Interview mit dem österreichischen Komponisten Wolfgang Mitterer anläßlich seines Aufenthaltes in Straßburg während des Festivals Musica
Herr Mitterer, waren Sie schon einmal beim Festival Musica in Straßburg?
Ja, mit der Oper Massacre vor zwei Jahren und einem Soloauftritt. Und das Remix Ensemble aus Porto hat hier auch ein Stück von mir gespielt, go next.
Sie sind dieses Mal mit Ihrer Komposition zum Stummfilm Nosferatu von Friedrich Wilhelm Murnau vertreten, das schon 2001 entstand, sowie einer neuen Arbeit – Stop playing aus diesem Jahr.
Die Musik zu Nosferatu war eine Auftragsarbeit des Wiener Konzerthauses. Die große Orgel dort eignete sich hervorragend zu diesem Zweck. Hier, in Straßburg, arbeite ich an einer kleinen elektrischen Orgel, eigentlich einer Fake-Orgel, aber ich gleiche die fehlende Tiefe mit der Elektronik aus, die ich ja mit verwende. Ich finde, dass der Saal zum Film gut passt, weil in ihm auch eine Szene vorkommt, in welcher ein alter Universitätsprofessor seinen Studenten das Mirakel der fleischfressenden Pflanzen erklärt. Das hat einen schönen Bezug zu der altehrwürdigen Universität in Straßburg. Von der Akustik her ist es aber schwierig, da ich einen Nachhall von fast 6 Sekunden ausgleichen muss. Ob das machbar ist, wird sich erst am Abend zeigen, denn ich kann das vorher nicht probieren, wenn das Publikum mit 600 Leuten nicht im Saal ist.
Wurde Nosferatu in ihrer Notation schon einmal von jemandem anderen gespielt?
Nosferatu an sich hat bisher mehrere musikalische Begleiter gehabt, aber meine Partitur wurde nur von mir gespielt. Ich weiß auch nicht, ob sich da überhaupt jemand findet, der wie ich die Elektronik so mit einbauen kann. Auch lässt das Werk für mich noch immer einen improvisatorischen Part offen, der jedes Mal etwas anders ausfällt.
Wie oft haben Sie das schon gespielt?
Ich denke so ungefähr 12 Mal bisher.
Konnten Sie Unterschiede von der Publikumsreaktion her feststellen?
Das kann man schon, vor allem hängt es davon ab, wie viele Menschen in einem Saal sind und ob der Saal auch ausverkauft ist. Es ist etwas anderes, wenn man vor einem ausverkauften Saal mit 1800 Menschen spielt, in denen jeder durch den anderen getragen wird und das Gefühl hat, an einem großen Ereignis teilzunehmen. Oder ob man vor einem nur halb ausverkauften Saal spielt und sich die Menschen instinktiv fragen, ob das wohl etwas sein kann, wenn der halbe Saal leer ist. Das hat viel mit Psychologie zu tun. Wenn ich Lautsprecher im Raum verteilen kann und die Leute dann quasi mit den Bässen massiert werden und dazu eine gewaltige Orgel spielt, dann beginnen sich ja auch manche zu fürchten. Umso eindrucksvoller wird dann aber auch eine plötzlich einsetzende Stille wahrgenommen, sie wird noch wichtiger, noch tiefer. Das hängt aber tatsächlich von der jeweiligen location, den Zuhörern und nicht zuletzt auch meiner eigenen Befindlichkeit ab, obwohl das die Leute am wenigsten bemerken.
Das Werk Stop playing, das Sie auch in Straßburg spielen, hat welchen Hintergrund?
Ich wollte eigentlich eine reine Orgel-Cd machen und habe hierzu Material von drei verschiedenen Orgeln eingespielt, bzw. ich habe spielen lassen. Dieses Material wurde dann ein 3-Orgel-Remix, das ich wiederum als Grundmaterial verwende.
Haben Sie es schon erlebt, dass Sie mit einem Instrument, genauer gesagt einer Orgel konfrontiert wurden, mit der sie „schwer konnten“?
Es gibt immer wieder einmal Instrumente, die fad klingen, einfach weil sie zu klein sind. Die kann man natürlich nicht mit dem Spirit einer großen Kirchenorgel vergleichen. Aber ich kann das Fehlen gut durch die Elektronik ausgleichen. Ich arbeite ja auch mit halb komponierten Stücken, also mit einer Grundstruktur, zu der ich eine Improvisation hinzufüge. Das gibt mir auch die Möglichkeit, auf den jeweiligen Raum einzugehen und das Beste daraus zu machen.
Wenn man auf Ihrer hp nachliest und die Liste Ihrer Werke sieht, dann fragt man sich unwillkürlich: „Kommt dieser Mann auch zum Schlafen?“
Ja klar mach ich das. Ich weiß aber gar nicht, wie viel ich bisher schon komponiert habe. Ich arbeite ja zum größten Teil für Aufträge. Ich könnte es mir nicht leisten eine Oper nur für die Schublade zu schreiben, denn daran arbeitet man schon mal 1-2 Jahre und das wäre tödlich . Und wenn die fertig ist hat man das Problem, dass sie keiner spielen will. Bei mir läuft das umgekehrt. Mich fragt ein Direktor oder Intendant, ob mir das oder das gefallen, oder ob es mich interessieren würde und dann arbeite ich dafür punktgenau. Ich bin ja auch permanent am Forschen und diese Arbeit fließt dann auch automatisch in diese Kompositionen ein.
Arbeiten Sie lieber für sich alleine oder ist die Arbeit mit einem Orchester, einem Chor oder einem Ensemble für Sie befriedigender?
Als Komponist arbeitet man zum größten Teil ja sowieso immer alleine. Und als Organist ja auch. Besonders schön ist es, wenn ich zum Beispiel mit einem Trio oder einem Quartett frei improvisieren kann. Dann denkt man ja nicht mehr ich muss oder soll jetzt das und das machen sondern, sondern ich spüre dann, dass das oder jenes jetzt genau gut passen würde. Und dann kann ich mich auch voll drauf einlassen und mich Stück für Stück bis zur Trance nach vorne arbeiten. Wenn ich mit großen Formationen arbeite, sowie zum Beispiel beim „Turmbau zu Babel“, der ja in Linz im Fußballstadion aufgeführt wurde, und an dem allein 16 Dirigenten mit ihren Chören beteiligt waren, dann ist das wieder etwas ganz anderes. Da muss ich eine genaue Struktur vorgeben, sonst ist das logistisch schon gar nicht machbar. Und ich kann auch nicht verlangen, dass Sängerinnen und Sänger aus einem Kirchenchor, die manches Mal nicht einmal Noten lesen können, eine komplizierte Partitur erarbeiten. Da war ich dann schon beim Komponieren quasi wie in einer Vogelperspektive über dem Ort geschwebt, um mir genau auszumalen, wie das dann funktionieren würde. Wenn ich für Orchester arbeite, dann mag ich es zum Beispiel nicht, wenn der Posaunist gerade einmal für drei Takte eingesetzt wird. Also einmal 300 Takte vorzählen muss, bis er dran kommt und sich danach auch wieder weiter langweilt. Ich finde nicht nur, dass das eine Verschwendung ist, denn dann könnte man das auch gleich streichen, das wäre viel billiger, sondern vor allem, dass das etwas mit verlorener Energie zu tun hat. Ich finde, dass die Energie, die von Musikern ausgeht, hörbar werden muss. Wenn 20% in einem Orchester nicht mitspielen, so spürt man das, weil ein anderer Energiefluss zustande kommt.
Sie sind ja, wie wir alle, ständig von Geräuschen umgeben.
Ja, wie zum Beispiel im Moment, wo gerade die Straßenbahn zu hören ist, die vorbeifährt.
Genau. Darüber hinaus werden Sie aber in Ihrem Kopf auch Klänge mit sich tragen, damit beschäftigt sein, wenn Sie an einem Werk arbeiten. Was bedeutet eigentlich Stille für Sie, erleben Sie diese auch tatsächlich als solche?
Freilich, wie ein jeder anderer Mensch auch. Wenn ich zum Beispiel in der Natur bin dann freue ich mich daran, dass es leise ist. Wenn ich nur den Wind höre oder auch das Wasser, das ist für mich richtige Erholung. Ich glaube aber, dass das lustvollste Musizieren das stille Musizieren ist. Wenn ich zum Beispiel eine Partitur nehme und diese im Tempo lese und die Musik innerlich ablaufen lassen kann, so kann das ein höherer Genuss sein, als ich das eventuell im Konzertsaal habe. In einem Konzertsaal, in welchem ich das Parfum der Sitznachbarin nicht aus der Nase bekomme oder die Sängerin gerade Probleme mit der Frisur hat! Ich glaube auch, dass jeder Zuhörer seine eigene Musik im Kopf hat, dass bei jedem etwas anders im Kopf abgeht, wenn er Musik hört. Das hängt ganz davon ab, ob es Laien sind oder Musikkritiker, die immer glauben, dass sie sich auskennen müssen.
Sind Ihnen also Laien als Zuhörer lieber als Kritiker?
Da sage ich: entweder schön offen, oder schön wissend. Alles was sich dazwischen bewegt ist problematisch. Ein Free-Jazzer wird ein Werk gänzlich anders hören als zum Beispiel ein Komponistenkollege.
