Ronja, Björk und Aleksandra – ein starkes Frauentrio

Ronja, Björk und Aleksandra – ein starkes Frauentrio

An aus, an aus geht das Licht, als Ronja das Buch, aus dem sie vorlesen möchte, zuklappt und wieder aufmacht. Und schon beginnt das Spiel um die Räubertochter unter lautem Kindergelächter.

Im Dschungel Wien läuft derzeit die theatrale Erzählung „Ronja Räubertochter“ nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Astrid Lindgren. Die Regisseurin Mia Constantine übergab dabei Aleksandra Corovic jenen unsichtbaren Regie-Zauberstab, mit dem sie sich ganz alleine auf der Bühne in vielerlei Rollen verwandelt.

Sie ist Ronja, das unerschrockene Räuberhauptmannmädchen, aber auch ihr allerbester Freund Birk, den sie auf einem ihrer Ausflüge kennenlernt. Sie spielt ihren grimmigen Vater, ihre sorgende Mutter aber auch den allergrößten Feind, den Hauptmann der gegnerischen Bande. Das gelingt ihr, indem sie unter anderen die braune Webpelzjacke ihres Vaters umlegt oder das karierte Holzfällerhemd von Birk nah an ihren eigenen Körper hält und die Stimme verändert. Die Kinder verstehen rasch, welcher Charakter sich hinter den verschiedenen Kleidungsstücken verbirgt.

Corovic erzählt die Geschichte von Ronja von ihrem eigenen Zimmer aus. Alles was die Tochter von Mattis und Lovis erlebte, jeder Ort an dem sie war, die Burg ihrer Eltern, der Wald, der voll ist mit gefährlichen Trollen, der Höllenschlund, vor dem ihr Vater sie warnte, entsteht nur in der Phantasie des Publikums. Ein kleiner Bildschirm am Boden hilft Blitz und Donner zu markieren, ein Lagerfeuer oder das Gefieder der heimtückischen Wilddruden sichtbar zu machen. Dabei bleibt Aleksandra bzw. Ronja immer in ihren eigenen vier Wänden. Dass eine Schüssel voll mit Wasser zum reißenden Fluss mutieren kann und sie darin sogar Fische fängt, fasziniert die jungen Zuseherinnen und Zuseher dennoch sichtlich.

Einfühlsam legt die Regisseurin Wert darauf, die charakterliche Entwicklung von Ronja nachzuzeichnen. Ihre erste Rebellion, ihren Drang nach Freiheit, ihre Hilfsbereitschaft, aber auch ihren Mut und ihre Loyalität zu ihrem Freund, der in den Augen ihres Vaters doch den Feinden zuzurechnen ist. Die Geschichte zeigt in ihrem Subtext aber auch auf, dass Eltern ihren Kindern eine gehörige Portion Freiheit zugestehen sollten, wenn sie Wert darauf legen, Menschen zu erziehen, die einmal selbständig und unabhängig ihr Leben meistern können. So wie es Ronjas und Birks Eltern taten.

Gewiss, die Zeiten haben sich geändert. Unsere Kinder leben nicht mehr in Räuberhöhlen oder Burgen und haben nicht mehr die Möglichkeit, im Sommer monatelang den Wald auf eigene Faust zu erkunden. Aber es gibt nach wie vor Mittel und Wege, seinem Nachwuchs lustvolle Eigenverantwortung zu übertragen, vor allem wenn es in Ferienzeiten darum geht, das eigene Ich und das der anderen kennenzulernen. Die Regie-Idee, Ronja die Musik von Björk zur Seite zu stellen, ist äußerst gelungen. Mit 12 nahm die isländische Sängerin bereits ihre erste Platte auf und mit 14 gründete sie ihre eigene Mädchen-Punkband. Als „sisters in crime“ dürfte Mia Constantine die beiden erkannt haben und mit Aleksandra Corovic, die Ronja lebendig werden lässt, sind die drei ein starkes Frauentrio.

Eine rund 10-minütige Kürzung würde dem Stück sicher gut tun, auch wenn dafür Details aus der Geschichte gestrichen werden müssten. Volksschulkinder hätten dann sicher auch kein Aufmerksamkeitsproblem. Zu beachten gilt das Alterslimit, denn unter 6-Jährige könnten mit dem raschen Rollenwechsel unter Umständen Zuordnungsschwierigkeiten haben.

