Zwischen Hoffen und Bangen

Zwischen Hoffen und Bangen

Michaela Preiner

Foto: ( )

1.

Oktober 2019

Ein höchst poetisches Stück, das neben konkreten Gedankenimpulsen dennoch viel Freiraum für eine Eigeninterpretation lässt.

Die Bühne ist dunkel. Eine zarte, junge Frau sitzt im Bühnenhintergrund und begibt sich langsam nach vorne an die imaginäre Rampe. Dort stellt sie sich auf einen Stapel von weißem DIN-A-4-Papier und beginnt sich langsam darauf zu drehen. Bald wird eine Geste sichtbar. Der ausgestreckte Zeigefinger, der von ihr weg zeigt, richtet sich langsam gegen sie. Noch einmal wird diese Geste sichtbar werden – am Ende des Stückes „Annefrank“ der Gruppe MovementLazuz. Uraufgeführt wurde es in Klagenfurt im Rahmen des Festivals für zeitgenössischen Tanz und Perfromance „Pelzverkehr“.

Die tragische Geschichte von Anne Frank wird Kindern und Jugendlichen in vielen Schulen vermittelt. Dass es aber auch einen gänzlich anderen Zugang zu dieser Thematik gibt, zeigte die Arbeit der Choreografin und Tänzerin Anna Possarnig und des Künstlers Ulrich Kaufmann. Im Rahmen des Festivals „Pelzverkehr“ nahmen mehrere Schulklassen an der Uraufführung dieser Arbeit teil. In ihr legt das Künstlerduo keinen Wert auf die Vermittlung von Fakten. Vielmehr geht es darum, den Zustand des Gefangenseins, den Anne mit ihren Eltern in Amsterdam während des 2. Weltkrieges erleben musste, emotional nachvollziehbar zu machen.

Dafür verwendet Possarnig eine breite Palette an Bewegungseinheiten. Mit Bedacht gesetzte Schritte, die zugleich eine Papierspur hinterlassen, jugendliche, freudvolle Drehungen, die mit Stürzen enden und einer langen Bodenchoreografie, gespickt mit gymnastischen Elementen, in der die Ohnmacht ihrer Situation deutlich wird – all das vereint sie zu einem schlüssigen Ganzen. Darin schwanken die Emotionen zwischen Hoffnung, Resignation, Angst und Freude. Eine sphärisch gelungene Unterstützung bot ihr dabei die Musikeinspielung, die dennoch über Strecken Stille zuließ. Zarte Akkordeonklänge am Beginn verweisen auf den Ort des Geschehens, Amsterdam. Später wird man Klaviermusik hören aber auch eine bedrohliche Geräuschkulisse, die Gedanken an eine Deportation im lärmenden Zugwaggon aufkommen lassen.

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„AnneFrank“(Fotos: Niki Meixner)

Eine Videoprojektion, in der die zarte Mädchengestalt von übergroßen Händen herumgeschubst wird, hinterlässt beim jungen Publikum den stärksten Eindruck. Gleichzeitig bekommt man den Eindruck vermittelt, dass die Welt für Anne Frank im wahrsten Sinn des Wortes Kopf steht. Jene Szene, in welcher sich Blutspuren, ebenfalls filmisch eingespielt, verdichten, verweist auf ihr Ende im Konzentrationslager. Ihr letzter Tanz, bei dem sie ihre Röcke anmutig durch die Lüfte flattern lässt, bietet eine ganze Reihe von Assoziationsmöglichkeiten an. Genauso wie die eingangs schon beschriebene Geste. Sie kann als Mahnung und als Beschuldigungsanklage zugleich aufgefasst werden.

Die Stärke der Produktion liegt nicht nur in der Choreografie selbst, in der jeder einzelne Schritt mit Bedacht gesetzt ist. Vor allem die Verdichtung auf jenes Medium, mit dem Anne Frank unsterblich geworden ist, ist wunderbar gelungen. Das Schreiben, die Texte, die sie in ihrem Tagebuch hinterlassen hat, sind ein visuell zentrales Thema, wenngleich auch kunstvoll abstrahiert umgesetzt. Dabei darf man die intellektuelle Beschäftigung in ihrem Versteck als manisch aber auch als befreiend miterleben. Anne Frank wusste, dass das, was sie schrieb, Wichtigkeit besaß. Aber sie wusste nicht, ob sie dafür nicht ihr Leben lassen werde müssen. Das Schwanken zwischen tödlicher Bedrohung und jugendlicher Unbeugsamkeit, zwischen Momenten, in welchen der Lichtblick der Befreiung anklingt und solchen der absoluten Zerstörung ist kunstvoll ausbalanciert und gut nachvollziehbar.

Ein höchst poetisches Stück, das neben konkreten Gedankenimpulsen dennoch viel Freiraum für eine Eigeninterpretation lässt.

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