Markus Kupferblum im Interview mit European Cultural News
Markus Kupferblum inszenierte die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ von Viktor Ullmann bereits einmal in New York und brachte im Dezember die Koproduktion der Schlüterwerke mit der Opera Moderne New York nach Wien. Neben einem hochrangigen Gesangsensemble agierte das Klangforum Wien und garantierte so höchste musikalische Qualität.
Wir trafen uns einige Tage nach den Aufführungen, die in der Maria-Theresien-Kaserne stattfanden, zum Interview. Der Theatermacher stand noch ganz unter dem Eindruck der ausgebuchten Vorstellungen an diesem außergewöhnlichen Spielort. Neben den Abendvorstellungen waren an einem Vormittag auch 18 Schulklassen eingeladen und er knüpfte gleich zu Beginn unseres Gespräches an seine Eindrücke dieser Vorführung an.
Es herrschte eine irre Stimmung unter den Kindern und Jugendlichen. Der Verteidigungsminister und die Kulturministerin waren bei der Schülervorstellung anwesend, nicht in der ersten Reihe, sondern sie setzten sich mitten unter die Kinder, die für mich fast enttäuschend brav waren. Für viele von ihnen war es ihre erste Oper überhaupt. Für uns war aber nicht nur die Aufführung selbst mit Arbeit verbunden, sondern wir haben in 18 Klassen Vor- und Nachbearbeitungen durchgeführt.
Was hat die Kinder in der Nachbearbeitungsphase denn am meisten interessiert?
Viele haben gefragt, warum gesungen wird und nicht gesprochen. Ich habe versucht, ihnen das anhand ihrer eigenen Erfahrungen zu erklären und die Gegenfrage gestellt, wann sie selbst denn singen würden. Da haben sie rasch verstanden, dass sie ihre Gefühle mit dem Gesang stimmiger ausdrücken können, als mit reiner Sprache. Eine weitere häufig gestellte Frage war, ob der Kaiser absichtlich mit einem Schwarzen besetzt wurde. Ja natürlich habe ich das absichtlich gemacht. Ich habe eine Abscheu vor politisch korrekter Kunst und abenteuerlicher Politik. Nur mit politisch unkorrekter Kunst kann man Lösungskompetenz für soziale Probleme aufzeigen, nur so kann man auch den Leuten Mut machen, zu jenen Menschen zu werden, die sie selbst eigentlich sein könnten. Die Politik kann die Voraussetzungen für ein friedliches Zusammenleben schaffen, aber erst die Kunst kann den richtigen Ansporn dazu bringen. Bei den Kursen habe ich mit den Kindern in einer Gruppe das Problem der Ausgrenzung thematisiert. Also das Thema, das in der Oper behandelt wird. Sie haben in der eigenen Gruppe ein rothaariges Mädchen ausgesucht, das sie dazu auserkoren hatten, von der Gruppe ausgegrenzt zu werden. Ein zweites Mädchen war türkischstämmig, aber im Gegensatz zur Rothaarigen, die alles über sich ergehen ließ, hat dieses ihre Freundinnen aktiviert, die ihr beigestanden sind, sich vor sie hingestellt haben und aktiv gegen die Ausgrenzung aufgetreten sind. Ich habe das rothaarige Mädchen ermuntert, sich zu wehren, was sie dann auch getan hat. Das sind Erfahrungen, die können die Kinder auch später in ihrem Leben einsetzen, wenn es nötig ist.
Wie sind sie zur Besetzung des Kaisers durch Vince Vincent gekommen?
Er hat bei einer Audition, die wir in N.Y. veranstaltet haben, überzeugt. Er kannte die Rolle und war schon zuvor dafür besetzt worden, wollte aber nur in der ihm bekannten, nämlich letzten Fassung von Viktor Ullmann singen. Ich aber wollte die ursprüngliche Fassung, nämlich die erste und radikalste auf die Bühne bringen. Die meisten Regisseure glauben, dass die letzte Fassung, wie sonst allgemein üblich, die vom Komponisten autorisierte ist. In diesem Fall war das aber aufgrund der Umstände anders. Ullmann hat die Oper mit seinem Librettisten Peter Kien im KZ in Theresienstadt geschrieben und dann drei Mal entschärft, aus jeder Fassung mehr Sprengstoff herausgenommen. Sie hofften ja, dass sie die Oper im Lager aufführen durften, und scheiterten jedoch bis zum Schluss an der Zensur. Aus diesem Grund ist also die erste und nicht die letzte Fassung jene, welche die meiste Brisanz innehat. Als Vince diese Argumentation hörte, hat er zugestimmt und jetzt ist es so, dass er nur mehr diese Fassung singen möchte.
Wie kam es zur Aufführung in einer Kaserne?
Aus der Not heraus, denn ich habe in Wien keinen Raum gefunden, der passend, leistbar und verfügbar gewesen wäre. Eigentlich war die Adaptierung eines Gebäudes des Heeres für kulturelle Zwecke eine juristische Pionierarbeit, das hat vorher noch niemand gemacht. Nachdem die anfängliche Skepsis verflogen war, haben beide Seiten alles getan, um das Projekt möglich zu machen. Vom Justizminister abwärts bis zum Militärkommandanten für Wien habe ich nur Positives erlebt. Ich hatte das Glück, dass mir Oberst Klug von der Infrastrukturabteilung bei der Unternehmung sehr geholfen hat und enorm kooperativ war. Nicht nur, dass es sich um ein sensibles Gelände handelt, auch die Halle selbst steht unter Denkmalschutz, was bedeutete, eine Menge von Genehmigungen einzuholen. Wir mussten auch die komplette Infrastruktur, die für die Aufführung einer Oper notwendig ist, dazumieten, die dann auch abgenommen werden musste. Das war dann schließlich auch teuer und zeitintensiv. So mussten wir, um den Boden der Halle zu schonen, allein 900 m² Teppichboden verlegen. Es war aber nicht nur Neuland für das Bundesheer, auch ich habe einen ganz neuen Blick auf die Institution gewonnen. Viele Soldaten haben uns vor Ort geholfen und ich habe erlebt, dass auch Freigänger der Jugendstrafanstalt in der Kaserne einen Arbeitsdienst verrichten. Das finde ich sehr gut, denn sie werden dafür bezahlt, üben eine sinnvolle Tätigkeit aus und sind dabei in die Gemeinschaft voll integriert. Mir war das vorher überhaupt nicht bewusst, dass das Bundesheer eine so wichtige soziale Aufgabe übernimmt.
Wie haben die Künstlerinnen und Künstler diese spezielle Umgebung empfunden?
Das Feeling für die Künstlerinnen und Künstler war schlichtweg der Hammer. Sie haben abseits des Geschehens auf der Bühne, das im KZ Theresienstadt geschrieben worden war, am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn man sich in einem hochbewachten Gelände aufhält und unter ständiger Kontrolle steht. Nicht nur, dass eine Zutrittskontrolle für jeden Einzelnen notwendig war, es wurde vor der Premiere etwa auch eine Hundestaffel des Mienensuchdienstes eingesetzt, da sich der Bundespräsident angekündigt hatte. Das Arbeiten in einer Kaserne mit all den rundherum notwendigen Sicherheitsvorkehrungen war ein direktes, einschneidendes Erlebnis für alle – auch für das Publikum.
Sie sind dafür bekannt, den Finger auf die sozialen und politischen Wunden unserer Zeit zu legen.
Unsere Arbeit ist nicht nur wichtig, sondern sie ist sogar notwendig. Wer behauptet, dass Kunstförderung Luxus sei, verkennt die künstlerische Arbeit, die dazu dient, den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten. Ich kenne Diktaturen in anderen Ländern und habe ihre Mechanismen am eigenen Leib erfahren. Ich will nicht, dass dasselbe hier bei uns auch passiert. In meiner Arbeit geht es um das Thema Ausgrenzung und damit, was mit den Ausgegrenzten passiert. Im Nationalsozialismus waren es die Sinti, Roma und Juden und man kann sagen, dass die Ausgrenzung schon mit einem Judenwitz beginnt. Heute muss man sich fragen, warum derzeit eine so heftige negative Imagewerbung gegen Türken gemacht wird, wenn man nicht vorhat, irgendwann gegen sie einen Krieg zu beginnen.
Sie glauben tatsächlich, dass Hetze gegen türkischstämmige MitbürgerInnen in einen Krieg münden kann?
Schauen, Sie – genauso ungläubig und blauäugig, wie Sie mich das jetzt fragen, genauso ungläubig waren auch die Menschen im Dritten Reich – bis es nicht mehr gelang, das Regime an der Verfolgung der Juden zu hindern. Das Schlimme an der derzeitigen Verfolgung der Sinti und Roma ist, dass diese im Gegensatz zu den Juden, keine Lobby haben. Anders als bei den Juden haben sie keine Leute die in wichtigen sozialen Positionen sitzen. Die Qualität einer Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Wir müssten unser Verhalten als Bringschuld für die Minderheiten sehen und diese als Bereicherung unserer Gesellschaft und nicht als Bedrohung erkennen.