Sie unterscheiden stringent zwischen neuer und zeitgenössischer Musik.
Ja, denn zeitgenössische Musik ist heute ja nicht mehr zwingend neu. Alles, was schon einige Jahre alt ist und schon gehört wurde, ist nicht mehr neu. Neue Musik hingegen bringt immer ein neues, noch nicht zuvor gehörtes Hörerlebnis. Ich war einmal sehr verwundert, als ein Sänger Alban Berg zu den zeitgenössischen Komponisten zählte. Das hat mit zeitgenössischer Musik meiner Meinung nach nichts mehr zu tun. Wenn man sich anhört, wie sich allein im Pop-Bereich die Musik seit den 80er Jahren verändert hat. Zwischen den 50er und 80er Jahren wurde ja alles meistens mit richtigen Musikern eingespielt, was heute ganz anders ist. Seit hundert Jahren hat sich im Instrumentenbau ja nichts Neues ergeben, aber in der Technik hat sich vieles weiter entwickelt. Die Elektronik bietet heute ganz neue Möglichkeiten Musik zu machen. Sie bietet die Möglichkeit, das Kleid der Musik heute neu zu gestalten. Ich zähle ja nicht einmal mehr die Spektralisten zur neuen Musik. (Eig. Anm: Spektralmusik entwickelte sich hauptsächlich in den 70er Jahren und folgend unter Beachtung der Obertöne und damit einhergehend einer Modifikation von Klangfarben, -strukturen usw.) Neue Musik ist auch deswegen spannend, weil auch den Kritikern der Vergleich dazu noch fehlt. Um Neues entstehen lassen zu können ist es auch ganz wichtig, dass die derzeitigen Spielstätten, an denen Festivals für neue Musik stattfinden, bestehen bleiben. Ohne diese findet auch keine Weiterentwicklung mehr statt. Mir ist es auch immer wichtig, Junge für Neues, für Ungehörtes zu begeistern. Ein moderner Künstler bin ich aber nicht, denn wenn ich daran denke, dass Madonna als Künstlerin bezeichnet wird, dann möchte ich kein Künstler sein.
Was sind Sie dann?
Ich bin ein Komponist. Ein Schriftsteller würde ja auch sagen ich bin Schriftsteller und nicht ich bin ein Künstler. Ich glaube, es gibt hier Begriffsverwirrungen, die Begriffsdefinition ist hier falsch belegt.
Sie werden als jemand bezeichnet, der gegen den mainstream agiert. Empfinden Sie selbst das auch so?
Ich glaube, dass man mich keiner bestimmten Stilrichtung zuordnen kann. Was ich schon reizvoll finde ist, bestimmte Klischees aufzubauen und diese dann umzudrehen oder wieder einzureißen. Eine Methode, die aber schon im Barock oder später in der Romantik angewandt wurde. Das Loslösen von Traditionen und das Spielen, das Ausprobieren damit, was man alles machen kann, welche Assoziationen einem dabei kommen, das finde ich spannend.
Haben Sie eigentlich mittel- oder langfristige Pläne oder Wünsche?
Eigentlich habe ich alles erreicht, was man in meinem Metier erreichen kann. Ich habe diesbezüglich keine großen Wünsche, klar wenn eine Oper von mir im Opernhaus von Sydney gespielt würde, das wäre toll, aber ich brauche es auch nicht unbedingt um mein Ego zu befriedigen. Künstlerisch ist es so, dass natürlich die Frage der Notation für mich völlig offen ist. Die Frage nach den Notenköpfen müsste meiner Meinung nach neu definiert werden. Denn wenn ich ein herkömmliches Schriftbild aus den 90er Jahren hernehme, dann kommt natürlich auch nur Musik heraus, die wie in den 90er Jahren klingt. Das ist für mich eine persönliche, künstlerische Herausforderung.
Gibt es tatsächlich nichts, das Sie sich noch wünschen?
Was ich einmal tatsächlich gerne tun würde, wäre die kurzen Sequenzen, die bei den kanadischen Eishockeyspielen immer mir Orgel eingespielt werden, neu zu spielen.
Interessieren Sie sich für Eishockey?
Nein, gar nicht, aber da müsste man schon lang wirklich einmal etwas ganz anderes machen!
Interview mit dem Direktor des Festival Musica Jean-Dominique Marco
Das Festival Musica ist mit seinem Gründungsjahr 1983 eines der traditionsreichen Festivals in Europa für zeitgenössische Musik, das sich großer Beliebtheit beim Straßburger Publikum erfreut. Zum Interview lud Jean-Dominique Marco, der derzeitige Leiter, der seit dem Jahre 1990 dieser Institution vorsteht. Das Gespräch fand in seinem Büro, einem hellen, sonnendurchfluteten Zimmer im Erdgeschoss der „Cité de la danse et de la musique“ statt, das erst 2006 eröffnet wurde. Im selben Gebäude befindet sich auch das Konservatorium, sowie viele kleinere und ein großer Konzertsaal, in dem einige der Konzerte des Festivals gespielt werden.
Jean-Dominique Marco bietet mit seinem Team dem Publikum zeitgenössische Musik vom Feinsten. „Unser Konzertangebot basiert einerseits auf den großen Werken des 20. Jahrhunderts, die den aktuellen Werken von Heute gegenübergestellt werden“ umreißt Marco kurz und bündig das Programm des Festivals Musica. Wobei er im Laufe des Gespräches mehrmals darauf verweist, dass jede Musik ihre Berechtigung hat, egal ob nun populäre zeitgenössische oder eben solche, wie es das Festival Musica anbietet, und sich die Musikstile gegenseitig auch ergänzen und befruchten. Als den großen „Big-Bang“ in der Musikgeschichte bezeichnet er die Neue Wiener Schule mit Schönberg, Webern und Berg, die er als Sockel oder Basis der neuen Musik ansieht. „Wir spielen deswegen immer noch die großen Werke des 20. Jahrhunderts, da wir ja auch immer neues Publikum dazugewinnen, das diese Musik noch nicht kennt.“ Eine Publikumsbefragung im letzten Jahr ergab, dass ca. 30% der Zuhörerinnen und Zuhörer in den letzten drei Jahren neu zum Festival gekommen sind. Ein Zeichen auch dafür, wie lebendig das Festival ist und wie niedrig die Hemmschwelle gerade bei den jungen Menschen mit 22, 23 Jahren angesehen wird. „Es war von Beginn an vom Ministerium erwünscht, so viele Menschen wie nur möglich zu erreichen. Unser Festival ist sowohl ein Festival für Spezialisten als auch eines für Laien. Wir möchten vor allem auch Menschen in den Konzerten sehen, die das erste Mal zeitgenössische Musik hören. Jack Lang, der sozialistische Kulturminister der 80er-Jahre prägte gemeinsam mit Maurice Fleuret die Ausrichtung, die sich bis heute nicht verändert hat.“
Die Frage, warum Straßburg als Austragungsort des Festivals ausgesucht wurde erklärt Marco schlüssig: „Straßburg wurde deswegen als Spielstätte gewählt, weil es eine lange musikalische Tradition, sozusagen die rheinische Musiktradition, mit einem großen Reichtum, aufweist. Im Elsass gibt es allein 42.000 Chorsänger, das zeigt, wie sehr die Menschen hier mit der Musik verbunden sind. Nach dem Krieg bildeten sich jenseits des Rheins Zentren für zeitgenössische Musik. Donaueschingen oder Darmstadt gehörten dazu. Alle großen Namen waren dort tätig wie z.B. Riehm, Stockhausen oder Kagel. Viele große Orchester, Ensembles, Radioorchester, das Ensemble Modern aus Frankfurt, die musikFabrik aus Köln, das Ensemble Recherche aus Freiburg, der SWR aber auch das Konzerthaus in Baden-Baden waren vorn dabei. Dagegen wollte man in Straßburg einen Gegenpart setzen. „Les Percussions Strasbourg“, 1962 gegründet, wurde zum Beispiel stark von Boulez beeinflusst, der ja in Baden-Baden lebte und noch lebt.“
„Zu Beginn hatte man eine Kooperation mit Rom, die allerdings aufgrund schwieriger organisatorischer Herausforderungen nicht weiter geführt wurde. Danach gab es eine intensive Zusammenarbeit auch mit deutschen Veranstaltern. So wurde das Publikum zum Beispiel – Franzosen und Deutsche – auf Schiffen dem Rhein entlang zum Loreleyfelsen gebracht und erlebten bei dieser Reise Aufführungen zeitgenössischer Musik.“
„Haben Sie heute auch einen großen Anteil an Publikum aus Deutschland?“ „Leider haben wir zu wenig Menschen aus Deutschland, das liegt aber daran, dass das Publikum für zeitgenössische Musik stets ein großstädtisches Publikum ist. Und im Einzugsgebiet für Straßburg sind die nächsten großen Städte in Deutschland zu weit entfernt. Aber wir würden gerne die Zusammenarbeit wieder stärker intensivieren.“
„Wie hat sich die zeitgenössische Musik Ihrer Meinung nach in den letzten Jahren verändert?“
