Jarrett meets Mitchell meets Harrell

Jarrett meets Mitchell meets Harrell

Michaela Preiner

Foto: (Foto: Reto Schmid )

6.

August 2022

„The Köln Concert“ von Keith Jarrett zeigt sich in der tänzerischen Bearbeitung von Trajal Harrell als gelungene Symbiose verschiedener Kunstgattungen.

Die Verschmelzung verschiedener Kunstrichtungen ist derzeit nirgends so gut zu beobachten wie im zeitgenössischen Tanz. Der Afroamerikaner Trajal Harrell, der schon mehrfach Gast bei Impulstanz war, gastierte dieses Mal mit seiner Tanzkompanie, dem „Schauspielhaus Zürich Dance Ensemble“ im Volkstheater beim diesjährigen Festival. Seine grenzüberschreitenden Choreografien sind ein schönes Beispiel für performative Kunst, die sich nicht allein mit dem Tanz zufriedengibt.

„The Köln Concert“ ist der Abend übertitelt und verweist auf die darin verwendete Musik – Keith Jarretts Live-Aufnahme von seinem Improvisations-Konzert in der Kölner Oper 1975. Unvorhergesehener Weise entwickelte sich der Verkauf der Aufnahme, die unter widrigen Umständen erfolgte, phänomenal und heute darf sich „The Köln Concert“ mit dem Titel der meistverkauften Solo-Jazz-Platte weltweit schmücken.

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„The Köln Concert“ (Foto: Reto Schmid)

Trajal Harrell wurde 2019 nach Zürich gerufen, um dort das Schauspielhaus um eine eigene Tanzgruppe zu erweitern. Der Tänzer und Choreograf ist bekannt dafür, dass er in seine Arbeiten immer wieder Elemente des Vogueing aufnimmt. Damit einher geht auch gerne eine Modepräsentation, wenngleich – wie bei der vorliegenden Produktion – in persiflierter Weise.

Harrell bezeichnet Keith Jarrett als „seinen Komponisten“, als jemandem, bei dem er beim ersten Hören sofort wusste, dass er zu dieser Musik tanzen und mit ihr arbeiten wollte. Interessanterweise überlässt er den Abend nicht ihm allein, sondern setzt vier Songs von Joni Mitchell voran. Spricht Harrell von Jarrett als „seinem“ Komponisten, so tituliert er Mitchell auch als „seine“ Sängerin. Die Musik von beiden in einem Stück zu kombinieren, lag für ihn daher auf der Hand. Und so verwirklichte er die Idee, Mitchell als „Vorband“ einzusetzen.

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„The Köln Concert“ (Foto: Reto Schmid)

Noch bevor das Publikum vollständig seine Plätze eingenommen hat, steht Harrell am rechten Bühnenrand, über seinem schwarzen Outfit hängt ein geblümtes Sommerkleid. Vom ersten Augenblick an macht er klar: Geschlechterzuschreibungen der herkömmlichen Art wird es an diesem Abend nicht geben. Und dieses Konzept zieht der Choreograf gekonnt durch. Als der erste Song erklingt, beginnt er mit langsamen, weichen, sich wiederholenden Bewegungen auf der Stelle stehenbleibend zu tanzen. Nach und nach kommen die Tänzerinnen und Tänzer auf die Bühne und setzten sich auf einen von insgesamt sieben Klavierhockern. Auch Harrell selbst nimmt Platz. So als wollten sie sich auf das Kommende erst locker einstimmen, wärmen sie sich mit schwingenden Armen und auf und ab bewegenden Beinen auf den Hockern sitzend auf. Was sofort Aufmerksamkeit erregt, sind die unterschiedlichen Kostüme, die mit Beginn von Keith Jarretts Interpretation erst richtig ins Rampenlicht gesetzt werden. Dafür stolziert das Ensemble nacheinander, wie auf Catwalks, dem Publikum entgegen. Jeder und jede von ihnen bleibt am vorderen Bühnenrand stehen, posiert mit Stand- und Spielbein und geht grazil auf den Zehenspitzen – wie in hochhackigen Schuhen – wieder ab.

