Vom äffischen Gang zum menschlichen Joggingwahn

Vom äffischen Gang zum menschlichen Joggingwahn

Elisabeth Ritonja

Foto: ( Julia Kampichler )

11.

September 2023

Aleksandar Acev zeigt in seiner Performance „Lucy was not long ago”, dass unser Bewegungsrepertoire nicht nur anthropologisch gut nachzuvollziehen ist. Er macht auch klar, dass wir mit unserem Körper in jedem Moment unsere Gefühle ausdrücken. Ob wir es wollen oder nicht.

Der Mensch bewegt sich und kämpft von seinen ersten bis zu seinen letzten Tagen gegen die Schwerkraft. Dies ist eine der Kernaussagen von Aleksandar Acev, der von der wortwiege in die Kasematten von Wiener Neustadt eingeladen wurde. Im Rahmen des Festivals „Europa in Szene“, in der speziellen „Sea change“-Ausgabe, rockte er den Saal mit seiner Produktion „Lucy was not long ago“.

Acev ist „Körpersprachenlehrer“, Autor, Regisseur sowie Hochschullehrer an verschiedenen europäischen Universitäten und vermittelt sein Wissen dort an Schauspiel-Studierende. Sich auf der Bühne zu bewegen und dabei treffsicher jenen Ausdruck zu finden, der zum jeweiligen Charakter und der jeweiligen Situation passt, ist das eine. Im Alltag Menschen zu beobachten und in wenigen Augenblicken ihren emotionalen Zustand oder sogar ihren Charakter zu analysieren – auch das ist mit der Bodylanguage-Kenntnis von Acev möglich. Beide Vermittlungszugänge werden in seiner Performance thematisiert – jedoch nicht theoretisch trocken, sondern mit seinem grandiosen Körpereinsatz sichtbar gemacht.

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Lucy was not long ago (Foto: Julia Kampichler)

Die Äffin Lucy gilt als eine jener Vorfahren des Menschen, die den aufrechten Gang praktizierten und somit unsere Lebensform auf zwei anstelle von vier Beinen begründeten. Acev geht mit viel Wissen, Körpergefühl und einer großen Portion Humor an dieses Thema heran und begeisterte mit seiner Geschichte über die tierische und menschliche Bewegungshistorie das Publikum quer durch alle Altersstufen.

Vom leichten Einstieg, der Erklärung und dem Aufzeigen vieler möglicher menschlicher Gangarten hin zu vier grandios performten, verschiedenen Schulterblicken und die daraus resultierenden unterschiedlichen Ausdrucksformen, reichte seine fulminante Show. Mit Lucy an der einen und Scully – einem miniaturhaften menschlichen Gerippe – auf der anderen Bühnenseite hatte er zwei  künstliche Antipodinnen zu sich geholt, die von ihm mit Leben gefüllt wurden.

Besonders unterhaltsam gestaltete er jenen Part, in welchem er seine Beobachtungen von joggenden Menschen vorexerzierte: Dabei stellte er einen Typus, der sich durch seine Lockerheit und seinen hüpfenden Gang auszeichnet, einem anderen gegenüber, der, mit nach hinten gebeugtem Oberkörper in seiner Vergangenheit festzustecken schien. Wieder andere, die mit dem Kopf voraus, ohne Wenn und Aber, in die Zukunft stürmen oder solche, die sich gramgebeugt dennoch auf die Laufstrecke begeben – sie alle und noch viele mehr wurden beinahe im Sekundentakt abwechselnd von Acev imitiert. Dabei jonglierte der Performer genauso gut mit Worten, die seinen Auftritt begleiten.

Die unterschiedlichen Begrüßungsmöglichkeiten, unterwürfig, abwertend, ängstlich oder hoffnungsfroh lösten genauso heitere Stimmungen aus wie die Hinweise auf die direkte Lucy-Verwandtschaft im Bereich männlicher Sportsgrößen. Das sich mit geballter Faust auf die Brust Schlagen des Tennisspielers Djokovic, der berühmte, unvergessene Kopfstoß des Fußballers Zinédine Zidane – bei der WM gegen den Italiener Materazzi – oder der breitbeinig ausgeführte Torjubel seines Kollegen Ronaldo: All diese kurzen und dennoch so markanten Bewegungen, durch den Pantomimen vorgeführt, machten klar, dass Lucy und ihresgleichen noch gar nicht so lange ausgestorben sein können. Die Entwicklung der Verschmelzung des Menschen mit seinem Stuhl – auch das war ein Thema, das wie ein Augenöffner für die eigenen Bewegungsmuster diente. Wer lümmelte nicht schon mehrfach am Bürostuhl ohne Energie, wer hatte nicht bereits einmal das Gefühl, mit seiner Tastatur verschmolzen zu sein und wer fühlte sich nicht aufgefordert, seinen Körper öfter sportlichen Betätigungen auszusetzen?

Das wohl Verblüffendste an Acevs Performance ist die Erkenntnis, dass man mit dieser Art von „Edutainment“ in kurzer Zeit einen Wissenszuwachs erhält, den man durch stundenlanges Bücherlesen nicht bekommen würde. Und das auf höchst lustvolle Art und Weise. Alle, die „Lucy was not long ago” gesehen haben, wurden vom Künstler an unterster Stelle mit einer neuen Beobachtunssensibilität ausgestattet. Welch großartiger Side-Effekt, ausgelöst durch ein Theaterereignis im Rahmen des wortwiege-Festivals.

Dieser Artikel ist auch verfügbar auf: Englisch

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