„Heute erleben wir schon die dritte und vierte Generation von Komponisten und unsere Konzerte weisen eine enorme Bandbreite auf. Nach dem Krieg gab es erbitterte Kämpfe und beinahe schon gewalttätige Debatten um die Erneuerung der Musik. Die Komponisten versuchten eine neue Ordnung nach dem Krieg aufzustellen. Es war eine Reaktion auf die damalige Zeit. Heute ist die Originalität der Komponisten besonders wichtig. Der Ton, der Rhythmus, die Klangfarbe all das verwenden sie als Material für ihre Musik. Was heute zählt, ist die Originalität. Heute gibt es eine Mischung aus Vielem und eine globale Vereinheitlichung zur gleichen Zeit. Das ist zugleich auch schwer. Die Musik erfordert Konzentration, sie ist experimentell. Die Komponisten befinden sich immer am Rande der Gesellschaft. Ihre Position ist nach wie vor schwierig, es gibt aber auch gut Situierte, die populär arbeiten und wieder andere, die es sehr schwer haben. Aber man muss sie unterstützen, ihnen einen Raum, ein Laboratorium geben, in dem sie arbeiten können. Die Gesellschaft muss diesen Raum für alle – in jedem Bereich – zur Verfügung stellen. Europa ist ein Ort, der die Künstler unterstützt. Wir agieren heute ja eigentlich in der Nachfolge des Adels. Auch sie unterstützten die Künstler und ließen sie arbeiten. Jedes Land, jede Region usw. muss unterstützen und helfen, das ist enorm wichtig. In Paris arbeiteten Künstler in der IRCAM, einem „Versuchsort“ oder Laboratorium, in welchem neueste Entwicklungen entstehen. Dies kostet viel Geld, aber diese Entwicklungen haben wieder Auswirkung auf eine viel größere Gesellschaft, in der sie dann auch kommerzialisiert werden.“
„Worin besteht denn eigentlich der Unterschied zwischen dem Festival Musica in Strasbourg und den anderen Festivals für zeitgenössische Musik?“
„Vor 10 Jahren habe ich das Reseau Varese gegründet, eine Vereinigung mit derzeit 23 europäischen Partnern. Das sind europäische Veranstalter zeitgenössischer Musikfestivals, mit denen wir auch zusammenarbeiten. Ich glaube, dass das Festival in Straßburg deswegen so gut funktioniert, weil es sich nicht mit Konzerten über das ganze Jahr hin erstreckt, sondern weil wir es wirklich geballt im September und Anfang Oktober anbieten. Es gibt 2, manchmal 3 Konzerte an einem Tag und das Publikum ist damit richtig gefordert. Man sieht immer wieder kleine Gruppen, die sich hintereinander bei den Konzerten sehen und miteinander ins Gespräch kommen. Das ist wunderschön. Unser Publikum hat Lust auf Neues, es ist aufgeschlossen und gebildet und es folgt der globalen Idee des Festivals. Es hört Bekanntes, aber auch viel Unbekanntes, aber es hat Vertrauen. Das Festival steht bei uns bewusst am Saisonbeginn; man ist ausgehungert nach den Ferien, freut sich auf Musik. Die Leute freuen sich, in dieses Universum einzutauchen. Die Abfolge der Konzerte ist sehr schnell, ist lebendig, turbogeladen und dynamisch und reichhaltig. Wir haben ein wunderbares Publikum!“
Jean-Dominique Marco antwortet auf meine Fragen wie aus der Pistole geschossen; ein Vollprofi, der sein Geschäft nicht nur versteht, sondern mit Herz und Seele dabei ist. Mit meiner anschließenden Frage gelang es mir dennoch, ihn zumindest für einige Sekunden zum Nachdenken zu veranlassen. Dass die Antwort wiederum geschliffen wie ein Diamant kam, verwunderte mich aber nicht mehr.
„Was würden Sie machen, wenn Geld keine Rolle spielte?“
„Das ist ein Traum. Ich würde auf alle Fälle größere Orchester und Ensembles einladen, große Chöre und ich würde ein Haus für Künstler schaffen. Für Komponisten, die hier vor Ort eingeladen komponieren könnten. Eine Stadt benötigt kreative Schöpfer die in ihr leben, die ihr eine künstlerische Vibration verleihen. Die ihr Licht, aber auch ihren Schatten oder vielleicht auch Halbschatten auf sie abwerfen. Nicht nur Komponisten und Musiker sondern auch Bildhauer oder Literaten sollten kommen können. Dementsprechende Überlegungen gibt es schon von der Stadt. Künstler legen ja auch ein Zeugnis ab jener Gesellschaft in der sie leben. Man darf sich nicht mit der künstlerischen Vergangenheit zufrieden geben. Heute leben wir in einer Welt voll Lärm, in einer teilweise chaotischen Welt. Alle Kulturen vermischen sich und die Künstler legen davon Zeugnis ab. Man darf vor seinem eigenen Zeitalter keine Angst haben. Wenn man die zeitgenössische Kunst ausschließt, lebt man eigentlich in der Vergangenheit. Unsere Wurzeln und das Neue gehören untrennbar miteinander zusammen. Die Wurzeln müssen dem Zukunftsträchtigsten, der zeitgenössischen Musik gegenüber gestellt werden. Es gibt dabei kein Falsch und kein Richtig. Eine Gesellschaft, die das Neue nicht zulässt, stirbt.“
„Welche Konzerte zählen Ihrer Meinung nach in dieser Saison zu den Highlights?“
„Eigentlich alle! Aber wenn ich einschränken muss, dann weise ich auf das Konzert mit dem Orchestre Philharmonique von Radio France hin. Es spielt Werke von Oscar Bianchi, Johannes Maria Staud und Peter Eötvös. Dann natürlich der Tag der offenen Türe in der „Cité de la musique et de la danse“. Schon im Vorjahr war dies ein enormer Erfolg, es kamen über 2000 Menschen an diesem Nachmittag, um die kurzen Konzerte von ca. 30 Minuten zu hören. Dann die Konzerte des jungen Franzosen Mantovani oder auch das Vienna Vegetable Orchestra, dass das Publikum richtig öffnen kann. Weiters die großen Xenakis-Werke in vier Konzerten, in welchen die wichtigsten Werke dieses Komponisten gespielt werden. Das Stück „Der Vater“ nach Heiner Müller, von Michael Jarrell sowie das große Bernd Alois Zimmermann-Special, für das auch ein Kolloquium veranstaltet wird. Eine absolute Neuerung ist eine kleine Tournee des OPS, dessen Konzerte alle gratis sind und dem Publikum im Elsass außerhalb von Straßburg Lust auf Konzerte des Festivals machen soll. Und schließlich noch die Veranstaltung „Percussions dans la ville“ – am Samstag, dem 25., bei dem in der ganzen Stadt Schlagwerker unterwegs sind und denen Posaunisten vorangehen werden, also Musiker mit alten Instrumenten, die auf junge Schlagwerkinstrumente treffen. Wieder trifft sich hier Tradition und Moderne.“
„Wie könnten Sie das Publikum überreden zu einem Konzert zu kommen?“
„Haben Sie keine Angst vor Musica und kommen Sie in ein Konzert! Es wäre richtig schade, wenn Sie das nicht machen würden. Zeitgenössische Musik hat sich seit einem Jahrhundert entwickelt. Beim ersten Mal empfindet man es vielleicht als Skandal, aber je mehr man hört, umso stärker ändert sich der Zugang.
Zeitgenössische Musik hat noch eine weitere, nämlich eine visuelle Dimension. Sie ist schwer zu Hause, in den eigenen vier Wänden zu hören. Zeitgenössische Musik muss mit den Augen gehört und mit den Ohren gesehen werden. Es ist nicht möglich, den visuellen Eindruck auf einer CD wiederzugeben.“
„Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die diesjährige Saison!“
Der Chefdirigent und künstlerische Leiter des OPS Marc Albrecht (c) M. Boeggreve
Interview mit Marc Albrecht, dem künstlerischen Leiter und Chefdirigenten des OPS
Herr Albrecht, Sie waren mit Ihrem Orchester, dem OPS (Orchestre philharmonique de Strasbourg) vor der Sommerpause auf einer Tournee unter anderen in Amsterdam. Amsterdam wird ab der Saison 2011/12 Ihre neue Wirkungsstätte sein. War es ein Wunsch von Ihnen, sich dort mit Ihrem jetzigen Orchester zu präsentieren?
Das OPS hat eine lange, traditionsreiche Geschichte in Verbindung mit Amsterdam und war schon viele Male eigentlich regelmäßig dort eingeladen. Es war dieses Mal aber das erste Mal, dass wir an zwei aufeinander folgenden Tagen zwei Programme präsentierten.
Verstehen Sie diese Programme auch als Ihre eigene Visitenkarte, die Sie im Vorhinein in Amsterdam dem Publikum abgeben?
Natürlich haben wir die Programme bewusst terminiert, bis auf „Le sacre du Printemps“ von Strawinsky stammten sie auch alle aus der Saison 09/10 in Straßburg. Sie stehen und standen stellvertretend für die verschiedenen Pole des Orchesters selbst. Wir kamen mit einem französischen Anteil, auch der „Sacre“ hat ja einen starken französischen Einfluss, aber mit der 2. Symphonie von Brahms auch einem deutschen Part. „Iberia“ von Debussy beherbergt ein großes Reservoir an Farben und Raffinement und ich sehe auch die Scheherazade von Ravel als unbedingtes Muss im Reisegepäck des OPS auf Tournee. Es sind sozusagen „Kernstücke“ des Orchesters, mit denen es in den Niederlanden aufgetreten ist. Die 2. Symphonie von Brahms lag mir persönlich sehr am Herzen, wodurch auch das deutsche Repertoire aufgezeigt wurde, das vom Orchester immer traditionsgemäß gespielt wurde.
