nach wie vor in Frankfurt mit großen, verantwortungsvollen Aufgaben betraut werde, ist meiner jahrelangen, vorausschauenden und klugen Förderung durch ihn zu verdanken, für die ich ihm sehr, sehr dankbar bin.
War ihre Familie musikalisch?
Meine Eltern haben sich während des Studiums der bildenden Kunst an der Städelschule in Frankfurt kennengelernt und waren später beide als Lehrer bzw. Ausbilder vor allem für die Fächer Kunst und Musik tätig. Mein Vater spielte Violine und heute noch mit Vorliebe die Gambe. Das Klavierspielen hatte er sich leidlich selber beigebracht. Meine Mutter spielt bis heute Klavier und Cembalo und meine Schwester, heute Hautärztin in Hamburg, Violine oder Bratsche. Es wurde viel musiziert, jedoch ohne jeden professionellen Anspruch.
Ich selbst spielte früher neben dem Klavier auch Violoncello und habe so in den verschiedensten kammermusikalischen Besetzungen eine Menge wunderbarer Musik kennengelernt. Bis heute macht mir das Musizieren mit anderen Musikern, sei es am Klavier vierhändig, oder als Begleiter von Sängern oder Instrumentalisten, die allergrößte Freude. Vielleicht liegt hier auch der Keim meines Wunsches, Dirigent zu werden.
Sie haben ja auch Komposition studiert. Schreiben Sie derzeit auch an Stücken?
Nein, bis auf einen Marsch für die Blaskapellen rund um Montepulciano, den ich unter einem Pseudonym anlässlich des diesjährigen „Cantiere“ schreibe, leider gar nicht – mir fehlt einfach die Zeit und Ruhe dazu. Aber es ist mein Traum, eines Tages etwas weniger zu dirigieren und dafür mehr zu schreiben. An Ideen und Plänen mangelt es mir nicht, wahrscheinlich aber an dem für einen „echten“ Komponisten typischen, existentiellen Bedürfnis, alles andere dem Komponieren hintan zu stellen.
Allerdings gab die Einstudierung und Aufführung einer eigenen Komposition, einer Suite für das Schulorchester des Goethe-Gymnasiums, dessen Schüler ich war, wiederum einen weiteren Anstoß, Dirigent werden zu wollen. Ich war damals vielleicht 16 Jahre alt, hatte während einer Orchesterfreizeit meinen Musiklehrer überredet, mir mit meinem Stück eine Chance zu geben, und stellte mich tatsächlich vor das große Orchester aus Mitschülern und dirigierte und probte mein Stück, ohne jemals vorher Dirigierunterricht gehabt zu haben. Naiv genug, um mir über die Schwierigkeiten des Dirigierens völlig im Unklaren zu sein, und andererseits von einer klaren Vorstellung vom klanglichen Resultat geleitet, ging dieses „erste Mal“ erstaunlich gut und hat mir einen Riesenspaß gemacht. Darüber, dass meine älteren Mitschüler mich unter Umständen nicht ernst nehmen könnten, dachte ich tatsächlich keine Sekunde lang nach!
Heutzutage, wenn ich vor ein Orchester trete, das ich bis dahin noch nicht kannte, mischt sich in meine Vorfreude mittlerweile immer etwas Nervosität- die freilich schnell verfliegt, mir aber deutlich macht, dass professioneller Anspruch und kritische Distanz zu sich selbst ihren Preis hat. Gut so, denn das lässt mich bescheiden bleiben und unprätentiös auf die Sache, die Musik konzentriert meine Arbeit machen.
Und das bedeutet, neben vielen anderen Aspekten des Dirigierens, zu delegieren. Im Idealfall gelingt es, die individuellen Musikerpersönlichkeiten in einem Orchester mit zwei-drei zündenden und überzeugenden Ideen auf ein gemeinsames Ziel hinzulenken. Was für Ideen das sind, kann sehr unterschiedlich sein und ist natürlich vom Stück abhängig: Die Wahl des „richtigen“ Tempos („richtig“ hier natürlich nur im Sinne von „dem interpretatorischen Ansatz angemessen“), stilbedingte Absprachen bezüglich gemeinsamer Artikulation und Phrasierung, die Suche nach der passenden Grundfarbe usw. Schließlich ist es meine Aufgabe, das persönliche Engagement und die eigene musikalische Verantwortung eines jeden zu beflügeln und eine im Rahmen der aufgestellten „Spielregeln“ möglichst frei und inspiriert sich entfaltende Kreativität jedes einzelnen Musikers zu ermöglichen.
Ich bin einmal von einem Journalisten gefragt worden, ob bei meiner Berufswahl die „Lust an der Macht“ eine Rolle gespielt hätte. Das ist natürlich völliger Blödsinn. Machtausübung um ihrer selbst Willen wird von den hoch spezialisiert ausgebildeten Mitmusikern sofort als solche entlarvt und durch für den Dirigenten in der Regel außerordentlich unangenehme gruppendynamische Prozesse wirkungsvoll abgeblockt. Es mag vereinzelt Orchester geben, die – aus welchen Gründen auch immer – eine harte Führung bevorzugen. Im Allgemeinen glaube ich jedoch, dass der diktatorische Dirigententyp heute einfach nicht mehr ernst genommen wird.
Wie sehen Sie genau Ihre Rolle als Dirigent einer Oper?
In der Oper gibt es zu Beginn der Einstudierung in der Regel eine große Diskrepanz zwischen dem Grad der Vorbereitung der Solisten und jener der Orchestermusiker – bezogen auf den „Kenntnisstand“ am ersten Probentag. Sängerinnen und Sänger bereiten sich oft mit langem zeitlichen Vorlauf akribisch und bis ins kleinste Detail auf ihre Rollen vor, machen womöglich historische Studien und lesen Sekundärliteratur. Spätestens zu Beginn der szenischen Proben sollten sie ihre Rollen auswendig beherrschen. Je nach Künstler hat bereits während der Vorbereitung ein Identifizierungsprozess begonnen, der einer Rolle bereits in einem verhältnismäßig frühen Probenstadium lebendige Gestalt geben kann.
Eine erste Orchesterprobe hingegen hört sich ganz anders an. In der Regel liest der Großteil eines Orchesters ein neues, bisher nicht gespielte Stück „vom Blatt“ – nicht umsonst spricht man in England von „readings“ und in Frankreich von „lectures“. So vergehen leicht drei Orchester-Allein-Proben nur damit, sich einmal durch die Partitur zu kämpfen. Als ich große und lange Opern wie „Die Meistersinger“, „Der Rosenkavalier“ oder „Arabella“ zu proben hatte, wurde mir bewusst, wie unglaublich knapp die Zeit mit dem Orchester in einem normalen Repertoirebetrieb bemessen ist.
So sehr ich es mir wünschen würde, es bleibt oft keine Zeit, um den Musikern etwas zum inhaltlichen, dramaturgischen Bezug des Orchesterparts zum Bühnengeschehen zu sagen. In vielen privaten Gesprächen mit Opernorchestermusikern (die ja im Graben gewissermaßen „unter Tage“ arbeiten) hörte ich aber heraus, wie wichtig das Gefühl für jeden Einzelnen ist, einen im Wortsinne sinn-vollen Beitrag zu leisten. Daher ist es mir ein großes Anliegen, die Bedeutung und Wichtigkeit des Orchesterparts zu unterstreichen und bewusst zu machen, egal wie nichtssagend die betreffende Instrumentalstimme gerade aussieht. Und gerade die leisen, zarten, leeren Stellen sind es ja oft, die plötzlich Raum für Imagination und Zauber geben. Bei Strauss beispielsweise trifft man das Gegenteil an: hier sind eigentlich alle Stimmen thematisch oder motivisch abgeleitet und sehen daher oft zu bedeutend aus! Hier muss der Dirigent für größtmögliche Transparenz des Orchesterklanges und eine fein austarierte Balance zu den Solisten oder dem Chor auf der Bühne sorgen.
Ist es für Sie schwieriger mit den Sängern zu arbeiten oder mit dem Orchester?
Die Arbeitsweise ist ähnlich, setzt aber mitunter andere Schwerpunkte. Schlüssel zum Erfolg ist in jedem Fall immer das gemeinsame Ziel und der gute Wille, das Ziel gemeinsam zu erreichen. Im Allgemeinen empfinde ich die Arbeit mit Sängern als unkompliziert, gerade weil ich in der Lage bin, mich selbst ans Klavier zu setzen und mit einem Sänger in einer privaten, geschützten Atmosphäre Fehler zu korrigieren, an einer Stelle weiter zu feilen usw. Auf den szenischen Proben reichen dann oft kurze Erinnerungszurufe, um das Musikalische mit dem Szenischen in vollen Einklang zu bringen.
Die Arbeit mit einem Orchester erscheint im direkten Vergleich zunächst einmal weniger persönlich. Zum einen kann man nicht jeden einzelnen Musiker aus 80 – 100 Mitwirkenden so kennen, wie man die sechs Protagonisten einer Mozartoper über sechs Wochen szenische Probenarbeit kennenlernt. Zum anderen spielen die Streicher grundsätzlich in großen Tutti-Gruppen, was eine namentliche Anrede (mit Ausnahme der Stimmführer) ausschließt. Individuelle Kommunikation findet hier zunächst eher mit den Bläsern, die ja alle solistisch spielen, statt.
Gerade deswegen ist es aber, wie ich finde, die Aufgabe eines Dirigenten, eine dennoch „persönliche“ Atmosphäre zu schaffen, in der sich jeder instinktiv respektiert und geschätzt fühlt. Augenkontakt zu suchen und zu halten, und bewusst mitzuatmen sind für mich physische Grundvoraussetzungen des gemeinsamen Musizierens. Ansonsten gilt für mich der „Knigge“ des menschlichen Umgangs. Respekt, Geduld, Diplomatie und die Fähigkeit, einmal „Fünfe gerade sein zu lassen“ sind unabdingbar.
Ich unterbreche zum Beispiel in der Probe nur, wenn es unbedingt notwendig ist und versuche dabei zu beherzigen, was James Levine einmal sagte, nämlich dass ein Dirigent erst abbrechen sollte, wenn es mindestens drei wichtige Sachen zu proben gäbe. Bei einer zufällig falsch gespielten Note abzubrechen, ist unnötig, ja respektlos. Denn vor allem der betreffende Spieler wird es selbst gehört haben und wird den Fehler kein zweites Mal mehr machen.
Sie sind einer der wenigen Operndirigenten, die das Orchester selbst vom Cembalo oder Hammerklavier aus leiten. Das ist doch eine zusätzliche, enorme Herausforderung!
Ich finde es ganz selbstverständlich, das zu tun. Es war ja im Barock und in der Frühklassik ganz normal, dass die Kammerorchester vom Instrument aus dirigiert wurden, und ich mache es immer gerne, außer, es spricht technisch etwas dagegen – wenn beispielsweise das in der Mitte des Orchesters stehende Instrument den darum sitzenden Musikern den Kontakt untereinander erschwert, oder aber, wenn es wie im Fall meines Einspringens für „Cosi fan tutte“ im vergangenen Dezember hier in Straßburg ohnehin jemanden gibt, der die Rezitative auch während der anderen Vorstellungen gespielt hatte, und das Timing der Inszenierung besser kennt als ich.
Wenn ich im Sommer während des „Cantiere“ in Montepulciano Albert Herring von Benjamin Britten dirigiere, werde ich natürlich, wie vom Komponisten vorgesehen, alle rezitativischen Szenen mit Klavier selbst spielen.
Sie versuchen also so gut es geht, eine historische Treue zu wahren?
Ich glaube, Harnoncourt sprach einmal von einer „historisch informierten“ Aufführungspraxis. Es gibt allerdings eine derartige Fülle an sich teilweise auch noch widersprechenden Quellen, dass es mir vorkommt, als müsse man einen Ozean mit dem Teelöffel leerschöpfen. Neben der ernsthaften Beschäftigung mit aufschlussreichem Material hole ich mir daher grundsätzlich Rat von erfahrenen und spezialisierten Musikern und Musikwissenschaftlern – nicht nur von Dirigenten, wohlgemerkt! Es ist eine Binsenweisheit, dass es „die eine“ Interpretation ohnehin nicht geben kann, und jeder Versuch, der nach bestem Wissen und Gewissen gewagt wird, lediglich eine Annäherung an ein Werk bedeutet – nicht mehr.
Keine Lösung kann behaupten, alles zu zeigen, was in der Partitur eines „Meister“ -Werkes steckt. Grundvoraussetzung aller Ansätze sollte dennoch und gerade deswegen ein genaues Bewusstsein der Details und deren handwerkliche Bewältigung sein. Ob eine Interpretation letztlich überzeugt, ist eine Frage der übergreifenden Idee, des große Bogens, der für den Zuhörer nachvollziehbar ist und ihm einen Zugang zu dem betreffenden Stück ermöglicht.
Ein Dirigent wie Harnoncourt stoppt in seinen Proben beinahe in jedem Takt, erklärt beinahe jede einzelne Note, steht das nicht im Widerspruch dazu?
Harnoncourt, aber auch Mackerras, Norrington oder Gardiner können als Stellvertreter für all diejenigen Dirigenten angesehen werden, die aufgrund ihrer jahrzehntelangen Nachforschungen, Studien und der damit erworbenen umfassenden Kenntnis der Materie in der Lage sind, Auskunft über jeden einzelnen Ton einer Partitur zu geben. Das ist hochinteressant, äußerst lehrreich und im Prinzip nacheifernswert. Es gibt allerdings auch Dirigenten, die während der Proben deshalb gerne reden und viel erklären, weil sie das, was sie vermitteln wollen, mimisch und gestisch nicht zeigen können. Die Aufführung des Probenergebnisses kommt dann eher einer Dressurvorführung gleich, bei der wenig Platz für die „Kür“ bleibt.