Sie arbeiten über diese Oper hinaus ansonsten mit einem eigenen Ensemble und firmieren unter dem Label „Schlüterwerke“. Wie kamen Sie zu den Künstlerinnen und Künstlern?
Nachdem ich für meine Projekte keine mehrjährige Förderung von der Stadt Wien erhalten hatte, für die ich schon oft eingereicht hatte, war ich sehr deprimiert. Da hat mir Thomas Haffner vom Brick 5 seine Hilfe angeboten, in seinem Gebäude in der Fünfhausgasse proben und spielen zu dürfen. Daraufhin habe ich ein Inserat geschaltet „Suche nach Leuten für ein experimentelles Musiktheaterensemble…. man wird aber damit nicht seinen Lebensunterhalt bestreiten können.“ Das wurde deshalb nicht unter „Jobs“, sondern unter „Sonstiges“ veröffentlicht. Normalerweise melden sich ca. 300-400 Leute innerhalb einer Woche für ein Casting an wenn ich Leute suche, diesmal waren es ganze 12. Und die waren alle ganz speziell. Ich bin sehr dankbar, mit diesem Ensemble arbeiten zu können; das sind Béla Bufe, Ingala Fortagne, Florian Hackspiel, Andrea Köhler, Ulla Pilz und Julia Schranz auf der Bühne und dann noch all jene, die hinter der Bühne mitwirken. Beim „Kaiser von Atlantis“ waren das meine Assitentin Heike Sunder Plaßmann, Johanna Jonasch, die die Vermittlung mit den Schulen betreut hat oder Martina Theissl. Ich bin sehr glücklich über diese Leute die allesamt hervorragend sind. Es ist eine Gnade und Freude, mit ihnen zu arbeiten und zu sehen, dass sie sich auf den Wahnsinn einlassen, ohne Gagen zu spielen. Das heißt so viel, dass wir durch die Kulturpolitik in einen „Amateurismus“ gezwungen werden, da wir ja auch alle nebenher Geld verdienen müssen. Genau damit liefern wir aber der Kulturpolitik Argumente, uns abzustellen, denn irgendwann einmal werden wir womöglich die Qualität nicht mehr halten können. Gefördert werden hauptsächlich große Institutionen, weil diese nicht gefährlich werden können. Ein Kulturtanker ist behäbig und die Entscheidungsstruktur funktioniert so langsam, dass sie kaum Kanten entwickeln kann. Die feigsten Kulturpolitiker geben den größten Organisationen das meiste Geld – das kann man als mathematische Formel auffassen und anhand des jährlichen Kulturberichts überprüfen. Das Neue wird in Österreich konsequent be- und verhindert.
Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt?
Ja, ich arbeite an einer Oper, die im 17. Jahrhundert von einem Guarani Indianer in einer Jesuiten Mission in Bolivien geschrieben wurde und den Titel „San Ignacio“ trägt. Mit dem Komponisten Renald Deppe und dem Dichter Bodo Hell bearbeiten wir dieses Werk und nennen es dann „San Ignacio – eine Dschungeloper“. Ich bin wie immer auf der Suche nach einem geeigneten Aufführungsort und könnte mir das Jesuitentheater in der Wollzeile sehr gut vorstellen. Zumal es hier auch eine schöne Querverbindung gibt, wurde doch Glucks Orpheus und Eurydike in diesem Saal uraufgeführt. Ob sich das allerdings realisieren lässt, ist noch nicht sicher. Ich glaube die Dinge immer erst bei der Premierenfeier. Was ich mich schon gefreut habe auf Sachen! Und kaum hab ich es ausgesprochen, war´s auch schon weg!
Schon in die Realität umgesetzt wurde jedoch Kupferblums literarische Arbeit mit dem Titel „Die Geburt der Neugier aus dem Geist der Revolution“. Das Buch behandelt die Entstehung der Commedia dell`Arte und zeigt ihre große Aktualität für die dramaturgische Umsetzung unserer heutigen Lebensgeschichten. Es ist im Dezember im Facultas-Verlag erschienen und wird am 12. Jänner 2014 im Theatermuseum dem Publikum präsentiert.
Wir treffen uns in einem bekannten Wiener Caféhaus am Ring. Eva Jankovsky trägt die mitgebrachten Presseunterlagen in einer bedruckten Stofftasche. „Sorry we´re fucked“ ist darauf zu lesen – der Titel ihrer neuesten Theaterproduktion, die am 27. November im Palais Kabelwerk Premiere hat.
Der Abend, der von Florian Zack & Band musikalisch begleitet wird, trägt ökologischen Sprengstoff in sich. „Du bist die Klimakatastrophe“ ist der Untertitel dieser „performativen Rauminstallation“ – einem Geschehen also, bei dem das Publikum nicht von „außen“ zusehen wird. Allerdings wird die Thematik des Klima- und Umweltschutzes nicht professoral abgehandelt werden. Der gesellschaftliche Umgang mit der Natur ist der Schauspielerin und Regisseurin Eva Jankovsky schon seit Langem ein Anliegen.
Ich habe mich für das Medium Theater entschieden, da ich damit dieses ernste Thema spielerisch behandeln kann. Jedes Mittel, das dies schafft, ist mir recht, aber das Theater hat eben den Vorteil unterhaltsam, ironisch und frech aktuelle Fragen zu thematisieren. Ich habe für das Stück ein Jahr lang recherchiert und mit vielen Experten-Interviews geführt. Fazit der Gespräche war: Wir werden entweder vieles ändern müssen oder es wird eng auf diesem Planeten – in vielerlei Hinsicht: Wirtschaftliche Veränderungen würden auch soziale mit sich bringen. Das Interessante ist, dass viele Prognosen, die Umweltschutzorganisationen schon vor Jahrzehnten publiziert haben, eingetroffen sind. Manche mit Verspätung oder ein wenig anders, aber sie sind eingetreten. Und es stellt sich mir immer die Frage: Warum tun „wir“ nichts? Das kann ich nicht verstehen. Um mit diesem Thema das Publikum zu erreichen, haben wir die Handlung auf einen Familienkonflikt herunter gebrochen und agieren dabei nicht nur informativ, sondern vor allem auch unterhaltsam und ironisch. Wir hinterfragen Trends und Allgemeingültiges: Was ist dran am Bio-Schmäh? Was trägt der Einzelne zur Klimakatastrophe bei? Alle, die beim Projekt mitmachen, tun das mit Herzblut und gleichzeitig hochprofessionell. Die Live-Musik, die von Florian Zack & Band kommt, ist ein herrlicher Mix aus österreichischer Tradition und lateinamerikanischen Rhytmen, Zack‘s eigener Stil von ihm selbst auch „Bio-Punk“ genannt, reisst mit und vermischt musikalische Stile fremder Kulturen mit heimischen Sounds. Florian Zack bringt mit seinen österreichischen Dialekt-Songs und den kritischen Texten eine weitere performative Komponente hinzu.
Wie leben Sie selbst denn den Umweltschutzgedanken?
Ich frage mich bei allem was ich kaufe: „Brauch ich das wirklich?“ Ich tausche und recycle, ich nutze die öffentlichen Verkehrsmittel und fahre oft mit dem Fahrrad, bin schon seit Langem Vegetarierin und trenne meinen Müll. Eigentlich könnte man meinen ich wäre eine Musterschülerin in Puncto Umweltschutz. Seit ich den Online-Footprint- Rechner gemacht habe, weiß ich, dass das erst der Anfang ist und ich immer noch viel zu viele Ressourcen verbrauche. Leider bin ich da nicht die Einzige. Und was das Reisen betrifft, ist meine Ökobilanz sicher nicht optimal. Für meinen nächsten Berlinaufenthalt habe ich zwar zumindest nicht die schnelle und billige Variante des Fliegens gebucht, sondern ich fahre mit dem Zug und finde das auch bedeutend angenehmer. Aber wenn man sich die Ökobilanz ansieht, die pro Mensch für die Erde verträglich wäre, kommt man schnell drauf, dass das Reisen eine der Hauptverursacher des CO2-Ausstoßes ist. Da müsste man viel mehr drüber nachdenken, das fängt ja schon bei einfachen Geschäftsreisen an bei denen man „nur schell mal“ ein oder zwei Tage nach Deutschland fährt. Auch die E-betriebenen Autos sind noch nicht überall einsetzbar und obendrein auch nicht so besonders ökologisch in der Produktion. Am wichtigsten ist die Vermeidungsstrategie. Vermeidung von Müll, Vermeidung von Kinderarbeit – die man verhindern kann, wenn man nicht andauernd neues, billiges Gewand trägt.