Im Programmheft der neuen Saison 2010/11 erwähnen Sie im Vorwort, dass sich das Programm wieder außerhalb von ausgetretenen Pfaden bewegen wird. Dies war auch eines Ihrer Hauptcharakteristika in der Saisonplanung der Vergangenheit in Straßburg. War es für Sie schwierig, diese „Sonderprogramme“ einzufordern, was ja immer auch ein Risiko gegenüber dem Publikum bedeutet?
Nein, überhaupt nicht. Von Beginn an hatte ich eine wunderbare Unterstützung hier. Man war immer positiv dem Neuen gegenüber aufgeschlossen. Gleich am Anfang waren wir in der Konzeption sehr wagemutig. Wir spielten schon in der ersten Saison relativ unbekannte Stücke, hatten auch keine weltbekannten Solistennamen auf dem Programm und trotzdem lief es gut. Das Publikum hat sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt und weiß heute, was angeboten wird, hat eine herausragende Qualität, auch wenn sich keine „Reißer“ im Programm finden. Es hat vollstes Vertrauen. Das OPS hat sich dadurch ein gutes „standing“ erarbeitet. Es geht dadurch bei vielen Stücken ganz frisch ans Werk und hat dadurch auch eine andere Energie. Ich halte es für notwendig, frische Luft ran zu lassen.
Sie werden sich am Ende der Saison 10/11 mit einem gewaltigen Werk vom Straßburger Publikum verabschieden, den Gurreliedern von Arnold Schönberg. Es gilt ja als eines der dichtest instrumentierten Werke überhaupt und arbeitet somit mit einem riesigen Klangapparat. Wie kam diese Entscheidung, die ja sicherlich ein bewusstes Statement ist, zustande?
Ja das stimmt vollkommen, dieser Schönberg ist ein ganz bewusstes Statement. Ich hatte sozusagen, wenn Sie so wollen, einen Wunsch für mein Abschiedskonzert frei und habe die Gurrelieder gewählt, weil mir die Belebung der Zweiten Wiener Schule am Herzen liegt und wichtig erscheint. Diese Idee stand auch am Anfang meiner Arbeit in Straßburg. Bis auf das Violinkonzert von Alban Berg ist vieles komplett in Vergessenheit geraten. Die Gurrelieder wurden zudem noch nie zuvor vom OPS aufgeführt, reihen sich also auch in diese Programmatik des weniger Bekannten hier vor Ort ein. Sie verlangen einen riesigen Apparat, der aber sanft atmet und schwebt, was das Unglaubliche daran ist. Natürlich entsteht dabei auch monströser Lärm, sozusagen eine richtige Entgrenzung der Musik. Aber die Feinheiten zu behalten und hörbar zu machen, das Zarte, gerade das ist es, was die Herausforderung daran bedeutet.
Sie arbeiten mit diesem Werk ja mit dem vollen Klang. Der volle Klang ist etwas, das Sie in Ihrer Programmatik auszeichnet. Ins Volle zu greifen, um bildlich zu sprechen, lieben Sie sehr!
Ja, das stimmt, wobei ja jedes Orchester schon seinen eigenen vollen Klang hat. Jeder Dirigent trägt seinen eigenen Klang in sich und jedes Werk zusätzlich. Die Kombination dieser unterschiedlichen Elemente macht schlussendlich den großen Reiz aus. Hier in Straßburg hat das OPS ja aufgrund mehrerer Faktoren einen ganz bestimmten Klang. Zum einen meine deutsche Direktion, die auf ein französisches Orchester einwirkt, das wiederum viel deutsch- österreichisches Programm spielt. Diese Kombination ist sicher einzigartig und erzeugt auch einen ganz besonderen Klang. Der Klang steht für mich immer auch gleichwertig mit der Struktur eines Werkes. Carlos Kleiber oder Claudio Abbado hätten ebenfalls nie eine Säule zugunsten der anderen aufgegeben. Wenn ich an die Gurrelieder denke, so tragen sie für mich stark den Wiener Klang der Spätromantik in sich. Sie sind nicht kühl und nicht allein über die Struktur des Werkes zu definieren. Heute arbeitet man gern mit einem von oben herab blickenden Sichtwinkel, was ich in diesem Falle nicht richtig finde. Das Durchsuchen der Struktur und das gleichzeitige Herausarbeiten der klanglichen Finessen in ihrer Fülle, sodass nicht alles nur laut und intensiv klingt, kostet natürlich Zeit. Und das wird immer schwieriger, weil heute alles auch viel schneller gehen muss. Es funktioniert aber mit diesem Orchester besonders gut, weil wir aufeinander eingespielt sind, weil wir aufeinander reagieren und ein gegenseitiges Verständnis besitzen. Es ist schon ein besonderes Arbeiten, das sich auf diese Vertrautheit begründet, denn darauf kann man aufbauen, was extrem wertvoll ist.
Wie hoch ist der Anteil an neuem Repertoire, das Sie pro Jahr dirigieren?
Der Anteil ist meiner Meinung nach hoch, denn ca. 1/3 der Werke, die ich pro Saison dirigiere, erarbeite ich mir neu. Ich glaube aber, dass sich das einmal ändern wird. Natürlich habe ich Prioritäten, gewisse Werke sind mir näher als andere und wenn ich es mir aussuchen kann, dann tue ich das auch. Sibelius oder Schostakowitsch zum Beispiel finde ich grandios, zähle sie aber nicht zu meinen Favoriten, genauso wie ich mich nicht als Experte für russische Musik halte. Ein kompositorisches Werk muss mich berühren, damit ich es wirklich gut machen kann. „Kunst kommt von Müssen“ und das ist zugleich auch der Motor, etwas zu machen und aufzuführen. Ein Werk, in dem ich das nicht finde, kann ich auch nicht erarbeiten, sodass es gut wird. Im Fall des OPS bin ich froh, dass die Gastdirigenten mit dem Orchester dies ausgleichen können, sodass auch das Orchester selbst nicht darben muss. Das hat hier immer sehr gut funktioniert. Ich bin nach wie vor sehr neugierig, Neues zu erarbeiten. In Kürze werde ich in Paris die „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“ von Schönberg dirigieren, die etwas Neues für mich ist. Mein Hauptaufgabenfeld ist die Zweite Wiener Schule, das Repertoire der großen französischen Impressionisten, darauf habe ich richtig Lust. Man kann auch nicht alles machen. Günter Wand, einer jener Dirigenten, den ich sehr verehrte, zog sich im Alter zurück und konzentrierte sich nur mehr auf immer dieselben 10, 12 Stücke. Das finde ich besonders bemerkenswert, die Fragen, die sich stellen intensiv an wenigen Stücken abzuarbeiten. Ich sehe das eigentlich auch für mich als Ziel. Jetzt arbeite ich noch in der Breite und das möchte ich sicherlich noch lange machen, aber im Alter kann ich mir das gut vorstellen. Was bleiben wird, ist sicher Bruckner und auch Beethoven, der Rest, das werde ich noch sehen.
Sie wurden ja auch durch einige Operninterpretationen bekannt. Was machen Sie lieber? Arbeiten Sie lieber in der Oper oder im Konzertsaal mit den symphonischen Werken?
Mein Herz schlägt für Opern und für Symphonien gleich. Das eine ist nicht ohne das andere für mich denkbar, das eine bezieht sich auf das andere, beeinflusst in der Arbeit auch das andere. In der Oper besteht ein viel größerer Bezug zur Szene und der intensive Austausch mit dem Regisseur ist mir dabei enorm wichtig. Allerdings ist das Risiko bei einer Oper auch wesentlich höher. Das Ideal zu erreichen, gelingt dort ungleich schwerer. Der Einsatz dafür ist enorm. Opern sind vom Arbeitsaufwand her Zeitfresser erster Rangordnung. Ich erinnere mich, als ich „St. Francois d´Assise“ von Messiaen erarbeitete, habe ich mich monatelang in jeder freien Minute in die Partitur vergraben, egal ob im Flugzeug oder zu Hause. Dann kommt dazu, dass die Stimmen der Sänger fragil und anfällig sind und es daher natürlich vorkommt, dass manches Mal nicht die Idealbesetzung zum Zug kommt und auf der Bühne steht. Die Oper ist so etwas wie ein großes Mannschaftsspiel und es fügt sich nur dann gut zusammen, wenn die Sängerinnen und Sänger das mittragen. Im Konzertsaal hingegen ist der Dirigent der Alleinherrscher. Wenn man nach einer Opernproduktion eine Symphonie dirigiert kommt einem das vor wie purer Luxus. Man hat alles selbst in der Hand und arbeitet auf das vorbestimmte Ergebnis hin.
Wie würden Sie sich selbst als Dirigent beschreiben?
