Im Abschied liegt auch immer ein Neubeginn

Im Abschied liegt auch immer ein Neubeginn

Michaela Preiner

Foto: ( Lex Karelly )

7.

Mai 2023

Man kann seine Wirkungsstätte ohne großes Aufsehen verlassen und an einem anderen Ort von Neuem wieder anfangen. Iris Laufenberg, acht Jahre in Graz Intendantin des Schauspielhauses, und nun auf dem Sprung ans Deutsche Theater nach Berlin, hat eine andere Abschiedsform von ihrem Gerade-noch-Arbeitsplatz gewählt.

Für die letzte Produktion unter ihrer Leitung ‚Das Ende vom Lied‘ mit dem Untertitel ‚Ein rauschender Abgesang von Sandy Lopičić und Hannah Zufall‘ holte sie nicht nur stimmliche Ensembleschätze auf die Bühne. Sie überließ Lopičić die musikalische Gestaltung und Hannah Zufall die Textfassung. Diese besteht aus einem Kondensat von vielen Gesprächen mit dem Ensemble rund ums Thema Erinnerung und Abschied, aber auch Neubeginn. Dabei wurde deutlich, dass es nicht nur eine einzige Art des Abschiednehmens und des Trauerns gibt. Der eine schaut wehmütig zurück, der andere mutig nach vorn. Die eine befreit sich von altem Seelenballast, die andere versucht sich lyrisch auszudrücken. Was auch immer die einzelnen Ensemblemitglieder zu dem Abend beitrugen – das gemeinsame Element der Inszenierung ist die Musik. Und diese trägt die Show von Beginn bis zum Schluss und nimmt das Publikum mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt.

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„Das Ende vom Lied“ – Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Da werden rockige Arrangements voll von Widerstandslust (Clemens Maria Riegler) vom tradierten Volkslied „Mein Herz ist im Hochland“ konterkariert, nach dessen Performance Oliver Chomik den Schambegriff ins Spiel bringt. Sarah Sophia Meyer brilliert stimmlich mit „The show must go on”, am Klavier von Lopičić begleitet, während der am Boden platzierte Kronleuchter darauf verweist, dass diese Show bald ihr Ende findet. Lisa Birke Balzer verwandelt mit ihrer kraftvollen Interpretation von „Feeling good“ den Saal in einen veritablen Jazzclub, während Rudi Widerhofer mit seiner „Que sera“-Performance zum Publikumsliebling avanciert. Zuvor schon gelang ihm mit der „Sprengung der vierten Wand“, mit einem Gang durchs Parterre, bei dem ihm einige seiner Kollegen auf den Fersen blieben, ein wunderbarer humoristischer Einwurf, gespickt mit der tiefschwarzen Erinnerung an den Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstädter.

Der Doyen des Hauses, Gerhard Balluch, holte hingegen mit seinem Auftritt die außer Rand und Band geratenen Schauspielkolleginnen und -kollegen zurück auf den Boden der hohen deklamatorischen Schauspielkunst.

Vibeke Andersen schuf mit einem runden Pavillon auf der Drehbühne eine durchlässige Architektur für die unterschiedliche instrumentale Besetzung. Wenige hundert Meter Luftlinie vom Schauspielhaus entfernt bietet sein großer, schmiedeeiserner Bruder aus dem 19. Jahrhundert häufig der Grazer Alternativszene Unterkunft und wird nur noch gelegentlich als Bühne für die beliebten Promenadenkonzerte benutzt. Susanne Konstanze Weber leitet mit dem „Lied ans Leben“ über zum großen Showfinale, in welchem das gesamte Ensemble mit Herbert Grönemeyers „Mensch“ noch einmal zur musikalischen Hochform aufläuft. Christin Treunert gelang es, mit fantasievollen Kopfbedeckungen am Show-Klimax eine Atmosphäre – angesiedelt zwischen einer Dada-Performance und Broadway-Gepränge – zu zaubern. Neben den bereits Genannten lösten Maximiliane Haß, Fredrik Jan Hofmann, Mathias Lodd, Sebastian Pass, Franz Solar und Lukas Walcher wahre Publikumstürme aus.

DeeLinde überraschte und überzeugte zugleich als wandelbare Musikerin am Cello, an der Geige, am Kontrabass, am Akkordeon und auch mit ihrem Gesang. Raphael Meinhart, Miloš Milojević, Bernhard Neumaier und Sašenko Prolić bildeten unter der Leitung von Sandy Lopičić einen homogenen Klangkörper, der dem Schauspielensemble völlig gleichberechtigt zur Seite steht.

„Das Ende vom Lied“, das sich interpretatorisch nicht zwangsläufig nur auf das Auflösen eines Ensembles beziehen muss, vermittelt zwar viel Wehmut, zugleich aber auch eine große Portion Lebensfreude. Dem Grazer Publikum wurde nicht zuletzt auch die Weisheit mitgegeben, dass etwas bewahren zugleich auch etwas verändern bedeutet. „Sie waren immer ein großartiges Premierenpublikum“, streute Iris Laufenberg bei ihrer kurzen Ansprache vor Beginn der Show der Zuhörerschaft Rosen. Nicht zuletzt ist es auch ihr großes Verdienst, dass das Schauspielhaus Graz über die regionalen Grenzen hinaus wahrgenommen wird und durch kluge programmatische Entscheidungen auch neue Publikumsschichten ansprechen konnte.

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