Sie haben erstmals die Möglichkeit genutzt, die Kosten über Crowdfunding hereinzuspielen.
Ja, aber das macht nur ungefähr ein Fünftel des benötigten Budgets aus. Unsere Crowdfunding- Kampagne läuft auch noch bis Ende Jänner und ist über einen Link im Netz abrufbar. Wir hoffen, dass wir hier noch breitere Unterstützung finden, denn wir wollen das Projekt auch gerne in den Bundesländern zeigen und in Schulen spielen. Das funktioniert nur, wenn wir dafür finanzielle Mittel zur Verfügung haben. Das Projekt wird nicht von öffentlicher Hand unterstützt, umso mehr sind wir auf die Hilfe Privater oder von Unternehmen angewiesen. Es handelt sich um ein Kunstprojekt, jedoch mit bewusstseinsbildender Komponente. Wir können dem Publikum aber nur Fragen mit auf den Weg geben – das ist meiner Meinung nach auch eine der Aufgaben von Kunst, naja vielleicht nimmt sich der eine oder die andere auch Literaturtipps mit.
Sie schlüpfen ständig in unterschiedliche, berufliche Rollen. Als was würden Sie sich selbst bezeichnen?
Ich bin zwar Theaterschaffende, da ich von der Story über die Pressearbeit bis hin zum Bühnenputzen alles mache, insofern wäre diese Bezeichnung richtig. Ich fühle mich beim Theater wohl, da ich täglich mit Menschen arbeite, ihnen im Hier und Jetzt begegne und mich im Austausch mit ihnen künstlerisch ausdrücken kann. Für mich ist Theater das pure Leben. Zwar wühle ich auch gerne in der Erde und genieße es in der Natur zu sein, aber ich brauche die philosophische und intellektuelle Herausforderung, die mir das Theater bietet. Es ist ein ständiges Hin und Her zwischen der Arbeit auf und vor der Bühne. Mich zieht es einerseits als Schauspielerin auf die Bühne, andererseits habe ich bei der Regiearbeit den Vorteil, dass ich mich dabei durch alle Rollen gleichzeitig durchwühlen kann. Aufgrund der Schwierigkeiten, jedes Projekt neu finanziell aufstellen zu müssen, leidet oft die Qualität und die Gesundheit: Eigentlich ist Theatermachen ein totaler Wahnsinn! Ich suche immer noch nach der Alternative.
Wenn Sie sich etwas für Ihre Arbeit wünschen würden, was wäre das?
Da hätte ich gleich drei Wünsche: Ein paar Medien, die über uns berichten, denn die freie Szene wird in Österreich totgeschwiegen, bezahlte Regiearbeiten und eine fixe Bleibe für meine Projekte. Im Moment haben wir zum Beispiel keinen fixen Proberaum. Wir arbeiten in drei unterschiedlichen Räumen. In einem sind die Kostüme, im anderen das Bühnenbild. Aber ich sehe das sportlich und denke mir, dabei bleiben wir wenigstens alle flexibel! Aber wenn Sie die gute Fee sehen, die drei Wünsche erfüllt, schicken Sie sie bitte zu mir! Ich hoffe sehr, dass wir nach den vier Vorstellungen im Palais Kabelwerk bald Folgeauftritte bekannt geben können – sonst wäre es ja schade um den Aufwand!
Es gibt Bühnenbildnerinnen, die bestimmte Regisseurinnen und Regisseure quasi „gebucht“ haben. Eine solche ist die aus Bayern stammende Lydia Hofmann, die – wie viele ihrer Landsfrauen – im kulturellen Bereich in Wien ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben.
Als Absolventin der Meisterklasse für Bühnenbild der Akademie für bildende Künste arbeitet sie in Wien kontinuierlich mit Anna Maria Krassnigg aber auch mit Jérôme Junod in Deutschland zusammen. Und auf die Frage, wer denn eigentlich ihre Lieblingsregisseurinnen und -regisseure seien kommen auch prompt diese beiden Namen. Was denn eigentlich ihr Lieblingsprojekt gewesen ist, möchte ich auch gerne wissen: „Eigentlich immer das Aktuelle“ kontert die junge Frau sofort. „Außer, es läuft nicht wirklich rund. Das ist mir aber erst ein einziges Mal passiert, das war in Süddeutschland. Da hat die Regisseurin noch während der Proben alles insgesamt drei Mal umgeschmissen und ich musste jeweils die neue Bühnenbildproduktion stoppen. Das war für mich ein absolutes „Nie-wieder“-Erlebnis. Aber tatsächlich war eines meiner Lieblingsprojekte meine Diplominszenierung „Gefährliche Liebschaften“ am Max-Reinhardt-Seminar. Dafür hab ich Kostüme aus Metall gemacht. Also nicht gerade schauspielerfreundlich. Aber ich bin ja ein fairer Mensch und hab zuvor alles selbst getestet. Da hatte ich zum Beispiel Flügelschrauben als Verzierungen eingebaut und musste aber darauf achten, dass die Kostüme leicht an- und auszuziehen waren. Das war wirklich eine schöne Anfangserfahrung.
Was machen Sie, wenn Sie, wie gerade erwähnt, andere Vorstellungen haben als die Regisseurin oder der Regisseur?
Normalerweise weiß man schon beim ersten Gespräch, ob man gut miteinander kann oder nicht. Wenn es gut geht, dann geht man mit seiner Vorstellung von einer bestimmten Mitte aus und tastet sich von der weiter vor. Man kann sich seine Partner aber nicht immer aussuchen und als junge Bühnenbildnerin nimmt man klarerweise erst einmal jeden Auftrag an, den man bekommt.
Wie kamen Sie zu diesem Beruf?
Meine Eltern waren beide Lehrer für Bildende Kunst und haben sich an der Akademie in München kennengelernt. Ich habe mich immer auch schon für Bildende Kunst interessiert und ging dann ganz unbedarft mit 17 in die Akademie nach München und wollte mich dort einschreiben. Da hat man mir erst einmal gesagt, dass ein Abitur vorweg eine günstige Sache wäre – was ich dann halt auch gemacht habe.
Lydia Hofmann lacht noch im Nachhinein über ihre ungestüme Unbedarftheit. Aber aus diesem Hinweis geht sehr schön ihre Zielstrebigkeit hervor, für die es eigentlich kein Wenn und Aber in Bezug auf ihre Berufswahl gab.
Ich war auch Mitglied einer Theatergruppe und habe dort auch schon Bühnenbild gemacht. Das Schöne daran ist, das man dabei auf nichts verzichten muss. Malerei, Skulptur, Theater und Literatur, alles was ich gerne mag kann ich dabei vereinen. Es ist toll, dass man Sachen live einbauen kann, bis hin zu Gerüchen und Geschmäckern und ich finde es schön, dass dabei immer eine Geschichte erzählt wird.
Gerüche und Geschmäcker baute Lydia Hofmann erst in einer der jüngsten Produktionen von Anna Maria Krassnigg ein, nämlich am Auftaktabend der Serie in der „LiteraTurnhalle“ im Salon5. Bei der Vorstellung von Büchern Wilfried Steiners unter dem Motto „Triptychon der Künste“ trat die couragierte Allrounderin nicht nur als Bühnenbildnerin auf, die dem Abend eine stimmungsvolle sphärische Ummantelung beisteuerte. Zugleich war sie auch Köchin und Servierdame in drei verschiedenen Outfits, die jeweils zum vorgestellten Buch passten. Dabei reichte sie drei Mal drei Gerichte jeweils in den Farben Schwarz-Rot und Weiß, was sich, wie schon erwähnt, auch in ihrer Garderobe widerspiegelte.
Mir gefällt dieses neue Format, in dem Literatur vorgestellt wird, sehr. Das ist keine klassische Lesung, wie man sie kennt und bei der man manches Mal ganz schön Durchhaltevermögen braucht. Vielmehr wird in einer szenischen Einbettung erzählt, gespielt und gelesen. Am zweiten Abend, an welchem die Hochstaplernovelle vorgestellt wurde, habe ich den Raum mit vielen Tischchen ausgestattet, sodass das Publikum als „Jagdvieh“ des Hochstaplers fungierte. Auch an diesem Abend hatte ich mehrere Aufgaben und trat sogar als eine der Figuren nämlich „Denise“ auf. Es schadet ja nicht, wenn man den Beruf von allen Seiten her einmal selbst kennenlernt!
Wie viele Produktionen pro Jahr schaffen Sie denn?