Empfehlung an die Eltern, Lehrerinnen und Lehrer: Eine vorherige Einführung mit der Erklärung der Hauptcharaktere kann hier den Spaß des Zusehens noch unterstützen.

Termine für weiter Vorstellungen auf der Seite vom Dschungel Wien.

Advent im Dschungel – Musik und Action

Advent im Dschungel – Musik und Action

Weihnachtsvorbereitungen sind meist mit Hektik verbunden. Die Stadt mit ihren vielen Lichtern und kleinen Weihnachtsständen ist zwar schön, aber mit Kindern an der Hand kann sie das Nervenkostüm schon einmal gehörig strapazieren. Wer sich da einmal eine Stunde ausklinken und sich und seinem Nachwuchs etwas Gutes tun möchte, der kann dies im Advent im Dschungel tun.

Für die ganz Kleinen (2+) lädt „Mama singt Geschenke“ zu einer musikalischen Stunde ein. Eine Auszeit, die Balsam für die Ohren der Großen bedeutet und wahrscheinlich ganz neue Klangerlebnisse für die Kleinen bietet. Denn Marie-Christiane Nishimwe erzählt keine Geschichte, sondern sie singt sich durch ihren Alltag. Und der hat es in sich. Eine kleine, kuschelige Wohnung mit einem großen Schminkspiegel, vielen Koffern und einer wunderbaren Badewanne – mehr braucht sie nicht, um sich wohl zu fühlen.  Die junge Sängerin bringt kein Wort über ihre Lippen, dafür singt sie mit Leidenschaft. Ob eine Vivaldi-Koloraturarie, ob aus Bizets Carmen, ob Edith Piafs „No je ne regrette rien“ oder ein Lied von Atahualpa Yupanqui – Nishimwe zeigt, wie vielfältig ihr Repertoire ist. Dass es den Kleinen dabei nicht langweilig wird, dafür sorgt die Regie von Stephan Rabl.


Ein Duschkopf bekommt ein Eigenleben, ein Schaumbad wird zum Erlebnis-Spa, ein kleiner Koffer rastet aus und Styroporköpfe wachsen nacheinander aus Schubladen. Die 26-Jährige Sopranistin stammt aus Ruanda und studierte in Wien Gesang. Ihre unglaublich fröhliche und positive Ausstrahlung schwappt rasch auf das Publikum über. „Mama singt Geschenke“ hat zwar einen enigmatischen Titel, der sich tatsächlich nicht enträtseln lässt, davon aber abgesehen ist es eine musikalische Revue, bei der man vielleicht auch einen zukünftigen Star von der Nähe kennenlernen kann.

 

Die zweite Empfehlung, allerdings erst für Kinder ab 6 ist „Peter Pan“.

Die allseits bekannte Geschichte um jenen Jungen aus dem Nimmerland, der nicht und nicht erwachsen werden will, wartet mit einem tollen Ensemble auf. Einige Darstellerinnen und Darsteller sind in Mehrfachbesetzungen zu sehen, die von den Kindern wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen werden, so fein schlüpfen sie in die unterschiedlichen Rollen. Die Regisseurin Julia Burger setzt nicht auf ein großes Bühnenbild mit grellen Kostümen, sondern vielmehr auf ein pralles Spiel und Phantasie beim Zuschauen. Da wird der Weg ins Heim der Lost Boys (Viviane Podlich und Rino Indiono) zur Kletter- und Fahrstuhlpartie ohne Requisiten und auch die Insel selbst und das Schiff, mit dem Hook unterwegs ist, gibt es nur in der eigenen Vorstellung. Aber der bunte Sternenhimmel, der nach der ersten Szene sichtbar wird, entlockt dem jungen Publikum ein bewunderndes „wow!“ Geschickt schweben vor ihm Peter (Sven Kaschte in schwarz-silbernem Overall) und Wendy (Mira Tscherne) an dicken Gummigurten durch die Lüfte.

