Von wegen Ruhe und Entspannung
21. September 2024
Ewelina Marciniak inszenierte am Schauspielhaus in Graz „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung nach dem Roman von Ottessa Moshfegh“. Kontrovers, wie der Vergleich zur Romanvorlage zeigt.
Michaela Preiner
Foto: (Lex Karelly)

Im Schauspielhaus in Graz wurde die Saison 24/25 mit der Dramatisierung des Romans „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ eröffnet.

Wobei Dramatisierung nicht ganz stimmt. Die Autorin, Ottessa Moshfegh beschreibt in ihrem Buch den Zeitraum eines Jahres einer hübschen, jungen New Yorkerin, die sich dazu entschließt, sich von der Gesellschaft abzuschotten und so viel wie möglich zu schlafen. Moshfegh lässt die Lesenden tief in die Gedankenwelt ihrer namenlosen Protagonistin eintauchen. Ihre Erinnerungen an ihre besitzergreifende Mutter und den Vater, zu dem sie keine Beziehung aufbauen konnte. Sie beschreibt deren Sterben, aber auch das Leben der jungen Frau inmitten von finanzieller Unabhängigkeit, aber sozialer Kälte.

Der Titel des diesjährigen Saisonauftaktes ist wortwörtlich zu nehmen: „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung nach dem Roman von Ottessa Moshfegh“. Die kleine Präposition „nach“ ist hier tatsächlich wörtlich zu nehmen, denn: Die Regisseurin Ewelina Marciniak erarbeitete mit Malgorzata Czerwien eine Textfassung, die sehr wenig mit dem Original zu tun hat. Dieses wird sogar so stark verändert, dass der Schluss von Ottessa Moshfegh nicht vorkommt. In diesem erwacht die junge Frau nach einem Vierteljahr Schlaf als andere Person. Sie ist geheilt von dem Wunsch, nichts mehr mit der Welt zu tun haben zu wollen, und kehrt in kleinen Schritten wieder ins Leben. Moshfegh hat sicher Virignia Woolfs „Orlando“ gelesen, in welchem sich der bis dahin als Mann aufgetretene Protagonist nach langem Schlaf plötzlich als Frau verwandelt aufwacht.

Mein Jahr der Ruhe und Entspannung • Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Mein Jahr der Ruhe und Entspannung • Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Das Team um die Regisseurin, inklusive des Ensembles, ging andere Wege und gestaltete einen schrillen Theaterabend, der zwar auch einen gewissen Reiz entwickelt, mit der Vorlage aber nicht wirklich mithalten kann.

Luiza Monteiro als namenlose junge Frau spielt sich großartig durch das Geschehen und darf gegen Schluss mit ihrer schönen Singstimme brillieren. Sie trifft in der Fassung von Marciniak auf ihre verstorbene Mutter, die sich auch brav bedankt, bei dem Spiel dabei sein zu dürfen. Olivia Grigolli mimt diese Frau, die ihre Tochter in ihrem Ehebett schlafen lässt, in unterschiedlichen Charakterfacetten. Warum das Mädchen und nicht sein Vater bei der Mutter schläft, erfährt man nur im Buch, nicht aber auf der Bühne. Die Trunksucht der Mutter und das Nichteinschreiten des Vaters bescheren der Jugendlichen viele Fehltage in der Schule. Zugleich erlebt das Kind das Bett als Fluchtort vor der Wirklichkeit und legt damit auch den Grundstein zur Idee der späteren Lebensverweigerung mithilfe dieses speziellen Ortes.

Anke Stedingk als Therapeutin lässt in einigen Szenen durchblitzen, dass es mit ihrer eigenen seelischen Stabilität auch nicht weit her ist. Dass sie jedoch dafür verantwortlich ist, dass die junge Frau ein riesiges Arsenal an Schlaf- und Beruhigungstabletten hortet, wird nicht wirklich deutlich. Vielmehr konstruiert das Regieteam eine Familienaufstellung und anschließende Fitness-Work-outs, um sich „dem Thema der totalen Erschöpfung aus unterschiedlichen Perspektiven“ zu nähern. Das Zitat stammt aus dem Programmfolder, die es ab dieser Saison glücklicherweise wieder gibt.

Mein Jahr der Ruhe und Entspannung • Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Mein Jahr der Ruhe und Entspannung • Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Die szenischen Umbauten werden während des Spiels vorgenommen; Kulissenschieber werden mit Trinkgeld dafür extra belohnt. Willkommen bei der allgegenwärtigen Theaterdekonstruktion, ohne die derzeit offenbar nur mehr wenige Inszenierungen auskommen.

Eine wichtige Figur im Roman, eine Kunstgeschichtsprofessorin, welche die Hauptprotagonistin bei einem Seminar bloßstellte, verschmilzt in der Aufführung in Graz mit jener der erfolgsgeilen Galeristin. Marielle Layher fällt die Aufgabe zu, diese überzeichnete Person so extrovertiert wie möglich zu spielen und tut dies mit Verve. Der Kunstbetrieb, der im Buch auch nicht gerade feinfühlig und ethisch beschrieben wird, erfährt in dieser Figur eine klischeehafte Zuspitzung. Wer sich in dem Business auskennt, weiß, dass dieses Gehabe aber eines ist, das so in der Realität nicht vorzufinden ist. Anna Klimovitskaya verkörpert Reva, jene Freundin, welche sich als einziger Anker im Leben der schlafsüchtigen jungen Frau erweist. Ihr Schicksal, im 9/11-Anschlag in den Twin-Tower zu sterben, kann man sich am Theaterabend nur zusammenreimen. Mario Lopatta, Dominik Puhl und Thomas Kramer treten in Doppelrollen auf und ergänzen schillernd mit starker Bühnenpräsenz das Ensemble. Ob als Rechtsanwalt, Künstler, Hund oder Ballerina – sie alle machen in ihren Rollen eine gute Figur. Tatsächlich ist es das Ensemble, sein Spiel, welches den Abend letztlich sehenswert macht.

Natalia Mleczak entwarf Kostüme und ein Bühnenbild, in dem sich das Chaos im Apartment der jungen Frau in NY nicht wiederfindet. Clean ist der offene Raum hier ausgestattet, mit zwei großen Wohnlandschaften und einem seichten Wasserbecken, in dem fröhlich die Füße gekühlt werden dürfen.

Die Verdichtung des Romans und das Auslassen wichtiger Handlungsstränge, wie jenem, in welchem die Hauptfigur sich für eine äußerst radikale Methode des Ausklinkens entscheidet, verändern nicht nur den Inhalt, sondern lassen so manch einen und manch eine im Publikum etwas ratlos zurück.

Roman-Dramatisierungen sind absolut legitim, auch ihre Überschreibungen. Ob man jedoch tatsächlich so weit gehen muss, Kernaussagen komplett zu negieren, dafür aber eigene Handlungsstränge einzufügen, sei dahingestellt.

 

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