Das kann ich selbst schwer sagen. Man sagt, ich hätte die Begabung, dichte Strukturen durchhörbar zu machen, egal ob das Henze, Strauß oder auch die Gurrelieder sind. Je genauer ich vorher, schon vor den Proben mit den Musikern, die Dinge „höre“ umso besser wird die Übertragung und damit auch das Ergebnis. Bei den Proben weiß ich dann ganz konkret, wie es klingen soll, da habe ich dann auch keine Objektivität mehr, da gibt es sozusagen auch kein Zurück mehr. Dann gibt es für mich nur mehr diese eine Version hier und keine andere. Ich muss dann auch mit einer gewissen Art von Egozentrik durch, egal ob es dem Publikum und den Musikern gefällt oder nicht, das ist völlig zweitrangig.
Wenn Sie Ihre Zeit in Straßburg kurz rekapitulieren lassen, woran werden Sie sich in 30 Jahren noch erinnern?
Auf alle Fälle an die Stadt an sich, die ja einen großen Charme ausstrahlt. Aber dann natürlich auch an für mich sehr wichtige künstlerische Ereignisse. An die Aufführung des „Sacre du Printemps“, die für mich etwas ganz Besonderes war. Dass wir sie jetzt auf der kommenden Tournee noch einmal spielen, finde ich wunderbar. Natürlich denke ich auch an die 3. Symphonie von Mahler und an die 7. von Bruckner, sowie an die konzertante Salomé ganz am Anfang. Eine Sonderrolle spielte auch der Fidelio, die einzige Oper, die ich in Straßburg an der Opéra national du Rhin dirigierte. Das war eine Ausnahmeveranstaltung, die ich selber sehr gemocht habe.
Finden Sie es schade, dass es heutzutage keine langen Bindungen an Orchester mit ihren Dirigenten mehr gibt, Bindungen, die über 10 Jahre und länger dauern?
Nein, eigentlich gar nicht. Alles hat 2 Seiten. Natürlich ist es schön, wenn man sich gut kennt und wenn man aufeinander eingespielt ist. Aber so ein gutes Kennen läuft sich nach einer gewissen Zeit auch tot und es tritt eine gewisse Art von Sättigung ein. Man hat dann alles erarbeitet, was einem am Herzen liegt und dann beginnen die Wiederholungen. Aber Wiederholungen bedeuten Routine, das ist aber der Todfeind, der Gefahr bringt. Nach 10 Jahren braucht ein Orchester wieder einen frischen Wind. Man hat das auch bei der lebenslangen Zusammenarbeit mit Karajan und den Berliner Philharmonikern beobachten können, die ja auch nicht gerade unproblematisch war. Eine solche Bindung ist zugleich auch eine schwere Belastung.
Das bedeutet, die Zusammenarbeit mit einem Orchester könnte man nicht mit einer Ehe vergleichen?
Ja und nein zugleich. Wenn man 10 Jahre verheiratet ist und sich tag- täglich sieht, dann kann es auch sein, dass man nach 10 Jahren eine Bestandsaufnahme machen muss und sich fragen muss: Bis hierher sind wir so und so gegangen, wo soll es in Zukunft hingehen? Bei einem Orchester jedoch ist so eine lange Bindung nicht notwendig, um ein Projekt zu einem guten Ende zu bringen. Das hat nichts mit der heutigen Globalisierung oder einem Jet-Set zu tun, dem man frönen möchte. Sondern es geht auch darum, künstlerische Projekte neu aufstellen und neu definieren zu können.
Was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe in Amsterdam, in der Sie ja das Niederländische Philharmonische Orchester und das Kammerorchester und die Niederländische Oper leiten werden?
Es bedeutet für mich eine große Herausforderung, da ja das Orchester mit beiden musikalischen Säulen ausgestattet ist. Die Arbeit im Graben wird jener im Konzertsaal zugute kommen und auch umgekehrt. Ich bin dazu verpflichtet, jeweils die Hälfte des Jahres anwesend zu sein, was eine große Intensität bedeutet. In Amsterdam arbeitet man an der Oper auf sehr hohem Niveau mit dem Stagione-Prinzip, so wie hier auch in Straßburg, anders als in Deutschland. Das ist sehr gut, weil man bei diesem Prinzip auch noch bei der 8. Vorstellung eine wunderbare Aufführung erleben kann, die unter Umständen noch besser ist als bei der Premiere. Dazu kommt noch, dass wir alle Konzerte im großen, schönen Saal des Concertgebouw spielen können, was natürlich ein richtiger Luxus ist.
Sie kennen viele Orchester auf der ganzen Welt und auch das Publikum. Können Sie darin auch Unterschiede erkennen?
Ja, es gibt große Unterschiede. Einerseits von den Sälen an sich her und andererseits aber auch vom Publikum. Ein Konzertsaal ist ein Instrument, das großen Einfluss auf den Klang hat. Hier in Straßburg haben wir es mit einer räumlichen Situation zu tun, in der das Publikum sehr weitläufig vom Orchester entfernt in diesen großen, gepolsterten Sesseln sitzt. Der Raum hat aber den Nachteil, dass der Schall sich schon nach wenigen Reihen minimiert. Da sollte in Zukunft vielleicht auch eine Modifikation stattfinden. In Paris hingegen sitzt einem das Publikum direkt auf den Fersen und die Ovationen sind schier nicht enden wollend. Im Concertgebouw wiederum haben wir es auch mit einem Raum zu tun, in dem das Publikum direkt spürbar ist, ja sogar das Atmen hörbar werden kann. Dort sind die Menschen aber anders, sie stehen auf, geben Standing ovations, kurz aber heftig. Egal aber wo man dirigiert, es ist immer ein besonderes Erlebnis, wenn man merkt, dass das Publikum ganz bei der Sache ist, das Konzert intensiv mitverfolgt. Ob es ungeduldig hustet oder aber dieses beredte Schweigen herrscht macht einen großen Unterschied.
Haben Sie Wünsche, die das OPS nach Ihrer Zeit begleiten soll?
Das Orchester liegt mir sehr am Herzen und es gibt einiges, was ich ihm für die Zukunft wünsche. Es wäre schön, wenn das neue Opernhaus gebaut würde, von dem man schon so lange spricht. Vieles ist in dem jetzigen alten Haus nicht machbar. Auch, dass das Orchester in zu kleinen und akustisch unzulänglichen Sälen proben muss, ist nicht gut und sollte geändert werden. Und es gibt verschiedene Bestrebungen, die nicht gut für den Klangkörper an sich sind. Man diskutiert zum Beispiel aus Einsparungsgründen die Anzahl der fixen Musiker zu kürzen und die großen Projekte mit Aushilfen zu spielen. Aber das funktioniert überhaupt nicht, denn diese Aushilfen haben ja nicht dasselbe Niveau. Wenn man das macht, leidet die Qualität hörbar, das merken nicht nur die Musiker, sondern das wird auch das Publikum bemerken. Solchen Bestrebungen muss man ganz entschieden von Anfang an entgegentreten, mit aller Kraft. Das OPS, eines der traditionsreichsten Orchester in Frankreich ist ein Leuchtturm für das ganze Elsass und es wäre wirklich schade, wenn man mit weniger Licht auskommen wollte.
Das grüne Herz inmitten der Stadt Straßburg: Der botanische Garten
Verschlungene Parkwege, kleine, lauschige Bänke unter hohen, Schatten spendenden Bäumen, einen romantischen See, umgeben von Schilfpflanzen und im Frühling eine Blütenpracht schier ohne Ende. All das bietet der zweitälteste botanische Garten Frankreichs.
Er befindet sich inmitten von Straßburgs Zentrum, umbeben von Universitätsgebäuden, auf einem Areal von 3,5 ha. Ein Naturkleinod mit über 15.000 verschiedenen Pflanzen aus 6000 Pflanzengattungen, das sehr gerne von der Bevölkerung zur Erholung genützt wird. Vor allem laue Frühlingstage, an denen sich der Garten in all seiner bunten Vielfalt präsentiert, heiße, schwüle Sommertage, an denen er Schatten und Abkühlung bereit hält, oder sonnige Herbsttage, die das Laub in all seinen Schattierungen leuchten lässt, bieten immer wieder Gelegenheit für einen Besuch.
Mit seinem Gründungsjahr 1691 ist der botanische Garten der zweitälteste seiner Art in Frankreich, nach Montpellier, wenngleich er sich auch nicht mehr am ursprünglichen Platz befindet. Umgeben ist er von Universitätsgebäuden aus der wilhelminischen Zeit, aber auch einem Neubau aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, welcher das botanische Institut beherbergt. Es steht in scharfem Kontrast zu einem der letzten erhaltenen Glashäuser aus dem 19. Jahrhundert, das als einziges einer Hagelattacke im Jahr 1958 stand hielt. Der Garten beherbergt neben anderen Gewächshäusern ein tropisches Gewächshaus sowie ein kaltes Treibhaus. Die Freianlagen sind durch romantische Gehwege erschlossen. Ein See mit Seerosenbepflanzung und die Nachbarschaft des Observatoriums geben Straßburgs botanischem Garten sein charakteristisches Flair.