Sie sprachen vorhin von nur wenigen Ideen, die ein ganzes Stück tragen können. Welche waren das im Fall von Cimarosas Oper „Il matrimonio segreto“ in Straßburg?
Cimarosa erfordert eine ähnlich differenzierte Artikulation und Phrasierung wie Mozart, wobei ich glücklicherweise an unsere erste Zusammenarbeit mit „Le nozze di Figaro“ anknüpfen konnte. Instinktiv empfinde ich Cimarosa jedoch noch eine Spur barocker – vieles erinnert mich sogar an Händel. Wichtig war mir, von vorneherein Spielregeln zur Art und Weise der Tonerzeugung aufzustellen. Die Streicher mit ihren teilweise alten oder älteren Instrumenten konnten dies selbst in moderner Stimmung gut umsetzen. Von den Bläsern und Blechbläsern einschließlich der Hörner erforderte dies jedoch oft große Anstrengung, weil hier die meisten Musiker moderne Instrumente spielen. Ein interessantes Feld ist zudem, was ich gerne als Aufspüren der „Binnendynamik“ innerhalb einer vom Komponisten vorgegebenen Lautstärke bezeichne. Ich habe viel Sorgfalt darauf verwendet, statisch-orgelhaft wirkenden Passagen Leben einzuhauchen. Anders als bei Mozart ist die Musik von Cimarosa von starker Motorik geprägt, einem Stilmittel, das bereits auf Rossini und Donizetti hindeutet. Abschnitte von 16 oder 32 Takten, getragen von uhrwerkartigen Begleitfiguren, lässt er gerne dreimal unverändert wiederholen und bildet damit große architektonische Formzusammenhänge, wie später die grandiosen Rossini’schen Steigerungswalzen. Die beabsichtigte Wirkung ist allerdings nur über eine gewissenhafte Selbst-Kontrolle im Hinblick auf die dynamischen Abstufungen zu erzielen. Als weiterer Punkt spielt das vokale wie instrumentale Parlato eine herausragende Rolle, wobei die „Gerade-Noch-Singbarkeit“ interessante Rückschlüsse auf die Tempogestaltung zulässt. Die Wortspiele in den Rezitativen finden ihre Entsprechung im musikalischen Witz der Partitur, den es herauszuarbeiten galt. Kontrastierend dazu habe ich versucht, den wenigen Ruhepunkten der Verinnerlichung des ansonsten von Psychologie relativ ungetrübten Stückes echte Geltung und Tiefe zu verschaffen.
Fühlen Sie sich in einer bestimmten Musik beheimatet?
Ich war immer offen für alle möglichen Stile und habe mir meine Neugierde glücklicherweise bewahrt. Dies gilt insbesondere natürlich für den Bereich der Symphonik, in dem ich mir seit einigen Jahren bereits konsequent ein ständig wachsendes Repertoire erarbeite. Sicher liegt mir das Deutsche Fach, insbesondere Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Strauss, Bruckner und Mahler, doch habe ich gleichermaßen eine große Affinität zu Verdi und Puccini. Eigentlich liebe ich alle Musik, die mich emotional bewegt und dabei gleichzeitig geistig fordert. Strawinsky, Schostakowitsch, Schreker, Henze, Messiaen oder Dutilleux, um nur einige zu nennen, würde ich jederzeit gerne dirigieren. Besonders aber freue ich mich darauf, anlässlich meines Debüts beim Liverpool Philharmonic Orchestra im Dezember die britische Erstaufführung der „Drei Gesänge ohne Worte“ meines Freundes und Mitstreiters in Montepulciano, Detlev Glanert, zu leiten.
Sie sprachen von Montepulciano, dem Ort, in dem alljährlich, seit der Gründung durch Hans Werner Henze im Jahre 1976, das Festival „Cantiere Internazionale d’Arte“ (Internationale Kunstwerkstatt) abgehalten wird. Möchten Sie kurz etwas darüber erzählen?
Detlev Glanert und ich wurden Anfang 2009 mit der künstlerischen bzw. musikalischen Leitung des „Cantiere“ betraut, und zwar zunächst für einen Zeitraum von drei Jahren. Eine große, verantwortungsvolle und wunderschöne Aufgabe, deren Bewältigung uns beide seither täglich viele Stunden in Atem hält! Für jedes der drei Jahre wählten wir als programmatische Überschrift jeweils einen der Schauplätze in Dantes „Divina Comedia“: Inferno, Purgatorio und Paradiso. Einerseits, um eine notwendigerweise zu treffende Auswahl aus der übergroße Fülle unserer Ideen zu motivieren, andererseits, um von Vorneherein dem Dreijahreszeitraum eine Geschlossenheit in sich zu geben.
Das Besondere des „Cantiere“ ist, dass die mitwirkenden Künstler – seit der Gründung des Festivals durch Hans Werner Henze – grundsätzlich keine Gage bekommen und „um der Sache Willen“ wirklich nur für Kost und Logis arbeiten. Gerade darauf beruht jedoch der künstlerische und ethische Erfolg einer kreativen Zusammenarbeit von Profis, Studenten und Schüler unter gleichen wirtschaftlichen Bedingungen.
Wer sich dafür entscheidet, in Montepulciano zu arbeiten, muss wissen, dass das Cantiere kein kommerzielles Festival ist, sondern es um sozialpolitische Aspekte und inhaltliche Fragen von Kunst geht. In dieser Atmosphäre haben im Laufe der Jahre viele große Künstler gearbeitet, darunter Marcel Marceau, Micha van Hoecke, Franca Valeri, Salvatore Accardo, Giuseppe Sinopoli, Peter Maxwell Davies, Cecilia Bartoli und Gidon Kremer.
Diese Rahmenbedingungen stellten für uns allerdings eine der größten Herausforderungen überhaupt dar. Um unsere Pläne für Opernproduktionen und Sinfoniekonzerte verwirklichen zu können, haben wir das Orchester des Royal Northern College of Music in Manchester engagiert, eine handverlesene Auswahl der besten Instrumentalstudenten, die hoch professionell und hoch motiviert ihre Chance wahrnehmen, sich im Rahmen des „Cantiere“ auf ihr Berufsleben vorzubereiten und darüber hinaus Auftrittsmöglichkeiten im Rahmen von Kammerkonzerten geboten bekommen.
Eine unserer jahresübergreifenden Ideen war es, „Artists-in Residence“ einzuladen, Solisten, die in verschiedensten Kombinationen mit dem Orchester, aber auch in Kammermusikabenden oder Solorezitalen auftreten. Mir hat es ein besonderes Vergnügen bereitet, Künstler aufeinandertreffen zu lassen, die sich bis dahin noch nicht kannten, geschweige denn miteinander musiziert hatten – einfach aus meinem persönlichen Instinkt heraus. Im vergangenen Sommer waren das der deutsche Pianist Markus Bellheim und der schwedische Violinist und Dirigent Tobias Ringborg. Das künstlerische Ergebnis war überwältigend, und die beiden werden auch in Zukunft- unabhängig vom „Cantiere“ zusammen auftreten. In diesem Sommer wird Markus Bellheim wieder mit dabei sein, zusammen mit Tatiana Samouil und Justus Grimm, der Konzertmeisterin und dem Solocellisten der Brüsseler Oper, Teâtre de la Monnaie.
Wahrlich sensationell ist das Engagement eines der bedeutendsten Regisseure unserer Zeit, Keith Warner, für unsere diesjährige Produktion von Benjamin Brittens Oper „Albert Herring“ – umso mehr, als Keith Warner von sich aus bei mir anrief, um seine Mitarbeit anzubieten! Noch dazu haben wir eine Sängerbesetzung, die sich an jedem großen Haus hören lassen könnte.
Im Konzertbereich wird der Euphoniumspieler Steven Mead als in seinem Metier ähnlich berühmter Solist auftreten und ein im Auftrag der Stuttgarter Sinfoniker eigens für ihn komponiertes Werk für Euphonium und großes Orchester von Rolf Rudin aufführen.
Überhaupt setzt das Festival neben Werken des klassischen Repertoires einen Schwerpunkt auf Neue Musik, neben 20 Uraufführungen wird es auch in der Reihe der italienischen Erstaufführungen zwei besondere Momente geben: Die Oper „Luci mie traditrici“ von Salvatore Sciarrino und die Aufführung des Orchesterstücks „Fandango“ von Hans Werner Henze. Insgesamt werden mehr als 40 lebende Komponisten mit ihren Werken vertreten sein, unter ihnen auch Bernard Foccroulle, derzeit künstlerischer Leiter des Festivals von Aix-en-Provence.
Haben Sie persönlich Wünsche für Ihre Zukunft?
Ich wünsche mir, dass sich die Zusammenarbeit mit den Opernhäusern und Sinfonieorchestern, mit denen ich bisher arbeitete und die fruchtbar und erfolgreich war, in Zukunft eine Fortsetzung und Intensivierung erfährt. Immer nur zu debütieren, d. h. das erste Mal irgendwo zu dirigieren, um schließlich überall einmal gewesen zu sein, ist für mich nicht interessant und erstrebenswert. Viel entscheidender ist doch die Frage, ob und unter welchen Bedingungen es zu einer Wiedereinladung kommt, da das „zweite Mal“ die eigentliche Herausforderung darstellt. Denn hier gilt es, sich zu bewähren! Und Grundsteine zu legen für zukünftige, dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen geprägte Beziehungen. Nach meinen Debüts beim London Symphony Orchestra oder am Opernhaus Covent Garden war mir, trotz des Erfolges und des absolut positiven Feedbacks, völlig klar, dass es nicht sofort zu einer Wiedereinladung kommen würde, denn diese international herausragenden Institutionen planen natürlich über viele Jahre im Voraus. Auch mein Debüt an der Mailänder Scala wird zunächst eine singuläre Sonderstellung einnehmen, da mache ich mir keinerlei Illusionen.
Umso mehr freut es mich, dass für die nächsten Jahre, ähnlich wie am Opernhaus Frankfurt, eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Stadttheater Bern und dem Berner Sinfonieorchester, der Volksoper Wien sowie der Opéra National du Rhin und dem Orchestre Philharmonique de Strasbourg geplant ist.
Ich danke Ihnen herzlich für dieses schöne und ausführliche Gespräch!
Interview mit dem tschechischen Dirigenten Jakub Hrusa
Der Dirigent Jakub Hrusa (c) IMGArtists
Herr Hrusa, Sie sind schon das zweite Mal hier in Straßburg?
Ja, das erste Mal war ich im Oktober 2008 in Straßburg. Meine Eindrücke sind, was diese Zusammenarbeit betrifft, sehr komplex. Das Orchester hier hat mir eine wunderbare Zeit bereitet. Im Werk von Richard Strauß fühlten sie sich viel mehr zuhause als im Werk von Janáček, was ja etwas ganz anderes ist. Es hat viele Schwierigkeiten und wir haben die ganze Woche über daran gearbeitet. Überhaupt war es für das Orchester eine große Herausforderung, denn obwohl „Zarathustra“ von Strauß und das 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky sehr bekannte Stücke sind, wurden sie in Straßburg lange nicht mehr gespielt. Das bedeutet, dass die Musiker für das Konzert eigentlich drei neue Stücke einüben mussten. Ich habe also ein richtiges Gefühl von Arbeit, das mich diese Woche mit dem Orchester verbunden hat. Ich bin beim Arbeiten nicht jemand, der zum Beispiel versucht, das beste Crescendo herauszuarbeiten, sondern ich lobe vielmehr die Anstrengungen, die die Musiker unternehmen – und das gibt mir dann sehr viel zurück. Im Orchester gibt es Talente und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Aber dafür braucht man Zeit, Konzentration, Vorbereitung. Wenn man das hat, kann man mehr in diese Richtung arbeiten.
Wie gestaltete sich Ihre Zusammenarbeit mit dem Pianisten Simon Trpčeski?
Wir arbeiteten sehr gut zusammen. Er hat eine unglaublich fantastische Energie, ist eine liebenswerte Persönlichkeit mit einem offenen Herzen, sehr gefühlsbetont und hat eine besondere Gabe, von Menschen gemocht zu werden.
Sie haben in kurzer Zeit eine steile Karriere hinter sich gebracht, mit vielen großen Orchestern an vielen großen Häusern dirigiert. Was sagen Sie selbst zu dieser Entwicklung?
Ich selbst habe den Eindruck, dass meine Karriere sich in eine gute Richtung bewegt. Andere mögen vielleicht noch schneller nach oben kommen, aber so wie es bei mir läuft, halte ich es für einen ganz logischen und erfolgreichen Weg. Schritt für Schritt. Keine Riesensprünge, aber ruhig und dafür kontinuierlich. Was ich mache, ist aber hoffentlich auch erfolgreich und gut für die Orchester, sie sind damit zufrieden. Ich lege Wert auf eine ganz natürliche Entwicklung und glaube daran, dass es wichtig ist, ein gutes Repertoire zu dirigieren und auszuwählen. Janáček wählte ich zum Beispiel aus, weil er im Stil doch ein wenig provokant ist. Er erfordert eigentlich ein wenig Erklärung gegenüber dem Publikum. Das muss nicht mit Informationen überschüttet werden, aber ein, zwei Erklärungen reichen schon, um die Fantasie anzuregen und um klar zu machen, worin es in dem Stück eigentlich geht. Ich stehe den Programmheften sehr kritisch gegenüber. Meistens werden darin Fakten wiedergegeben, Opuszahlen, Jahreszahlen usw., aber es fehlt der kindliche Zugang, Vorstellungen, die die Musik unterstützen. Das finde ich schade.
Haben Sie schon kommentierte Konzerte gemacht?
Ja, in Englisch und in Deutsch, man hat mich darum gebeten.
Es gibt auch Aussagen von Künstlern, die meinen, der direkte Kontakt zum Publikum, also das Ansprechen des Publikums, würde die Aura eines Künstler vernichten, die Aura ein Star zu sein.
