In Turbogeschwindigkeit vom Businesskostüm in den Schlabberlook

In Turbogeschwindigkeit vom Businesskostüm in den Schlabberlook

Elisabeth Ritonja

Foto: ( Barbara Pálffy )

23.

April 2023

So manches Schicksal hält man für selbst verschuldet, oft auch für einzigartig. Die Literatur und damit verbunden das Theater, kann hier manches Mal als Augenöffner fungieren.

„Tür auf, Tür zu“, ein humorvoll-gesellschaftskritisches Stück der deutschen Autorin Ingrid Lausund, erzählt anhand der Geschichte einer Frau um die Fünfzig ein Schicksal nach, das wohl millionenfach vorkommt und dennoch von jeder einzelnen Person ganz individuell wahrgenommen wird. Im Theater Spielraum, bekannt für seine intelligente, stimmige und zeitgemäße Programmierung, hat Peter Pausz die Regie dafür übernommen und eine gekonnte Mischung zwischen starken Emotionen und hoch reflexiven Momenten erschaffen.

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Fotos: Barbara Pálffy


Lausund kickt in ihrem Stück ihre Hauptprotagonistin, Anneliz, ohne Vorwarnung aus dem Arbeitsprozess in die Erwerbslosigkeit. Nicole Metzger ist mit dieser Rolle typgerecht besetzt. In den ersten Szenen noch im Businesskostüm agierend, verwandelt sie sich im Lauf des Spiels letztlich in eine desillusionierte Arbeitslose, eingemummelt in Sternchenfleece, der ihr in ihrem Zuhause noch jene Restwärme vermittelt, die sie bei ihren Mitmenschen komplett vermissen muss. Der Text, der noch zwei weiteren Personen Raum gibt, dreht sich einzig um die Gefühlslage von Anneliz, welche sich im Laufe der Zeit umstandsbedingt verändert. Zu Beginn noch ungläubig, aufmüpfig und kämpferisch, tritt bald eine Panikreaktion ein, in der jedes zielgerichtete Denken unmöglich wird. Unterstützt wird sie kräftig von einem einstimmigen Chor – Johannes Sautner, sowie der „Türe“ – Christopher Korkisch. Letzterer erklärt unablässig, in welchem Zustand sich „die Türe“ gerade befindet: offen oder geschlossen.

Mit „Türe“ wird symbolhaft jener Zustand beschrieben, welcher den Eintritt und die Zugehörigkeit in die Gemeinschaft der Werktätigen ermöglicht oder auch verhindert. Lausunds Text, über viele Strecken im Telegrammstil gehalten, in welchem jene Menschen charakterisiert werden, die durch die Türe ein- und austreten, bietet Johannes Sautner viele Möglichkeiten, sein schauspielerisches Können zu demonstrieren. Innerhalb weniger Augenblicke schlüpft er in unterschiedlichste Rollen, als da exemplarisch wären ein Dr. Leutselig, ein Adi Adrenalin, eine Gerüchteliesl oder eine Frau Spinnefeind. Es macht unglaublich Spaß, ihm bei seinen verbalen Verwandlungskünsten zuzusehen, während Korkisch als Stichwortgeber fungiert und die überbordenden, humoristischen „Chor-Einlagen“ gekonnt kontrapunktisch in Zaum hält.

Herrlich auch jener Einschub, in welchem sich der Chor darüber beklagt, bei dieser Produktion ausgenutzt zu werden, müsse er doch wesentlich mehr Rollen und Agenden übernehmen, als ursprünglich vereinbart. Es sind Hinweise wie diese, welche das Gedankenpendel zwischen dem Theater und unserer alltäglichen Realität gekonnt hin und her schwingen lässt und klarmacht: Auch im künstlerischen Bereich feiert der Neoliberalismus mit seiner Selbstausbeutung nach wie vor fröhliche Urständ.


Nicole Metzger gelingt es scheinbar mühelos, das Publikum auf die Reise ihrer Gefühlsachterbahn mitzunehmen. Dabei kommen bei so mancher Hinterfragung, ob sie denn an ihrer Kündigung nicht selbst schuld sei oder so manchem unausweichlichen Wutausbruch eigene Emotionen und Erinnerungen hoch – ein Verdienst sowohl des Textes als auch dessen Interpretation. Anna Pollack schuf ein reduziertes Bühnenbild mit einem beweglichen Türrahmen und Kostümen, die sowohl die anfängliche Zugehörigkeit zu einer Firmengemeinschaft als auch den sozialen und finanziellen Abstieg im Zustand der Arbeitslosigkeit unaufdringlich dokumentieren. Dass der Glücksmoment eines neuen Jobs nicht ihr, sondern ihrem Freund zuteilwird und es tatsächlich nur Männer sind, welche Anneliz durch die Türe eintreten sieht, verweist auf die Ungleichbehandlung am Arbeitsmarkt. Frauen, die schon viele Jahrzehnte Beschäftigung hinter sich haben und an einem gewissen Punkt erwerbslos werden, müssen sich einer ganzen Reihe von Fragen stellen, warum sie ausgemustert wurden, die Männer überhaupt nicht betreffen. Diesem Problemfeld widmet sich ausgiebig auch das Programmheft, in dem Julya Rabinowich, Christina Focken, Judith Fischer, Rosemarie Schwaiger, Anna Dunst, Nina Vogl und Robert Vallelunga einen Beitrag leisteten. Rosa Kornfeld-Matte ist ein Interview gewidmet, das sie der Wiener Zeitung im Rahmen ihrer Beschäftigung als UN-Expertin für die Wahrnehmung aller Menschenrechte älterer Menschen gab.

Die unerwartete Wende hin zu einem glücklichen Ende, das sich nicht an der Realität orientiert, unter der cineastischer Musikuntermalung von „Chariots of fire“ dramatisch in Szene gesetzt, rechtfertigt Anneliz folgendermaßen: „Das ist die einzige Realität, die ich auf dem Theater akzeptiere.“ Die emotionale Beruhigungspille, die dem Publikum damit verpasst wird, soll jedoch nicht daran hindern, sich Gedanken zu machen, ob und wie man dem inhumanen Arbeitsmarktwahnsinn entgegentreten kann. Die golden schimmernde asiatische Winke-Glücks-Katze, die mehrere prominente Auftritte hat, wird den betroffenen Frauen dabei leider nicht helfen.

Empfehlung: Freundinnen motivieren, Bekannte aus dem Hobby-Umfeld, Schwestern, Mütter, Tanten oder Cousinen, nicht zuletzt Arbeitskolleginnen und all jene Männer, die gerne mit dabei sein möchten und die Vorstellungen im Theater Spielraum besuchen. Gesprächsstoff für das Zusammensein danach wird reichlich geliefert.

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