Also fünf bis sechs pro Jahr würde ich schaffen, es kommt aber darauf an, ob sie parallel laufen. Dann benötigt man schon eine Assistenz, das ist alleine nicht mehr machbar. In diesem Sommer habe ich ja bei den Wiener Festwochen „Die Kinder von Wien“ gemacht und gleichzeitig das „Kätchen“ in St. Gallen mit Jérôme. Wobei ich bei der Inszenierung in Wien auch für die Technik verantwortlich war und auch schon mal auf dem Dach herumgekrabbelt bin, um es zu verdunkeln.
Ihr handwerkliches Geschick und Ihr technisches Wissen, woher kommt das?
Mein Vater hatte eine große Liebe und Affinität zur Technik. Am Vormittag unterrichtete er Bildende Kunst und am Nachmittag war er Naturwissenschaftler. Er war Amateurfunker und hat im Wohnzimmer gerne gelötet. Im Garten hatte er einen 6m hohen Parabolspiegel, weswegen wir auch einmal eine Hausdurchsuchung hatten. Die Leute aus dem Dorf hatten uns angezeigt und Angst, wir wären sogenannte „Schläfer“. Bei der Hausdurchsuchung haben sie dann den Fernseher aufgeschraubt und nur Elektroschrott und die Kinder Walky-Talkies von meinem Bruder und mir mitgenommen. Das war richtig absurd. Am Ende haben wir alles wiederbekommen, inklusive einer Entschuldigung, aber vergessen habe ich diese Aktion nicht.
Sie kochen auch gerne und leidenschaftlich.
Ja, das habe ich schon mit 8 Jahren angefangen. Meine Mutter hat mir immer gezeigt wie was geht und ich habe oft mitgeholfen und als ich acht Jahre alt war, musste meine Mutter mittags nach der Arbeit immer zu meinen Großeltern, weil es ihnen gesundheitlich nicht mehr gut ging. Da habe ich begonnen, für meinen Bruder, meinen Vater und mich zu kochen. Mein erstes Gericht waren Calamari und Backkartoffeln. Die liebte ich sehr. Ist mir auch gut gelungen, nur waren die Portionen doch zu klein. Die hatte ich an meinem Kinderappetit bemessen. Ich habe mich immer gefreut, mit meinen Eltern nach München zu fahren. Darauf, dass wir uns eine Ausstellung ansahen und danach in ein Lebensmittelgeschäft gingen. Je exotischer das war, umso lieber war es. Und ich mag es noch heute mir Dinge anzusehen und zu kaufen, die ich nicht kenne. Wenn ich mit meiner Mutter beim Metzger war, habe ich immer auf Teile gezeigt, die ich noch nicht gegessen hatte und gesagt: Kenn ich nicht, will ich! So kam es schließlich dann auch einmal zu einer Hirnsuppe. Ich kenne mich in vielen unterschiedlichen Küchen aus, esse prinzipiell alles und denke mir gerne neue Sachen aus. Am liebsten habe ich es, wenn ich mir Zeit nehmen kann, um lustige Menüfolgen auszudenken, Freunde einzuladen und den Abend dann unter ein Thema zu stellen. Mit Petra Stadler habe ich vor Kurzem erst einen Gesangsabend gemacht und zu jedem ihrer Lieder einen eigenen Gang serviert. Diese Art von Kochevent macht mir richtig Spaß, denn da kann ich gleichzeitig kochen und inszenieren!
Tomoko Mukaiyama ist eine Künstlerin, die nicht in eine Schublade zu pressen ist. Als Pianistin ausgebildet, lotet sie ihr Künstlersein nicht nur im Bereich der Musik ganz aus. Sie tritt ebenso als bildende Künstlerin aber auch als Tänzerin auf und ist ständig dabei, ihr kreatives Ausdruckspotential zu erweitern. Auf dem Imagefolder der Tomoko Mukaiyama Foundation sind folgende Charakterisierungen nachzulesen:
Radical, eccentric, Avant-garde, explorative, classical, feminine, cutting-edge, vulnerable, physical, unusual, confronting, powerful, modern, unconventional, daring, connecting, aesthetic. Die Foundation, an der man sich finanziell beteiligen kann, unterstützt die Arbeit von Mukaiyama, die in Amsterdam lebt.
„Shirokuro“ war jene Produktion betitelt, die Tomoko Mukaiyama im Brut an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Rahmen von Wien Modern zeigte. Dabei handelte es sich um die Wiedergabe von ganz verschiedenen musikalischen und tänzerischen Impressionen, die dem Publikum größtmögliche Interpretationsräume lassen. Sie selbst trat nicht nur als tastengewaltige Pianistin auf, die mit sichtbarem Körpereinsatz zwei Sonaten der Russin Ustwolskaja intonierte, sondern auch als Tänzerin.
Beim Interviewtermin hätte man die Künstlerin nicht ohne Weiteres auf Anhieb erkannt. Ihre grauen, glatten Haare standen im krassen Kontrast zur langhaarigen Perücke, die ihr auf der Bühne ein gänzlich anderes Erscheinungsbild verliehen. Im realen Leben verkörpert sie ganz und gar nicht jene wilde Frau, die in Shirokuro das Publikum in seinen Bann zieht.
Wie sie denn dazu kam, außerhalb ihrer studierten Profession als Pianistin tätig zu sein, war die erste Frage.
Als ich nach Amsterdam kam, hatte ich von Beginn an eine Freundin, die als Biologin und Schriftstellerin zugleich arbeitete. Es bereitete ihr überhaupt keine Mühen, zwischen den unterschiedlichen Bereichen zu pendeln. Ich fühle mich in meinen unterschiedlichen künstlerischen Gebieten extrem frei und möchte mich nicht nur auf ein Spezialgebiet fokussieren lassen, in das man sich womöglich ganz eingräbt. Allerdings arbeite ich immer mit dem Klavier. Es ist sozusagen ein Teil meines Körpers geworden und ich kann mich mit und durch das Klavier am besten ausdrücken. Das geht so weit, dass ich das Klavier auch wie beim Stück Shirokuro physisch schmerzend wahrnehme. Die unglaubliche Wucht, mit der ich mich auf die Tasten werfen muss, tut tatsächlich weh.
Sie haben erwähnt, dass alle ihre Projekte sich rund um das Klavier drehen. Sie haben viel darüber nachgedacht, was eine Pianistin oder ein Pianist ist, welche Rolle er oder sie zu spielen hat und wie die Verhältnisse auf der Bühne sich auf das Publikum auswirken. Wie kamen sie überhaupt dazu, über all das nachzudenken? Hat das schon während Ihres Studiums begonnen?
Nein, überhaupt nicht. Es gab zwei einschneidende Erlebnisse, wenn sie so wollen auch „Unfälle“. Das eine war ein Auftritt Maurizio Pollinis in Japan, bei dem ich selbst gar nicht dabei war, von dem ich aber erfahren habe und schockiert war. Er hat dort eine Beethoven Sonate gespielt und wurde ausgebuht, weil er angeblich den zweiten Satz zu langsam interpretiert hatte. Das ist vollkommen lächerlich. Pollini war und ist einer der wichtigsten und bewundernswertesten Pianisten des 20. Jahrhunderts mit ganz eigenen Ansätzen in der Interpretation. Als ich das hörte, musste ich darüber nachdenken, dass im Verständnis der Menschen die Hierarchie der Musiker wie eine Pyramide aufgebaut ist, an deren Spitze der Komponist steht. Die Pianisten stehen viel weiter unten. Das zweite einschneidende Erlebnis war ein Konzert, bei dem ich gespürt habe, dass es zwischen mir auf dem Podium und dem Publikum unten abermals ein Gefälle gab. Und das wollte ich aufheben und nicht akzeptieren. Ich wollte es nicht akzeptieren, als Musikerin nur als Dienerin der Komponisten zu agieren. So habe ich mich daran gemacht, meine eigenen künstlerischen Ideen zu realisieren.
Sie treten in dem Stück Shirokuro als Pianistin auf, die alle gängigen Muster durchbricht, die wir hier in Österreich im Konzertbetrieb kennen.
Ich hoffe nicht nur in Österreich, sondern auf der ganzen Welt!
Man erhält bei diesem Tanzkonzert den Eindruck, als wollten sie sagen: Überwindet herkömmliche Muster, stellt euch einfach hin und macht, was ihr wollt!.
Wenn das so über die Bühne kommt, finde ich das herrlich, denn tatsächlich sollte man komplett frei agieren können. Vor allem als Frau!
Als Tomoko Mukaiyama diesen Satz sagt, hält sie sich ihre linke Hand ganz verstohlen an den Mund, so als würde sie etwas aussprechen, das verboten ist. „Frauen sollten freier sein“, fügt sie noch einmal betonend hinzu und ganz unbewusst schwingt hier mit, was sie in ihrem Leben selbst als Frau erfahren haben dürfte.
In Shirokuro mimen sie eine Frau, die aus Urzeiten in unsere Welt versetzt zu sein scheint.