Warum sollte eine Interaktion eine Aura vernichten? Das sehe ich gar nicht so. Allerdings stimmt es, das ein kleinerer Rahmen wie zum Beispiel ein Gespräch, das vor dem Konzert abgehalten wird, oder auch nur Informationen, die man am Buffet weiter gibt, sehr gut zur Informationsverteilung geeignet sind. Wenn ich kommentiere, bevorzuge ich es, einige wenige Worte ans Publikum zu richten, einfach um die Aufmerksamkeit der Leute zu erlangen. Ich erzähle auch gerne, warum ich selbst ein bestimmtes Stück gerne mag.
Wie war ihre erste Annäherung zur Musik?
In meiner Familie ist niemand Profimusiker. Mein Vater ist Architekt. Er versuchte natürlich zu erkunden, ob ich künstlerisch begabt sei und gab mir Zeichenblätter und Stifte, aber das Resultat, das dabei herauskam, war sehr dürftig. Ich liebte es aber, der Musik zuzuhören. Meine Eltern hörten eigentlich immer Musik und sie erkannten dabei auch mein Talent. Im Kindergarten wurde immer ich genommen, wenn jemand etwas vorsingen oder einen Rhythmus klatschen musste. Damals, es war noch in den letzten Jahren des Kommunismus, gab es ein Projekt. Ein Komitee besuchte die Kindergärten und hielt Ausschau nach besonders begabten, musikalischen Kindern. Ich wurde von ihnen ausgewählt und ging danach in eine Grundschule weiter, in der in allen Fächern Musik vorkam. Egal, ob in den Fremdsprachen, oder auch in Mathematik, 10 Minuten lang wurde zumindest immer gesungen, oder Musik gemacht. Das war eines der letzten Projekte des Kommunismus und ich bin sozusagen noch ein Ergebnis davon. Ich möchte aber ausdrücklich unterstreichen, dass ich den Kommunismus nicht gutheißen will, meine frühe Schulausbildung basierte jedoch auf diesem Experiment. Aus den 30 Schülern, die damals in der Klasse waren, habe auch nur ich eine Musikerlaufbahn eingeschlagen. Wir fühlten uns in dieser Klasse jedoch richtig glücklich und privilegiert und ich erlebte eine richtig glückliche Kindheit. Später bekam ich dann Zweifel an der Musik. Ich ging in ein ganz normales Gymnasium mit einer breiten Grundausbildung. Meine Lehrer drängten mich zwar immer dazu Musiker zu werden, aber ich war mir gar nicht mehr wirklich sicher. Anfangs studierte ich Posaune und Klavier, mehr oder weniger als mein Hobby. Die Posaune setzte ich dann auch beim Jazzspielen ein. Im Klavierspielen machte ich ja bessere Fortschritte, ich übte viel und spielte auch in meiner Freizeit immer.
Wie schlugen Sie dann Ihre Laufbahn ein?
Schon als Kind hatte ich eine Neigung zum Dirigieren. Ich nahm mir ein Holzstäbchen, so wie es die Frauen benutzen, wenn sie überprüfen, ob ein Kuchen schon fertig gebacken ist. Und damit stellte ich mich vor den Plattenspieler und dirigierte den Bolero von Ravel. Das ist zum Dirigieren ein sehr einfaches Stück. Es hat keine Rhythmenwechsel und ist von Anfang bis zum Schluss im gleichen Takt zu schlagen. Es beginnt ganz leise und steigert sich zu einem Fortissimo. Damit ich aber schon am Anfang gut hören konnte, drehte ich die Lautstärke zu hoch, die dann aber bis zum Schluss unter keinen Umständen mehr korrigiert werden durfte. Meine armen Eltern – das war zum Schluss ein Höllenlärm! Ich kann nicht genau sagen, was mich an diesem Beruf so anzog, aber ich glaube ich habe auch einen Charakter, der sich dafür eignet, ich muss mich dabei ja auch zeigen. Man muss einen guten Führungsstil haben, entschlussfreudig sein, willensstark sein aber auch ein Individualist. Wenn man diese Eigenschaften hat, ist es sehr logisch, ein Dirigent werden zu wollen. Mir wurde auch klar, dass ich kein Pianist werden wollte. Als Dirigent muss man wesentlich komplexer arbeiten können, alle Einzelstimmen zu einem Großen vereinigen und das hat mich schon immer fasziniert.
Was bedeutet es für Sie, ein Dirigent zu sein, welche Aufgabe hat in Ihren Augen ein Dirigent?
Das ist sehr komplex! Man muss in der Lage sein, die manuelle Technik des Dirigierens zu beherrschen und zu zeigen. Ich fühle mich sehr glücklich und privilegiert, diesen Beruf ausüben zu können. Er macht mich zutiefst glücklich und er füllt mich zur Gänze aus. Meine Hauptmotivation an allererster Stelle ist, dass ich, wenn ich mit einem Orchester arbeite, dieses verbessern kann. Das ist mein klares und ehrliches Bestreben. Wenn ich dieses Gefühl nicht mehr hätte, dann würde ich nicht weiter dirigieren wollen. Dirigieren bedeutet aber nicht allein, etwas technisch durchzuführen, sondern hat auch viel mit Menschlichkeit zu tun, mit Geist, mit Beziehungen. Eine gewisse Chemie zwischen mir und dem Orchester ist viel wichtiger als eine glänzende Erscheinung vor dem Publikum. Wenn das gut funktioniert, dann braucht ein Dirigent keine Starallüren. Dann bezaubert er, fasziniert und spricht so auf diese Art und Weise zum Publikum. Wenn ich Musik mit den Musikern mache, dann diene und leite ich zugleich. Ich bevorzuge weder einzelne Orchester, noch eine bestimmte Art von Musik. In erster Instanz steht für mich, dass ich hilfreich sein kann und in das Orchester ein besseres Leben tragen kann, egal ob es nun nur für eine Woche oder auch länger ist. Es steckt in jeder Person etwas von einem Star, aber ich war nie davon angezogen ein Star zu sein, das hat für mich keine Attraktivität. Ich spiele keine Spielchen, ich bin ja kein Schauspieler! Für mich bedeutet das Dirigieren einen sehr spirituellen und kulturellen Dienst am Komponisten und an den Musikern, nämlich ihnen zu helfen und sie zu unterstützen.
Sie spielten in Straßburg „Das schlaue Füchslein“ von Leoš Janáček – fühlen Sie sich als Botschafter der tschechischen Musik?
Ja, definitiv – aber nicht ausschließlich. Es ist nur ein Teil, den ich dirigieren möchte, aber einfach ideal. Der Ort des Geschehens „Vom schlauen Füchslein“ liegt nur wenige Schritte vom Haus meiner Eltern entfernt, in dem ich mit ihnen gelebt habe. Ich ging oft mit der Partitur dort in den Wald und fühlte diese Verbundenheit. Mein Land hat eine Vielzahl von Komponisten hervorgebracht, vor allem wenn man das in Relation zu seiner Größe sieht. Was das angeht, sind wir sehr privilegiert, Smetana, Dvořák, Janáček, Martinů oder Suk, um die bekanntesten aufzuzählen.
Sie leiten die Prager Philharmonie und gestalten auch das Programm.
Ja, das ist richtig. Dabei müssen wir allerdings sehr viele Parameter berücksichtigen. Prag ist eine sehr kulturvolle Stadt mit vielen Orchestern und vielen Konzerten. Wir müssen beobachten, was und wann die anderen machen, ob es Geburtstage zu berücksichtigen gibt usw. Aus diesem Grunde engen wir unser Konzept nicht ein, limitieren es nicht, das wäre sehr gefährlich. Vielmehr sind alle unsere Konzerte in einer ganz bestimmten Art und Weise einzigartig. Wir sind in Prag zwar nicht das größte Orchester, aber wir können die Besten sein! Wir haben ein wunderbares Publikum, nicht zu alt, und spielen immer vor vollem Haus. Die Philharmonie ist nicht groß, wir können kein riesiges Repertoire spielen wie z. B. Mahler, aber Dvořák und Brahms geht noch sehr gut. Wir geben auch Auftritte außerhalb von Prag.
Sie haben auch Opern dirigiert.
Ja, ich dirigierte Carmen im Glyndebourne Festival, dieses Jahr den Don Giovanni, aber ich habe auch die Rusalka in Prag und Werther von Massenet in Hong Kong dirigiert. Ich liebe die Oper und werde auch gerne noch mehr auf diesem Gebiet machen. Glyndebourne inspiriert mich enorm und bietet mir die Möglichkeit einer enormen Erfahrung an. Darüber bin ich sehr glücklich. Aber richtig zuhause fühle ich mich im Moment auf alle Fälle in der Symphonie. Auch wenn ich ein Programm dirigiere, wie z. B. eine Kantate oder ein Oratorium, also einen Chor dabei habe. Das macht mich besonders glücklich. In der Oper und am Theater ist das Leben etwas anders. Es gibt viel mehr Leidenschaft, aber auch Politik und Psychologie, die eine Rolle spielen. Mit „reiner Musik“ fühle ich mich richtig wohl, das bin ganz ich. Viele Menschen brauchen den Text, brauchen Sänger. Wenn sie das nicht haben, vermissen sie es. Ich könnte aber nie Regisseur sein, denn Text und Musik bedeuten für mich nicht dasselbe. Auch mein Gedächtnis ist besser mit Musik. Ich liebe es, auswendig zu dirigieren. Das geht nicht immer, aber ich fühle mich wohl dabei eine Musik einzuprägen, aber nie einen Text. Bei der Musik fühle ich mich wie ein Fisch im Wasser. Die Oper hat andere Herausforderungen. Wenn man aber eine Symphonie hört, so hat man dabei andere Gefühle, die einen sehr reich machen können. Aber auch Konzertstücke haben einen theatralischen Hintergrund. Für mich ist es auch eine philosophische Erfüllung. Brahms zum Beispiel funktioniert in der Oper nicht, aber ich liebe Brahms! Die Arbeit an einer Symphonie, die Details, das Erkennen der Strukturen basiert auf einer reinen musikalischen Entwicklung. Ich bin nicht so enthusiastich mit Donizetti oder Bellini, obwohl ich weiß, dass sie sehr gute Komponisten sind.
Warum sollen Menschen heute noch in ein Konzert gehen, wo es doch so viel Musik rundherum zu konsumieren gibt?
Ja, das stimmt. Alle haben heute kleine Handys, benutzen das Email. Man kann jederzeit mit jemandem in Kontakt sein, egal, wo auf der Welt – aber man kann denjenigen am anderen Ende der Leitung nicht direkt angreifen. Man kann Tonnen von Musik um sich haben, beim Autofahren, im Restaurant. Aber im Grunde hört man dieser Musik nicht zu, ja wird sogar ganz apathisch. Das ist so wie ein Kaugummi im Mund, bei dem man zwar den Mund bewegt, ihn aber nicht zum Essen verschluckt. Es ist aber verzwickt, denn wenn man eine gute Aufnahme hört, dann ist man nah dran, kann konzentriert zuhören und ist in einer privaten Sphäre. Im Konzertsaal aber gibt es auch eine gewisse Ablenkung. Dort findet man aber einen gewissen Geist, mit allen Schwierigkeiten, allen Problemen aber auch allen Freuden. Und vor allem – jedes Konzert ist einzigartig, nicht wiederholbar, so nur in diesen Momenten zu hören und zu fühlen. Die Musik bei einem Konzert ist kein maschinelles Produkt. Es ist ein Ereignis! Der lebendige Eindruck wird nur in einem Konzert unterstützt. Philosophisch betrachtet rufen Tonaufnahmen die Illusion hervor, dass man Momente aus der Vergangenheit wiederholen könnte. Aber das stimmt nicht, das ist nicht möglich. In einer DVD verliert sich die soziale Qualität des direkten Kontaktes, der Humantouch. Wenn man gemeinsam Musik hört, hat man Erfahrungen, die man in vielerlei Hinsicht miteinander teilt. Es hängt ganz davon ab, wer alles im Saal sitzt oder auch neben wem man sitzt. Die negative Ausstrahlung eines Einzelnen kann die andern beeinflussen, aber auch umgekehrt. Aber auch die wechselseitige Beeinflussung zwischen den Musikern auf der Bühne und dem Publikum kann in einem Studio nie aufgenommen werden. Musik muss einfach menschlich bleiben. Es ist nicht dasselbe, ob Sie Wein zuhause komplett allein, oder in einem Keller oder mit Menschen in einem schönen Restaurant trinken!
Herzlichen Dank für das Interview!
h1>Chaque concert est unique – impossible à rejouer à l’identique ! Interview avec le chef d’orchestre tchèque Jakub Hrusa
le chef d´orchestre Jakub Hrusa (c) IMGArtists
Monsieur Hrusa, c’est la deuxième fois que vous êtes ici à Strasbourg ?
Oui, la première fois, je suis venu en octobre 2008. Mes impressions quant à l’actuelle collaboration sont très complexes. L’orchestre m’a fait passer un moment merveilleux. Il se sentait bien plus en confiance dans l’œuvre de Richard Strauss que dans celle de Janáček, qui est totalement différente. Ce morceau comporte de nombreuses difficultés et nous l’avons travaillé pendant toute la semaine. De toutes les façons, c’était un défi énorme pour l’orchestre, parce que tout en étant des œuvres très connues, « Zarathoustra » de Strauss et le premier concerto pour piano de Tchaïkovski n’ont pas été joués à Strasbourg depuis très longtemps. Ce qui signifie, que les musiciens ont été obligés de travailler 3 nouveaux morceaux pour ce concert. J’ai donc vraiment le sentiment d’avoir été lié étroitement à l’orchestre par le travail pendant toute cette semaine. Quand je travaille, je ne cherche pas à obtenir la meilleure façon de jouer un crescendo, par exemple. Je préfère plutôt honorer les efforts des musiciens qui me le rendent ensuite largement. Il y a des talents et des possibilités dans l’orchestre qui lui permettraient d’avancer. Mais pour cela, il faut beaucoup de temps, de la concentration et de la préparation. Si on dispose de tout cela, on a la possibilité de travailler dans ce sens.
