Mythen im Opernhaus Graz, verpackt in eine mitreißende Klangfülle

Mythen im Opernhaus Graz, verpackt in eine mitreißende Klangfülle

Michaela Preiner

24. April 2025

Lesezeit: [lesezeit]

Mythen im Opernhaus Graz, verpackt in eine mitreißende Klangfülle

Michaela Preiner

24. April 2025

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Foto: (Marija Kanizaj )

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„Zeitgenössische Musik muss mit den Augen gehört und mit den Ohren gesehen werden. Es ist nicht möglich, den visuellen Eindruck auf einer CD wiederzugeben.“ Diese Aussage stammt von Jean-Dominique Marco, dem langjährigen Leiter des Festivals musica in Strasbourg.

Ohne Scheu darf man ergänzen: Nicht nur zeitgenössische, sondern auch Musik, die in der Oper Graz beim Konzert zum Thema „Mythos“ erklang, gehört zu dieser Kategorie.

Der Chefdirigent der Grazer Oper, Vassilis Christopoulos, dirigierte ganz ohne Pathos, dafür aber mit viel Feingefühl ein Programm, das in dieser Kombination selten gespielt wird. Die Auswahl der Werke von Debussy, Fauré und Ravel erwies sich als stilistisch stringent, dramaturgisch klug aufgebaut und bot eine abwechslungsreiche Folge aus Kammermusik, Solostücken und groß besetzten Orchesterwerken mit Chorbegleitung. Diese Art der Programmierung – mit dem Fokus auf impressionistische und spätromantische französische Musik – ist zwar im Konzertbetrieb gut etabliert, die konkrete Abfolge, wie sie in der Oper zu hören war, gehört in dieser Form jedoch nicht zum Standardrepertoire.
Zu hören – und sehen – war gleich zu Beginn Claude Debussys

european cultural news.com mythen im opernhaus graz verpackt in eine mitreissende klangfuelle Marlies Gaugl copy Oper Graz Marija Kanizaj

Marlies Gaugl (Foto: Oper Graz, Marija Kanizaj)


Syrinx, L. 129 für Flöte solo, gespielt von Marlies Gaugl. Einem klugen Regieeinfall ist es zu verdanken, dass die Flötistin, aus dem Dunkel des Zuschauerraums langsam auftauchend, während ihres Spiels nach vorne zur Konzertbühne wanderte. Von einem Lichtkegel illuminiert, durfte man ein Schauspiel der besonderen Art genießen. Es waren nicht nur die sphärischen Klänge, die verzauberten, sondern der Auftritt der Flötistin an sich. Sie verkörperte nicht nur Syrinx, jene tugendhafte Nymphe, die vor den Liebesbekundungen Pans floh, sondern sie stand stellvertretend für all jene Frauen, die in der Folge des Konzertes benannt wurden.

Das Konzertpodium war zum Publikum hin mit Frühlingsblumen bestückt, ein weiterer netter Einfall, der zum Thema ästhetisch subtil harmonierte.

Gabriel Faurés Suite aus Pelléas et Mélisande op. 80 (1898) überzeugte durch seine hingehauchten Konturen, die feinfühligst interpretiert, wie ein zartes impressionistisches Gemälde eine Vielzahl von gedanklichen Bildassoziationen auslöste. Das viersätzige Werk, entstand durch schrittweise Bearbeitungen und Hinzufügung zu Maurice Maeterlincks gleichnamigem Schauspiel. Es beschreibt die unglückliche Liebe von Mélisande, die mit ihrem Tod endete. Fauré gelang eine hinreißende Beschreibung von Mélisandes zartem Wesen gleich im ersten Satz mit breit angelegten Streicherpartien, die ein Schweben und Hauchen, ein Verträumtsein und eine Innigkeit verbreiten. Ihre Tätigkeit am Spinnrad, die im Anschluss hörbar wird, wird von flirrenden Streicherklängen eingeleitet, die sich im Laufe des Satzes in andere Instrumentenpartien übertragen. Der tragische Ausgang, angekündigt durch die Bläser zu Beginn des letzten Satzes, erinnern an Trauermärsche und ist beispielhaft für eine in Töne gegossene Beschreibung eines Frauenlebens, das der Stärke der eigenen Gefühle nicht standhalten kann. Zugleich lässt die Musik viel Raum zum Hineinhören und Nach-Denken, zum Träumen und sich darin Verlieren, auch ganz ohne Wissen des mythologischen Stoffes.