Ich denke über das, was ich auf der Bühne bin und was wir machen im Vorhinein nie nach. Es kommt einfach, wenn ich an so einem Stück arbeite. Wir setzen dann die einzelnen Teile zusammen und das Publikum kann selbst interpretieren. Wir legen dabei nichts fest.
Es hat den Anschein, als ob sie am Ende des Stückes, nachdem das Klavier mit weißen Tüchern bedeckt ist, eine Art Begräbnis feiern. Einen Abgesang auf unsere technologisierte Gesellschaft.
Das freut mich, wenn Sie diese Schlüsse aus dem Stück ziehen, jede einzelne Interpretation, die individuell ist, freut mich. Ja, und tatsächlich ist es eine Art Ritus, den wir dabei vollziehen.
Geben Sie eigentlich auch noch ganz normale Klavierkonzerte?
Ja, das tue ich selbstverständlich auch.
Was empfinden Sie denn dabei?
Dass das ganz einfache Konzerte sind. Da muss ich mich nicht um die Produktion kümmern, nicht um das Licht usw. Nur Klavier zu spielen ist wirklich ganz einfach. Natürlich sind die Anforderungen groß und die Stücke schwer, aber sich sonst um nichts kümmern zu müssen ist eine große Erleichterung. Ich hatte erst vor Kurzem einen Auftritt in der Suntary Hall, in der ich mit einem Stück von Atsuhiko Gondai, einem japanischen Komponisten, aufgetreten bin. Einige Komponisten mögen mich allerdings nicht, weil ich ihre Stücke manches Mal nur fragmentarisch aufführe oder sie mit anderen mixe. Ich war auch schon bei Veranstaltungen eingeladen, in denen es um historische Musik wie Barockmusik oder Renaissancemusik ging. Den Menschen dort hat das, was ich gemacht habe, nicht gefallen. Ich bin doch besser in einem zeitgenössischen Umfeld aufgehoben, so wie hier bei Wien Modern zum Beispiel. Allerdings bin ich ja nicht ausschließlich Pianistin. Ich mache auch Kunst, wie zum Beispiel die ausgestellten Klaviere, die nicht mehr zu gebrauchen sind, wovon eines mit Nagellack zum Teil bemalt wurde und die ich mit Nocturne 2011 betitelt habe.
Diese Arbeit entstand als Aufarbeitung des Tsunami-Traumas.
Ja genau. Ich habe bemerkt, dass meine unterschiedlichen Tätigkeiten sich aber auch gegenseitig befruchten. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand meine Kunstwerke sieht und dabei erfährt, dass ich auch eine Pianistin bin, oder umgekehrt.
Sie brauchen sehr viel Kraft auf der Bühne – trainieren Sie regelmäßig?
Ja, schon, eigentlich täglich. Um die Bewegungen, die ich im Tanz mache gut ausführen zu können, brauche ich vor allem Kraft in den Beinen. Dafür mache ich eine indische Kampfsportart, die mir dabei sehr hilft. Ich habe beim gestrigen Konzert bemerkt, dass ich mich auch beweglicher am Klavier fühle, dass ich nach links und rechts mich stärker verdrehen kann. Ob das gut für mein Klavierspiel ist, weiß ich noch nicht. Ich halte aber nichts davon, wenn man beim Spielen eine gewisse genormte Haltung einnehmen muss. Das ist bei jedem Menschen anders. Glenn Gould saß zum Beispiel in extrem niedriger Haltung am Klavier – ganz anders, als man es machen sollte
Warum machen Sie eigentlich Kunst?
Weil ich viel zu sagen habe und weil ich das und die Erlebnisse, die damit zusammenhängen, mit dem Publikum teilen möchte. Wir alle tragen in uns einen dunklen Teil, den wir nicht zeigen wollen. Das macht uns aber gerade erst zum Menschen. Als Künstler sind wir privilegiert, weil wir diese dunkle Seite ausleben dürfen. Und um noch einmal zusammenzufassen, warum ich Kunst mache: Entweder man wird ein Künstler oder eben nicht!
Wie beschreiben Sie rückblickend Ihre Rolle als Chefkuratorin?
Tatsächlich ist mir im Rahmen des Projektes curated by _vienna als Kuratorin eine besondere Rolle zugekommen. Denn dieses Mal habe ich ja gar keine Ausstellung kuratiert, sondern bin einen Schritt zurückgetreten und habe gemeinsam mit den Galerien und mit dem Team von departure ein Thema entwickelt, das die Grundlage für die diesjährige Ausgabe von curated by _vienna bildete. Das bedeutet, dass man quasi über die Bande denken muss. Es ging darum, ein Thema zu entwickeln, das einen möglichst großen Freiraum bietet, und dennoch einen Zusammenhalt erkennen lässt.
Wie kam es zur Ausformulierung des diesjährigen Titels „Kunst oder Leben. Ästhetik und Biopolitik“?
In den gemeinsamen Diskussionen tauchte bald der Begriff der Arbeit auf. Die Arbeit selbst zum Thema zu machen, erschien mir jedoch ein bisschen zu kurz gegriffen. Schließlich geht es nicht um die Frage, was die Kunst über Arbeit sagen kann, sondern welche Rolle sie selbst in Arbeitsprozessen einnimmt, und dadurch relevante Aussagen treffen kann. Und dann ist man gleich bei dem Problem, dass ästhetische und produktionsbedingte Fragestellungen in eins fallen.
Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts zeigten mit einer Reihe von Reformbewegungen ganz deutlich, dass sie sich von der Zusammenführung von Kunst und Leben einiges versprachen. Das kleine Wörtchen „oder“ im Titel wirkt an einer Stelle trennend, wo man eine Wahl gar nicht mehr für möglich hält. Wie sollte man sich für Kunst oder Leben entscheiden können? Nun bietet das trennende „oder“ Möglichkeiten über Produktionsformen anders nachzudenken. Mit dem Begriff der Biopolitik, der von dem französischen Philosophen Michel Foucault geprägt wurde verweisen wir auf die Verquickungen von den so genannten Technologien des Selbst mit ästhetischen Formen der Darstellung.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Kuratorinnen und Kuratoren ausgesucht?
Die meisten Galerien laden selbst die Kuratoren oder Kuratorinnen ein, mit denen sie arbeiten möchten. Ich habe auch ein paar Vorschläge gemacht, und bin dabei vom jeweiligen Programm der Galerie ausgegangen.
Welches Ziel verfolgt departure mit diesem Projekt konkret?
Das Format curated by_vienna ist einzigartig, es geht auf erste Initiativen der Galerien in den 90er Jahren zurück, und war von Beginn an bestrebt, Kontakte zu internationalen Kuratoren und Kuratorinnen aufzubauen, um so etwas wie eine gemeinsame Diskursebene zu schaffen. Das Besondere an dem Projekt ist die inhaltliche Schwerpunktsetzung. Gegenüber reiner Marketingstrategien ein erfrischendes Angebot, denke ich.
Bereits zum 4. Mal in Folge wurden die kuratierten Ausstellungen in den Galerien durchgeführt. Konnte dabei das formulierte Ziel einmal evaluiert werden oder hat sich die Zielsetzung im Laufe der Jahre verändert?
Ja, die Zielsetzungen haben sich jeweils verändert. Im ersten Jahr hat man Kurator_innen eingeladen, in mehreren Galerien eine Ausstellung zu machen, im darauf folgenden Jahr machte man das Verhältnis von Kunst und Film zum Thema und im letzten Jahr bildete die Region Südosteuropa einen geografischen Rahmen, mit dem man sich auseinandersetze. In diesem Jahr haben wir das erste Mal einen inhaltlichen Schwerpunkt gesetzt. Das Besondere daran ist die Tatsache, dass sich 22 Galerien und noch einmal 22 Kurato_innen mit einem Thema beschäftigen und versuchen ein gemeinsames Projekt zustande zu bringen.
Warum ist es für Galeristinnen und Galeristen interessant eine Ausstellung von fremder Hand kuratieren zu lassen?
Üblicherweise arbeiten Kuratoren in Kunstvereinen, Kunsthallen oder Museen. Galerien erarbeiten ihr Programm in enger Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen, wobei es in erster Linie um die Präsentation dieser Künstler geht. Mehr und mehr rücken nun aber die Hintergründe und Kontexte einer künstlerischen Arbeit in den Mittelpunkt des Interesses. Auch Sammler wissen gerne mehr über Zusammenhänge von unterschiedlichen künstlerischen Arbeiten, und diese Zusammenhänge herzustellen ist die Aufgabe der Kuratoren.
Gibt es über diese jährlichen Ausstellungen hinaus andauernde Kontakte zwischen den Galeristinnen und Galeristen und den Kuratierenden?
