Janáček in der Kirche

Janáček in der Kirche

Michaela Preiner

Foto: ( Werner Kmetitsch )

16.

April 2023

In Graz erfuhr die Oper Katja Kabanova von Leoš Janáček mehrere inhaltliche Umdeutungen durch die Regisseurin Anika Rutkofsky. Manche dürfen diskutiert werden.

Eine Oper mit der Länge von nur eindreiviertel Stunden muss ein Libretto vorweisen, welches eine Handlung, die sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen erstreckt, gekonnt zusammenfasst. Leoš Janáčeks Text zu seiner Oper ‚Katja Kabanova‘ holpert jedoch ein wenig dahin. Das mag daher rühren, dass er selbst den Text nach einem Drama des Russen Alexander Nikolajewitsch Ostrowski (1823 – 1886) auf ein Kondensat zusammengestrichen hat, welches so manche darin vorkommende Figur charakterlich nicht wirklich erklärt. Ostrowski hat sein Drama unter dem Titel „Gewitter“ 1859 veröffentlicht, was insofern bemerkenswert ist, als der Schriftsteller die Scheinheiligkeit der Gesellschaft im Hinblick auf Ehebruch und sexuelles Verlangen sowie die Unterwerfung in einem familiären System zu den Hauptthemen seines Stückes machte. Bei uns wenig bekannt, gehört er zu den Großen der russischen Literatur und übte starken Einfluss auf Leo Tolstoi aus.

Interpretationsspielraum oder Verwirrung?

In der Oper Graz erlebte das Werk am 18.3.2023 seine Premiere, wofür das Team um die Regisseurin Anika Rutkofsky mit einigen Regieeinfällen die ohnehin schon etwas schlingernde Handlung weiter verkomplizierte, sodass sich am Ende die Frage stellt: Wie viel Interpretationsspielraum, wie viele mythologischen Verweise, wie viele Handlungsumdeutungen verträgt ein Stück, um dennoch verständlich zu bleiben? Wie sich zeigt, führen große Bemühungen manches Mal nicht immer zum Ziel.

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Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“ an der Oper Graz ( Foto: © Werner Kmetitsch)


Womit die Kritik bei ihrem Kern angelangt ist. Die Regisseurin versetzt das Geschehen in ein kirchliches Umfeld, genauer in das Innere einer orthodoxen Dorfkirche. Der bei Ostrowski und Janáček noch als Kaufmann ausgewiesene Dikoj, (Wilfried Zelinka) wird zum Popen der Gemeinde, sein Neffe Boris, der ihm anvertraut wurde, zu seinem Novizen. (Arnold Rutkofski) Die Idee, die Geschichte in einen orthodox-religiösen Kontext zu stellen, schiebt die eigentliche Aussage, dass jede Gesellschaft scheinheilig ist und Sündenböcke sucht, vom Grazer Publikum weit weg. Vielmehr verleitet diese Konstellation vom roten Plüschsessel der Oper aus mit dem Finger auf ein System zu zeigen, das „so bei uns nicht vorkommt“.

Gleich in den ersten Minuten, nachdem sich der Vorhang gehoben hat, wird man Zeuge, wie ein Mann auf einer Leiter das kommunistische Sichelsymbol von einem Kirchenfenster abwischt, welches später durch ein Marienbildnis ersetzt werden wird. Damit ist der Zeithorizont, in welchem sich das Drama abspielt, geklärt. Man befindet sich offenbar kurz nach dem Zusammenbruch der UDSSR. Vor dem Kircheninnenraum erstreckt sich eine blau gekachelte Wand mit einem Einstieg, wie man ihn von Schwimmbädern her kennt. Im zweiten Akt wird sich dieses Schwimmbad noch um ein Zimmerchen erweitern, das als Liebesabsteige dienen wird. Hier gibt das Programmheft Erläuterungen: „Der Bühnenraum von Eleni Konstantatou – eine Schwimmbadkirche – macht den Systemwechsel architektonisch sichtbar: Hierfür steht die St.-Petri-Kirche einer protestantischen Gemeinde nahe des Newski Prospekts Pate, die im Kommunismus zum Schwimmbad umfunktioniert wurde. Heute wird auf dem abgedeckten Becken wieder Messe gefeiert, wobei der Altarstein noch an das Sprungbrett erinnert.“

Die Reduktion der Aussage des Stückes durch den orthodox-religiösen Rahmen

Die Verlogenheit der Gesellschaft, die Ostrowski in seinem Drama aufzeigte, wird in der Grazer Opernfassung zu einer Bigotterie herabgestuft, in der weder für eine tiefgläubige religiöse Erleuchtung noch für ein öffentliches Bekenntnis der eigenen Fehlbarkeit Platz ist.

