Das Klavier ist ein Teil meines Körpers
29. Oktober 2013
Tomoko Mukaiyama ist eine Künstlerin, die nicht in eine Schublade zu pressen ist. Als Pianistin ausgebildet, lotet sie ihr Künstlersein nicht nur im Bereich der Musik ganz aus.
Michaela Preiner
Interview mit Tomoko Mukaiyama
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Tomoko Mukaiyama ist eine Künstlerin, die nicht in eine Schublade zu pressen ist. Als Pianistin ausgebildet, lotet sie ihr Künstlersein nicht nur im Bereich der Musik ganz aus. Sie tritt ebenso als bildende Künstlerin aber auch als Tänzerin auf und ist ständig dabei, ihr kreatives Ausdruckspotential zu erweitern. Auf dem Imagefolder der Tomoko Mukaiyama Foundation sind folgende Charakterisierungen nachzulesen:
Radical, eccentric, Avant-garde, explorative, classical, feminine, cutting-edge, vulnerable, physical, unusual, confronting, powerful, modern, unconventional, daring, connecting, aesthetic. Die Foundation, an der man sich finanziell beteiligen kann, unterstützt die Arbeit von Mukaiyama, die in Amsterdam lebt.

Shirokuro“ war jene Produktion betitelt, die Tomoko Mukaiyama im Brut an zwei aufeinanderfolgenden Tagen im Rahmen von Wien Modern zeigte. Dabei handelte es sich um die Wiedergabe von ganz verschiedenen musikalischen und tänzerischen Impressionen, die dem Publikum größtmögliche Interpretationsräume lassen. Sie selbst trat nicht nur als tastengewaltige Pianistin auf, die mit sichtbarem Körpereinsatz zwei Sonaten der Russin Ustwolskaja intonierte, sondern auch als Tänzerin.

Beim Interviewtermin hätte man die Künstlerin nicht ohne Weiteres auf Anhieb erkannt. Ihre grauen, glatten Haare standen im krassen Kontrast zur langhaarigen Perücke, die ihr auf der Bühne ein gänzlich anderes Erscheinungsbild verliehen. Im realen Leben verkörpert sie ganz und gar nicht jene wilde Frau, die in Shirokuro das Publikum in seinen Bann zieht.

Wie sie denn dazu kam, außerhalb ihrer studierten Profession als Pianistin tätig zu sein, war die erste Frage.

Als ich nach Amsterdam kam, hatte ich von Beginn an eine Freundin, die als Biologin und Schriftstellerin zugleich arbeitete. Es bereitete ihr überhaupt keine Mühen, zwischen den unterschiedlichen Bereichen zu pendeln. Ich fühle mich in meinen unterschiedlichen künstlerischen Gebieten extrem frei und möchte mich nicht nur auf ein Spezialgebiet fokussieren lassen, in das man sich womöglich ganz eingräbt. Allerdings arbeite ich immer mit dem Klavier. Es ist sozusagen ein Teil meines Körpers geworden und ich kann mich mit und durch das Klavier am besten ausdrücken. Das geht so weit, dass ich das Klavier auch wie beim Stück Shirokuro physisch schmerzend wahrnehme. Die unglaubliche Wucht, mit der ich mich auf die Tasten werfen muss, tut tatsächlich weh.

Sie haben erwähnt, dass alle ihre Projekte sich rund um das Klavier drehen. Sie haben viel darüber nachgedacht, was eine Pianistin oder ein Pianist ist, welche Rolle er oder sie zu spielen hat und wie die Verhältnisse auf der Bühne sich auf das Publikum auswirken. Wie kamen sie überhaupt dazu, über all das nachzudenken? Hat das schon während Ihres Studiums begonnen?

Nein, überhaupt nicht. Es gab zwei einschneidende Erlebnisse, wenn sie so wollen auch „Unfälle“. Das eine war ein Auftritt Maurizio Pollinis in Japan, bei dem ich selbst gar nicht dabei war, von dem ich aber erfahren habe und schockiert war. Er hat dort eine Beethoven Sonate gespielt und wurde ausgebuht, weil er angeblich den zweiten Satz zu langsam interpretiert hatte. Das ist vollkommen lächerlich. Pollini war und ist einer der wichtigsten und bewundernswertesten Pianisten des 20. Jahrhunderts mit ganz eigenen Ansätzen in der Interpretation. Als ich das hörte, musste ich darüber nachdenken, dass im Verständnis der Menschen die Hierarchie der Musiker wie eine Pyramide aufgebaut ist, an deren Spitze der Komponist steht. Die Pianisten stehen viel weiter unten. Das zweite einschneidende Erlebnis war ein Konzert, bei dem ich gespürt habe, dass es zwischen mir auf dem Podium und dem Publikum unten abermals ein Gefälle gab. Und das wollte ich aufheben und nicht akzeptieren. Ich wollte es nicht akzeptieren, als Musikerin nur als Dienerin der Komponisten zu agieren. So habe ich mich daran gemacht, meine eigenen künstlerischen Ideen zu realisieren.