Alte, tief eingesunkene Parkbänke und zwei dem Verfall Preis gegebene hölzerne Gartenhütten verbreiten ein Gefühl, als ob die Zeit auf diesem wunderschönen, kleinen Fleckchen Erde stehen geblieben wäre. Somit ist ein Besuch nicht nur Pflanzenliebhaberinnen und -liebhabern zu empfehlen, sondern auch all jenen, die sich gerne einige Augenblicke aus dem Großstadttrubel ausklinken möchten.
Der Eingang zum Botanischen Garten
Der botanische Garten ist durch zwei Eingänge erreichbar: Der Hauptzugang befindet sich in der Rue Goethe Nr. 28, neben dem modernen Gebäude des botanischen Instituts. Einen weiteren Zugang gibt es von der Rue de l ´Université aus. Geöffnet ist der Garten ganzjährig. Sperrtage sind: 1. Jänner, 1. Mai, 1. und 11. November, 25. und 26. Dezember sowie – aus Sicherheitsgründen – an Schlechtwettertagen.
Le cœur vert au centre ville de Strasbourg – le jardin botanique
Des chemins sinueux, de petits bancs intimes à l’ombre des arbres majestueux, un lac romantique entouré de roseaux et au printemps une multitude infinie de fleurs, voilà les merveilles que l’on trouve au deuxième plus ancien jardin botanique de France.
Ce jardin, entouré par des bâtiments universitaires, se trouve en plein centre de Strasbourg sur un domaine d’environ 3,5 hectares. La population aime à se reposer dans ce parc, un véritable bijou de la nature, abritant plus de 15000 plantes différentes issues de 6000 espèces. Chaque saison on a une bonne raison pour rendre visite au jardin : au printemps, où le jardin revêt son merveilleux habit multicolore, en été, où l’on recherche l’ombre des arbres pour trouver un peu de fraîcheur les jours de canicule ou encore aux beaux jours d’automne, où la lumière du soleil fait ressortir toutes les nuances des couleurs du feuillage.
Fondé en 1691, le jardin botanique est, après celui de Montpellier, le plus ancien jardin botanique de France, même s’il ne se trouve plus à son emplacement initial. Il est entouré par les bâtiments universitaires construits à l’époque de Guillaume Le Conquérant ainsi que d’une construction moderne, datant de la 2e moitié du 20e siècle. Elle héberge l’institut botanique et forme un contraste saisissant avec une serre en verre du 19e siècle qui est la seule à avoir résisté à un orage de grêle survenu en 1958.
Parmi les nombreuses serres, on trouve une serre tropicale et une serre froide. Les plantations extérieures sont accessibles par de petits chemins romantiques. Le lac et ses nénuphars ainsi que la proximité de l’observatoire caractérisent l’ambiance qui règne dans le jardin.
De vieux bancs enfoncés dans le sol et deux petits chalets en bois abandonnés à leur sort donnent l’impression que le temps s’est arrêté à cet endroit merveilleux. C’est pour cette raison que la visite du jardin n’est pas seulement recommandé aux amatrices et amateurs de plantes mais à tous ceux qui cherchent un coin de tranquillité au milieu du bruit de la grande ville.
Le jardin botanique est accessible par deux endroits : l’entrée principale se trouve au 28, rue Goethe à coté du bâtiment moderne de l’institut botanique. Une autre entrée est située du coté de la rue de l’Université.
Le jardin est ouvert au public tout au long de l’année.
Jours de fermeture : le 1er janvier, le 1er mai, le 1er et le 11 novembre, le 25 et le 26 décembre ainsi que pour des raisons de sécurité les jours d’intempéries.
Herr Trpceski, spielen Sie zum ersten Mal in Straßburg?
Nein, ich bin schon zum zweiten Mal hier, das erste Mal spielte ich ein Klavierkonzert von Saint-Saens, was ja eine enorme Herausforderung darstellte, in Frankreich einen französischen Komponisten zu interpretieren.
Sie haben das Orchester nun zum zweiten Mal erlebt, können Sie zwischen den Konzerten Unterschiede feststellen?
Das letzte Konzert von Saint-Saens hatte das Orchester wunderbar gespielt – aber diesen Klang sollte das Orchester selbstverständlich auch beherrschen. Mit Tschaikowsky ist das schwieriger, denn es ist ein bekanntes Konzert und der Dirigent muss sehr darauf achten, eine Geschichte daraus zu machen. Jakub Hrůša hat wunderbare Klangfarben erzeugt. Er hat mit dem Orchester viel gearbeitet und sie haben vieles dadurch erreicht. In der Kombination zwischen Hrůša und mir wollten wir vor allem die Nuancen hörbar machen. Das Orchester hatte einen wunderbaren, warmen Klang, spielte sehr professionell und hat vor allem viele gute solistische Einzelleistungen gezeigt. Wir hatten nur 2 gemeinsame Proben und ich spiele gerne mit einem Orchester ganz im Sinne von einer Zusammenarbeit wie bei einer Kammermusik. Ich kann zum OPS sagen, dass das Orchester zu den besten in Frankreich gehört. An deren Spitze steht das Orchestre national de France, aber danach teilen sich das OPS und auch das Orchester von Bordeaux meiner Meinung nach die Plätze.
Die Qualität eines Orchesters hängt ja enorm von der Kommunikation der Musiker untereinander ab und natürlich auch zu deren Dirigenten. Die Kommunikation innerhalb der Musiker hilft dem Dirigenten enorm. Ich habe mit vielen internationalen Orchestern auf der ganzen Welt gespielt und ich weiß, dass die französischen Orchester einen sehr hohen Standard erreichen können. Die anspruchsvollsten Orchester findet man meiner Meinung nach jedoch in England. Ich erinnere mich aber auch daran, dass ich nach einem Konzert mit Lorin Maazel bei einem Gespräch seine Meinung hörte, nach der er die Philharmonie in Baden-Baden für dasjenige Orchester hält, das am schnellsten reagiert. Ich selbst habe noch einige große Orchester, mit denen ich noch nie gespielt habe, wie zum Beispiel jene in Leipzig, in Berlin, Dresden und die Wiener Philharmoniker.
Auf Ihrer homepage kann man ganz oben, quasi als Übertitel einen Sinnspruch lesen: Per aspera ad astra, was soviel heißt wie „durch Mühsal gelangt man zu den Sternen“. Ich habe das noch bei keinem Künstler gelesen, was hat das für Sie für eine Bedeutung?
Das ist eigentlich mein Lebensmotto. Dieses lateinische Zitat hat mein Vater ausgesucht und mir näher gebracht. Sie müssen wissen, Mazedonien, das Land aus dem ich komme, hat keine lange Tradition was die klassische Musik angeht. Das erste Orchester wurde erst im Jahre 1944 gegründet, wir sind mit dieser Tradition weit hinter den andern Staaten. Ich wuchs in einer sehr turbulenten Zeit auf. Nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens kam das Land in ein Übergangsstadium, in dem es sich leider heute noch befindet. Das Land war politisch abgeschottet, was extrem schwer war. Ich selbst komme aus einer armen Familie, meine Eltern aus Dörfern aus dem Südosten und Südwesten des Landes. Sie haben sich sehr angestrengt, um in die Hauptstadt nach Skopje zu kommen und wir hatten wirklich eine lange Zeit große Schwierigkeiten ohne jegliche finanzielle Unterstützung mit wirklich wenig Geld. Einige Freunde der Familie jedoch vertrauten meinem Vater, der ihnen von mir erzählte und der an mich glaubte. Sie unterstützten einige meiner Reisen zu den Wettbewerben ins Ausland finanziell. Was Pavarotti einmal gesagt hat, traf auf uns genauso zu: Wir hatten in unserer Familie ganz wenig, aber niemand hatte mehr als wir! Wir sind drei Geschwister und wir lebten intensiv mit unserer Familie und in der Gemeinschaft. Von meiner Familie erhielt ich Wärme und Unterstützung. Ich bin der jüngste, sozusagen das „Baby“ in der Familie.
Wie kamen Sie zur Musik?