Katja Kabanova (Marjukka Tepponen), die junge Ehefrau von Tichon (Matthias Koziorowski) steht ganz unter der Kuratel ihrer despotischen Schwiegermutter, die ihren Sohn nicht von der mütterlichen Leine lässt. Als dieser zwei Wochen das Dorf verlassen muss, schwant seiner Frau Unheil. Sie spürt, dass ihre bis dato nicht ausgelebte Sexualität Anlass zu einem Ehebetrug sein wird. Und tatsächlich dauert es nur wenige Stunden, bis sie sich Boris, Dikojs Neffen, hingibt, der sie bis dahin nur von der Ferne anhimmeln konnte.

In jener Szene, in welcher die beiden jungen Leute zueinanderfinden, geht es auf der Bühne in allerlei parallel gezeigten Paarungsvarianten freizügig zu. Anhand der Kostüme wird man später erkennen, dass Mitglieder der religiösen Gemeinschaft, die sich in der Kirche ständig bekreuzigen, Moral offenkundig nur vom Hörensagen kennen.

Janáčeks herausragende Musik als Rettungsanker

So verschwurbelt das Libretto und die Inszenierung an sich auch daherkommen, so wohltuend steht ihnen die Musik von Leoš Janáček mit dem Dirigat von Roland Kluttig gegenüber. Neben aufbrausenden Klängen mit harten und tiefen Bläsern, die Unheil verkünden, stehen höchst lyrische Passagen, die tief in verschiedene Seelenzustände eintauchen lassen. Katja Kabanova selbst ist mit mehreren wunderbaren Arien ausgestattet, die Tepponen im Laufe der Vorstellung immer glanzvoller interpretiert. Herausgestrichen soll auch ihre schauspielerische Darstellung dieser jungen Frau werden. Jegliche Emotion, jegliches Geschehen, über das sie berichtet, kommt authentisch beim Publikum an. Herrlich anzuhören sind auch jene Volksliedmotive, die der Komponist dem Charakter von Kudrjasch (Mario Lerchenberger) zugeordnet hat. Die Womanizer-Rolle, die er in Graz verkörpert, schieben diese innigen Melodien in die Schublade eines kaltblütigen, ausgebufften Verführers, wodurch sie nur im ersten Moment lieblich wahrgenommen werden können.

In Janáčeks Kompositionstechnik kann man häufig den Klang einzelner vorgetragener Worte und ganzer Sätze gut nachvollziehen. So wartet die Rolle der Schwiegermutter (Iris Vermillion) von Katja mit einigen harten und kantigen Einsprengseln auf, in welchen auch der Satz „Die Menschheit will betrogen werden“ ausgesprochen wird. Kleine, auf- und ab wiegende Melodiekaskaden hingegen lassen jene Vögel hörbar werden, die Katja sowohl besingt, als sie daran denkt, wie gerne sie doch frei wäre. Sie kommen jedoch noch einmal vor – kurz bevor die junge Frau, ausgestoßen von der Gesellschaft, den Freitod wählt. Dass letztlich auch Katjas Ehemann Tichon der gesellschaftlichen Lynchjustiz zum Opfer fällt, da er sich in der Grazer Version als homosexuell outet, ist ebenfalls ein Regie-Einfall von Anika Rutkofsky.

Das Kostümpotpourri von Marie Sturminger lässt eine Gesellschaft erkennen, die, ländlich geprägt, nichts vom Chic der oberen Zehntausend in Moskau vorweisen kann. Einzig der Prunkornat des Popen und die blendend weiße Sonntags-Staffage von Kabanicha, der bösen Schwiegermutter, vermitteln Glanz und damit zugleich auch ihren Obrigkeitsanspruch.

Ein hervorragendes Ensemble sorgt für einen gelungenen Abend

Musikalisch agiert das Ensemble extrem einheitlich auf hohem Niveau. Es gibt keinerlei Ausreißer nach unten, was der Aufführung sehr guttut. Neben den schon genannten sind Mareike Jankowski als Schwägerin und Martin Fournier in der Rolle von Kuligin hier noch hervorzuheben. Es ist die Leistung der Sängerinnen und Sänger und auch des Orchesters, welche den Abend in der Grazer Oper zu einem Erlebnis werden lassen. Auch, wenn man über die Inszenierung an sich heftig diskutieren kann.

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