Schön eingebaut sind die musikalischen Szenen und die Tanzeinlagen, die sich ganz organisch einfügen. Ein klein wenig runder könnten manche Szenenwechsel gestaltet sein. Dass die Emotionen auch wirklich überschwappen, hört man, wenn zum großen Showdown auf den Rängen getrampelt wird, was das Zeug hält. Oder unisono mit den Zungen geschnalzt, als es gilt, das Krokodil anzukündigen, das Kapitän Hook an den Kragen will. Zuvor jedoch muss Glöckchen – einfach hinreißend und umwerfend von Steffie Jöris gespielt – noch durch alle emotionalen Hoch und Tiefs durch, die eine Freundschaft mit Peter so mit sich bringt. Wie nebenbei lernt man, dass man Freunde ruhig auch teilen kann. Jörris nonverbales Spiel mit ihren ungestümen Bewegungen bezaubern nicht nur vom ersten Augenblick, sondern bringen auch viele Lacher mit sich. Maartje Pasman wiederum beeindruckt vor allem als kämpfender Hook, der nicht nur auf der Bühne mit seiner Hakenhand bedrohlich aussieht, sondern sich mit Peter Pan auch auf der Treppe im Zuschauerraum ein Gefecht liefert.

Eine Interpretation, die vor allem auf viel Live-Action setzt. Spielekonsolen können da wohl kaum mithalten.

Weitere Informationen auf der Internetseite des Dschungel Wien.

Es kann ja nicht jeder denselben Geschmack haben

Es kann ja nicht jeder denselben Geschmack haben

„Zwischen Rosarot und Himmelblau“ ist genug Platz für viele andere Farben. Christina Rauchbauer zeigt im Dschungel mit drei Tänzerinnen, dass Mädchen und Buben eine große, gemeinsame Schnittmenge haben.

Das Licht geht aus und es beginnt leicht zu grollen. Theaternebel steigt auf, ein kleiner Glasfelsen öffnet sich und heraus rollt langsam, ganz langsam eine Menschenkugel über den Boden. Sunia Asbach, Lisbeth Bitto und Simone Kühle stecken in cremefarbigen Overalls. Ihre Haare sind streng zurückgekämmt, auf ihren Köpfen sind kleine, weiße Zylinder angebracht. Das Gesicht, halb weiß geschminkt, lässt erkennen, hier handelt es sich um Außerirdische. Die drei Ifos unternehmen eine Reise auf die Erde, um mehr von ihr und den Menschen zu erfahren.

Bald schon marschieren sie über die Bühne und sammeln sich immer wieder unter einem Lichtkegel, um Informationen von ihrem Mutterstern zu empfangen. Sandra Hanschitz schuf mit einzelnen „Bausteinen“ aus Plexiglas ein variables Equipment, das zu einer Häuserzeile, einem Hochhaus, aber auch zu den Worten Mädchen und Buben zusammengesetzt werden kann. Eine sehr einfühlsame Lichtführung erfreut das junge Publikum und erstaunt es von ein zum anderen Mal aufs Neue. Die Choreografie, die Anleihen an viele große Vorbilder des zeitgenössischen Tanzes nimmt, lebt nicht von Effekthascherei. Vielmehr gehen die Bewegungselemente wie ein ruhiger Fluss beständig ineinander über, bieten aber zwischendurch immer wieder auch überraschende Bilder.

Der Text, der via Lautsprecher eingespielt wird, stammt aus einem Rechercheprojekt, zu dem Kinder viele Originalzitate beigesteuert haben. Diese sind – zumindest im Bühnenbereich, auf dem links und rechts auch Sitze angebracht sind – leider schwer zu verstehen. Die Grundaussage des Stückes ist, dass Mädchen und Buben die Dinge machen sollten, die sie gerne machen. Ganz unabhängig davon, ob diese geschlechtsspezifisch konnotiert sind. Diese Botschaft wird vor allem im letzten Drittel der Vorstellung deutlich. „Mädchen!“, „Buben!“, rufen die Kinder laut, als sie erkennen, was die Tänzerinnen gerade imitieren. Beim Rasieren ist dies eindeutig, aber beim Videospielen schon nicht mehr so. Die Szene, in welcher beständig zwischen einem Baseball-Spiel und klassischem Ballett gewechselt wird, ist choreografisch besonders gut gelungen.

Fünfjährige werden wahrscheinlich mit den vielen Fremdworten, die im Text vorkommen, wenig anfangen können. Das Geschehen auf der Bühne macht dieses Manko aber wett. „Es kann ja nicht jeder denselben Geschmack haben“, hört man an einer Stelle ein kleines Mädchen sagen. Eine weise Erkenntnis von einem Dreikäsehoch, die sich viele Erwachsene nicht eingestehen können.