Erstens durch meine Familie. Ich begann mit 4 Jahren Akkordeon zu spielen. Das Akkordeon ist bei uns ein traditionelles Instrument, mit dem viel Volksmusik gemacht wird. Die Volksmusik hat bei uns einen sehr hohen Stellenwert. Aber Akkordeon wurde damals in der Musikschule nicht unterrichtet. Als ich dann in die Musikschule kam, da entschloss ich mich Klavier zu spielen, da es ja auch eine Klaviatur hat, die ich ja schon kannte – zwar nur für die rechte Hand, links ist das beim Akkordeon doch anders – aber es hatte zumindest eine Tastatur. Und zweitens erhielt ich Unterricht von einem russischen Ehepaar, den Romanovs. Sie kamen gleich nach dem Bruch von Moskau nach Skopje und unterrichteten hier. Ich hatte Glück, denn ich lernte extrem schnell. Natürlich habe ich auch hart gearbeitet und viel geübt, aber es hat mir immer Spaß gemacht. Als Kind hat man einen Traum – meiner war die Musik. Ich liebte Musik. Damals gab es kein Internet wie heute. Ich blätterte in den Zeitschriften und ich betrachtete die großen Konzertsäle und fragte mich: Werde ich einmal die Chance haben, dort zu spielen? Mein erstes großes Konzert spielte ich, als ich 15 war, mit den Mazedonischen Philharmonikern. Es war die Rhapsodie in blue von Gershwin und ich dachte mir – mach es jetzt, wie es Bernstein einmal gesagt hat: Geh raus und zeig es ihnen! Und als ich zu meinen ersten Wettbewerben fuhr, nach Italien und in die Schweiz, war ich sehr neugierig, vor allem darauf, wie die Jury bewertet und was von mir erwartet wurde. Ich war nie aufgeregt oder gestresst wegen der Wettbewerbe, sondern vielmehr immer interessiert, wo ich mit meinem Können stand und was die anderen konnten. Natürlich habe ich auch einige Dinge erfahren, die nicht wirklich schön sind, was Wettbewerbe anlangt, aber es war mir im Grunde auch nicht wichtig zu gewinnen. Schon allein, dass ich dabei sein durfte, machte mir eine große Freude und erfüllte mich mit Stolz. Wissen Sie, ich erzähle Ihnen eine kleine Geschichte, die in Zusammenhang mit dem Konzert hier in Straßburg steht. Am Datum des Konzerttages hier in Straßburg, jährte sich zum 10. Mal der Jahrestag des Wettbewerbes in London, bei dem ich „entdeckt“ wurde. Ich musste gestern daran denken. Ich gewann bei diesem Wettbewerb nicht, sondern ich wurde Zweiter, aber das war mir völlig egal. Für mich war ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich durfte in London spielen, mit dem London Philharmonic Orchestra in der Royal Festival Hall – was hätte ich sonst noch erwarten können! Mir war es völlig egal, welchen Platz ich dabei erreicht hatte. Für mich kam es einem Wunder gleich. Aber ich habe erhalten, was ich verdient habe. Bei diesem Konzert hörte mich eine Frau von der Konzertagentur IMG Artists und sie kam danach zu mir um mich zu fragen, ob ich mit ihr zusammenarbeiten wollte. Und so kam ein Schritt zum anderen. Nach einem Jahr hörten Leute von EMI Classics ein Konzert von mir in der Wigmore Hall in London und nahmen mich unter Vertrag.
Wie viele Konzerte spielen Sie im Jahr?
Nicht so viele, 50 oder 60 vielleicht. Aber da das volle Repertoire, das ich spielen kann. Ich mache also keine Tournee, auf der ich nur zwei oder drei Stücke spiele, sondern ich spiele hintereinander völlig andere Werke. Aber ich möchte nicht mehr machen. Ich möchte nicht mein ganzes Leben nur im Flugzeug, auf Flughäfen und in Hotels verbringen. Ich wurde aber nie von meiner Agentur unter Druck gesetzt und dafür bin ich sehr dankbar. Aber ich würde mich auch nie unter Druck setzen lassen. Ich muss ja auch mein Leben leben, um Inspiration zu bekommen. Wenn ich das Gefühl bekäme, dass sich die Maschinerie meiner bemächtigt, würde ich sofort damit aufhören. Ich habe keinen Geltungsdrang. Ich freue mich, wenn ich meine Freunde und meine Familie sehe – home sweet home – das stimmt bei mir völlig. Ich fliege morgen nach Hause und wir feiern am Wochenende in der Familie. Wir werden ein kleines Lamm grillen und viel Spaß haben! Ich habe eine wunderbare Zeit, aber ich versuche, so normal wie nur möglich zu bleiben, sozusagen erdverbunden zu bleiben. Das habe ich in meinen Genen, in meinem Blut. Ich hoffe, dass ich mich beruflich noch verbessern und weiter entwickeln kann, aber ich möchte das Leben so viel wie möglich genießen! 24 Stunden am Tag sind für mich eigentlich nicht genug. Es ist aber unglaublich wichtig, dass das Private und das Berufliche miteinander gut verbunden sind, für beide Seiten des Lebens!
Ich unterrichte ja auch an der Musikuniversität in Skopje. Ich bin der erste Künstler im Bereich der klassischen Musik aus Mazedonien, der international bekannt ist. Das ist für mich auch eine Art Mission. Auch wenn es schwieriger geworden ist, den Level zu halten, auf dem ich mich befinde. Aber mein Vater sagte mir auch: Wenn Du Deine Zeit gut einteilst, dann kannst Du alles machen. Ich betrachte mich als jemanden, der sehr privilegiert ist. Meine Schwester sagte zu mir: Simon, du bist der glücklichste Mensch auf diesem Planeten! Vielleicht bin ich das auch.
Gibt es noch einen Traum, den Sie haben?
Im August wird sich einer meiner großen Träume erfüllen. Da werde ich in Rio de Janeiro spielen. Ich hatte zwei große Träume, einmal in Paris zu spielen, das habe ich schon gemacht, und einmal in Rio zu spielen, das kommt jetzt. Es ist mein erster Aufenthalt in Brasilien und ich freue mich schon sehr darauf.
Haben Sie etwas, was Sie den Leserinnen und Lesern gerne direkt sagen möchten?
Ja, ich würde sie gerne dazu einladen, so viele klassische Konzerte wie möglich zu besuchen. Es ist ja medizinisch erwiesen, dass klassische Musik gesund ist! Wenn Leute einfach daran Freude haben und sich dabei richtig entspannen können, dann können sich für sie dabei Visionen für ihr Leben öffnen. Ich habe gehört, dass in Straßburg das Publikum etwas jünger als im Schnitt ist, was mich sehr freut! Es gibt so viele wunderbare Musik in den Konzertsälen. Manchesmal komponiere ich auch Popmusik – die von Klassik inspiriert ist – sowie Klassik ja oft auch von Volksmusik inspiriert war. Klassik muss nicht immer nur ernsthaft aufgefasst werden, es gibt ja auch jede Menge von Tanzmusik in klassischen Stücken. Wenn die Leute ins Konzert gehen und diese Musik hören, dann kann es sie dazu bringen, anders über ihr Leben nachzudenken, deswegen: Kommen Sie – und haben Sie Spaß an der Musik!
Ich danke Ihnen herzlich für das Interview und wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft!
Herzlichen Dank – und kommen Sie einmal nach Mazedonien!!!
Barbara Engelhardt ist als freie Kuratorin für die Auswahl der Stücke des „Festival Premières“ in Straßburg verantwortlich. Sie erarbeitet das Programm mit dem Le-Maillon sowie dem TNS, dem Théâtre national Strasbourg, und legte in diesem Jahr bereits die 6. Saison vor.
Die Theaterkuratorin Barbara Engelhardt (c) Alexandre Schlub
Frau Engelhardt, sie waren bis 2001 Chefredakteurin der Zeitschrift „Theater der Zeit“, wie kam es zu Ihrer Verbindung mit Straßburg?
Ende 2001 legte ich eine Babypause ein und ging von Berlin nach Paris – da bin ich dann hängen geblieben. Als mein Mann an die UNI nach Straßburg wechselte, begann hier rasch meine Zusammenarbeit mit den Theatern. Ich kannte Bernard Fleury (Direktor des Le-Maillon, eines Szenetheaters für zeitgenössisches, europäisches Theater) der die Präsenz des deutschsprachigen Theaters in Straßburg verstärken wollte und ich hatte die Idee, die europäischen Theaterschulen, in denen Regie gelehrt wird, miteinander zu vernetzen. Und eine solche Regieausbildung gibt es auch in der Schule des Straßburger Nationaltheaters. So entstand das gemeinsame Format eines zeitgenössischen Theaterfestivals. Um den jungen Leuten, egal ob Regisseure oder Schauspieler, die Möglichkeit zu geben, sich zu vergleichen und zu sehen, wie in anderen Ländern gearbeitet wird, wollten wir Produktionen zeigen, die als Abschlussarbeiten an den verschiedenen Hochschulen erarbeitet wurden. Es stellte sich aber rasch heraus, dass dies eine zu enge Beschränkung war und so gingen wir dazu über, uns auch jene Produktionen anzusehen, die außerhalb der Schulen zustande kamen. Wir blieben allerdings dabei, nur europäischen Nachwuchsregisseuren, die ganz am Anfang ihrer künstlerischen Laufbahn stehen, ein Podium zu bieten.
Gibt es überhaupt noch regionale Unterschiede im jungen, zeitgenössischen Theater?
Zunächst kann man natürlich innerhalb Europas allgemeinen Tendenzen ausmachen: im Umgang mit Texten, Musik, cineastischen Einflüssen etc. Aber dennoch gibt es nationale Unterschiede, die auch aus der Ausbildung herrühren und aus dem Verhältnis zu den jeweiligen Theatertraditionen, in das junge Künstler sich setzen müssen. In Polen und Russland zum Beispiel herrscht ein Meisterprinzip vor, das zugleich eine ästhetische Ausrichtung an einer starken Künstlerpersönlichkeit bedeutet. In Deutschland wiederum könnte man häufiger von einem „Vatermordprinzip“ sprechen, das sich im schlechteren Falle in einer Art Originalitätswahn ausdrückt, idealerweise aber von einem sehr selbstbewussten Umgang mit Stoffen und Inhalten zeugt. In Frankreich wiederum kommen viele Regisseure zunächst als Schauspieler zum Theater, und der angelsächsische Raum ist durch seine spezifische Situation der Strukturen und Subventionen extrem schwierig für den Nachwuchs. Zwischen all diesen Polen herrscht Spannung und bewegt sich viel. Auch ist es so, dass man innerhalb eines Ensemblebetriebs andere Arbeitsbedingungen vorfindet als jemand, der mit Freischaffenden arbeitet oder eine Compagnie gründet. Und diese Voraussetzungen schlagen sich in den einzelnen Arbeiten nieder, formal und inhaltlich. Am Beispiel der diesjährigen Peer-Gynt-Inszenierung, die ja vom Reinhardt-Seminar in Wien kommt, kann man sehen, dass es für den Regisseur eine Herausforderung darstellte, die Rollen, die mit älteren Schauspielern besetzt werden müssten, nur mit jungen Schauspielern aus dem Seminar zu füllen. Das funktioniert dann nur, wenn das Regiekonzept sich diesen Bedingungen wirklich stellt und dabei schlüssig ist.
