R & J in Graz – was für eine geile Nummer!

R & J in Graz – was für eine geile Nummer!

Lesezeit: [lesezeit]

Michaela Preiner

22. Oktober 2025

R & J in Graz – was für eine geile Nummer!

Michaela Preiner

22. Oktober 2025

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Foto: (Lex Karelly )

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Romeo und Julia nach William Shakespeare unter der Regie von Emre Akal im Schauspielhaus in Graz ist Pflicht für all jene, die im Theater große Emotionen erleben möchten.

Am Ende der Premiere sollen sich Applaus und Buhrufe die Waage gehalten haben. Bei der Aufführung am 22.10. war dies anders. „Romeo und Julia“ – nach William Shakespeare – so der genaue Titel der Inszenierung im Schauspielhaus Graz, wurde heftig akklamiert. Absolut zu Recht.

Der Regisseur Emre Akal, der im Schauspielhaus in Graz mit der Produktion Sonne / Luft von Elfriede Jelinek bereits reüssierte, schuf ein neues Stück, das sich zwar im großen Plot an Shakespeares Drama hält. Das Ende jedoch darf bei ihm anders erlebt werden.

Es ist nicht nur die freie Interpretation, die beeindruckt. Die Wort-Bild-Kombination, die er gemeinsam mit dem Künstlerduo Mehmet und Kazim schuf, ist imstande, den über weite Strecken fehlenden und verfremdeten Text völlig zu ersetzen. Dazu kommt die elektronische Musik von Enik, die Szenen mit einer Emotion unterfüttert, dass einem warm ums Herz wird.

Romeo und Julia im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Romeo und Julia im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)


Lara Roßwags Kostüme erinnern an jene des Triadischen Balletts genauso wie an die Kostüme von Weißclowns – im Stück treffsicher Mercutio verpasst. Schwarz und Weiß und deren Graustufen beherrschen die Bühne und drücken überdeutlich aus, dass die Menschen, die sich in ihren parallel angeordneten Häusern befinden, längst innerlich abgestorben sind. Die wulstige Ausführung des Interieurs erinnert an jene der Flintstone-Behausung genauso wie an die Fat-House- und Fat-Car-Serie von Erwin Wurm. Eine Mühle, wie sie bei Max und Moritz als deren letzte Station eingesetzt wird, entpuppt sich letztlich als Wurstmaschine, durch die all jene gedreht werden, die unfreiwillig dahingeschieden sind.

So überzeichnet die Figuren und ihre Umgebung auch erscheinen mögen, so gefühlsstark kommt so manche Szenen über die Rampe. Als Julia ihren Romeo zum ersten Mal begegnet, ihn dann in Adams- und Evakostüm wieder trifft und sich bald von ihm verabschieden muss, als die beiden sich später auf einem von rosa Wolken umflorten Balkon treffen und dank der Projektionen von Mehmet und Kazim durch die Galaxie schweben, empfindet man ihre Gefühle eins zu eins mit. Auch wenn die eigene erste Liebe und weitere schon in grauer Vorzeit liegen, taucht man ad hoc wieder ein in jene Gefühlsmomente der Verliebtheit, in der das Kribbeln im Bauch und der Schmerz des Verlassenwerdens ganz nah beieinander liegen. Eine derart starke emotionale Affirmation soll diesem Team einmal jemand nachmachen.

Emre Akal gelingt aber noch ein weiteres Kunststück. Mit seinen repetitiven Momenten, den gebetsmühlenartigen Wiederholungen der Hasstiraden, welche von den Eltern auf ihre Nachkommen übergestülpt werden, zeigt er auch abseits der Liebesgeschichte auf, wie sich Hass über Generationen hinweg tradiert. Rasch wird klar, dass zwischenfamiliärer Hass auch heute noch genauso gültig ist wie zu Shakespeares Zeiten und davor. Nur Julias Amme sowie Romeos Freund Benvolio schaffen es, sich in der emotional vergifteten Familienumgebung Liebe und Wärme bewahrt zu haben. Zumindest für ihre Schützlinge. Dass sie auch anders können, wird in der vorletzten Szene klar.

Romeo und Julia im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Romeo und Julia im Schauspielhaus Graz (Foto: Lex Karelly)

Romeo und Julia, bar ihrer verhassten Verwandtschaft, nehmen im letzten Bild einen Schluck aus jenen Flaschen, aus welchen bereits ihre Eltern ihren Wein tranken. Die Siegessicherheit, mit der sie dies tun und die Metapher, die dahintersteckt, lässt erahnen, dass sie trotz ihres Widerstandes mit einem Erbe belastet sind, von dem es schwer sein wird, sich bin in die letzte Konsequenz loszusagen.

Intellektuell gelingt der Transfer der Erzählung im Schauspielhaus zu heutigen Familienfehden genauso wie zu Nachbarschaftsauseinandersetzungen, seien sie in Osteuropa oder im Nahen Osten, die dort blutig ausgetragen werden. Die Keimzelle der Verhetzung ist dort, wo vergiftete Väter und Mütter mit ihren Nachkommen ein Dach teilen, egal wann und wo auf dieser Welt.

Das Ensemble mit Franz Solar, Mario Lopatta, Anna Rausch, Laszlo Branko Breiding – abwechselnd in der Rolle des Mercutio mit Thomas Kramer zu sehen, sowie Luisa Schwab, Luiza Monteiro, Anke Stedingk und Anna Klimovitskaya ist dieses Mal pantomimisch stärker gefordert als je zuvor und meistert dies mit Bravour. Ihre Blicke können töten oder pure Verachtung ausdrücken, Verschlagenheit und Schadenfreude sind ihren Gesichtern genauso abzulesen wie tödliche Langeweile. Weder Lyrik noch Prosa sind hier notwendig.

Einer Schülerin, die ihrer Freundin beim Verlassen des Saales die Frage stellte: Was soll ich meinen Eltern erzählen, wie es mir gefallen hat?, darf man getrost und mit voller Überzeugung antworten: Extrem gut! Toll gemacht war das, alte Zöpfe gibt es keine und der Platz für Neues, der hier geschaffen wurde, ist beeindruckend. Das ist Theater, wie es sein soll. Neu, spannend, mit einer großen Erzählung, die es schafft, uns mehr über uns in Erfahrung zu bringen, als dies im Alltag möglich ist.