Comment s’est passé votre collaboration avec le pianiste Simon Trpčeski ?
Nous avons très bien travaillé ensemble tous les deux. Il a une énergie fantastique et absolument incroyable. De plus, c’est quelqu’un d’aimable, au sens propre du terme, c’est quelqu’un qui a un grand cœur, qui est extrêmement sensible et qui a le don extraordinaire de se faire aimer.
En très peu de temps, vous avez fait une très belle carrière. Vous avez travaillé avec de grands orchestres des plus grandes maisons. Que pensez-vous de cette évolution ?
J’ai l’impression que ma carrière va dans le bon sens. D’autres aimeraient peut-être monter encore plus vite, mais la façon dont se passent les choses pour moi, me paraît bien et logique. Pas après pas ! Pas de bond extravagant, mais doucement et surement. J’espère aussi que mon travail est un succès pour les orchestres et qu’ils en sont satisfaits. Je donne une certaine valeur à une évolution naturelle et je suis convaincu, qu’il est très important de choisir et de diriger un bon répertoire. J’ai choisi Janáček par exemple, parce que je trouve son style quelque peu provoquant. Il demande un minimum d’explication vis-à-vis du public. Il ne faut pas l’inonder d’informations, deux ou trois précisions suffisent pour stimuler l’imagination et pour clarifier le contenu de la pièce. J’ai une position critique par rapport aux programmes écrits. La plupart du temps on y trouve des faits, des chiffres d’opus et des années, mais l’approche enfantine manque : Des images, qui portent la musique. C’est dommage.
Avez-vous déjà fait des concerts commentés ?
Oui, on m’en a déjà fait la demande en anglais et en allemand.
D’après certains artistes, la prise de contact avec le public, c’est-à-dire de s’adresser directement au public serait néfaste pour l’aura d’un artiste. Cette aura de star s’en trouverait détruite.
Pourquoi une interaction détruirait-elle une aura ? Je ne vois pas les choses ainsi. Mais il est vrai, qu’un cadre restreint, comme par exemple une conversation avant un concert ou alors quelques informations que l’on fait passer autour d’un buffet se prêtent parfaitement bien à la diffusion d’information. Quand je fais des commentaires, je préfère être avare en paroles, simplement pour attiser la curiosité des gens, pour capter leur attention. J’aime bien raconter aussi, pourquoi j’aime un certain morceau à titre personnel.
Comment avez-vous approché la musique pour la première fois ?
Dans ma famille, il n’y a pas de musicien professionnel. Mon père est architecte. Il a voulu savoir, si j’avais du talent et m’a donné des feuilles de dessin et des crayons de couleur. Le résultat était maigre. Mais j’ai adoré écouter de la musique. Mes parents écoutaient de la musique en permanence et ont détecté mon talent dans ce domaine. A l’école maternelle, j’ai toujours été choisi, quand il s’agissait de chanter quelque chose ou alors de donner le rythme. A l’époque – c’étaient les dernières années du communisme – il existait un projet. Dans le cadre de ce projet, un comité est passé dans les écoles maternelles pour essayer de découvrir des enfants particulièrement doués pour la musique. J’ai été choisi. Par la suite, dans l’école élémentaire que je fréquentais, dans toutes les matières, il y avait de la musique. Peu importe, s’il s’agissait des langues étrangères ou des mathématiques : On chantait au moins pendant 10 minutes, ou alors on faisait de la musique. C’était l’un des derniers projets du communisme, et moi j’en suis en quelque sorte le résultat. Je tiens à souligner, que je n’approuve pas le communisme, d’aucune façon, mais le fait est, que ma formation précoce est basée sur cette expérience. Nous étions à l’époque 30 élèves dans ma classe. J’étais le seul d’avoir choisi la musique comme profession. Mais tous autant que nous étions, nous nous sommes sentis très heureux et privilégiés dans cette classe et j’ai eu une enfance vraiment heureuse. Plus tard, j’ai douté de la musique. J’ai continué ma scolarité en fréquentant un lycée tout ce qu’il y a de normal, avec une formation de base assez générale. Mes professeurs ont toujours essayé de m’inciter à devenir musicien, mais je n’étais pas vraiment sûr de moi. Au début, j’ai fait des études de trombone et de piano, mais j’ai considéré tout cela plus ou moins comme un hobby. J’ai joué ensuite du trombone pour faire du jazz. Au piano, mes progrès étaient sensibles. Je me suis beaucoup exercé. J’ai joué tout le temps, dès que j’avais un peu de temps libre.
Quand est-ce que vous avez choisi de faire carrière dans la musique ?
Enfant déjà, j’aimais diriger. Je prenais un bâtonnet en bois, comme celui que les femmes utilisent pour vérifier, si le gâteau est cuit, et je me mettais devant la platine pour diriger Boléro de Ravel. C’est un morceau très simple, concernant la direction d’orchestre. Il n’y a pas de changements de rythme, et du début à la fin on bat la même mesure. La pièce commence pianissimo et augmente jusqu’au fortissimo. Pour mieux entendre le début, j’ai augmenté le son, sans permettre que qui que ce soit touche au volume jusqu’à la fin. A la fin justement c’était un boucan d’enfer – mes pauvres parents ! Je ne saurais dire ce qui ma plu très précisément dans cette profession, mais je pense que j’ai aussi un caractère qui s’y prête et je dois me montrer aussi. Il faut avoir des qualités de meneur et savoir prendre des décisions. Mais il faut aussi être volontaire et individualiste. Si on possède toutes ces caractéristiques, il est quasiment logique de vouloir devenir chef d’orchestre. Mais je savais aussi, que je ne voulais pas être pianiste. Un chef d’orchestre doit être capable de travailler de façon plus complexe, il doit réunir toutes les voix pour qu’elles ne forment plus qu’un seul tout.
Qu’est-ce qu’être chef d’orchestre signifie pour vous ? D’après vous, quelle est la mission d’un chef d’orchestre ?
C’est très complexe ! Il faut maîtriser la technique manuelle de la direction d’orchestre et il faut savoir la montrer ! Je me sens très heureux et privilégié de pouvoir exercer ce métier. Il me rend profondément heureux et me satisfait totalement. En tout premier lieu, ma principale motivation est d’améliorer l’orchestre avec lequel je travaille. C’est là mon objectif clair et sincère. Si un jour, je ne ressentais plus les choses ainsi, j’arrêterais de diriger ! La direction d’un orchestre ne signifie pas seulement d’accomplir techniquement quelque chose, bien au contraire, cela a avant tout un rapport avec de l’humanité, avec l’esprit et avec des relations humaines. Pour moi, une certaine relation avec l’orchestre est plus importante que de briller vis-à-vis du public. Si cela fonctionne bien, un chef d’orchestre n’a pas besoin d’allures de star, car dans ces cas-là, il ensorcèle, il fascine et parle de cette manière-là au public. Quand je fais de la musique avec des musiciens, je sers et je dirige en même temps. Je n’ai pas de préférences : ni pour des orchestres particuliers, ni pour un certain style de musique. Ce qui compte pour moi, c’est d’aider l’orchestre et de lui apporter une meilleure vie, peu importe, si la collaboration dure une semaine ou davantage. Dans toute personne il y a quelque chose d’une star, mais être une star ne m’a jamais intéressé, cela me semble sans importance. Je ne joue pas à un jeu, je ne suis pas acteur ! Diriger signifie pour moi rendre un service spirituel et culturel à un compositeur et aux musiciens, les aider et les soutenir.
A Strasbourg, vous avez joué « Le petit renard rusé » de Leoš Janáček – vous sentez-vous ambassadeur de la musique tchèque ?
Oui, définitivement – mais pas seulement ! Ce n’est qu’une partie de ce que je voudrais diriger, mais c’est simplement idéal. Le lieu de l’action du «Petit renard rusé » se trouve à deux pas de la maison de mes parents, là où j’ai vécu avec eux. J’allais très souvent dans les bois avec la partition et je ressentais très fort, à quel point j’étais attaché à ce lieu. Mon pays a vu naître un grand nombre de compositeurs, surtout, quand on met ce nombre en relation avec la taille du pays. Concernant ce point précis, nous sommes très privilégiés. Je pense notamment à Smetana, Dvořák, Janáček, Martinů ou alors Suk, pour nommer les plus connus.
Vous êtes à la tête de la « Symphonie de Prague » et vous en choisissez le programme.
Oui, c’est juste, il y a de nombreux paramètres qui entrent en jeu dont il faut tenir compte. Prague est une ville pleine de culture avec beaucoup d’orchestres et beaucoup de concerts. Nous devons observer ce que font les autres et quand ils le font, s’il y a des anniversaires qu’il faut commémorer etc. C’est pour cette raison que nous ne restreignons pas notre concept, nous ne le limitons pas, car ceci serait très dangereux. Nos concerts sont plutôt tous d’une certaine façon unique. Nous ne sommes pas le plus grand orchestre de Prague, mais nous pouvons être le meilleur. Nous avons un public merveilleux, qui n’est pas non plus trop âgé, et nous jouons toujours à guichets fermés. La philharmonie n’est pas très grande, nous ne pouvons donc jouer un répertoire géant comme par exemple Mahler, mais Dvořák et Brahms fonctionnent très bien. Nous donnons des concerts également en dehors de Prague.
Vous avez aussi dirigé de l’opéra ?
Oui, dans le cadre du « Glyndebourne Festival » j’ai dirigé « Carmen », cette année « Don Giovanni ». Mais à Prague j’ai également dirigé « Rusalka » et à Hong Kong « Werther » de Massenet. J’aime l’opéra et je vais certainement travailler davantage dans ce domaine. Glyndebourne m’inspire énormément et me donne la possibilité d’acquérir une très grande expérience. J’en suis très heureux. Mais mon domaine de prédilection, c’est sans aucun doute la symphonie. Même si je dirige un programme comme par exemple une cantate ou un oratorio, donc, quand il y a aussi un chœur, cela me rend particulièrement heureux. A l’opéra et au théâtre, la vie est un peu différente. Il y a plus de passion, mais la politique et la psychologie jouent aussi un rôle important. Je me sens surtout très heureux avec de la musique « pure », cela me ressemble. Beaucoup de gens ont besoin de textes et de chanteurs, s’ils ne les ont pas, ils leur manquent. Je ne pourrais jamais être metteur en scène, par exemple, parce que « texte » et « musique » signifient pour moi quelque chose de totalement différent. Même ma mémoire fonctionne mieux avec la musique. J’aime diriger par cœur. Ce n’est pas toujours possible, mais je me sens bien, quand je mémorise une musique. Avec un texte, cela ne m’arrive jamais ! Avec la musique je me sens comme un poisson dans l’eau. L’opéra exige autre chose. Quand on écoute une symphonie, on ressent des émotions différentes qui peuvent vous enrichir énormément. Mais les pièces de concert elles aussi ont une coulisse théâtrale. C’est pour moi également un accomplissement philosophique. Brahms par exemple ne fonctionne pas dans l’opéra, mais j’adore Brahms ! Le travail d’une symphonie, les détails, le repérage des structures est basé exclusivement sur une évolution musicale. Je ne suis pas aussi enthousiaste avec Donizetti ou Bellini, bien que je sache que ce sont d’excellents compositeurs.
Pourquoi les gens devraient-ils continuer à aller au concert alors qu’ils ont la possibilité de consommer de la musique partout très facilement ?
Oui, c’est juste. Tout le monde possède aujourd’hui un téléphone portable et utilise internet. A tout moment, on peut être en contact avec quelqu’un – partout dans le monde. Mais on ne peut toucher celui qui est à l’autre bout de la ligne. Effectivement, on peut être littéralement « cerné » par la musique, dans la voiture, au restaurant etc. Mais au fond, on n’écoute pas vraiment cette musique, au contraire, on devient comme apathique. C’est comme avoir un chewing-gum dans la bouche, on le bouge, mais on ne l’avale pas pour le manger. C’est compliqué, car quand on entend un bon enregistrement, on est à deux doigts de se concentrer pour écouter et c’est dans la sphère privée. Même dans la salle de concert il y a des éléments perturbateurs, mais il y a là aussi un certain état d’esprit, avec toutes les difficultés, les problèmes mais aussi toutes les joies. Et surtout : On ne peut rejouer un concert à l’identique, on ne peut écouter et ressentir que le moment présent. La musique d’un concert n’est pas un produit industriel. C’est un évènement ! Cette impression du vivant naît qu’au cours d’un concert. D’un point de vue philosophique, tous les enregistrements créent l’illusion, que l’on peut revivre des moments du passé. Mais c’est faux ! Ce n’est pas possible. La qualité sociale d’un concert en direct et la touche humaine sont absentes dans un enregistrement sur CD. Quand on écoute de la musique ensemble, on fait des expériences que l’on partage ensemble. Cela dépend de qui est dans la salle et qui se trouve sur le siège à coté de vous. L’énergie négative qui émane d’un individu peut avoir une influence sur les autres, et l’inverse. L’interaction entre les musiciens sur la scène et le public ne peut pas non plus être enregistrée. La musique doit rester tout simplement humaine. Boire du vin chez soi tout seul ou alors dans une cave ou un restaurant entouré de gens, ce n’est pas du tout la même chose !
Je vous remercie beaucoup pour cette interview !
Interview mit Marc Schaefer, dem Komponisten des Darius
Herr Schaefer von wem stammt die Idee zu Darius, der musikalischen Geschichte für einen Erzähler und Orchester?