Diese Szenerie wird sich auch später wiederholen und zeigt zwei Aspekte deutlich auf. Zum einen präsentieren sich die Tänzerinnen und Tänzer als eine homogene Truppe. Als Gemeinschaft, die einer Gesamtchoreografie folgt. Zum anderen wird ihnen jedoch so viel Individualität gelassen, dass sie auch als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen werden können. „Schaut, wer ich bin“ – diese nicht ausgesprochene Ansage schwappt dabei imaginäre über den Bühnenrand – „seht, wie schön mein Körper und das ist, was ich hier trage!“ Die Kostüme stammen ebenso wie die Musikauswahl und das Setting von Trajal Harrell. Manches, was hier an avantgardistischer Mode gezeigt wird, erscheint, als ob es nicht korrekt angezogen worden wäre. Kleider werden zum Teil nur vor den Körper gehalten, Oberteile scheinen nur übergeworfen und werden einmal über der Schulter, dann wieder als offener Rock getragen. „Das, was ihr hier seht, schaut vielleicht aus wie eine Modeschau, aber sie ist keine“ – wieder drängt sich eine unausgesprochene, eher subversive Aussage auf. Nachdem das schräge Mode-Defilee beendet ist, kommt das Ensemble ein zweites Mal nacheinander auf die Bühne. Nun trägt es individuelle schwarze Kleider mit raffinierten, weich fließenden Schnitten. Diese sind so klug ausgeführt, dass die Körper der Tänzerinnen und Tänzer gut sichtbar bleiben. Die unterschiedlichen Hautfarben, der unterschiedliche Körperbau, all das kann bewusst wahrgenommen werden und wird auch absichtlich in Szene gesetzt. Dabei fällt die große Diversität der Gruppe auf.

Jeder und jede erhält nun ein Solo, während der Rest wie versteinert auf den Klavierhockern sitzt. Nie jedoch berühren sich die Tanzenden, Hebefiguren oder Contact Improvisation scheinen Fremdworte zu sein. Harrells Choreografie, in der kein einziger Körperkontakt zwischen den tanzenden und posierenden Menschen stattfindet, nimmt Bezug auf jene Zeit, in welcher Corona-Regeln einen solchen Kontakt schlichtweg verboten. Immer wieder senken jene, die nicht tanzen, an ihren Plätzen traurig den Kopf. Andere starren in die Ferne oder ausdruckslos ins Publikum.

Stark in Erinnerung bleiben Songhay Toldon, der einen trunken scheinenden Faun tanzt. Immer, wenn er zwischendurch gefreezt stehen bleibt, inszeniert er sich als mahnender Heiliger mit dementsprechender Handgeste, den Zeigefinger nach oben ausgestreckt. Nojan Bodas Mair agiert mit veritablen Drag-Queen-Anleihen und bewegt seine Lippen, als würde er Jarretts Musik Play-back mitsingen. Er taucht in jede Sequenz mit so überbordender Mimik, schwingenden Armen und grazilen Schritten ein, dass sein hoher Energielevel den kompletten Raum bis in die letzte Reihe füllt. Seine weiß glänzende Haut lässt ihn immer dann, wenn er regungslos posiert, wie eine antike Statue aussehen. Harrell taumelt bei seinem Solo unablässig, so als ob er jeden Moment fallen würde und begleitet Jarretts nicht enden wollende Triller-Kaskaden mit seinen Handbewegungen, dass man vermeint, jede einzelne Note visualisiert zu bekommen. Titilayo Adebayos Körper wird von durch sie gehenden Schwingungen erfasst, während ihre langen Dreadlocks im Raum wirbeln, wohingegen Ondrej Vidlar sich mit grazilen Hüftschwüngen bewegt und dabei lasziv sein Kleid hebt. Das androgyne Auftreten von Maria Ferreira Silva und die auffallende Divergenz zwischen Model-Attitüde und kraftvollem, männlichem Erscheinungsbild von Thibault Lac machen deutlich, wie breit die Ausdrucksmöglichkeiten sind, die hier zu ein und derselben Musik verwendet werden.

„The Köln Concert“ von Trajal Harrell ist auch im Hinblick auf die Publikumsakzeptanz interessant. Haben doch viele, die sich diese Tanzperformance ansehen, in jungen Jahren durch Keith Jarrett einen besonderen Jazz-Bezug erhalten. Das mag wohl auch als Kalkül für volle Häuser gedient haben, weist aber dennoch nicht den geringsten Hautgout auf. Harrells Choreografie ist weder geschmäcklerisch noch anbiedernd. Vielmehr erweitert sie  Jarretts Komposition um interessante Erfahrungsebenen, die einen neuen Blickwinkel ermöglichen.

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