Das ist natürlich individuell verschieden, aber ich kenne einige Geschichten von Künstlern, die zum Beispiel in einer curated by_vienna Ausstellung gezeigt wurden, und die dann in das Programm der Galerie übernommen worden sind, oder von Kuratoren, die wiederholt mit Künstler_innen einzelner Galerien zusammenarbeiten, und dadurch natürlich die besagten Netzwerke herstellen, von denen wir glauben, dass sie produktiv sind.
Ein Kurator bezeichnete den Kulturstandort Wien als „last fortress“ – denn er kenne keine andere Stadt auf der Welt, die ein Projekt wie dieses finanziell unterstützen würde. Haben Sie eine ähnliche Wahrnehmung?
Wir haben ein qualitativ sehr hochwertiges Fördersystem, das zeichnet Österreich und Wien aus. Das Interessante ist dabei, dass ganz gezielt Projekte gefördert werden, wie in diesem Fall ein Kooperationsprojekt von Galerien und Kurator_innen, und nicht mittels ein laues Gießkannensystems, bei dem es nie genug für alle gibt. Die Kreativagentur departure wurde nicht zuletzt genau deshalb ins Leben gerufen, weil hier ein differenziertes Fördermodell wirksam werden kann. Aber natürlich gibt es auch in anderen Ländern tolle Fördereinrichtungen, wie die zahlreichen Stiftungen in Deutschland oder in der Schweiz, wo zum Beispiel auch viel mehr für die Kunstproduktion, aber auch für die kunsttheoretische Arbeit getan wird als dies in Österreich der Fall ist.
Welche Signalwirkung kann von dem Projekt curated_by ausgehen? Oder anders gefragt: Welche Außenwirkung trauen Sie diesem Projekt zu?
Auf Grund der Einzigartigkeit des Projektes ist es international bereits jetzt schon sehr gut bekannt. Alle Beteiligten erzählen von einem äußerst positivem Feedback auf curated by_vienna. Das Ziel ist natürlich, dass sich curated by_vienna inmitten zahlreicher Biennalen und Festivals einen markanten Stellenwert verschaffen kann, der nicht allein den Gesetzen des Städtemarketings gehorcht, sondern der durch seine inhaltliche Positionierung besticht.
Seit 8 Jahren und ich habe mich hier gleich wohlgefühlt. Ich bin am Land aufgewachsen und das Leben in der Stadt bedeutete eine große Änderung. Das Tempo ist ja ein ganz anderes, aber da mein Bruder schon zum Studieren hier lebte, hatte ich gleich sozialen Anschluss. Ich habe sofort das kulturelle Leben zu schätzen begonnen und es war so etwas wie ein „Augen auf, was es so alles gibt“. Wenn man in Schlierbach aufwächst, ist das Kulturangebot ja sehr begrenzt. Man fährt für einen Abend nach Linz und muss dann schauen, dass man mit dem letzten Zug wieder zurückkommt. In Wien plötzlich spontan entscheiden zu können ins Theater zu gehen, oder sich Tanz anzusehen, das war total inspirierend. Ich lebe jetzt im 16. Bezirk, in Ottakring und schätze es, mit welcher Offenheit die Leute in Wien leben. Es gibt auch Engstirniges und Alltagsrassismus und Leute, die man gerne in die Luft schießen würde, aber Wien ist daneben eine sehr lebendige und positive Stadt. Das „grantelnde“ Wien gehört einem Klischee an, das man gerne bedient – das macht man ja ganz charmant.
Haben Sie auch in anderen europäischen Großstädten gelebt?
Ich habe ein Semester in München studiert, da fühlte ich mich nicht wohl. Ich hatte dort keine Kontakte und war viel alleine. Nach München machte ich mit Wien eine ganz andere Erfahrung von der Stadt her. Ich kenne auch Berlin von mehrwöchigen Aufenthalten und mir gefällt es auch. Aber um dort zu leben, empfinde ich es als zu unübersichtlich und zu schnelllebig. Ich kenne viele Leute, die sagen „du musst nach Berlin“ und ich verstehe das auch. Man sitzt zum Beispiel im Grünen zwischen den Straßen, weil der Magistrat die Flächen dafür freigegeben hat. Der öffentliche Raum ist dort nicht so geordnet wie in Wien, man fühlt sich dadurch in gewissem Grad freier und unbeaufsichtigter, aber für mich ist Wien zur Heimat geworden. Deswegen habe ich auch gar nicht den Wunsch, mich in nächster Zeit woanders niederzulassen. Es ist schon so, dass ich immer mehr reise. Das bringt der Beruf mit sich. Ich bin früher selten gereist, aber es passiert jetzt erfreulicherweise, dass ich öfter eingeladen werde. Ich bin im Mai für 10 Tage in Heidelberg beim „Stückemarkt“. Das ist ein Autorenfestival, zu dem ich mit meinem neuen Stück eingeladen wurde. Das wird dort gelesen und man bekommt gleichzeitig die Möglichkeit, dort andere Theaterproduktionen anzusehen.
Welches Stück wird dort gelesen?
„Alpenvorland“ heißt es. Das wird nächste Saison im Landestheater Linz uraufgeführt. Es ist nach „Grillenparz“ das zweite große Stück, das mir sehr am Herzen liegt. In Heidelberg wird es szenisch gelesen und da werden wir dann sehen, was passiert.
Welche Sprache verwenden Sie in diesem neuen Stück? Sie benützen ja Sprache in mehreren Ausformungen, mit einer großen Vielfalt, die auch Mundart miteinschließt und man hat den Eindruck, dass vor allem Ihre eigene Heimat, in der Sie verortet sind, immer wieder in irgendeiner Form in Ihren Stücken und Texten vorkommt.
Ja das stimmt, das bekommt man nicht los, das verfolgt mich.
Verfolgen im Sinne von: Es läuft hinter Ihnen her und Sie möchten das eigentlich gar nicht?
Nein, es ist eigentlich ein ganz ambivalentes Gefühl. Ich fühle mich wohl in Österreich und ich fühle mich dieser Sprache sehr nahe. Ich habe entdeckt, dass gerade diese Sprache für mich eine große Energie ist, von der weg ich erzählen kann. Sie ist eine Reibungsfläche insofern, dass ich schon gemerkt habe, dass, wenn man von Oberösterreich nach Wien kommt und sich an der Universität zu Wort meldet, man sich dabei irgendwie mangelhaft vorkommt, weil man ein gewisses „Standarddeutsch“ nicht flüssig beherrscht. Gewisse Ausdrücke fehlen mir nach wie vor. Vor allem in der gesprochenen Sprache. Da ist das Schreiben für mich eine Möglichkeit, mich noch klarer verständlich zu machen. Das war eher was, was ich nicht gerne so offen gezeigt habe, aber durch die Arbeit mit Theatertexten habe ich gemerkt, dass gerade da sehr viel von mir drin steckt. Ich kann damit einerseits direkter Dinge ansprechen, so wie ich sie sehe und vertrete und gleichzeitig steckt darin eine totale Poesie. Das hat natürlich auch mit Autoren zu tun, die ich immer schon geschätzt habe, die ich gerne lese. Artmann und Jandl zum Beispiel oder Friedrich Achleitner. Sobald man Mundart aufschreibt, wird sie zur Kunstsprache und das macht es spannend. Im aktuellen Stück „Alpenvorland“ ist das auch stark spürbar. Die Figuren sprechen in einer Grammatik, die eigentlich vom Dialekt herkommt und nähern sich – je nach Figurenbiografie – an ein „Standarddeutsch“ an und das reibt sich. Und dann gibt es Chöre, die die Tradition der Heimat widerspiegeln. Die sind wieder an Volkslieder angelehnt, weniger explizit wie ich das bei den „Schubertchören“ oder bei „Grillenparz“ gemacht habe, aber es ist ein Versuch, mit dem Sprachfundus, der da ist, umzugehen. Dabei schaue ich aber auch, wie ich mich davon befreien kann, im Sinne von: Ich baue mir ein ganz neues Leben auf, das nichts damit zu tun hat, wo ich herkomme. Das betrifft jetzt auch genau die Figuren im „Alpenvorland“, die jetzt um die 30 sind, die gerade dabei sind zu heiraten, ein Grundstück zu kaufen, ein Haus zu bauen und feststellen, dass viel von dem, wie sie ihr Leben führen, von ihrer Erziehung und von der Geschichte des Landes herrührt, aus dem sie kommen und das sie geprägt hat. Irgendwann sagt man: Das will ich eigentlich nicht. Und in diesem Zwiespalt der Figuren bewegt sich auch meine Sprache und ich verarbeite in diesem Stück auch Dinge, die mich betreffen. Vom Land in die Stadt zu ziehen, zum Beispiel oder sich zu überlegen, welche Werte habe ich eigentlich, kann ich das in der Stadt realisieren? Und dann auch wieder Anschauungen über Familie oder Beziehungen, die dann doch wieder von Stimmen herkommen, die man glaubte, abgeschüttelt zu haben. Das ist gerade das Thema, das mich interessiert und reizt und das hat auch mit der Sprache zu tun.