Die Idee hatte ich, das ist schon lange her. Es ist eine Geschichte über die Macht der Elemente, die es in vielen Kulturkreisen gibt und keinen bestimmten Autor hat. 1994 habe ich kleine Skizzen geschrieben und diese auch aufgenommen. Mir kam diesbezüglich auch ein Buch in die Hände, bei der eine Maus gegen die Sonne antritt, aber ich habe nie einen Autor ausfindig machen können. Ich arbeitete mit Emmanuel Hirsch zusammen, der ja die Reime machte , und gab ihm zuerst die kleinen Skizzen mit der Musik. Dann schrieb er den Text, dann machte ich mehr Musik und so ging das wechselseitig hin und her. 1998 war das Stück fertig und jetzt, 12 Jahre später wurde es uraufgeführt. Man muss im Leben einfach Geduld haben!
Wie kamen Sie zum Komponieren?
Ich wurde einmal von einer Bekannten gebeten, für den Szenenwechsel bei einem Marionettentheater eine Musik zu schreiben. Stücke, die nur 10 bis 15 Sekunden lang waren, aber sie meinte, das wäre dadurch viel kurzweiliger und die Arbeit hat gefallen. Ich schreibe nicht wie in der Boulez-Klasse, bin nicht in der Szene verankert, sondern arbeite für mich ganz alleine. Aber ich habe auch schon etwas Kurioses geschrieben, eine Filmmusik für einen Film, der dann nie gedreht wurde. Normalerweise funktioniert es so, dass die Filmmusik gemacht wird, wenn der Film schon fertig ist. Dann muss alles ganz schnell gehen, das Geld für den Film ist auch längst ausgegeben und da steht man unter Zeitdruck. Das wusste ich. Eines Tages kam jemand zu mir, der einen Film über Ettore Bugatti machen wollte, der ja seine Fabrik in Molsheim gegründet hatte. Er war zu seiner Zeit bei uns hier schon eine Legende. Mir gefiel die Idee und ich dachte, ich arbeite schon ein wenig im Voraus, damit ich dann nicht so unter Druck komme. Dann hatte ich zwar die Musik fertig, der Film kam aber nie zustande! So habe ich eine Filmmusik ohne Film gemacht, ich glaube, das ist auch einzigartig, vor allem, weil diese Musik dann mehrfach aufgeführt wurde, in Nizza, in Angers, in Mulhouse und in Straßburg.
Haben Sie Komposition studiert?
Nein, leider nicht! Das hätte ich gerne, aber dazu kam es nicht. Ich hatte in Metz Violinunterricht und meine Lehrerin wollte mich unbedingt nach Paris bringen. Ich hätte sehr gern Komposition studiert und auch Saxofon, um zu wissen, was für Bläser wichtig ist, damit ich diese Erfahrung später einmal beim Komponieren auch einbringen könnte. Als das Semester begann, schrieb ich mich in die Kompositionsklasse ein – und hatte dort eine einzige Stunde! Wir waren ungefähr 20 junge Leute und der Professor verlange von uns einen dreistimmigen Kanon auf 4 Takten aufzubauen und dazu gab er uns eine halbe Stunde Zeit. Dann ging er reihum, nahm uns die Zettel ab, blätterte mit geübtem Auge durch und zog 5 heraus, die er Wert fand, vorzuspielen. Darunter war auch meiner. Dann aber gab es einen Riesenkrach mit meiner Lehrerin. Sie meinte, ich würde mich verzetteln und könne nicht gleichzeitig Saxofon und Komponieren studieren und noch die Geige spielen. Und da ich von ihr in gewisser Weise abhängig war, ich spielte damals in Metz aushilfsweise im Orchester, war 16 Jahre alt und unterstützte mit dem Geld schon tatkräftig meine Familie, habe ich nicht studiert und weiter für Geld im Orchester ausgeholfen. Natürlich hatte ich an der Musikschule, so wie alle Musiklehre, aber Komponieren musste ich mir selbst beibringen. Meine weit über 80 Jahre alte Mutter hat übrigens heute noch in ihrem Portemonnaie die Kreditbewilligung der Bank für ein Saxofon für mich – das dann auch nie gekauft wurde. Zu Komponieren habe ich dann erst mit 40 Jahren begonnen.
Haben Sie bei der Komposition für Darius auch an bestimmte Kollegen im OPS gedacht?
Nein überhaupt nicht, es hat keinen Zusammenhang mit dem Orchester gegeben. Ich wusste ja beim Komponieren nicht, dass das OPS dieses Stück einmal spielen würde.
Was war es für ein Gefühl, das Stück dann das erste Mal vom Orchester gespielt zu hören?
Zum einen ist es nicht leicht, überhaupt gespielt zu werden. Und wenn es dann soweit ist, dann hat man natürlich ein wenig Angst. Angst, dass das Stück vielleicht zu leicht sein könnte. Aber ich bin sehr glücklich, die Leute, die Musikerinnen und Musiker waren alle sehr begeistert. Natürlich gibt es von dem einen oder andern Kritik, aber ich weiß, wie ich damit umgehen kann. Und ich habe auch noch kleine Korrekturen gemacht. So habe ich bemerkt, dass ein bestimmter Ton beim Auftritt der Sonne zu schwach war, den musste ich dann durch eine andere Lösung ersetzen.
Sie kommen aus dem Orchester und dirigieren es selbst, haben Sie das schon öfter gemacht?
Ja, ich glaube mittlerweilen schon über 20 Mal. Ich bin eingesprungen, schon in letzter Sekunde und ich habe mit dem OPS auch viel auswärts dirigiert, in den kleinen Dörfern im Elsass. Ich hatte kein Problem mit meinem eigenen Orchester, denn was beim Dirigieren zählt, ist nur die Kompetenz. Wenn Sie so wollen, bin ich der „heimliche“ Dirigent des OPS. Es begann damit, dass es vor langer Zeit einmal große Schwierigkeiten bei den Proben mit einem Dirigenten gab. Die Konzertmeisterin war schon nach ganz kurzer Zeit sehr aufgebracht und teilte dem Vorstand mit, dass eine Aufführung nicht zustande kommen könnte und man einen Ersatz suchen müsste. Da meinte einer der Kollegen, fragt doch den Schaefer! Da wurde ich in die Direktion gerufen und gefragt, ob ich mir zutrauen würde, die Aufführung in 48 Stunden zu dirigieren – und ich sagte zu. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass ich sehr aufgeregt war und tatsächlich bis zu Aufführung nichts anderes gemacht habe als nur die Partitur zu studieren, aber es hat gut funktioniert.
Das Orchester hat großes Mitspracherecht bei den Dirigenten?
Es gibt bei uns eine Tradition. Wenn wir mit einem neuen Dirigenten zusammenarbeiten, dann stimmt das Orchester darüber ab und das Ergebnis geht in die Direktion weiter. Es kann nicht sein, dass wir mit einem schlechten Dirigenten arbeiten. Ein Dirigent kann bei der Arbeit bluffen, das Publikum merkt das nicht. Aber die Musiker können das nicht. Die Musiker, die im OPS spielen, sind alle durch ein strenges Auswahlverfahren gegangen. Das bedeutet, auf eine offene Stelle melden sich 30, 40 Leute und nur einer oder eine davon bleibt übrig. Alle anderen werden dabei aber hinausgedrängt. Schon alleine deswegen können wir es nicht dulden, dass wir unter einem schlechten Dirigenten arbeiten. Zum Glück aber wird unsere Meinung wahrgenommen.
Sie haben auch öfter die Silvesterkonzerte des OPS dirigiert?
Ja, nicht nur dirigiert, sondern ich habe auch das Programm ausgesucht bzw. teilweise auch die Arrangements gemacht. 1992 habe ich das erste Mal unter Guschlbauer das Programm vorgeschlagen, Lehar und Operette stand auf dem Programm und im Jahr darauf habe ich dann das erste Silvesterkonzert dirigiert. Ich gestaltete und leitete dann unter anderen ein Programm zum Thema Deauville in den 30er Jahren, ein anderes, rein amerikanische Programm hieß „Central Park“ und 2007 widmeten wir den Abend Zarah Leander, anlässlich ihres 100. Geburtstages. Es war ein sehr außergewöhnliches Konzert mit der schwedischen Sängerin Karin Pagmar. Ihre Stimme ist unglaublich, nach den ersten Sekunden konnte ich die Spannung aus dem Publikum spüren, aber es war ein großer Erfolg. Einige Konzerte später kam ein alter Mann zu mir und bedankte sich und sagte: „Wissen Sie, es war unglaublich, die Musik meiner Kindheit wieder zu hören!“ Das hat mich sehr berührt. Es ist seltsam, denn diese Musik bei uns aufzuführen, war so etwas, wie ein heißes Eisen anzugreifen, aber ich glaube, das hat damit zu tun, dass Zarah Leander Populärmusik machte. Wenn wir das Capriccio von Richard Strauß hingegen spielen, kommen keine Bedenken, obwohl die Oper 1942 in München uraufgeführt wurde und die Rolle von Richard Strauß, während der NS Zeit, als sehr umstritten gilt.
Sie stehen aber auch als fixer Dirigent einem anderen Orchester vor.
Ja, ich bin Leiter des Orchesters der Elekrizitätswerke von Straßburg, dem Orchestre d´harmonie de l´électricité de Strasbourg. Dieses Blasmusikorchester ist, soweit ich weiß, das einzige noch bestehende Werkorchester in ganz Frankreich. Früher hatten ja alle großen Unternehmungen eigene Orchester, aber diese Tradition gibt es nicht mehr. Es gibt noch ein Orchester, dass die U-Bahn in Paris betreibt und einen Chor von Air-France, aber das ist alles. Unser Orchester hat 80 Personen und ist zum Glück sehr lebendig. Unser letztes großes Konzert gaben wir a im großen Salle Erasme, der über 2000 Zuschauer fasst und wir mussten 400 Personen absagen, weil wir für sie keinen Platz mehr haben. Im Juni sind wir in Karlsruhe und Ende Juni werden wir dann auch eine Platte aufnehmen. Wenn ich Zeit habe, dann schreibe und arrangiere ich für das Orchester auch. Die Programme werden gemeinsam in einem Komitee beschlossen. Das Konzert am 24. April hatte den Titel „Ameriques“ – also Amerika und wir spielten viele bekannte, amerikanische Stücke. Da aber keines von ihnen für Blasmusik geschrieben ist, musste ich alle umarrangieren, das war unglaublich viel Arbeit!
Ich habe gesehen, dass Sie den Taktstock in der linken Hand halten. Ist das für die Musiker ungewöhnlich?
Nein, ich glaube nicht, sie kennen das von mir so und es hat bis auf einmal noch nie jemand etwas gesagt. Ich trat mit dem Orchester einmal in einer Stadt auf, in der wir ein paar Jahr später wieder spielten. Da kam ein Mann zu mir und sagte: „Mir ist beim ersten Mal schon etwas eigenartig vorgekommen aber ich wusste nicht was, aber heute habe ich es entdeckt: Sie halten den Taktstock ja links!“ Das war aber das einzige Mal. Eigentlich bin ich ja Linkshänder, aber zu meiner Zeit in der Schule, mussten wir noch alle rechts schreiben. Kurioserweise habe ich eine schöne Schrift entwickelt. Meine beiden Söhne sind auch Linkshänder, und obwohl heute in der Schule auch links geschrieben werden darf, ist die Schrift meines älteren Sohnes nicht wirklich schön!
Sie werden bald in Pension gehen!
Ja, wenn alles gut geht, in 3 ½ Jahren. Dann kann ich das machen, was mir Spaß macht, komponieren und malen.
Sie malen auch?
Ja, sehr gerne, aber fast ausschließlich mit dem Messer! Ich liebe es, die Farbe ganz pastos aufzutragen und dann mit dem Messer zu verteilen. Auf diese Art und Weise mache ich hauptsächlich Landschaften. Als ich noch studierte, fuhr ich wöchentlich 2, 3 mal mit dem Zug. Eines Tages hatte ein Freund einen Zeichenblock bei sich und ich sagte, er solle mir zeigen, was er gemacht hatte. Es war eine Landschaft und ich nahm einen Bleistift und setzte mit einigen wenigen Strichen die Schatten auf die Zeichnung. Das gefiel mir unglaublich gut, und als ich nach Hause kam, war es klar, dass ich mir Farben besorgen musste. Zuerst waren es Aquarellfarben, aber schon bald wechselte ich auf Ölfarben. Und wie damals, male ich auch heute noch Landschaften. Ich hasse die Stadt – in der Stadt fühle ich mich als Geisel. An jeder Ecke bekommt man ein Strafmandat und für alles muss man sofort bezahlen – das ist nichts für mich. Ich bin überhaupt nicht menschenscheu und liebe das Publikum, aber die Freiheit geht mir über alles.
Ich wünsche Ihnen viel Glück und viel Zeit fürs Komponieren und danke Ihnen für das Gespräch!
Interview mit dem Dirigenten Martin Fischer-Dieskau
Der Dirigent Martin Fischer-Dieskau (c) OPS
Herr Fischer-Dieskau, Sie sind sehr kurzfristig nach Straßburg gekommen, da Sie für Darell Ang eingesprungen sind, der aufgrund der Aschewolke über Europa nicht anreisen konnte. Sie dirigieren hier an drei Abenden hintereinander das OPS, das Orchestre philharmonique Strasbourg, mit Konzerten von Haydn, Mozart und Schubert.
Ja, das stimmt, das war eine sehr überstürzte Anreise. Ich bekam den Anruf am Montagmorgen und eineinhalb Stunden später saß ich schon mit den Partituren im Auto. Zum Glück hatte ich sie zuhause und kannte sie natürlich auch. Aber dennoch war es anstrengend. Schon während meiner Anreise hatte ich immer während des Fahrens ein Auge nebenbei in der Partitur! Sind Sie schon öfter so knapp eingesprungen?
Ja, es kommt ja immer wieder vor. Das erste Mal erinnere ich mich, musste ich eine Oper in Neapel dirigieren. Damals war ich noch sehr jung und sehr aufgeregt. Heute ist das ja etwas anders und eigentlich sollte man so kurzfristige Engagements nicht machen, aber hier war es ja eine absolute Ausnahmesituation. Das Orchester konnte ja nicht alleine spielen!