Sie haben, auch durch die Zusammenarbeit mit dem Le-Maillon und dem TNS sicherlich ein großes Netzwerk, auf das sie zugreifen können.
Ja, aber vor allem verfüge ich selbst über ein Netzwerk aus meiner journalistischen Zeit und den Jahren als Festivalkuratorin, übrigens nicht nur für Premières. Es ist auch so, dass ich mir direkt aus den verschiedenen Theaterschulen Informationen über interessante Projekte einhole, inzwischen schicken manche Compagnien ihre Projekte selbst ein. Ich höre mich aber auch in den jeweiligen off-Szenen oder in bestimmten Theatern um, die junge Talente fördern. Trotzdem kommt natürlich immer wieder das Zufallsprinzip bei der Recherche zum Tragen. Wichtig ist vor allem, dass man spontan reagiert: Klingt ein Dossier interessant, sprechen junge Regisseure überzeugend von ihrer Theaterarbeit, werden Fragen aufgeworfen, die mir heute auch gesellschaftlich relevant erscheinen, muss man in den nächsten Zug steigen, um sich von der Arbeit auf der Bühne einen direkten Eindruck zu machen.
Wie planen Sie eine Festivalausgabe inhaltlich?
Wir setzen keine thematischen Schwerpunkte, die kann man sich bei einer solchen Ausrichtung auch nicht vorab konstruieren. Mir ist eine ästhetische und inhaltliche Vielfalt wichtig, die Produktionen sollten sich nicht ähneln. Ich möchte kein einheitliches Generationenbild wiedergeben, das ich so auch nicht sehe. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Inszenierungen formal „perfekt“ sind, da man immer bedenken muss, dass junge Regisseurinnen und Regisseure in ihrer Umsetzung ja auch Grenzen vorfinden. Hauptsächlich finanzielle, die dann zum Beispiel Auswirkungen auf die Besetzung oder die Möglichkeiten für ein Bühnenbild haben. Aber das kann eine gute szenische Fantasie, eine konsequente Ästhetik wettmachen. Und ihre Arbeiten müssen Fragen aufwerfen oder etwas verhandeln, das das Publikum heute und auch hier in Straßburg tatsächlich betrifft.
Gibt es bestimmte Grundthematiken, die sich länderübergreifend ausmachen können?
Natürlich gibt es immer wieder Tendenzen, sogar Moden im Theater. Daran ist nicht zuletzt auch die internationale Festivalkultur schuld. Wenn es also bei Premières inhaltliche Grundthematiken gibt, dann eher als einen roten Faden, der sich einem Zuschauer, der sich auf diesen Festivalmarathon Premières einlässt, im Nachhinein erweist. Im letzten Jahr war ein Schwerpunkt erkennbar, in dem eigene Biographien vor dem jeweiligen nationalen Hintergrund aufgearbeitet wurden. In diesem Jahr ist es eher das Verhältnis der jüngeren Generation zur älteren. Also auch die Frage, wie distanziere ich mich, anders als 1968 heute meist ohne Kampfgeste. Wie schaffe ich mir eine eigene Identität. Die Auseinandersetzungen hierzu sind jetzt aber persönlicher. Ich sehe heute keine Fürsprecher mehr für die eigene, junge Generation. Der Ausgangspunkt für ein politisches Engagement ist heute ein anderer als früher. Es sind keine Gruppen, KIassen oder Schichten mehr, denen man sich zugehörig fühlt und für die man eintritt. Vielmehr kommt die Identitätsfrage aus dem eigenen Erleben. Beim diesjährigen Festival zeigen wir ein Stück von drei Türkinnen – zu Deutsch „Das hässliche Menschlein“. Sie nahmen ihre persönliche Erfahrung des Ausgegrenztseins zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Sie wissen um das allgemeine gesellschaftliche Phänomen, hinterfragen aber, wie verhält man sich persönlich dazu. Wie stellt man sich selbst gegen den Druck einer Mehrheit. Auch die holländische Produktion hat als Ausgangspunkt eine Familienbiographie. Wir zeigen eine Etappe dieses als Sechsteiler konzipierten Projekts, in dem der Autor und Schauspieler sich mit seinem Vater auseinandersetzt und mit ihm persönlich auch auf der Bühne steht. Es geht um jüdische Identität, um die eigene Erfahrung mit Übergriffen, aber auch um grundsätzliche Mechanismen von Antisemitismus, und wie unterschiedlich die beiden Darsteller damit umgehen. Die Frage nach einer jüdischen Identität wird dadurch nicht religiös, sondern sozial und politisch beleuchtet. Man könnte sagen, dass es einen Trend zur Intimität gibt, insofern Theatermacher Autobiographisches zum Ausgangspunkt machen. Aber es ist eine Intimität, die nach außen schaut und die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verwischt.
Welche Wirkung kann nach Ihrer Meinung nach das Theater heute auf das Publikum ausüben?
Ich verstehe Theater nicht als Botschafter für Thesen und klare Aussagen. Es ist ein sehr sinnliches Medium, das Fragen anders umreißt, als sie zum Beispiel im Kino oder in der Philosophie verhandelt werden. Aber es sollte idealerweise ein Ort sein, der die Möglichkeit einer Konfrontation mit Ideen und Sichtweisen bietet, die die Menschen für die Welt öffnen können. Es transportiert das Publikum durchaus auf unterhaltsame Art und Weise in eine andere Welt, sprengt Alltag und Wahrnehmungsgmuster, ohne Resultate oder Antworten zu fixieren. Vielmehr stellt es Fragen. Das Spiel mit Fiktionen und Illusionen im Theaters haben für mich keinen benebelnden Unterhaltungswert, der über Realitäten nur hinwegtäuschen würde, sondern es zeigt mögliche Gegenwelten zu Realitäten oder Ansichten auf. Theater arbeitet mit Sprache, Literatur, mit Bildern und Musik in einer unglaublichen Zeichenvielfalt und einer großen Direktheit.
Welche Motivation ist für Sie persönlich bei dieser Arbeit die stärkste?
Ich sehe, dass ich den Künstlern mit der Möglichkeit, am Festival teilzunehmen, ein Erlebnis an den Anfang ihrer Laufbahn stellen kann, eine Art Schwung, mit der sie weiterarbeiten können. Für mich ist es wichtig, dass sich für die Künstler daraus etwas ergibt – entweder konkret, weil die Produktionen hier gesehen und anderswo eingeladen werden. Oder weil die Regisseure und Schauspieler hier eine Erfahrung machen, die sie in ihren künstlerischen Entscheidungen prägt, bestätigt oder reflektieren lässt. Dass wir hier auf einen echten Austausch setzen und nicht auf Konkurrenz, ist dabei wichtig. Und natürlich freut mich, dass viele danach mit mir in Verbindung bleiben, mit mir über ihre neuen Projekte sprechen – und das völlig zweckfrei, denn von mir können sie kein zweites Mal mehr eingeladen werden. Auch die Steigerung der Außenwirkung des Festivals ist etwas, das beflügelt, vor allem die Verankerung in der Stadt selbst, das heißt beim lokalen Publikum. Obwohl inzwischen viele internationale und französische Fachkollegen anreisen, die sich die Stücke möglichst geballt ansehen, um Produktionen „einzukaufen“, geht es vorrangig nicht um eine Klientel: Das Festival wird von den beiden großen Theatern in Straßburg gemeinsam gemacht, das heißt für ein Publikum vor Ort, eines, das sich für junges, oft überraschendes Theater sehr offen zeigt.
Haben Sie Wünsche für die Zukunft des „Festival Premières“ ?
Ja, auf alle Fälle – es soll weitergehen. Ich finde, dass gerade auch die Diskussionen rund um die Aufführungen und Rahmenveranstaltungen, wie sie dieses Jahr zusätzlich angeboten wurden, wichtig sind. Dafür braucht es Geld. Jetzt ist es ja so, dass Le-Maillon und das TNS dieses Festival zu einem Großteil aus ihren Spielzeit-Budgets bestreiten. Deshalb ist jeder zusätzliche Partner extrem wichtig. Es ist eine Besonderheit, dass zwei an und für sich in Konkurrenz stehende Theater sich hier in Einstimmigkeit zusammengetan haben für ein europäisches Projekt. Das ist in einer Stadt wie Straßburg von großem Wert. Jede Zusatzaufwendung, die von dieser Seite und anderen potentiellen Partnern kommt, ist sehr willkommen.
Ich danke Ihnen für das Gespräch.
Das Interview fand am 29. Mai 2010 in Straßburg statt.