Sie treten in dem Stück Shirokuro als Pianistin auf, die alle gängigen Muster durchbricht, die wir hier in Österreich im Konzertbetrieb kennen.

Ich hoffe nicht nur in Österreich, sondern auf der ganzen Welt!

Man erhält bei diesem Tanzkonzert den Eindruck, als wollten sie sagen: Überwindet herkömmliche Muster, stellt euch einfach hin und macht, was ihr wollt!.

Wenn das so über die Bühne kommt, finde ich das herrlich, denn tatsächlich sollte man komplett frei agieren können. Vor allem als Frau!

Als Tomoko Mukaiyama diesen Satz sagt, hält sie sich ihre linke Hand ganz verstohlen an den Mund, so als würde sie etwas aussprechen, das verboten ist. „Frauen sollten freier sein“, fügt sie noch einmal betonend hinzu und ganz unbewusst schwingt hier mit, was sie in ihrem Leben selbst als Frau erfahren haben dürfte.

In Shirokuro mimen sie eine Frau, die aus Urzeiten in unsere Welt versetzt zu sein scheint.

Ich denke über das, was ich auf der Bühne bin und was wir machen im Vorhinein nie nach. Es kommt einfach, wenn ich an so einem Stück arbeite. Wir setzen dann die einzelnen Teile zusammen und das Publikum kann selbst interpretieren. Wir legen dabei nichts fest.

Es hat den Anschein, als ob sie am Ende des Stückes, nachdem das Klavier mit weißen Tüchern bedeckt ist, eine Art Begräbnis feiern. Einen Abgesang auf unsere technologisierte Gesellschaft.

Das freut mich, wenn Sie diese Schlüsse aus dem Stück ziehen, jede einzelne Interpretation, die individuell ist, freut mich. Ja, und tatsächlich ist es eine Art Ritus, den wir dabei vollziehen.

Geben Sie eigentlich auch noch ganz normale Klavierkonzerte?

Ja, das tue ich selbstverständlich auch.

Was empfinden Sie denn dabei?

Dass das ganz einfache Konzerte sind. Da muss ich mich nicht um die Produktion kümmern, nicht um das Licht usw. Nur Klavier zu spielen ist wirklich ganz einfach. Natürlich sind die Anforderungen groß und die Stücke schwer, aber sich sonst um nichts kümmern zu müssen ist eine große Erleichterung. Ich hatte erst vor Kurzem einen Auftritt in der Suntary Hall, in der ich mit einem Stück von Atsuhiko Gondai, einem japanischen Komponisten, aufgetreten bin. Einige Komponisten mögen mich allerdings nicht, weil ich ihre Stücke manches Mal nur fragmentarisch aufführe oder sie mit anderen mixe. Ich war auch schon bei Veranstaltungen eingeladen, in denen es um historische Musik wie Barockmusik oder Renaissancemusik ging. Den Menschen dort hat das, was ich gemacht habe, nicht gefallen. Ich bin doch besser in einem zeitgenössischen Umfeld aufgehoben, so wie hier bei Wien Modern zum Beispiel. Allerdings bin ich ja nicht ausschließlich Pianistin. Ich mache auch Kunst, wie zum Beispiel die ausgestellten Klaviere, die nicht mehr zu gebrauchen sind, wovon eines mit Nagellack zum Teil bemalt wurde und die ich mit Nocturne 2011 betitelt habe.

Diese Arbeit entstand als Aufarbeitung des Tsunami-Traumas.

Ja genau. Ich habe bemerkt, dass meine unterschiedlichen Tätigkeiten sich aber auch gegenseitig befruchten. Es kann zum Beispiel sein, dass jemand meine Kunstwerke sieht und dabei erfährt, dass ich auch eine Pianistin bin, oder umgekehrt.

Sie brauchen sehr viel Kraft auf der Bühne – trainieren Sie regelmäßig?

Ja, schon, eigentlich täglich. Um die Bewegungen, die ich im Tanz mache gut ausführen zu können, brauche ich vor allem Kraft in den Beinen. Dafür mache ich eine indische Kampfsportart, die mir dabei sehr hilft. Ich habe beim gestrigen Konzert bemerkt, dass ich mich auch beweglicher am Klavier fühle, dass ich nach links und rechts mich stärker verdrehen kann. Ob das gut für mein Klavierspiel ist, weiß ich noch nicht. Ich halte aber nichts davon, wenn man beim Spielen eine gewisse genormte Haltung einnehmen muss. Das ist bei jedem Menschen anders. Glenn Gould saß zum Beispiel in extrem niedriger Haltung am Klavier – ganz anders, als man es machen sollte

Warum machen Sie eigentlich Kunst?

Weil ich viel zu sagen habe und weil ich das und die Erlebnisse, die damit zusammenhängen, mit dem Publikum teilen möchte. Wir alle tragen in uns einen dunklen Teil, den wir nicht zeigen wollen. Das macht uns aber gerade erst zum Menschen. Als Künstler sind wir privilegiert, weil wir diese dunkle Seite ausleben dürfen. Und um noch einmal zusammenzufassen, warum ich Kunst mache: Entweder man wird ein Künstler oder eben nicht!

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