Welchen Eindruck haben Sie vom OPS?
Ich habe festgestellt, dass das Orchester sehr, sehr gute Solisten hat. Der Hornist – übrigens ein Engländer – (Anm: Kévin Cleary) ist unglaublich gut, sehr präzise und gibt alles, was er hat. Auch der Oboist (Sébastien Giot) ist unglaublich, nicht zu vergessen der Cellist (Olivier Roth). Und dass der Solist des Mozartkonzertes Vladlen Chernomor noch gar nicht lange beim Orchester ist, wusste ich gar nicht. Es ist ja sehr mutig, vor dem eigenen Orchester als Solist aufzutreten. Die Kolleginnen und Kollegen sind ja mitunter auch die schärfsten Kritiker. Aber Chernomor hatte in den Proben bis zur Premiere dieses dreitägigen Zyklus eine ständige Weiterentwicklung.
Wie kamen Sie eigentlich dazu Dirigent zu werden, was war Ihre Motivation?
Ich dirigierte, noch zur Zeit meines Abiturs, eine Opernaufführung in der Charlottenburg in Berlin. Ein alter, jüdischer Kapellmeister, der emigrieren musste und wieder zurückkam, wie so viele seiner Generation, sah mich und sagte zu mir: „Junge, du musst das unbedingt zu Deinem Beruf machen!“
Wie sehen Sie die Rolle des Dirigenten?
Ein Dirigent ist dann gut, wenn die Musiker das Gefühl haben, dass sie ungestört spielen können. Natürlich muss ich die Grundparameter vorgeben und richtig atmen, muss den richtigen Grundpuls vorgeben. Aber der Fokus in einem Konzert darf nicht auf den Dirigenten gerichtet sein. Der Dirigent sollte einerseits nicht stören, andererseits aber alles bestimmen. Das Bild des Komponisten, das seiner Musik, sollte über dem Dirigenten und über dem Orchester emporsteigen. Dirigieren ist heute aber auch ein Feld für viele Scharlatane geworden. Es gibt heute sehr viele Musiker, Solisten ohne fachliche Ausbildung, die dirigieren. Orchester haben oftmals keinen Qualitätsmaßstab mehr, was ein guter Dirigent ist und was nicht. Eine enorme Anzahl an jungen Menschen studiert auch das Fach und drängt in den Beruf, aber wir alle wissen, ein guter Dirigent kann nicht jung sein. Das geht einfach nicht. Es fehlt die Erfahrung, mit der einfach die Qualität des Dirigierens zunimmt. Das Studium des Dirigierens beinhaltet ja eine ganze Reihe von Fächern, die alle wichtig sind – ob es das Partiturspiel oder die Schlagtechnik oder noch vieles andere ist. Das kann man nicht einfach ohne Ausbildung in gleicher Qualität abliefern. Ich zum Beispiel dirigiere so gut ich immer kann, auswendig. Denn, wie Celibidache einmal sagte: Man muss das Ende schon im Anfang spüren, um richtig dorthin zu navigieren. Obwohl Celibidache in gewisser Weise auch ein Scharlatan war – aber ein sehr liebenswerter! Leider ist die Zeit heute oft zu kurz. Vieles muss man sich daher schon im Vorhinein erarbeiten, um auswendig dirigieren zu können. Maazel oder Ozawa, unter denen ich ja gearbeitet habe, dirigieren ebenfalls auswendig. Die Welt des Dirigenten ist total getrennt von dem des Orchesters. Der Dirigent und das Orchester sprechen keine gemeinsame Sprache. Ein guter Orchestermusiker hat ganz andere Qualitäten als ein guter Dirigent. Ich für meinen Teil könnte zum Beispiel nicht in einem Orchester spielen. Ein Dirigent hat eine große Verantwortung. Er spielt auf einer Klaviatur, wobei der Ausdruck Klaviatur viel zu mechanisch ist, die aus lebenden Menschen und seelischen Pflänzchen besteht. Ich spüre immer wieder, wie groß meine Macht aber zugleich auch meine Verantwortung ist, denn alles was ich falsch mache, das hört man natürlich auch sofort.
Viele glauben, Dirigent sein bedeutet gleichzeitig auch Karriere machen. Das ist aber der falsche Zugang. Es gibt nur wenige, die zum Dirigieren tatsächlich einen musikalischen Zugang haben. Dieses absolute Streben nach Karriere ist nicht gut. Lange Karrieren, wie sie früher üblich waren, gibt es heute gar nicht mehr. Heute sind Verpflichtungen die über zwei, drei Jahre gehen normal. Nach drei Jahren erfolgt meistens ein Wechsel, oft auch erzwungen. Als Dirigent braucht man einen Machiavelli´schen Instinkt, um überleben zu können. Man muss Allianzen schließen können, manches Mal mit dem Intendanten kämpfen. Alles Dinge, die schwierig sind, aber auch dazugehören. Das Musikalische tritt hier ganz in den Hintergrund. Einer der großen Ausnahmen ist Nikolaus Harnoncourt. Er hat es geschafft, hier ganz abseits zu stehen und einfach seine Musik zu machen, so wie er es möchte. Das ist sehr zu bewundern. An ihm zeigt sich, dass Qualität doch auch noch siegen kann. Ich glaube fest daran, dass es letztendlich die Qualität ist, die einem Dirigenten zu Erfolg verhelfen kann, auch wenn es vielleicht länger dauert. Sehen Sie sich einmal die Karriere eines anderen großen Dirigenten, Georges Prêtre, an. Er ist heute im hohen Alter nach wie vor einer der wichtigsten und besten seines Faches. Das stimmt mich sehr zuversichtlich. Auf der anderen Seite ist es zu beobachten, dass der Trend immer mehr dazu geht, schlanke, sportliche Dirigenten zu verpflichten, dass das Aussehen immer wichtiger wird. Das ist eine falsche Entwicklung. Mir macht es zum Beispiel große Freude, mein Können zu erproben und ich bin der Meinung, der Erfolg sollte sich aufgrund des Könnens einstellen.
Sind Sie in einer speziellen Musikrichtung beheimatet?
Nein, überhaupt nicht. Ich spiele und höre vieles gerne. Das, was gerade angesetzt ist, finde ich immer toll. Man kann ja auch nicht zwischen Homer und Goethe aussuchen, entweder das eine oder das andere. Man braucht ja beides. Von meinem Elternhaus her war ich natürlich stark in der deutschen Romantik verwurzelt, habe mich viel mit Mozart auseinandergesetzt und der ital. Oper. (Anm: Martin Fischer-Dieskau ist der Sohn des Baritons Dietrich Fischer- Dieskau, der in diesem Jahr seinen 85. Geburtstag feiert) Aber ich habe keine Präferenzen. Was ich jedoch bedauere ist, dass es in den Konzerten immer weniger Mut zu progressiveren Programmen mit eher zeitgenössischer Musik gibt oder auch von Komponisten, die weniger bekannt sind. Die Programme sind ganz traditionalistisch geworden. In Taiwan konnte ich beobachten, dass die Komponisten, die in Europa studierten nach Hause kamen und Kompositionen verfassten, die ganz europäische Wurzeln hatten. Die Stücke wurden einfach mit einem taiwanesischen Instrument ergänzt, und das war dann die zeitgenössische Aufarbeitung. Antal Dorati, der berühmte Dirigent, komponierte auch. Meine Tochter, die gerade 20 geworden ist, spielte sein Klavierkonzert in Israel und in der Türkei. Ich denke, dass sie sehr begabt ist, was ihr auch ihr eigener Großvater bescheinigte. Am Sonntag (Anm: 25.4.10) wird sie ein Chopinkonzert in Hamburg spielen unter einem jungen Dirigenten, der einer meiner Schüler war. Ich werde dabei sein und bin schon sehr gespannt.
Gibt es etwas, das Sie sich persönlich für die Zukunft wünschen?
Ja, es wäre schön, einem eigenen Orchester vorzustehen und zwar für längere Zeit. Ein Orchester, mit dem man etwas aufbauen kann, ein Programm, das nicht nur über eine Saison, sondern über mehrere geht, mit einem roten Faden, der sich durchziehen kann. Ich bin noch immer auf der Suche nach dem „goldenen Weg“, der sich durch Offenheit auszeichnet und nicht durch politisches Kalkül. Ich wünsche mir, dass ich nicht wegzudenken bin, mich aber auch ständig weiter entwickeln kann. Es gibt so vieles, was ich noch machen möchte. Ich habe ja erst vor Kurzem mein musikwissenschaftliches Studium abgeschlossen. Ein Studium auch noch spät zu beginnen würde ich allen Musikern, vor allem Orchestermusikern, ans Herz legen. Und ich würde mir wünschen, dass sich die Musiker und die Dirigenten nicht allzu wichtig nehmen!
Herzlichen Dank für das Interview!
Das Interview führte Dr. Michaela Preiner am 23.4.2010 in Straßburg
Bernard Fleury an seinem Arbeitsplatz im Le-Maillon, Straßburg (c) Le-Maillon
Bernard Fleury ist Direktor des Straßburger Theaters Le-Maillon. Eine Kurzbiografie finden Sie im Anschluss an das Interview.
Herr Fleury, können Sie etwas über die Geschichte des Le-Maillon erzählen?
Klar, gern. Sie ist lang und kurz zugleich. Das Kulturzentrum Le-Maillon wurde 1978 im damals neuen Straßburger Viertel Hautepierre gegründet. Bernard Jenny war der erste Direktor, der durch seinen Bezug zum Theater aus dem Maillon ein « kulturelles Kettenglied » machen wollte, das auf die gesamte Stadt ausstrahlen sollte.Die darauffolgenden Direktionen unter Claudine Gironès und Nadia Derrar verpassten dem Maillon nationales und internationales Ansehen und zwar aufgrund seines künstlerischen Engagements aber auch aufgrund der offenen Beziehungen zwischen dem Publikum und den Künstlern. Seit 2002 bin ich Direktor im Le-Maillon.
Heute ist das Le-Maillon auf interdisziplinäres Theater, das sich auch international orientiert, ausgerichtet. Die Beziehungen vom Le-Maillon reichen in den Osten und nach Deutschland. Das Le-Maillon zeigt, im Gegensatz zum französischen Theater der Literatur, das sich von Molière ableitet, ein „Theater der Form“. Es ist eine Versuchsbühne und bietet auch eine Ergänzung zu den Produktionen an, die am TNS – dem Théâtre National Strasbourg – gespielt werden. Das Le-Maillon kooperiert eng mit Pôle-Sud und dem TNS in Straßburg. Mit Letzterem haben wir vor 6 Jahren das Festival „Premieres“ gestartet, das seither ein Fixpunkt zu Saisonende ist. Dieses Festival präsentiert neue Regisseure aus ganz Europa mit ihren ersten Arbeiten, oft Abschlussarbeiten, die sie an den Hochschulen am Ende ihres Studiums abliefern. In Frankreich wird ja, im Gegensatz zu Deutschland, Regie nicht an den Hochschulen unterrichtet. Das Programm dieses Festivals steht erst im Mai fest. Die Zeit bis dorthin ist recht turbulent.
Wie kann man sich die Suche nach geeigneten Stücken vorstellen?
Wir reisen natürlich viel, schauen uns viel an und wir arbeiten auch intensiv mit Barbara Engelhardt zusammen, die ja für die Zeitschrift „Theater der Zeit“ gearbeitet hat. Ca. 70% der Vorschläge für das Festival „Premieres“ kommen von ihr. Sie kennt alle Schulen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Ungarn bestens. Das TNS selbst hat gute Kontakte nach Paris, Griechenland und Spanien und kann ebenfalls auf ein großes Netzwerk zurückgreifen. Im Le-Maillon haben wir gute Beziehungen nach Belgien, Deutschland, Italien, Polen und sogar nach Russland. So setzen wir unsere Netzwerke zusammen, um das Program des Festivals gemeinsam vorzubereiten. Wir sehen uns auch DVDs an und stecken ca. 1 Jahr in die Vorbereitung. Das Festival soll einen Blick auf die europäischen Bühnen und deren Vielfalt bieten. Es soll zeigen, womit sich die jungen Leute auseinandersetzen, es soll zeigen, was das Leben in der EU ausmacht, was die Jungen tatsächlich beschäftigt. Die Kunst, das Theater hat einen Stamm und viele, viele Äste – das können wir dabei zeigen, obwohl das Festival selbst ein Marathon ist.
Wie gestaltet sich darüber hinaus die Zusammenarbeit mit den anderen Bühnen in Straßburg wie jenen des TNS oder auch Pôle-Sud?
Wir haben, schon seit Längerem mit der „carte culture“ ein Instrument, das in allen Häusern den jungen Leuten einen einheitlichen Tarif anbietet. Wir hoffen sehr, dass diese Einrichtung bestehen bleibt. Sie bietet einen leichteren Zugang zu den Theatern und verbindet diese gleichzeitig mit der Universität. Wir offerieren gerade jungem Publikum unser breites Angebot in verschiedenen Projekten. Die Bühnen kooperieren aber auch mit der Technik untereinander, sie sind jedoch in keiner Weise uniform. Als nächster Schritt sollten auch die Theater im Großraum Straßburg, wie z.B. Schiltigheim, eingebunden werden. Es gibt aber auch Regisseure, wie zum Beispiel Jean-Yves Ruf, der am TNS studiert hat und sowohl im Le-Maillon als auch im TNS ein gemeinsames Projekt für die nächste Saison erarbeitet.
Wenn Stücke für das Saisonprogramm ausgesucht werden, was steht dabei im Vordergrund, die Verfügbarkeit, oder das Programmm in dem sie eingebunden sein sollen? Gibt es auch Gruppen, mit denen Sie immer wieder zusammenarbeiten?