Von einem der auszog, die Wut zu verlernen

Von einem der auszog, die Wut zu verlernen

Im Dschungel Wien hatte am 11. November „Robinson“ Premiere. Ein flottes Musiktheater für Kinder ab 10 Jahren, das in Zusammenarbeit mit Wien Modern zustande kam.

Der Komponist Hannes Löschel hatte schon vor einigen Jahren die Idee dazu. Gemeinsam mit dem Autor Peter Ahorner schuf er nun ein Werk, das von einem Jungen erzählt, der auf eine kleine Insel gespült wird.

Nicht ganz unabsichtlich. Denn Robinson hielt es vor lauter Langeweile auf einem Kreuzfahrtschiff nicht mehr aus und enterte einfach ein kleines Ruderboot. Seine Eltern, sowie ein junges Mädchen, das er kurz zuvor kennenlernte, sind starr vor Schreck. Er aber rudert durch die Wellen einer unbekannten Zukunft entgegen.

Dass es auf der Insel weder Strom gibt, um das Handy aufzuladen, noch eine warme Mahlzeit oder ein frisch gemachtes Bett, all das erfährt Robinson schon nach kurzer Zeit. Und so beginnt für ihn eine emotionale Achterbahn. Hannes Löschel war es wichtig, all die Gefühle, die ein Jugendlicher in sich trägt, angefangen von Wut über Einsamkeit, Sehnsucht Angst, Lust, sowie Liebe und Glück in einzelnen Songs auszudrücken. Anton Widauer in der Rolle des Robinsons ist extrem bühnenpräsent und mit einer unglaublich voluminösen Stimme ausgestattet. Er könnte sich sicher in großen Häusern ohne Mikrofon bis in die letzte Reihe verständlich machen. Die Spiegelung seiner Rolle durch zwei zusätzliche Personen ermöglichen es, seine Gefühle nach außen hin noch sichtbarer zu machen. Die Wut, die er in sich trägt, aber auch die Verlegenheit im Angesicht seiner ersten Liebe, kommen von ihm völlig authentisch über die Bühne.


Das Streicherensemble Chroma und Robert Pockfuß an der E-Gitarre unterstützen den 10-stimmigen Chor. Dieser schlüpft in viele Rollen. Schiffsbesatzung und Urlaubende, Bäume und Vögel werden von ihm dargestellt. Die musikalische Bandbreite reicht von Rockig-Poppigem mit harten Gitarrenriffs, einem melodiösen Streichquartett bis hin zu richtigen Ohrwürmern mit ausgefeiltem Chorsatz. Feine musikalische Akzente, wie die Unterstützung von fliegendem und krabbelndem Getier durch das Pizzicato leiser Streicher, aber auch die Einspielung von Originalsounds wie das Dröhnen von Schiffsmotoren oder Vogelgezwitscher, beleben das Geschehen extrem. Da braucht es nicht viel Bühnenbild (Hanno Frangenberg) – einige große Leitern, Tücher und Pölster, ein paar Bullaugen sowie einen lebendigen Stein, um die jeweilige Umgebung gut zu veranschaulichen. Die Kostüme (Dorothee Redelsteiner) zeigen Matrosen, das gut betuchte Elternpaar in Sommeroutfit, einen am Stock gehenden Greis in Badehose, „ui, diese Krampfadern!“, aber auch die beiden Kinder, Robinson und seine Freundin, in T-Shirts, Boxershorts und Hängerkleidchen.

Der zornige Junge macht auf der menschenleeren Insel eine radikale Wandlung durch. Er, der alle zum Teufel wünschte, ist schon nach kurzer Zeit von seiner Misanthropie geheilt. Im Text können sich Kinder, vor allem jene, die sich mit der Pubertät abplagen müssen, sehr gut wiederfinden. Robinson spricht das Unverständnis der Erwachsenen an, aber auch seinen unbändigen Willen zur Freiheit. Die ersten Liebesgefühle sind für ihn schwer zu artikulieren und als er schließlich doch von seiner Freundin gefunden wird, muss sie ihm erst einmal sagen, dass er deswegen dumm ist. Hannes Löschel erklärte bei einem Interview, dass es ihm im Stück auch darum ging, aufzuzeigen, dass Buben Gefühle zeigen dürfen. Sein Liebeslied – „du hast deine Augen so passend zur Sonne getragen“- peppt er mit einer zusätzlichen Stimme der E-Gitarre auf. Alles, was zu hören ist, macht große Lust, nachgesungen zu werden. Judith Thaler tritt in einer Mehrfachrolle als Mutter, Freundin aber auch weibliches Alter-Ego auf und bestärkt vor allem die Zuseherinnen durch ihre offene Art, Probleme zu artikulieren. Florian Buchner wiederum ist sowohl der männliche Schatten, als auch der Vater von Robinson, der sich lieber in der Kommunikation hinter seiner Frau verschanzt.