Sie bezeichnen den Dialekt, den Sie in Ihren Stücken verwenden, als Kunstsprache?
Ja, doch. Dabei wird ja in einer komprimierten Weise die Sprache beim Schreiben notiert. Ich weiß selbst oft nicht, welche Vokale ich benutze und muss mich aber entscheiden, wie man das notiert. Wie z.B.: Ist der Konsonant ein weicher oder ein harter, ist es ein W oder ein B, ist dieses S schon ein eigenes Wort, dieses Dranhängsel von „hat´s“? Das sind lauter Entscheidungen, die man beim Schriftlichen trifft, die aber das Ganze wegrücken von dem, was der Mund und die Zunge machen. Rein vom Handwerklichen gesehen, ist es etwas Künstliches. Mir war das nie klar, aber ich habe bei alten Texten, in denen es begonnen hat, gemerkt, dass diese eine gewisse Nostalgie bekommen durch die sie eigentlich an Kraft verlieren. Ich habe einmal mit einem Stück ganz im Dialekt zu schreiben begonnen. Dort habe ich die Sprache genauso eingesetzt, wie ich im Alltag spreche und hatte das Gefühl, dass das für mich nicht funktioniert. Erst durch einen Schritt, der das wiederum verfremdet, entsteht ein Freiraum, mit dem ich dann arbeiten kann. Ich hüte mich davor, Alltagssprache 1:1 abzubilden. Ich habe das Gefühl, dass Radio und Film das viel schärfer abbilden können als Theater. Die Form der Alltagssprache ist viel zu frei. Ich brauche eine klare Form.
Eine Begrenzung, Eingrenzung, ein Raster, ein Korsett?
Es muss sich an etwas reiben. Ich verliere auch oft die Lust daran. Es lässt sich vielleicht schwer nachvollziehen, aber ein Dialog, der am Papier steht, ist für mich nicht beliebig. Ich muss ihn anschauen und das Gefühl haben, dass er jetzt seine Form gefunden hat, genau für das, was ich jetzt erzählen möchte. Ich stecke gerade wieder in so etwas drin und bin unzufrieden, weil ich nicht weiß, wie ich das aufs Papier setze. Und wenn ich das gelöst habe, dann lösen sich für mich auch andere Dinge, dann kann ich sehr schnell frei weiter schreiben. Aber manches Mal gibt es eben dieses Formproblem.
Sie arbeiten ja im Moment viel mit dem Schauspielhaus Wien zusammen. Inwieweit sind die Themen hier vorgegeben oder inwieweit haben Sie hier einen Freiraum, in dem Sie schreiben können?
Es gibt ganz pragmatisch gesprochen beides. „Grillenparz“ ist ein Stück, das ich geschrieben habe. Mit der Idee bin ich gekommen, da habe ich sehr viel Unterstützung bekommen. Es war der erste lange Text von mir, der zu einem Stück geworden ist. Wir haben uns dafür zu Textbesprechungen getroffen und haben laut gelesen und geschaut, wie das Gegenüber das versteht. Dabei findet man heraus, wie die Gedanken, die man in den Text hineinschreibt, beim anderen überhaupt ankommen. Dieses Thema, dieses Stück kam von mir. Schubert wiederum war ein ganz klares Projekt vom Schauspielhaus. Da gab es Andockpunkte, bei denen ich gleich gesagt habe, das interessiert mich, da versuche ich mich reinzudenken, das reizt mich, aber die Rahmenbedingungen waren schon stark abgesteckt.
Sie haben für den Zyklus „Schubert, eine Winterwanderung“ eigene „Lieder“ getextet, die sofort die Originaltexte der Schuberlieder evozierten, aber dennoch ganz eigenständig waren. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Ich bin ja mit diesen Liedern aufgewachsen, von denen man meist die erste Zeile kennt und damit meint, das ganze Lied zu kennen. Wenn man dann den Text aber nachliest, dann merkt man erst, welche Lücken man da wirklich hat. Ich habe mir die Texte zu den Liedern nie gemerkt. Man fühlt sich den Schubertliedern immer so nahe, oder besser eigentlich der Tradition, die man mit den Schubertliedern verbindet. Für mich war das eben eine Variation und eine Herausforderung zugleich, ob es möglich ist, die Musikalität der Lieder in den Text schreiben zu können. Ich habe eine große Nähe zu Schubert gespürt – ob der Traurigkeit, die in den Liedern steckt. Und ich habe versucht, den Schmerz einfließen zu lassen, der, wie ich glaube, in den Dialekttexten leicht zu spüren ist. Ich habe immer Lust, mit dieser Art von Sprache umzugehen. Die Motivation kommt aus dem Begreifen des Textes als Musik. Das geht in der Lyrik formal am explizitesten. Auf der einen Seite ist es ein Freischreiben von Schubert und gleichzeitig ein Versuch, ihm in dieser Form ganz nahe zu sein.
Die Musikalität ist nicht nur bei den Schubert-Texten zu spüren. Oft kann man einen gewissen Rhythmus oder auch ein Rhythmusgefühl wahrnehmen, wenn man Ihre Texte liest, die Lust, einen Rhythmus mit einem Text auszudrücken. Spielen Sie ein Instrument oder singen Sie?
Ich habe mich immer geweigert, ein Instrument zu lernen. Ich war, seit ich 13 Jahre alt war, Chorsänger. Ich habe immer heimlich Klavier gespielt. Wir hatten zuhause ein Klavier stehen. Meine Schwester spielt irrsinnig viele Instrumente, aber ich habe immer nur gespielt, wenn keiner da war. Ich wollte nie in den Unterricht gehen, aber ich habe immer gerne gespielt. Ich improvisiere auch heute noch gerne frei – das klingt vielleicht ganz grässlich, aber es ist für mich eine Art Vehikel.
Ein Vehikel wofür?
Einerseits um den Kopf abzustellen und – das hat jetzt vielleicht etwas Romantisches – den Augenblick auszukosten. Ich habe das selbst eigentlich noch nie genau hinterfragt, aber ich habe das Gefühl, das hat etwas mit dem „Tastengreifen“ zu tun. So wie die Finger auf der Tastatur liegen, von denen ich nicht immer weiß, was sie schreiben und ich im Nachhinein oft schauen muss, ob das, was ich da geschrieben habe überhaupt passt, weil ich so nahe an dem bin, was ich schreibe – so ist das mit den Fingern auch beim Klavierspielen. Ich muss nach so einem Schreibprozess dann wieder vom Sessel weg und mir durchlesen, was ich gemacht habe. Und kann dann erst durch die Distanz das aufbauen, was ich eigentlich will. Ich würde gerne einmal ein Libretto für eine Oper schreiben und weiß eigentlich gar nicht, warum das so ist. Ich habe auch eine Ahnung, welches Thema ich bearbeiten würde. Es würde in einem verwilderten Irrgarten spielen, in dem sich Skulpturen befinden, die das Ideal der Schönheit abbilden. Und es würde sich um Narziss drehen, der aufgrund seiner Schönheit seine Lebendigkeit verloren hat und nicht mehr schön sein will.
Warum ist das Thema Schönheit für sie interessant?
Bei dieser Idee geht es mir um die Abbildung. Ich setze mich gerne mit Fotografie und Film auseinander. Und um den Versuch, Wirklichkeit festzuhalten, und auch um das Aufhalten des Verfalls, indem man eine Skulptur schafft, die einen perfekten Moment symbolisiert. Aber auch damit kann man die Zeit nicht aufhalten.
Kommt bei Ihnen die Motivation zu schreiben aus einer Notwendigkeit heraus oder steht die Reflexion über ein Thema an erster Stelle und der Prozess des Schreibens kommt erst danach?
Der Anlass ist meist ein sehr dringlicher, weil ich über etwas nachdenken muss, dann im Kopf eine Blockade habe und dann darüber schreiben muss. Mir ist es aber oft nicht bewusst, worum es dabei eigentlich geht. Es passiert mir oft, dass, wenn ich Nächte nicht schlafen kann, dass ich mich am nächsten Tag vor den Computer setze und wie ein Wilder losschreibe und dann innerhalb weniger Stunden viel da steht. Dann bin ich zwar total körperlich fertig, aber ich habe dann das erlösende Gefühl, dass Sachen einmal ausgesprochen sind und ich jetzt anfangen kann zu sortieren, was das eigentlich für mich bedeutet. Schreiben ist eine Form von Gegenwartsbewältigung – nicht in allen Fällen, sonst würde ich mir um mich Sorgen machen. Bei den Kernthemen von meinen Stücken aber schon. Kernthemen docken immer an interessante Stoffe an, die ich wiederum reflexiv betrachte.