Vor allem wollen wir Stücke zeigen, die interessant sind. Wir möchten unserem Publikum eine Begegnung mit zeitgenössischer Kunst ermöglichen, die zum Besten gehört, was es derzeit gibt. Im Le-Maillon arbeiten wir mit einer theatralischen Form, die auch sehr viel Poesie beinhaltet, deswegen zeigen wir auch immer wieder Zirkusinszenierungen. Technik und Poesie verbinden sich in dieser Gattung. Der Körper der Artisten ist gleichzeitig ihr Stoff, der verschmilzt mit der Technik und bildet eine ganz eigene Art von Poesie. Der Zirkus ist auch ein schönes Beispiel für die Interdisziplinarität, über die wir vorher schon gesprochen haben. Theater, Tanz und Musik finden hier zueinander.
Und es gibt natürlich feste Bindungen über viele Jahre hinweg, wie zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Romeo Castelucci, aber auch zu Belgien haben wir enge Verbindungen, die schon über Jahre halten. Über die angebotenen Stücke hinaus arbeiten wir aber auch selbst an Projekten, wie zum Beispiel jenem unter dem Titel „Rosa, die Rote“. Mit der Volksbühne Berlin verbindet uns auch eine langjährige Freundschaft – „Ein Chor irrt sich gewaltig“ – diese Inszenierung kommt von dort zu uns nach Straßburg und auch Ivan Stanevs „Mord im Burgtheater“, den wir in dieser Saison hier zeigten, wurde vorher in Berlin aufgeführt. Wilfried Schulz vom Staatsschauspiel Dresden hat zum Beispiel zwei junge Regisseure engagiert, die er beim Festival „Premieres“ gesehen hat. Wir sind aber auch sehr stolz, dass Harriet Maria und Peter Meining aus Deutschland bei uns im Le-Maillon das erste Mal in Frankreich aufgetreten sind. Jetzt bekommen sie mit ihren norton.commander.productions am 31. Mai den George-Tabori-Preis verliehen, was uns natürlich enorm freut und auch stolz macht! Das bedeutet, dass wir sowohl mit unserem Saisonprogramm als auch dem Festival Premières in der Aktualität der deutschen als auch der französichen Bühnen gut behaupten.
Was bedeutet zeitgenössisches Theater, welche Rolle hat es in unserer Gesellschaft, nach Ihrer Meinung?
Theater behandelt immer die Grundfragen des Menschseins und bietet Kommunikation im Sinne der altgriechischen Polis. Theater hat auf alle Fälle eine politische Dimension. Die Demokratie ist sehr kompliziert, deswegen aber zugleich auch sehr interessant. Wir werden uns in der nächsten Saison intensiv in unserem Programm mit Grundfragen der Demokratie auseinandersetzen. Demokratie hat internationale Dimensionen und die Fragen über die Demokratie stellen sich ebenfalls international. Man kann von der Demokratie aber nicht alles erwarten. Sie verteidigt uns nicht vor dem Tod – wir sterben ja trotzdem. Das Theater ist aber eine sehr demokratische Kunstform, denn es geht um die Gemeinde, um das Verstehen, es geht um Gefühle – und im Theater geschieht eine Erziehung der Gefühle. Wir arbeiten schon lange mit einem Designbüro zusammen, das unser jeweiliges Programm visuell umsetzt – in gedruckter Form, aber auch im Internet. Auch das ist eine Kunstform, die in Zusammenhang mit unserem Theater steht und ich bin der Meinung, dass auch Kommunikation Kunst braucht, zeitgenössische Kunst.
Habens Sie im Laufe der Jahre Veränderungen festgestellt, was das Publikum in Straßburg betrifft? Die Zahl der Abonnenten des Maillon ist ja seit acht Jahren ständig gestiegen und in dieser Zeit ist eine Zunahme von 192% zu verzeichnen. Die Zuschauerzahlen insgesamt stiegen von 23.000 auf 33.000, das ist ja beachtlich !
Oh ja, auf alle Fälle. Wir haben ein sehr treues Publikum, das wir langsam aufgebaut haben. Heute haben wir fast alle unsere Vorstellungen voll. Das Publikum hat sich mit uns mit entwickelt und das nicht zuletzt aufgrund unserer Kommunikation, die ich soeben beschrieben habe. Bei uns in Straßburg ist es anders als in der Großstadt Paris oder in anderen Großstädten, beispielsweise. Wir haben das Glück, das wir unser Publikum sozusagen „persönlich“ kennen. Wir sind „frei“ von einem großen Bild, das sich ein Land mit seinen Hauptstadttheatern gerne gibt und können daher viel experimentierfreudiger arbeiten. Die Interdisziplinarität, der zeitgenössische Schwerpunkt sowie das Engagement für junge Künstler ist bei uns besonders stark ausgeprägt. Ganz im Gegensatz zur Anonymität des Großstadtpublikums haben wir eine echte Beziehung zu unserem Publikum aufgebaut. Der Saal, in dem wir meistens spielen, bietet 600 Menschen Platz. Das ist eine sehr gute Größe. Viel mehr ist für die Veranstaltungen, die wir zeigen, nicht wirklich verträglich, maximal 700 bis 750 Sitzplätze, aber nicht mehr. Es ist prognostiziert, dass wir in 5 Jahren unseren Thetatersaal erneuert haben werden. Wir sind ja zurzeit auf dem alten Messegelände, das wir mit dem Publikum sehr schätzen, das aber sehr unpraktisch für das Theater selbst ist. In der neuen Planung ist ein größerer Bühnenraum vorgesehen. Was wir auch brauchen würden, ist eine kleinere bis mittelgroße Bühne, die wir für Kammerspiele einsetzen könnten. Es wäre schön, wenn wir die Räume auch teilen könnten, dann hätten wir auch die Möglichkeit, Uraufführungen in Straßburg zu machen, was jetzt nicht geht, weil es einfach technisch zu teuer ist.
Welche Zukunftsprojekte hat das Le-Maillon?
Wir arbeiten an mehreren Projekten, zum einen daran, diesseits und jenseites des Rheins verstärkt zusammenzuarbeiten. Das Le-Maillon und das TNS werden sich viel stärker als bisher mit Freiburg sowie Mulhouse und Basel vernetzen. Im Moment ist es ja so, dass diesseits und jenseits des Rheins zwei parallele Autobahnen existieren, die in Basel enden! Aber auch mit Dresden soll der Austausch noch intensiviert werden, speziell mit dem Kulturzentrum Hellerau. Nicht nur mit Dresden, sondern auch mit Barcelona und Hamburg wird ein verstärkter Austausch stattfinden. Das Interessante daran ist ja auch, dass alle Städte, inklusive unserer, keine Hauptstädte sind, in denen, wie bereits beschrieben, ja andere Programmzwänge herrschen. Durch den Ausbau von Netzwerken sollen natürlich auch Mittel vernünftig eingesetzt werden. Das Theater ist ja ein Handwerk, und wie man so schön sagt, spart das Handwerk wenig!
Was würden Sie Ihrem Publikum gerne direkt sagen?
Man soll zum einen Teil seine Neugier behalten, aber mit dem anderen Teil in vollen Zügen genießen!
Herzlichen Dank für das Interview!
Das Interview mit Bernard Fleury führte Michaela Preiner am 31.3.2010 im Le-Maillon in Straßburg
Kurzbiografie:
Bernard Fleruy diplomierte am Institut für politische Studien in Paris (1971) und arbeitete danach drei Jahre als Führungskraft in der Industrie bevor er sich 1976 im Kunstbereich zu engagieren begann. (Tanzkompagnie Félix Blaska, CCI-Centre Georges Pompidou) Nachdem er die Scène Nationale de Poitiers (1978-1990) gegründet und geleitet hatte, stellte er diese Erfahrungen dem „Office National de Diffusion Artistique“ zur Verfügung, dessen Generalsekretär er zwischen 1990-1996 war. Danach war er für die internationalen Beziehungen sowie als Direktor des Institut Français in Leipzig (1996-1998) zuständig. Diese zweifache Aufgabe, sowohl national als auch international befähigte ihn dazu aktiv als Direktorstellvertreter der Entwicklung des CDN von Nancy-Lorraine mitzuwirken, insbesondere bei der Entwicklung des Festivals „Passages“, das sich dem Theatergeschehen von Osteuropa widmet. Er übernahm schließlich die Direktion des Theaters Le-Maillon, einem Theater der Stadt Straßburg, um dort das Projekt der „Scène Européenne“ zu erarbeiten. Da Bernard Fleury fließend Deutsch und Englisch spricht, war er darüber hinaus für die internationalen Netzwerke IETM und THEOREM verantwortlich, die sich dem kulturellen Austausch in Europa verschrieben haben.
Vivica Genaux (c) Christian Steiner licensed to Virgin Classics
Herzlichen Dank Frau Genaux, dass Sie mir die Möglichkeit geben, dieses Interview am Telefon zu machen. Normalerweise ist mir ein persönliches Gespräch lieber, aber Sie werden ja nur ganz kurz in Straßburg sein und da hätten wir ja keine Zeit dafür!
Ja leider, ich bin jetzt die ganze Woche unterwegs und habe in Straßburg nicht einmal Zeit, mir diese schöne Stadt anzusehen! Aber ich danke Ihnen, dass wir das Gespräch auf diese Weise führen können.
Es gibt einiges von Ihnen im Internet zu lesen, auch einige Interviews.
Ja, das stimmt – aber ich hab nur ein Leben um Interviews zu geben!
Und eines davon mit mir – das ist schön! Ich möchte gerne für das Publikum hier in Straßburg aber auch jenseits des Rheins – also für das deutsche Publikum einige Frage stellen, die nicht so leicht nachzulesen sind – zumindest bis jetzt. Ihre Eltern sind keine Musiker, wie kamen Sie eigentlich zur Musik?
Das stimmt, mein Vater war Biochemiker, er arbeitete an der Universität, aber er war Klassikliebhaber. Er hatte eine große Plattensammlung, und wenn er zuhause saß, und die Arbeiten der Studenten korrigierte oder etwas schrieb, dann hörte er Mozart, Haydn, Beethoven, Mahler, Brahms all die Großen der Musik – die klassischen Symphonien – und ich hörte natürlich mit. Wenn ich abends in meinem Bett lag und die Augen schloss, dann sah ich Bilder und konnte mir Geschichten zu dieser Musik vorstellen. Das fand ich wunderbar. Das war so, bis ich 13 war. Dieses Jahr war für mich ganz besonders – denn in diesem Jahr hatten wir eine japanische Studentin zu Gast. Und die brachte einen Rekorder mit Kassetten mit, den sie mir borgte. Zu dieser Zeit hatten wir noch keinen Kassettenrekorder bei uns im Haus und ich hörte das erste Mal in meinem Leben ABBA. Meine Eltern hatten zwar eine Sammlung von Platten mit Volksmusik aus der Schweiz, aus Mexiko und Frankreich. Aber es war das erste Mal, dass ich mir selbst ganz unabhängig Musik anhören konnte! Ich liebte ABBA über viele Jahre hinweg. In diesem Jahr stand ich aber auch das erste Mal auf einer Bühne und hab in einem Musical bei einer Schüleraufführung gesungen und da habe ich gemerkt, dass ich Sängerin werden will. Dieses Jahr hatte etwas von einem Moment der absoluten Öffnung für mich – in alle Richtungen.
Sie spielten als Kind ja auch Violine!
Ja, aber wirklich nicht sehr gut. Ich war 7 oder 8, es war ganz komisch. Ich ging in das Schulbüro und dort stand eine Lehrerin. Diese rief: „Hände hoch!“ Und dann schaute sie sich meine Hände kurz an und meinte: „Für Cello und Bratsche zu klein – du spielst Violine!“ Und das war´s auch schon. Eigentlich war es nicht meine eigene Wahl. Eine Freundin von mir war auch Violinistin, aber in ihrer Familie spielten alle ein Instrument. Sie Geige, eine Schwester Bratsche, eine andere Cello und auch das Klavier war in der Familie vertreten. Die hatten quasi ihre eigene Kammermusik und spielten sehr gut. Auf diesem Niveau konnte ich nie spielen. Aber ich bin heute doch sehr froh, dass ich die Grundzüge erlernt habe, denn wenn ich heute Vivaldi singe, dann weiß ich, wie er es gemeint hat. Er spielte ja selbst Geige und komponierte viele Arien nah am Klang der Geige. Auch Fabio Biondi, der Leiter von Europa Galante, mit dem ich viel zusammen arbeite, ist ja Geiger. Bei unserer gemeinsamen Arbeit hilft mir jetzt meine Erfahrung, die ich in meiner Jugend mit diesem Instrument gemacht habe.
Das finde ich sehr interessant, denn wenn man Ihnen gerade im Barockrepertoire zuhört, so hört man stark, dass sie Ihre Stimme wie ein Instrument – sprich – wie eine Geige benutzen. Sie phrasieren und kolorieren so, als würden sie mit einem Bogen arbeiten!
Das ist schön, dass Sie das sagen, das freut mich sehr, das zu hören. Tatsächlich ist es ja so, dass man im Barock versucht hat, die Instrumente wie Stimmen klingen zu lassen und umgekehrt auch die Stimmen wie Instrumente. Dafür muss man sich eine spezielle Technik erarbeiten, aber eine Technik zu haben ist ja die Basis, auf die man aufbauen kann. Ich hörte einmal ein Interview mit Franz Oz von der Muppet-Show. Er sagte, die Technik ist so etwas wie ein Rollstuhl, auf dem man sitzt und herumfährt, während man gleichzeitig Kunst macht. Dieses Bild finde ich sehr schön und beeindruckend und auch richtig.
Mit wem haben Sie eigentlich Ihre unglaubliche technische Fertigkeit erarbeitet? Wer war denn ihr wichtigster Lehrer?
