Vom Aufwärmen bis zum tiefen Absturz
Vom Aufwärmen bis zum tiefen Absturz
Michaela Preiner
Mit „Anstoß. Ein Sportstück“ präsentiert er zugleich auch ein 16-köpfiges Ensemble, das sich für diese Arbeit intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt hat. „Vom Aufwärmen bis zum tiefen Absturz“ könnte man den Abend auch untertiteln, denn Kavin breitet einen sportlichen Thementeppich mit vielen, einzelnen Szenen vor seinem Publikum auf. Dabei lässt er Spitzensportlerinnen und Spitzensportler zu Wort kommen und versieht trotz der Einzelbiographien dabei das Geschehen dennoch mit einem roten Faden. Dieser führt entlang des Aufbaues der Karrieren bis hin zu den Niederlagen oder tragischen Ereignissen.
Zu Beginn erlebt das Publikum noch während des Einlasses die Aufwärmphase der Truppe, bei der schon jede Menge Schweiss fließt.
Anders jedoch als in den Medien sonst üblich, lässt der Autor und Regisseur in Personalunion tief hinter die Glanzseiten des Spitzensportes blicken. Alkoholprobleme und Dopingmissbrauch, die ungewollte Vereinnahmung einer Spitzensportlerin von ihren Fans und Verletzungen werden so in Dialoge und Szenen gegossen, dass man das Gefühl hat, bei den tragischen Momenten live dabei zu sein.
„Zu einem guten Leben gehört auch Leid“, lässt er eine der Figuren dazu sagen. Eine besondere „Qualität“ weist in diesem Zusammenhang der 800-Höhenmeter-Absturz der deutschen Bergsteigerin Gela Allmann auf. Johanna König verfängt sich während der minutiösen Erzählung dieses lebensbedrohlichen Unfalles mit ihren Bergschuhen so kopfüber in einer Leiter, dass man hofft, dass sie dabei nicht die Kontrolle über ihren Körper verlieren möge. „Ich habe schon in vielen Theatern gespielt, aber noch nie musste ich eine Rolle so intensiv lernen. Als bei Probenbeginn das Blut in den Kopf schoss, während ich kopfüber auf der Leiter hing, war der Text weg“, erzählt die Schauspielerin, die sich in dieser Szene wie eine Athletin bewegen muss, diese Hürde aber letztlich mit Bravour schaffte. Auch Bernhardt Jammernegg liefert einen im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Auftritt ab. Dafür strampelt er, auf einem Podest von der Bühne erhöht, die erste Hälfte des Stückes permanent auf einem Ergometer. Dass er dazu auch noch die zynischen Aussagen des mehrfachen Tour-de-France-Siegers, Lance Armstrong, ohne Atemnot von sich geben kann, zeigt, wie trainiert der Schauspieler ist.
Mit der Anklage und Erzählung von Nikola Werdenigg über die Missbrauchsvorwürfe im ÖSV und die degoutant-geschickte Parade der Verantwortlichen des ÖSV-Kaders, spannt Kavin den Bogen bin hin in die aktuellen Debatten. Die ehemalige Skirennläuferin wird sogar an einigen Abenden selbst ihren Part auf der Bühne übernehmen.
Doch nicht genug der unterschiedlichen Blickwinkel, liefert Jörg Bergen als alkoholsüchtiger Fußballer Ulli Borowka noch jede Menge legendäre Sprüche ab, auch wenn die nicht von dem heute „trockenen“ Trainer stammen. „Es ist nichts scheißer als Platz zwei“, „Mailand oder Madrid – Hauptsache Spanien“ sind zwei davon und werfen ein humoriges Licht auf so manche sprachliche Kuriosität oder Bildungslücke des einen oder anderen Sportidols.
Der Abend „Anstoß – ein Sportstück“ bietet trotz seiner hypertrophen Anlage oder vielleicht auch gerade wegen dieser – eine Unmenge an Diskussionsstoff. Er bietet zugleich auch die Möglichkeit, sich als Kulturfreak dem Thema Sport bequem von einem Theatersitzplatz aus zu nähern. Die Verschränkung von geistiger Bühnenarbeit und körperlichen Höchstleistungen wirkt in keinem Augenblick gekünstelt, was zeigt, wie gut sich das Ensemble auf diese Aufführung vorbereitet hat.
Der Probenbesuch lässt auf eine gelungene Premiere schließen. Wir wünschen nicht nur toi, toi, toi, sondern auch viel Glück im neuen Theater!
Weitere Termine auf der Website des Theater Arche.