european cultural news.com mythen im opernhaus graz verpackt in eine mitreissende klangfuelle vana sabakova

Vanda Šabaková (Foto: Oper Graz, Marija Kanizaj)


Den letzten Höhepunkt vor der Pause setzte die junge Harfenistin Vanda Šabaková mit Claude Debussys ‚Danse sacrée et danse profane‘ für Harfe und Streicher, komponiert im Jahre 1904. Die beiden Stücke, ineinanderfließend vorgetragen und von enormem, technischem Schwierigkeitsgrad gekennzeichnet, machten klar, wie sehr die Solistin nicht nur ihr Instrument beherrscht, sondern wie sehr sie sich in der impressionistischen Klangwelt von Debussy zuhause fühlt. Häufige Modi-Änderungen, gekennzeichnet durch tollkühne Modulationen, Wechsel zwischen Soloteilen und solchen mit orchestraler Begleitung, sowie rhythmisch herausfordernde Passagen, mögen sich kompliziert anhören. Dennoch gelang Vanda Šabaková das Kunststück, das Publikum damit in Staunen und Entzücken zu versetzen und es auf die waghalsige Reise dieses Konzertparts komplett mitzunehmen.

Mit La Source von Alphons Hasselmans als Zugabe verströmte ihr Spiel jene musikalische Harfencharakterstik, welche so geliebt und bewundert wird. Schwelgende melodische Linien und perlende Läufe waren der Garant für einen zu Recht nicht enden wollenden Applaus.

european cultural news.com mythen im opernhaus graz verpackt in eine mitreissende klangfuelle Der Chor der Oper Graz copy Oper Graz Marija Kanizaj

Sonderkonzert Mythos (Foto: Oper Graz, Marija Kanizaj)


Maurice Ravels Daphnis et Chloé Suite Nr. 1 und 2 erwiesen sich nach der Pause als weiteres Highlight des Abends. Begleitet vom Chor der Oper Graz sowie dem ‚chor pro musica graz‘ unter der Leitung von Johannes Köhler, wurden beide Suiten hintereinander aufgeführt, was vielfache Gänsehautmomente bereithielt. Die Sängerinnen und Sänger waren mittig auf der Galerie platziert. Dies schuf ein Hörerlebnis, wie es in der Renaissance in Venedig in der Basilica San Marco zu erleben war. Dolby-Surround würde man heute flapsig dazu sagen. Einige Konzertbesucher fassten spontan ihre Eindrücke mit Erinnerungen an Filmepen zusammen, die sich bei ihnen automatisch einstellten. Die klanglichen Naturbeschreibungen wie das leise Rieseln eines Wasserfalls oder der Durchbruch von Mondlicht in einen dunklen Wald, welche in den Suiten anzutreffen sind und ihre Wirkung nie verfehlen, aber auch die tänzerisch mitreißenden Sätze mit ihren Fortissimi-Passagen, kräftigst chorisch unterstützt, waren ein Hörgenuss ersten Ranges.
Das Sonderkonzert „Mythos“ bedurfte in der Programmierung keines Mutes, jedoch eines großen Vertrauens in die Musizierenden und in die Akzeptanz des Publikums. Dass dies voll aufging, war am nicht enden wollenden Applaus zu bemerken. Musik, die zum Träumen einlädt, aber auch das Leben in seiner epischen Breite feierte – wie wohltuend war diese Darbietung. Gerade in Zeiten, in welchen die Menschen kaum zu träumen wagen und auch die Freude am Leben häufig nicht mehr wahrgenommen wird, war dieser Abend ein Geschenk.