Das war und ist noch immer Claudia Pinza. Wenn ich neues Repertoire erarbeite, dann hilft sie mir noch immer dabei. Obwohl sie eigentlich zu Beginn unserer Arbeit mit Barockmusik nicht stark verbunden war. Durch die Zusammenarbeit mit René Jacobs (Anm: Die Sängerin nahm mit dem Barockspezialisten die CD Farinelli auf) aber begann ich mit ihr intensiv an der Technik für das Barockfach zu arbeiten. Ich hatte diese Techniken bis dahin nicht erlernt und als er sagte: „jetzt sing einmal einen Triller“, tat ich es. „Das war gut“, war seine Antwort, „aber probier es noch einmal, mit einem richtigen Triller!“ Das habe ich dann bei Claudia Pinza für die Plattenaufnahmen erlernt und mit ihr geübt. Sie übte mit mir auch an meiner Stimmtechnik, wie zum Beispiel die ganze Zeit über den Atem zu halten usw.
In der Kunst des Belcanto sind ja viele Verzierungen nicht ausnotiert, das heißt, es bleibt bei Ihnen selbst, die Interpretation zu gestalten. Versuchen Sie, sich sehr an das Original anzulehen, das wir ja aber oft auch gar nicht kennen, oder arbeiten Sie sehr frei?
Das kommt ganz darauf an. Komponisten wie Vivaldi zum Beispiel haben ja für unterschiedliche Sängerinnen und auch Kastraten geschrieben. Und diese wiederum hatten jeweils ihre eigene, ganz persönliche Art zu singen. Es gibt einiges, was in den Instrumentenstimmen notiert ist, aber auch darüber hinaus in einigen Arien – aber wie gesagt – oft für eine ganz bestimmte Stimme. Es kommt aber auch ganz besonders auf die Umstände an, auf die Dirigenten, mit denen man zusammenarbeitet – und die sind sehr, sehr verschieden. Bei Rossini zum Beispiel, also einer anderen, späteren Musik, wissen wir heute, dass die Verzierungen weitaus wilder waren, als sie heute allgemein interpretiert werden und viel mehr Kadenzen gesungen wurden.
Sie haben ja mit vielen Barockspezialisten bisher gearbeitet, Jacobs erwähnten sie bereits, Fabio Biondi auch, aber auch John Nelson oder Nikolaus Harnoncourt. Wie kann man sich eine Zusammenarbeit genauer vorstellen? Sagen die Dirigenten, was sie gerne hätten oder haben Sie eine Idee wie etwas gesungen werden muss?
Das differiert ganz stark. Jeder von ihnen ist anders, hat seine eigenen Spezialitäten, seine eigene Idee und möchte auch etwas anderes von mir. Ich versuche, so gut es geht, mich dem anzupassen und das zu geben, was sie von mir erwarten. Aber es kann auch eine große Herausforderung für mich sein. Denn ich muss mir immer überlegen – mit wem arbeite ich jetzt gerade, was ist sein Zugang zur Musik, worauf legt er besonders Wert? René Jacobs zum Beispiel arbeitet Stunden und Stunden und Stunden an einem Werk und da möchte ich so etwas wie ein Teil seines Gesamtbildes sein. Da ist es für mich das Beste, als Solistin ganz zurückzutreten und nur als Interpretin eines Stückes zu agieren, ganz im Sinne des Dirigenten. In so einem Fall agiere ich auch wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, was ihm geboten wird. Aber die Dirigenten kommen alle aus unterschiedlichen Schulen, aus unterschiedlichen Traditionen und mit unterschiedlichem Notenmaterial. Auf den Punkt gebracht: ihre Arbeit ist so unterschiedlich wie schwarz und weiß.
Das Programm, das sie in Straßburg aufführen, ist ein ganz Neues. Die CD nennt sich Pyrotechnics und vereint Arien von Vivaldi, die Sie mit Fabio Biondi und Europa Galante interpretieren. Sie haben die CD im Dezember erst aufgenommen und es sind Stücke dabei, die das erste Mal gespielt und vorgetragen bzw. aufgenommen wurden. Kannten Sie die Stücke zuvor schon?
Nein, ich kannte kein Einziges. Es standen 14 zur Auswahl und 13 haben wird dann aufgenommen. Die Auswahl lag bei Frédéric Delaméa, dem Vivaldispezialisten, der eine wunderbare Arbeit abgeliefert hat.
Wie lange haben Sie dann daran gearbeitet?
Gemeinsam mit Claudia Pinza arbeitete ich 2 Wochen, 2mal täglich, 5 – 6 Stunden am Tag. Das war ziemlich anstrengend. Und danach hatte ich noch einige Monate, mich selbst darauf vorzubereiten. Ich kann Ihnen eine schöne Geschichte erzählen, die uns bei der Aufnahme selbst passiert ist. Wir haben im Dezember die Aufnahme angesetzt und zwar in Parma, in dem Saal einer historischen Bibliothek. Dort hat Europa Galante auch vorher schon mehrfach gearbeitet. Am ersten Tag unserer Aufnahme aber fiel die Heizung in der Bibliothek aus und es war bitterkalt. Morgens, als ich mich auf den Weg machen wollte, wurde ich benachrichtigt, dass die Aufnahme wahrscheinlich nicht stattfinden kann. Da aber die Aufnahmetage schon geplant waren, hat sich Fabio Biondi mit seiner Frau auf den Weg gemacht und einige große Heizschirme gekauft, so wie sie überall im Winter im Freien vor den Gaststätten stehen. Was er aber nicht gewusst hatte war, dass diese einen schrecklichen, giftigen Geruch verbreiten, was auch tatsächlich im Saal geschah. Da wurde ich wieder benachrichtigt, dass jetzt die Fenster wieder geöffnet werden müssten, weil man den Gestank aus dem Raum entweichen lassen musste – also gleich zwei Übel auf einmal. Aber dann geschah etwas Einzigartiges. Die Musikerinnen und Musiker von Europa Galante sagten zu Biondi, dass sie zumindest versuchen würden zu spielen, auch wenn es noch so kalt wäre! Ich fand das so großartig, dass ich einfach mitmachen wollte und so nahmen wir an diesem Tag auf – ohne Heizung, in einem alten unbeheizten, aber akustisch wunderbaren Raum! Genau in jenen Tagen, in denen in Europa die Kältewelle herrschte.
Aber nicht nur die Musiker von Europa Galante waren zu bewundern, ich kenne nicht viele Sängerinnen, die wie Sie gehandelt hätten!
Ich konnte gar nicht anders. Es ist so ein wunderbares Ensemble, ich lerne so viel von ihnen und sie bringen mich auch immer wieder zum Lachen! Es war eine wunderbare Erfahrung!
Jetzt sind Sie dabei, diese Cd bei den nächsten Konzerten zu präsentieren.
Ja, wir spielten sie das erste Mal live im Dezember im Théâtre des Champs-Élysées in Paris, was wirklich aufregend war. Nun kommt Straßburg an die Reihe, dann Turin, Neapel und Krakau. Im nächsten Jahr gibt es dann eine kleine Pause und 2012 ist die Präsentation mit dem Programm in den USA geplant.
Alle Berufe haben zwei Seiten. Was sind denn die beiden Seiten der Medaille, wenn man wie Sie, eine berühmte Sängerin ist?
Also zuerst einmal ist es einfach ganz unglaublich schön, mit all den interessanten und großzügigen Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen ich zusammenarbeiten kann. Es ist ganz unglaublich, dass man all jene kennenlernt, die man bis dahin nur vom Namen her kannte und schätzte. Die meisten sind unglaublich liebenswürdig und großzügig. Egal ob Jacobs oder Biondi oder auch Harnoncourt! Harnoncourt ist ja ein richtiger Gentleman. Wir haben in seinem Haus in der Nähe von Salzburg geprobt und es war unglaublich schön und interessant. Er zeigte uns dort seine Sammlung historischer Instrumente und erzählte zu jedem Stück etwas – zeigte z.B. die originale Mechanik eines Cembalos aus dem 18. Jahrhundert! Aber nicht nur diese Menschen kennenzulernen und mit ihnen zu arbeiten ist das Schöne an dem Beruf. Ich empfinde es auch als sehr befriedigend, dass ich meinen Eltern etwas zurückgeben kann. Meine Mutter hat mich ja in den ersten 6 Jahren in denen ich auf der Bühne an den Opernhäusern gearbeitet habe, wann immer sie konnte, begleitet. Sie liebte es, hinter der Bühne mit den Musikerinnen und Musikern zu sprechen. Mein Vater, der mich danach 4 Jahre begleitete, saß lieber im Publikum. Seine Lieblingsdirigenten waren immer Kurt Masur und Leonard Bernstein. Bernstein starb leider zu früh, aber mit Masur habe ich einmal zusammengearbeitet. Ich sang zwar nur eine kleine Rolle, die zweite Fee in Mendelssohns „Sommernachtstraum“ und das in Hong-Kong, in dem er mit dem Orchestre National de France gastierte – aber es war eine unglaublich aufregende Angelegenheit für meinen Vater. Wir gingen anschließend auch gemeinsam zum Essen. Ich bin unglaublich froh, dass ich in meinem Beruf die Möglichkeit habe an meine Eltern das zurückzugeben, was sie mir als Kind geboten haben, sie waren enorm großzügig. Die andere Seite der Medaille ist wiederum das Reisen, das ich zwar sehr liebe, mich aber gleichzeitig von meiner Familie trennt. Allerdings haben sich die Bedingungen ja mit den neuen Medien grundlegend geändert. Heute haben wir die Mobiltelefone und Skype und ich kann, wann immer ich will meine Mutter oder meine Schwestern in Alaska mit „skype“ erreichen. Eine andere Entwicklung, die ich in jüngster Zeit feststellen muss ist die, dass für Vorbereitungen und Proben immer weniger Zeit bleibt. Die Anforderungen steigen ständig, aber die Vorbereitung wird immer kürzer. Das ist enorm schwer. Auch der Druck und die Erwartungen werden höher.
Pianisten sagen manches Mal sie hätten etwas „in den Fingern“ und könnten ein Werk rasch wieder abrufen, ohne es ständig üben zu müssen.
Bei mir ist das etwas anderes, weil ich ja ein enorm breites Repertoire habe. Ich beherrsche knapp 50 Rollen, die ich mir in 15 Jahren erarbeitet habe und ich bin ständig noch daran, mein Repertoire zu erweitern. So werde ich mit Biondi in Salzburg Piramo und Tisbe konzertant aufführen und habe mir dafür ursprünglich die Tisbe neu einstudiert. Jetzt habe ich erfahren, dass ich den Piramo singen werde was bedeutet, dass ich ganz rasch diese Rolle neu erarbeiten muss. Obwohl ich schon Hasse gesungen habe, war dies doch ganz anders als zuvor, denn es ist ein Spätwerk von ihm und wirklich enorm komplex. Es ist für eine Frau geschrieben, also nicht für einen Kastraten, wie sonst oft im Barock. Ich habe ständig neue Herausforderungen, die mich locken, wirklich interessante Projekte und es ist sehr befriedigend, wenn so ein Projekt auch abgeschlossen ist. Aber die Anfragen werden mehr und mehr. Ich arbeite ja mit großer Freude und kann ganz schwer etwas ausschlagen, aber ich werde in Zukunft vielleicht doch mehr selektieren müssen. Eigentlich bin ich ein Mensch, der den Druck auch braucht. Wenn ich allzu lange Zeit für ein Projekt habe, hilft es auch nicht wirklich, da ich immer erst dann richtig zu arbeiten beginne, wenn der Termin schon nahe vor der Türe steht.
Sie sind ständig unterwegs, reisen viel, kennen viele Flecken auf dieser Erde. Stellen Sie da auch Unterschiede im Publikum fest?
Oh ja, ganz starke sogar. Aber nicht nur im Publikum. Auch in der Aufführungspraxis selbst. In Amerika zum Beispiel gibt es nicht so oft eine Möglichkeit barockes Repertoire zu spielen und zu hören. Die Musiksäle dort sind alle riesig, viele erst in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts gebaut. Sie wurden für Wagneraufführungen ausgerichtet, was aber auch nicht stimmt, denn Bayreuth selbst ist ja auch ein eher kleines Theater. Für die Barockmusik, die aber immer in einem intimen Rahmen aufgeführt wurde, sind diese Häuser einfach zu groß und haben nicht die Ausstrahlung, die man für solche Aufführungen braucht. Es ist dort überhaupt nicht möglich, sich mit diesen Rollen zu identifizieren. Ganz anders wieder wird zum Beispiel in Wien an der Staatsoper gearbeitet. Das Orchester spielt dort an einem Abend Strauss und am nächsten Abend Mozart – sie beherrschen ein großes Repertoire, ohne jedoch ausgesprochen spezialisiert zu sein. Das ist einmal der Unterschied, den ich von der Aufführungspraxis her sehe, aber auch das Publikum ist ganz unterschiedlich. Nicht nur von Kontinent zu Kontinent, sondern von Land zu Land. Das Theater an der Wien ist ein Beispiel dafür, dass dort mit dem Publikum unglaublich viel gearbeitet wird. Diese Arbeit ist die Basis für alles. Auch Frankreich hat, was die Barockmusik betrifft, ein hoch gebildetes Publikum. Der Staat unterstützt diese Kunstform in vielen Ensembles und man merkt, dass die Menschen diese Musik gewohnt sind und eine Ahnung davon haben, darin ausgebildet sind. Es ist für uns Musikerinnen und Musiker unglaublich schön, in so einem Umfeld zu arbeiten. Das französische Publikum hat diesbezüglich ein breites Wissen.
Das wird das Straßburger Publikum sehr freuen, wenn es das hört! Ich möchte mich bei Ihnen für das Gespräch herzlich bedanken und wünsche Ihnen speziell für das Konzert in Straßburg alles Gute!
Herzlichen Dank! Das nächste Mal sehen wir uns vielleicht persönlich!
Das Gespräch hielt Michaela Preiner mit Vivica Genaux am 16. März ab.