Klar, dass Robinson nicht auf der Insel versauert, sondern, wie schon verraten, gefunden wird. „Was jetzt?“, ist die allerletzte Frage, die Robinson seiner Freundin stellt, bevor die Lichter ausgehen. Das abrupte Ende ist ein kleiner Wermutstropfen und eine vergebene Chance, den Sack der sonst runden Vorführung zuzumachen. Die Jugendlichen mit einem Wohlfühlfaktor nach Hause zu entlassen, ist keine Schande. Es muss nicht immer weiter gegrübelt werden. Hannes Löschel hätte für ein Finale grande sicher eine tolle musikalische Idee gehabt.

Eine Welt ohne Musik ist zum Scheitern verurteilt

Eine Welt ohne Musik ist zum Scheitern verurteilt

Sie sind Außerirdische, lieben die Farbe Rot und hassen Musik. Ja Musik ist sogar das Einzige, was sie auf ihrem Siegeszug auf unserem Planeten stoppen kann.

Im Muth, der Konzerthalle der Wiener Sängerknaben, kam Gian Carlo Menottis Kinderoper „Hilfe, Hilfe, die Globolinks“ zur Aufführung. In der Zusammenarbeit der Wiener Sängerknaben mit Studierenden der Musikuniversität Wien und dem Orchester der Schubert-Akademie unter der Leitung von Oiver Stech durften einige der Sängerknaben in Chorrollen, andere in reine Schauspielrollen schlüpfen. Die Musik, die sich zwischen 2. Wiener Schule, Elektronikeinspielungen und wohlklingenden Melodien im Dur/Moll-Gefüge bewegt, ist weder für die Interpretinnen und Interpreten, noch für die Kinder im Publikum wirklich leicht. Umso verblüffender war das Ergebnis. Eine professionelle Darbietung auf der Bühne und hoch interessiertes, junges Publikum, das viel Spaß am Geschehen fand.

Die Grundaussage, dass nur Musik die Welt lebenswert macht, erhält das Werk durch eine Invasion von Außerirdischen. Wer sich ihnen mit Musik in den Weg stellen kann, hat gewonnen, wer nicht, wird in einen Globolink verwandelt. Das Bühnenbild (Marlies Pfeifer) wird durch projizierte, bewegte Zeichnungen lebendig, in denen der Weg von Emily nachgezeichnet wird, die sich auf den Weg durch die Wälder macht, um Hilfe für jene Schüler zu holen, die mit einem Bus im Nirgendwo stecken geblieben sind.

Witzig, wie Rainer Vierlinger in seiner Regie das Lehrpersonal der Schule höchst überzeichnet – ein großer Spaß für die kleinen Zuseherinnen und Zuseher, die darin bestimmt die eine oder andere Ähnlichkeit mit Lehrerinnen oder Lehrern entdecken. Madame Euterpova, die Musiklehrerin, ist nicht nur eine moralische Instanz, die allen klar macht, dass ein Leben ohne Musik nicht lebenswert ist. Sie hat sich auch ausgerechnet den unmusikalischen Direktor als zukünftigen Mann ausgesucht. Als dieser dann aber aufgrund seiner musikalischen Unfähigkeit tatsächlich mit den Globolinks ins All entschwindet, hält sich ihre Trauer aber in Grenzen. Das Ensemble der Musikuniversität brachte durchgehend gute Leistungen, die durch komödiantisches Talent noch ergänzt wurden. Ein ambitioniertes Unterfangen, das für die meisten Kinder wahrscheinlich das erste Mal neue Hörerfahrungen abseits von Pop und Rockmusik anbot.