Das „Wiegenlied“ von Ihnen, das mit den Worten „Schlof siaß schena engl“ beginnt, ist ja trotz seines auf den ersten Blick vielleicht romantischen Inhalts ein unglaubliches Stück voll von Brutalität, in dem es um Kindermissbrauch bzw. Missbrauch an Frauen geht. War das für Sie dringlich, darüber zu schreiben?
Das Gedicht „Schlof siaß schena engl“, das aus dem Stück „Grillenparz“ stammt, war nicht als Thema an sich da, sondern darin geht es um das Verhandeln der Figuren aus dem Stück, wie Heimat angesichts von so viel vorhandener Gewalt eigentlich überhaupt möglich ist. Es gibt ja eine Sehnsucht nach Unschuld, die aber tatsächlich nie möglich ist. In dem Stück geht es um Menschen, die zusammenkommen und nicht wissen, ob sie überhaupt glücklich sein können. Sie versammeln sich an dem Hügel Grillenparz, an dem ich ja aufgewachsen bin, und da war es für mich eine Notwendigkeit, das zu schreiben, ganz gleich, was damit dann passiert, ob es zum Beispiel überhaupt wer liest. Bis zu einem gewissen Grad zumindest, denn danach kommt der Selbstschutz, der mir sagt: Nur für dich so dazusitzen und zu schreiben, das macht dich unglücklich. Insofern muss ich dann schon danach noch einmal aus der Distanz schauen, was ich da eigentlich erzähle und in welcher Weise kann ich mich damit heute auch wirklich verständlich machen. Vielleicht würde ich für mich manche Dinge ganz anders schreiben, was aber dann niemandem anderen etwas bringen würde, und da habe ich dann schon den Anspruch, dass ich jemandem anderen etwas erzähle, dass die Texte nicht für sich stehen. Ich möchte, dass sie zumindest im Privaten etwas bewirken. Dass derjenige, der im Zuschauerraum sitzt, hinausgeht und aus den Texten etwas mitnimmt. Ob Theater gesellschaftlich etwas bewirkt, das weiß ich nicht. Manches Mal denke ich mir „das bringt überhaupt nichts“, aber ich bin ein Idealist. Insofern arbeite ich dennoch und schaue, ob etwas passiert und ob man es als Forum nutzen kann. Theater ist ein sehr exklusives Forum, Sprache auf der Bühne hat etwas sehr Präsentes und Direktes. Ganz anders als ein gedruckter Text. Ich stehe da aber noch ganz am Anfang. Ob ich einmal resignierend sagen werde „eigentlich schreibt man eh nur für sich“, das weiß ich nicht.
Um noch einmal zur Frage zurückzukommen. Ich schreibe ja parallel an mehreren Stücken, zwei sind optimal für mich, bei Dreien fange ich mich schon an, zu verheddern. Es gibt für mich ganz dringende Themen, die in Ansätzen da sind. Das sind manches Mal drei, vier die nichts miteinander zu tun haben. Dann kommt aber ein konkreter Vorschlag von einem Theater und dann habe ich das Gefühl: Jetzt kann ich das alles erzählen. Dann muss ich nur die Konsequenz entwickeln und mir auch sagen: Die Zeit für dieses oder jenes Thema wird kommen. Denn sonst würde ich mit den drei Themen an einem Stück weiterschreiben und an dem Punkt kommen, wo ich sage, das ist jetzt schwächer geworden, als ich es wollte. Und dann kann ich an diesem Punkt nicht fertig schreiben. Dann verwerfe ich es wieder und steige bei einem Thema wieder ein.
Wie ist es für Sie, wenn eines Ihrer Stücke im Schauspielhaus Wien oder auch woanders auf die Bühne kommt und Sie sehen, was damit geschieht? Ist das ein Stück weit eine „Kindesweglegung“ oder kommt für Sie noch einmal etwas zu Ihrem Text hinzu, vielleicht etwas Positives? Oder gibt es da auch Reibungsmomente?
Meistens ist das ein sehr positives Erlebnis, weil ich das Gefühl habe, dass die Leute gezwungen sind, sich mit dem auseinanderzusetzen, was ich geschrieben habe. Und sie haben sich Gedanken gemacht, warum sie es so machen, wie sie es machen. Manches Mal fühle ich mich nicht verstanden, oder ich habe das Gefühl, dass nicht genug Zeit war, mich zu fragen oder sich selbst Gedanken darüber zu machen. Dann wird etwas gespielt oder der Raum so gemacht, dass ich das Gefühl habe, dass das jetzt eigentlich verliert – eigentlich hätte ich da gerne etwas anderes gehabt. Ich habe ja ehrlich gesagt diesbezüglich noch nicht so viele Erfahrungen. „Grillenparz“ wurde inszeniert und „Schubert“, und ich habe für die Serie „Kreisky, wer sonst?“ 2 Abende geschrieben – das sind meine Erfahrungen, die überwiegend positiv waren. Aber es gibt durchaus Punkte, bei denen ich das Gefühl habe, dass es eine Tendenz von neuerem Theater gibt, die meinen Texten nicht unbedingt zuträglich ist.
Welche Tendenz meinen Sie?
Einen Regiezugriff, der versucht, ganz andere Dinge anzureißen, obwohl der Text das gar nicht will.
Waren Sie überrascht, dass sie so schnell auf Ihre Arbeit so ein starkes Echo bekamen?
Ja.
War das für Sie Belastung oder nur Glück?
Nein, das war keine Belastung. Es ist ein gutes Gefühl und ein Ansporn. Ich vermute schon, dass ich eine Außenreferenz brauche, denn sonst würde es dabei bleiben, dass ich die Texte nur für mich rausschreibe. Vielleicht würde ich sogar aufhören.
Was würden Sie dann machen?
Das weiß ich nicht. Aber ich hatte ja nie vor, das so zu machen. Geschrieben habe ich schon lange. Ich habe Theaterwissenschaft studiert und 2008 erzählten mir Studenten, dass das Schauspielhaus eine neue Intendanz hat und sie zeigten mir das Programmheft. Und ich fand darin die Ausschreibung des Autorenförderprogrammes „Stück für Stück“. Ich habe kurz darüber nachgedacht, etwas hinzuschicken und meine Freundin sagte zu mir: „Suder nicht herum, sondern schick was hin!“ Dass das aufgegangen ist, darüber bin ich heute noch erstaunt und sehr froh drüber, weil ich weiß, dass sehr viele liebe Kollegen von mir total hart arbeiten und es ein großes Geschenk ist, dass es bei mir so schnell gegangen ist. Alleine deswegen arbeite ich einfach total hart.
Fühlen Sie sich dadurch auch stärker verpflichtet, da Sie jetzt ja auch wahrgenommen werden?
Das ist ein Gedanke, den mag ich nicht so. Klar ist es so, dass Leute etwas erwarten und sich fragen: Was schreibt er jetzt? Es gibt ja viele junge Autoren, die etwas schreiben und dann auch plötzlich wieder aus der Wahrnehmung verschwinden. Ich bin da nicht blauäugig und versuche, einen eigenständigen Weg einzuschlagen. Schreiben ist etwas Lebenslanges, Langfristiges und man braucht Sitzfleisch und Geduld, und wenn es einmal nicht klappt, dann braucht einen das nicht kümmern. Es ist aber für mich doch eine Verpflichtung, weil ich hoffe, dass sich die Gesellschaft vielleicht doch verändern lässt, und ich will da meinen Beitrag zu einer Welt, die in vielen Dingen nicht so läuft, wie ich es gerne hätte, zur Veränderung einbringen.
Was ist das Wichtigste, was Sie verändern wollten. Was läuft in Ihren Augen ganz falsch?
Es braucht mehr Mut, dass man nachdenkt und dass man nach dem Denken auch Handlungen setzt. Man soll sich nicht einreden lassen, dass Strukturen, die gegeben sind, nicht veränderbar sind. Und es braucht mehr Mut zur Sprache, zum Mundaufmachen.
Haben Sie das in der Schule schon gemacht?
Nein, ich bin im Schreiben viel mutiger als im Handeln und das ist ein Dilemma von mir. Wahrscheinlich schreibe ich deswegen umso intensiver, um das zu kompensieren. Oder dadurch auch einen Mut zum Handeln zu gewinnen. Ich war unauffällig und schüchtern, wahrscheinlich in vielen Dingen jetzt auch noch. Es ist eine totale Chance, so eine exklusive Aufmerksamkeit zu bekommen, bei der ich plötzlich auch das Gefühl habe, da hört dir wirklich wer zu. Deswegen schreibe ich jetzt.