Die Solistinnen und Solisten waren für die Vorstellungen teilweise doppelt besetzt.
Emily: Da-yung Cho / Jaeyeon Choi, Madame Euterpova: Raquel Paulo / Meeri Pulakka, Schuldirektor: Saeyong Park /Yohan Cho, Busfahrer: Sreten Manojlovic / Dániel Foki, Schuldiener: Changyun Jeong / Huidon Lee, Mathematiklehrerin: Nefeli Kotseli / Mareike Jankowski, Literaturprofessor: Leo Hyunho Kim, Prof. für Naturgeschichte: Unnsteinn Árnason

Kleine Kinder und große Weltprobleme

Kleine Kinder und große Weltprobleme

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Der wohl bekannteste Ausspruch von Erich Kästner ist der letzte Satz in der Inszenierung von „Pünktchen und Anton“.  Derzeit im Kasino am Schwarzenbergplatz, der Burgtheater-Außenstelle, zu sehen. Cornelia Rainer ist nicht nur für die Regie, sondern auch für eine neue Dramatisierung verantwortlich.

In ihrer Fassung führte sie die Figur des „Schriftstellers“ in das Geschehen ein. Unschwer ist zu erkennen, dass damit Erich Kästner selbst gemeint ist. Die soziale Kritik, die auch in „Pünktchen und Anton“ vorkommt, ist wahrscheinlich dafür verantwortlich, dass der Autor, der mindestens zwei Kindergenerationen literarisch prägte, derzeit wieder vermehrt im Kulturgeschehen auftaucht. In dem 1931 erschienen Roman lässt er zwei unterschiedliche gesellschaftliche Klassen aufeinandertreffen. Die reiche Familie Pogge, in der die „Pünktchen“ genannte Tochter wohlbehütet aufwächst, trifft auf Frau Gast und ihren Sohn Anton. Antons Mutter wurde operiert und muss immer wieder ins Krankenhaus, sodass während dieser Zeit Anton sich in der ärmlichen Wohnung selbst überlassen ist.

Rainer arbeitet bei den Kindern mit Mehrfachbesetzungen. Bei der Premiere schlüpften Adriana Gerstner und Florian Klingler in die Titelrollen. Adriana gab ein hinreißend quirliges Pünktchen, dem ihre gesamte Familie inklusive der Kinderfrau, Fräulein Andacht, nicht Herr wird. Adina Vetter durfte in dieser Rolle ihr komödiantisches Talent zum Einsatz bringen. Vor allem ihr Vertauschen der Vorsilben ver-, ge- und be- war das ganze Stück über nur zu verzücklich! Die Überzeichnung der Charaktere, die viel zum Verständnis von Pünktchens Nöten beitragen, sind für das Ensemble ein Geschenk.

Dirk Nocker, der als Pünktchens überspannter Vater überzeugt, nervt seine Haushälterin, Frau Berta (Brigitta Furgler), mit der beständigen Frage nach seinen Tabletten. Zwei Tage vor Premierenbeginn erkrankte Sylvie Rohrer, die seine Ehefrau spielen sollte. Christina Cervenka, die als Kindermentorin bei der Produktion mitarbeitete, sprang ad hoc ein. Ihre Performance wirkt alles andere als improvisiert. Mal mit Migräne behaftet, mal in Eile auf dem Weg zum Theater, mal besorgt um ihre Tochter, mal ihrem Mann gute Ratschläge erteilend, saß jede Geste und jeder Satz. Sie bewies mit diesem Auftritt nicht nur Nervenstärke, sondern auch ihre schauspielerischen Fähigkeiten. Herausragend, wohl auch da er neben seiner Rolle als Schriftsteller noch zig andere verkörpert, agiert Martin Schwab. Ob als Wachtmann oder als Penner, ob als Chauffeur oder Krankenpflegerin – sein Spiel der so unterschiedlichen Persönlichkeiten macht Riesenspaß. Dabei genügt ihm ein veränderter Tonfall oder ein kleines Kostümattribut und schon schlägt der Theaterzauber von Neuem zu.

Rainer nutzte beinahe die gesamte Bühnenbreite. (Bühne Stefan Wallensteiner und Dominik Hofmann) Der Grundriss der beiden gegenüberliegenden Wohnungen ist am Boden markiert – ein Hinweis auf jenen gezeichneten Wohnungsplan, den Fräulein Andacht im späteren Verlauf der Geschichte für ihren Liebhaber Robert erstellen wird. Robert Reinagl, wie ein Strizzi mit Hut, Einstecktüchlein und rosa Sakko als Frauenverführer herausgeputzt, darf am Ende der Vorstellung in einer ganz anderen Verkleidung die Kinder herzlich zum Lachen bringen. Was das ist, wird hier allerdings nicht verraten. Ein hoher Kühlschrank, ein Bett mit Bettzeug, ein großer Tisch mit Sesseln, ein schwarzes Klavier – damit wird die Pogge-Wohnung markiert. Gegenüber ein Bett, zu Beginn sogar ohne Matratze, ein kleiner Eiskasten und ein Sessel, das ist alles, was Familie Gast hingegen aufzuwarten hat. Der schwarze, große Mülleimer vor ihrer Bleibe markiert das schlechte Viertel, in dem sie wohnt.

Die Regisseurin erzählt die Geschichte zu Beginn in langsamem und gut nachvollziehbarem Tempo. Gut so, denn es dauert eine Zeit, bis man sich auf das gleichzeitige Geschehen von allen Beteiligten auf der Bühne eingesehen hat. Durch die permanente Sichtbarkeit der beiden Wohnungen kann das Leben bei den Pogges und jenes bei den Gasts parallel beobachtet werden. Florian Klinger kämpft als Anton für sich und seine Mutter ums nackte Überleben. Mit feinem Sinn für Zwischentöne gelingt dem Jungen die Darstellung von Verzweiflung und Angst, aber auch einer noch jugendlichen Ausgelassenheit, als er mit Pünktchen in wildem Galopp über die Bühne fegt. Sein Schulkamerad und zugleich Erzfeind, Klepperbein, hat eine gänzlich andere Strategie, um mit dem Leben im Großstadtdschungel umzugehen. Merlin Miglinci schlendert breitbeinig seinem Widersacher entgegen und hat großen Spaß daran, auch die Erwachsenen mit seinen ersten Erpressungsversuchen zu erschrecken. „Erwachsene im Kindertheater nicht mitzudenken, wäre zu kurz gegriffen“, erklärte Cornelia Rainer in einem Interview. In ihrer neuen Inszenierung beweist sie, wie schon in ihren Arbeiten zuvor, dass sie sich sowohl dem jungen Publikum als auch dessen Begleitpersonen widmet.

Der Einschub eines vertonten Gedichtes, in dem die Nacht in der Großstadt geschildert wird, gerät dabei zur Sozialkritik ganz in Brecht´scher Manier. Für Kinder wird es vielleicht nur atmosphärisch, für die Erwachsenen aber wohl in mehreren Sinnebenen erfassbar sein.

Es sind zwei Elemente, die diese Inszenierung neben den schauspielerischen Leistungen allerdings zu etwas Besonderem machen. Zum einen die Idee, ein Kinderorchester live spielen zu lassen. Es darf mit einem flotten Marsch, einem Walzer oder einer traurigen Elegie auf der Bühne agieren, oder einmal auch direkt von den Zuschauerrängen aus spielen. Ein Solo auf dem Klavier ist ebenso eingebaut wie ein jazziges mit einer Trompete. Der Charme, der von diesen Auftritten ausgeht, ist nicht allein auf die professionelle Darbietung der jungen Musikerinnen und Musiker zurückzuführen. Vielmehr wird damit das Theater als live performtes Gesamtkunstwerk erlebbar, auch was die Musik betrifft.  Zum anderen gelingt Rainer mit einem Trick eine Spiel-im-Spiel-Situation. In dieser kurbelt sie gehörig am Tempo, und bringt mit einer Slapsticknummer nach der anderen das Publikum zum Lachen. Auch die Auflösung jener Szene, bei der Frau Berta die Polizei zu Hilfe rufen muss, strotzt nur so vor Witz und Regieeinfällen.

Ob die Familie Pogge nun tatsächliches „Gutes“ tat, im Sinne Erich Kästners geforderter Nächstenliebe, diese Frage bleibt Rainer schuldig. Die Kinder dürfen mit ihren Eltern am Nachhauseweg diskutieren, ob sie Pünktchen und seine Mutter aufgenommen hätten. Oder andere bedürftige Familien; es sind derer nicht wenig, die derzeit in unserem Land Hilfe bräuchten.

Eine spannende Vorstellung abseits von Kinder- und Jugendtheater-Klischees, die gerade deswegen auch sehr inspirierend ist.

Im Dezember ist eine weitere Rainer-Inszenierung für Jugendliche im Kasino des Burgtheaters angesetzt. Hamlet, Ophelia und die anderen.

Weitere Informationen auf der Burgtheater-Internetseite.